I
780.92 BiiSb
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REF&ENCE USE ONLY
^l^tol^
p. PH, ^MANUEL
CARL PfflJPP EMAMJEL
UND
WILHELM FRIEDEMAM BACH
UND DEEEN BEUDEE.
VON
C. H. BITTER.
KRSTKR BA3STD.
MIT PORTRAIT TJND FACSIMILE YON CARL PHILIPP EMANUEL BACH,
SOWIE ZAHLREICHEN KUSIKBEILAGrEN.
BERLIN, IMS,
VERLAG VON W1L\.
165 a.
Das Reclit der Uebersetzung in freuide Sprachen bleibt vorbelialten.
Ihrer Majestat
der
Konigin Augusta
TOII Preussen
in tiefster Unterthanigkeit
von
dem Verfasser.
Merdurchlauchtigste, Grrossmachtigste
Konigin,
Allergnadigste Kimigin mid Fran!
Die beiden grossen Kiinstler, deren Andenken dieses
Bucli gewidmet 1st, entstammten einem Orte, dessert
Greschichte mit der Bltithe der deutschen Knnst seit
langer als einem Jahrhundert "and bis in die neueste
Zeit hinein anf das engste verwachseii ist, dessen
fiirstlichen Gebietern die deutsche Nation nicht ge-
ringeren Dank schuldet, als ihren edelsten Geistern.
Eure Konigliche Majestat, diesem erlaucL.-
ten Fiirstenhause entsprossen, werden in dem ge-
schichtlichen Hintergrunde der nachfolgenden bio-
graphischen Schilderungen zugleich den Abglanz
jenes Lichtes erkennen, das von dem Koiiiglichen
Throne .Preussens her auf die Culturentwickelung
des vorigen Jahrhunderts seine belebenden Strahlen
geworfen hat.
Aus der Betrachtung dieser Verhaltnisse tritt
vor Allem das Andenken an Carl Philipp
Emanuel Bach hervor, der, wie wenige seiner
VI
Zeit, geholfen hat die Bahnen zu eroffnen, die
Wege zu ebnen, auf deuen die deutsche Kuust zu
der glanzvollen Holie emporsteigen konnte, auf der
wir sie jetzt bewimdern.
Indem ich dies Buch in diesem Simie Eurer
Koniglichen Majestat zu Fiissen lege, wollen
Allerhochst Dieselben gerahen, den Ausdruck
tiefster Ehrerbietung zu gestatten, in welcher ich
verharre
Eurer Konigliclien Majestat
Mannheim, im October
1867,
unterthanigster
Bitter,
K. Preuss, Gcheimer Eegierungs Rath.
Vorwort
l/er Verfasser der nachfolgenden Schrift hat in seiner
Biographie Joh. Seb. Bach's (Berlin bei Schneider. 1865.
Th. II. S. 370) darauf hingewiesen, dass er uber die Lebens-
Schicksale der vier Sohne jenes grossen Meisters in abge-
sondertem Werke Bericht erstatten wercle.
Indem er diesem Versprechen nachkoinDat, ist es ihni
eine angenehme Pflicht, der wohlwollenden Hilfe zu ge~
denken, die ihm bei seiner miihsamen Arbeit von so vielen
Seiten her zu Theil geworden ist.*)
*) Zu besonderem Danke verpflichtet ist der Verfasser auch bei
dieser Arbeit dem Hrn. Espagne, Gustos der Konigl. Bibliothek zu
Berlin, nicht minder dem Hrn. Alfred Dorffel, Besitzer eines musi-
kalischen Leih-Instituts zu Leipzig. Ebenso hat er mit lebhaftester
Erkenntlichkeit der wohlwollenden und entgegenkommenden Unter-
stutzung Erwahnung zu thun, die ihm durch den Director des Konigl.
Conservatoirs zu Briissel, Hrn. F6tis, so wie durch Hin. M. Fiir-
stenau, Kammer-Musikns und Privat-Bibliothekar Sr. Maj. des Koniga
von Sachsen zu Theil geworden ist.
Yon Seiten des FiirsU. Biickeburgischen Ooncertmeisters Hrn1.
Guloniy, von Hrn. Professor L. Nohl zu Miinchen, endlich von
seinem treuen Jugendfreunde, Hrn. Kegierungs-Bath von Raumer
YIII
Die Quellen, welohe liber die Sohne Bach's Aufschluss
geben konnteD, fliessen, obschon deren Lebenszeit unserm
Jahrhundert so viel naher liegt als die des Vaters, fast
noch sparlicher als bei diesera.
Und doch war, wenn auch bei zweien derselben das
kunst- und culturhistorische Interesse weniger erheblich
1st, das Leben 0. Ph. Emanuel's, des Zwcitgobomen
Sebastian Bach's, fur die Geschichte dor Musik wio
fur die methodische Entwickelung einzelnor Zweige der-
selben von dor allergrossesten Bedeutung, wahrend ein
Ruckblick auf das, was Friedemann der Kunst gewesen
und was er ihr hatte sein kSnnen, im hochsten Grade
belehrend ist.
JBine erschopfende Wurdigung desaen, was E matin el
Bach gewollt und was er erreicht hat, findet bei der
ausserordentlichen Vielseitigkeit, in der sein Streben sich
bewegte, nicht geringe Schwierigkeiten. An positiven
Qrandlagen hat es bisher hicftir gefehlt,
Sein Leben war ausserdein ein so einfach biirgorliches,
jedem romanhaften Anfluge so vollig fremdes, dass cine
geeignete Darstellung desselben katim anders als in der
Darlegung seiner zahlreichen Werke erfolgen kann.
Dies ist der Standpnnkt, von deni aus der Verfasser
an seine Arbeit gegangen ist. Er hofft in derselben das
Lebensbild eines Mamies gogeben zu haben, der wie sein
grosser Vater ein durch und durch Deutscher Kiinstler,
zu Frankfurt a. 0. ist ihm in gloich dankenswerther und bcreitwilliger
"Weise dn^5 freundscbaftlichste Unterstiitzung im Ansainme]ii utid Her-
beischaffen des. Materials gewiilirt worderi.
IX
wohl werth 1st, der lebenden Generation, die ihn fast ver-
gessen hat, in's Gedachtniss zuruckgerufen, ihrem ehrenden
Andonkon empfohlen zu werden.
Mochtc dei^ Versuch hlezu einem gleich nachsichtigen
Urtlieilc begegnen, als der Biographie Sebastian Bach's
zu Theil geworden ist.
Mannheim, im August 1867.
Der Verfasser,
Inhalt
des ersten Bandes.
Carl PMlipp Emanuel Bach,
Seite
Einleitung 1
Cap. I. Jugend, Erziehung, Studienzeit, Aufenthalt und An-
stellung in Berlin 5
Cap. II. Compositionen wahrend dieser Zeit:
A. Clavier-Compositionen 35
B. Theoretiscbe Arbeiten 91
C. Cornpositionen fur die Orgel und fiir andere
Instruments 114
D. Kircben-Musiken 117
E. Die weltliclien und geistlichen Lieder. . . 137
F. Weltliche Cantaten 155
G. Seb. Bach's vierstimmige Chorale .... 164
Cap. HI. Biographisches liber die Zeit in Berlin 169
Cap, IV, Anstellung, Aufenthalt und Lebens-VerhSltnisse in
Hamburg 174
Cap V, Compositionen wahrend der Hamburger Zeit ... 196
A. Clavier-Compositionen 196
B. Instrumental-Coinpositionen 236
C. Kirchen-Musiken 243
Anhang zum ersten Bande, mit besonderem Inhalts-Verzeichniss 323
Einleitung*
Jus giebt in der Kunstgeschichte Erscheinungen, deren
absoluter Werth bei oberflachlicher Anschauung nicht yon
der Bedeutung zu sein scheint, dass es sich lohnte, ihrem
Entwickelungsgange mit sorgfaltiger Prufung zu folgen.
Viele durften der Meinung sein? dass Carl Philipp
Emanuel Bach diesen Kimstgrossen zweiten Ranges an-
gehdre.
Seine eigene Zeit war dieser Meinung nicht. Sie Welt
ihn fur den ersten aller lebenden Tonsetzer.
Das Andenken an seinen grossen Vater war ge-
schwunden. Was dieser geschaffen hatte, harrte, in ver-
gilbende Papierstosse zusammengebunden, einer fernen Auf-
erstehung oder flatterte als Gegenstand des Studiums fiir
wenige Auser-lesene hierhin und dorthin. Der tiefe Ernst
in Sebastian Bach's Werken war von seiner Zeit nicht
yerstanden worden. Handel's Oratorien hatten ihren
Weg nach Deutschland noch nicht gefunden; Graun, der
yiel bewunderte und gefeierte Sanger, lebte ausserhalb der
Opernbiihne Friedrichs des Grossen nur in seinem
Tod Jesu, Hasse nur noch in wenigen Opern in dem
Bewusstsein seiner Zeitgenossen fort. Die italienische
'Bitter, Emanuel und Friedemann Bacn, 1
Kirchenniusik war noch kaum iiber die Alpen gedrungen;
Alles iibrige gehorte den Greistern zweiten Ranges an, aus
deren Reihen erst spater Joseph Haydn in den Vorder-
grund heraustrat.
Dem gegeniiber war die melodische gesangvolle Schreib-
art Ernanuel Bach's, obschon auch in ihr noch Vieles
fur sonderbar? auffallend, unverstandlich galt? doch deni
Auffassungsverrnogen seiner Zeitgenossen zuganglicher, als
die tiefsinnigen Toncombinationen seines grossen Vaters es
gewesen waren. Eine ungeheure Anzahl von Tonwerken
jeder Art war durch ihn in niehr als vierzigjahrigern
Schaffen an der lebenden Generation voriibergefuhrt wor-
den. Ein Leben, von ehrenwerther Ordnung erfullt, durch
Fleiss und Arbeit ausgezeichnet, hatte die Mitwelt daran
gewohnt, in ihni den ,,Vater der Musiker und des
Olavierspiels" zu verehren. Seine ausserordentliche
Virtuositat und das Neue, Frappante in seinen Ideen und
Formen, dies alles bot reichen Stoff zur Bewunderung und
zuni Vergleich rnit Anderen. War es da zu verwundern,
wenn man ihn nach und nach zu einer Hohe erhob, vor
der die grossen Vorganger, wie die Tonsetzer seiner eigenen
Zeit7 zuritckzuweichen schienen?
Die Nachwelt hat weniger emphatisch fiber ihn ge-
urtheilt. *
Aus der Saat, die er ausgestreut hatte, waren neue
Bliithen, eine reichgesegnete Frucht - Erndte emporge-
wachsen, und; wie es zu geschehen pflegt, der den
Keim dazu gelegt, die schone Gegenwart moglich ge-
machfc hatte , ward vergessen, wie sein Vater vergessen
worden war.
So kampfen und wechseln die Gestaltungen des Lebens
kin und her? Nebelmassen vergleichbar, die sich am Saume
des Gebirges der Sonne entgegenballen.
Hatte die eigene Zeit, vielleicht nicht rnit voller Be-
rechtigung, Enianuel Bach auf die hocJhste Stufe gestellt,
die sie dem Kiinstlergange eines grossen Grenius zuerkennen
^ g t
konnte, so war die ihr folgende Periode, indem sie ihn
liber vielen Minderberechtigten vergass, gegen ihn un-
gerecht.
Unserem Zeitalter 1st es vorbehalten, dies Unrecht zu
siihnen. Die Werke des Vaters steigen nach und nacli aus
dem Dunkel und dein Staube der Vergessenheit an das
schone Licht des Tages zuriick, und was der Sohn der
Kunst gewesen, beginnt inehr und inehr gewitrdigt zu
warden.
Mit Sebastian Bach und Handel hatte die alte
Schule evangelischer Tonsetzer, die Schule der deutschen
Contrapunktisten den Kreislauf ihrer ernsten Aufgabe er-
ftillt. Ueber keinen von beiden konnte die Nachfolge hin-
aus. Es bedurfte eines verniittelnden Elements, um von
ihrer strengen Gfrosse zu der bliithenreichen Pracht der
neueren Tonschopfungen zu gelangen.
Den Briidern Friedemann und Enianuel Bach war
diese grosse und schone Aufgabe als Erbtheil ihres Vaters
zugefallen.
Der altere von ihnen hat dieses Vermachtnisses nicht
geachtet. In eigensinnigem Beharren auf den alten Batmen
fortschreitend wollte er der neuen Zeit aufzwingen, was
schon die Vergangenheit aus den Handen so viel Grosserer
kauni hatte annehmen wollen. So niusste er resultatlos zu
Grunde gehen.
Dagegen hat Emanuel Bach nicht allein den Reich-
thum der Arbeiten seines Vaters, so weit er ihn empfangeii
hatte, init treuem Sinne auf bewalui, sondern auch die kiinst-
lerische Aufgabe erfiillt, in deren Pflege er erzogen
worden war.
Sein Vater, der deni Rathe zu Leipzig missliebige
Cantor der Thomasschule hatte dieseni einst zugerufen:
,,Die Kunst ist uin sehr viel gestiegen, der Gusto
hat sich verwunderungswiirdig gekndert. Die alte
Art der Musik will unsern Ohren nicht mehr klin-
gen!" Was war es7 das er rait diesen bemerkenswerthen
Worten hatte ausdrticken wollen?
Er wolltesagen: Niclit zum Stillstand ocler Riick-
gang, sondern zum Fortschritt, zin der neuen Art
der Mu'sik sind wir berufen!
Der Sohn; von dem Ideengange der grossen Zeit er-
fiillt, die ihn umgab, unter den belebenden Strahlen der
Sonne Friedrichs des Einzigen ihren Grimclsateen
folgend? trat mit kiihnem Sinn aus dem Banne der alien
Kreise heraus, um seiner Kunst der Zukunft liellglanzende
Pforten zn ojffnen.
So ist seine Besonderheit, sein Wesen, Schaffen und
Wirken in Wahrheit einer eingehenden Betrachtung werth.
Capitel I
Jngend; Erziekmg, Studienjalire, Aufenthalt und
Anstellung in Berlin.
(j&rl Philipp Emanuel, der dritte Sohn Sebastian
Bach's mit clessen erster Gattin Maria Barb ara, (jtingsten
Tochter des Johann Michael Bach, seiner Zeit Orga-
nisten und Gemeindeschreibers zu Gehren) war am 14. Marz
des Jahres 1714 zu Weimar geboren, grade in der Zeit,
wahrend deren sein Vater einen so wenig erfreulichen
Briefwechsel mit dem Vorstande der Liebfrauen-Kirchezu
Halle zu fuhren hatte. Sein alterer Bruder Wilhelin
Friedemann stand bereits in seinern vierten Lebensjahre.
Ein anderer Bruder, Johann Christoph, 1713 geboren,
war wieder gestorben.
So hat jene friedliche Residenz des sachsisch-thtirin-
gischen Fiirstenhauses, dein die deutsche Kunst so vielen
Dank schuldet, nicht nur der Bltithezeit des Vaters ge-
lachelt, sondern auch den Mann in's Leben treten sehen;
der zwischen seiner unnahbaren Grosse und der glanzenden
Zukunft der Musik, die bald genug mit ihren Kunstbliithen
der Welt erscheinen sollte, als Verbindungs- und Vermitte-
lungsglied zu dienen bestimmt war.
Die Jugendzeit vieler Manner, denen eine grosse Be-
stimmung zu Theil geworden, hat das Bild bewegter, selt-
samer Lebensverhaltnisse geboten. Von solchen 1st in den
Kinderjahren Emanuel Bach's nichts bemerkbar, Es
war der normale Gang der Pamilie, wie er sich in kleinen
— 6 ~
Stadten zu gestalten pflegt, die Umgebung einos thiitigon
Kunstlerlebens, in dem, was geiordcrt wurdc zur Elirc
Gottes geschah, innerhalb deren die ersten Jahro seiner
Kindheit, seine Knaben- mid Lehrzcit verlaufon sollten.
Ihm hatte die Natur einen hoitcren khiren ISimi vcr-
liehen, der sich an das Leben ansehmicgen konnte, wio es
ihm grade entgegen kain. Schon in fruhcr Zeit tnit
der ihm spater so eigcnthumlicho Hung zum Mutlnvilien
und zur Neckerei hcrvor1). Ucber Him waltcto die Liebe
eines Vaters, der in eigener barter Schulc erwtnrkt, ihm
mit festem Sinno die Balm vorzuzcichnon vorrnochto,
die er innehalten sollte, bis er mit sclbstandigoui Willen
sich bewogen durfte. So bietet die Jngcndzeit E in an no 1
Bach's kein Suchcn mid Irrcn, kcin Auswoichon nach
rechts odcr links ; kein iSchwanken mid Flatten* von hicr
nach dort, sondcrn sie zcigt den ruhigcn Gang ctner von
sicherer Hand geleiteten Erzielmng, dercn wohlthiitigo
Reflexe sich bis in seine spiiteste Lebenszcit beinerkbar
machen.
Als sein Vater Weimar verlioss, war er 3 Jahro alt.
In seinem 10. Jahre stehend kain er nach Leipzig. Er
selbst sagt uber seine Jugendzeit in dor biographisehen
Skizze; die er im Jahre 1773 aufgozcichnot hat, niehts als2):
?3Nach geendigten Schulstudion auf der Loipzigor Thomas-
Schule habe ich die Rechte sowohl in Leipzig als naehhcr
in Frankfurt an der Oder studirt."
Diese magere Notiz ineldet ebcn nur die nackte That^
sache, dass er seine Schulzeit mit bcsondoroin Erfolge
duroharbeitet hatte. Noch in spateren Lebensjahren zeigto
er gern die gtmstigen Zeugnisso vor, die er hicrtiber
von dem damaligen Rector Ernes ti in Handen Jiattc.
Sonst weiss inan; dass er im Jahre 1735, also in scinoni
21. Jahre ; nach Frankfurt zur Univcrsitkt gogangen und
1) Rochlitz, fiir Freunde der Tonkunst. I 280.
2) Burney, Musik. Eeise. Th, III.
dass er dort bis zuin Jahre 1738, also 3 Jahre geblieben
war. Da er nun schon voriior in Leipzig eine Zeit lang
dem Studium der Rechte obgelegen hatte, so lasst sick
schliessen, dass or etwa bis zum Ende seines 19. Lebens-
jahres (1733) die Thomas - Schule besucht bat.
In dieser Anstalt, die grade in den letzten Jahren
seiner Schulzeit unter Gessner7s Leitung stand, wurde; wie
bekannt, ein gelehrter, streng wissenschaftlicher Unterricht
crtbeilt. Diejenigen, die auf ihr die Reife zur Universitat
eiiangten, verliessen sie mit der vollendeten Schulbildung
ihrer Zeit.
Wenn man dies und die vier Studienjalire Em ami el
Bach's in Leipzig und Frankfurt im Auge behalt, so wird
man leicht erkennen, dass er in sorgfaltiger Erziehimg zu
einer hoheren Bildung gereift sein musste? als der Mchr-
zahl seiner Standesgenossen sonst zu Thcil zu werden
pflegte.
Diese Wohlthat hat ihn durch sein Leben beglcitet.
Er war mit Grraun der einzige Musiker aus der ersten
Halfte des Jahrhunderts? der derFeder vollig gewachsen war.
Ueber den Grang7 den seine musikalischen Studien ge-
nommen haben, ist nur wenig bekannt. Er selbst sagt
davon: 77In der Composition und ini Clavierspielen Kabe
ich nie einen anderen Lehrmeister gehabt als ineineii
Vater."
Freilich war dieser Lehrmeister der erste, den die
Welt damals aufzuweisen hatte. Und sonach ist in jcnen
wenigen Zeilen genug gesagt. Dass er ausser dem Clavier
(und selbstverstandlich der Orgel) noch andere Instrumente
spielen gelernt habe, davon ist nirgends eine Spur zu ent-
decken. Reichardt, der mit der Lebensgeschichte Bach's
bekannt genug geworclen war, behauptet1), dass dersclbe
von Natur aus links gewesen sei, und daher in der ersten
') Selbst -Biographic. Leipzig. Allg.Mus.-Ztg. Jahrg. 16 (1814)
No. 2.
Jugend manche Instrumente verkehrt getrieben Iiabo. Viol-
leicht war dieser Uinstand die Vcranlassung, dass dor Vater
ihm nicht auch wie dem ixltercn Fricdemann Untorrioht
auf der Violine geben licss. Dass or abor ebon mir das
Clavier erlernt hatte, 1st in jedem Fallo fiir die Bctrach-
tung des Entwickelungsganges, den sein Lobcn gcnoinmen
hat, von nicht geringer Wiclitigkcit. Down dadurch, class
dieses Instrument das cinzige war, mit dosaon Uobung or
sich zu bcschaftigen hatte, ist er offenbar darauf hingolcitct
worden, dasselbe aucli fur die Composition als soiu Haupt-
Instrument zu betrachten.
Hilgenfeld sagt von ihm J) (cs ist nicht bckannt,
auf Grand welcher Thatsachon): ;?Soin Vater widmetc
ihn den Wissenschaften. Musik sollto er nur zu seiner
Freude lernen Aber durch den Untorriclit, den er
von seinem Vater erhielt? so wie durch den fortwtihrenden
Umgang mit Kimstlern, die seines Vatcrs Hans bosuchton,
hatte er die beste Crelegenheit; sich mit Allom; was zur
Musik gehort, grlindlich bekannt zu machen uncl seinen
Geschmack auszubilden, sich aber auch mit den ver-
schiedenartigen Richtungen desselben vertraut zu machen.
So wurde aus ihrn ein griindlicher Musiker und inustor-
hafter elegant er Clavierspieler."
Auch Rochlitz spricht Aehnliches von ihm axis2).
Hiernach ware es wesentlich dem Zufall zuzuschi'cibon
gewesen? dass Enianucl Bach Musiker gewordon.
Dies ist indess schwer zu glauben. Dass Sebastian
Bach; dem die moglichst sorgfaltigo Erziehung seiner
Kinder sehr am Herzen 1%? ihm cine wissenschaftlich
griindliche BUdung zu Theil werdon und ihn spater die
Rechte hat studiren lassen, berechtigt an und fiir sich zu
dieser Annahme nicht. Denn auch Friedoinann, der
unzweifelhaft fiir die Musik bestimmt war? dossen ganze
A) J. S. Bach. g. 10.
2) Tiir Freunde der Tonkunst. Bd. I. 278.
g
Natur darauf hindrangte, ihn zurn Kiinstler zu machen,
und der noch eine Zeit lang mit seinem Bruder Emanuel
gerneinschaftlich von dern Vater unterriclitet wurde, hatte
Philosophic, Jura und Mathematik studirt. Im Allgemeinen
aber war es Sitte der Zeit, dass die Eltern, welche irgend-
wie die Mittel dazu crschwingen konnten, ihre Sohne auf
die Universitaten schickten, auch wenn es nicht eigentlich
in ihrer Absicht lag, das Studium die Grundlage ihrer
Lebensstellung werden zu lassen. Agricola, 6 Jahre
jtinger als Emanuel, studirte zu Leipzig die Kechte, wah-
rend er Sebastian Bach's Schuler in der Musik war,
und der Eath zu Hamburg nahm fur seine Musik-Director-
stelle am Johanneum nur studirte Leute in Anstellung.
Ware dem aber auch nicht so gewesen, so wurde man
doch aus der Anlage, die Emanuel fur die Musik zeigte
und die, wie ein spaterer Zeitgenosse *) von ihm erzahlt,
so gross war, dass er schon in seinem eilften Jahre die
Stiicke des Vaters, wenn dieser sie setzte, liber dessen
Schulter weg zu spielen vermochte, so wie aus der Natur
des Unterrichts, den er empfing, kaum darauf schliessen
kdnnen, dass er die Musik bloss zu seiner Freude habe
lernen sollen.
Freilich ging nach der Sitte und dem Bediirfniss der
Zeit der Unterricht im Clavierspiel mit dem der Theorie
dor Musik Hand in Hand und ein gebildeter Liebhaber
musfite rnehr leisten konnen, als man etwa heut zu Tage
von cinem solchen zu fordern berechtigt sein wurde. Den-
noch fand auch damals ein merkbarer Unterschied zwischen
dor Ausbildung eines Liebhabers und der eines Musikers
von Fach statt. Dieser Unterschied war in der Lehr-
methode Sebastian Bach's in auffallendem Grade be-
merkbar.
Dieselbe war keineswegs darauf berechnet, blosse
Liebhabor ini Clavierspiel auszubilden. Noch weniger
Schubarth. Aesthetik der Tonkunst. SI 177.
_ 10 —
konnte sein Untemcht in cler Composition daranf hinaiw-
laufen1). Worse lehrt, lelirt nur fur KiinstltT uud sok'he,
die es worden wollen. Odor inoclite man glaubon, days
die zahlroichen uncl gediegenen Arboiten, die joncr grosso
Moister fur Unterrichtsz wedcc sehriob, das 0 r g o 1 b ii ch loin,
die Inventionen, dio Clavier- LJobuugon, das -\vohl-
temperirte Clavier u. a.; die Ausbildung von Licb-
liabern liatten fordern sollen? Bob. Bach cliente mil
seinena ganzou Sein mid Lobon dor Kunst Hirer Fordo-
rung, ihreni Diensto Avar auch die Erzichuug seiner Kinder
gewidmet. Wo or nur geringeros fordern durfto, 2. B. bei
der Untorweisung seiner wcilen Gattin Anna Magdalona;
sehen wir ihn, wio deren Gedonkbuch zoigt2), ganz andorj
auftreten.
In jedem Falle war der Unterrioht, den Em. Bach
von seinem Vator gcnosson hat, auf seine kiinHtlerische
Ausbildung geriehtct. Wenn dies noch einer Bcstatigung
beditrfte, so wiirdo diese unschwer in den Concerten 211
finden sein; die Seb. Bach fur seine Sohnc goschriebon
hat, und von denen die ZAVCI Flugcl-Concorto xuit Quartott-
Begleitung (in C-dur und E-moU) in die Zoit von 1728
oder 1729, die beidcn Concerto fur 3 Fliigel abor (in G-dur
und D-moll) in das Jahr 1731 fallen. Man denke sich
den grossten Ckvierspieler seiner Zeit mit seinen beiden
Sohnen an drei Flttgoln diese Concerto spielend, in dcnen
die Schwiorigkoiten, wenn nicht ganz gleich vortheilt, doch
sicher bedeutend gonug waren, urn in der Ausiulirung
Kunstlerhande zu erfordern, uud man wircl sich sagen
mtissen? dass es auch in der musikalischen Erziehung eine
Grenze giebt, bei der die Eichtung auf das blosse Liob-
haberwesen durchaus aufhort.
Dieser Art der Erziehung hat dann auch die weiterc
Folge von Emanue! Bach's Lebenslauf entsprochen.
J) Bitter, J. S. Bach. Th. I. S. 304 If
2) a. a. 0., Th. I. S. 122.
_ 11 _
Uebrigens war wohl das Haus Sebastian Bach's nicht
eben dor Ort? seine Sohne etwas Anderes als wirkliche
Kunstler werden zu lassen. Die unausgesetzte Beschafti-
gung mit dor Kunst, die Hilfe, welche sie dem Vater beim
Ausschreiben der von ihm componirten Stticke und selbst
beim Stechen einiger derselben leisten mussten? der Um-
gang mit den zalilreichen zum Tlieil ausgezeichneten und
talentvollen Schulern des Vaters, die Musik-Uebungen in
der Thomas-Schule, die Auffuhrungen in der Thomas- und
Nicolai-Kirche, allcs das konnte ein anderes Bewusstsein,
als das der vollkominensten Zugeliorigkeit zur Musik bei
ihnen gar nicht aufkommen lassen. Em ami el Bach sagt
selbst: ,,Der Mangel an auswartigen Reisen wiirde inir
bei meinem Metier mehr schadlich gewescn sein; wenn ich
nicht von Jugend an das besondere Grltick gehabt hatte,
in der Naho das Vortrcfflichsto von aller Art von Musik
zu heron und sehr viele Bekanntschaften rait Meistern
von erstem Rang zu machen und 2 am Theil ihre Freund-
schaft zu erhalten. In meiner Jugend hatte ich diesen
Vortheil schon in Leipzig, denn es reiste nicht leicht ein
Meister in der Musik durch dicsen Ort? ohne ineinen Vater
kennen zu Icrnen und sich vor ihm horen zu lassen. Die
Grosse dieses ineines Vaters in der Composition, imOrgel-
und Clavierspielen, welche ihm eigen war, war viel zu
bekannt, als dass ein Musikus von Ansehen die Gelegen-
heit, wenn es nur mogiich war, hatte vorbei lassen sollen?
diesen grossen Mann kennen zu lernen." Dass er auch
schon als Knabe manchem Ktinstler in Spiel und Compo-
sition liberlegen war, und dass Sebastian Bach hiervon
eine sehr deutliche Einsicht gehabt hat, das ergiebt sich
zur Grenlige aus der bekannten Geschichte, die sich in
dessen Hause mit dem Orgel- und Klavierspieler Hurle-
busch aus Braunschweig zugetragen hat1).
So kann es wohl schwerlich als ein blosser Zufall be-
L) Bitter, J. S. Bach. Th. II. S. 302.
trachtet werden und allein auf Eechnuttg iiberwiogender
Befahigung konimen, wcnn Emanuel Bach init seincra
Bruder Friedcmann unter den Solution! seines Vatcrs
weitab der bedeutendste war und geblicben 1st. Und so
trat er denn auch unraittelbar nach Beendigung seiner
Universitats- Jahre zur Kunst zuruck, indem er den Euf
als Cembalist zu dein damaligen Kronprinzen von Preussen
annahm, ohne dass dabei irgend davon die Rede geweson
ware, dass er scinen Lebensplan habc andorn miissen.
Seine eigene Lebens-Erzahlung ergicbt nobenboi,
dass er in Frankfurt a. 0. ,;sowohl eine musikalische
Akademie? als auch allc damals vorfallenden offentliclien
Musiken bei Feierlichkeiten dirigirt und coniponirt habe."
Wenn man dies Alles erwagt und dabei im Auge be-
halt? welch' griindlichcs Wissen, wclche Fertigkeit und
Uebung damals von einem Cembalisten verlangt wurden^
und wenn man ferner das ungeheure Uebergewicht in
Betracht zieht, welches Emanuel Bach durch theoretische
Kenntnisse in seine Lebensstellung als Musiker mitbrachte,
so wird wohl die Annahme gerechtfertigt sein; dass des
Vaters Unterricht ihn keineswegs bloss zum grundlich ge-
bildeten Musik-Dilettanten habe fordern wollen.
Diese Ueberzeugung wird bestarkt, wenn man einen
Blick auf die Compositionen Emanuel's wirft. Man sieht
daraus? dass derselbe vom Jahre 17317 also von seinem 17.
Jahre ab; als er zwar noch die Thomas -Schule bcsxichte,
doch aber als ein hinreichend erwachsener jungcr Mann
schon eine ziemlich feste Idee tiber seinen zukunftigon
Lebensberuf haben musste, bis zii seinem Abgange nach
Frankfurt a. 0.? also im Hause und unter der Aufsicht und
Leitung des Vaters nicht weniger als
fiinf Clavier-Sonaten,
ein Menuett mit uberschlagenden Hlinden,
7 Trii;
2 Soli fur Oboe und fiir Flote?
1 Suite?
2 Clavier -Concerte mit Instrumental-Begleitung,
6 Sonatinen
componirt hatte, woven die ubergrosse Mehrzahl auf die
Schulerjahre von 1731 bis 1733 kommt1).
Man weiss auch, dass er im Jahre 1731, also unzweifel-
haft unter den Augen seines Vaters; die Menuett mit izber-
schlagenden Handen in Kupfer gestochen und lierausge-
geben hat.
Miisste sein Vater nicht mit volliger Blindheit ge-
schlagen gewesen sein, wenn er nach diesen Vorgangen
hatte glauben wollen, dass aus seinem Sokne Enianuel
jemals ein Advocat oder Staats-Beamter nach den steifen
Begriffen seiner Zeit werden konne? Nun wird man zu-
geben miissen, dass Sebastian Bach ein klarer hell-
sehender G-eist gewesen ist, dessen ganzes Sein und
l) Diese Arbeiten sind nach dem Kataloge von 1790 Tiber den
Nachlass Emanuel Bach's und nach den Jahren geordnet folgende:
1731; Zwei Clavier -Soli, eines im musikalischen Allerlei (No. 43)
gedruckt, das andere in F-dur 2/4 neu iiberarbeitet in
Berlin 1744.
Menuett mit iiberschlagenden Handen.
Trio fiir Clavier und Violine, G-dur 4/47 erneuert Berlin 1746.
Trio fiir Clavier u, Yioloncell, D-moll 3/4> desgl. 1746.
Trio fiir Flote, Violine und Bass, desgl. 1749.
Trio fiir dieselben Instrumente, G-dur */4, desgl. 1747.
Trio desgl. F-dur2/.,, desgL 1747.
Trio desgl. A-dur4/4, desgl. 1747.
Trio desgl. A-moll2/47 desgl. 1746.
Solo fur die Oboe, G-moll */4.
Solo fiir die Fldte, G-dur 4/4-
1732: Clavier- Solo, A-moll */*, erneuert Berlin 1744.
desgl. C-dur */4, desgL 1744.
desgl. D-moll 4/t, desgl. 1744.
1738: Suite E-moll */4 , desgl. 1744.
Concert A-moll */0 fiir Clavier mit Quartett^Begleitung, er-
neuert Berlin 1744.
1734: 6 Sonatinen in F-dur 4/*, G-dur */*> A-moll */*, E-moU */41
D-dur a/4, Es-dur a/4, sammtlich erneuert Berlin 1744.
Concert fur Clavier mit Quartett-Begleitung Es-dur */* » er~
neuert Berlin 1743.
~~ 14 —
Trachten sicli in dein Streben concentrirte, seiner Kunst
und seinen vaterlichen Pflichten nach alien Soiton hin Qc-
niige zu leisten. Und so wircl man ihrn auch die Gerech-
tigkeit widerfalircn lassen nriissen, dass er in soinoin Solme
E in an ue 1 denKiinstler nicht zu Guns ten oinor advocatisehen
Praxis habe unterdrtickon wollcn. Um so mchr goroicht
es ihm zur Ehre; dass er ihn ziun wissenschaftllehen fcj tudiimi
angehalten und ihin dadiireh oiflb tuchiigc und dauornde
Grundlage fur sein zukunftigcs kunstlorischos Lcbou go
sichert hat.
So sehcn wir denn auch Emanuel Bach keinen
Augenblick schwanken, als die Fragc an ihn horantxiitt?
ob er sicli ganz der Musik widmen; odor seine Zukunft
dem Zufalle und der JJngowissheit uberlasson solic? Er
selbst sagt Member ganz ciufach und ziomlich klar;
?;Als ich 1738 mcine akademischen Jahro cridigte und
nach Berlin ging; bekam ich einc schr vortheilhafte Ge-
legenheit; einen jimgen Herrn in freinde Lander zu luhren:
ein unyerrautheter gnadiger Ruf mm darnaligen Kron-
prinzen von Preusscn, jetzigeni Konig, nach Euppin, maclite,
dass raeine yorhabende Reise rtickgangig wurde."
Hier ist nicht ira entferntesten angedoutot, class durch
diesen Euf fur seine Lebensstellung cine Aondorung her-
beigefuhrt worden sei. Er hatte wohl gern in Ermangelung
einer festen Stclle die Reise in fremde LUnder untcr, wie
es scheint, angenehmen und gunstigen VcrUiiltnissen an-
getretcn. Er sollte diesc Reise mit dcm iiltcsten Solmo
einer vornelnnen und reichen lieflandischen Familic machcn,
der in Leipzig studirt hatte, mit dessen Eltern Sebastian
Bach bekannt geworden war und dcnen er Emanuel als
Begleiter empfohlen hattc1). Aber sowie sich die Gclegen-
heit zum Eintritt in die kiinstlorische Lebensbalm biotot,
giebt er sie auf, ohne dass er darin ctwas andercs als eine
I Bochlitz fur Fretmde der Tonkanst, Bd, 1. S, 283,
*— 15 -—
nothwendige Folge seiner bisherigen Vorbereitungen er-
kennt1).
Interessant genug ware es gewesen zu erfahren, aus
welchen Griinden Sebastian Bach fur semen Sohn grade
die anmuthige Oderstadt Frankfurt als Universitat gewahlt
hatte, da diese doch nach den Reisebegriffen seiner Zeit
den sachsischen Landen ziernlich fern lag, wahrend andere
Hochschulen, z. B. Merseburg, Wittenberg und Halle ihm
so viel naher und bequemer gewesen waren. Semen Sohn
Friedeinann hatte er in Leipzig studiren lassen. Viel-
leicht hatte er grade aus dieser Erfahrung gelernt, von
wie grossem Werthe es 1st, wenn die Jugend, eine Zeit
lang yon ihrer gewohnlichen Umgebung getrennt, sich
durch das Leben mit und unter Frernden einen erweiterten
Gesichtskreis, grossere Selbstandigkeit der Gesinnung und
erhohte Erfahrung sannneln konne.
Welcher Art die Uebung dor Musik damals in dem
alten Mess- und Hanse-Platze Frankfurt gewesen, das zu
ermitteln ist deni Verfasser? dessen gllicklichste Lebenszeit
in die musikalischen Bestrebungen jener Stadt fallt, nicht
l) Durch diese anf E.Bach's eigener Darstellung beruhende Mit-
theilung Tberichtigt sich zugleich die Nachricht der Leipziger Allg.
Mus.-Ztg. von 1800 S. 4. iiber die Art und Weise seiner Anstellung
bei Friedrich II. Danach hatte er schon "lange in Berlin gelebt,
ohne dass der Konig von ihm Notiz genommen gehabt hatte. Endlich sei
erzu ihm beschieden warden, urn vor ihm zu spielen. Friedrich II.
habe ihn gefragt: ,,Kann Er auch iiber unbezifTertem Bass aus dem
Stegreif eine Melodic herunterspielen?" Bach habe geantwortet: ,:Ich
will es versuchen, Majestat." Nun habe ihm der Konig die Bassstimme
einer Graun'schen Sinfonie vorgelegt, von der er gewiss gewusst habe,
dass sie nie in andern Handen als den seinigen gewesen. Bach habe
sich an das Clavier gesetzt, die Stimme verkehrt auf das Pult ge-
stellt und meisterhaft gespielt und Friedrich darauf geantwortet:
nNun sehe ich, dass man mir nicht zu viel von Ihm gesagt hat und
dass Er sein Handwerk versteht," Die Mus.-Ztg. setzt hinzu: Dies
war Alles, wodurch der deutsche Kiinstler vorn deutschen
Konig belohnt worden ist! Bach's eigene Lebensnotizen strafen
die Erzahlung wie die darauf gebaute Schlussfolge Liigen.
— 16 —
gelungen. Rochlitz1) sagt Member: ,,In Frankfurt gab
es fast nichts an Musik. Eraanuel niussto allcs erst
schaffen. Dies gab iliin reiche Gelogenhcit? Fertigkeiten
und Erfahrung zu samineln." Dass hienach die ,,musi-
kalische Akadernie", die Bach geleitet habon will, grade
von grosser Bcdeutung gowcsen sein sollte, ist nicht zu
vermuthen. Zu jcner Zoit konnen dort ausscrhalb der
Universitats - Kroise nur gcringe musikalischc Mittol vor-
handen gewesen sein; denn Frankfurt war trotz Messe
und Universitat bei weiteni kein Leipzig. Vermnthlich ist
die Musik im Wesentlichen dort als cin Thoil dcs gottes-
dienstlichen Cultus geiibt worden und imr bci besonderen
Veranlassungen mit in das Universitats-Lcben ubergetreton.
Das Einzige, was aus jener Zeit aufgefunden wordon? sind
3 Musiktexte:
der eine zur Einweihung dcr dortigon Unter-Kirche
am 1, Advents - Sonntage 1736 ? wohl nach einer
Renovirung ini Innern der Kirche, welche im
15. Jahrhundert erbaul, sclion ina 16. Jahrhundert
lutherisch geworden war;
der andere fur eine von den Studenten der Universitat
dem Markgrafen Friedrich Wilhelna und seiner
Gemahlin am 18. Miirz 1737 aufgofuhrto Cantata;
der dritte gleichfalls fur eine von den Studenten bei
Anwesenheit Konigs Friedrich Wilhclrn I. zur
Martini-Mcsse 1737 aufgefiihrte Cantate.
Diese Texte sind im Anhange zu dieseni Theil ab-
gedruckt. Wenn Ernanuel Bach's Angabo: 7?dass or
alle damals vorfallenden offentlichen Musiken bei Feier-
lichkeiten dirigirt und componirt habc," wortlich zu nehmen
ware? dann wiirde man in diesen ubrigens mehr als mittel-
massigen Texten mindestens cinige Ucbcrblcibsel aus jener
seiner ersten Zeit selbstaridigen Schaffens besitzon.
In der Genealogie der Bach'schen Familie ist dem
Fur Freunde der Tcmkunst. Ed, 1. S. 282.
— 17 —
Naraen Carl Philipp Emanuel die Bemerkung beige-
fiigt: jjLebet in Frankfurt an der Oder p. t als
Studiosus und informiret auf dem Clavier." Man
ersieht daraus, dass derselbe sich dort einen Theil seiner
Subsistenzmittel durch Klavier - Unterricht hat verdienen
miissen.
Im Uebrigen hat er auch dort wiederum eine Menge
von Instrumentalsachen gesetzt, namlich1):
6 Clavier -Sonaten, 1 Trio, 2 Soli fur die Flote,
1 Clavier -Concert mit Instrumental - Begleitung, 1
Menuett (von Locatelli) mit Variationen,
von denen nur das letzte ziemlich schwache Stiick auf
uns gekommen ist.
Von seinen damaligen Arbeiten hat er selbsk nicht viel
gehalten. Dies ergiebt sich, abgesehen von gewissen brief-
lichen Aeusserungen, die er dariiber gegen Fork el ge-
than; daraus; dass er fast alle seine alteren Clavierstiicke,
einschliesslich der Trii und Concerte; nachdem er in Berlin
festen Fuss gefasst und sich zu einer gewissen Eeife und
Selbstandigkeit erhoben hatte, einer Dmarbeitung zu unter-
werfen fiir nothig hielt.
Leider hat Emanuel Bach in seiner biographischen
Skizze auch nicht die leiseste Andeutung dariiber gegeben,
i) Specieller bezeichnet sind diese Stiicke folgende:
1735: Menuett von Locatelli mit Veranderungen G-dur 3/A-
2 Trii fur Flote, Yioline und Bass, A -moll s/*> erneuert
Berlin 1747 und G-dur 3/4-
Solo fiir die Flote, G-dur */*•
Clavier-Solo, E-moll 2/4, erneuert Berlin 1743.
1736: desgl. G-dur 2/4, desgl. 1743.
desgl. Es-dur 3/4, desgl. 1744.
17&7; desgl. C-dur */« desgl. 1743.
desgl. B-dur */4, desgl. 1743.
Concert fur Clavier mit Quartett-Begleitung, G-dur */*> er-
neuert Berlin 1745.
Solo fur die Flote, G-dur */*•
1738: Clavier-Solo, A-dur 3/4i erneuert Berlin 1743.
Bitter, Emanuel und Friedemann Bach. *
- 18 —
was den Kronprinzen von Preussen bcwogen habe? ihn in
seine Dienste zu berufen. Blosse Empfehlungen konnten
bei einern Manne von dem Oharakter des nachmaligen
grossen Konigs nicht wohl von Bedeutung sein. Dass
Bach selbst eine derartige Stelle nicht gesticht habo?
ergiebt sicli aus deni Umstande, dass or im Begrlffc stand,
eine grossere Keise in das Axisland ansmtreten, als ilim
unverniuthet jene Berufung kam. Ein beriilimtcr Musikor
war er zu jener Zeit noch nicht, und von seinon Fahig-
keiten und Fertigkeiten fur die sohwiorigo Stellung ernes
Cembalisten Proben abzulegen, hatte or noch koine Gelc-
genheit gehabt l).
Und doch war dieser Punkt fur sein ganzes Leben
und selbst in Bezug auf die in ihm liegende historische
Thatsache von soldier Bedeuttmg, dass es clem Biographen
i) Nach einem, in der Gazette umsicale de Paris von 1854 befind-
lichen ,,Musikaliache Fiirsten" iiberschricbenen und angeblich
von Herrn F£tis herriihrenden Artikel, cler auch in die Ncue
Berliner Musik-Zeitung iibergegangen 1st, hattc Philipp
Emanuel Bach sich im Jahre 1739 nach Rheinsberg begeben,
dort eine Audienz bei dem Kronprinzen von Preussen erbeten, diesem
einige Stiicke auf dem Klavier vorgespielt, aber ein Engagement
nicht erreielien konnen, weil Friedrich die Mittel zu seiner Bezah-
lung nicht gehabt habe. Bach habe es vorgezogen zu warten und
sei dann nach dem Regierungs-Antritt des Konigs in desson Dienste
getreten.
Der Verfasser, in dem Wunsche, diese sonst nirgends ersicht-
lichen Angaben naher zu constatiren, hat sich an Herrn Fe"tis mit
der Bitte gewendet, ihm die Quellen dafiir zu bezeichnen. Er hat darauf
die Antwort erhalten, dass Herr Fetis sich nicht erinnoro, iiber Bach
etwas anderes, als was in seiner Biographie universelle des
musiciens I. S. 203 enthalten sei, geschrieben zu haben, und
ihm insbesondere nicht bekannt sei, dass Bach je in Rhe ins berg
gewesen.
Gleichzeitig hat Herr Fetis dem Verfasser soin Bedauern
dariiber ausgesprochen , dass ihm, wie er erst jetzt bemorke, die
a. a. 0. als in seinem Eigenthum bejfindlichen Autographen Philipp
Emanuel Bach's (16 Briefe und eine ,,kurze Anweisung zum
General-Bass" petit en 4° obi. 30 pages) bis auf 4 Briefe, deren
Abdruck Tveiterhin erfolgen wird, gestohlen worden soien,
— 19 ~
schwer genug wird ihn oline Weiteres zu ubergehen.
Freilich fehlt nicht mehr als Alles, um bestimmtere An-
haltspunkte zu finden. So* bleibt? well ein gewisser Ideen-
Zusammenhang doch vorhanden gewesen sein muss, nichts
welter ubrig als die Vermuthung, dass Bach's in der ersten
Zeit seines kiinstlerischen Strebens unverkennbare Vorliebe
fur das Instrument des Konigs, die Flote, die Veranlas-
sung gegeben haben konne? ihn in dessen Nahe zu ziehen.
Er hatte schon in Leipzig 5 Trii und 1 Solo fur Flote
gesetzt. In Frankfurt a. 0. waren wieder 1 Trio und
2 Soli fiir die Flote entstanden; und in Berlin sehen wir
seine schaffende Thatigkeit 1738 gleichfalls mit 2 Floten-
Concerten beginnen. Ware es nicht moglich gewesen;
dass die eine oder andere dieser Arbeiten durch Zufall
oder Absicht zu dem Kronprinzen gelangt ware und
dessen Interesse fur den jugendlichen Coniponisten erweckt
hatte?
Eine definitive Anstellung hat Bach zu jener Zeit
noch nicht erhalten? wie er denn auch deni Elronprinzen.
in dessen damalige Residenz nicht gefolgt ist. Er selbst
sagt: 3;Gewisse Umstande machten, dass ich erst 1740 bei
Antritt der Eegierung seiner Preussischen Majestat form-
lich in dessen Dienste trat." Man konnte hinzuftigen? dass
er erst ein Jahr spater; als Graun im Jahre 1742 die
neue grosse Oper des Konigs vollstandig organisirt hatte;
etatsmassig angestellt warden ist, wie sich dies aus dem
von Friedrich dem Grrossen eigenhandig vollzogenen
?;Etat von denen Besoldungen derer Capellbedien-
ten von Trinitatis 1744 bis Trinitatis 1745" er-
giebt? in welchem man dem Namen Bach unter den ??anno
1741 zugekommenen Capellbedienten" mit einem
Gehalte von 300 Thlr. begegnet 2).
i) Dieser Etat, im Konigl. geheimen Sfcaatsarchiv zu Berlin be-
findlich, der fiir die damalige Zeit und fur deren Kiinstter-Gescliichte
— 20 —
Die Betrachtungen, denen dicse Blatter gewidmet sind?
gestatten nicht, auf die vielfachen Intercssen einzugehen,
nicht ohne Bedeutung ist, mag deshalb In seiner ganzen Ausdehnung
hier folgen. Er lautet:
,,Etat
Yon denen Besoldungen derer K. Capell-Bodienton. Iliczu warden
gezahlet aus der General -Domainon-Casse an den Hofstnats-Bent-
moister Cunow 46,927 Thlr. 22 ggr. 9 Pf.
Ferner aus der flofstaats-Casso, wegen des
Gammer -Musicante Sydow's so mit auf
diesen Etat gebracht wordon 400 „ — „ — „
47,327 ;fhlr722 ggr. 9~Pf.
Diese werden wicder ausgezahlet wie folget:
1. Den 1. Capell-Bedienten,
deni Capellmeister Graun jahrlich 800 Thlr.
demselben an Zulage 1200 „
2000 Thlr.
dem Concertmeister Graun jahrlich 800 Thlr.
demselben an Zulage 400 „
1200 „
demBendasen 500 Thlr.
demselben an Zulage 300 „
800 „
dem Schardt 400 „
dem Ems 400 „
dem Janitsch 350 „
dem Hock 400 „
dem Blumo 300 „
dem Baron . 300 „
dem Grundke 300 „
dem Petrini 400 „
demBendajun 150 Thlr.
demselben an Zulage 150 „
300 „
Waldhornist Horschky 150 „
dem Gerbisch 15G „
dem Georg Benda 156 „
dem Lange 220 „
dem E-ichter 120 J7
dem Benkowski 120 „
dem Timler 120
dem August 120 „
dem Payly 120 „
— 21 —
welche dieser, so viel dein Verfasser bekannt, zum ersten
Male veroffentliclite alteste Etat der Opera- mid Kammer-
2. Denen neuen Capell-Bedienten, so anno 1741 zugekommen.
Dem Gasparini 1700 Thlr.
dem Benedetto Moltini; inclusive des
versprochenen Prasents . 1100 Thlr.
demselben an Zulage ... 600 „
1700 „
dem Lorio Campolongo 600 „
dem Salmibeni 3000 „
dem Porporino 2000 „
dem Antonio Romani 1000 „
dem Yenturini 1000 „
dem Capellmeister Graun zur Unter-
haltung des Paulino zur Berechnung 400 „
dem Joseph Benda 250 „
dem Seifarth 300 „
dem Freydenberg 200 „
Yor den Russen, welchen Seine Kongl.
Maj. informiren lassen, an den Concert-
meister Grann 360 „
dem Franz Benda dem Jiingeren . . 150 „
dem Eicke 140 ,.
dem Gebhardt 150 „
dem Rolle 150 „
dem B a ch 800 „
dem Hesse 300 „
dem Speer 300 „
dem Schaule 900 „
dem Contra- Yiolon Richter 160 „
14360 Thlr.
Denen letzteren Capell-Bedienten, so anno 1742 zugekommen,
Der Quantz 2000 Thlr.
der neue Musicus Mara 600 „
der Mahler Fabri 700 Thlr.
der Hautboist Dobbert 300 „
der Floteniste Riedt 300 „
der Pfeiffer, Scholar von Quantz . . 300 „
2 Souffleurs a 40 Thlr 80 „
2 Notisten a 30 Thlr 60 „
dein Stimmer des Clavicins, Rost . . 30 „
1770 „
deni Angelo Cori . 1200 „
5570 Thlr,
'•' u£t V-.--TT w
Musik Friedrich's des Grossen anregt. Ftir den be-
sonderen Zweck dieses Werks ist nur hcrvorzuheben, dass
Emanuel Bach, niclit in vorzugsweiso hervorragender
Stellung engagirt, dasselbe Gehalt erhielt, welches der
Mehrzahl der eigentlichen Kapellisten zukatn, von donen,
abgesehen yon den Gebriidern Graun, nur Ben da als
erster Violinist, ferner Schardt, Ems und der Jlarfenist
Petrini, endlich der Contra- Bassist Jan its eh nnd die
Cellisten Hock und Mara hohcre Gagen orhieltcn, wahrend
15 Musiker geringer besoldet waren. Gewiss war ein
Gehalt von 300 Thlr. selbst in jener Zeit, in der das Gold
einen so viel hoheren Werth hatte, die Bedurfntsse der
mittleren Classen aber ungleich einfacher und eingeschr^nk-
ter waren, nicht iibermassig. Es ist abcr nicht aussor
Acht zu lassen? dass bei solchen Anstcllungon das Gehalt
nur die feste Basis des Einkommens ausxumachcn pflegte,
und dass Unterricht und Composition dazu dienen mussten,
diesein diejenige Hohe zu geben, welche zum wohlaus-
kommlichen Leben erforderlich war. Dass Bach seine
Anstellung nicht als eine schlechte angesehen hat, geht zur
Gemige daraus hervor, dass er keincn Augenblick dariiber
in Zweifel war, sie anzunehmen.
Bekanntlich war Friedrich der Gros.se, wahrend
er als Kronprinz seinen Hof in Rheinsborg hielt, keineB- '
Denen Danseurs und DaBseuses.
dem Lany 2000 Thlr.
der Baibeimi 3000 „
ferner in 15 Positionen . . 13565 „ 22 ggr. 9 Pi
demKaramer-Muslcant Sydow
in Potsdam 400
18965 Thlr, 22 ggr. 9 Pf.
Recapitulation : . . 8432 Thlr.
14360 „ '
5570 „
18965 ,r__j2jggr. 9 Pf .
47327 Thlr. 22"ggrflTpf.
Eigenhandig gezeichnet : F r i e d r i ch.
— 23 —
wegs in der Lage, fiber grosse Sumraen verfugen zu kon-
nen. Und obschon auch dort Kammer-Concerte zu den
regelmassigen Unterhaltungen seiner Mussestunden gehorten,
so war seine Kapelle docli nnr von geringerem Umfange.
Ihr gehorten damals an: Grraun, (seit 1735) Franz und
Johann Benda, Schardt, Blume, Grruner als Violi-
nisten, Hock als Violoncellist, Janitsch ffir das Lauten-
Violon, Petrini fur die Harfe, Baron ftir die Theorbe,
Reich fur die Bratsche, Horschitzky fur das Waldhorn
und S chaff rath fur den Flugel1), Da letzterer in dem
Etat pro 1742 nicht ruehr vorkommt, so ist es wahrschein-
lich, dass Bach in dessen Stelle getreten ist. Es ist
tibrigens bekannt, dass Friedrich grade in dem letzten
Regierungs-Jahre Friedrich Wilhelm's I. (1739) viel-
fach durch auswartige Greschafte und durch die Begleitung
des Konigs auf einer Reise durch Preussen in Anspruch
genommen war. In diesen Omstanden wird der Grund
der nicht sogleich erfolgten festen Anstellung zu suchen
sein. Man wiirde selbst vermuthen konnen? dass Bach
zunachst nur das Verspreclien einer Anstellung erhalten
gehabt und dass die Zahlung des Q-ehalts erst mit dem
Regierungs-Antritte des Konigs begonnen habe.
Dein steht indess die Aeusserung seiner Selbstbiographie
entgegen, ??dass er die Gnade gehabt? das erste Flotensolo,
was Friedrich als Konig gespielt; in Charlottenburg mit
dem Flugel ganz allein zu begleiten." Dieser Unistand
spricht dafur? dass die unvermuthete Berufung in den
Dienst des Kronprinzen vom Jahre 1738 bindender Natur
gewesen ist. Mit welchen Empfindungen mag der junge
Kunstler sich damals vor dem Konige an den Flugel ge-
sotzt haben; urn ihm die ersten Dienste in einer Kunst zu
leisten, die in dieses grossen Fitrsten wunderbaren Lebens-
gang wie Sonnenschein durch dunkle Wolkengebilde her-
niederblicken sollte.
i) Schneider, Geschichte der Berliner Oper. S. 51.
. _ 24 —
Uelber die Dienstpflichten, die er fortan in seinem
Amte zu itben hatte? ist direct nur Wcniges bekannt. Er
hatte als Cembalist in den Privatconcerten dcs Konigs das
Accompagnement am Flligel auszufiihren. Was in dieser
Hinsicht verlangt wurde, von jedem einigerniassen gciibten
Begleiter geleistet werden musste, das wird bei Ocleg'en-
heit der Besprechung des 2. Tlieils von Bach's ,,Vcrsuch
fiber die wahre Art des Claviorspiels" niitgetheilt
werden. Dass der Dionst an sich kein ganz leicliter war
ergiebt sich daraus, dass der Konig in gowohnlichon Zeiten,
mit Ausnahine der Montage und Froitago, an donon Oper
zu sein pflegte, taglich seine regelmilssigen Kainnacr concerto
Melt, welche Abends von 7 bis 9 Uhr stattfanden l). Der
Konig, in alien seinen Verzichtungen von der hochatoai
Punktlichkeit; durffce diese um so mehr von seinen Kapel-
listen fordern, die sich in der Regel sohon vor der nothigen
Zeit vollzahlig einfanden. Punkt 7 Uhr erschicn er selbst
in dem Concertsaale, und legte in der Regel die Concert-
stimrnen selbst auf.
In diesen Concerten pflegte er ;,von sein era eln-
sichtsvollen schonen Greschmack und seiner aus-
nehmenden Fertigkeit auf der Flote Proben dar-
zulegen"2); indein er einige der FlcJten- Concerto blies,
deren Quantz nicht weniger ak 299 fur ihn componirt
hatte. Doch spielte er auch ab und zu Ooncerte von seiner
eigenen Composition. Auch Quantz Hess sich ofter dort
horen und es kamen Violoncellsoli, so wie zwischen den
Instrumental -Sachen hin und wieder Arien vor? die von
den Koniglichen Sangern gesungen warden3).
7?Friedrich n.", so sagt ein Zeitgenosse, der lange
Zeit hindurch die Erlaubniss gehabt hatte, den Concerten
i) Doch wird die Eegelmassigkeit der Opernbiihno in Berlin
wohl erst begomaen haben, als das Opernhaus daselbst (Ende 1742)
vollendet war.
«) Marpurg, histor. krit. Beitrage, L S. 76 ff.
3) Preuss, Gesch. Friedrich's IL S. 371. 372.
— 25 —
des Konigs beizuwohnen1), ?;War gewohnt, 5 Mai taglich
auf der Flote zu blasen. Noch gegen Abend pflegte er
die 6 oder in den letzten 10 bis 15 Jahren die 3 bis 4
Concerte, die er am Abend mit seinen Kammermusikern
blasen wollte, vorher zu iiben, so dass diese; wenn sie im
Vorzimmer warteten, ihn die schweren Stellen, die sie ihm
accompagniren sollten, in seiner Kammer iiben horten."
Bach's Dienst erforderte also eine fast tagliche Anwesen-
heit von mehreren Standen. Doch lag die Schwierigkeit
desselben weniger in der regelmassigen Zeitbestimmung als
in der Ausiibung selbst.
Es ist bekannt, dass, ein so grosser Kiinstler der Konig
im Adagio war (und Fasch durfte von ihm ruhmen, dass
unter alien Virtuosen von Bang, die er gehort, sein Freund
Bach; Franz Benda und Konig Friedrich II. das
ruhrendste Adagio vorgetragen hatten2), er sich doch
nicht uberall streng an den Takt hielt, und dass ihm
die schnellen Satze nicht selten Schwierigkeiten berei-
teten, Es gehorte daher grosse Aufmerksamkeit und
Uebung dazu? ihm in dem Accompagnement am Flugel7
auf dem damals der Zusammenhalt der mehrstimmigen
Musikausfuhrungen beruhte; zu folgen3). Audi ist es be-
kanntlich ein Anderes, ob man in dem gewohnlichen Gange
der Verhaltnisse Musik treibt, oder ob man hiebei einen
1) Reichardt, Kunst-Magazin. 1791. S. 40.
2) Zelter, Biographie Fasch's. S. 47.
3) Eeichardt (Musikal. Almanach, 1796) erzahlt, dass der Konig,
wenn er aus dem Takt gekommen war, selbst ,,mit Macht1' Takt zu
schlagen pflegte. Ein begeisterter Zuhorer desselben habe einst zu
Emanuel Bach, der bei einer solchen Gelegenheit accompagnirt
hatte, indem er das Spiel des Konigs gelobt, ausgerufen: ,,Und wie
viel Takt!" worauf Bach (in der ihm gewohnlichen satyrischen
Welse) geantwortet habe: ,,Ja, vielerlei Takt!"
Eine ausfiihrliche und hbchst interessante Beschreibung eines der
Kammer -Concerte Fried rich's des Grossen aus dem Jahre 1773,
in welchem der Konig 3 Floton-Conceite von Quantz gespielt hatte,
nndet sich in Burney's musikal. Reise-Tagebuch Th. Ill, S. 104 ff.
— 26 —
Fltrsten Dienste zti leisten hat, der selbst Virtuose von
Rang, Tonseizer mid KLtmstkenner von grosser Uecloutung,
in der Weltgeschichte den stolxon Rang Friedrick's den
Einzigen einnimmt.
Bach's dienstlichc Stellung war dahor cine jcdonfalls
schwierige, zeitraubende und bisweilen aiigestrengte, ssuraal
der Konig seine bleibende Resident keineswegs in Berlin
hatte, sondern sich viclfach und mit Vorliebo in Potsdam
und Sanssouci und, wic obeii bemerkt wordeu lnt? auch
in Charlottcnburg aufhielt. Dass Bach aber die Ehro,
Cembalist des grossen Konigs zn Bcin? sehr wohl zn schatzen
wusste, ergiebt sich daraus, class or nocli in spateren Jahron
bei Skizzirung seines Lebens als des einzigen Details
und 2 war mit oinein gewiss gereehtfevtigten Stolze des
Umstandes gedenkt, dass er dem Konige nach deasen Re-
gierungsantritt das erste Flotonaolo, und zwar alloin (d. h.
ohne Orchesterbegleitung), am Fliigel accompagnirt habe.
Neben Bach war noch ein zweitor Cembalist in der
Koniglichen Kapelle angostellt. Als soleher soil zunadhst
S chale fungi rthaben1), von dem oinigo Olavior-Coiapositionen
bekannt geworden sind. In dem Etat von 1744 kommt sein
Name nicht vor? da eine Verwechselung mit dem unter
No. 2 mit einem Gohalt von 200 Thlr. angeffthrten Schaulo
nicht wohl angenommen werden kann. Er wird daher erst
spater auf den Etat gebracht warden sein2), Diesor zweite
1) Schneider, Geschlcbte der Berliner Oper, S. 71, nach Angabo
eines alten Manuscripts.
2) v. Ledebur bezeichnet ihn in dem Berliner Tonkiinstler-
Lexicon (S. 498) als Violoncellisten. Indess wurdo cr 1764 Dom-
Organist, muss also Orgel- und Olavierspiclcr gewesen soin. Dies
bezeugen auch die ,,Wochentl. Nachrichten liber die Musik in
Leipzig 1766", S. 79, wo von ihm gesagt wird, dass or Clavier und
Orgel sehr gut gespielt und fiir beide Instrumente sohr viel schonos
gesetzt babe. Er war 1713 zu Brandenburg geboren (f 1WO zn Berlin)
und ein Scbiiler Rojle's, batte in Halle die Itechte studirt und war
zuerst 1253* als Violoncellist in die Kapelle des Markgrafen Heinricb
zu Schwedt getreten, von wo aus er 1742 in die Kgl. Kapelle iiber-
ging.
— 27 —
Cembalist war gleichfalls berufen, FriedrichIL in seinen
Kamrnerconcerten zu accoinpagniren. Spater fand ein regel-
milssiger Wechsel von 4 zu 4 Woclien zwischen den beiden
Cenibalisten statt. Zu Anfang der Regierung des Konigs
scheint der zweite Cembalist nur in Abwesenheits- oder
Krankheitsfallen Bach's eingetreten zu sein, da Fried-
rich, an dessen Begleitung gewohnt, ihn ungern vemiisste.
Vom Jahre 1754 ab war die zweite Cembalistenstelle durch
Nichelmann, einen der spateren Schiller Sebastian
Bach's besetzt.
Bis zum Jahre 1742 bestand die Kapelle des Eonigs
aus 2 Fliigeln, 12 Violinen, 4 Violen, 4 Violoncellis, 3
Contra -Violons, 4 Floten, 2 Bassons, 2 Waldhornern, 4
Hautbois, 1 Theorbe und 1 Harfe, zusammen 39 Personen.
Marpurg1) fuhrt als Kapellisten des Konigs irn Jahre 1755,
also 15 Jahre nach Bach's Anstellung, im Ganzen 42 Per-
sonen auf? unter denen sich ausser dem Kapellmeister, dem
Concertmeister und den beiden genannten Cembalisten
14 Violinisten, 3 Bratschisten, 6 Violoncellisten und Contra-
Bassisten, 3 Oboisten, 1 Theorbenspieler, 4 Flotisten, 2 Wald-
hornisten, 2 Fagottisten und 1 Harfenist befunden haben,
zu denen unter Anderen noch immer zwei Gtebriider Bend a,
Agricola, (als Kammer-Componist) Hock und Mara ge-
horten.
Im Fruhjahr 1756 zog sich Nichelmann, indem er
seine Entlassung nahm, aus der Kapelle des Konigs zuriick.
An seine Stelle wurde auf Franz Benda's Vorschlag der
damals 20jahrige Carl Friedrich Christian Fasch be-
rufen. Dessen Vater, Fiirstlich Anhalt-Zerbstscher Kapell-
meister, ein nahezu 70jahriger Greis, war dieser Berufung
zunachst sehr entgegen. Er hatte den Wunsch, seine eigene
Stelle von seinem einzigen geliebten Sohne ubernommen zu
sehen. Zudem war es fur ihn ein emporender Gedanke, diesen
Sohn an einem, wie er glaubte, irreligiosen Hofe zu wissen,
Historisch-kritische Beitrage. Bd, 1. S. 76,
— 28 —
wo Voltaire und Maupertuis das Land mit ihren Irr-
thumern erfullten. Bach's Vermitfcelung gelang os indess?
seine Zustiminung herbeizufiihren. Er war oin Freund
des alten Fasch und unterstittzte durch cincu ausfuhr-
lichen Brief die Wunsche des Sohnes, dor das lebhafteste
Verlangen trug, iin Dienste des grossosten Furstcn seiner
Zeit und in Gerneinschaft dor grossesten Meister jener
Tage, eines Bach, dor beiden Graun, der Gebriider
Benda und eines Quanta, sich der Uebung dor Kunst
hingeben zu konnen. Bach setzte dem alten Fas eh aus-
einander, ,,dass man in den Landen Friedrichs des
Grossen glauben konne, woran man wolle, dass
der Konig zwar selbst nicht religios sei, aber des-
halb auch niemand mehr oder weniger achtc/f
Er bot sich selbst an, den jungen Kiinstlor zu sich in Kost
und Wohnung zu nehnien und ihn so viel wic moglich
vor jeder Verfuhrung zu wahren l). Dieses Schreiben
wirkte auf den alten Mann, nicht weniger die Versiche-
rung des Zerbster Hofes, dass seine Stello nacli seinein
Tode yorlaufig unbesetzt bleiben solle. So trat denn der
junge Fasch im Fruhjahr 1756 in des Konigs Dienst, der
darin bestand, dass er abwechselnd mit Bach von vier zu
vier Wochen die Concerto des Konigs auf dem Fltigcl zu be-
gleiten hatte. Jedoch durfte er die orsten vier Wochen in
Potsdam (wo der K5nig sich aufhielt) nur zuhorend bei
der Kammermusik zugegen sein, um Bach's Accompag-
nement zu horen und zu studiren. Dann verliess diewer
Potsdam und Fasch begann seine dienstlichen Functionen 2).
Es ist bemerkenswerth, wie Bach in dioser Ange-
legenheit die Interessen des Konigs mit denen des Freun-
des und mit seinen eigenen zu vereinigen, fur sic handolnd
und mitwirkend einzutreten verstanden hat. Dem jungen
Fasch leistete er hiedurch einen grosson Dienst utid dem
x) Zelter, Fasch's Biographic, S. 13.
2) A. a. 0. S. 14.
- 29 -
Konige wusste er einen vorziiglichen Cembalisten zu
schaffen, wie dieser ihn nur wiinschen konnte. Ihm selbst
aber musste daran - gelegen seiu, seine Stelle auf diese
Weise ohne Verlegenheit fur die Koniglichen Concerte
besetzt zu wissen, fur den Fall dass er den Dienst des
Konigs verlassen sollte. Denn seine Bestrebungen waren
wohl schon zu dieser Zeit darauf gerichtet, dermaleinst in
eine freiere, selbstandigere kunstlerische Stellung tibertre-
ten zu konnen. Dass er Fasch in Wohnung und Kost
nahm, ist jedenfalls ein Zug, der ihn als den Sohn einer
Familie von Musikern alten Schlages charakterisirt, in der
fiir alles was der Kunst angehorte, eine gewisse Gegen-
seitigkeit und Gemeinschaftlichkeit der Interessen selbst-
verstandlich war.
Der Konig war bald an Fasch's Accompagnement
gewohnt. Bach war ein grosser Kiinstler, und gewiss der
erste Accompagnist, der damals iiberhaupt existirte. Aber
das immerwahrende Wiederholen derselben Stucke hatte
ihm Ueberdruss gemacht. Dies gab sich darin zu erken-
nen? dass er in denjenigen Stellen^ in denen sich der
Konig, seinem Gefuhle nachgebend iiber den Takt Jbin-
wegsetzte, oder wo er im Allegro bei schwierigen und
einen langen Athem erfordernden Passagen den Mangel
an Fertigkeit mit willkuhrlichem Ausdruck zu verdecken
suchte? nicht nachgiebig genug war. Der Konig empfand
dies. Die Folge davoix war, dass er Bach weniger
schatzte, als dieser es verdiente.
Faschdachte und handelte hierin anders; zur grossen
Zufriedenheit des Konigs. Una so mehr lag es in Bach's
Interesse, ihn in seiner Stellung zu erhalten. Indess auch
Fasch, so sehr er dem Konige personlich ergeben war,
scheint doch das Schwierige und Abhangige derselben
empfunden zu haben. Nach dem 7jahrigen Kriege war
es seine bestimmte Absicht, seine Entlassung zu fordern.
Man wird weiter unten sehen, in welcher Weise Bach ihn
daran yerhindert hat.
— 30 —
Aus der vorstehenden durchweg auf authentischen
Mittheilungen beruhenden Darstellung des inusikalischou
Lebens am Hofe Friodricli's 'des Grrosscn wird der ge-
neigte Leser einen ungefahrcn Einblick in die Verbal t-
nisse erlangt liaben. Die Aufmerksamkeit des Konigs
war nach dieser Seite seines ineikwiirdigen Lcbens bin
zwischen der Pflege der grossen (italienischcn) Opor und
zwischen der Kamnaerinusik getheilt; in der die Uebimg
des Flotcnspiels weitab die bedeutendste Stelle cinnahm.
Dies hat oft genug Veranlassung gegeben? die Einscitigkeit
zu tadeln? rait welcher die Musik am Hofo don Konigs
behandelt worden sei. Doch sind auch dio Urthcile, die
hiertiber laut gewordon, -efed^nicht olme Einseitigkeit.
Friedrich der Grrosse war ein besonderor Vcrehrer des
italienisclien Opernstyls; aber die Opcrn der Italiener Hess or
nicht auf seine Biiime kommen. Or aim und Basse, die
dents ch en Tonsetzer, waren seine Manner. Dio franzft-
sische Musik (Grluck vielleicht niit cingercchnet) inochte
er nicht. In der Kammer iiberwog bei ihni das Interessc
fiir sein eigenes Instrument, und er blies aussor seinen
eigenen nur Floten-Concerte von Quantz. Alles dies
darf nicht hindern anzuerkennen, dass Friedrich der
Grosse einer der Haupthebel der inusikalischen Bildung
seiner Zeit gewesen 1st. Mag cr mit dein herannahenden
Alter hinter deni Fortschritt zuruckgeblicben sein, in wcl-
chem wir die Kunst ani Schlusse seines Jahrlumdcrts bo-
wundern, finden wir auch keiuc Spur da von, das» er ftir
die Tonwerke Handel's oder G-luck's, deren Glanz-
periode in die Zeit seiner Regierung fiel, Sympathie g?»
zeigt habe, so ist es doch Thatsache, dass ausser don be-
deutenden Musikern seiner Uingebimg Sebastian Bach
von ihm hochgeschiitzt, mit Koniglicher Gunst cmp&ngen
und behandelt worden ist, Ebenso ist cs imzweifelhaft,
dass sein Beispiel, sein Mitwirken, seine porflonlieho
Uebung einen bedeutenden und nachhaltigen EiniluKs auf
die musikalische Bildung und die kiinistlorischon Ifcatre-
— 31 —
bungen nicht bloss seiner Hauptstadt, sondern auch seiner
Zeit iiberhaupt ausgeubt haben. Dies beweist schon der
Zusammenfluss und das Zusammenwirkert so vieler inusi-
kalischer Krafte, die sich unter ihm, ungeaclitet seiner
grossen Voz^liebe fiir die italienische Musikrichtung, zu der
klassischen Berliner Schule zusammen fanden und
fast ein halbes Jahrhundert lang wahrlich nicht ohne
Wirkung und Erfolg mit einander gewirkt haben. Dies
beweist ferner nicht weniger der bedeutungsvolle Umstand,
dass, wahrend diese Manner in der Oper wie in den
Karninerrnusiken vollauf thatig waren? sich gerade dnrch
sie nicht bloss der neuere deiitsche Styl zu entwickeln
begann? sondern dass sich zu gleicher Zeit auch in ihnen
f&r die Theorie der Musik eine Pflanzschule bild6te; deren
Result ate die kiinstlerische Richtung ihrer Zeitgenossen
weithin uberdauert haben. Ware dies moglich gewesen,
wenn Friedrich's des Grossen musikalische Richtung
nicht klassischer Natur gewesen ware? Gehorten die bei-
den Graun? die Benda, Fasch; Agricola, Nichelmann
und Bach nicht der klassischen Schule an? Und bezeugt
nicht das treffliche Werk von Quanta iiber die Flote,
dass dieser grosse Kunstler darch und durch von dem alt-
klassischen Geiste der Musik erf [tilt war? In Dresden
hatte die grosse, besonders reich ausgestattete und von
Hasse so trefflich geleitete Oper unter August III. kei-
rxen anderen Zweck, als den der Unterhaltung fur den
Konig und den Hof. Friedrich II. diente mit seiner
Oper der Kunst Er leitete sie bis in das Detail hinein
selbst. Wenn dies unter Unistanden fiir die Personen;
die dabei mitzuwirken berufen waren, lastig sein konnte,
so gab es dern Ganzen doch ein gewisses Geprage von
Bedeutung und Grosse, das wohl geeignet war jene per-
^Snlichen Uebelstande als untergeordnet und ertraglzch
erscheinen zu lassen, zumal einem Manne wie dem grossen
Konige gegenuber.
- 32 -
Auch fur die Kammennusik war die Ruckwirkimg,
welche der nausikalisch geforintc Sinn des Kdnigs austibte?
von nicht zu unterschatzendeni Gewicht. Die itaiienische
Melodieen-Bildting, der Eeiz geftilliger Kiangwirkungen? das
in der deutschen Musik bis dahin liber Gebtihr vernach-
lassigte sinnliche Element — dies alles verpflanzte sich
aus der Oper nnd Kaninier dos Konigs in das allgeracin
kiinstlerische Bewusstsein der Zeitgenoasen und begann
dort seine Verschmelzung init dena altklassischeu Geiste,
aus der weiterhin so schono Friiclite orwachscn sollton.
Carl Philipp Emanuel Bach ist desseu Zeuge.
Schwerlich wttrdc er es vermocht haben; die Schrankcn
der alten Schule, in der er erzogen war, zu durohbiNjchen
und gewissen Eichtungen der Tonkunst die noucn Salmon
anzuweisen? die diese von ihm ab und wcsentlich durcli
seine Anregung schreiten sollten, wenn cr nicht am Hole
Friedrichs des Grossen jene Versehmelxung von Ge-
sang und klassischer Wiirde in sich aufgenommen hattc?
die in seinen Tonstiicken so sehr benierkbar ist. Das
Gesangsmassige in der Musik ? die Melodic war os, die er
dort mit so grossem Glticke seinen Instrmnental-Compo-
sitionen aufpragen lernte, das lyrischc Element, das ihn
lehrte dena deutschen Liede Inhalt und Form zu ver-
leihen.
Es ist nicht absichtslos, dass diesc Thatsaehe an den
Anfang des Lebenslaufs gestellt wird, der von dem inerk-
wiirdigen Manne hier aufgezeichnet werden soil So wenig
wie die kiinstlerische Eichtung seines grossen Vntors, ebon
so wenig ist seine eigene eine zufallige gewcsen, Sie ist
aus der Eiickwirkung hervorgegangen, wclcho des Konigs
wunderbarer Geist auf seine Umgebung austiben musste*
Bach lebte am Hofe unter und mit Mannern, die init ihm
demselben Ziele zusteuerten. Er iiberwog, violleicht mit
Ausnahme von Graun? ihrer Alle. Der Sehopfer des
modernen Liedes und der neueren Musiksclmlo fur daa
Clavier erstarkte in seinem Streben, in seiiiom Wollen
— 33 —
und Konnen in jener Sphare, die bewusst oder unbewusst
die Grundlage der Kunst, den Ernst und die Strenge des
Styls mit dem Wohllaute der berechtigten sinnliclien Ele-
mente in Uebereinstimrnung zu setzen trachtete. Emanuel
Bach war sich Member keineswegs unklar. Oder was
hatte es sonst fur eine Bedeutung; wenn er in seiner inehr-
erwahnten biographischen Skizze ausdrucklich sagt:
,,Meine preussischen Dienste haben mir nie so viel
Zeit iibrig gelassen, in frerade Lander zu reisen. Ich bin
also bestandig in Deutschland geblieben und habe nur in
diesern rneinern Vaterlande einige Eeisen gethan. Dieser
Mangel an auswartigen Reisen wiirde mir bey meinem
Metier nielir schadlich gewesen sein, wenn ich nicht yon
Jugend an das besondere Grltick gehabt hatte, in der Nahe
das Vortrefflichste von aller Art von Musik zu horen
Von allem dem? was besonders in Berlin und Dresden zu
horen war, brauche ich nicht viel Worte zu rnachen; wer
kennt den Zeitpunkt nicht, in welchem mit der Musik
sowolil iiberhaiipt? als besonders mit der accura-
"testen und feinsten Ausfiihrung derselben eine
neue Periode sich gleichsam anfing, wodurch die
Tonkunst zu einer solchen Hohe stieg7 wovon ich
nach meiner Empfindung befurchte, dass sie ge-
wissermassen schon viel verloren habe Genug,
ich musste niich bognugen und begnligte mich auch sehr
gerne, ausser den grossen Meistern uns'res Vaterlandes das
Vortrefflichste von aller Art zu horen ? was die fremden
Sregenden uns nach Deutschland herausschickten. Und ich
glaube nicht, dass ein Artikel in der Musik librig sei?
Lwovon ich nicht einige der grossten Meister g.ehort habe."
[;> Nun ist Bach, abgesehen von einer Badereise nach
fTeplitz irn Jahre 1743 , wohl nur als Knabe mit seinem
feater in Dresden gewesen. Denn das Reisen war zu jener
&eit schwierig und kostbar. Es konnen daher die Ein-
fciicke, die er empfangen hat und die, wie er selbst sagt,
Bitter, Emanuel und Friederaann Bach. 3
— 34 ~
einen so grossen Einfluss auf ihn ausgeubt haben, kauin
anderswoliin als auf seine Stellung in Berlin zuriickge-
fuhrt werden. Er stand als Cembalist des Konigs geradezu
im Centrum des dortigen nmsikalisehen Strebens wie des
Drangens der Zeit. Man darf hiernaeh dein glitcklichen
Umstande der ihn dort hin bcrufen hatte, cine nicht ge-
ringe kunstgeschielitliclie Bedeutung beilegen.
Bei dem specielleren Eingehen auf seine Thutigkeit
als Tonsetzer wird sich oft genug die Veranlassung erge-
ben? neben diesen Lichtsciten auch der Schatten zu geden-
ken, an denen es? zumal bci deni auf praktuche Erfolgo
gerichteten Streben Bacli's; keineswegs gefehlt Lat.
Emanuel Bach behandelt in seiner Lebens-Skizze
die seiner Anstellung folgenden 27 Jahre seines Lol/ens
mit ziernlicher Ktirze. Er sagt von ihnon nur: ??Von
dieser Zeit an (1740 bis 1767 im November) bin ich be-
standig in preussischen Diensten gewesen; ohngeachtet ich
ein paarmal Gelegenheit hatte, vortheilhaften Rufon andora-
wohin zu folgen. Seine Majestat waren so gnlldig, alles
dieses durch eine ansehnlichc Zulage meines Gehalts zu
vereiteln." Weiterhin sagt er: ?JAnno 1744 habe ich mich
in Berlin mit Jungfer Johanna Maria Danncmannin7
eines dasigen damals lebenden Womhiiudlcrs jtingsten
Tochter, verheyrathet."
Diese einfaehen Nachrichtcn genugen nicht, um eine
Uebersicht von seinen Lebensverhiiltnissen zu gewinnen.
Auch sonst sind kaum die notlidtirftigston Andetttungen
daruber aufzufinden(gewescn. Diesen lotztorcn gehort an,
,dass Emanuel im Jahre 1743? also ein Jahr vor seiner
^Verheirathung, ;,aehr gichtbruchig war und doshalb da»
Teplitzer^Bad gebrauchen musste."
Es ist ferner der besondere Anthoil bokannt, den or
an dem Besuche hatte, den sein Vater im Jahre 1747
MFriedrich dem Grossen abgostattet hat, Iliomit mid
mit de? Notiz; dass er auch einmal (1758), nnitlmuwlich
mit seinem Freunde und Oollegon Fascli, zum Besuehe
— 35 —
bei dessen Vater in Zerbst war, dass er in den ersten
Jahren seines Aufenthaltes in Berlin dem nachmaligen
Herzog Carl En gen von Wurtemberg Musik-Unterricht
gegeben und bei der Prinzessin Am alia von Preussen,
des Konigs jtLngerer Schwester, in besonderer Qunst ge-
standen hat, ware auch ziemlich erschopft? was sich von
seineni Leben in Berlin sagen liesse, wenn nicht die Ar-
beiten dieses ausgezeichneten Mannes den sonst leeren
Rahmen seines Bildes in vollkommener Treue und Voll-
standigkeit ausfullen hulfen.
Capitel II.
Compositioueu walirend dieser Zeit.
Diese Arbeitcn sind reich genug? um alle sonst fehlen-
den biographischen Nachrichten zu erganzen, und sie liegen
zuni grossen Theil in einer Vollstandigkeit und Correct-
heit vor, wie diese sich in den Ergebnissen der Thatigkeit
alterer Meister aus dena Anfang und der Mitte des acht-
zehnten Jahrhunderts nur selten vorfindet. Sie geben in
zienalicher Grenauigkeit den kiinstlerischen Lebensgang
Emanuel Bach's an und gewahren einen genauen Ueber-
blick liber sein gesamrntes schaffendes Wirken.
A, Die Clavier - Compositionen.
Das Clavier war Bach's Haupt-Instrument, xnuthraass-
Jich das einzige? das er etwa nut Ausnahme der Orgel
uberhaupt gespielt hat. Ihm hat er wahrend seines Aufent-
haltes in Berlin den weittiberwiegenden Theil seiner Tha-
tigkeit zugewendet. In ihm hat er die besondere Auf-
gabe seiner kiinstlerischen Lebens-Entwickelung gefunden.
*- 36 -
Seine in Berlin fur das Clavier geschriebenenen Com-
positionen sind in chronologisclier Reihenfolge aufgefuhrt
folgende:
1738: Clavier-Concert, G-dur 2/4 ruit Quartett-Begieitung.
1739: Sonate fur Clavier (gedr. in der 1. SammL der
inusikal. Nebenstunden).
Clavier-Solo, B-dur 2/4.
Clavier-Concert, C-nioll 2/4 erneuert 1762.
1740: Clavier-Solo (gedr. in der 3. Sauiinl. von Mar-
purg's Clavierstiicken).
DesgL G-dur 2/4.
6 Sonaten, Friedrich II. gewidmet, (gestochen bei
Schmidt, Nurnberg 1743).
Concert fiir 2 Claviere, 2 Horner, Quartett F-dur
% in Potsdam gesetzt.
Clavier-Concert G-nioll % mit Quartett-Begieitung,
DesgL A-dur 4/4 mit Quartett-Begieitung. """"
1741: DesgL A-dur % mit Quartett-Begieitung.
1742: 3 Sonaten (1., 2. und 4. der Wiirtembergischen
Sonaten, 1745).
Concert mit Quartett-Begieitung, G-dur 4/4.
DesgL C-dur 2/4.
1743: Clavier-Solo, D-dur 3/i in Teplitz componiri
Die 3. und 5. der Wurtembergischen Sonaten.
Clavier -Concert mit Quartett-Begieitung, D-dur,
(gest. bei Schmidt in Nurnberg).
1744: Clavier-Solo, D-dur %•
Die 6. der Wiirtembergischen, Sonaten.
Clavier-Sonate gedr. in den Oeuvres indices, P, III.
E-dur 4/4.
DesgL gedr. in den Oeuvres m616es, P. IV. D-inoll 4/4.
DesgL C-dur l2/8 in der Coll. recreative. Oeuvre II.
DesgL C-dur, gedr. im Musik. Allerlei, St. 38.
Desgl 4 Sonaten der 2. Forts, der Reprisen-Sonaten.
Clavier-Concert, F-dur 4/4 mit Quartett-Begieitung.
DesgL A-dur 4/4 gedr. bei Winter in Berlin,
- 37 -
Desgl. D-dur */*
1745: Clavier-Solo, G-dur %•
Sinfonie; auf das Clavier accommodirt, E-rnoil 4/4«
Menuett mit Veranderungen, C-dur 3/4-
Clavier-Concert mitQuart.-Begleitung 3/4.
Desgl. G-dur 2/A.
Desgl. D-moll %
Desgl. D-dur 4/4? (fine den 5. April 1745).
1746: 4 Clavier-Soli, C-dur 4/4? G-moll %, F-dur 4/4,
F-dur Vs-
Clavier-Concert niit Quartett-Begleitung, A-dur 4/4.
Desgl. mit Quartett-Begleitung, C-dur 4/4.
1747: 2 Clavier-Soli, B-dur 4/4? F-dur 4/4.
Arioso mit Veranderungen; F-dur -/4*
Sonate fur Clavier niit 2 Tastaturen, D-moll 3/4-
1 Sonate der 2. Fortsetzung der Reprisen-Sonaten.
Clavier-Concert mit Quartett-Begleitung, A-moll */4
erneuert in Hamburg 1775,
Desgl. mit 2 Hornern und Quart ett, D-moll 4/4.
1748: Clavier-Solo, G-dur 3/4-
gedr. in Wewer's Tonstiicken.
T^ i v n « vier
Desgl. D-moll
Clavier-Concert mit 2 Floten und Quar- ,
tett, D-moll 3/4? ( am ^6"
Desgl, Quartett, E-moll */4, ' S
1749: Clavier -Solo, F-dur 4/4 gedr. in den Oeuvres
me!6es? P. I.
^2 desgl D-moll 4/47 A-moll 4/4.
Desgl. irn Musik. Mancherlei? St. 14. 15.
Clavier-Concert mit Quartett-Begleitung, B-dur 4/4?
(gest. von Schmidt in Ntirnberg), gesetzt in
Potsdam.
1750: Allegretto mit Veranderungen, C-dur 2/4 gedr. im
Musik. Allerlei, St. 3.
Clavier-Solo, G-dur 2/4 ebendort gedr.
6. Sonate der 1. Fortsetzung der Keprisen-Sonaten.
- 38 -
Clavier -Concert mit Quartett, 2 Honicrn, Trom-
peten, Pauken; 2 Oboen, 2 Floten, D-dur *,V
Desgl. mit Quartett, A-rnoll %.
1751: Suite, gedr. iin Musikal. Allerlei. St. 25,
Clavier-Concert? A-dur 4/4.
1752: Clavier-Solo, gedr. in Marpurg's raccolta.
Desgl. G-moll 2/4.
Lied mit Ver Under ungen, F-dur 6/s ,7Ich sehlief, da
tramnte mir"; gedr. im Musik. Allerlei u. Vielorlei,
1753: 6 Sonaten fur Clavier, zuin 1. Versuch iibor clio
wahre Art das Clavier zu spielen,
Fantasie in C-moll, ebendazu gehorig.
Clavier-Concert mit Quartett-BegleitUBg, A-dur 4/4
in Potsdam gesetzt.
Desgl. mit Quartett-Begleitung, G-moll */-i iu Pots-
dam gesetzt.
Desgl. C-moll 4/V
1754: Clavier-Solo, gedr. im Musik. Mancherlei.
Desgl. Es-dur 4/4.
4 petites pieces, (la Gauso, la Pott, la BorchMrardt,
la Bohmer).
Clavier-Concert mit Quartett-Begleitung u, 2 Floten,
G-moll 2/4-
Sinfonie fur Clavier imd Violine, D-dur %.
1755: 6 Fugen fur Clavier, D-moll 3/4? F-dur %? A-dur V4?
G-moll 4/4, Es-dur Allabr., C-moll */«. (Die meisteu
gedruckt).
10 petites pieces, (la Philippine, la Gabriel, la
Caroline, la Princette, 1'Aly, la Gleim, la Stahl,
la Bergius, la Buchholz, la Herrmann).
Clavier-Solo, E-dur %.
Allegretto, C-dur 4/4-
Allegro, D-dur V*-
Clavier-Concert mit Quartett-Begleiiung, F-dur 2/4«
Concert ftir die O'rgel oder Clavier, G-dur l/^
1756: Clavier-Solo, JB-moU V*-
— 39 —
6 petites pieces, (la caprieieuse, la complaisante,
les langueurs tendres, la journalise, 1'irresolue,
la Louise) gedr. im Musik. Allerlei und in Mar-
purg's 2. raccolta.
Andantino, D-moll 2/4 gedr. ebendort.
Clavier-Solo, gedr. ebendort.
1757: 2 Clavier-Soli, A-dur </4, B-dur 4/4; gedr. in den
Oeuvres melees.
Desgl. C-moll 44.
3 desgl., gedr. im Musik. Mancherlei.
5 petites pieces, (la Xenophotf, la Sibylle, la Sophie,
rErnestine, I'Auguste, gedr. im Allerlei und in
Marpurg's raccolta)
1758: Clavier- Solo , H-jnoll 4/4, gedr. in der Collection
recreative, Oeuvre I.
Desgl., gedr. in den Oeuvres melees P. IX., in
Zerbst gesetzt.
Desgl., gedr. in den Oeuvres melees P. XL
No. 5 der Reprisen-Sonaten.
No. 3 und 4 der 1. Fortsetzung derselben.
No. 6 der 2. Fortsetzung.
2. Son ate der 1. Sammlung fur Kenner und Lieb-
haber.
Sinfonie F-dur 4/4 im Jahre 1765 in Potsdam fur
Clavier eingerichtet, gedr. in den Clavierstiicken
verschiedener Art.
Sinfonie G--dur 4/4 1766 fur Clavier eingerichtet,
gedr. im Musik. Vielerlei.
12 kleine Stiicke mit 2 und 3 Stimmen,- in Taschen-
format, gedr. Berlin bei Winter.
1759: Die 1. 2. 3. 4. und 6. der Reprisen-Sonaten.
Clavier-Solo, A-moll 2/4-
5. Sonate der 1. Fortsetzung der Reprisen-Sonaten.
2. desgl. der 2. do.
3 Fantasien und 3 Solfeggios, gedr. in den Clavier-
stiicken verschiedener Art.
_ 40 —
Concert fur die Orgel odor das Clavier mit Quartett-
Begleitung und 2 Hornern, Es-dur a/4.
Sonate fiir Clavier und Gainba, G-moIl 2/4.
1760: Clavier-Solo, B-dur 4/4.
Sonate 1 und 2 der 1. Fortsetzung der Reprisen-
Sonaten.
3 petites pieces: Allegro, Polonaise und Verandc-
rungen auf eine italionischc Ai'iette, gedr. im
Musik. Allerlei und Vielerlei.
1761: 3. Sonate der 2. Fortsetzung der Reprisen^Sonaten.
1762: 5. do. do.
Sonate 1 und 5 der leichten Clavier-Sonaten.
6 Menuetten | zum Theil in die Jahre 17(>3; 64
3 Polonaisen j und 65 fallend, in Potsdam gesetzt.
2 Clavier -Concerte mit 2 Ilornern und Quartett-
Begleitung, B-dur 4/4 und C-moll V*.
Sonatine fur Clavier ; 2 Homer, 2 Flo ten und
Quartett, D-dur %.
Desgl. fur 2 Olaviere, 3 Tronipeten? Pauken, 2
Homer, 2 Floten, 2 Oboen, Basson und Quar-
tett, A-dur 6/8.
3 desgl. fur Clavier, 2 Horner, 2 Flo ten und Quar-
tett, G--dur %, G-dur %, F-dur %.
1763: 6. Sonate der 3. Sammlung fiir Kenner und Lieb-
haber.
Clavier-Solo, H-moll %.
Desgl., gedr. in den Clavierstiicken vorschiedenor
Art,
5 Clavier- Soli ; E-moll 4/4, A-dur 4/4? B-dur %,
D-dur %, C-dur %-
Clavier -Concert mit Quartett-Begleitung, F-dur %.
4Trii, H-moll %, B-dur %, Es-dur V4und F-dur V4
(Potsdam).
5 Sonatinen fur Clavier, 2 Hornor, 2 Floten, Quar-
tett, B-dur 3/4, E-dur Allabr., C-dur V4; D-dur %,
C-dur 6/8.
— 41 —
1764: 2. 3. 4. und 6. der leichten Clavier-Sonaten.
2 Sonatinen fur Clavier, 2 Horner, 2 Floten und
Quartett (Potsdam), F-dur 4/4, Es-dur 4/4, beide
gedruckt
1765: Concerto, gedr. in den Clavierstiicken verschiedener
Art.
9 Satze fur Clavier, gedr. in der 1. Sammlung der
kurzen und leichten Clavierstticke (Potsdam).
4. und 6. Sonate der 1. Samrnlung fur Kenner und
Liebhaber (Potsdam).
2. 3. und 5. Sonate fur Damen (Potsdam),
2. Sonate der 4. Sammlung fur Kenner etc.
Clavier-Solo, Es-dur 4/4 (Potsdam).
Desgl. A-dur 44 (Potsdam und Berlin).
Clavier -Concert rait Quartett -Begleitung, B-dur 4/^.
Desgl. Es-dur %.
1766: 3 Clavier-Satze, gedr. in den kurzen und leichten
Clavierstiicken.
12 Variation en zu einer franzosischen Eomanze,
Gr-dur 4/4.
3 Clavier-Soli, B-dur % B-dur Allabr., E-dur 3/2.
1. 4. und 6. Sonate for Damen (Potsdam).
Clavier-Solo, gedr. bei Breitkopf 1785.
Desgl., gedr. im Musik. Vielerlei.
3 Fantasien und 3 Solfeggien, 3 Menuetten und
3 Polonaisen, gedr. im Musik. Vielerlei.
4. Sonate der 3. Sammlung fur Kenner etc.
Trio fur Clavier und Flote, C-dur \.
1767: 12 Satze fur Clavier, gedr. in den kurzen und
leichten Clavierstiicken, 2. Sammlung.
Diesen zahlreichen Stitcken aus der Berliner Zeit
E in an u el Bach's sind noch anzureihen, ohne dass das
Jahr der Entstehung bekannt ware:
4 abwechselnde Clavier -Menuetten, gedr, im Musik. Man-
cherlei.
- 42. ~
I '
Ein canonischer Einfall, gedr. im 3. Baude der Marpurg'-
scheri Beitrage.
Verschiedene Exempel und Canones zu Marpurg's Ab-
handlung von der Fuge.
1 Sonate; abgedr. im Musik. Allerlei.
1 Duo im Contrapunkt, A-moll %•
5 verschiedene kleine Clavierstttcko, gedr. in Marpurg's
raccolta I.
Sinfonie mit dem Fiirsten Lobkowitz, einen Takt urn den
andern aus dem Stegreif.
Will man diese ausserordentliche Anzahl von grosseren
und kleineren Musikstiicken nach ihren verschiedenen Ka-
tegorien classificiren, so ergeben sich
1. an Sonaten und Solis fur das Clavier allein, wo-
bei bcmerkt werden mag, dass die nach dem Nach-
lass-Katalog als Clavier-Soli bezeichneten Stiicke den
Sonaten angehoren
2. an Suiten, Sinfonien, freien Fantasien
und Concerten fur Clavier ohne Begleitung
anderer Instrumente g
3. an Clavier- Variationen 4
4. an Fugen fur Clavier g
5. an kleinen Stiicken jeder Art, einschliess-
lich der Menuetten, Polonaisen, kleinen Fan-
tasien; Solfeggien '..... 105
Zusammen 237
Ferner mit Begleitung von Instrumenten ;
6. Concerte 90
7. Sonatinen jo
8. Trii . f .
«A 55
292
Von diesen Stiicken sind wdhrend der Lebzeit Bach's
175 gedruckt worden, und es sind daher mehr als 100 iu>
gedruckt geblieben1).
i) Selbstverstandlich sind in der obigen Nachwoisung die ver-
— 43 —
Stellt man dieser ausserordentlichen Thatigkeit den
inneren Werth der Arbeiten gegeniiber, so steigt ihre Be-
deutung. Zwar findet man in ihr zunaehst Emanuel
Bach noch in dem Grange, den ihm die Schule des Va-
ters angewiesen hatte; aber man erkennt auch, dass er
die Bahn seiner Vorganger sehr bald mit sichereni Be-
wusstsein verlasst. Die schonen und bedeutungsvolleh Er-
folge des polyphonen Styls, in denen er selbst begonnen
hatte seine Schwingen ftir den weiteren Flug zu prtlfen?
werden von ihm aufgegeben. Aber nicht zerschlagen ward
. die Form, in welcher er begonnen hatte den Inhalt seines
Geistes darzulegen. Sie wurde von Grund aus erneuert,
fur grossere Erscheinungen ? fur eiiie neu belebte Gestal-
tung des innersten Wesens der Musik vorbereitet.
Der polyphone Styl hatte seinen Gipfelpunkt in Se-
bastian Bach erreicht. Daruber hinaus war ein Neues
auf dem alten Wege nicht mehr moglich. Das eigen-
sinnige Verfolgen jener Richtung wurde znr Verknoche-
rung, zur Versumpfung gefuhrt haben. Friedemann
Bach? der grosse, wie Wenige begabte Contrapunktist,
der auf jenen Wegen weiter wandeln wollte, ist dartlber
zu Grrunde gegangen und Kirnberger wie Marpurg,
diese sich feindlich abstossenden Charaktere; wiirden ver-
gessene Manner sein? wenn ihnen nicht die Vortrefflich-
lichkeit ihrer theoretischen Schriften die Pforten fur das
Gedachtniss der Nachwelt offen gehalten hatte.
Emanuel Bach? als Theoretiker jenen uberlegen?
trat mit kuhnem und freiem Geiste in die neue M'usik-
Epoche iiber ? deren Bltithe in das letzte Ftinftheil des
vorigen Jahrhunderts fallt. Wie Sebastian Bach und
Handel fur den Kirchenstyl und das Oratorium^ Grluck
fur die Oper? so eroffaete er fur die Clavier-Musik jene
schiedeuen Bearbeitungen nicht mit enthalten, denen Bach eine grosse
Anzahl seiner Clavierstiicke itnterzogen, inclem er sie fiir audere
Instrumente und zu Trio's, umgearbeitet hat.
44
Balm neuer Schopfungen, deren die gebildete Welt harrte,
Schon die Zeitgenossen aus Bach's Periodc gewolm-
ten sich daran, rait bewunderndem Erstaunen zu dem bo
wahrten Meister aufzublicken. Er hatto cs? dcr orste un-
ter alien bekannt gewordcncn Musikern gewagt, populairo
Musik zu setzen, populair in deia besseron Sinne des
Wortes. Er liatte zugleich gewagt den lliunor in die
Musik einzufuhren, und das alles fur ein Instrument; das
den weiteren Kreisen der Liebhabev wio dor Kenner zu-
ganglich war. Er hatto dies gethan, olmo deshalb den
kunstlerischen Inhalt, die Gediegenhoit der Form und des
Satzes aufzugeben. Daruni wirkten seine Glavier-Gom-
positionen? uni die sich gcwisseriuassen der ganze ubrige
Inhalt seines Lebens gruppirt, sehr bald win elcctriscli
ztindende Funken. Odor was ware cs andores gewosen,
was J. Haydn so lebhaft angeregt hatte? dass er noch in
seinem Greisenalter sein Bekanntwerden init den BachJ-
schen -Clavier-Souaten als einen Wendepunkt f'iir seine
kiinstlerische Entwickelung bezeichnet hat? Es war etwa
ira Jahre 1748 !)7 als er, damals 16 Jahre alt, aus dem
Kapellhause entlassen? ein annseliges Dachstiibchen zu
Wien bezog, um sein Leben durch Mitspielen bei Nacht-
Musiken und in den Orchestern zu fristen. Er fib to
sich fleissig in der Composition. ,?Wcnn ich an rneinern
alten, von Wiirmern zerfressenen Glaviere sass, beneidete
ich keinen Konig um sein Gltick." Damals war es3 als
ihm die ersten 6 Sonaten von Emanuel Bach (luuthmass-
lich die 1742 erschienenen und Fried rich dem Grossen
gewidmeten; vielleicht auch die Wiirtemborgischcn Sona-
ten) in die Hande fielen. 7?Da kam ich nicht mehr von
meinem Claviere hinweg, bis sie alle durchgospiolt waren,
und wer mich gnindlich kennt, der muss finden? dass ich
dem E in aim el Bach sehr vieles verdanko, dass ich ihn
verstanden und fleissig studirt habe. Emanuol Bach
i) Griesinger, biographische Notizen iiber J. Haydn, S, 12.
~ 45 -
Hess mir aucff^&rbst einmal ein Compliment dariibet
machen." Und^Haydn blieb dieser Verehrung treu. Man
mag seine Clavier-Sonaten betrachten von welcher Seite
man will, man findet in ihnen die Bahn genau inne ge-
halten, die Emanuel Bach dieser Kunstform aufge-
pragt hatte, ja man findet viele derselben in Schreibart
und Charakter dessen Clavierstucken vollkommen ahnlich.
Auch hielt sich Haydn, der Veranlassung hatte Emanuel
Bach fur seine theoretischen Studien dankbar zu sein,
selbst noch in seinen spatereii Lebensjahren mit des-
sen neueren Compositionen in Verbindung. In einem
Briefe, den er am 16. Februar 1788, dem letzten
Lebensjahre Bach's, an Art aria in Wien schrieb, bittet
er diesen, indem er ihm ?;fiir iiberschucktem kostbarem
Kas und fur Wiirste" dankt zugleich: ,?Nachstdeni
auch ihm die letzten 2 Werke fur das Clavier von
E. P. Emanuel Bach zu iibersenden" 1).
Wenn man auf die in den deutschen Landen durch
nahe ein halbes Jahrhundert hin weit verbreitete Ueber-
zeugung blickt; welche in Emanuel Bach den Vater des
niodernen Clavierspiels ehrte, und wenn man die Leistungen
und Erfolge derjenigen betrachtet? die zu gleicher Zeit mit
ihm in Lehre und Schrift, in Theorie und Praxis fur die
Musik gewirkt haben, wenn man dann dem Aufschwunge
einige Aufraerksamkeit zuwendet, den mit und seit ihm die
musikalische Bildung nahm und mit dem er fortlebte und
fortschritt, dann muss man zu der Ueberzeugung gelangen,
dass Bach's Lehre, mehr noeh das Studium und die
Uebung seiner zahlreichen und so iiberaus anziehend wie
fur Jedermann spielbar geschriebenen Claviers tiicke die
Ausbildung und Vervollkommnung zahlreicher Musiker ge-
fordert haben mxisse. Denn es gab in jener ganzen Zeit
ausser ihm und dem ganz andereBahnen verfolgendenDom.
i) Nohl, Kiinstlerbriefe, S. 102. Mit den bezeichneten Wer-
ken sind offenbar die letzten Hefte fur Kenner und Liebhaber gemeint.
-—146 —
* *
Scarlatti (f 1751) nur wenige Tonsotaer von Rang mid
noch wenigere Lehrer von Bedeutung, die diesein neueren
Clavierstyl gewachsen, zu seiner Verbreitung und Fort-
entwickelung fahig gewesen wliren.
Drei Punkte sind es vor alleni, durch die Bach in
der Formation seiner Clavicrstiicke bildend und veredehul
gewirkt hat? namlich:
1. durch die Einheit der Idee, die or in jede seiner
Arbeiten zu legen wusste;
2. durch deren geistvolle Behandlung? vermoge deixm
er den Spieler znrn Denken und Einpfinden nothigte,
3. durch seine leichte und fasslicho Technik.
-Was den erst en dieser drei Punkte betrifft? so war
bei der grossen Mehrzahl der Clavier - Compositionen jener
Zeit1) der geineinsame Ausdruck, die Harmonic der ein-
zelnen Theile oder Satze? deren innere Uebcreinsthnmting
kauni noch entfernt zu bemerken. Das Untereinander-
mengen der Affecte, einander widerstreitender Elemente?
i) Selbst der gelehrte Marpurg charakterisirt in seinen Clavier-
stiicken verschiedener Art (1762) noch die Senate folgendennassen:
,,das Wort Soiiate pflegt man In besonderra Verslande alsdann zu
gebrauchen, wenn die 3 oder 4 aufeinanderfolgonden Satze mil nichts
als den die Bewegnug anzeigenden Wortcrn, z. E, mit Allegro,
Adagio, Presto charakterisirt werden, obgleich in manchein Stiicke
das vollkommene Merkmal einer Allemande, Oourarite u, s. >v. vor-
handen ist. Das erste und Jetzte Stiick, oder das mittlero und letxte
wird in hurtiger Bewegung und aus eben dem Ton und Modo, und
in dem ersten Falle das mittlere, in dem andcren aber das crste in
langsanaer Bewegung gesetzt etc, Auf diese Art wird es ordent-
licher Weise gehalten. Ausserordentlichor Weiso konnen
alle 3 Stiicke einer Sonate im Ton und Modo von einander tmtor-
schieden sein Man liat Exempel an den Piobcsiuckou unseres
beriihmten Herrn C P. E. Bach." Hiernach hatto es fur die Sonate,
ungeachtet Bach deren schon seit mehi als 20 Jnlireu gcsetzt hatte,
nur jene rein ausserlichen Bestnnmungsforraen gegebcn, Dass sie, AVIO
dies bei ihm von Anfang an der Fall war, cinen bestimniten Oedankon
in durehgefiihrter Einheit enthalten musse, und dnss eben die Stiicko
Bach's in diesem Punkte eine Neuerung von grosstor Bedeutung ent-
bielten, dies scheint Marpurg vollig entgangen zu sein,
" — ' '47 - — ^
welches den Zweck hatte, den verschiedenen Vortrag zu
zeigen, war iiberwiegend gewordenl
Diesena Unwesen trat Bach in seinen Arbeiten ent-
gegen. Unter alien seinen zahlreichen Clavierstiicken wird
sich kaum eines finden, in dem nicht der durchgehende
einheitliche Charakfcer xnit JDeutlichkeit erkennbar ware.
Hierin lag ein ungeheurer Fortschritt.
Ueber die Auffassung, die er in der Ausfiihrung seiner
Glavier-Compositionen forderte, hat er sich am klarsten in
seinem Versuche fiber die wahre Art des Clavierspiels
ausgesprochen : ,,Ein Musikus kann nicht anders
ruhren, er sei denn selbst geriihrt". Alles bloss
Bravourinassige, der Charlatanismus in der Kunst war ihm
verhasst. Das Clavierspiel sollte ein singendes sein. Da-
her seine melodieuse, klare Behandlung der Tonstticke,
das gefuhlvoll riihrende, das er in sie zu legen wusste/ das
geistvoll spielende, humoristisch neckende derselben; das
in alien Verwickelungen und Verbindungen klare Hervor-
treten der Haupt- und Neben-Gedanken. ?;Mich daueht",
sagt er ana Schlusse seiner Lebensskizze; ,;die Musik musse
vornehmlich das Herz riihren? und dahin bringt es ein
Clavierspieler nie durch blesses Poltern, Trommeln und
Harpeggiren; wenigstens bei mir nicht." Diesem Grund-
satze entsprechen alle seine Claviersachen? so wo hi di^ aus
der ersten als die aus der letzten Zeit seines Lebens.
Was endlich die Technik anlangt, so ist sie oft gfeug
brillant und erfordert durch weg eine zierliche, feine Jiind
saubere Hand. Aber wer sich durch gehaufte Schwierig-
keiten und glanzende Kunstfertigkeit im modei^nen* Slhne
zur Geltung bringen will, wird hier seine Kechnung nicht
finden. Baches Sonaten und Goncerte konnen in tech-
nischer Beziehung von jedem Spieler bewaltigt werden;
der die Finger so weit in der Gewalt hat? um massigen
Forderungen zu geniigen. Aber Niemand wird sie spielen
konnen , der nicht zugleich auch die Fahigkeit hat, den
in ihnen liegenden'Sinn durch den Vortrag auszudriicken.
- 48 -
Wie wohl Bach's Clavierstiicke sehr oft cine popul&re
Farbe tragen, so findet man doch in ihnen Unterhaltungs-
Musik in dera gewohixlichen Sinne des Wortes nirgends,
;;Bach vereinte in scincn Clavier- Compositionon die strexxge
Schule seines Vaters, dessen kunstvolle Architektonik und
harmonxschen Eeichthuin mit dem Schmelz der italienisclieu
Cantilene1). Wie Sebastian Bach in seinen Olavierwer-
ken franzosxsche Eleganz, italienischon Wohlklang und
deutsche Greinuthstxefe 211 vereinigon wusstc, so war der Sohu
sich bewusst; ;;das Propre und Brillante des fVanzosischen
Geschmacks niit dem Schmcichelhafteu dor welschexx Art
zu vereinigen."" Viele seiner Zeitgcuosscn hielten ihn fur
barock. In jedem Falle war er in alien Clavierschopfungen,
die nicht einen vollig sccundaren Charaktor tragen, genial,
ktihn in seinen Harmonien, unorscliopflich in Erfmdung-
und Gedankenfiille. Wenn Kirnberger2) von Sebastian
Bach's Fugen sagen konnto, jede dersolben trage oinon
genau begrenzten Charakter an sicli, durclx welchen sie
sich von alien iibrigen unterscheide, so konnte Hoi char dt3)
mit nicht geringerem Rechte von Emanuel Bach's Sonaten
behaupten: ,;Jede hat etwas Besondex^es, wodurch sie 'siclx
von alien anderen deutlich unterschoidet. Ohnmoglich
ware es? zu sagen: ;?die beiden Sonaten gchox^exi z\i~
sammen, das ist ein Paar."
Seine Zeit war die des Uebergaugs der alten Instru-
mental-Technik fur das Clavier in den Gebrauch der
anderen Instrumente; des verbesserten FltigeLs und dos
Pianoforte. Obschon Bach selbst bis an schx Lebeusendo
dem Clavichord ;?dem Instrumente der Bache," und
seinem Silbermann'schen Clavier e imbesondcre treu ge-
blieben i^t? auf diesen Instrumenten Wundcr der Ausiibmxg
vollbringend; so war er doch geistig froi genug? um auch
1) E. F. Baumgart, Vorredo zu dor neueu Ausgabe der Sonaten
fiir Kenner etc. Breslau bei Leuckart,
2) Kunst des rexnen Satzes. Tlx. I. S. 203
3) Briefe eines aixfmerksamen Reisendon, Th. 11 S. 10.
4Q
rtts - -
der neueren lustrum en tal-Technik Geniige zu leisten. Und
so sind seine Clavierstiicke niclit bloss fur seine, scmdern
auch noch flir unsere Zeit geschrieben.
Emanuel Bach hat bei diesen, wie auch bei manchen
seiner anderen Conapositionen, nicht uberall den absoluten
Standpunkt im Auge gehabt, den die Kunst streng genommen
erfordert und den man in den Arbeiten seines Vaters und in
denen Beethoven's so unverriickbar fest gehalten findet.
Er war ein praktischer Kopf und schrieb fur Bedurfnisse und
Forderungen, die nicht imiaer mit den Bedingungen rein
ktinstlerischer Zwecke in Uebereinstimmung waren. E-och-
litz behauptet1), Bach habe seine Musikstiicke fur ver-
schiedene Klassen von Spielern gearbeitet und diese immer
streng geschieden. Zur ersten Klasse hatten die Schuler
gehort, fur die er Uebungsstiicke gesetzt habe; zur zweiten
Klasse habe er die Virtuosen gerechnet, fiir die er
schwere, oft ungewohnliche Sachen geschrieben; die dritte
Klasse habe die Musik bezahlen niiissen? damit er
von der Einnahme aus derselben bequem. und angenehm
habe leben konnen; in der vierten Klasse endlich seien
diejenigen gewesen? die er auf den Titeln als ,,Kenner
und Liebhaber" bezeichnet habe. Diese Klassificirung
moge man im Auge behalten, wenn man aus Bach's Ar-
beiten Resultate ziehen will, die fur die Kunstgeschichte
von Werth sein sollen.
Von den Arbeiten Bach's aus seiner fruheren Zeit
(in Frankfurt und Leipzig) ist nur Weniges bekannt. Es
mag gestattet sein? seines Erstlingswerkes fiir die Oeffent-
lichkeit, der im Jahre 1731, also in seinem 1-7. Lebens-
jahre von ihm selbst in Kupfer gestochenen Menuett mit
ubergeschlagenen Handen als einer Arbeit, welche mit
seinem kunstlerischen Charakter in keinem weiteren Zu-
samnienhange steht und etwa als ein gelungener Schiller-
i) Dialogen iiber musikal. Zeit-Gegenstande. Leipz. Allg. M.-Z,
Jahrgang 25. S. 90,
Biiter, Emanuel und Pnedemann Back. 4
— 50 —
versuch zu betrachten 1st, voriiborgekend Erwiihnung zu
thun. Er selbst nannte diese von D. Scarlatti vielfach
in Anwendung gebracktc Cornpositionsart spiiter 7?eine
natiirliche und damals sekr eingeris.sene Hexerei *)."
Den grosseren Theil seiner gleickzeitigon and sputeren
Clavier- Arbei ten, welche in die Leipziger Sehulzeit und
in die Frankfurter Studicnjahre fallen (von 1731 bis 1738)
hat er selbst spator uxngcarbeitet. Seine eigontlioke
Thatigkeit als Clavier-Componist begann in Berlin (1743
bis 1746) wo er? was er in seinen Studienjakren zn
Leipzig und Frankfurt a / 0. an Sonaten und Concor-
ten componirt katte; erneuerter Umarbeitung unterzog.
Von ihrer ersten Conception hat man nichts kennen
gelernt. Bach hat in einem Brief e an Fork el voni
10. Fcbruar 1775, der weiterhin mitgetlaeilt werden wird;
anerkannt, dass die nieisten seiner ungedruckten Clavier-
Compositionen??entweder sehralte oder leichte Sacken
fiirAnf anger" gewesen seien. Damit hat er wohl sagen
wollen, dass die sehr alten Sacken eben Anfangerarbeiten,
oder solcke gewesen seien, deren bleibender Werth von ihm
selbst fur zweifelkaft eracktet werden miisse. Die erste seiner
bekannt gewordenen Compositionen ans der Berliner
Periode ist eine Senate VOID Jakre 1739; gedruckt in dem
ersten Hefte der 7;musikaliscken Nobenstunden." Ihr folgte
aus dem Jahre 1740 eine Senate, gedruckt 1760 in der
3. Sammlung von Marpurg's Clavierstiicken. Diese Sonate
(D-dur 1) verdient sckon deskalb eine besondere Aufinerk-
samkeit, weil in ihr, als der zweitaltesten der bekannt gewor-
denen Clavier-Sonaten, die spatere Sonatenform Emanuel
Bach's vollstandig ausgeprkgt ist. Die Gedanken treten in
einer Freiheit und Ungezwungenheit auf, welche, wenn das
Jahr des Ursprungs nicht bekannt ware, leickt auf eine spa-
tere Zeit sckliessen lassen witrden. Nur an wenigen Stellen
kverrathen leise Andeutijngen die Alt-Bach'sche Schule.
Burney. Mus, Beisen III. S. 203,
— 51 —
Das Andante hat jene gesangvolle feine Melodik, welche
des Meisters beste Zeit kennzeichnet und im dritten Satz
zeigt sich der Humorist, der spater in den Clavier-Sachen
eine so bedeutende Rolle zu spielen besthnmt war; in seinen
Anfangen.
Die erste bedeuteridere Ai^beit, niit der Bach vor
die Oeffentlichkeit trat 7 war eine in grosser Zeit ge-
jschriebenc? niit einein grossen Namen verkniipfte Sonaten-
Sammlung, Iin Jahre 1740 , dein Jahre des Regierungs-
antritts Friedrich/s des Grrossen coinponirt, erschienen
1742 zuni Schlusse des ersten ruhnivollen Krieges in
Schlesien :
9>Sei Senate per Cembalo die aU Augusta Maesth
di Federico II. Re di Prussia D. D. D. Vautore Carlo
F Hippo Emamiele J3ach} Musico di Camera di S, M.
Alle spese di Saltliasar Sclimid in Norimberga."
Die cleutsche Sprache war, wie bekannt; nicht die
Sprache des Hoftons bei dem grossen Konige. Und so
sehen wir denn? dass EnianuelBach, ein Kiinstler von so
deutschem Urtypns? wie es nur je einen gegeben hat; seinena
Konige? ein em deutschen Fiirsten; sein Erstlingswerk in
der Sprache eines fremden Landes, desjenigen Landes iiber-
reichte? das zu jener Zeit fur die Musik als das gelobte
Land betrachtet wurde, Dem Werke war folgende Dedi-
cation vorangeschickt:
,,Sire.
El genio singolarissimo con cui la MaestkVostra
risguadar suole le musical! coinposizioni, unito alia
umilissima mia gloriosa servitu? nii obligano a presentare
con ossequio le present! Sonate a Vostra Mae>sta; per
1'unico fine che essendo questo dal debolissinio Talento
mio quivi ne' fortunati servigi di Vostra Maes t a state
composte; portassero un contrassegno sincerissimo di quel
vivo desiderio, per cui tuttora branierei di rendermi
sempre maggiorniamente capace d'essere trk quei che
Tonore godono di satisfare il fino gusto di si rinomato
— 52 ~
Monarcha con vantaggio annoverato. Degrrisi per tanto
1'Augusta Clemenza della Maestk Vostra di benigna-
mente qualunque elle sieno; accoglierle; montro con
il piu profondo rispetto d'Animo umile e rivcrente mi
pregio di protesharmi *)
Sire
Umilissimo; Devotissimo, Ossequissimo
Servo
Carlo Filippo Eroanuele Bach."
Wenn man das? was von dieser Dedication dem her-
gebrachten Curialstyl mid der nothwendigcn Form ange-
hort? abzieht, so bleibt ein Ausdruck von ehrerbietiger
Bewunderung fiir den grossen Fiirstcn iibrig, dem Ema-
nuel Bach die Erstliuge seiner Kunstblutlieii opferte, ein
Zeugniss, welches fur des Ktmstlers damals noch bcschei-
denen Sinn und fur des Kdnigs uberlegene Greistesgrdsse
gleich ehrend war. Leider weiss man? dass ini Laufe der
Zeit zwischen dem Letzteren und seinem Cembalisten eine
Entfremdung eingetreten ist; an der Bach wohl nicht ohne
Schuld war.
Die Sonaten selbst verleugnen die Spuren seines zu
jener Zeit noch unfertigen Styls nicht. Sie sind im Ver-
haltniss zu der D-dur-Sonate von 1740 ein Riickschritt.
!) Zu deutsch.
Der ganz besondere Qeist, mit welchem E. M. musikalische Ton-
•schopfungen zu betracliten pflegen an Verein mit meiner ebonso tiefen,
als fiir mich ruhmvollen Ergebenlieit, verpflichien mich, E. M. in
Ehrerbietung die vorliegenden Sonaten zu uberreichen. Ich habe
hierbei keinen anderen Zweck, als den, dass? da sie von uieinem
schwachen Talente in dem so glucklichen Dienste E. M. componirt
wozdensind, sie em aufnchtiges Zeugniss mcines lebhaften Verlaugens
ablegen sollen, vermoge dessen ich uberall darnach trachten mochte,
mich m immer boheren Grade wurdig zu erweisen, urn denen anzu-
gehbren, die sich der Ehre erfreuen, dem feinen Geschmacke eines
so ruhmvollen Monarchen mit crueutem Gliicke Geniige zu leisten.
Moge deshalb die erhabene Milde E. M. geruhen , sie gnadig anzu-
nehmen, wie sie auch beschaifen sein niogen.
Indem ich mit der tiefsten Ehrerbietung etc. etc.
Greschrieben in strengem, meist dreistimmigein Satze, sind
sie in den Motiven weniger bedeutend als man es yon
dem Sohne Sebastian Bach's erwarten sollte, dessen
Schule sonst deutlich erkennbar ist. Zwar finden sicli
iiberall Ziige geistvollster Behandhmg und zunial in den
langsamen Satzen eine Fiille gesangreicher Motive, die
schon hier die Haupt-Tendenz des Meisters nach gefuhl-
vollem Ausdruck beinerkbar werden lassen. Doch macht
sich aucli eine gewisse Breite der Beliandlung geltend, die
nicht uberall Interesse erregt.
Abweichend von dem sonstigen Style der Zeit, an
einzelne Wendungen an die Claviersachen seines Vaters
erinnernd, in gewissem Sinne in eine viel spatere Zeit
vorgreifend ist das sicli zweinial wiederholende Eecitativ
des Andante in der 1. Sonate:
Rccit.
dessen declamatorischer Charakter recht deutlich auf die
singende Art zuriickweist; die Bach bei seinen Clavier-
sachen, wie bei dem Clavierspiel uberhaupt als nothwendig
voraussetzte.
Das Adagio in Cis-moll in der 3. Sonate mit den in
dreistimmigem Satze nach Alt-Bach'scher Art sehr schon
durchgefiihrten Motiven verdient besondere Erwahmmg.
Die 5. Sonate (C-dur) war bei J. C. Westphal u. Com p.
unter dem Titel ?,C-dur-Sonate per il Cembalo Solo
— 54 —
von Johann Sebastian Bach" besonders herausgegeben,
und 1st vielfach fur cine Arbeit cles Valors gehalten
worden.
Im Q-anzon ist bei dor Beurtheilimg dicsor Samiulung
festzuhalten, dass Enianuel Bach, dauiala 2(5 Jalirc alt,
sich in einem Entwickelimgsstadio beiand, welches ihm
die voile Entfaltung seiner Erfindungsgabe in Melotlio und
Form noch nicht gestattete. Demnach sincl dicse Sonaton,
so hoch ihr kunstgeschichtliohe»s Intercsse EU schiiteen ist,
doch nicht denjenigen Arbeiten znzuzahlen , dercn Wesen
sich liber das Mveau dessen eraporhob, was in seiner
Zeit gut und bedeutend genaimt werden konntc.
Ungleich hoher, wenngleich noch in doinselbeu Gauge
der vaterlichen Gedankenfolge und Schule ^tchcn die,
1743 iin Druck erschienenen sogenanntcn Wiirteuibor-
gischen Sonaten:
Sei Senate per Cembalo dedicate })Alf Altezza Serc-
nissima di Carlo Eugenlo Due a di IVirteuAenj t> Tvckh,
Gonte di Montbeliard, S ignore dl Heidetihcim, Cavalier dvl
Tosou d'Oro, e Jlaresdallo dt Gampo supremo dell' inclito
Ctrcolo di Suevia etc. Composts da Carlo Filip^o Etna-nude
Back, MttSLco di Camera di S. M. il Ifr di Pnitwia etc. etc.
Opera II do. Alle sppse di Gloianiu Uh'Ico Ha (filer. In-
tagliatore in ramc e Virtuosi di Liitto fit, NoriinLercja."
Es scheint, dass die italienische Bprache in Berlin fiir
niusicalisehe Dedicationen unentbehrlich gehalten worden
sei. So ist in ihr auch die Zueignnng vorfiisst, mittclst
deren diese Sonaten an einen Fiirsten golnngen solltcn,
der bald genug in einem unriihmliehen Fcldiaugo gogen
Friedrich II. verwickelt, durch seme Kiimpie mit den
Wiirtembergischen Standen, durch die Einkorkerung Mo-
ser's auf clem Hohentwicl und Schubarth's auf deui
Plohenasperg und durch sein gttnzliches Verkennen der
gottlichen Funken, die die Natur in den grosson deutschen
Dichter aus dem Schwabenlande gelegt hatte, eine traurige
Beruhmtheit erlangen sollte, und der doch schliesslich in
— 55 —
der Liebe wie in der Erinnerung seines Volks durch einen
Schimmer von Popularitat verklart worden ist, wie er
selbst besseren Fiirsten selteii genug zu Theil wird.
??Altezza Serenissinia.
Le niie Senate di Camera nel comparir' in publico
coll7 Augustissimo Nome di V. A. S. mi prornettono due
grandi vantaggi; il primo clie le medesime appoggiate o
protette da si nobil sostegno, sperar ne possono un compia-
cimento commune; 1'altro chc dedicandole a V. A. 8.
faccio al mondo palese il gran rispetto che umilmente
le professo, e le devo in gratitudine de? nioltiplicati favori
compartitimi benignamente in tempo in cui ebbi 1'onore
di darle Lezzione di Musica in Beiiino. Anibi questi
vantaggi clie mi risultano nelF offerhie quest o tenue
tribute della mia piu ossequiosa osservanza, e clie mi
lusinge sark gradito dalP Alma generosa di V. A. S.
furono sempre sospirati dalla mia ambizione, ed ora
ringrazio la fortuna tanto a me propizia? che mi appresta
con tal mezzo Foccasioue opportuna, per dichiarar al
publico che sono e saro sempre colla maggior vene-
razione l)
di V, A. S.
Berlino. Umilissimo? Devotissimo Obligatissime
Servitore
Carlo Filippo Emanuele Bach.u
A) In deutscher Uebersetzting.
Indem meine Kammei-Sonaten ofiVntlich rnit deni durchlauchtig-
sten Namen E. D. H. erscheinen, versprechen sie mir zwei grosse
Vortheile. Der erste ist, dass ich, da sie von so holier Seite gehoben
und beschiitzt warden, fiir sie eiuen unwiirdigen Verlauf nicht fihch-
ten darf, der andere, dass, indem ich sie E. D. PL widmete, ieh der
Welt die hohe Achtung kund thue, zu der ich mich in Ehrerbietung
bekenne und die ich Ihnen in Dankbaikeit fur die zahlreichea Be-
weise von Gunst verschulde, welche Sie mir in gnadiger Weise zu
jener Zeit haben zu Theil werden lassen, als ich die Ehre hatte,
Ihnen in der Musik Unterricht zu geben. Diese beiden Vortheile,
welche mir entstehen, indem ich dieses schwache Opfer meiner ehr-
— 56 —
Aus dieser Zueigmmg erfahrt inan? was man ohnehin
schwerlich wissen wiirde, dass Emanuel Bach der Lchror
des darnals erst 15jahrigen Carl Eugen gewesen ist, der
bekanntlich einen Theil seiner Erziehung am Hofe Frie-
drich's II. genossen und sich noch in spkteren Jahren
den Ruf eines niclit unbedeutenden Olavierspielers bewahrt
hatte.
Von den 6 Sonaten, um die es sich hier handclt, sind
die 1. 2. und 4. nach deni Kataloge der Bach'schen Nach-
lassenschaft im Jahre 1742, die 3. 5. und 6. 1743 ent-
standen. Aus dern bereits erwithnten, iin Anhango I. ab-
gedruckten Briefe an Fork el vom 10. Februar 1775 ergiebt
sich; dass ,,6 Sonaten iin Toplitzer Bade von ihm;
der damals selir gichtbruchig war, auf einem
Clavichord niit der kurzen Octave verfertigt
sind.a Da nun unter den nach der Katalogangabe im
Jahre 1743 componirten Sonaten Stucke in B-dur und
H-nioll gewesen sind? und Bach in obigem Briefo
zweier Sonaten ,;aus dem H-moll und aus dein. B^
erwahnt? welche zu zwei anderen, damals an Forkel ge-
'sandten und J?2 Hafner Wurtembergischen" ziisammen-
gehort hatten und ;;die einzigen von dieser Art seien;
die er jemals geinacht?" da er ferner hinzuftlgt, dass
sie alle 6 in Teplitz entstanden seien? endlich unbestreitbar
ist? dass sie in Styl und Conception genau einem Stand-
punkt angehoren: so wird man wohl annehmen konnen?
dass alle 6 Sonaten 1743 componirt seien, auch wenn dies
mit dem Nachlasskatalog nicht genau iibereinstimmt.
Auch diese Sonaten zeigen in der contrapunktlschen
Behandlung des meist dreistimmigen Satzes, in seiner poly-
erbietigsten Gesinmmgen darbringe und von dem ich mir sclimeichle,
class ea von E. D. H. hohem Geiste gewiirdigt werden wird, habe
ich von jeher fur meinen Ehrgeiz ersehnt, und ich danke jetzt dem
Geschick, das mir in so giinstiger Weise diese ghickliche Gelegenheit
darbot, offentlich kund zu thun, dass ich in der grossten Ehrerbietang
bin und bleiben werde etc. etc.
__ 57 •
phonen Gestaltung und in der Verarbeitung und Ausnutzung
der Motive deutlich die Schule des damals noch lebenden
Vaters. Dagegen sind die Gedanken durchweg rnelo-
discher und einganglicher als in der Friedrich II. ge-
widraeten Samrnlung und von einem gewissermassen nxo-
dernen Charakter. Sie bilden in ihrer eigenthiiralichen
Mischung von Schule und Fortschritt ein sehr interessantes
Mittelglied zwischen dem alten und deni Style der spateren
Zeit.
Reichardt sagt von dieser wie von der vorhergehen-
den Sammlung:1) ?,Keine Instrumcntalmusik war bis dahin
erschienen, in welcher eine so reiche und doch wolil-
geordncte Harnaonie mit so edlem Gauge vereinigt, so viel
Schonheit und Anordnung bei solcher originellen Bauart
herrschte, als in den ersten beiden in Niirnberg gestoche-
nen Sonaten - Werken und den ersten Concerten dieses
Meisters; denen die folgenden conventionelleren, so schon,
so reicHialtig? so original sie auch immer sein niogen? nur
in einzelnen Satzen gleichkommen." Weist Reichardt so-
mit beiden Sammlungen eine sehr hohe Stufe an? so ver-
kennt er doch? dass wenn Emanuel Bach auf dem
hier eingeschlagenen Wege geblieben ware, er im Wesent-
lichen nur den alten Styl weiter cultivirt haben und in
etwa dieselbe Stellung zur Kunst eiugetreten sein wiirde,
die die Nachwelt seinem weniger gliicklichen Bruder
Friedemann zuerkennen muss. In jedem Falle gehoren
diese Sonaten in der eigenthtimlichen Art ihrer Erschei-
nung; wenn sie auch in gewissem Sinne altmodisch ge-
kleidet sind? zu den merkwiirdigsten Arbeiten; die das
vorige Jahrhundert fur das Clavier hervorgebracht hat.
Der Spieler, dem es auf reiche Gedanken, geniale Zuge
und auf eine Fiille feiner Combiriationen und harmonischen
Reichthums ankoninit, wird sich ihnen mit wahrhaftem
Genuss hingeben.
i) Musik. Almanach von 1796.
— 58 —
Diesen beiden Sonaten-Werken schliessen sicli in dor
Reihfolge der Veroffentlichung zunachst an:
2 Concerti per il Cembalo Concertato accompagnato da
2 Violmij Violettu & Basso,
bei B. Schmidt in Niiriiborg im Druck crschionoii, das
erste in D-dur Allabr., das ssweite in B-dur */4. Beido
Concerte, in den Jahren 1743 und 1749 entstandcu !), be-
wegen sich in clem grossen Concertstyl, den Bach bei
alien seinen derartigen Arbciten in Anwendung gcbracht
hat. Man findet in iliuen nicht die Gelogenheit zu sehim-
merndem Virtuosentlmua, sondevn zu kilns tier is cher Gcl-
tendmaclmng dcr Gcgensiitzc sswischen dcm Clavier und
dera Orchester, das tiberall mit dcm Solo - Instrument or-
ganisch verwachsen ist. Vollcr Leben, Geist und Feuer,
entwickelt sich in ilirer thematischen Beliandlung, wie in
der Erfindung der Motive und der grossartigen Behand-
lung des Stoffen eino Vollendung, welche den Meister er-
kennen lasst und "von dem bedeutsainen Fortschritt gegen-
tiber den vorangegangenen Arbeiten ahnlicher Art Zeugniss
giebt.
Dass Bach's Styl aber auch zu jener Zeit noch
schwankend und unfertig war, bezeugen ferner drei Arbeiten
aus dem Jahro 1744; von denen die eine; eine Sonate in
F-moll, die spaterhin bei Golegcnhoit des Musik. A Her lei
besprochen werden wird, obschon seinen allerbesten Clavier-
stiicken angeliorend, doch entschieden den alteren Styl
zeigt? wahrend zwei Sonaten aus demsolben Jahre, in den
Oeuvres m^!6es abgeclruckt, sich jener Auifassung zuneigen,
die seinen spateren Arbeiten eigen ist. Von diesen kann
die Sonate in D-inoll V4 P. III., in Bezug auf geniale
Behandlung, auf Freiheit der Bewegung und in dem letzten
Satze wegen der aphoristischen Kuhnheit, mit welohei''
i) Bach selbst in seiner Biographic (Buruey a. il. 0, III. S. 203)
giebt die Jahre der Entstehung* auf reap, 1745 und 1752 an. Obige
Angabe ist dem Nachlasskatalog eutnommen. Es kann fiiglich dahin
gestellt bleiben, welche Bezeichnung die richtigcre sei.
— 59 —
durch dazwischengeworfene Fennaten der Gredanke abge-
brochen und wiederangekniipft wird, seinen besten Ar-
beiten zugezahlt werden, wahrend in der Senate P. IV.
No. II. aus E-dur die voile Kraft und Grrosse seines
spateren Sty Is , in deni reizenden Audantino (E-inoll 2/4)
aber die ausdrucks voile Cantilene vorherrscht, in der Bach,
zu seiner Zeit imerreicbt, fur spatore Zeiten ein Muster
geblieben ist.
Dieser bedeutungsvollen Anlaufe ungeachtet aber war
selbst in viel spateren Jahren sein Styl noch nicht in sich
abgeklart und feat. Dies zeigt sicli in den:
»Zioey Trio, das erste far zwo Viollnen wid Bass, das
zweyte fur 1 Querjtdte, i Violin? and Bass, lei welclien
leyden aber die eine von den Oberst tinmen aucli auf dem
Flugel gesjiielet werden kann, verferfiyet und Sr. Erlaudit
dem Hocfigebohrnen Or of en und Herrn, Herrn Willielin
des Heiligen Romisclien Reichs, wie ancli regierenden Graf en
von Scfyauniburg , Graf en and edlett Herni zur Lippe und
Sternberg etc. in Unterthanigkeit zngeeignet."
Diese Trii7 in Ntirnberg bei Schmidt (ohne Angabe
des Jabres) gedruckt, waren das erste im Jahre 1749, das
zweite 1748 gesetzt und tragen in Inhalt und Form den
vollstandigen Gharakter des alten Styls an sich, wie er in
der Verktimmerung der contrapunktischen Ueberreste aus
der Vorzeit mit Zopf und Perrucke einherschritt. "Wenn-
gleicb zunachst fur die bezeichneten Instrumente gesetzt,
ist die Composition doch so beschaffen, dass man sie? zu-
mal wenn der Spieler des Accompagnements maehtig ist,
am Clavier spielen kann. Es ist daher kein Bedenken
getragen worden, sie unter den hieker gehorigen Arbeiten
mit zu besprechen.
Wie Bach dazu gekomuien? dem beriilimten; wie We-
nige ausgezeichneten Manne und grossen Feldherrn gerade
eine solche Arbeit zu widmen? wird schwer ermittelt wer-
den konnen. Es ist wahrscheinlich ; dass er den Grafen
Wilhe'hn von Schaumburg-Lippe am Hole Fried-
— t)U —
richs des Grossen begegnet ist? wohin dersclbe sich
nach dem Tode seines Vaters iin Jahre 1748 Ibcgcbon
hatte, um dem Konige dcssen schwarzen Adlor-Orden zu
ftberbringon und das fur den Soldaten jener Zeit ersteLand
der Welt in seinem Oentralpunkto und in dor Person des
grossen Konigs kennen zu lernen. Dor Graf war in alien
Wissenschaften liocli gebildot, in der Musik sohr unter-
richtet und hat spater in dom Engagement Christ op h
Friedrich Bach's zu soincm Oonecrtmeistcr soin Intoresse
ffir die Kunst bcthatigt. Violleichl dass durch seinon da-
inaligen Aufenthalt in Berlin Voranlassung zu diesor Zueig-
gting gegobon worden sein mag, wie wohl der Inhalt des
Works dem Ernste und der Grosse des M'annes kaum zu
entsprechen scbeint; dem es gewidmet war.
Demselben 1st keine Dedication 3 wohl aber folgender
umstandlicher Vorbericht vorangedruckt:
,,In dem ersten Trio hat man versuchet, durch Instru-
mente etwas? so viel als inoglich ist, auszudriicken, wozu
man sonst viel bequemer die Singstimme und Worte braucht.
Es soil gleichsam ein Gresprach awischen einen Sanguineus
und Melancholicus vorstellen, welche in dem ganzen ersten
und nahezu bis ai/s Ende des zweiten Satzcs mit oinander
streiten, und sich berniihen, einer den andern auf seine
Seite zu ziehen; bis sie sich am Ende des zweiten Satzes
vergleichen, indem der Melancholicus endlich nachgiebt
und des andern semen Hauptsatz annhnmt."
;7Im letzten Satze sind und bleiben sie auch vollkom-
men einig; wobei man aber aumerken kann, dass der Me-
lancholicus den Anfang durch einen zwar ziemlich aumte-
ren und einigermassen tandelnden, doch aber auch dabei
mit etwas mattem vermischten? und iiberhaupt in etwas
pathetischen Hauptsatz macht: bei dessen Ende sich ein
kleiner Anfall von Traurigkeit zwar zeigen will; welcher
aber sogleich nach einem mit Fleiss gesetzten kleinon
Stillstand durch ein paar lebhafte Triolen vertrieben wird.
Der Sanguineus, welcher des Andern sein Nachgeben billig
— 61 —
findet, folgt in diesern letzten Satze, auch bei denen etwas
inatten Stellen, aus Hi>f lichkeit bestandig nach, und beide
befestigen Hire Freundschaft, indein alles? was der eine
inacht, auch sogar bis zur Verwechselung, nachgemacht
wird."
,,Um das Zeitmass im ersten Satze dieses Trio recht
zu treffen, belie be man zu bemerken, dass bei dem Presto
ein Takt ebenso gespielt werden inuss als bei dem Alle-
gretto eine Triole von drei Achteltheilen gespielt werden
wiirde; und dass folglich ein ganzer Tact im Presto
nicht mehr Zeit emnimmt, als bei dem Allegretto ein
Viertheil."
7;Man wird wohlthun, wenn man dieses erste Trio
ohne Zusatz aller willkiirlichen Auszierungen , so wie es
geschrieben ist; spielt. Und wenn man zwo Stimmen da-
von auf dem Clavier an.sli.ben will? wird es gute Wirkung
thun? wenn man? theils um die unterschiedenen Ausdrucke,
mit und ohne Dampfer, bei dem Melancholicus beizubehal-
ten? theils der vielen Haltungen wegen? welche auf dem
Flligel oder Clavichord nicht so; wie es sein soll; gehoret
werden konnen, sich gefallen lasst, die oberste Stimrne
nebst dem Bass zu spielen. Diese kleine Unbequemlich-
keit fallt bei dem zweiten Trio weg; indem man allda die
zwo untersten Linien vor dem Clavier brauchen kann."
3?Man verbittet zuna Voraus alle Spottereien; wenn man
fur nothig findet? denenjenigen? welche noch nicht genug-
sarae Einsicht in die musikalischen Ausdrucke besitzen,
zu gefallen ; einige Anmerkungen uber alle vorkommen-
den Hauptstellen der ersten zwei Satze dieses Trio's hin-
zuzufiigen."
J?Weil man durch diese Buchstaben, so die Ausdrucke
bemerken, wider Willen von einigen Arten eine Zweideu-
tigkeit konnte verursachet haben; so bittet man diejenigen;
welche dieses erste Trio spielen wollen, solches zuvor nach
Anweisung des Vorberichts und der darinnen befindlichen
Buchstaben; durchzusehen.
a. Bedeutet wegen des halben Sclilnsses in die Quinte
eine Frage, ob der Sanguineus mit clem Melancho-
licus hierin einig sey? Jener aber giebt
b. durch die Verschiedenheit des Zeitmasses sowohl,
als durch den ganzen Inlialt die Antwort, und
nacli eben dem, durch den Anfang in cineni ganz
anderen Takt? dcutlich genug zu erkeixnon, dass
er ganz anderen Shines sei.
c. Hier verlicrt der Sanguincus mit Fleiss etwas von
seiner Munterkeit, um den Mclaneholicus desto
eher zu locken; welcher aber in der Folge hier-
innen die Gelegenheit lindet? mitten in seiner an-
scheinenden Bekehrung wieder in seine alte Schwer-
muth zu verfallen.
d. Hier ist wieder cine Frage durch die Quinte, wo-
bei man durch eine klcine General-Pause den an-
dern gleichsam hat ermuntern mussen, auf diesen
ihm unangcnehnien ganzen Inhalt und die vorge-
legte Frage YAI antworten.
e. Der Sanguineus fallt dem. andern? welcher bei sei-
ner Meinung bleibt, aus Ungeduld in's Wort und
wiederholet den Satz.
f. Der Sanguineus bricht hier fragend ab; ob der
andre das noch iehlendc fortsetzon wolle?
g. Welcher aber anstatt dessen aus seinem Hauptsatze
ein Stttck unterschiebt."
Es wiirde zu weit fiihren; wollte man alle speciellen
Detail - Erklarungen iiber den Verlauf dioser sonder-
baren Unterhaltung verfolgen. Fitr den vorliegenden
Zweck wird es geniigen, wenn man erfahrt, dass diese
Erklarungen in gleichcr Weise nicht bloss durch das ganze
ABC, sondern in dern verdoppelten ABO noch bis zu dem
Buchstaben xx fortgesetzt werden, und im Ganzen nicht
weniger als 42 Punkte umfassen. Bach hat, wie der Ein-
gang des Vorberichts erweist, sehr wohl das Bedenkliche
solcher Instrumentalschilderungen gefuhlt, welche sioh
~ 63 —
?,durch Wort und Gesang so viel bequemer er-
reichen las sen." Dass er den grossen Aufwand von
Verdeutlichung, in dem er sich, selbst auf die Gefahr von
Spottereien hiii, ergelit? fiir nothig hielt, zeigt nur, wie
wenig er selbst glaubtc, sich durch die Musik verstand-
lich gemacht zu haben. Dieser Aufwand von Mitteln und
Erklarungen stand jedenfalls ausser alleru Verhaltniss zu
dem sehr untergeordneten kunstlerischen Zwec-k, der damit
erreicht werden sollte, und der kaum ein Kunststdck, ge-
schweige ein Kuustwerk za Stande zu bringen vermocht
hat. Der Zopf und eine gewisse pedantische Steifheit sind
unverkennbar. Doch ist nicht in Abrede zu stellen? dass
sich der beabsichtigte Ausdruck, wenn man ihn einmal
zugeben will? an der Hand des Vorberichts hinreichend
verfolgen lasst.
Aehnlich wie bei dem ersten Satze verlauft das Adagio.
Der letzte Satz geht in keeker und munterer Bewegung
lustig vorwarts. Die beiden Hauptstimmen correspondiren
mit einander in Nachahmung ; Umkehrung und Ver-
schmelzung und erschdpfen die Motive in acht Bach'scher
Weise vollstandig? bis sie sich gegen den Schluss hin zu
Terzengangen vereinen.
Das Ganze inacht einen launigen Eindruck und konnte?
wenn es nicht rait so viel Pathos in die Welt eingeftihrt
worden ware., als ein anspruchsloser musikalischer Scherz
im Roccoco-Costiim gelten. Das zweite Trio, in Styl und
Schreibart dem vorigen ahnlich? ist doch mehr allge-
mein gehalten und erfordert keine so subjective pro-
grammartige Auffassung. Es wird in seiner Art mit
Interesse gespielt und gehort werden. Die init einander
concertirenden Instrinaente halten sich von allem Virtuosen-
haften fern.
Beide Trii gehoren in vollstem Maasse der alten contra-
punk tischen Schule an, in der Bach erzogen worden war,
von der aber sich loszulosen ihm bald gelingea sollte.
Auf die VeroifentlichiiDg der vorstehend besprochen^n
_ 64 —
Arbeiten folgt cine Reihe von Jahren, in dencn cr seine
Clavier-Stiioke fast nur in den dainals beliebten Saminel-
werken; insbesondere in Wewer's Tonstucken, den
Oeuvres M£l£es, dexn niusikalischen Manclicrlei und
Allerlei, der Collection recreative, in Marpurg's
raccolta und in dessen Glavierstuckon vcreinzelt er-
scheinen Hess.
Unter diesen Arbeiten findet man Stiicke von iiber-
raschender Schdnheit. Besondere Erwahnung erfordcrn
die Glavierfugen ; dereu Bach im Jalire 1750 sechs ge-
schrieben, von denen die in W ewer's 17G2 erschienene
und 1774 zuin zweiten Male in den Tonstticken fiir's
Clavier von Herrn Carl Philip Emanuel Bach und
anderen classischen Componisten (Handel, JStichelnaann,
Kirnberger) neben ciner Sonate in F-dur 3/4* (vona Jahre
1748) abgedruckte:
I
Allegro. tr ^L _J- j-- -©'- ^-^
____ I
unstreitig eines seiner interessantesten Clavierstiicke ist.
Hier ist der streng contrapunktische Satz init einer solchen
durchsichtigen Klarheit und mit so gefalliger Klangwir-
kung in Anwendung gebracht, wie dies bei derartigen
Arbeiten gewiss zu den grossen Seltenheiten gehort.
Bedeutender noch in Hinsicht der strengen Durch-
fiihrung sind die beiden grossen in dem 1. und 2. Heft der
Mar pur g' schen Clavierstiicke (1762) veroffentlichtenFugen?
welche von dem Herausgeber in den Vorreden mit Grenauig-
keit analysirt sind. In ihnen finden sich die kunstlichsten Ver-
bindungen der Motive, die Zergliederungen per diminutionem?
niotu recto et contrario, die Zusarnmensetzungen in canoni-
scher Weise? die Vergrosserungen, Umkehrungen; Nachah-
mungen, kurz alles, was im einfachen und doppelten Contra-
punkt und in gelehrter und strenger Satzart geleistet
werden konnte? im ausdehntesten Masse angewendet.
65
Von den drei anderen Fugen zeichnet sich die in
D-inoll ebenso durch das interessante Anfangsmotiv, als
auch durch die graziose Behandlung desselben aus:
In strengerem Style gcschrieben ist die Fuge aus
Q--moll init dera Anfange:
Weniger bedeutend ist die sechste Fuge, welche in
den ?;Clavierstiicken verschiedner Art" abgedruckt ist.
Eine ziemliche Anzahl kleinerer Clavierstucke erschien
in Marpurg's im Jahre 1756 veroffentlichten Raccolta
(1. Sammlung), namlich:
Eine Sonate in D-dur 4/A rait selir inelodiosen Motiven,
ungewohalich kurzern Zwischensatz und einem Schluss-
satz von rnassigem Werthe;
Eine Sonate in D-moll 2/47 offenbar einer fruheren
Periode Bach's angehorig, eine der schwachsten Arbeiten?
die von ihm bekaunt sind;
Die bereits erwahnte Fuge in A-dur;
Ein Rondeau mit 3 Couplets (A-moll 6/8) und einem
2 ten Theil, gleichfalls ohne Zweifel eine Jugendarbeit,
in der besonders der 2te Theil unbedeutend ist;
Ein Allegro j das kurz, aber von sehr anziehendem
Charakter das Hauptmotiv des schonen Es-dur-Rondo
der ??6. Saminlung fiir Kenner und Liebhaber"
£55.
i
*-Jp ^-Y^.5-13 ^ TT f I
enthalt.
Bitter, Emauuel
Friedemann
~ 66 -
Erne Polonaise und eine Menuett;
Ein Allegretto (F-dur 2/4) von sehr geringem Werth
und endlich
Eine Polonaise mit demNainen;)l'Auguste" bezeichnet.
In seinen Verzeichnissen findet sicli von diesen Stiicken
nur eine Sonate vom Jalire 1752 angegebcn, so dass es
den Anschein hat, als ob or solbst auf die ubrigen, denen
in der Sammlung sein Name nicht beigedruckt war, keinen
besonderen Werth gelegt habe. Hicrin wiirde er vollkommen
ira Kechte gewesen sein.
Hohere Aufmerksamkeit nohmen die im Jahro 1760
von ihm veroffentlichten:
jjSecJis Sonaten fur's Clavier, mit verdnderten Re~
prisen, Hirer Ko nig lichen So he it der Prinzes sin
Amalia von Preussen unterth&nigst zugeeignet."
in Anspruch. Den drei Mannern, wclehen Bach bisher
seine iin Brack erschienenen Sarmnlungen gewidtaet und
cleren Jeder in seiner Art eine besondere Bedeutung er-
langt hatte, tritt hier eine Furstm hinzu, welche zu der
Kiinstlergeschichte des vorigen Jahrhunderts eine nicht
wenig bedeutende Stellimg eingenoinDien hat x). Schiilerin
Kirnberger's im Contrapunkt, componirte sie in deni
strcngen Style ihres Lehrers, war dabei eine vorzugliche
Clavierspielerin und hielt bis an das Ende ihres Lebens
an den Grrundaatzen, dem Wesen und den Eigenthiimlich-
keiten der alten Schule der Contrapunktisten rait einer
Beharrlichkeit fest, welche von Schroffheit wenig entfernt
war2). Als Bach ihr diese Sonaten widrnete; (cs war in
!) Amalia Anna, Prinzessin von Preussen, Sch wester Frie-
drich's des G-rossen, geb. am 9. November 1723, starb zu Beilin
am 30. Marz 1787.
2) Die K Bibliothek zu Berlin enthalt hieriiber aus der Feder
des Kapellm Schulz einige Mittheilungen der eigenthiimliehsten Art.
In einem Briefe an Cramer fuhrt er an, die Punzessin habe ihni in
Bezug auf eine Subscriptions-Anzeige geschriebon: ,,Ich verbitte mir
sehr, meinen Namen unter ein Werk zu setzen, auf welches ich nie
— 67 —
der trubsten Zeit des siebenjahrigen Krieges) stand die
Prinzessin in der vollen Kraft ihrer Jahre. Sie war, wie
die Dedication mit Eecht sagt? eine Prau von ,?erleucli-
teten und vollkommenen Einsic]iten in das Wesen
der Musik."
Die Widmung lautet folgendermassen:
,,Hochwiirdigste, Durchlauchtigste Prinzessin , Grna-
digste Furstin, Abbatessin und Frau.
3?Ich nehrne mir die Freyheit, Ew. Konigl. Hoheit
einige neue Clavierversuche unterthknigst zu tiberreiclien.
Der huldreiche Beyfall, welchen Hochstdieselben meinen
vorigen Bernuhungeii jederzeit zu ertheilen geruhet haben?
lasst mich auch fur die gegenwartigen die gnadigste
Aufnahme hoffen.
Wie sehr wtinschte ich irn Stande zu seyn? Ew.
Konigl. Hoheit erleuchtete und vollkomrnene Einsichten
in die Grundsatze der Music? und den hohen Schutz?
unterzeichnen werde, und zwar aus dem Grunde, weil die jetzige
Musik keine Musik 1st."
Ausserdem befindet sich dort in Abschrift von Schulz und*
geschrieben in Bezug auf dessen Musik zur At h alia folgender
merkwiirdige , vielleicht sonst schon friiher veroffentlichte Brief:
7,Icn stelle Mir vor, Herr Schulz! dass er sich vcrsehen und statt
seiner Arbeit Mir das musikalische Notengeklackere seines Kindes ge-
schickt hat-, dieweil Ich nicht die allergeringste wissenschaftliche Kunst
darin bemerke, hingegen vom Anfang bis zu Eude durchgangig' fehler-
haft, sowohl in dem Ausdruck, Sinn und Verstand der Sprache, als
auch in dem Ritinus ; der Modus contrarius ganz hintenangesetzet, keine
Harnioiiie, kein Gesang, die Terze ausgelassen, kein Ton festgesetzt,
man muss rathen, -aus welchem es gehen soli, keine canonische Nach-
ahmungen, nicht den allermindesten Contrapunkt, lauter Quinten und
Oetaven, und das soil Musik heissen? Gott wolle Diejenigen, welche
eine so heftige Einbildungskraft von sich besitzen, die Augen offnen,
den Verstand erlautern und erkennen lehren, dass sie nur Stumper
und Fuscher sind. Ich habe horen sagen, dass das Werk den Meister
rlihmen miisse, aber anitzt ist Alles verkehrt und verworren, die
Meister sind die einzigen, die sich loben, wenn auch ihre Werke
stinken. Hiernit genug.
. -Berlin, den 31. Janner 1785, Araelie.
5*
-. 68 -
welchen Sie derselben angedeihen lassen, bey dieser
Gelegenheit wurdig zu erheben! Abor wiirdc ich inich
unterstehen durfen, zu riihinen, was sich die Musen
selbst zu besingen vorbehalten haben?
Ich bin mit deni tiofsten Respect
Ew. Konigl. Holieit
unterthanigst gohorsainer Diener
Bach."
Berlin, den 1. September 1759.
Das Werk ist durch folgende Vorrede eingeleitet:
?7Das Veriindern beyni Wiederholen ist hcut zu Tage
unentbehrlich. Man erwartet solchos VOB jedem Ansfuhrer.
Einer meiner Freunde giebt sich alle mogliche Miiho, ein
Sttickj so wie es gesctzt ist, rein und den Regeln des
guten Vortrags geniass herauszubringen. Sollte man. ihm
wo hi den Beyfall versagen konncn? Ein anderer, oft aus
Noth gedrungen, ersetzt durch seine Kiihnheit im Ver-
andern das, was ihni ani Ausdruck der vorgeschriebenen
Noten fehlet. Nichtsdestoweniger erhebt ihn das Publikum
vor jenena. Man will beynahe jeden Gedanken in der
Wiederholung verandert wissen, ohne allezeit zu unter-
suchen; ob solches die Einrichtung des Stiicks und die
Fahigkeit des Ausfiihrers erlaubt?
7?Blos dieses Verandern, wenn es zunial xnit einer
langen und zuweilen gar zu sonderbar verzierten Cadenz
begleitet ist, presst oft den ineisten Zuhorern das Bravo
aus. Was entsteht nicht daher fur ein Missbrauch dieser
zwo wirklichen Zierden der Ausfiihrung! Man hat nicht
mehr die Gedult, beyni erstenmahle die vorgeschriebenen
Noten zu spielen; das zu lange Ausbleiben des Bravo
wird unertraglich. Oft sind diese unzeitigen Verandei^ungen
wider den Satz; wider den Affect und wider das Verhalt-
niss der Gedanken unter sich; eine nnangenehme Sache
fiir manchen Componisten. Gesetzt aber? der Ausfiihrer
hat alle nothigen Eigenschaften, ein Stuck, so wie es seyn
— 69 —
soil, zu verandern: 1st er auch allezeit dazu aufgelegt?
Ereignen sich nicht bey unbekannten Sachen desswegen
neue Schwierigkeiten? 1st niclit die Hauptsache beym Ver-
andern diese: dass der Ausfuhrer sich und zugleich dem
Stiicke Ehre mache ? Muss er nicht folglich beyni zweyten
mahle eben so gate Gredanken vorbringen? Jedoch dieser
Schwierigkeiten und des Missbrauchs ohnerachtet behalten
die guten Veranderungen allezeit ihren Werth. Ich be-
ziehe mich ubrigens auf das, was ich ain Ende des erst en
Theils meines Versuchs hievon angefuhrt habe.
,,Bey Verfertigung dieser Sonaten habe ich vornehm-
lich an Anfanger und solche Liebhaber gedacht, die wegen
gewisser Jahre oder andrer Verrichtungen nicht mehr Ge-
duld und Zeit genug haben, sich besonders stark zu uben.
Ich habe ihnen bey der Leichtigkeit zugleich auf eine be-
queme Weise das Vergntigen verschaffen wollen, sich mit
Veranderungen horen zu lassen, ohne dass sie nothig haben?
solche entweder selbst zu erfinden, oder sich von anderen
vorschreiben zu lassen und sie mit vieler Muhe auswendig
zu lernen. Endlich habe ich alles, was zuin guten Vor-
trag gehoret, ausdrttcklich angedeutet; damit man diese
Stttcke, allenfalls auch bey einer nicht gar zu guten Dis-
position, mit aller Freyheit spielen konne.
??Ich freue mich? meines Wissens der erste zu seyn?
der auf diese Art fur den Nutzen und das Vergmigen
seiner Gronner und Freunde gearbeitet hat. "Wie giiicklich
bin ich, wenn man die besondere Lebhaftigkeit meiner
Dienstbeflissenheit hieraus erkennt.
Berlin, im Monat Julius 1759.
G. P. E. Bach."
In diesem nach mehr als einer Seite hin bemerkens-
werthen Schriftstiick findet man den Verfasser vor allem
auf dem Standpunkt, der dem Kiinstler ziemt und von
dem aus der Versuch iiber die wahre Art des Clavier-
spiels geschrieben ist. Ihm steht die Einheit der Gedanken,
ikr richti^es Verhaltniss zu einander hoher ak die Kulm-
70 •
heit iin Verandcrn, die sich auf Koston des Ausdrucks
geltend macht, als die sonderbaron Verzicrungen einer
Cadenz, die nur um des Beifalls willen geschaffen worden
1st, holier als das Jagon mid Haschen nach dem Bravo
des Zuhorerkreises. Man ersieht aber auch aus dieser Vor-
rede, was fur die Beurtlieilung der Clavier tcchnik des
vorigen Jahrhunderts von Bedeutung ist; dass
1. bei den Wiederholungcn das Verandern und Ver-
zieren fur ebenso unentbehiiich gehalten und von
dern Publikum erwartet und verlangt wurde? wie
dies bei den Wiederholungen der Arien der Fall
gewesen 1st;
2. dass ein gleich hoher Worth anf die Einflechtung
langer; mit Ausschmuckungen reichlich vei'sehener
Cadenzen gelegt wurde;
3. dass die Claviervortragc stark geiibt zu werden
pflegten, womit die Vorbereitung auf das Ver-
andern und Verzieren sowie auf die Cadenzen vcr-
bunden worden sein wird;
4. dass das Jagen nach dem Beifall des Publikums
nicht erst ein Product der neueren Zeit ist.
Dass gleichzeitig mit der deutschen Ausgabe ein zweiter
Abdruck mit franzosisch geschriebener Vorrede erfolgen
musste, ist nebenbei ein Zeichen; dass der deutsche Kunstler,
dessen Arbeiten schwerlich bis Frankreich vordrangen; nicht
hatte hoffen durfen; in seinem Vaterlande in der Mutter-
sprache von Allen verstanden oder tnindestens geschatzt zu
werden,
In jedem Falle hat man in dem vorliegenden Werke
den Versuch eines Kampfes gegen den Ungeschmack und
die Vordringlichkeit schlechter Virtuosen zu erkennen?
dessen Aufnahme einem Manne von der kiinstlerischen
Bedeutung Bach's nicht hoch genug angerochnet werden
kann. Da diese Sonaten Sir ;?Anfanger und solche
Liebhaber^ gesetzt waren; 7?denen es an Greduld und
Zeit zur Uebung und zum Studium fehlte/' so ist
.. 71
" 4 JL *—
ihre Spielart auch im Ganzen leicht. Hie and da begegnet
man in ihnen dem eigenthiimlichen Stempel ihrer Zeit Die
Wiederholungen sind mit grossem Geschmack verandert,
ohne dass sie sich von dem Styl und Charakter der Ton-
stucke entfernten. Fur den Ausdruck fordern sie grossere
Reife und sorgsauaere Ausfuhrung, als es bei bloss fliichtiger
Betrachtung den Anschein hat. Man sieht deutlich? dass
Bach ftir seine Clavierstiicke; selbst wenn sie far Anfanger
(in seinem Sinne) geschrieben waren, Stadium und reife
Ueberlegung vorausgesetzt hat. Edle Melodie? Einheit der
Gedanken, Eleganz und harmonische Meisterschaft sind
hier, wie in alien Bach'schen Claviers tucken, in reicheni
Maasse niedergelegt. Von den Fesseln der Schule hat er
sich nahezu vollig freigemacht. So beginnt er mit dieser
Sammlung den praktischen Theil der Entwickelungsperiode
fur die Claviermusik, der en Schopfer er war. Niemand
wird Stiicke wie die 3te Senate in A-moll, die 4te in
D-moll, die geistvolle und reizende Menuett der 5ten
Sonate oder die 6te Sonate anders als mit vollster Befrie-
digung spielen, wenngleich den langsamen Satzen nicht
iiberall jene Breite der Gedanken innewohnt^ die gerade
Her so wirkungsvoll hatte sein kounen. Um diese Stiicke in-
dess so; wie sie gedacht sind, zur Erscheinung zu bringen, 1st
deren harmonische Ausfullung unerlasslich. Ohne eine
dieser Anforderung entsprechende Bearbeitung wird ihre
Benutzung in heutiger Zeit nur dem Musiker und durch-
gebildeten Kenner vorbehalten bleiben.
Diese Betrachtung fuhrt zu der Erorterung eines
Punktes, der sehr verschiedenartigen Auffassungen unter-
liegt. Derselbe ist wichtig genug, urn nicht mit Still-
schweigen ubergangen zu werden1). Streng genommen
i) Eine wesentliclie Mitveranlassung zar Erorterung dieser Frage
hat fiir den Verfasscr die folgende Bemerkung gegeben, welche in
der so vorziiglichen Vorrede zu der neuen Baumgart-Leuckart'schen
Ausgabe ,,der Sonaten fiir Kenner und Liebhaber" (S. 4) niederge-
legt ist: ,,Wir haben alle harmonische Ausfullung vermieden, die von
hatte Bach in die Vorredo zu diesen Sonateti folgonden
Satz einftigen sollen: ,,Dic harmonische Ausfiillung
derjenigen Stellon, in dcncn die Accorde nicht
angegeben sind, die aber gleichwolil bei der ein~
fachen Ausftihrung der geschriebenen Noton zu
leer klingen wiirden? ist Saclie des Spielers." Er
hat diesen Satz nicht aufgenommen, weil er dessen Inhalt
offenbar fiir selbstverstandlich gehalten hat.
Es ist bekannt? dass die alten Contrapunktiston, deren
Schule Bach entsprossen war, sich keineswcgs mit der
mageren und diinnen Begleitung begntigt haben, die man
hie und da in der Instrumentirung ihrer Tonstiicke findet.
Sie verlangten vielmehr iiberall eine sehr voile Harmonie,
welche nach der besonderen Sitte der Zeit durch die be-
gleitenden Ins train ente am Clavier oder durch die Orgel
geleistet wurde. Nun handelt es sich keineswcgs um irgend
eine Veranderung in der Composition, um Einfugung selbst-
standiger Mittelstimmen, um ein harmonisches Gewebe, das
im Stande ware, den klaren Gang der Melodie und der
sich an sie kniipfenden Gedanken zu unterbrechen oder
zu verdecken, sondern lediglich um eine begleitende
Harmonie-Ausfiillung, welche die zwischen Melodie
und Bass so oft bemerkbar werdende Leere deck en soil.
manchen an die orchestrale Fulle der Clavierbehandlung Gewohnten
voraussichtlich sehr vermisst werdenwird. Wo Bach — nach seiner
Weise — massenhaftes Accordwesen haben will, hat er es Mnge-
schrieben; wo es nicht steht, will er es auch nicht haben. Grossen-
theils sind diese Compositionen wie Duette anzusehen, fiir cine melo-
diefiihrende und eine begleitende Stimme; drei- und mehrstiinmige
Behandlung wird haufig genug gebraucht, wo der Gedanke sie zu
verlangen schien. Die Einfachheit ist Absicht so gut wie die Voll-
stimmigkeit. Unsre weit fortgeschrittene Technik hisst tins allerdings
Vieles ungehindert auch bei grosserer Harmonienfulle herausbringen,
was damals schwer, ja unmoglich war; aber wir mtissen, wenn wir
aus der Geschichte lernen wollen, die geschichtlichen Erscheinungen
nehmen wie sie sind, nicht wie wir sie heute wiinschen. So war
auch Bach nicht zu arrangiren, sondern in seiner Art durchaus zu
belassen.
— 73 -,
Man kann hierbei sehr wohl ?,die Hand verschonen,
die den herrschenden Gesang fuhrt." Dem inelodi-
schen Charakter des Stucks thut die vollere JBegleitung so
wenig Schaden als dem gesangsreichen Vortrag.
Freilich sagt Bach in seiner Selbstbiographie1): Mein
Hauptstudium ist besonders in den letzten Jabren
(vor 1773) dahin gerichtet gewesen, auf dem Clavier,
ohngeachtet des Mangels an Aushaltung, soviel
moglich sangbar zu spielen und dafiir zu setzen.
Es ist diese Sache nicht so gar leicht, wenn man
das Ohr nicht zu leer lassen und die edle Einfalt
des Gesanges durch zu vieles Gerausch nicht
verderben will." Hiemit hat er aber nicht die harmo-
nische Ausftillung der Tonstucke, wo sie zum Verstandniss
und zur Einganglichkeit von Melodie, Modulation und Satz
nothwondig ist, ausgeschlossen wissen wollen. Er hat
dabei vielinehr den Gegensatz seiner neueren Schreibart
gegen den polyphonen Styl geineint, bei dem das Ohr
nicht leer blieb, bei welchem aber die Melodie oft genug
durch die Verschlingungen des kunstreichen Satzes und
durch die die Aufmerksamkeit in Anspruch nehmenden
Toncombinationen und Mittelstiminen in den Hintergrund
gedrangt wurde. Er wollte eben, dass das Ohr nicht
leer gelassen und nur der Gesang der Melodie nicht
durch zu viel Tonwerk verdeckt werde.
Ware Bach's oft harmonielose Begleitung nur d^es-
halb so aufgesetzt, wie man sie bei ihm findet, weil
zu seiner Zeit die Technik des Clavierspiels fur eine
grossere Harmonienfulle nicht genug fortgeschritten ge-
wesen sei: so lage hierin wahrlich kein Grund, jetzt,
wo dieser Umstand nicht mehr maassgebend sein kann,
den offehbaren Mangel aufrecht zu erhalten, der in der
leeren Schreibart mancher Sonaten liegt. Aber diese
ganze Voraussetzung trifft nicht zu. Denn bei aller hohen
Burney, Musik. Reisen. Th. El. S. 209.
_ 4 74 *—
Verehrung fur die ausgezeichneten Clavierspieler imserer
Zeit wird man doch anerkenncn uuissen? dass die dcutsche
Clavier -Schtile des vorigen Jahrhunderts (von D. Scar-
latti fzu schweigen) in Sebastian, Friedeniann und
Emanuel Bach und in Handel ihrcr Zeit Manner auf-
zuweisen hatte, von denen jeder einzelne wohl im Stande
gewesen sein wtirde, der neueren Technik die Spitze zu
bieten. Aber selbst die weniger hervorragenden Clavier-
spieler des vorigen Jahrhunderts batten die durch die
harmonische Ausfiillung in den Accordeu vervollstandigten
Sonaten Bach's sehr wohl spielen konnen, zunial sie ja
meist diese Ausfiillung hinzuzusetzen vermochten, ohne
dass sie vorgeschrieben gewesen ware.
Unzweifelhaft komrnen in Bach's Sonaten Satze vor;
bei denen eine weitere als die angegebene Begleitungs-
harmonie nicht erforderlich ist. Es giebt auch dergleichen,
in denen wirklich die Arbeit in zweistimmigem Satze vor-
liegt, Doch darf man nicht ausser Acht lassen, dass solche
Stticke kaum anders als ausnahmsweise vorkomrnen. Grade
bei den langsamen Satzen findet man nicht selten Stellen,
die eine Ausfiillung ganz unbedingt fordern. Als eine
solche ist beispielsweise der Schluss des sonst durchweg
dreistimmigen Andante der 1. Sonate der 1. Fortsetzung
der Reprisen-Sonaten zu bezeichnen:
~"~ ~~ "bj "~~^ ^""""w.""" "" ""'""" "~"~"i •••-'• ~— — .
75
welcher mit dem iiberraschenden Uebergang, aus der herr-
schenden Tonart Gr-dur durch F-moll nach C-moll fiihrt,
und ohne Accord-Ausfullimg nur schwer zu verstehen sein
wiirde; ebenso das gleichfalls meist dreistimmige poco An-
dante der 4. Reprisen- Senate 2. Fortsetzung, dessen erste
7 Takte? wenn sie gespielt werden sollten; wie sie ge-
schrieben sind,
,. — JW*-H — s — ra.
-Or
£ — £=s4=qrL_,» arv* -,_< — -£p_TF:L — j
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"1*^ '"-•-."•••""! i'a^A "P".* . .' "1 !!!_ — _"I — +-» — 1ZJ
ziemlich nichtssagend klingen warden 7 wahrend die Aus-
fullung derselben gewissermassen von selbst in die Hand
suit.
Auch bei den in schnelleni Tempo gesetzten Stiicken
witrde es schwer sein zu glauben, dass Emanuel Bach?
der grosse Harmoniker; der Zogiing einer Schule? in wel-
cher die Vollstimrnigkeit der Harmonie bis zu den aussersten
Consequenzen getrieben und vorzugsweise durch die Clavier-
Instrumente vermittelt worden war? Stellen wie z* B.
Allo, moderato ma innocenie.
t^S ^ <s>
—f— !SZCtI3™'
aus der 3. Reprisen-Sonate, oder
Allo. moderate. ft
fl
aus der 6. Reprisen- Senate in der kahlen Einfachheit ge-
dacht und gespielt haben sollte, in der sie aufgeschrieben
sind. Dass dies nicht der Fall gewesen sein konne, ergiebt
sich aus dem in der alien Schule sonst so strong verponten
plotzlichen Auftauchen voller Harmonien, wo diese nicht
der Willkur des Spielers iiberlassen bleiben sollten.
Nun konnte man freilich einwenden? dass Bach, wenn
er die ohne ausfullende Harmonie aufgeschriebenen Satze
in der Ausfiihrung am Clavier anders hatte behandelt
sehen wollen, dies durch Bezifferung der Basse zu erkennen
gegeben haben wiirde. Nothwendig war dies aber nich^
da hier die Harmonie etwas an sich Gegebenes war und es
sich keineswegs urn ein freies Accompagnement handelte.
— 77 -
Die Kunst des letzteren erforderte freilich ganz andere
Studien und Vorkenntnisse, als die einfache Ausfiillung
einer Harmonie durch Accorde. Auf der andern Seite gab
es zur Zeit Bach's ein blosses Lernen des Clavierspiels
ohne gleichzeitigen Unterricht in der Musik nicht, und
alle seine Claviersachen waren? wie sich aus dem Zu-
sammenhange seiner darauf beziiglichen Aeusserungen er-
giebt, nur far solche Personen geschrieben, die in der
Musik, auch abgesehen von dem blossen Clavierspiele, ge-
niigende Kenntnisse erlangt batten.
Dass die schonen Sonaten, an deren Betrachtung diese
Erorterungen haben angekniipft werden miissen, nicht ohne
Eindruck an dein Publikum vorfiber gegangen sind, fiir
welches sie bestimmt waren, lasst sich aus der doppelten
Nachfolge schliessen, die ihnen zu Theii wurde. Es er-
schienen nanilich zunachst im Jahre 1761 die erste, dann
im Jahre 1763 die zweite Portsetzung derselben, jede zu
6 Sonaten. Von diesen waren
a. die Sonaten der ersten Fortsetzung und zwar
die 6. schon im Jahre 1750, die 3. und 4. 1754, die 5.
1759 und die 1. und 2. 1760 entstanden.
Schon in dem altesten dieser Stucke, der im Jahre 1750
geschriebenen 6. Senate, findet man den vollkommen aus-
gepragten Styl der spateren Zeit, hie und da nicht ohne
Fremdartigkeit, die bei dem Streben Bach's nach melo-
discher, gesangsreicher Wirkung iiberrascht, in dern letzten
Allegretto aber
— 78
in eine vollig moderno Melodienbildung ubergeht.
Docli hat Bach die fur den Anfang dieser Sonaten-
sarnmlung so sorgfaltig motivirtc Vcrjindcning dor Re-
prisen wieder fallen lassen. Hatte man im Publikum kern
Gefallen daran? Konnte er mit ihrer einfachon "Woise
nicht durchdringen? Hatte er sich iiberaeugt? class diese
Art von Sonaten keine Anfangersliicko seien, und dass
gebildete Liebhaber, die sie spielen wollten, des Studiums
und der Uebung, ungeachtet der cinfachcn Technik der-
selben? doch nicht entbehren konnten? Der Verfasser
mochte sich der letzteren Ansicht zuneigen*
Auch die Sonaten der zweiten Fortsetzung ent-
halten die Repi'isen-Veranderungen nicht,
Diese Sonaten , von denen die in Fis-inoll 3/» ilberaus
geistreich, lebendig, voll von Wechsel und Farbe, in oinern
dem Verfasser vorliegenden alten Excmplare init Rothstift
sehr bezeichnend ,,der Apriltag nach der Natur ge-
zeichnet" uberschrieben ist, die in E-dur */4 an die
1. Sonate des 1. Hefts fur Kenner und Licbhaber erinnert
und die in E-inoll 4/4 mit einein schonen Adagio in E-dur,
L'Einschnitt betitelt, so wie mit dem raerkwiirdigen
Allegro di molto
— 79 —
sind von nicht geringerem Interesse. Sammtlich in ver-
schiedenen, zmn Theil weit auseinander liegenden Jahren
entstanden, die 4. hn Jahre 1744, die 1. 1747, die 6. 1758,
die 2 1759, die 3. 1761, die 5. 1762, geben sie ein deut-
liches Bild von deni Clavierstyl Bach's, wie er sich nun
za seiner eigenthiimlichen Selbstandigkeit ansgepragt hatte.
Es wiSrde schwer sein, einen besonderen Unterscliied
in der Beliandkngsweise der einzelnen Stucke festzustellen.
Insbesondere wiirde man glauben konnen, dass die viel-
leicht nicht ohne Absicht neben einander gestellten, ihrem
Entstehen naeh 18 Jahre von einander getrennten Sonaten
4 und 5 demselben Zeitabschnitt angehorten, und nur das
gesangreich fliessendere, in gewissein Sinne vollkommenere
Larghetto des Stiicks in E-dur und der weniger streng
gehaltene Sate desselben konnten ein Unterscheidungs-
merkmal abgeben.
Noch vor dem Beginn des Jahres 1761, in welcheni
diese bedeutende Sammlung der Eeprisen-Sonaten beendigt
wurde, erschien, ebenfalls zu Berlin bei Fr. Wilhelm
Birnstiel, ein Sammel-Werk von nicht minder Interesse
erregendem Inhalt, zu welchem der weitab erheblichere
Theil der Beitrage von Bach geliefert worden war.
Es war dies das ,,Musikalische Allerlei von ver-
schiedenen Tonkunstlern", an dessen Redaction Bach
offenbar einen sehr wesentlichen Antheil gehabt hat. Diese
Sammlung sollte alle Sonnabend in einzelnen Heften er-
scheinen und die Bestimmung haben: ,,Die neusten musi-
kalischen Versuche guter Tonmeister in Sing- und -
— 80 ~~
sachen, Clavier -, Violin- und Flotenstticken, kleinen und
grosseren Aufsatzen, Oden, Arien, Polonaisen, Menu-
etten, Marschcn, Duetten, Trios, Pugcn und Sinfonien,
charakterisirten Stuck en und Sonaten in deutschein, italie-
nischem und franzosischem Gesclnnack zu samineln und be-
kannt zu rnachen." Der Verleger machte noch besonders
darauf aufmerksarn, ,,dass diese Sammlung mit Wahl und
Priifung unternommen und nicht jeder Aufsatz ohne Unter-
scliied in selbige werde aufgenonimen wcrden".
Das Unternchmen; welches sicli an ein lihnliches Musik-
werk, den ?7iausikalischenZeitvertrcib", angeschlossen
liatte? begann im November 1760. Es sind davon 9 Hefte
mit 36 Musikstitcken erschienen und es haben daran die
ersten Tonsetzer der daraaligen Berliner Schule Antlieil
genonimen; und zwar:
1. Kirnberger mit Veriindcrungen liber die Arie
7?Icli schlief; da trauinte rnir", 2 Marsclien; 3 Po-
lonaisen, 1 Allcmande? 1 Gique7 1 Corrente7 9 Me-
nuetten? 1 Clavier -Praludium; vier Stiicken fur die
Orgel: 7;Gelobet sefet du Jesu Christ ", 77Herzlich
thut rnich verlangen", 3?Wer nur den lieben Gott
lasst walten", ?,Was Gott thut, das ist wohlgethan",
2 Liedern (??das unschuldige Kind" und ??Lob des
Weines")7 1 Allegro fur einen Singchor, 2 Soli
flir die Trayersflote,
2. Marpurg mit verschiedenen Liedern, Psalrnen,
Oden, 1 Musette, 4 Menuetten, 3 Rondeaus,
3. Graun (der Kapellmeister) init dem 23. Psalm fur
Gesang und einem Liede,
4. Quantz mit einem Solo fur die Traversflote in
Sonatenform,
5. Agricola mit einem Liede (,;das Erdbeben^),
6. Pasch mit dern 1. 3. und 5. Psalm fur resp. 47 2
und 3 Stimmen rnit Bass,
7. Rameau mit einer Phantasie,
8. Rolle mit 2 Clavier -Sonaten,
oi U_,,T
o j. •
9. Fr. Benda mit einem Violin-Solo,
10. C. P. E. Bach mit folgenden Arbeiten:
a) la Xenophon, Allegretto I. Cis-dur Allabr.?
b) la Sibylle, do. I. C-dnr do.
c) la Complaisante, Allegretto grazioso B-dur 3A7
d) la Capricieuse, Allegro D-dur %,
e) les Langueurs tendres, poco Allegro, F-moll 2/4?
f) rinresolue, Allegro, G-dur 3/8?
g) la Journalise, Allegro, C-moll %,
siimmtlich musikalische Kleinigkeiten fur das Clavier, die
letzten 5 aus dern Jahre 1756, die ersten beiden von 1757,
Salonstucke von besonders ausgepragter Charakteristik,
wie sie damals sehr beliebt waren und zum Theil noch
jetzt mit Vergnltgen gespielt werden konnten;
. h) der 4. Psalm (von Cramer) zweistimmig fiir Ge-
sang mit Bass,
i) der 2. Psalm desgl. vierstimmig ohne Bass,
k) eine Suite (E-moll 4/4) aus dem Jahre 1751 und
drei Clavier-Sonaten (G-dur %, F-moll 4/4 und
H-dur V*),
1) 17 Veranderungen fiber die Arie ,,Ich schlief,
da traumte inir" vom Jahre 1752,
m) ein Clavierstuck mit Veranderungen v. J, 1750.
Unter den Variation en waren zwei von Fasch.
Man sieht, dass Bach an der Arbeit dieses Unter-
nehmens weitaus das meiste gethan, in Bezug auf eigent-
liche Solo-Compositionen, fur Clavier aber neben Rolle
allein Beitrage von Bedeutung geliefert hatte.
Ihm zunachst steht Kirnberger, dessen contrapunk-
"tistischer Geist sich in vier zum Theil sehr schonen Orgel-
stiicken bewahrt hat.
Unter den drei Sonaten Bach's ist die in F-moll (No. 38)
1744 componirt und also seinen alteren Arbeiten angehorig
weitab die bedeutendste, ein vollkommenes Meisterstiick
im Styl der alten Schule, in Erfindung und Einheit. Der
erste Satz (3 stimmig) , in welchem beide Hauptinotive in
Bitter, Emanuel und Friedemann Bach.
der rechten uud linken Hand unniittelbar hintereinander
eintreten
Allegro.
nnd in aussergewohnlich kunstreicher Weise in beiden
Handen verarbeitet werden, erhebt sich weit hinaus tiber
das Niveau selbst dessen, was Bach in der Mehrzahl
eigenen Compositionen geleistet hat. Mehr noch ist
von dena auf das dreistimniige scheme Andante folgenden
Spirituoso e staccato zu sagen7 das in streng zweistimmigem
Satze das Geprage eines grossartigernsten , von tiefeter
Tragik erfiillten Charakters in sich tragt. Das Ganze ist?
wie das leidenschaftliche Drangen, die dustre JErregung
einer deni Ringen gegen feindlich anstiirnoende Gewalten
geweihten Natur, welche nur vombergehend von deni bald
wieder verloschenden Sonnenglanze eines liebeerfullten
Augenblicks iiberstrahlt wird.
Sehr schon, wiewohl von geringcrer Bedeutung, sind
die beiden anderen Clayier-Sonaten. Deren Entstehungs-
zeit ist nur far No. 43 bekannt, welche schon 173] zu
Leipzig geschrieben, 1744 in Berlin neu bearbeitet, das
klteste der bekannten Clavierstiicke Bach's ist. Beide
gehoren seiner schulmassigen Periode an.
Zu seinen weniger bedeutenden Arbeiten inochte man
die variirten Themata dieser jSammlung zahlen, die ur-
sprunglich wohl fur Unterrichtszwecke gesetzt sein diirften,
Nicht ohne grosses Interesse ersieht man im Uebrigen
aus dies em Sainmelwerke, wie die Manner, die der Kapelle
des grossen Konigs angehorten; oder ihr doch, wie Kirn-
berger und Marptirg, nalie stanclen, hier niiteinander
kunstleriscli vereint arbeiteten. Ebenso sieht man iiier
die bedeutenden Theoretiker ihrer Zcit, Bach; *Quantz?
Marpurg, Kirn berg or, unter denen die letzteren drei viel-
fach in Fehde init einander standen, sich auf diesem
praktischen Boden friedlicli zusammen finden.
Die Mitte des vorigen Jahrhunderts kannte den unbe-
sclirankten? da>s glaubige Publikuni wahrliaft tiberfluthenden
Strom musikalisclier Erzeugnisse nicht, der die Jetztzeit
charakterisirt. Die Musik war noch nicht Genieingut aller
Stande und Klassen der Bevolkerung geworden? wie sie es
jetzt ist; so wenig in De\itscliland? wie in Frankreich und
Italien. De^ Verleger von Musikwerken gab es wenige
imd diese waren bei deni zweifelhaften Absatze nicht
weniger schwierig, als sie es jetzt bei der gesteigerten
Nachfrage sind. Wie sollten die Tonsetzer ihre Arbeit
verwerthen, wenn sie nicht zu Untcrnehmungen wie das
obige ihre Zufhicht nahnien? * .
Dies letztere muss nian? wenn man den biographischen
Boden neben der kunstlerischen Seite der Sache festhalten
will, eben auch in's Auge fassen. 1st der specielle Erfolg
des A Her lei aueh nicht bekannt? so kann er doch kein
ungiinstiger gewesen sein, da sich daran weitere Unter-
iiehmungeii ahnlicher Art geknupft habeii. Bloss vom Unter-
richtgeben und von einein Gehalt von 300 Thlr. Hess pich
selbst in dem damaligen Berlin nicht leben1).
Als die unmittelbar nachste Fortsetzung des Allerlei
i) Zumal wahrend der Kiiegsjahre, wo die Gehalte nicht baar,
sondern in fast werthlosen Anweisungen Ibezahlt wurden. Zelter
sagt in der Biographie Fasch's, der unter diesen Verhaitnissen sehr
6*
— 84 —
kann das Musikalisclie Mancherlei (Berlin bei Winter
1762) betraclitct werden.
Auch hier war Bach offenbar die bewegende Trieb-
kraft. Ein dieser Sammlung vorgedruckter Vorbericht
spricht sich in einer etwas uberschwenglichen Ausdrucks-
weise iiber den Zweck derselben folgenderrnassen aus:
??Die Musik dient entweder dem Kenner, er mag nun
naturlicher oder gelernter sein, mit ihrer Kunst bloss nur
zu ergotzen? so wie ein wohlgebautes Haus? ein regelmassig
angelegter Garten vergnuget, oder sie ist die [Sprache der
Empfindung. So rauschen racheschwangere Tone 7 so
schleppt sich die Traurigkeit auf den Saiten7 so wirft der
Zorn feurig die Luft? so wallet die Freude im Aether, so
seufzet der zartliche Ton der Freundschaft und Liebe7
und so bringen die belebten Tone Lob und Dank aus dem
vollen Herzen und auf die Zungen der Menschen zu dem
Sitze der Allmacht und theilen die Wolken."
?;Die vornehmste Absicht dieses Wochepblattes ist,
einige Versuche von dieser letzten Art der Musik zu geben,
und werden darin deutsche, franzosische und italienische
Arien mit kurzen Recitativen und Stucke fur's Clavier und
andre Instrumente vorkojaamen."
Dieser hoclitonenden Phrasen ungcaclitet fielen die Bei-
trage der anderen Tonsetzer von Rang sparlicher aus als
im Allerlei. Wir finden von solchen darin nur
Kirnberger mit einer Polonaise , einem Andante und
einem Moderato;
Fasch mit einem Allegretto;
Agricola mit einer Clavier-Sonate.
Dagegen hatte Bach mit seinem gewohnlichen Fleiss
Folgendes geliefert:
litt. ,,Bach, der urn diese Zeit (1758) schon einen grossen Ruf in
Deutschland hatte, war hierin (in der Veiworthung seiner Arbeiten)
glucklioher. Seine Arbeiten, und besonders seine Lectionen, wurden
ihm so gut bezahlt, dass er dabei sein gutes Auskonjmen hatte". (S. 16.)
— 85 —
a. vier Sonaten fur Clavier, namlich B-dur 4/o Gr-dur
4/6, A-dur 4/4 und C-dur V4, gesetzt in den Jahren
17497 1754 und 1757.
b. ein Menuett fur 3 Trompeten, Pauken, 2 Geigen
und Bass.
c. ein dergl. fur 2 Floten, 2 Fagott, 2 Geigen und Bass.
d. eine Senate fur 2 Violinen und Bass, F-dur V*.
e. an kleineren Clavierstiicken : rHerrmanu, la Buch-
holz, la Boehmer, la Stahl, TAly Rupalich
gewissermassen musikalische Portraits oder Silhouetten, den
kleinen Stucken des All er lei ahnlich, deren Darstellung
aus dem Streben der Zeit nach charakteristischer Zeichnung
in der Musik hervorging, von dena das J?Mancnerlei" zahl-
reiche andre Beispiele von mehr als zweifelhafter Natur
enthalt. Sollte man diese Stticke, wenn auch nur in ganz
allgemeinen Ziigen analysiren, so wiirde man sagen konnen,
dass 1' Herrmann (G-moll 2/4? Allegro moderato) eine Frau
von sanftem gefiihlvollen Charakter, niit einem Anfluge
von sehnsuchtiger Grazie und nicht ohne leidenscaaftliche
Anwandlungen darstelle, dass in der laBucliholz (D-moll
3/4? Allegro) eine etwas melancholische sentimentale Stim-
mung vorkeiTsche? in der eine Brregbare Phantasie zu
cliolerischen Anwandlungen fuhrt; der aber zugleich ein
feiner Humor nicht fremd ist^ la Boehmer (D-dur 6/8?
Prestissimo) entwickelt eine feurige, kraftige und schwung-
volle Hatur, die ruhelos fortstiirmt, roll leidenschaftlicher
Wallungen, aufbrausend, aber ohne Anwandlungen tieferen
Gefuhls; la Sfcahl (D-moll 3/i? Grave) zeigt ein ernstes
Gemuthj eine elegische Stimmung. Eine gewisse Eomantik
und eine aus innerster Tiefe quellendes Gefiihl sind nicht
zii verkennen. Es ist ein Stuck von vorziigiicher Schonheit.
In der Aly Rupalich (C-dur Vt? Allegro assai) da-
gegen ist eine unruhige3 nach aussen drangende Natur
veil wechselnder Leidenschaften und Neigungen darge-
stellt, die stolz ohne Hoheit, ohne Innerlichkeit und Tiefe,
kaum des Schmerzes fahig ist; der? wo er sich zeigt, schnell
wieder verschwindet. Hier und in der Boehmer hat
Bach die bei ihm sehr selten vovkommenden Trommel"
basse wohl nicht ohne bosondere Absicht angewondet ').
Die Sonaton dieser Samralung geho'ron sammtlich dou
weniger ausgezeichnoten an. Das Trio fiir 2 Violinen und
Bass (D-moll '-/*) 'l^ angenehm melodisch; aber gioiclifalls
nicht von irgend weicher Bedeutung.
Der Rest des Mancherlei ist durch Tonsetzer zwcitcn
Ranges angefiillt. Von langorer Dauer war dies Unlcr-
nehinen nicht. An innerem Werthe steht es dom ?,Allerlei"
bedeutend nach. Bach hat in ihni sein Bestes in den
Portraitstiicken geleistet.
In jedeni Falle boten diese Sammlungen den Ton-
setzern eine yortrefflicho Gelcgenheit, um geoignote Com-
positionen in das Publikum einzuftihrcn, und £>ach hat
sich durch seine Theilnalmie damn, abgesehen von der
Verbreitung eigner Arbeiten, schon darum kein goriugcs
Verdienst envorben, well er der vergleichenden Beurthci-
lung seiner, inehr noch unsrer Zeit ein weitcs und ergiobigcs
Feld geoflnet hat. Es wiirde unrecht sein, dem Vcrdicn«to
seiner Mitarbeitor in vielen der von ihnen gelieibrten
Stitcke Abbruch thun zu wollcn. Dennoch steht Bach in
dem Clavierfache auf einer ihncn bei Weitcin iiberlegonen
Stufe; selbst unter Berucksichtigung dessen, dass seine im
??Mancherleia aufgenorainenen Arbeitcn nicht das Vor-
zuglichste von seinen Leistungen onthalten. Dies wirtl den
Musikverstandigen seiner Zeit wohl schweiiich ontgangon
sein; und so erklart sich schon aus der Durchsicht clioser
Sammelwerke, warum Emanuel Bach's Name so weit
i) ,,Karl Philipp Emanuel Bach charakterisirte, wio cr noch
in Berlin war, mehrere Frauenziminer, die cr kannte, durch angc-
uiesseno Clavierstiicke; und mehrere Personon, die jedes Individinim
damals kannten, versicherten mich, ihr Humor und Bcnchiuon im
Umgange sei glucklich in denselben ausgedvuckt gewesen; nur habc
man sie von Bach selbst spielen horen imissen."
Ephemeriden der Mensohheit. Stk. 6, p. 6-18.
— 87 — '
in unsjre Zeit hertiberreichen konnte, wahrend die Namen
seiner Kunstgenossen in ihrer Eigenschaft als Instrumental-
Coniponisten mehr und mehr der Vergessenheit anheimge-
fallen sind.
Diesen beiden Sainmelwerken folgten im Jahre 1764
zu Berlin bei Winter die 1762/64 geschriebenen III. So-
n a tine per Cembalo concertato, 2 flauti tr aver si, 2 Violini,
Violetta et Basso.
Die Bezeichnung Sonatine andert in der allgemeinen
Eintheilung und in dem sonatenartigen Charakter der
Stiicke nichts. Die Instruinente dienen theils zur Ver-
starkung von Melodie und Harmonie, theils sind sie
orchestermassig, ausnahmsweise hie und da auch obligat
behandelt.
Eine alte Zeitschrift enthalt bei Gelegenheit ihrer Be-
kanntmachung l) folgende Bemerkungen: ,7Man kann mit
Grund voraussetzen, dass die Schreibart und die Grestalt
dieser concertirenden Sonatinen schon aus den beiden vor-
hergegaugenen bekannt sei; denn wir wiirden einen nach-
theiligen Schluss auf den Geschmack eines Musikliebhabers
machen? wenn er die brillanten und rilhrenden Schonheiten
einer Bach'schen Composition - dem gefirnissten Grlanze
einiger neuen Mode-Componisten nachsetzen, oder sie nicht
wenigstens eben so gern besitzen wollte? als jene. Es ware
eine wahre Versundigung am guten Geschmack in der
Musik, und an der eigentlichen Art, das Clavier zu spielen,
wenn man sich nicht alle Arbeiten dieses grossen Meisters
wollte zu fleissiger TJebung empfohlen sein lassen. Immer
reich an Erfindung; gefallig und feurig in den Melodien,
prachtig und klthn in der fiarmonie kennen wir ihn schon
aus hundert Meisterstiicken, und kennen ihn noch nicht
ganz ; ein Vorrecht, das die nicht verschwenderische Natur
nur wenigen gllicklichen Genien verliehen hat? dass sie
i) Wochentliche Nachrichten iiber Musik (von Hiller). Leipzig
1766. S. 35.
nach einer Menge hervorgebrachter vortrefflicher Werke
doch irnmer noch neue Schonheiten irn Vorrath haben.
Wie viel Vergnligen wird uns niclit cine fleissige Fort-
setzung dieser Sonatinen inachen. Gegenwartige als die 3.
isfc aus dem Es oder Dis niit ben. Sie besteht ans 3 Hatzen,
einem Largo, Allegro und Tempo cli Minuetto. Eiiie artige
Verstarkung der Melodic durch Octaven in der Clavier-
stimnie ist im ersten Largo bald iin Anfang und gegen
das Ende angebracht, welclie eine unvergieichliche Wirkung
thut Die begleitenden Stimmen sind ubrigens so? wie bei
den beiden ersten Sonatinen, alle obligat."
Man sieht, dass die eigene Zeit Bach schon in seiner
Berliner Periode nicht unterscbatzt hat, dass er vielmehr
als der bedeutendste Clavier- Componist jener Epochc be-
trachtet wurde. Obige Aeusserungen gewinnen nicht wenig
dadurch an Werth, dass sie der Feder eines Mannes ent-
stammen, der wahrlich nicht d'en schlechtesten Musikern
des vorigen Jahrhunderts angehorte, der? abgesehcn von
seinen Leistnngen auf dem Felde der musikalischen Kritik?
im Stande war, eine Mara zur ersten Sangerin der Welt
auszubilden und der das nicht genug zu schatzende Ver-
dienst hat, das deutsche| jSingspiel zuerst zur Kunstform
erhoben zu haben.
Weiter folgten, im Jahre 1765 in Berlin bei Winter
herausgegeben;
Clavierstticke verschiedener Art;
bestehend in einem Concerto (C-dur V4 Allegretto,
Largo , Allegro) das in den Motiven und ihrer Au-
wendung, in der Freiheit der Formen und in der
harmouischen Behandlung den besten Arbeiten Bach's
angehorig, 1765 gesetzt war,
drei Fantasien, 6 Menuetteu, 3 IS olfeggien und
3 Polonaisen, von denen die 3 Fantasien und Hol-
feggien (unter welchen letzteren nur kurze Finger-
Uebungen zu verstehen sind) im Jahre 1759 gesetzt
waren,
einer JSonate (D-moll %) gesetzt 1763,
einer Sinfonie (G-dur 4/4); in der besonders der erste
Satz vortrefflichj voll von Feuer, und das Adagio
(H-moll 6/8) roller Geftthl und feiner Wendungen ist,
(componirt 1758 und in Potsdam 1765 fur Clavier ein-
gerichtet) endlich
einer Fuge? die, zieralich fein gearbeitet, an den strengen
tityl der alten Schule nicht heranreicht, ziemlich kurz,
aber flir die Fassung und Spielart weiterer Kreise
geeignet ist. (Siehe oben S. 64 ff.)
Im Jahre 1766 erschienen ferner bei Breitkopf in
Leipzig
Sechs leichte Clavier-Honaten
in der bekannten Form und nicht ohne brillante Wen-
dungen, sowie bei Winter in Berlin
Kurze und leichte Clavierstiieke
mit veranderten Reprisen und beigeftigter Fingersetzung
flir Anfanger.
Davon waren 9 Satze 1765 in Potsdam ? 3 in Berlin
1766 gesetzt Auch uber diese hat Hiller sich in einer
Weise geaussert1), die fur die Wlirdigung des Bach'schen
Geistes bezeichnend genirg ist
Mit diesen Werken und der im Jahre 1767 erschie-
nenen zweiten Sammlung kurzer und leichter Cla-
vierstiieke ist die ofientliche Wirksamkeit Bach's fiir
die Clavier - Composition in Berlin abgeschlossen. Ein
nicht geringer Theil seiner Arbeiten der Berliner Zeit
ist ungedruckt geblieben. Was davon bekannt geworden,
eine Reihe grosser Clavier- Concerte, deren z. B. die Ber-
liner Bibliothek alleiii 10? ein.schliesslich zweier Orgel-
Concerte enthalt (von denen zwei auch als Oboen-Concerte
bearbeitet) und deren auch in Leipzig rnehrere abschrift-
lich vorhanden^sind, lasst im hochsten Maas.se bedauern,
class Stiicke von solcher Vorziigiichkeit weiteren Kreisen
i) Wochentliche Nachrichten etc. Leipzig 1766. S. 52.
- 90 —
vorenthalten bleiben. Die Sonate a Cembalo e Viola
da Gamba(1759) ist ein Meisterstiick in ihrer Art. Nicht
minderen Werth haben die im Jahre 1763 iinter der Be-
zeichnung von Trios gesetzten Sonaten mit Violine in
F-dur, B-dur, H-moll und C-moll. Von diesen gehdrt das
Trio in H-moll mit dem Anfange:
Atlo. moderate.
dem schonen Einsatz der Violine im 10. Takte:
I
&^==^^&---t^~i~-
und mit dem ausserst gesangvollen, weit ausgefiihrten An-
dante in D-dur, so wie dem Allegretto Siciliano von
reizendster Art und Farbung weitaus zu den besten Ar-
beiten Bach's ans der Berliner Zeit. Die ausserst ge-
schickte Verwebung der Motive in den beiden mit einander
concertirenden Instrumenten halt das Interesse an der Aus-
iuhrung fortwahrend in Spannung.
Das Trio in 0- ID oil enthalt ein Adagio (As-dur %)
von besonders hervorragender Schdnheit? von seltenem me-
lodischen Reiz und einer Freiheit und Vollendung der
Form, die weit uber die Zeit der Composition hinaus-
greift J).
Allen diesen Stiicken wlirde fur ihre gegenwartige
Venvendbarkeit eine Bearbeitung mit harmonischer Aus-
fullung des Mittelgrundes nothwendig sein. '
i) Diese heiden Stncke sind neuerdings (Leipzig imd Winlerthur,
J. Eieter-BIederman) im Druek erschienen.
Q1
v/o. • —
Bin grosser Irrthum ware es, wollte man glauben, dass
Bach's Thatigkeit fur sein Haupt- Instrument allein in
seinen Compositionen fiir dasselbe und in deni Unterricht,
den er ertheilte, beruht habe. Er ging vielinehr einen nicht
geringen Schritt welter, indein er neben der praktischen
Uebung des Clavierspiels als Kunstler, dor Thatigkeit als
Tonsetzer unrl der ohne Zweifel nicht unbedeutenden Be-
sehaftigimg, die ihin als Lehrer oblag? sich den theoretischen
Auseinandersetzungen zmvendete, die ilnn fiir eine voli-
kommene Ausiibung seiner Kunst nothwQndig erschienen.
B, Die tbeoretischen Arbeiten.
Im Jahre 1752 hatte Quantz in seinein ?JVersuch,
die Flote traversiere zu spielenu? eiri vortreffliclies
Werk herausgegcben? dessen Trohlgeordneter und reieher
Inhalt weit liber dasjenige tinausgriff, Aras der Titel ver-
mutheii liess l] Dies Werk? das drei Anflagen erlebte|? luit
offenbar einen grossen Einfluss auf Bach's Eutschluss geubt,
eine Theorie des GlavierspieLs zu veruffentlichen. Sei
es? class er init Quantz naeli einein in den Hauptzugen
gerneinsehaftlich verabredeten Plane gearbeitet, sei e^7 dass
dessen Werk liber das Flutenspiel ihni die Lust erweckt
hat? eine ahnliehe Arbeit fiber das Clavierspiel zu unter-
nehmen, sei es, dass dies sehon friiher in seiner Absieht
gelegen hatte und jene Arbeit des grossen Flotisten ihru
nur yon Neuem dazu Anregung gab? gewiss ist, dass nicht
nur der Titel seines Werkes? ;?Versuch tiber die wahre
Art das Clavier zu spielenfc-? dein Titel des QuantzJ-
schen Buches vollig analog gewahlt ist? sondern dass auch
Eintheilung und Disposition ini Grossen und Ganzen, so
i) Johaiin Joachim Quanta ens, Kuiiigl. Preuss. Kammer-
Musicus, \reisuch einer Anleitung, (lie Flute traversiere zu spielen,
imt verschiedenen zur Befoideiuog ties guteri Geschinackes in der
praktischen Musik dienlichen Anmerktiugeu begleitet und mit Exem-
peln erlautert nebst XXI\7 Kupfertafeln, Berlin bei J. F. Voss 1752,
- 92 -
wie die Ausfuhrung irn Einzelnen aus einem und demsel-
ben System hervorgegangen erscheinen. Hauptstiicke, Ab-
schnitte und Paragraphen sind in beiden Werken in ahn-
licher Weise eingetheilt. Auch die anf den kiinstlerischen
Inhalt der Musik im Allgemeinen gerichteten Bestrebungen
haben beide gemern, obschon die Arbeit von Quantz von
mehr universeller Eichtung ist als die Bach'sche. Beide
Manner waren Kiinstler im grossen Styl. Beide wollten
in ihren Werken der Kunst dienen und beide behan-
delten das blosse Virtuosenthurn, obschon jeder von ihnen
auf seinem Instrumente Virtuose ersten Banges war, rait
Geringschatzung.
Bach trat mit seineni Buche iiber das Clavierspiel
vor ein Publikum, dern bis dahin durch den Druck und
die Oeffentlichkeit wenig theoretischer Unterricht geboten
worden war. Ausgeriistet mit allem Wissen^ das .sein
Unternetmen erforderte, Herr jeder Fertigkeit^ die iin Be-
reiche seines Kunstkreises raoglich war, war er durch wis-
senschaftliche Bildung und naannliclie Reife vor vielen An-
deren zu einein solchen Unternehmen befahigt. Vorganger
bafc er wenige gehabt, keinen von einiger Bedeutung.
Couperins ,,1'art de toucher le clavecin" war wohl
das einzige Buch von Werth, das schon vor dem sein en
vorhanden war. Um so grosser ist sein Verdienst, ein Werk
geliefert zu haben; das als ein durch und durch klassisches
bezeichnet werden muss und das noch bis heut, nachdem
mehr als ein Jahrhundert der freiesten und kuhnsten Ent-
wickelung dariiber fortgegangen7 sein en Werth behauptet
hat Dasselbe fiihrt den Titel ??Versuch itber die wahre
Art das Clavier zu spielen, rnit Exempeln und acht-
zehn Probestucken in 6 Sonaten erlautert von Carl Phi-
lipp Emanuel Bach, Konigl, Preuss. Kammer-Musikus,
Berlin^ in Verlegung des Autoris, 1753." Zunachst erschien
der erste TheiL In der Vorrede wird bemerkt; wie der
Verfasser Willeus sei, die wahre Aii? das Clavier mit
dem Beifall vernfinftiger Kenner zu spielen, auseinander-
— 93 —
zusetzen, wobei er auch die Lehrer iin Auge habe, welche
ihre Schiiler bisher nicht Bach den Gruiidsaten der Kuiist
gelehrt, und worin er das Erforderliche in kurzen Lehr-
satzen ohne weitlaufiges Lehrgebaude darstellen, dabei kein
Phantastenstudiuni uiid keinen Generalbass lehren wolle.
Die Eiiileitung bezeichnet als wesentliehe Gegen-
stande der Bespreehung die rechte Fingersetung, die
guten Manieren? den guten Vortrag. Es werden die
Fehler der Clavierspieler durchgcnommen ? ebenso die
Fehler der Lehrer in den Methoden des Unterrichts, ferner
iiber die unterscheidenden Merkmale des Claviers und
Clavichords, sowie liber den Fliigel das Nothige niitgetheilt;
wobei besonders verlangt wird , dass jeder Clavierspieler
sowohl ein gutes Clavichord als einen gtiten Fliigel haben
solle (§ 1 — 15). Darauf geht er (§ 16 — 20) zu dem
System des Unterrichts selbst liber.
Das eigentliche Werk ist in Hauptstiicke? diese sind
in Abtheilungen und Paragraphen eingetheilt
Das erste Hauptstuck handelt von der Finger-
setzung (wobei einige Riickblicke auf die friihere Art
des Clavierspiels von besonderem Interesse sind)7 indeni
Stellung und Haltung vor deni Claviere7 sowie die Hal-
tung der Hande und Finger (nacli der Methode Sebastian
Bach's) ausfiihrlich behandelt werden.
Hierauf geht er auf die Applieatur liber, fiir welche
zahlreiche Beispiele in alien Tonarten durchgegangen und
spater zu mehrstimmigen Exempehi ausgedehnt werden.
Er beleuchtet die sainmtlichen Intervalle nach alien Sei-
ten, urn zu den Drei- und Vierklangen uberzugehen.
Dann folgt die Lehre von dem G-ebrauch des Dau-
mens, von deni Ueberschlagen der Finger und deren
Wechsel.
Das zweite Hauptstitck zerfallt in neun Unter-
abtheilungen.
Die erste Abtheilung handelt von den Manieren
iiberhaupt. Bach spricht zuerst von dem Nutzen der-
— 94 —
selben, ihrer Nothwendigkeit, der UnterscLeidung guter
von den schlechten Manieren, und theilt sie dann in zwei
Classen: a. in solche, welclie man durcli gewisse Kenn-
zeidhen oder Notchen zu bezeichnen pflegt, b. in solche,
welche nicht durch Zeichen, sondern durch viele kleine
Noten dargestellt werden. Er behandelt dann deren An-
wendung, ihr Verhaltniss znr Musik selbst; den verschie-
denen Geschmack im Gebrauch, endlich ihre Anwendbar-
keit fur beide Hande.
Dann folgt die zweite Abtheilung von den Vor-
schlagen; ferner
Die dritte Abtheilung von den Trillern und
zwar von den ordentlichen? den en von unten; denen von
oben; dem halben und dem Prall-Triller? ihrer Uobung,
den Fehlern, die dabci zu Tage kornmen, und von ihreni
Vortrage,
Die vierte Abtheilung handelt voii den Doppel-
schlagen, ihrer Bezeichnung, Verscluedenheit und An-
wendung, sowie ihrer Verbindung mit dem Triller,
Die fiinfte Abtheilung von den Mordenten;
Die sechste Abtheilung von deni Anschlage,
Die siebente Abtheilung von den Schleifern,
in ihrer verschiedenen Art und ihrer Auwendung im Adagio
und uber Dissonanzen,
D*ie achte Abtheilung von dem Schneller,
Die neunte Abtheilung von den Verzierungen
der Fermate, der Fermate selbst uber der vorletzten
oder letzten Note des Basses, oder nach dieser liber einer
Pause.
Das dritte Hauptstiick beschaftigt sieh in hochst
anschaulicher und bedeutender Weise mit dem Vortrage.
Nachdeni darin zunaehst mit Nachdruck ausgesprochen
ist; dass Fertigkeit, Wissen und gelaufge Manieren nicht
den guten Spieler ausmachen? geht Bach auf den Vor-
trag selbst uber. Er bespricht die Starke und Schwache
der Tone, ihren Druck, ihr Schnellen, Ziehen, Stossen,
— 95 —
Beben, Brechen, Halten? Schleppen und Fortgehen und ent-
wickelt die Kennxeichen des guten Vortrags. Die Fehler
desselben, die Schwierigkeit, atif den damals gebrauchlichen
Instruraenten ein Adagio singend zu spielen oder dasselbe
durch zu yiele oder zu wenige AusMlungen zu verderben,
die Nothwendigkeit, den Vortrag nach dem luhalt des Stacks
einzurichten, die Art, wie man das Stadium desselben am
besten zu betreiben habe? alles das wird in klarer und
erschopfender Weise dargestellt. Dann gent er zu der
eigenen Vertiefung in die Masik iiber (indem ein Mu-
sikus nicht anders riihren kann? er sei denn selbst
geruhrt), zu der Spielart und ilirer Verbindung mit dem
Inhalte der Musik, den Bezeichnungen, welche fur den
Ausdruck gebrauchlick sind? der Anwendung der Verzie-
rungen und Cadenzen.
Dies ist der kurzgefasste Inhalt des TVerks? welches;
einem edlen und achten Kunststreben entsprossen; kein
anderes Ziel hatte als die Verbreitung der wahren Regeln
des Clavierspiels und des Abweisens alien Dessen? was
lediglich formeller Natur war oder sich als Charlatanismus
doc^mentirte. Ueberaus lehrreich und interressant sind die
dazwischen eingestreuten Benierkungen fiber die * Spielart
and die Schreibweise der Franzosen? insbesondere Cou-
perins? dem Em. Bach grosse Anerkennung zu Theil
werden lasst. Von noclistem kiinstleriscben wie niusikali-
schen Werth ist der erste Artikel des dritten Hauptstiicks.
Em. Bach hat dieses Werk kurz nach , dem Tode sei-
nes beriihmten Vaters verfaast, auf dessen Lehrweise und
Zeugniss er wiederholt verweisst. Es ist" hier eine Dar-
stellung^der Grundsatze yon Seb. Bach's Unterrieht im
Clavierspiel gegeben und insofern ist dies Buch? auch ab-
gesehen von seinem materiellen Inhalt, von dem hochsten
ktinstgeschichtlichen Werthe. Es tragt vor Allem zum
Versta^ndniss der Art und Weise bei? wie Seb. Bach's
Clayierstucke gespielt werden miissen? und yeranschaulicixt
deutlich den Greferaach and die Verwendung der
— 96 -
Clavier - Instrumente. Seb. Bach war unbestritten der
Schopfer der modernen Art des Claviers|)iels. Seine Schule
bildet die Grundlage dieses durch spatere grosse Meister
in so ausserordentlichem Masse erweiterten Kunstzweigs.
Es ist kein geringes Verdienst des Sohnes, dass er
die Theorie jener Schule fur alle Zeiten festgestellt hat.
Schon diese einzige Arbeit wiirde ihm einen ehrenvollen
Platz in der Kunst-Geschichte sichern. Die zahlreichen
beigefugten Beispiele bestandea in mehr als 200 Exempeln,
ferner in 6 Soriaten und einer grosscn Fantasic, den en
bei der 3. Auflage irn Jahre 1780 noch 6 kleine Stiicke
mit der Bezeichnung Sonatine nuove hinzutraten.
Die sechs Sonaten geben ein Bild sammtlicher Schreib-
arten Emanuel Bach's, wie sie Rochlitz (S. 49) seiner
Zeit charakterisirt hat, von deni ganz leichten zweistimmig
gesetzten Uebungsstiicke fiir Anfanger (Senate 1 in C-dur)
in stufenweiser Erhebung zu der dreistimmigen Senate
Nro. 4 in G-moll, welche schon eine gereiftere Auffassung
mid wegen des strengen Satzes eine sehr accurate Aus-
fuhrung erfordert, und der 5ten Senate in Es-dur mit dem
ausserordentlich schonen Adagio in B-moll bis zu der
Sonate in F-moll; deren leidenschaftlich bewegte, in beiden
Handen wechselnde Motive einen Schiller von grosser
Ueberlegenheit erfordern. Das 4 stimmige Adagio aflfettuoso
sostenuto ist ein Meisterstuck von klarer? dnrchsichtiger
Polyphonic.
Die Phantasie in C-nioll ist eines von den wunder-
baren Tonbildern^ in denen sich die bluthenreiche Seele
Bach's von jeder Form 'entfesselt in ruhelosein Stiirmen
und Wogen, in Gedanken voller Kiihnheit und in feurigein
Schwnnge ergiesst. Hier leise ersterbend; dort in die Hphe
brausend? mit scharfen Schlagen die klingenden Motive
durchbrechend ist dieses Stiick eines der geistvollsten
und grossartigsten, die uberhaupt fiir das Clavier geschrie-
ben sind. Wohl konnte der fast draniatisch zu nennende
Aufbau von Stellen wie die nachfolgende:
— 97 —
£=k=&=£3b*&:
rgg^^Ei^s^^feSi^^^E^
, , ^ JFL-3-; j g^
auf den Gedanken Iiinleiteri7 dass hier das poetisclie Wort
sich yon selbst Mnzudrangen, um deutlicher die Bewegung
zn enthiillen, in der sicb die Seele des Tondichters erhoben
hatte.
Erst sieben Jabre spater (1760) seben wir Bach mit
der Fortsetzung seines Werks beschaftigt? und im Jahre
1761 erscbien
;7Des Versuchs iiber die wahre Art das Clavier
zu spielen? zweiter Theil/'
i& welctem die Lebre yon dem Aecompagnement
Bitter, Emannel una Frleaemana Bach. 7
— 98 —
der freien Phantasie abgehandelt wird, Dieser Theil
des grossen Werks enthalt eine Generalbasslehre? wie es
wenige giebt.
In der Vorrede weist Bach darauf hin? dass seine
Arbeit nicht aus Speculation entstanden sei, sondern dass
die Erfahrung sie hervorgebracht habe. In der Einlei-
tung werden die Orgel, der Fliigel, das Fortepiano und
das Clavichord als die fur das Accompagnement gebrauch-
lichsten Instrumente bezeichnet und die Begleitungsarten
charakterisirt. ?;Das vollkominenste Accompagnement beim
Solo, dawider Nieinand etwas einwenden kann; ist em
Clayier-Instrument nebst deni Violoncell." Er spricht dann
von der Erlernung des Generalbasses ? von der Nothwen-
digkeit, gute Musiken zu horen und zu studiren, von dem
ein-; zwei-? drei- und vierstimmig en Accompagnement,
von der Reinheit und geschickten Fortsetzung der Inter-
valle, der Deckung der Oompositionsfehler durch die Be-
gleitung, von der Art des Unterrichts und von der Trans-
position.
Dann folgt in Cap. 1. die Lehre von den Inter-
vallen? der Nothwendigkeit des richtig und hinlanglich
bezifferten Basses? der Erlernung der Ziffern und der Eia-
zelheiten uber die Intervalle. Es wird deren Verschieden-
heit? ihre Bezeichnung, ihre Fortschreitungen, die Regeln
fur die letzteren (Quinten und Octaven)? die geraden und
Gregenbewegungen, die vollkommenen und unvollkommenen
Consonanzen? die Dissonanzen? deren Grebrauch? Vorbe-
i^eitung und Auflosung, die Vorausnabne der letzteren aus-
einandergesetzt? und es werden dann die durchgdbeMen
Noten, so wie die Vorschriften fur den regulareiE- tfnd irre-
gularenDurchgang besprochen. Alsdann folgen in Cap. 2.
zwei Abschnitte? deren erster vom narmonischen Drei-
klange handelt. Die Lehre vom Accorde; dem harten?
weichen? verminderten und vergrosserten Dreiklang^ von
den offenbaren und verdeckten Quinten? der Zul^ssigkeit
der Letzteren unter gewissen Bedingungen (zumal des
— 99 —
Folgens der falschen auf eine reine Quinte) und der Aus-
dehnung, in welcher beide Hande an Qtiinten und Octaven
gegeneinander wirken diirfen? wird entwlckelt.
Der zweite Abschnitt ha.ndelt von den Gesamnit-
bewegungen und ihren Regeln iin 2-, 3- und 4-stImmigen
Accompagnement und von der Art der aufzugebenden
Uebungs-Exempel.
Cap. 3. spricht vom Sexten-Accorde, uud zwar yon
der Beschreibung; Bezeichnung? dem 2- und 3-stimmigen
Sexten-Aecorde, von der Verdoppelung der gehenden und
springenden Bassnoten? von der iibermassigen und der ver-
minderten dissonirenden Sexte, ihrer Vorbereitung und
Auflosung, ferner von der Sexte in den Cadenzen, der
doppelten Sexte? den Noten mit vielen Sexten? die stufen-
weise herauf- und beruntergehen ; der Nothwendigkeit der
Verdoppelung zur Vermeidung von Fehlern? den Eegeln
der Verdoppelung uberhaupt und der Zulassigkeit der An-
wendung der iibermassigen Secun'den.
Cap. 4. entlialt die Regeln vou dem uneigentlieh
verniinderten Dreiklange, den falschen Quinten, ihrer
Bezeichnung und Anwendung.
Cap. 5. handelt von dem uneigentlieh vergrosser-
ten harmonischen Dreiklange, der iibermassigen
Quint, der grossen Terz und Octave und der Verdoppelung
der Terz.
Cap. 6. Vom Sext-Quarten-Accorde.
Cap. 7. Vom Terz-Quarten-Aecorde (in 2 Ab-
schnitten)? und zwar von den Intervallen, bei denen er
vorkommtj und von der nothwendigen Vorbereitung ? so
wie von der Art und Weise , bei der Anwendung Fehler
zu vermeiden.
Cap. 8. Vom Sext-Quinten-Accorde.
Oap. 9. Vom Secunden-Accorde, dessen Signatu-
ren7 den dabei vorkommenden Intei*vallen , dem Finden
und Verstirken desselben mit versehiedenen Beispielen.
Cap. 10. Von dem Secund-Quarten-Accorde,
— 100 —
Cap. 11. Von dem Secund-Quint-Quarten-
Accorde.
Cap. 12. Von dem Secund-Terzen-Accorde.
Cap. 13. Von dem Septimen-Accorde, dessen
dreifacher Zusammensetzung, den Intervallen, die dabei
vorkommen und dazu klingen, wobei mehrere Exempel
mit verscHedener Modulation gegelben werden.
Cap. 14. Vom Sext-Septimen-Accorde, dessen
Verschiedenheit und den dabei vorkommenden Intervallen.
Cap. 15. Vorn Quart-Septimen-Accorde, der Art
des Gebrauchs und dem Vorkommen desselben.
Cap. 16. Vom Accorde der grossen Septiine,
seiner Signatur, dem Vorkommen und der Verwendung der
Quinte bei diesem Aecorde.
Cap. 17. Vom Nonen-Accorde, dessen Signatur
wad. Intervallen, der Vorbereitung, Aufiosung und Zu-
saramenstimmung mit dem Secund-Terzen-Accorde.
Cap. 18. Vom Sext-Nonen-Accord, dessen Be-
standtheilen? Signatur und Vorkommen.
Cap. 19. Vom Quart-Nonen-Accorde.
Cap. 20. Vom Septimen-Nonen-Accorde.
Cap. 21. Vom Quint-Quarten-Accorde.
Cap. 22. Vom Einklange; der Art seiner Ver-
wendung und des Accompagnements nebst verschiedenen
Fallen des Vorkommens.
Cap. 23. Von der einstimmigen Begleitung
mit der linken Hand allein, insbesondere der Art der
Aawerrdung.
Cap. 24. Vom Orgelpunkt, Begriff und Art der
Anwendung, dem drei- und mehrstimrnigen Satze desselben
und den Grunden, weshalb er nicht beziffert werden kann.
Cap. 25. Von den Vorschlagen, deren Wesen
und Anwendung, dem Aufhalten der Harmonien durch sie?
der Signatur7 den drei Gattungen von Secunden als Vor-
schlagen zum Septimen- und Secunden- Accord, zum Sexten-
Accord? zum Dreiklang; zum Sext-Quinten- Accord, zum
- ioi -
Accord der grossen Septiine, zum Sept-Quarten- Accord,
zuni Terzen- und zum Nonen- Accord. Hier werden ferner
die Regeln fur die Vorschlage beim Accompagnement des
Solo angegeben imd die kurzen und unveranderlichen Vor-
schlage besprochen.
Gap. 26. Von den ruckenden Noten, deren Be-
griff; den langsamen und geschwinden Riickungen und
deren Begleitung.
Cap. 27. Voni punktirten Anschlage, dessen We-
sen und Vorkommen. Eintreten der Harmonie. * Beispiele.
Cap. 28. Vom punktirten Schleifer.
Cap. 29. Vom Vortrage, dessen Anwendung und
Nothwendigkeit beim Accoinpagnementj zumal beim Solo?
den Schwierigkeiten desselben, der Nothwendigkeit der Ver-
standigung mit dem Musiker, der die Hauptstimme ftilirt; und
der Behandlung der Instrumente; insbesondere des Fliigels.
Hier werden noch einmal die Vorztige des Clavichords
und des Fortepiano vor jenem entwickelt und die Regeln
wegen des Forte und Piano fur den Fliigel mit zwei Tasta-
turen und fur die Orgel angegeben. Bach bespricht den
Unterschied des Forte beim Tutti von dem beim Solo und
giebt specielle Vorschriften fiir besondere Falle, indem er
schliesslich die Verwerflichkeit des Mitspielens der Gesangs-
stimme hervorhebt.
Cap. 30. Von den Schluss-Cadenzen, der Art des
Accompagnements bei mehr als zweistimmigen Stiicken,
nach einer verzierten Cadenz oder nach dem Triller; im
Andantino und Allegretto, im Triller? bei halben Cadenzen?
bei dem Uebergange aus einer Tonart in die andere.
Cap. 31. Von den Fermaten.
Cap. 32. Von gewissen Zierlichkeiten des Ac-
compagnements? zumal von der Nothwendigkeit? zu wis-
sen? wo und wann dergleichen angebracht werden diirfen,
von der Discretion in der Begleitung? den gleichen Fort-
schreitungen in Terzen mit den Grundnoten? der Ver-
mischting der Terzen mit Sexten? von gewissen Sprungeii
— 102 —
mit der Harmonie, dem getheilten Accompagnernent und
der Ausfiillung langsamer Noten.
Cap. 33. Von der Nachahmung.
Cap. 34. Von einigen Vorsichten bei der Be-
gleitung? behandelt gewisse Hilfsmittel zum Vermeiden
von Fehlern? Hlirten ocler Unbequemlichkeiten in der
Spielart.
Cap. 35. Von der Nothwendigkeit der Bezif-
feruiig; worin bewiesen wird? dass eine Begleitung ohne
Ziffern nur schlecht ausfallen ko'nne.
Cap. 36. Von den durchgehenden Noten, weist
die Nothwendigkeit ihrer Andeutung und die Regeln fur
dieselben nach. Ihr Vorkommen, Abfertigung vieler in
einem Tone bleibender und durchgehender Gruudnoten im
langsamen Tempo, Largo, Larglietto, Andante, iin Siciliano,
Allegro assai und prestissimo wird besprochen.
Cap. 37. Von dem Vorschlagen init der rechten
Hand.
Cap. 38. Vom Recitativ und der Nothwendigkeit
grosser Aufmerksamkeit im Aceoinpagnement, dem Ent-
halten des Harpeggirens bei schneller Declamation , der
Starke des Anschlagens? der Begleitung auf der Orgel,
im Theater und bei Unsicherheit der Sanger.
Cap. 39. Von den Wechselnoten.
Cap, 40. Vom Basstherna, Begriff und Bedingungen
eines guten Bassthemas, sowie von den Versehen, welche
bei der Einrichtung vorkommen, endlich der Begleitung
desselben.
Cap. 41. Von der freien Phantasie? dem Begriff und den
Bedingungen derselben; den dafurgeeignetstenlnstrumenten?
der leichtesten Art fur kurze Ausdehnnng, den Ausweichungen
in andere Tonarten, der Benutzung der Figuren und aller
Arten des guten Vortrags, der Brechung der Accorde,
den NacLahmungen und Gegenbewegungen in verschiedenen
Stimmen, endlich vom Schlusse im Orgelpunkt.
Es hat dem Verfasser nothwendig geschienen, diesen
— 103 —
Abriss aus dem Inhalt des so umfangreichen und bedeu-
tenden Werkes mitzutheilen , damit man dadurch eine
wenn auch nur oberflachliche Anschauung von der grfind-
liclien Ausfuhrlichkeit erhalte? mit welcher Em. Bach sei-
nen Gegenstand behandelt hat.
Bezieht sich derselbe zunachst auch nur auf das Ac-
coinpagnement nach dem bezifferten Bass? und -wiirde er
jetzt, wo diese Art die Musik zu setzen? nieht mehr in Ge-
brauch ist; nur noch ausnahins-weise anwendbar sein? so
sind doch die Grundsatze und Regeln, die hier zuin ersten
Male in der Form praktischer Lehrsatze festgestelit wer-
den, noch heut dieselben? die sie vor 100 Jahren waren?
und werden kaum spaterhin deutlicher und in innigerem
Zusammenhange mit der ausubenden Kunst dargestellt
worden sein.
Freilich konnte das t-'ogenannte feine Accompagne-
ment von Niemandeni besser beleuchtet, in alien seinen
Theilen grundlicher und yornehmer erfasst werden , als
von Carl Philipp Emanuel Bach, der neben seiner
theoretischeii wie praktisehen Ausbildung in dem Musik-
salon F r i e d r i ch ' s d e s G r o s s e n 20 Jahre hindurch die voll-
komnienste Gelegenheit gefunden batte, Voi*trag? ]Sfuancen?
Feinheit der Auffassung und schnelltreffende Combinationen
praktisch zu liben.
Auch hier ist es die Schule Seb, Bach's, die sich
in der griindlichen Kennmiss und Verwendungsbefahigung
fur die Grund&atze der Harmonie kund giebt, Mit Er-
staunen erkennt man aus dies em Werke? \relche ungeheu-
ren Anspruche jene Zeit an die Cembalisten? an ihre Auf-
fassung7 ihre Fertigkeit und Sicherheit in der Anwendung
der Lehren vom Generalbass und an ihre kunstlerische
Ueberlegenheit tiber alle musikalischen Verwickelungen7
Schwierigkeiten und Formen stellte. Wie W^enige mochten
sich heut wohl unterstehen, vom Blatte weg aus dem blossen
bezifferten Bass eine Begleitung fttr Musikstiicke zu im-
provisiren, in denen sich die sehwierigsten Probleme
— 104 —
des Satzes dargestellt finden, indem sie nicht nur der Com-
position folgen, diese sttitzen und verschonen, sondern da-
bei auch den Anspruch auf eigne kiinstlerische Bedeutung
keineswegs bei Seite setzen sollen? Eine iibergrosse Menge
von Musikstiicken aus dein vorigen Jahrhundert erscheint
leer, trocken; kahl; well die dazu nothwendige ausfullende
Begleitung fehlt und jene spiel ende Leichtigkeit, mit der
sie dainals hingestellt werden konnte, verloren gegangen
ist. Dies Buch lehrt tins, wie die alten Partituren gelesen
und gespielt werden miissen.
Bei aller Trockenheit des Details, bei aller Muhsam-
keit? welche die Systematisirung und Durcharbeitung dieser
ganzen Materie erfordert hat, entgeht dem Leser des
Werks doch nirgends, wie sehr classelbe von wahrer Liebe
zur Kunst getragen war, und welche Ftille von Wissen
und Erfalirung darin niedergelegt ist. Dabei ist die Dar-
stellung von eirier Klarheit, einer uberzeugenden Deutlich-
keit, welche sie ausserst vortheilhaft vor dem unklaren
Schwulst ahnlicher Arbeiten der spateren Zeit auszeichnet.
Neben dieser Schrift haben Kirnberger und Kittel,
jener durch seine ,,Kunst des reinen Satzes", dieser
durch den ,,Angehenden Organisten", die ubrigen
Materien der Schule ihres grossen Lehrers der Nachwelt
iiberliefert. Durch diese Werke ist Sebastian Bach's
ganze Lehrmethode unserer Zeit erhalten und klar gelegt.
Wir ersehen daraus, dass tier die Grundlagen alles musi-
kalischen Wissens nachgewiesen sind, dass die nachfolgende
grosse Musik-Epoche nur die kimstlerischen Consequenzen
aus ihnen ziehen und sie auf neue Form en, veranderte
Ideenkreise und erweiterte Mittel der Darstellung an-
wenden konnte.
Quautz, Em. Bach, Kirnberger und mit ihnen
Majrpurg und Sulzer haben das damalige Berlin zum
Haupt- und Vorort ftir die Theorie der Musik erhoben.
Freilich machten sie, wie Reichardt sich treffend aus-
di*uckt, den harmonischen gelehrten Theil der Musik (eine
— 105 —
Folge der Uebertreibung der Principien aus der Bach'schen
Schule) fast zur Hauptsache in der Knnst und ,,bearbeiteten
diesen dann mit einer uberfeinen, haarscharfen Kritik, auf
welche die Speculation nur durch das Auge kommen
konnte"1). Aber alle ihre theoretischen Nachfolger haben
sich auf sie gesttitzt. Und wenn sich auch Marpurg und
Kirnberger, eben um ihrer Subtilitaten willen, mit Bitter-
keiten jeder Art verfolgten, so sind ihre und ihrer Zeit-
genossen Lehren doch fur alle Folgezeit massgebend ge-
blieben2).
Von grossem kunstgeschichtlichen Interesse ist ein be-
reits anderweit veroffentlichter Brief, den Em. Bach zwan-
zig Jahre spater am 10. April 1780 an den Buchhandler
Schwickert in Leipzig gerichtet hats). Es ergiebt sich
daraus, dass damals von den 27 Jahre friiher in seineua
Selbstverlage erschienenen Auflagen vom ersten Theile des
vorbesprochenen Werkes noch 260; vom zweiten 564 Exem-
plare vorhanden waren? fur deren Ueberlassung er 180
Louisd'or forderte. Bach betont hierbei besonders die Zu-
sammengehorigkeit beider Theile, die er aufreeht erhalten
wissen will. Der Brief zeigt aber auch? in wie gewandter
1) Allg. Mus.-Zeit 1818. No. 41.
2) Wie weit beide Kiinstler in dieser Beziebung gingen, zeigt das
deinBriefe Bach's vom 16, Decbr. 1797 (AnhaDgll.) anKirnberger
angehangte Lied, welches nur gemacht und veroffentlicht worden war,
um R-eichardt, der eben zum Kapellmeister an dei; Konigl. Oper er-
nannt worden war, zu argern.
Marpurg hatte einen Canon gemaeht:
,,Kirn- Kirn- Kirn-
berger hat kein Gehirn!"
Kirnberger antwortete:
,,Mar- Mar- Mar-
Marpurg ist ein Narr!"
,,Unter solchen Streitereien", sagt Zelter (in seinen Nachlass-
Notizen), „ hatte Bach schon friiher in Berlin eine centrale Stellung
genommen. Badurch gewann er sich das Zutrauen der Partheien,
und in diesem heiteren Sinn ist jenes Epigrarnm (KirnTberger^s vom
Genie) ein Meisterstiick genannt."
3) Nohl, Ktinstlerbriefe. S. 68,
— 106 —
Form er derartige Geschafte zu erledigen wiisste. Uebrigens
war der von iiim erstrebte Greldvortheil ini Vergleich zu
dem? der dem neuen Verleger mit 3 zu 1 geboten wurde?
nicht erheblich.
So erschien im Jahre 1780 bei Schwickert die dritte
Auflage des ersten Bandes, dem alsbald die zweite unver-
anderte Auflage des zweiten Theils folgte. Dem ersten
Bande waren die Sonatine nuove neu beigefiigt worden.
Wichtiger als der aussere Erfolg war der Nutzen, den
diese verdienstliche Arbeit in der Kiinstlerwelt gestiftet
hat. Wer wurde sich nach Verlauf einer so langen Zeit
unterfangen konnen? hiefur einen naheren Nachweis fuhren
zu wollen, wenn nicht die Kunstgeschichte das Zeugniss
J. Haydn's aufbewahrt hatte? der in seiner Jugend schon
an Philipp Emanuel Bach's Sonaten seine Fahigkeiten
geiibt^ seine Erfindungskraft geregelt hatte. Dem Mannes-
alter naher geruckt, wollte er durch das Studium der
Theorie Ordnung in seine Ideen und deren Durcharbeitung
bringen und entschloss sich? nach einem guten Buche zu
suchen. wAber welches? das wusste er nicht. Er liess es
auf das Ungefahr ankommen^ mit dem Vorsatze, zuyor in
dem Buche ein wenig herumzublattern und es zu beur-
theilen, ehe er vielleicht die Einkiinfte eines ganzen Monats
vergeblich dafur ausgabe. Haydn wagte es; in einen
Buchladen einzutreten und ein gutes theoretisches Buch
zu fordern. Der Buchhandler nannte C. P. E. Bach's
Schriffcen als die neuesten und besten. Haydn wollte
sehen, sich uberzeugen, fing an zu lesen; begriff, fand was
er suchte? bezahlte das Buch und trug es ganz zufrieden
fort."
??In der Folge der Zeit schaffte er sich die spateren
Bach'schen Schriften (den 2tenTheil) an. Sobald Haydn's
musikalische Producte durch den Stich bekannt wurden,
bemerkte Bach mit Vergnugen; dass er ihn unter seine
Sehuler zu zahlen habe. Nachher machte er ihm selbst
das schmeichelhafte Compliment, er sei der Einzige, der
— 107 —
seine Schriften ganz verstanden babe und Gebraueh davon
zu machen wisse. Haydn hatte bei dem Kauf des Werks
viel auf den Zufall ankommen lassen. Das Gliick war ihra
besonders hold. Es spielte Ihm unter so vielen den hochsten
Treffer in die Hande."
7,H&tte ihm", setzt der Biograph hiuzu, der diese Mit-
theilung nach Haydn's eigenen Angaben auf tins gebracht
hat1), ;?der Zufall Kirnberger's Schriften statt derjemgen
Bach's in die Hande gespielt, vielleicht ware sein Bildungs-
Gang ein anderer geworden." Welche grossere Genug-
thuung; welch' hoherer Lohn konnte seiner miihsamen
und schwierigen Arbeit zuTheil werden2)? Ware ernieht
auch sonst ein Mann gewesen? dessen schopferischem Geiste?
dessen liebenswlirdiger Phantasie; dessen reicher Erfindungs-
gabe Bewunderung und Verehrung im reichstfo Masse ge-
biihrten, dieser eine Erfolg- von so ausserordentlicher Be-
deutung uud Tragweite wiirde hingereicht haben, sein
A) Dies, Biographische Nachrichten von J. Haydn. S. 37.
Uebrigens studirte Haydn anch noch Matthesons vollkommenen
Kapellmeister und das Lehrbuch von Fux, Kirnberger fand er
zu Jingstlich, ,,zu viele unendlich kleine Fesseln fiir einen freien Geist*4
2) Auch Eeichardt, in dessen Jugendzeit das Erscheinen dieses
Werkes fiel, darf als einer derjenigen genannt werden, die ihm einen
grossen Theil ihres theoretischen und praktischen Wissens verdankt
haben.
J. A. P. Schulz sagt in seiner Selbstbiographie (von Ledebur,
Berliner Tonkiinstl.-Lex. S. 529): ,,SehmugeI (sein Lehrer 1761)
hatte eine artige Sammlung Musikalien von den neuesten Berliner
Gomponisten, die damals in Deutschland fur die Muster der Kunst
galten. Er hatte auch raehrere zu der Zeit in Berlin geschriebene
Biicher (darunter offenbar Bach's Yersucb und Kirnberger'sKunst
des reinen Satzes) iiber die Musik und was dazu gehort. Icb ver-
schlang das Alles mit der grossten Begieide. Bach und Kirnberger
wurden meine Helden fiir die praktische, so wie Marpurg flir die
theoretische Musik."
Die Leipziger Allg. Mus. Zeit Jahrgang 13. S. 667, in dem sie
Haydn's Worte bestatigt: ,,AlIes was ich weiss, habe ich von
Emanuel Bach,a fiigt hinzu: ,,Ebens<> dachten die iibrigen jiingeren
KUnstler der Zeit, von denen Gluek, der Harfenist Krumholz, der
Flotist Dulon7 Glementi und Pleyel zu nennen sind."
— 108 —
Leben; Wirken und Schaffen vor der Nachwelt zu recht-
fertigen.
Bei seinen Lebzeiten wurde mit diesem seinem Werke
vielfacher Missbrauch. getrieben. Seln Erscheinen gab das
Signal zu einer wahren Sundflutli von Lehr- und Unter-
richtsbucliern fiir das Clavier, welche den Nutzen, den
Bach durch. seine Arbeit hatte stiften wollen, in Frage
stellten. Seichtigkeit, oberflachliches Wesen, Nachahmungs-
trieb thaten das ihrige dabei. Dies veranlasste ihn, nach-
dem er in Hamburg festen Fuss gefasst hatte, zu folgender
offentlichen Kundgebung l] :
,,Die Yeranderung, welche seit der Herausgabe meiner beiden
Versucbe Im Eeiche der Clavierspieler vorgegangen 1st, habe ich mit
dem grossten Vergnrtgen wahrgenommen. Ich kann ohne Ruhmredig-
keit behaupten, class seitdem richtiger gelehrt und besser gespielt
wird. Allein eben so sehr bedauere ich, dass meine so gute Ver-
anlassung unschuldiger Weise Gelegenheit geben muss, in die alte
und eine noch argere Barbarei zu fallen. Der Stolz und Eigennutz
miissiger Kopfe begniiget sich jetzt nicht mehr damit7 dass sie ihr
eigenes Machwerk vorziiglich spielen und ihren Schiilern aufdringen;
nein! sie miissen auch durch die Atitorschaft sich unsterblich machen.
Dadurch sind seit meinen Versuchen so viele Lehr- und Schulbiicher
liber^s Clavier herausgekommen, dass man das Ende davon noch nicht
absehen kann. Unter alien diesen sind diejenigen meiner Ehre am
nachtheiligsten, worin ausgerissene Stellen aus meinen Yersuchen bald
unter meinen Namen, bald ohne denselben eingenickt sind. Dass sie
ausgeschrieben haben, stehet ihnen frei, und ich wiirde nichts dagegen
haben: dass sie aber das Ausgeschriebene aus seinem nothigen Zu-
sammenhange herausgenommen, unrichtig erklaii und angewendet
haben, dies 1st so schadlich wie moglich. Wer kennet nicht den
Schaden, den eine unrichtige Fingersetzung, unrechte Erklarung und
Anwendung der Manieren, und eine ganze falsche Harmonie anrichten
kann? Ich kann ohne Passion und mit Wahrheit sagen, dass alle
Lehrbiicher iiber's Clavier, welche ieh seit meinen Versuchen habe
entstehen sehen, und mir bekannt sind (ich glaube aber, dass ich sie
alle kenne), voller Fehler stecken, und warne also die Liebhaber
unsers Instruments davor. Was ich jetzt sage, kann ich, wenn es
verlanget wird, beweisen. Will jemand behaupten, meine Versuche
waren zu weitlauftig, so hat er nichts gesagt, und verrath zugleich
eine grosse Unwissenheit. Ich theile alle Clavierspieler in zwo Klassen:
in die erste gehoren diejenigen, deren Hauptwerk die Musik ist, und
alle Liebhaber, welche- griindlich unterrichtet sein wollen. Fur die
2) Hamburger unpartheiischer Correspondent. 1773. Nro. 7.
— 109 —
erste Klasse gehoren meine Versuche, und kein Paragraph 1st lur sie
iiberfliissig. Aus den Beitragen zu meinen Lehrbiiehern, welche kiinftig
erscheinen werden, wird man sehen, dass ich nichts Ueberfliissiges
sondern noch nieht alles gesagt habe. Ein Lehnneister muss alles
wissen, was in meinen Versuchen stehet, und so viele Gescbicklich-
keit haben, diejenige Art und Ordnung des Vortrags zu wahlen,
welche der Person, die er unterricbtet, am zutragliehsten 1st. Die
Feinigkeiten bleiben zuletzt, so wie ich in der einen Vorrede ange-
fiihrt habe. Ohne Geduld und Zeit lasst sich nichts Griindliches
lernen. Das Clavierspiel ist keine sehr compendiose Sache, und darf
es auch nicht sein, wenn man griindlich verfahren will. Was soil
ich aber von denjenigen unrichtigen Lehrbiichern sagen, die bei ihrer
vorgegebenen Kiirze beinahe eben so weitlaufig sind, als die meinigen?
Fur die Liebhaber der zweiten Klasse gehort eigentlich, und wenn
es der Lehrmeister iiber sein Gewissen bringen kann, gar kein Lehr-
buch, sondern man verfahrt so, wie ich vor diesem zuweilen, zwar
sehr ungerne, doch aus Noth; namlich, ich schrieb vor jeder Stunde
die Lection, auf , die ich geben wollte, und beschaftigte mich bloss
mit den nothigsten Grundregeln. Die Feinigkeiten und Sitze der
Manieren, die Feinigkeiten im Accompagnement, das getheilte Accom-
pagnement u. s. w. musste wegbleiben7 man verlangte es auch nicht;
bei allem dem durfte der S chiller keinen einzigen falschen Griff thun,
dergleichen viele in manchem Lehrbuche zur Annehmung vorgeschrieben
sind. Wenn der Scholar in seiner Art f ertig war, so fand sich's, dass der
ganze aufgeschriebene Unterricht, ohne Exempel und dem musikalischen
A. B. C,7 welches jeder Dorfschulmeister eben so gut lehren kann,
wie der grosste Kiinstler, und welches also zum Voraus gesetzt wird,
ungefahr einen halben Bogen Papier vollfullete. Man siehet also
deutlich, dass eine Verkiirzung eines Lehrbuches fiir's Clavier zur
griindlichen Erlernung desselben allezeit eher schaden als nutzen kann,
wenn diese Yerkiirzung auch sonst keine Unrichtigkeiten hatte. Alle
die Herren Compendienschreiber, die ich kenne, baben in gewissem
Verstande zu wenig, und in gewissem Verstande zu viel, und was
das Schlimmste ist, in aller Eelation ein Haufen Unrichtiges gesagt
Was fur erbarmliches Zeug trifffc man nicht bei einigen an! Die Ur-
saehe davon ist diese: Naeh den Biichern zu urtheilen, haben ihre
Verfasser nie die Composition gelernet, welche sie doch schleehter-
dings wissen miissen, um vom Accompagnement richtig schreiben zu
konnen. Die Lehre hievon enthalt nicht allem die Grundregeln der
Composition, sgndern sie hat auch einen starken Einfluss in die tiefere
Einsicht derselben. Mit einem Worte: man kann zu einem Jjehrbueh
vom Clavierspielen, und besonders vom Accompagnement, kein Ver-
trauen fassen, wenn der Autor davon sich nicht vorher durch richtige
Ausarbeitungen bekannt und wiirdig gemacht hat, ihn fiir einen
griindlichen Componisten zu halten.
Hamburg, den 11. Januar 1773. C. P. E, Bachtu
- 110 -
Die dem grossen Meister folgende Zeit muss jenen
Lehrbuchfabrikanten Dank wissen, dass sie ihra durch
ihre seichten, seitdem vergessenen Arbeiten Veranlassung
gegeben haben? mit dieser kernigen Aeusserung hervor-
zutreten1).
Der Verfasser mochte diesen Abschnitt ungern schliessen?
ohne auf ein Curiosum zuriickzukommen, das niit eineni
Theile des so eben besprochenen Werks, der oben er-
wahnten 0-inoll-Fantasie; in naher Verbindung steht.
Wie man Gfedichte in Musik setzt7 so ist diese Musik
in Worte ubersetzt worden, und Gerstenberg war es,
der sich dieser sonderbaren Arbeit unterzogen hat2). Sie
wurde in der Flora3) v eroffentlicht 4) und enthalt nicht
1) Erne sehr ausfiihrliche Analyse des oben besprochenen Werks
erschien 1763 in der Bibliothek der schbnen Wissenschaften und freien
Kiinste; (Leipzig) 10 Bd. 1 Stck. S. 49-65 und 2 Stck. S. 270—292.
In n en ester Zeit (1853) hat dieses ebenso eigenthiimliche als merk-
wiirdige JBuch in neuer Bearbeitung eine vierte Auflage erlebt.
2) EL W. T. Gerstenberg, geb. 1737 in Schleswig, starb erst
1823* Er war zuerst Officier, dann Consul zu Liibeck in Danischem
Dienste7 und lebte von 1785 ab in Altona. Er hat zahlreiche Gedichte
und Dramen, daranter das sehr merkwiirdige Trauerspiel Ugolino
ge&chrieben und war besonders als Kritiker yon heivorragender Be-
gabung.
3) Herausgegeben von C. If. Cramer. (Kiel und Hamburg 1787.)
4) Man liest dariiber in der Vorrede der Flora:
,,Diese hdchst originale musikalische Idee bedarf vielleicht rnehr
als irgend ein Stiiek der Flora eines Commentars. Sie, deren ich
schon im musikalisehen Magazin (Jahrg. I. Th. II. S. 1253) erwahnt
habe, kommt wenigstens einem unserer grossten Tonkiinstler — ich
nenne ihn — Schulzen, als ein hochst merkwiirdiges Meteor vor;
und so wagte ich's, ihren Urheber, der vielleicht befiirchtet, dass nnr
wenige sie verdauen diirften, um ihre Bekanntmachung zu bitten.
Er gestand sie mir halb ungern zu. Ihre Genesis ist folgende:
Es war gestritten worden, ob auch blosse Instrumental-Musik, bei
der der Kiinstler nur dunkle, leidensehaftliche Begriife in seiner Seele
liegen gehabt, einer Analyse in helleren bestimmteren Ziigen fahig
sein sollte? Gerstenberg^ und auch er nur der einzige Mann dazu,
versuchte es und nahm zu der Probe grade ein Schwerstes, was sich
nur denken lasst, die bekannte Bach'sche Clavier -Phantasie, deren
Yerfasser sich's wohl nie hatte traumen lassen, dass der ungebundene
— ill _-
weniger als zwei Versionen, namlich einmal Worte zn
dem Moment, wo Socrates den Giftbecher trinkt, und
dann eine Philosophie Hamlets tiber den Selbstrnord.
Gerstenberg hat mit dieser Curiositat eine erhohte Pro-
gramm-Musik ohne Nutzen und Zweck geschaffen, welche
Flug seiner erhabenen Einbildungskraffc znm Einsehlage eines poe-
tischen Gewebes und zur Darstellung der Empfindungen eines Ge-
sangstiicks fahig ware. Aus alien den nicht einmal in Takte und
Rhythmen zwangbaren Schwingen und Spningen dieses dnrch alle
Gefilde der Modulation einherziehenden Wolken-Gebildes hob sein
plastischer Genius, gleich dem Lesbi'schen Tragelaph, hier einen
Fuss, dort einen Arm, hier eine Nase und wieder ein Auge heraus,
und setzte Euch so diese Gestalt tiefer Empfindung zusammen, die
freilich nicht einem jeden gleich anschaulich sein diirfte, aber den
Weisen belohnen wird, sie zu studiren.
Und nicht genug an einer Gestalt! — Aus ganz verschiedenartigen
Phrasen dieser Phantasie bildete er eine doppelte sogar, und knetete
so kiinstlich am widerstrebenden Stoffe, dass er die zweifache Situation,
Hamlet, der iiber den Selbstmord rasonnirt, und die des Socrates,
der im Begriff steht den Giftbecher zu trinken, vor dem verwunderten
Horer auspunkttrte.
. . . Ich glaube fast, dass dieser excentrische Yersuch zu den
wichtigsten Keuerungen gehort, auf die je ein Kenner verfallen ist,
und dass er einem denkenden Kiinstler, der sich nicht immer unter
die Sklaverei des Hergebrachten schmiegt, eine Wiinschelruthe sein
mag, manche tiefliegende Goldader in den geheimen Schachten der
Musik zu erspahen, indem er durch die That beweist, was fiir ganz
andere Effecte noch aus dieser dithyrambischen Verbindung von In-
strumental- und Yocal-Musik resultiren konnen, als bei der bisherigen,
in eigensinnigen Formen und Ehythmen eingezwangten moglich sind.
Schulz, der zuerst auch hier Licht sahe und in verschiedenen
Gesangstiicken die Taktstriche und das willkiirlich angenommene
Joch, das sie mit sich fiihren, abwarf, ware der Mann, sie zu
Man sieht, auch das Ende des 18. Jahrhunderts hatte seine Zu-
kunftstheorien. Ist es nicht grade als ob man hier den Lehren eines
Muslkers der neueren Schule lauschte, die in dem Zerbrechen der
Form, dem Abstreifen der als lastiger Zwang verschrieenen Eegelm,
die den freien Flug kiihner Seelen hindern, das Weeen der Kunst
suchen naochten? Und doch war Cramer ein Mann von eminent
klassiseher TUchtung und sein Zukunfts-Musiker war Philipp
Bach!
— 112 —
die subjective Auffassung fur das schone Musikstiick beengt
und stort. Dabei sind die Worte, die man, je nachdein
man sich mehr zu Socrates oder Hamlet hingezogen
fuhlt? im deklamatorisclaen Tenor singen soil, ohne jedes
musikalische Greprage geblieben.
Ob Socrates ausruft:
Nein; nein! die ernste hohe Grestalt,
Die nahe Stunde soil euch nicht schrecken,
Der Verwesung nahe Stunde!
Und ich kenne Dich!
Grenius, Gestalt, Geist; etc, etc.
oder ob Hamlet, nachdem er mit dern unvernaeidlichen
Sein oder Niohtsein begonnen hat; griibelt:
0 nein; o nein! erwiinschter ware dir; Seele,
In's Nichtsein hiniiber zu schlummern,
In's Licht zum Sein zu erwachen?
Zur Wonne liinaufwM,rts schauen?
Die Qnscliuld sehen? die Dulderin^
Wie sie enger in's Leben bliilit
Der Ewigkeit!
Nirgends ist ein lyrischer Ton darin angeschlagen,
Alles ist abgerissene Ehapsodie ohne inneren Zusammen-
hang mit der Musik; zu einer Art von recitativischer De-
clamation aufgeputzt. Dennoch ist es von grossem Inter-
esse zu sehen; wie anregend Bach's Clavier-Werke auf
seine Zeitgenossen gewirkt haben, mag diese Wirkung im
vorliegenden Falle auch eine verkehrte gewesen sein.
Eine andere Arbeit theoretiseher Natur? welche wah-
rend Em. Bach's Berliner Zeit veroffentlicht wurde? ist
von geringerer Bedeutung und nur deshalb der Betrach-
tuBg werth? weil sie zeigt, wie in ilun das Blut seines
Vaters noch fortlebte, der bekanntlich an subtilen contra-
punktischon Kunststiicken eine grosse Freude hatte.
Es ist dies ein ?7Einfall3 einen doppelten Contra-
punkt in der Octave von sechs Takten zu machen.
— 113 —
ohne die Regeln davon zu wissen"1), mit dem Motto
des Horaz: wlnterdnm Socrates equitabat arundine longa".
Die iiberaus gelehrte und sinnreiehe Berechnung,
welche in dieser Arbeit liegt, hat freilieh einen anderen
Zweck nicht, als eben den? gelehrt zu sein. Die Berech-
nung des Contrapunkts gescliieht durcli Annahine je zweier
Reihen einfacher Zahlen zwischen 1 bis 9. Dieser Zahlen
diirfen nicht mehr als sects sein. Die obere Eeihe ent-
halt die Zahlen der Oberstimme des Contrapunkts, die
andere die Unterstiinine. Das Finden der Noten gescliieht
durct eine bestimnite Art des Abzahlens. Auf diese Weise
sind 9 Contrapunkte in der Octave iiber derselben Grund-
harmonie entworfen. So entsteht beispielsweise der aus den
3. 1. 5. 2. 7. 9. , .
846128 bcstimmte doppelte Contra-
r/ _.
-6anien
punkt in der Octave wie folgt:
m
i
Der Kunst war durch diese Spielereien nicht geholfen.
Man ersieht aus ihr nur? wie sehr das contrapuuktische
Wesen der alten Schule Unberufene zur Kunstlichkeit ohne
Inhalt fiihren konnte. Em. Bach war; wie sein Vater,
ein grosser Liebhaber von solchen Kunststuekchen. Er
und Kirnberger schickten sich gegenseitig Rathsel-
Canons zu; und noch in spaterer Zeit wird man einer Me-
i) Marpurg, hiistor.-krit. Beitra^e. Bd. ILL B. 167. No. 10*
Bitter, Emairael und Friedomajin Baeh. g
— 114 —
nuett begegnen, die vor- und riickwarts gespielt werden
konnte1). Yon Kirnberger niochte man sich soldier
Dinge wohl versehen, da sein ganzes Wesen meiir deni
formellen Theile der Musik zugeneigt war2). Bei Bach ei*-
halten dergleichen Tendenzen einen gewissermassen liebens-
wiirdigen Charakter. In ihnen zeigte sich ein Theil der
hmnoristischen Seite seines Wesens, den er gegen seine
stronger denkenden Knnstfreunde wie gegen sich selbst
und seinen eignen Ursprung spielen liess.
Somit dienen dieselben in gewissem Sinne zur Ergan-
zung der sonst so sehr fehlenden Nachrichten uber sein
ganzes Wesen und sein Leben; deren grosserer Theil aus
seinen uns hinteiiassenen Arbeiten kunstlich zusamrnen-
gefugt werden niuss.
C. Orgel- und reine Instrumental-Compositionen*
Obgleich es bekannt 1st, dass Em. Bach sich seiner
Zeit als ein Orgelspieler ersten Ranges bewahrt hat? so ist
die Zahl der yon ihm fur dies Haupt- und Lieblings- In-
strument seines Vaters componirten Stticke ini Ganzen
doch nur unbedeutend. Eigentliche Orgel -Compositionen
hat er erst vom Jahre 1755 ab gesetzt und zwar:
1755: 2 Allegri fur die Orgel,
3 Soli fur die Orgel, F-dur %, D-dur 4/4 und
A-moU %,
1) Siehe welter nnten iiber das Vielerlei.
2) Kirnberger's Charakter ist vielfach ungiinstig benrtheilt wor-
den. Doch sind auch gewichtige Stimmen zu seinem Gtmsten auf-
getreten. Ueber ihn endgiiltig zu iirtheilen ist hier nicht der Ort.
Dass vielfache Sorgen auf ihm lasteten, sein Geraiith verbitterten und
reizten, mag weniger bekannt sein. Vielleicht tragt es zur richtigen
Wilrdigung dieses sonst so ausgezeichneten Mannes einiges bei, wenn
im Anhange eine Reihe von Briefen veroffentliclit wird, deren Origi-
nalien sich in deni Archive des v. Decker'schen Verlags zu Berlin
befinden, und die liber seine personliche Lage einigen Aufschluss
geben.
— 115 —
Concert fur die Orgel oder Clavier, G-dur 4/4, auch
fur die Flute gesetzt, unter den Claviersachen
mit aufgenoinmen,
1756: Praludium fiir die Orgel, 2 Claviere und Pedal,
D-dur 4/4,
1758: Solo fur die Orgel, B-dur 44, gedr. von Hafner,
1759: Concert fur die Orgel oder das Clavier mit Quar-
tett und 2 Eornern, As-dur 4/4.
Die Zeit, in welcher diese Arbeiten gefertigt sind, be-
schrankt sich auf einen ausserordentlich kurzen Zeitraum.
Muthinasslich liatten ihn besondere TJmstande darauf hin-
gefiihrt.
Bedeutender war seine Thatigkeit als Instruinental-
Coinponist. Hier findet man von ihm:
1738: Soli fiir die Flote, B-dur 4/47 D-dur %,
1739: Desgl. G-dur V4?
1740: 2 Desgl. A-moll l%, D-dur %
1741: Simphonie fur Streich-Quartett, G-dur 4/4?
1745: Trio fiir Flote oder Clavier mit Violine uud Bass,
C-dur 4/4 (Potsdam),
Solo for die Flote, C-dur 4/4?
Solo fur die Viola da Gamba, C-dur %?
1746: Solo for die Viola da Gamba, D-dur %7
Desgl. far die Flote, B-dur 3/8,
1747: Trio fiir Flote, Violine und Bass, G-dur % (Pots-
dam),
Desgl, in D-dur %?
2 Desgl. fur 2 Violinen und Bass, F-dur % und
E-moll 2/4 (Potsdam),
Solo fur die Flote, D-dur %,
Desgl. ohne Bass (gedruckt),
1748: Trio fiir Flote, Violine und Bass, gedruckt bei
Schmidt in Niirnberg (Potsdam),
Duett fiir Flote und Violine, gedruckt im Musik.
Vielerlei.
- 116 -
1749: Trio fur 2 Floten und Bass (Potsdam),
auch fiir Flote und Clavier, E-dur %,
Desgl. far 2 Violinen und Bass (Potsdam), gedr.
bei Schmidt in Niirnberg,
1751: Clavier -Concert, auch fiir Violoncell und Flote ge-
setzt, JB-dur 4/4,
1752: Duett fur 2 Violinen, D-moll %,
1753: Clavier -Concert init Quartett-Begleitung, auch fur
Violine und Flote, A-dur 4/4 (Potsdam),
1754: Trii fur 2 Violinen und Bass, auch fiir Flofce und
Clavier, desgl. fur Flote, Violine und Bass, Gr-dur
% daselbst,
Sinfonie fur 2 Violinen und Bass, A -moll 4/4,
Desgl., gedr. im Musik. Mancheiiei,
Trio fiir Clavier und Violine, D-dur %,
1755: Trio fiir Bass, Elote, Viola und Bass, auch fur
2 Violinen und Bass, F-dur %,
Desgl. fur Flote, Violine und Bass, auch fiir Flote
und Clavier, Gr-dur %,
Sinfonie fur 3 Trompeten, Pauken, 2 Hornern,
2 Oboen, 2 Floten, D-dur 4/4 (natiirlich auch
mit Streich- Quart ett),
Desgl. mit Floten und Hornern, C-dur 4/4 (Potsd.),
Desgl. mit Floten, Hornern und Bassons, F-dur 4/4;
1756: Trio fiir 2 Violinen und Bass, gedr. im Musik.
Mancherlei,
Sinfonie in E-moll 4/4, ohne nahere Bezeichnung,
als dass sie gedruckt ist (vielleicht fur Clavier),
1757: Sinfonie mit Hornern und Oboen (und Quartett),
C-moll 3A?
• 1758: Desgl., G-dur 4/4,
1762: Solo fur die Harfe, G-dur %,
Sinfonie mit Hornern, Floter und Oboen, F-dur 4/4.
Dem diirften, als muthmasslich der Berliner Zeit an-
gehorig, noch hinzuzurechnen sein, zwei abwechselnde
stark besetzte Menuetten mit 3 Trompeten, Pauken, 2 Hor-
— 117 —
nern, 2 Oboen, 2 Floten und Quartett, gedr. im Musik.
Mancherlei. Auch tier blieb, der relcheren Ausbeute mi-
geachtet, Bach's Thatigkeit gegen seine Arbeiten im Faehe
der Clavier-Composition weit zuriick und horte in den letzten
Jahren seines Berliner Anfenthalts so gut wie ganz auf.
Dagegen findet man in diesen Instrumental -Sachen
seine Vorliebe fur das Instrument des Konigs bewahrt.
Nahe an V3 der obigen Instrumental- Nummern sind fur
die Flote gesetzt, oder doch nachtraglich fur sie bearbeitet.
Vielleicht hat dabei raitgewirkt, dass der Dilettantismus
jener Zeitperiode sich mehr der Flote, als anderen schwerer
zu behandelnden Instrumenten zuneigte.
Ueber cinige der angeftihrten Trii ist oben gesprochen
worden. Es niag erlaubt sein, (iber die anderen Instru-
mental-Arbeit en hier vorlaufig fortzugehen. Eine hervor-
tretende Rollo in dein Leben und Wirken Bach's nelimen
sie niclit ein.
Grossere Aufmerksamkeit erfordern seine Arbeiten,
die deni Kreise der
D. Kirchen-Musiken
angehoren, und welche insofern em bcsonderes Interesse
bieten, als sie die ersten Schritte auf einer Bahn zeigen,
auf der sich Bach in spaterer Lebenszeit in ausgedehute-
steni Gange bewegt hat. Zu diesem gehort
1. Das Magnificat,
mit dem er in einer "Weise den Boden der kirchiichen
Composition betrat, der zu den hochsten Erwartungen be-
rechtigen dtirfte. Der Titel des in der K. Bibliothek zu
Berlin befindlichen Originals lautet
/. J. (Jesu jui'aj Magnificat, a 4 Voci> 2 Gornt, 2 Trai\,
2 Hautl.y 2 Violini, Viola v ContimfOy 3 Troupe e Tiittjjani.
Ani Schlusse der Origmal-Partitur stcht geschriebcn :
,,Fine. S. D. Gl. Potsdam, 25. Aug. 1749,"
— 118 ~-
Man wird in diesen Bezeichnungen, den ?,Jesu
juva" und den ,,Soli Deo Gloria", die ehrwurdigen
Traditionen aus dem Hause, und der Schule Sebastian
Bach's wiederfinden. Man findet aber auch den Geist
des Vaters in dem herrlichen Werke selbst, das sich dessen
beruhmten Magnificat an die Seite stellen darf; und von
dem aus die Desorganisation nicht hatte erwartet werden
diirfen? die in den spateren Kirchen-Arbeiten Bach's so
haufig sichtbar ist.
Rochlitz erzahlt liber die Entstehung dieses Werkes
folgendes1): ,,Die beruhmten Sohne Sebastian Bach's
wollten, als sie sich zu fuhlen anfingen und einstmals (so
viel ich weiss? in Hamburg) zusammentrafen, eine Ge-
dachtnissfeier ihres grossen Vaters veranstalten, wozu jeder
ein Stuck zu schreiben gedachte, das dessen wiirdig ware.
Die Ausfuhrung der Feierlichkeit unterblieb, wahrscheinlich
aus Mangel an hinreichender Theilnahme. Philip p Em a-
nuel Bach aber hatte das Magnificat in 8 grossen Satzen
schon vollendet. Er hielt diese Arbeit selbst so hoch? dass,
als er darauf die Stelle eines Musikdirectors an den Haupt-
kirchen in Leipzig zu erlangen Avunschte; er dies Werk
als Probestuck einsandte, jedoch ohne damit seinen Zweck
zu erreichen, indem das Vorztiglichste darin der damaligen
Zeit zu hoch stand und weit weniger Eingang finden
konnte, als Doles populares Concertstuek? sein rauschender
munterer Psalm ??Warum toben die Heiden," welcher den
Preis erhielt und dem Verfasser jenes Amt erwarb."
Selten hat sich wo hi eine so grosse Anzahl von Irr-
thiimern und Unrichtigkeiten in einer so kurzon Notiz zu-
sammengefunden. Zunachst lebte Sebastian Bach noch
in Gesundheit und voller Kraft, als Emanuel am 25. Aug.
1749, nach seiner eigenhandigen Bemerkung, das Magnifi-
cat beendete. Zum Zwecke einer Geclachtnissfeier fur den
noch lebenden Vater konnte er die Arbeit also unmoglich
Leipz. Miis. Allg. Zeit. 9t. Jahrg. S.
— 119 —
gefertigt haben. Dann aber ist bekannt, dass; als er sich
sogleieh nach dem Tode desselben um das Oantorat zu
Leipzig bewarb, er nicht mit Doles, sondern mitHarrer
um diese zu eoncurriren hatte. Dass er ein Magnificat
als Probe-Arbeit eingereiclit habe, ist niclit bekannt. Harrer
hatte zwar die Absicht, schon zu Lebzeiten Sebastian
Bach's eine Probe -Musik in Leipzig aufzufuhren. Fiir
seine Wahl aber und fur die Nichtberucksichtigung Ema-
nuel Bach's waren ganz andere Motive vorwiegend, als
inusikalische Popularitat oder gelehrte und tiefsinnige
Schopfungen1). Dass sich Einanuel Bach, nach dem
1755 erfolgten Tpde Harrer's, rait Doles zugleich noch
einmal um das Cantorat der Thomas-Schule beworben habe,
ergiebt sich, rnindestens aus den Leipziger Eaths-Acten,
nicht.
Ein Zusainmentreffen der Grebrlider Bach; bei welchem
die Uebung der Musik in die erste Linie getreten ware,
hatte wohl dein alten Familienbrauch entsprochen. Aber
die Bedingungen nahen Bei^ainrnenlebens, welche dies
frliher so sehr erleichtert hatten, waren nicht rnehr vor-
handen. Auch deutet nichts darauf hin, dass die in Italien
(spater London), Biickeburg, Halle und Berlin (spiiter
Naumburg) verstreuten vier Bruder wirklicli jeinals alle zu-
gleich bei einander gewesen waren. Dies ist um so weni-
ger wahrscheinlich , als in spaterer Zeit alle Beriihrungs-
punkte zwischen Friedemann und Einanuel Bach auf-
gehort hatten. So wird denn die Erzahlung von Roch-
litz tiber das Entstehen des vorliegenden Werks in den
Bereich jener zahlreichen Anecdoten fallen, deren Bedeu-
tung sich bei naherer Prufung in nichts auflost. Wie dem
auch sein mag, das Werk selbst ware wlii^dig gewesen,
bei Gelegenheit einer Erinnerungsfeier fur Sebastian Bach
zur Ausfuhrung gebracht zu werden. Denn es ist in sei-
Siehe Johann Sebastian Bach. Th. II. S, 365.
— 120
nem Geiste geschrieben l). Ein glanzendes, 21 Takte lan-
ges Vorspiel (Allegro D-dur 4/i) fu'hrt in die Hauptmotive
des Chors ein. Die Violinen fliegen, von den Floten und
Oboen unterstutzt, in jubelnden Passagen herab und her-
auf. Die Blech-Instruraente folgen ihnen und die Basse
schreiten in lebhaft ab- und aufsteigender Bewegung vor-
•warts:
Bass, I
^3
•*- U
B3j FE
d ».. I. . 0 -jj
EEgEEgEE
Dieser glanzenden Tonniasse des Orchesters, welche
sich in wechselnden Formen bis zum Schlusse hin gleieh-
i) Das Magnificat Em. Bach's ist hn Stich erschienen bei Sim-
rock in Bonn. Der Titel desselben ist. Magnificat a 4 voci,
3 Trombe, Timpani, 2 Corni, 2 Plauti, 2 Oboi, 2 Violini, Viola e Con-
tinuo di Carlo Pilippo Emanuele Bach, Maestro di Capella de S. A.
E. M la Principessa Amalia da Prussia, Badessa da Quedlinbmg,
Diiettore di Masica della llepublica di Hamburgo. Dopo laPartituia
autografa dell' autore.
— 121 —
massig fortbewegt, wird der 4stimmige Chor ^Magnificat
amma mea Dominum et exult avit spiritus mem in Deo salu-
tari" eingefiigt, zum Theil in homophon gefiihrten breiten
Massen, zum Theil in polyphonen Gestaltungen, hie und
da in canonische Porraen abweichend,
Et exulta - vit spi - ritus me
us
— w— ^-( — [_, ™~i A ~ "?""^t*.^^j
^^
Et esul- ta - vit spiritns me
tis iii Deo
Et exul- ta-vit spi - ritus me - us
Et exnl- ta-vit spiritns meus
ohne dass eine eigentlich thematische Verarbeitung statt-
fande. GrQgen den Schlusa bin hebt sich der Chor in
schwtmgvoller Steigerung auf der Tonleiter empor, und
eine Umkehrung der canonischen Eintritte des ersten Ab-
schnitts fuhrt zu einem fest auftretenden kurzen Abschluss.
Das G-anze charakterisirt sich als ein gliinzender Jubel-
Gesang.
Ihm unmittelbar folgt die Arie No. 2 fur Sopran:
vQuia respexit humilitatem ancillae siiae, ecce enim me dicent
leatam omnes generationes" (fl-moll 3/47 Quartett-Begleitung),
ein uberaus gesaagvolles, von dem Gefuhle der innigsten
Prommigkeit durchwehtes Musikstiick.
I. a. 2. Viol J
Basse.
— 122 —
raicfiteSE
draBa^=====z
Bei Betrachtung dieser und cler spateren Arie fur Alt
No. 7 ,;Suscepit Israel" drangt sich unwillkliiiich die
ITrage auf: waruin hat Emanuel Bach, der sich hier auf
dem unzweifelhaft einzig richtigen Wege befand, die Form
des Musikstucks nach deni Inhalt desselben zu beinessen,
sich in spaterer Zeit fast ausschliesslich zu der alten zwei-
theiligen Arienform (mif cler Wiederholung des ersten
Theils) zuruckgewendet? Ware er auf der hier einge-
schlagenen Balm geblieben!
Deni melodiosen Anfange der Arie tritt bald ein
zweites kraftiger geformtes Motiv gegenuber:
:=r±p:rarfz:p ~"
^-=±^yE^=^
Gregen den Schluss hin ist eine im Oharakter der
Hanpt-Melodie gehaltene iiberaus grazidse Passage einge-
flochten. Das Ganze ist ein vollendetes Musikstiick im
lyrischen Style. Ihm folgt No. 3, eine zweite Arie, fiir
Tsnor, Allegro assai G-dur 4/4; ^roni Quartett und zwei
Hornern begleitet: ^Quia fecit milii magna, gid potens est,
et, sanctum nomen ejus.u Ein kraftiges, grossartig geformtes
Motiv geht bald in glanzende Triolen-Passagen iiber? die
bravourmassig und sehr sangbar gesetzt sind. Das Or-
— 123 —
Chester, das die einzelnen Satze der Arie durch lange den
Motiven angehorige Ritornells einleitet und verbindet; zeigt,
wo es nicht als Begleitung des Gesangs auftritt, eine be-
wegte, oft feurige Haltung. Audi in dieser Arie, wiewohl
sie die Grenzen der zu jener Zeit gebrauchlichen Schreib-
weise innehalt, steht Emanuel Bach freier und hoher als
in der grossen Mehrzahl seiner Arien aus spaterer Zeit.
No. 4. Solo-Quartett (Andantino E-moll %. Streich-
Quartett, 2 Flaut. trav., 2 Oboe): ,,Et misericordia ejus a
progenie in progeniem timentibu* eum.u Die 4 Solostimmen
treten ohne Vorspiel sogleich mit dem zweiten Viertel ein:
Et mi - se - ri - cor-di- a e
x1 i i i ^ ^ i
I I I I I -0 9— IL Vs* V'
a pro-
a pro - ge-nl-e
ge-m-e
Dies Quartett bietet eine schon gefornite, die warmste
Innigkeit athmende Folge harinonischer Melodien-Bildungen,
deren seltener Wohllaut den Genius des Tonsetzers in seiner
vollen Eigenthiimlichkeit offenbart. Die Violinen und Violen
begleiten in stetig fortschreitenden Achtel-Noten die Modu-
lation der Singstimmen, wahrend die Blaser zur Yerstarkung
derselben dienen und, wo der Gesang schweigt, die Melodie
fortfiihren. Wahrend des ruhigen Fortschreitens tont plotz-
lich wie heller Lichtschein die Melodie des alten Kirchen-
liedes; ??Meine Seele erhebt den Herrn"? von den
_ 124 —
Oboen intonirt, liber den Gesang fort. Unwillkiirlich wird
die Erinnerimgauf Sebastian Bach's ,,Suscepit Israel"
zuriickgelenkt. Was der Vater in seiner tiefsinnig ernsten
Weise aus der Fulle der ihm in so reicheni Maasse dienen-
den Kunstmittel gestaltet hatte, das sieht man hier den
Sohn in der ihm eigenen reizvollen Weise wiederholen.
Zweimal wird der Gresang in die beiden Sopranstimmen
verlegt, deren Duos voller Zartheit und Siisse den vier-
stimrnigen Satz unterbrechen:
Et mi - se - ri-cor - di-a e-jus
Et mi-se-ri-cordia
-i=s=v=tt=m—£F3tt
r|:zzt=^— ^tzr^^ztr:
ge-cie in pro - ge - ni - em,
f~H^r
/ \
ti - men- ti- bus e
ti - men - ti-bus
ti-bus
Es ist wenig Besseres im Bereiche der geistlichen
Musik geschrieben worden. Die Selbstandigkeit in der
Fiihrung der Stimnie wirkt der bei Emanuel Bach sonst
so haufig angewendeten Homophonie gegenfiber auf be-
sonclers wohlthuende Art.
Merkwiirdiger Weise scheint dieser sclione Satz dem
Meister nicht geniigt zu haben. Er hat ihn, gleichfalls als
Solo-Quartett, noch einmal (E-moll Allabr. Adagio) com-
ponirt und dabei dem Orchester noch zwei Horner in g
125 —
hinzugesetzt. Laut jener mit der zitternden Handschrift
seiner spateren Lebensjahre gesehriebenen Bemerkung
Bach's unter der Original-Partitur dieses S tucks ist diese
zweite Composition in Hamburg zwischen 1780 und 1782
entstanden.
Sopran L
Sopran II.
Tenor,
Bass.
et ml-se-rz-cor-di-a, mi - se - ri-cor-di-a
Ernster als das ursprungliche Stuck, zugleich in der
Form gedrungener, ist sie in Fulle und Schonneit des
Inhalts demselben ebenbtirtig. Sie ist reich an den iiber-
raschendsten harmonischen Combinationen ? reicher nocli
an eindringlicher Erhebung und Steigerung des Ausdi-ucks.
Besonders wirkungsvoll Ist der zweite Einsatz der Stinime
im 20. Takt mit dern Fortissimo und deal festen Eintritt
aller Instrumente? wobei wie in den ersten Takten die drei
Unterstirnrneh in rhythmischen Gegensatzen deni flehenden
Gesange des Sopran gegeniiberstehen.
Dies Stuck zeigt? dass eine mehr als dreissigjahrige
weitere Uebung der Kunst die Krafte des zum Greise ge-
wordenen Meisters nicht erschopft hatte; dass ihu das Alter
— 126 —
vielmehr noch in der Frische jugendlicher Empfindungen
und kiinstleriseher Erzeugungsfahigkeit gefunden hat.
Dasselbe Stuck zeigt aber auch, dass der Mann, der
nach vieljahrigem Schaffen fiir die Kirche in spaterer Zeit
die Bahn verlassen hatte, auf der er allein den ernsten
Forderungen des religiosen Cultus gerecht werden konnte?
weit da von entfernt war die Grimdsatze, in denen er er-
zogen und gross geworden war, zu verleugnen. Von Zeit
zu Zeit handelte er wiederuin nacli ihnen, gleichsain uin
das Band, das ihn niit einer grossen Vcrgangenheit ver-
kniipfte, nicht zerrcissen zu lassen. So sehen wir hier
den Greis auf die Grundsatze seiner Jugend und seiner
mannlichen Thatigkeit zuriickgreifen.
No. 5. Arie fiir Bass A-dur 2/4? Allegro, Quartett-
Begleitung, 3 Trompeten und Pauken. ?,Fecit potentiam in
Irachw suo. Disjjersit superbos mente cordis sui.u Ein
stolz geformtes und in sehwungvoller Kuhnheit durchge-
fiinrtes Stuck; welches insbesondere diuwch die in beiden
Geigen wechselnden Figuren einen hohen Grad von Leben-
digkeit erhalt. Diese Arie erfordert eine sehr kraftige,
bravourmassig ausgebildete Stimnae in hoher Lage und
einen declamatorischen Vortrag, vermoge dessen der Sanger
im Stande ist einzelne Schwierigkeiten zu iiberwinden, die
sich aus dem JStreben der Bach'schen Schule nach male-
rischer Wirkung ergeben.
Man findet hier zugleich ein bemerkenswerthes Bei-
spiel der Art und Weise? in der die Zeit Emanuel Bach's
den vorgeschriebenen Gang der Partitur durch das Accom-
pagnenaent ana Fliigel illustrirt wissen wollte. Man be-
trachte die Bezifferung zu dena folgenden unisono artigen *
Gange der Instrumente und der Gesangsstirmiie:
— 127 —
Tore. f'9*i£:;=,
j I £^s • P'~r - sit su - per - bos, su-
"-.r" {
I P^^;^gH;=3§^^EgE:'g^£g=F^E^EiEE
5 e T 6 ~^C""1"""— ""J1 """"""11""
fi
Hier ist die harinoni^che Wirkung im Gegensatz zu
cler Wirkung cles Orchesters allcin in das Accompagnement
gelegt; ohno de=isen MitTvirkung die«e Stolle eine gewisse
Trockenheit haben Tvurde, dick, ilir naeii der Partitur keines-
wegs eigen ist.
No. 6: jyDepOkitif j^nfe/ttes cle &ed?7 et e,cffltfrvtt liumiles.
Esimentes un^leiit bow's, et cltviti'ft dimisif htanps." Duo fur
Alt tind Tenor, Allegretto, A-moll V1? 2 Corni in e? Streich-
Quartett. Ein etwas langes Stuck, aber doeli im 1. Theile
von anrcgendein Tnteresse dureh die Gegenwirktmg der
Triolenfigureri der Violinen gegen dif in declamatorisch-
melodiseheni Styl imd figurirtem Gesange fortschreitenden
Singstinimen, welclie wiedernm ehiauder eoneertirend gegen-
itbertreten. Der rl'ytlmusehe Gang ist hie and da durch
die gleiclifall^ in Triolen tibertretende Gegenbewegung der
Bratschen und Bil^se z\v eckma^ig uwtcrbroclien.
Der 2. Satz ,?Esurientes*fc in F-dur ist einfacher gebalten
und konnte in jedem Falle gedrungener gefasst sein.
— 128 —
Diesem Duo schliesst sich No. 7 Arie fur Alt (Andante,
D-moll %} 2 Flaut. trav.? Quartetto con sordini. Continuo
sempre piano) an, ^Suscepit Israel puerum suum, recordatus
misericordiae suae, Sicut locutus est ad jjatres nostros AbraJiae
et semini ejus in secula", in Styl und Charakter der Arie
No. 2 ahnlich, JDas in dem remsten Gefuhls-Ausdruck sich
bewegende Motiv wird von dein Orchester eingefiihrt, die
breit angelegte Melodie von den Violinen und Floten in
der Octave begleitet. Ungeachtet der Weichheit der For-
men tragt dieselbe den Charakter des Declamatorischen.
Ungeinein schon wirkt deren Wiederliolung im Orchester
als Nachspiel.
Die bishieher behandelten Numniern des vorliegenden
Werks zeigen? inancher Annaherungen in dem Grund-
charakter ungeachtet, doch die durchgreifende Verschieden-
lieit der nausikalischen Ziele zwischen Vater und Sohn.
Der polyphone Styl? der bei jenem iiberall in seiner hoch-
sfen Strenge festgehalten ist; wird bei diesem durch die
Neigung zum Wohlklange, zur nielodioseu Rhythinik, zur
weicheren Gefiihlsrichtung weit tiberwogen.
Zum ersten Male tritt Her ein Merkmal des Em. Bach7-
schen Styls als ein ihm tiberhaupt eigenthumliches auf;
das sich weiterhin als ein Hauptmerknial seiner Besondei--
lieit zeigt. Es ist dies die vorherrschende Neigung zur
Lyrlk? zum Gesanglichen , deren Uebergewicht ja auch in
semen Claviercompositionen; zumal der spateren Zeit, un-
verkennbar ist.
Was das vorliegende Werk von dem seines Vaters
vor Allem unterscheidet? ist das Fehlen jenes symbolischen
Elements, das in dem Magnificat Sebastian Bach's eine
so hervortretende Stelle einnimmt. Bei Emanuel Bach
findet sich hievon keine Andeutung. Denn die Einfuhrung
des Chorals in dem 7,Miserieordia" kann kaum anders als
nnter dem Gesichtspunkt einer Nachahmung des ??Susce-
pit Israel" bei Sebastian Bach betrachtet werden.
— 129 —
Ein anderes nicht minder unterscheidendes Moment
beider Werke liegt darin, dass bei Sebastian Bach der
Schwerpunkt der Musik, das Entscheidende derselben, in
den Choren liegt? wahrend Emanuel Bach diese nur als
Ausgangs- und Schlusspunkte betrachtet hat. Bei ihm liegt
das Hauptgewieht in den Solo-Gesangen, vorzugsweise in
den Arien. Es war dies wohl nicht allein ein Ausfluss
des lyrischen Triebes, der in ihm lag; sondern ohne Zweifel
auch eine Kiickwirkung der italienischen Gesangsmusik,
die ihn im Dienste Friedrich's des Grossen so vielfach
beschaftigte, und welche auf die nielodisch rhythmische
Behandlung seiner Arbeiten nicht ohne den grossten Ein-
fluss geblieben ist. So finden sich in dem Magnificat
Sebastian's unter 12 Nuinniern 5 Chore, zum Theil in
gewaltigen Dimensionen, in ziemlich gleichmassiger Ver-
theilung zwischen die Solosatze eingereiht. Emanuel
giebt deren nur drei, einen am Anfang und zwei am
Schlusse.
Der vorhin besprochenen Arie No. 7 folgt namlich
zunachst ein Chor (No. 8) 7;Gloria patri et filio et
spiritui sancto", der nur eine Wiederholung des Ein-
gangschors ist. Der helle jubelnde Klang desselben -\\irkt
dem zarten Gesange der Arie gegenuber mit lebendiger
Elraft. Da wo in dem ersten Chore die Stimmen in die
Umkehrung des Themas iibergehen, briciit der Gesang
plotzlich ab und fallt in ein kurzes, kraftiges Largo:
Largo.
Bitter, Emaimel tend: Friedemann Baclu
130 —
1 ^- ~r- 1 (-
spi-ri-tui sane - to.
ri - tu -
auf, welches unmittelbar der fugirte Chor No. 9: ?,Sicut
erat in principle, et nunc et semper, in saecula
saeculorum, Amen" (Allabr. D-dur) rait deni Bassthenia
einsetzt.
Die Gesangsstiminen, welche dies breite Motiv in ihrer
vollen Kraft durchfuhren, werden durch die nach und nach
hinzutretenden Instrumente, von denen die Bratsche mit
dem Bass, die beiden Floten und die 2. Violine mit dem
Tenor, die 1. Trompete und das 1. Horn mit dem Alt,
und die 2. Trompete, das 2. Horn, die 1. Oboe und die
1. Violine mit dein Sopran gehen, in mehr und rnehr sich
steigernder Wirkung verstarkt. Vom Eintritt des Alt im
9. Takt geht die Bratsche zu dem Tenor, die 2. Violine
mit der 2. Oboe zu dem Alt fiber. Beim Eintritt des
?,Amena tritt die 3. Trompete mit der Pauke hinzu, so
dass von da ab alle Stimmen und das ganze Orchester in
Thatigkeit sind.
Schon aus diesen Arigaben ersieht man, welch eine
Steigerung des Gresammt-Effects durch diese Benutzung der
Tonmassen bedingt wird. Mit deni Amen tritt dem Haupt-
thema ein glanzendes Gregenthema hinzu, dessen streng
fugirte Behandlung sich durch alle Stimmen in reichen
und stark ausklingenden Tonmassen hindurcKschlingt. In
ausserst kiinstlicher Verarbeitung und in sich hoher und
holier steigerndem Schwunge arbeiten die beiden Themata
gegen- und verbinden sich miteinander. So thiirmt sich
der Chor zu riesenhaften Dimensionen auf, bis er plotzlich
— 131 —
in der Dominante abbricht. Alle Mittel des Grlanzes und
der Wirktmg, welche die Kunst zuliess, sind erschopft.
In einem kurzen contrapunktiseh gehaltenen Schlussfall
von 8 Takten endet dieser ungeheure Tonsatz und mit
ihm das Werk.
Em. Bach hat hier ein Meisterstiick polyphoner Schreib-
art geliefert; wie der en ausser den fugirten Choren seines
Vaters nur wenige existiren diirften. Er hat darin gezeigt?
dass er die strenge Schule seiner Vorganger nicht bloss
in ihrem ganzen Uinfange griindlich durchniessen hatte?
sondern dass er sie auch zu beherrschen verstand. Hit
diesem ?7Magnificat" und seineni doppelchorigen 7?Heilig"
wiirde er sich in die vorderste Reihe der kirchlichen Ton-
setzer aller Zeiten gestellt haben? wenn diese Werke nicht
in einer gewissen Vereinzelung geblieben waren? durch
die ihr Werth nicht gehoben werden konnte.
Eine zweite Kirchen-Musik? im Jahre 1756 entstan-
den; ist
2. Die Oster-Cantate7
?;wovon die Poesie von Herrn Hofprediger Cochius? die
Musik von Carl Philipp Emanuel Bachen ist. Beydes
im Jahre 1756 verfertiget" J)«
Aus welcher besonderen Veranlassung diese Gantate
entstanden und wie Bach; der zu jener Zeit sonst der
geistlichen Musik wenig zugewendet war, zur Composition
eines Gedichts veranlasst werden konnte? das keinerlei An-
ziehungskraft ausziiiiben im Stande ist? dariiber hat sich
leider nichts ermitteln lassen. Man betrachte den nach-
folgenden Text:
No. 1. Ohor.
Gott hat den Herrn auferwecket, und wird aucb uns aufenveeken.
No. 2. Kecit (secco) Bass.
So wird mein Helland nun erhoht,
Bes Vaters festes Wort besteht
Original in der K0nigL Bibliotliek zn Berlin.
— 132 —
t)er HeiPge soil nieht die Yerwesung sehn,
Er sieht sie nicht. Die Bosheit todtet ihn,
Die Allmacht spricht: Er muss siegreich auferstehn.
Accomp.
Ei standener Menschen - Solm,
Nun bleibet dir das Lob der ganzen Schopfung eigen,
Dieh preist, dich betet alles an.
Die Engel, die sich dir anbetend bengen,
Und deren Angesicht vor deines Yaters Thron
Sieh demuthsvoll verhiilit, wenn sie das Lob der Gottheit singeu,
Die lassen jetzt dies Lied dureh alle Himinel dringen.
Arioso.
Der Menschen Heiland lebt!
Lobsingend kommen sie auf Erden,
Um Bote des Triumphs zu werden,
Durch den die finstre Nacht des Todes fallt.
Frohlockend singen sie der neu erlosten Welt,
Dein Heiland lebt. —
Secco.
Erloste Welt
Yerstarke denn ihr Lied durch deine Lieder,
Gieb diese Jubeltone zwiefach wieder,
Und singe frok Dem, der da lebt.
No. 3. Aria.
Dir sing' ich froh, erstandner Fiirst des Lebens,
Dir sei niein ganzes Lob geweiht.
Dich Melt der Tod, das Grab vergebens,
Dein Wort, das der Natur gebeut,
Gebietet auch der Sterblichkeit.
No. 4. Kee. secco (Tenor).
So sei nun, Seele, sei erfreut.
Der Herr der Herrlichkeit,
Hat sich und mich dem Tod entrissen.
Nach so viel Angst, nach so viel Finsternissen,
Mit welchen mich des Todes Furcht bedroht,
Strahlt mir nunmehr der Eofrhung helles Licht
Besiegter Tod, nun sehreckest du mich nicht.
Mein Heiland offnet sich das Grab,
Yerherrlicht gehet er herfiir.
0 Wort des Trostes und der Freude!
Er offnet es auch mir!
No. 5, Arioso (Tenor).
Auch ich soil mit dir, mein Jesu, leben.
0 Wort, das meinen Geist entziickt,
Der hoffnungsvoll nach jenen Hohen blickt,
Wo Glanz und Herrlichkeit dieh, Lebensfiirst, umgehen.
— 133 —
Sopran.
"Was ftihlt mein seePger Geist fiir nie geftihlte Freuden,
Ich sehe schon, die Graber offnen sich,
0 Majestat, o nie gesehene Pracht!
Verklarter Mensehensohn, Ich sebe dich!
Du kommst, und jedes Grab weicbt deiner Macht!
Du rufst, und jeder Todte wacht.
Welch eine ungezahlte MeBge
Yersammclt sich urn Deinen Thron!
Sie fullt den weiten Rauin mit Danken und mit Lober,
Sie wird durch einen sanften Zug gehoben,
Sie steigt mit dir ID'S Heiligthum.
No. 6. Aria. Sopran.
Wie ireudig seh ich dir entgegen,
Tag, der die Welt und micb ernent.
Entschlafet ruhig, matte Glieder,
Mein Heiland lebt und weckt mich wieder
Zu sein' und meiner Herrlichkeit
No. 7. Choral.
Der dritte Vers aus dem Liede:
Heut triuinphiret Gottes Sohn.
0 siisser Herre, Jesus Christ,
Der du der Sunder Heiland bist,
Piihr' uns durch dein' Barmherzigkeit
Mit Freuden in dein7 Herrlichkeit!
Hallelujah!
Hier ist? wie man sieht, in grosser Weitschweifigkeit, des
Trockenen nndBreiten vlel gegeben. Dem Gedichte fehlt das
fiir die kirchliche Erbauung so nothwendige Vermittelungs-
Glied des Chorals ganz. Die pietistische Anschauung der
besonderen Betrachtung im Gegensatze zu dein gottesdienst-
lichen Zusaminenwirken in der Gemeinscliaft der Liebe
spricht sieh in den langen Recitativen, den Arien und in
dem Zuriiektreten des mehrstimmigen Gesanges deutlSch
aus. Emanuel Bach war nach allem wasvonihm bekannt
1st, kein Pietist, Dass er sich fiir seine erste Arbeit auf
dem eigQntlich praktisch-kirchlichen Gebiet einen solehen
Text wahlen konnte? das zeigt, wie wenig er, im Gegensatz
zu den Bestrebungen seines Vaters, die Wirkung des kireh-
lichen Gesanges richtig zu schatzen wusste. Die Einzek-
wirkung stand ihm iiber der naenhaltigea Tiefe des Eia-
— 134 —
drucks. Sehon im Magnificat hat sich die erste Spur einer
Richtung nach dieser Seite hin gezeigt, welche der Kunst
gegeniiber im hoheren Sinne ohne Berechtigung, aus der
sinnlichen Verflachung der Zeit herausgewachsen war. In
der vorliegenden Arbeit ging Emanuel Bach auf dieser
Bahn einen Schritt weiter, indem er sich von den grossen
Errungenschaften seines Vaters entfernte. Nicht als hatte
er streng in dessen Schule verbleiben. sollen. Wo ware
da der Fortschritt geblieben, dern er zu dienen bestimmt
war? Aber jene grossen Prineipien, die bei Sebastian
B a ch so in Fleisch und Blut iibergegangen waren,
dass sie selbst in seinen geringfiigigsten Arbeiten ans
alien Ecken und Winkeln hervorschauten, hatten auch
bei ihm das Streben nach augenblicklichem Erfolge iiber-
wiegen, ihn in seiner kiinstlerischen Entwickelung leiten
sollen. Vielleicht ware er der eignen Zeit weniger gross
erschienen, aber die Nachwelt wiirde dankbarer gegen ihn
gewesen sein. Man kann urn diese Betrachtungen, welche
sich bei dem Studium der Kirchen- Arbeiten Enianuel
Bach's immer wieder in den Vorgrund drangen und welche
bei Erorterung der grosseren Anzahl von Kirchenwerken,
die in Hamburg entstanden sind; einer weiteren Motivirung
unterliegen werden? nicht herunikommen. Den Verfasser
leitet bei ihrer Aufaeichnung und Wiederholung der
Wunsch; dass jiingere Kunstlernaturen, wenn ihnen zufal-
lig diese Blatter durch die Hande gehen sollten, an jenem
Manne von so seltener Begabung und so aussergewohnlichern
Wissen; der wie wenige berufan war; die hochsten Stufen
der Kunst zu erringen, erkennen mochten, wie alles Talent
und Wissen, alle Schopfungskraft und Ideenfulle, wie der
Ruhm und die Bewunderung einer langen Generation? wie
alles das dem Staube und der Verganglichkeit anheimfallt;
wenn nicht die Eeinheit und Grosse der kiinstlerischen
Grrundprincipien uberall den Griffel fiihren, bewusst oder
unbewusst den Schopfungen ihren Stempel aufdriicken.
Der Chor No. 1. (Allegro dimoltoC-dur %: 3Trombe?
— 135 —
Timpani ? 2 Oboen, Streich-Quartett beginnt mit einer 30
Takte langen feurigen Einleitung, welche nach Alt-Bacii'-
scher Weise die Hauptinotive entlialt. Mit dein zweima-
ligen Ausrufe ;>Gott !" tritt der vlerstimmige Clior in den
ersteu Abschnitt seines melodios rhythmischen Ganges ein.
Der zweite Satz 7;Und wird auch uns aufer-
wecken," in canonischen Einsatzen beginnend, ftihrt nach
wenigen Takten, in denen der Bass sieh unter den lang-
gehaltenen? in harmonischem Wechsel gefitlirtenOberstimmen
in die Holie bewegt? zu dein ersten Satze zuriick. In
seiner Gresarnnitheit ist der Clior von einer gewissen feier-
liclien Pracht7 die Instrumental-Begleitiing selir bewegt.
Die Oboen? hie und da in selbstandige Ton -Gauge ab-
weichend, yerstarken nieist die Melodic. Die Trompeten
und die Pauke sind lebhaft beschaftigt.
Das bei deni Recitativ Nro. 2. eintretende Accoinpag-
nement in A-moll enthalt eine interessante Begleitungsfigur
der Violinen, wclche bei den Worten
Der Men-schen Hei-land lebt
auf bezeichnende Weise in harpeggirende jubehide (range
iibergehen.
Sehr schon ist der Abbruch des Accoinpagnements
zu deua Secco- Recitativ bei den Worten J?Erl6ste Welt,"
auf welches der Gesang der Arie (C-dur 3/4, Allegro niit
Quartett - Begleitung) Nro. 3. an die obigen Worte an-
klingend;
Dir sing* ich froh
mit der an das Accompagnernent des vorhergehenden Re-
citativs erinnernden Violin-Begleitung ohne Vorspiel eintritt.
Nach diesen Andeutungen wiirde mart in dieser Arie
ein Stuck von interes&anter Bedeutung erwarten
— 136 —
Dieselbe 1st im ersten Satze melodisch gehalten, die Motive
oft wiederkehrend in lebhafter Coloratur, die Violin -Be-
gleitung mit der Stimme concertirend und den Character
der Passagen des Accompagnernents-Recitativs nicht ver-
lassend. Der Mittelsatz J7Dich halt der Tod" etc. ist
dagegen breit und ohne Interesse. Das Ganze der Arie
erinnert in der Form und Weise an Sebastian Bach's
Arien, ohne dessen anregende Eigenthiirnlichkeit zu zeigen
und ohne die alte Form dnrch. Nenheit und Reiz der Gre-
danken zu beleben.'
lioher steht das auf das Secco -Recitativ des Tenor
;;So sei nun Seele" unter Nro. 5. eintretende Arioso
(Largo? G-inoll, V^)? dessen Cantilene in ahnlicher Weise
•vvie in den begleiteten Recitativen der Sebast. Bach'schen
Matthaus- Passion gehalten ist und von Enianuel Bach's
besonderer Grabe der Melodik im lyrischen Styl Zeugniss
ablegt Dieses Aiioso geht weiterhin in ein Sopran-Reci-
tativ mit Accompagnenient iiber. Mit den Worten }J Welch'
eine ungezahlte Menge" beginnen die Streich-Instru-
mente in Via No ten gebrochene Accorde? die sich mit
der recitativischen Declamation fortbewegen; wahrend die
Orgel die Tone des Grundbasses tiberall so lange aushalt,
bis der Harnionien-Wechsel eintritt. Das Recitativ ge-
winnt hiedurch ein phantastisch lebendiges Colorit? das die
gewohnlichen Grrenzen der hergebrachten Fornien tiberragt.
Dagegen fallt die Arie Nnx 6. Andante fur Sopran,
C-dur $/4y 2 Floten? Quartett mit Sordinen, in die interessen-
lose breite Behandlung der alten Arien-Form zuriick und
erreicht im Inhalt die Arie Nro. 3. keineswegs. Den Schluss
bildet Choral Nro. 7. ;?Heut7 triumphiret Grottes
Sohn", der aus Sebastian Bach's Choralen (Nro. 79. der
2. Ausgabe) unverandert iibernommen ist Es scheint? dass
Emanuel Bach fiir den Schluss kein grossere Wirkung
schaffen zu konnen glaubte als dadurch, d'ass er auf eine
Arbeit seines Vaters zuruckgi-iff.
Die vorliegende Musik reprasentirt wesentlich die
— 137 —
alte Form der Kirehen-Cantateu Sebastian, Bach's, ohne
dass zugleich deren Inhalt mitgegeben wurde. Was jener
fur die Kirchen-G-enieinde vorzugsweise geeignet erachtete.
Choral und Chor? sind Her nur in geringem Maasse vertreten.
Was ausserlich nnterhalten, reizen, bestechen konnte, die
Arie und der Gesang im Allgemeinen, liberwiegt, ohne
dass der Ernst, die Grosse und Witrde der alteren Schule
darin erkennbar ware. Mit dieser Cantate in der Hand
als Empfehlungsbrief wurde Emanuel Bach, ungeaehtet
des Schonen, was in derselben anzuerkennen ist? schwerlich
den Weg der Unsterblichkeit gefunden iiaben. Sieben
Jahre Jagen zwischen ihr und dem Magnificat. Ein Fort-
schritt lasst sicii bier nicbt erkennen. Es war die von
der Opernbuhne in die Kirclie versetzte Lyrik? die an die
Stelle der alten Wiirde7 Kraft und Erhabenheit getreten
war. Auf diesein falschen Wege schritt Emanuel Bach
fart, als er in der Stellung als Musikdirector zu Ham-
burg berufen wurde, flir die Kirclie zu arbeiten.
Von eineni dritten? in Berlin componirten Kirchen-
stiicke, einer Trauungs - Cantate aus dem Jaln-e 1765 ; ist
Naheres nicht bekannt.
E. Die weltlichen und geistlichen Lieder.
Von dem Magnificat aus entwickelte sich Bach's
Thatigkeit nicht allein fiir die spatcre Ausdehnung der
Kirchencompositionen, sondern wesentlich auch fiir den
Einzelngesang in dem deutschen Liede. Man begegnet
In den Urtheilen uber ihn vielfach der Ansicht, dass
er kein Talent und Interesse fur den Gresang gehabt
habe. Selbst Eeichardt? der doch im Jahre 1773 mit
grossem Enthusiasmus einige seiner mittelmassigen Arien
aus den Israeliten in der Wiiste fur grosse lleisterstucke
erklart hatte, liess nach Bach's Tode1) von ihm drucken,
i) Musik. Almanaeli v.
— 138 —
dass er in seinen Gesangs-Werken mehr als ein
grosser Instrumental-Componist zu betrachten sei,
,,welehem Studium der Spraehe und Poesie, feines
tiefes Gefuhl und der aus ganger JBildung des in-
neren Menschen hervorgehende Geschmack fur dajs
hoch einfaclie Schone mangle." Alles dies ist falseh.
Grade die innere Bildung Bach's, sein reger Sinn fur die
edlen poetischen Erscheinungen in seiner Zeit, der har-
monische Geschmack der in ihm lebte, waren es, vermoge
deren er ein Gebiet beschreiten konnte, auf dessen wenig
betretener Bahn er neue Kunstfonnen erstehen liess.
In sein em Entwickelungs-Gange lag vor Allem das
Talent fur den einfachen Gesang, Wie er es als seine
besondere Aufgabe betrachtete, fur die Instrumental-Musik
sangbar zu schreiben, weil er dadurch rithren? ergreifen
wollte, so war die Cultur der Melodie seiner Besonderheit
gemass. Desshalb war er beniuht, ihr das Barocke, Herbe,
Ungefugige, das sie aus der contrapunktischen Schule
uberkommen hatte; abzustreifen. Der italienische Gesangs-
stjlj den er in Berlin kennen gelernt hatte; war an ihni
nieht ohne Wirkung voriibergegangen. Graun und Hasse,
deren Compositionen bei Konig Friedrich vorzugsweise
in Gunst standen; waren grosse Meister in den Kunstformen,
die den Gesang als solcken zur Geltung brachten.
In seiner fruhesten Jugend hatte Bach wohl einige
Arien gesetzt. Von grosseren Gesangswerken aus alterer
Zeit ist aber nichts von ihm bekannt geworden. Seine
weiteren Arbeiten bis zuin Jahre 1749 unifassen vielmehr
lediglich das Feld der Instrumental-Composition. In dem
gedachten Jahre erschien das Magnificat mit seinen iiber-
aus gesangvollen Solosatzen. Vier Jaln-e spater, 1753, be-
gegnen wir den ersten deutschen Liedern Em. Bach's in
einer Sammlnng (Berlin bei Birnstiel) unter deia Titel;
»0d&n mit Mekdien",
yon denen die drei ifummern;
— 139 —
10. ,,Sie flieliet fort", von Kleist,
14. ??Dass ich bey meiner Lust durch keinen
Zwang mich qualeu,
18. ??Den fllichtigen Tagen wehrt kerne Gewalt",
von Gleiin,
aus seiner Feder sind. Sonst finden sich darin noch Lieder
vonAgricola, Gratin? Nichelmann, Quantz, F. Benda,
Teleinann und J. J. Graun. Im zweiten Theile ist No. 3
von Bach.
Diese Oden -vvaren so sclmell vergriffen, dass im Jahre
1754 eine neue Auflage gedruckt werden musste1). ?3Sie
hielten, wieMarpurg von ihnen sagt; das Mittel zwischen
deni gekrauselten und zu glatten Styl und waren dem
Inhalte der wohlgewahlten Poesien angemessen, bey wel-
chen man weder errothen noch gahnen durfte!"
Im Jahre 1756 erschienen bei Breitkopf in Leipzig
Berlinische Oden mit ^lelodim,
wovon die Nummern 11. 17. 21 des ersten und 4 und 6
des zweiten (erst 1759 erschienenen) Theils ihm angehoren,
Eine andere Sammlung? bios Lieder von Em. Bach
enthaltend, in der zum grossen Theile die obigen Lieder
wieder aufgenominen waren? erschien gleichfalls unter dem
Titel:
7?0den mit Melodien"
iin Jahre 1762 bei Wewer in Berlin. Sie enthielt zwanzig
verschiedene Gesange? meist in der damaligen Liederform?
welche sich fur die jetzige Auffassung nicht iiber ein ge-
wisses Niveau mittleren Werths erheben. Die einfache
Setzart lasst diese Ai^beiten ziemlich durchsichtig erscheinen.
Lieder? wie das folgende:
Kritische Biiefe liber die Tonkunst. Bd. I. S. 243.
— 140 —
Der Morgen.
In tier Bewegung der Reveil
Tins
:K
LLJ
L.LJ
^--x-f — +|- — p — ^
ro - the in Bnsch und WaH,
==fg=*=i!*=!Sa
^iM^^S^i
wo schon derHir-ten
-/—
i t
Flo - te in's Land er - schallt. Die Ler - che
l-to--,— T^W^=^-H<ta|fe=j
steigt und schwir - ret von Lust erregr, die Taube lacht und
H-«rj-3-=i-«=yqT:?T.
— j--«— * • — tfTH {__} 1_
» -t- -j- -^i
gir - ret, die Wach - tel schlagr.
sind zwar noch setr viel spater, zumal als sogenannte
Jagdlieder in Melodic und Rhythmus hundei;tfach wieder-
holt worden; aber den ungeheuren Forttschritt, den das
— 141 —
deutsche Lied Em. Bach verdankt, lassen sie docli nicht
entfernt ahnen.
Die in dieser Sammlung enthaltenen Lieder waren
folgende:
1. Herr Bruder, meine Schone.
2. Eilt, ihr Schafer.
3. Noch bin ich jung.
4. Dass ich hei meiner Lust.
5. Den fliichtigen Tagen.
6. Uns lenkt die Morgenrothe.
7. Amor sagte zu Cytheren.
8. Ein fauler Feind.
9. Als Amor in goldenen Zeiten.
10. Entfernt von Grain und Sorgen.
11. Sie fliehet fort.
12. Ihr niissvergnugten Stunden,
13. Ein Kiisschen, das ein Kind mir schenket,
14. Ehret, Briider.
15. Serin? der hochberiihmte Mann.
16. Das Fest der holden Ernestine.
17. Es war ein Madchen ohne Mangel.
18. Die Tugend.
19. Des Tages Licht.
20. Heraus aus deiner Wolfesgruft.
Einige Lieder ahnlicher Art erschienen spater unter
der Bezeichmmg ?3Sing-Oden" unter den 1766 zu Berlin
herausgekommenen Clavierstiicken verschiedener Art.
In diesen ist bereits ein Fortschritt zum spezielleren
Ausdruck benierkbar. Es moge eines von ihuen folgen?
welches die geistvolle Art, in der Bach selbst so nichts-
sagende Texte zu behandeln wusste7 erkennen lasst:
Etwas lebhaft.
Bass Damon me Be - lin - den
— 142
den doeh Ver - stand und Tu - gend
Jplp
zieret,
-«-!«•
das \vundert Euch? Wie kdnn-ten
ihm Ver-dien-ste nutzen? Ihm fehlt sehr viel, sie zu be-
Er ist nicht
-*-
reich,
Jf
er ist nicht reich!
Alle diese metr oder weniger vereinzelten Versuche
wiirden wohl okne Bedeutung geblieben sein? wenn es
nieht die dents che Literatur gewesen ware, die Em. Bach
in einer ihrer edelsten Bltithen zu Hilfe kam. Im Jahre
1757 hatte Christian FtLrchtegott Grellert seine geist-
lichen Oden und Lieder herausgegeben. Noeh in demselben
Jahre waren sie yon Bach in Musik gesetzt und kamen
1758 bei Gr. L. Winter in Berlin heraus. Es hatte nur
einer geeigneten Anregung, eines glucklicheu Ungefahrs
bedurft, um ihn in eine Bahn eintreten zu lassen, auf der
er sein grosses Talent fiir Melodie und Gesang in einer
seiner wurdigen Eichtung entfalten konnte. Mit dies em
schonen und edlen Werke ist Em. Bach der Be-
— 143 —
grunder und Schopfer des deutschen Liedes in sei-
ner jetzigen Bedeutung geworden.
Die Composition weltlicher Lieder? d, h. soldier,
welche nicht unraittelbar den Beruf hatten, der Kirehe als
Chorale zu dienen, war von den Musik- und anderen G-e-
lehrten jener Zeit mit iiberwiegender Geringsehiitzung be-
traehtet worden. Dass die ersten Versuche in dieser Bich-
tung zuni nicht geringen Theile anonym erschienen, ist
nicht ohne Bedeutung. Freilich findet man auch in den
Liedern selbst der besseren Tonsetzer zu altmodischeiij der
Zopfperiode der deutschen Literatur angekorigen Texten
noch lange Zeit hindurch jenen steifen Charakter, der,
durch die Kindheit der Musikform begrtindet, Melodie
ohne Leben und "Warme, Begleitung ohne Barmonischen
und charakterischen Zusamnienhang mit dem Inhalte des
Liedes gab.
Es muss als ein besonderes Verdienst der Berliner
Scliule geriihmt werden, dass sie zuerst dem Liede eine
specielle Aufmerksamkeit widmete. Em. Bach? beide
Grraun, Kirnberger? A gricola? Niche Imann, Quantz,
Marpurg und Fasch scheuten sich nicht? dem alten Vor-
urtheile entgegen einfache Melodien in der bezeichneten
Manier? zu einfachen hie und da bezifferten Bassen zu
setzen 1), Freilich war die Melodie eben ohne Tiefe und
Inhalt; ohne Verschnielzung mit dem begleitenden Clavier.
Es waren rhythmische Gesange zu allerhand Worten, die
ebensogut auch auf andere Teste hatten gesuugen werden
konnen und kaum einem anderen Zwecke dienen konnten
und sollten, als dem Dilettantisms jener Tage. Zwar
hatten Emanuel Bach, Grraun und Kirnberger den
Versuch gemacht? iiber das Maass des Hergebrachten hin-
aus ansprechendere Form en, inhaltsvollere Gedanken in
i) Auch von Sebastian Bach undTelemann wissen wir, dass
sie zu ihrer Zeit Lieder gesetzt haben. Fried.emann Bach bat siek
zu solcher Niedrigkelt »ie bmabgelassen.
— 144 —
das Lied zu legen. Aber es waren eben vor Allera die
Dichtungen, welche fehlten.
Wohl hatte die schone Riickwirkun'g, welche die zur
Bliithe aufschwellende Volkspoesie auf die musikalische
Behandlung dieser Kunstform hatte ausuben konnen, der
innere Zusammenhang zwischen beiden schon fruher ei*-
kennbar werden sollen, jener Volkspoesie, mit der Burger,
Hagedorn, GHeim, Herder, Claudius, Holty, Uz,
Voss, Overbeck und Andere das deutsche Publikum zu
besehenken begonnen batten. Ihre Gedichte waren mit Be-
gierde und Beifall aufgenommen, gelesen, gelernt, gesungen
worden. Aber diese Lieder selbst gehorten noch ihrer
Zeit an. So viel Schones, Anregendes sie boten, es feblte
ihnen das Eine? das ihrer Verwendbarkeit fur die Musik
nothwendig war: die Allgenieinlieit des poetischen Grehalts,
der auf Alle gleichrnassig wirken konnte, aber auch zu-
gleich dahin drangte, der darauf verwendeten Musik den
Stempel innerlicher Besonderheit zu yerleihen. Die Zeit,
von der hier die Rede ist, war eben noch eine nach Stan-
den und Vorurtheilen vielfach zerkliiftete, auf dem Grebiete
der inneren Bildung und der socialen Stellung zahlreiche
Abstufungen und Trennungen zeigend. Und dies sprach
sich theils in dein Grehalt der Lieder, theils in der Art
und Weise aus, wie diese von den verschiedenen IQassen,
auf die sie zu wirken bestimmt waren oder iiberhaupt
wirken konn ten, aufgenommen wur den. Jed er Stand suchte
sich aus der neu aufsprossenden Poesie jener Tage einzeln
heraus, was ihm zusagte.
Konnte da die Musik, welche den Inhalt verallge-
meinern sollte, anders als nur ganz oberflachlich verfahren?
Konnte sie gleichzeitig die Melodie und deren liarmonische
Unterlage fur ein Publikum individualisiren , das sie zum
einen Theil nicht verstanden, zum anderen Theile nicht
gemocht haben wiirde?
Anders stand es mit dem geistlichen Liede, das in
der zweiten Halfte des Jahrhunderts in grosserer Reife
— 145 —
und Qediegenheit auftrat Der geistliehe Stand, das hohere
und niedere Biirgerthunij deijenige Tlieil des Adels, der
Ton der religiosen Zerfahrenheit der Zeit unberfihrt ge-
blieben war? standen zu diesen Dichtungen in einem un-
mittelbaren Verstandniss, drangen mit Lebhaftigkeit in
deren inneren Kem ein. Der Antheil, den sie an der geist-
lichen Liederpoesie zu nehinen begannen, wirkte auf den
Adel und die Frachtbarkeit der dahin gerichteten Be-
strebungen zuriick, in denen Grellert, die Stolberg,
Klopstock, Cramer, Hunter, Sturm und Andere mit
so yieler Liebe und Begeisterung thatig waren.
Von diesem Gesicntspunkt aus muss man das Er-
scheinen der geistlichen Lieder Grellert's betrachten. Die
Allgemeinheit der in ihnen niedergelegten Poesie? ihre
tiefe Innerlichkeit und fgomme Zuversicht? ihre jedem
cnristlichen ^Herzen gleich zugangliche Stimmung heben
sie? inancher einseitigen, zum Theil hyperorthodoxen Seiten
ungeachtet uber die Verganglichkeit des bin- und her-
scnwankenden Modegeschmacks hinaus, dem so viele ihrer
weltlichen Zeitgenossen zum Opfer fallen mussten.
Bach war es? der sich ihrer, der erste in seiner Zeit,
mit richtigem Blicke bemachtigt hat. Durch die Musik
geschmiickt, yerschont, wollte er sie in noch weitere Kreise
hineintragen. Dass er so handelte? zeugt von seiner grossen •
Begabung fiir den klinstlerischen Fortschritt. Was er in
diesem ersten Ergreifeii eines ganz neuen Kunstzweiges
geleistet hat, stellt ihn in die Reihe der grossen Erschei-
nungen, durch welche die Kunstgeschichte in ihrer stetigen
Entwickelung gefordert worden ist. Der Dank? den die
Nachwelt grossen Mannern verschuldet, benxisst sich nicht
nach der Frage: Ob? wenn sie nicht gewesen wiiren, irgend
ein anderer an ihrer Stelle das Namliche geleistet haben
wtirde? Ihre Anerkennung bindet sich an Thatsachen und
nicht an Voraussetzungen.
Gern mag zugegeben werden7 was eine spHtere Zeit
Bitter, Bwwrael «o4 Friederaann Bach. 10
— 146 —
an seinen Liedern zu tadeln gefunden hat, dass er des
Wortausdrucks nicht vollig Herr geworden 1st. Dies 1st
der schwaclie Punkt, der dem deutsclien Liede noch bis
in das jetzige Jahrhundert hinein gefolgt 1st, obschon der
gewaltige Fortschritt in der Poesie zu einer eingehenderen
Pragnanz der Melodien hatte auffordern konnen. Dass
Bach den Mangel, der hierin lag, wohl gefuhlt hat, wird
man weiterhin sehen. Die Walirbeit der (Jesammtstimniung
aber, wie sie sich in der neu gescliaffenen Gesangsforni
ina Allgemeinen ausdriickte und wie sie ja aucli seinem
Streben nach kiinstlerischer Einheit in der Senate ent-
sprach, war eine uberraschende Erscheinung, die vor Bach
noch nicht beobachtet worden war.
Das religiose Lied, mit dem er den Boden dieser
neuen Stimmungs-Bilder betrat, war seinem Streben und
Charakter giinstig. Ihm hat er sich daher auch mit beson-
derer Vorliebe zugewendet. Das weltliche Lied beschaf-
tigte ihn nur noch nebenbei. Seine Lieder ,,Fiir das
Herza bekunden erst in ihren alleiietzten Ansgangen,
hart am Ende seines langen Lebens einen bemerkbaren
Fortschritt Mit den geistlichen Liedern ist er unmittelbar
auf den Boden tibergetreten, von dem aus er uns die schone
Grabe des deutschen Liedes in unser dankbares Jahrhun-
dert hiniibergereicht hat. Was andere Tonsetzer von Be-
detitung (es niogen als solche hier vorzugsweise seine
nachsten Nachfolger Eeichardt und Schulz genannt wer-
den) unmittelbar nach ih-m geschaffen haben7 geschah in
der von ihm gegebenen Richtung, auf dem von
ihm gewonnenen Terrain. Er verliess die magere,
jneist zweistimmige Behandlung der Melodie, stellte sie
selbstandig in den Charakter des Gredichts und gab ihr
eine bestimmt geformte harmonische Begleitung.
In dieser Thatsache Kegt der Wendepunkt, den das
deutsche Lied durch ihn genommen hat. Em. Bach hatte
das voile Bewusstsein, mit der Composition der Gellert'-
schen Lieder etwas Bedeutsames geleistet zu haben.
— 147 —
In der Vorrede, mit der er deren Herausgabe "beglei-
tet, sagt er:
,,Es wiirde iiberfllissig sein, zum Lobe des beriihmten Herrn Yer-
fassers dieser Lieder etwas anzufiihren, da der allgemeine Beifall, den
seine Arbeiten iiberhaupt erhalten haben, viel zu bekannt ist. Ab-
sonderlich kann man ihm fiir die Mittheilung dieser Sammlung nicht
genug danken, well man von dem ausnehmenden Nutzen, welchen er
dadnrch gestiftet hat, vollkommen Uberzeugt Ist. Ich fiir mein Theil
bin von der Yortrefflichkeit der erhabenen, lehrreichen Gedanken,
wovon diese Lieder voll sind, dergestalt durchdrungen worden, dass
ich mich nicjit habe enthalten konnen, ihnen alien, ohne Ausnahme,
Melodien zu setzen. Man weiss, dass Lehioden zur Musik nieht so
bequem sind, als Lieder fiir das Herz; jedoch wenn die ersteren so
schon sind, wie sie Herr G-ellert machet, so empfindet man einen
angenehmen Beruf bey sich, alles mdgliche beizutragen, damit die Ab-
sieht, in der sie gemacht sind, erleichtert und folglich der Nutzen
davon allgemeiner werde.
Diese fromme Absicht ist es ganz allein, welche diese Melodien
veranlasst hat. Ich habe besonders denen Liebhabern der Musik diese
Lieder gemeinniitziger machen und ihnen dadurch Gelegenheit geben
wollen sich zu erbauen.
Bey Verfertigung der Melodien habe ich so viel als moglich auf
das ganze Lied gesehen. Jch sage, so viel als moglich, weil keinem
Tonverstandigen unwissend sein kann, dass man von einer Melodic,
wonach mehr als eine Sti'ophe gesungen wird, nicht zu viel fordern
musse, indem die Verschiedenheit der Unterscheichmgszeichenj der ein-
und mehrsylbigen Worter, oft auch der Materie u. s. w. in dem musi-
kalischen Ausdrucke einen grossen Unterschied machet. Man wird
ans meiner Arbeit ersehen, dass ich auf verschiedene Art vielen der-
gleichen Ungleichheiten auszuweichen gesucht habe.
Ich habe meinen Melodien die nothigen Hannonien undManieren
beigefugt. Auf diese Art habe ich sie der Wilkiir eines steifen Gene-
ralbassspielers nicht uberlassen ^ diirfen , und man kann sie also zu-
gleich auch als Handstiicke brauchen, da die Singstimme allezeit in
der Hohe liegt, so werden ungeiibte Halse dadurch eine grosse Er-
leichterung spur en.
Ich lief re sie in der Ordnung, in der ich sie geschrieben habe.
Bey einem Paar Liedern habe ich zur Yeranderung ein angenommenes
Thema mit eingemischt: hoffentlich wird dieser Umstand ebensowenig
afflstdssig seyn, als bei ausgefiihrten Choralen, wo er noch weit ofterer
vorkommt. Die Melodien, woriiber man die Worter lebhaft, mun-
ter und dergl. antrifft, erfordern eine massige Greschwindigkeit;
widrigenfalls kann man gar leicht in einen frechen Ausdniek verfallen,
wobey man vergisst, dass man geistliche Lieder vor sich hat.
Zuletzt wfesdfee ieh mir auch bey diesen Yersuchen den Beyfallt
10*
— 148 —
womit Kenner meine bisherigen Arbeiten beehrt haben, und will mich
gliicklich schatzen, wenn Ich meine gute Absichten errreicht habe.
Berlin, den 1. Febraar 1758.
C. P. E. Bach."
Hieraus ergiebt sicli vor AUern, dass diese Lieder ihre
Entsteliung keinero anderen Motive zu verdanken haben,
als der Bewunderung und dem holien Werthe, welche
Bach den Gellert'schen Gedichten beirnass. Die fromine
Religiositat, die in ihnen lag, hatte offenbar in seinem In-
nern einen verwandten Ton anklingen lass en. Die Tradi-
tionen seiner Jugend, seiner Familie wurzelten in den Be-
trachtungen religiosen fnhalts, in der Uebung der alten
Sitte? die den Choral zum Mittel- und Ausgangspunkt der
Musik gemacht hatte. So hatte er seine Kunst gelernt,
geubt, verehrt. War er selbst auch aus den Ansehauungen
einer der Elirche und ihrem Dienste geweihten Kunst-
iibung herausgetreten, so lebten die Keinie dieser Bestre-
bungen doch noch tief in ihm. Darum hatte er den Nutzen
jener schonen Dichtungen allgemeiner raachen wollen;
darum hatte er sie alle componirt. Dies ist bedeutsam
fur die Zeit, in der das Bedtirfniss der hauslichen Ar^-
dachten noch nicht ganz verloren gegangen war. Bach ver-
birgt sich dabei nicht? ;?dass die geistlichen Lieder dem
G-esange weniger bequem seien? als die Lieder fiir das
Herz." Mit anderen Worten: die sentimentale Bichtung
hatte auch schon zur Zeit jenes ersten Uranfangs fiir das
Lied ihre weitgreifende Wirkung geiibt. Dennoch liess
er sich nicht abhalten? ihr diese seine ernsteren Tondich-
tungen gegenuberzustellen. Es war eben der Drang des
Berufs, den er in sich ffihlte; ein Beruf, der sieher seine
Frfichte getragen hat.
Eine andere nicht weniger interessante Bemerkung?
die sich aus dieser Vorrede aufdrangt ist die? dass Bach
sehon damals sehi% wohl die Uebelstande gefuhlt hat? mit
welchen das Lied zu kanipfen hatte 7 wenn alle Strophen
eines Gedichts nach einer und derselben Melodie gesungen
werden mussten. Er hatte >7auf das ganze Lied"
— 149 —
sehen rau.«sen. liiedurch war ihm der Wortlaut im Ein-
zelnen in die zweite Linie getreten. Es ist bernerkens-
werth, dass er diesen Uebelstand ? den E. Schneider1)
gerade an seinen Gellert'schen Lieder so streng tadelt,
so bestimmt als solchen signalisirt hat.
Die Frage liegt nahe? warum ein so genialer Musiker
wie er es war? nicht dadurch auf den Gedanken gebracht
worden 1st, die Lieder durchzucomponiren? Denn dass
die Strophenforai dem grossen Inhalt der Texte gegenuber
oft sehr eng war, ist nicht zu verkennen. Aber
die Kunst Lieder zu setzen, war eben noch gar Jung.
Bach hatte ihr auf die Beine geholfen, sie frei und fest
gehen gelehrt. Berge zu ersteigen, steile Hohen zu erklim-
men? dazu war sie noch nicht kraftig genug. Dennoch
war es eben Em. Bach? der weiterhin auch liber diese
Grenze fortstieg und mit durchcomponirten Liedern geist-
lichen und weltlichen Inhalts die eiiimal beschrittene Bahn
erweiterte.
Er setzt endlich ausdriicklich hinzu, dass ?Jer den Melo-
dien die Harnaonien und Manieren beigefiigt habe? um
sie nicht der Willkiir steifer General-Bassspieler zu iiber-
lassen." Bis dahin waren die Lieder nur mit dein beziffer-
ten oder unbezifferten Bass gesetzt worden. Was derAc-
compagnist aus der Begleitung weiter rnachen wollte? war
seine Sache. Bach hatte auch hier zuerst richtig erkannfc,
welchen Werth gerade fiir das Lied eine ihm angeDiessene
Begleitung haben? wie sehr der Eindruck auf den Zuhorer-
kreis da von abhangig sein musste? dass diese Begleituug
nicht bloss der Melodic die generalbassmassige Harmonie
geben? sondern dass sie auch den Charakter des Liedes
heben und verstarken konne. Er hat grade mit dieser
Neuerung (denn eine solche war es uud als solche bezeich-
net er sie selbst) den Bo den des modernen Lie des bctretefi.
Mit Recht sagt E. Schneider2) hieriiber: ??durch solche
1) Das mosikalische Lied. HI. S. 214.
2) Ebendort, Band III. S. 215.
— 150 —
Mittel stellt er die lyrischen Hohepunkte in das moglichst
helle Licht und giebt den wechselnden Gemuthsstimmungen,
dem Leidenschaftlichen, deni Majestatischen, dem Zarten,
dem Klagenden das angemessene Colojrit."
JFreilich war in der Begleitung zu seinen Liedern
deren harmonische Ausfullung ebenso wenig gegeben, als
in seinen Sonaten. Diese muss vielmehr hinzugesetzt werden,
wie dies auch dort geschehen muss. Er war zu sehr
gewohnt, vieles als selbstverstandlich vorauszusetzen,
was wir jetzt schwarz auf weiss vor uns zu sehen ver-
langen; als dass er da; wo in der Harmonie an sich nicht
mehr gefehlt werden konnte, diese in ihrer ganzen Voll-
standigkeit geben zu miissen geglaubt hatte. Man darf
diesen Umstand bei der Beurtheilung dieser Lieder nicht
iibersehen, well die Begleitung sonst inagerer und dunner
erscheint; als dies sein darf und als es bei der Vollstimmig-
keit? mit der die alte Schule vermoge des Accompagnements
selbst ihre einfachsten Stucke zu horen gewohnt war; ge-
meint sein konnte.
Was die Manieren betrifft, so bestehen diese meistens
in den Vorhalten; He und da in Melismen. Auch in
dieser Hinsicht war friiher das Meiste den Sangern iiber-
lassen gewesen. In der Oper wurde der Missbrauch den
man mit der Verzierung der Arien trieb, noch lange fort-
geschleppt. Fiir das Clavier hatte Sebastian Bach zu-
erst die Manieren, welche er far zulassig oder nothwendig
hielt, nicht ohne heftigen Widerspruch zu finden, vorge-
schrieben. In dem einfachen Liede war freilich der Spiel-
raum fur Verzierungen geringer als in der Arie und in
anderen Tonstticken. Uin so storender konnte deren un-
passende Anwendung werden.
Die Melismen wurden im vorigen Jahrhundert als
der wahre und hochste Schmuck fur Arie und Lied ange-
sehenf Noch Nageli sagt von ihnen1): ,;Jedes gut ange-
*) Leipz. Allg. Mus.-Z. Jahrg. 19. S. 764.
— 151 —
braclite Melisma, auch nur von zwei? drei oder vier Tonen,
ist in der Liederkunst elne Perle? die gleichsaui an einer
goldenen Kette hangt." Er fiigt hinzu: ;?Einanuel Bach
hat sie am ausdruckvollsten und zugleich zwanglosesten
in die Form der Lieder verwebt. In seinen Compositionen
zu Cramer's Psalmen und Sturm's Gedichten finden sich
mitunter Melismen, die ein wahrer Perlenschmuck sind."
Wenn dies als richtig bestatigt werden darfy so muss auch
hinzugefugt werden, dass Bach in der Anwendung dieser
Verzierungen vorsichtig und massig gewesen ist? und da<?s
dieselben? zumal in den Gellert'schen Liedern, nur selten
vorkommen.
Diese Lieder aber sind selbst einer Schnur von Perlen
edelster Art zu vergleichen. Ihr tiefer Inhalt und die
Schonheit und Abrundung ihrer Form bewahren noeh jetzt?
nachdem 110 Jahre glanzvoller und grossartiger Ver.voll-
kommnung seit ihrein Entstehen dahingegangen sind? ihre
Probehaltigkeit. Nur wenige aus der reichen Sammlung
von 54 Liedern konnten als unbedeutend und veraltet be-
zeichnet werden. Die meisten sind in Melodie? Declama-
mation und Harmonie voll von dem treffendsten Ausdruck?
dabei von einer Einfachheit und Naturlichkeit7 die in Er-
staunen setzt.
Sollte Einzelnes besonders hervorgehoben werden, »o
wiirden zu bezeiehnen sein:
Das Abendlied: Fur alle Giite sei gepreisst; Ge-
duld: Ein Herz7 o Gott; Bitten: Gott, Deine Gute
reicht so weit; Gottes Gross e in der Natur;
Es mogen ferner erwalmt werden:
Giite Gottes; Das Passions -Lied: Erforsche mich?
erfahre; Die Ehre Gottes: Die Himmel erzahlen-,
Das Gebet: Dein Heil, o Christ 7 nicht zu ver-
sch^rzen; Trost: Du klagst, o Christ; Preis des
Schopfers: Wenn ich, o Schopfer, Deine Macht; Buss-
lied; ferner die Warnung vor der Wollust: DerWollust
Reiz zu widerstreben. Abendlied: Herr, der Du
— 152 —
das Leben. Das naturliche Verderben: Wer bin ich
von Natur? Weihnachtslied: Das ist der Tag; den
Gott gemacht; Am neuen Jahr: Er ruft der Sonn';
Wider den Uebermuth: Was ist mein Stand, mein
Gliick; Vertrauen auf Gott: Auf Gott und nicht auf
liieinen Rath; Kampf derTugend: Oft klagt meinHerz.
Die Geilert'schen Lieder sind nach jener Zeit oft
genug von Neuein coniponirt worden, von Nieraandem mit
gleichem Gliick und gleicher Hingabe, Da>s Publikum er-
wies ihnen die gebiilirende Aufmerksainkeit. Noch bei
Lebzeiten Bach's, im Jahre 1784, erschien die funfteAuf-
lage1). Beethoven liat etwa funfzig Jahre spater sechti
Lieder aus derselben Sammlung gesetzt? und zwar:
Bitten: Gott, Deine Gute reicht so weit; Liebe
des Nachsten: So. jemand spricht; ich Hebe Gott;
Voin Tode: Meine Lebenszeit yerstreicht; Die Ehre
Gottes: Die Himmel erzahlen die Ehre Gottes;
Gottes Maeht: Gott ist mein Lied; Busslied: An Dir
allein, an Dir hab' ich gesiindigt.
Wer kennt diese herrlichen Gesange nicht? Ware es
niitzlich; der Kunst forderlich, zwischen ihnen und den
Melodien Emanuel Bach?s eine Paralelle zu ziehen?
Bach hat mit diesen geschaffen, was Beethoven fertig x
vorgefunden, mit seinem schopferischen reichen Geiste aus-
gebaut hat. Was jener mit seinen Liedern wollte, das hat
er in seiner Vorrede klar und bestirnmt gesagt und eben-
so klar und bestimmt geleistet. Beethoven hat die Auf-
gabe nach seiner Besonderheit aufgefasst und seine Ge-
sange in gross em, dramatisch ausgepragten Charakter
dargestellt Nicht hausliche Andacht? fromme Versenkung
in die Aufgaben des Christenthums sollten damit gefdrdert
warden: sie sind fur Sanger von hoher Begabung und von
grossen Stinim-Mitteln gesehrieben. Wenn man ihnen%Be-
i) Eine Auswahl clieser Lieder ist kiirzlich bei Si in rock in Ber-
lin herausgegeben worden.
— 153 —
wunderung nicht versagen kann, so darf man sich darum
die Freude nicht verktimmern lassen, die in Bach's em-
facheren Tonbildern, in ihrer kindlichen Frornmigkeit, in
ihreni innigen Gesange, in deni Reichthum imd Adel ihrer
Melodien niedergelegt ist.
Im Jahr 1764 gab Bach bei Winter in Berlin ander-
weit Zwolf geistliche Oden und Lieder; als einen
Anhang zu Gellert's geistlichen Oden und Liedern
mit Melodie heraus.
Es lasst sich bezuglich dieses Anhangs nur alles wieder-
holen, was von der Haupt-Sammlung gesagt worden ist.
Alle diese Lieder7 deren einige in choralartigem Charakter
gesetzt sind (so der 88. Psalm: ??Mein Heiland? meine
Zuversicht; Ermunterung zur Busse: Mein Heiland
nimmt die Kinder an und an Gott: ErhebJ aiif mich
Dein Angesicht," stehen auf der vollen Hohe der vor-
hergehenden. Einige sind von besonderer Bchonheit, so
das letzte Lied (Morgengesangj ? dessen Biehtung von der
Musik wie mit dem Rosenschimmer der aufsteigenden
Morgenrothe ivberhaucht ist.
Gellert selbst war? wie ein Zeitgenosse berichtet1},
liber Baches Composition seiner Lieder entziickt. Mit Be-
zug darauf schrieb er ihin: ?,Das beste Lied ist ohne die
ihm eigne Melodie ein liebendes Herz. dem seine Gattin
mangelt, die seine Empfindungen beseelt, in dem er die
ihrigen erweckt."
Der Melodien zu den Stolberg'schen Liedern? gleich-
falls Bach's Berliner Zeit angehorig, hat der Verfasser zu
seinem grossen Bedauern nicht habhaft werden konnen.
Emanuel Bach's grosses Verdienst um das deutsche
Lied, dem er uiizweifelhaft zuerst Parbe und Leben ge-
geben hat? ist bisher keineswegs richtig gewiirdigt worden,
E. Schneider^ der in dem mehrgenannten Werke insbe-
i) Siehe weiter iraten dieKritik iiber die
vom Jahre 1774.
— 154 —
sondere Graun's Verdienste uin diese Musikgatttmg her-
vorhebt, tadelt an Bach's Melodien rait besonderm Hin-
weis auf die Gellert'schen Lieder, dass sie steifund
trocken seien1). ,?Auf diese Melodien konnte man jeden
beliebigen Text, auch einen frivolen singen; und liier sollen
dazu sehr fromme, sehr ernste Lieder gesungen werden.
Das ist der Widerspruch, die innere Unwahrheit, an der
Bach's Lieder leiden." Dies ist gradezu unrichtig. Viel-
leicht ware der Verfasser des ?;Musikalischen Lie des,"
das so viel Verdienstliches enthalt, zu einem andern Re-
sultate gelangt, wenn er ausser den Gellert'schen Liedern
anch Bach's weltliche Lieder aus seinen letzteu Lebens-
jahren und die Sturm'schen uud Cramer 'schen Lieder
und Psalmen berucksichtigt hatte, die? wenn man Baches
Stellung zum deutschen Liede richtig beurtheilen will, nicht
ausser Acht gelassen werden diirfen.
A. Eeissmann2)? der gleichfalls Graun und neben
ihrn Agricola und Marpurg eine bedeutsanae Stellung
fiir das Lied eingeraumt hat; ohne Kirnberger's nur dem
Namen nach Erwahnung zu thun, sagt von Enianuel
Bach: ?;Sein verstandig praktischer Sinn richtete sich auch
bei deni Liede mehr auf eine Zersetzung der Stimmung
und auf die Darstellung der einzelnen Ziige desselben mit
den vorhandenen Mitteln, so dass wir ihn den Vater
des durchcomponirten Liedes nennen warden, wenn uber-
haupt die lyrischen Momente bei ihrn zu unmittelbarer
Erscheinung kamen. So wird er weniger durch seine
Arbeiten auf diesem speciellen Gebiet, als vielmehr durch
sein gesamintes Wirken einflussreich auf die Weiter-Ent-
wickelung des Liedes.^ Nach allem bisher Besprochenen
kann auch diese Bemerkung, die einzige7 welche der frucht-
bare musikalische Schriftsteller fiber Emanuel Bach zu
machen weiss, bei der er indess keine seiner bedeutenderen
1) A. a. 0. III. S. 215.
2) Das deutsche Lied. S. 86.
— 155 —
Liedersammlungen nur dem Namen naeh anftihrt and
dessen Liedern er in den Notenbeilagen zwischen Graun;
Agricola, Marpurg und Nichelinann kein Platzchen
reservirt hat, nur fur unzutreffend, wenn nicht fur ober-
flachlich erachtet werden.
Das deutsche Lied in seiner jetzigen Gestalt ist eine
Schopfung Bach's, und den Anfang zu derselben bilden
seine Gellert'schen Lieder. Wenn mit diesen ftir den
Einzelgesang gesetzten Melodien seine Thatigkeit in Berlin
fiir diesen Kunstzweig geschlossen ist, so ist sie es doeh
nicht fiir den Gesang (iberhaupt. Er hat sich namlich
noch auf das Feld der
F, Weltiichen Cantaten
begeben.
Zu diesen gehort in erster Linie sein Antheil an einem
Werkchen von halb theoretischer Natur, das dem Jahre
1760 angehort unddenTitel fiihrt l): Drey verschiedene
Versuche eines einfachen Gesanges ftir den Hexa-
meter.
Dasselbe wird mit der Nachricht eroffnet, dass ?;die
grossten Meister der Kunst" an diesen Versuchen ge-
arbeitet und dass diese mit Fleiss ganz verschieden seien,
so dass immer einer um einige Grade einfacher sei als der
andere. Es wird hinzugefugt, dass der erste Text aus dem
Messias? der andre aus einer Hymne des Herrn Wieland?
der dritte aus einem kleinen epischen Gedicht des Herrn
Bodmer „ Jacobs Wiederkunft aus Haran" entnommen sei.
Bach ist weder auf dem Titel des Werks noch in der
Vorrede als Verfasser eines der drei Versuche genannt wor-
den. In seinem Nachlass-Kataloge sind dieselben ak von ihm
herrtihrend bezeichnet. In seiner Helbstbiographie2) sagt
# i) Berlin, foei Winter.
2) Bnrney, Musik Reisen. Tk HI.
- 156 -
er dagegen: ??Der zweite Versuch in Hexametern ist auch
von mir." Somit ist kaurn anzunehrnen, dass er an dem
Werkchen einen weitergehenden Antheil gehabt habe. Dem
entspricht auch die Vorrede, indem sie sagt; dass die Com-
ponisten der drei Versuche ?Jden grossten Meistern der
Kunst" angehorten, welche dse freundschaftliche Gefallig-
keit gehabt batten, sich zu ihnen herabztilassen.
Wer die Stiicke No. 1. und 3. gesetzt habe? ist
nicht bekannt Dem oben gedachten Epitheton gemass
wiirde man auf Grraun schliessen konnen; wenn dieser im
Jahre 1760 noch gelebt hatte. So bleibt die Wahl zwischen
Agricola; Kirnberger, Fasch und Quantz, die unter
don Berliner Tonsetzern mit besonderem Interesse fur den
Ge«ang geschrieben haben. Heryorragendes haben sie
ebeiiso wenig geleistet; als Emanuel Bach. Somit ist die
Entscheidung dieser Frage nicht von grosser Bedeutung.
Die Musik dieser Versuche bewegt sich auf dem Boden
der melodiosen Declamation, wie wir ihr bei Bach in seinen
spateren Werken, zumal den Oratorien und dem Morgen-
Gesange wieder begegnen werden. Jedoch verschwindet
in ihr die eigenthiimliche Scandirung des Hexameters so
gut wie ganz. Es ist aus ihm eine gewohnliche Declama-
tionsform geworden, somit der eigentliche Zweck der Arbeit
nicht innegehalten. Hie und da durch Wiederholungen
gescharft, von Recitativen durchflochten? im h^ufigen
Wechsel der Tempi; ohne eigentliche Steigerung und Schluss-
Erhebung bieten diese Versuche; die man kaum anders denn
als Solo-Cantaten bezeichnen kann, ein g*ewisses buntes
Hintereinander und Ineinander von Melodie und Declama-
tion ohne organische Gliederung und ohne dass ein Ge-
danke sich von dem anderen durch besondere Kennzeichen
und Merkmale unterschiede. Mag Einzelnes als schon
hervortreten, wie in dem ersten Versuch aus dem Messias
das Allegretto:
— 157 —
<
ar-mung g-e-hil-det zu werden, Dem zu
sein, Dezn zn sein und Dlch e-
gfg^ - — -j*1^!* ~jl-i -yiy— a>:ziz^:d~»:«— 0 .'jfzpzii
r IT J
sein und Dlch e-wig, Dicb
i^zir^:?1^
/ e - wig, Dich e-wig zn lie - ben
yg^^^g^|:
oder aus dem zwelten (Bach'schen) Versuch der Schlusssatz
Mlegretto.
i
mf. •* ^T ' i
Die du dort ii-ber die Bin - men bin - gleitest, kry-
stal - le - ne Quel - le, ransch"
158 —
es den Blu
men zu
fe
\i C
P •.•!•• '.ITT :_i)
=Eb£*iE=i=3=^
le zur an- dern.
der selbst in der aiisgefiilirtereii Begleitung eine schon
mehr dramatisclie Farbung anniinmt und si-cli dadurch
liber das Niveau der anderen beiden Nummern erhebt; das
Ganze wird wohl nur als ein erfolgloses Bestreben be-
— 159 —
zeichnet werden konnen. Ungeachtet dieser Erfolglosigkeit
dient Bach's Theilnahme daran als Beweis, wie unablassig
und yielseitig er bestrebt war, bei Allem initzuwirken, was
sich irgend als ForderuDg der Kunst charakterisiren liess.
In spateren Jahren 1st er auf diese Arbeit zuriickgekorumen.
Denn in seinen Gesangs-Compositionen vom Jahre 1770
findet sich:
??Der Friihling, eine Tenor-Cantate mit den
.gewohnlichen Instrumenten" und der Bemerkung auf-
gefuhrt: ?;Aus dem zweiten Versuch des einfachen Gesanges."
Es kaiin sich hier nur uni die Ueberarbeitung und Instru-
mentirung des Wieland'schen Hyimrns ?,Preude? die
Lust der Gutter und Menschen" gehandelt haben.
Indem wir dies Werkchen von zweifelhaftem Werthe
verlassen? wenden wir uns noch zwei anderen Gesangs-Com-
positionen von ahnlichem Charakter zu? die? ihres geringen
Umfangs ungeachtet eine bei Weiteni hohere Bedeutung
in Anspruch nehnien und einige Jahre spater entstanden
sind.
Es ist dies zunachst Phillis und Thirsis? eine
Cantate fiir zwei Gesangsstiminen7 ini Jahre 1765
gesetzt, im nachstfolgenden Jahre in Partitiir bei Winter
zu Berlin im Druck erschienen, ein "Werk voll von Schon-
heiten. Es besteht aus 3 Satzen, ist fur 2 Soprane oder
auch fur Sopran und Tenor geschrieben und wird von
2 Floten und dem Bass begleitet. Die ausfiillende Har-
monie wird durch den Fliigel vermittelt? ohne den bei der
damaligen Art zu setzen keine befriedigende harmonische
Verbindung moglich war. Der Text ist sehr einfach.
Nro. 1. Arie. Phillis. E-moll */*.
Thirsis? willst du mir gefallen?
Singe mir nur Klagen vor.
Here doch die Nachtigallen,
Itis, Itls horst du schallen.
? fflagen reizt das Ohr.
— 160 —
Nro. 2. Rec.
T Mr sis. Ach, Phillis, lass mich scherzen.
Phillis. Ich habe dir gesagt, nur Klagen ruhren mich.
Thirsis. Suchst du Vergniigen in den Schnierzen?
Phillis. Ja; denn es reget sicli
Ein altes Leid in meinem Herzen,
Und stellt mir den? den ich verlor,
Mit aller seiner Reizung vor.
Thirsis. Die Vogel, die du ruhmst, ruhrt kein verjahrtes
Leiden,
Phillis. Was sagt ihr Lied denn sonst; wenn es nicht
klagt?
Thirsis. Das, was ich oft zu dir gesagt,
Das sagen auch die Vogel zueinander.
Nro. 3. Arie. (C-dur).
Der Vogel rufet ohne Ruh?
Iin Walde seiner Gattin zu:
Ach Hebe doch; acli liebe!
Die Gattin hort des Q-atten Lieder;
Ihr sehnlich Girren sagt ihm wieder,
Ich liebe!
Die Musik ist ganz in dem zartlich sentimentalen
Charakter dieses Gedichts gehalten. Bezeichnend fur die
Zeit und for die Richtung, welcher Bach in seinen Ge-
sangs-Conapositionen folgte, ist? dass den Schluss der Cantate
nicht wie doch so nahe gelegen hatte ein zweistimmiger
Satz, sondern eine Arie bildet. Wie zur Zeit der ersten
Entstehung des musikalischen Dramas der Einzelgesang
erst neu erfunden werden musste, so drangte die Geschmacks-
richtung jener Zeitperiode den Ensemble-Gesang aus dem
Bereiche der Musik so zienilich heraus und die in der
Bliithezeit der Madrigalen alles andere iiberwuchernden
raehrstimoiigen Solo-Satze mussten erst wieder yon Neuem
geschaffen werden.
Schon durch die oben angezeigte Art der Begleitung,
welche wesentlich in 2 Floten gelegt ist, und worin man
— 161 —
die besondere Vorliebe, die Bach von jeher fur dieses In-
strument gezeigt hat wiedererkennt, erhalt das kleine Werk
einen ungemein sanften, schwarmerischen Charakter. Mehr
noeh ist dies der Fall durch die melodische Behandlung,
die in der That zu dem Eeizendsten gehort, das die Zeit
Bach's schaffen konnte. Stellen, wie die folgende in Nro. 1.
tftfi 3^ | j 1] -.L .... .-t~t.^m_Z
A— — _^,^-c..^ — 3_ — — « — iymjy Jiiz_ m
p££=?=f3zt^r=S5?
Ho - re doch die Nachti
3tf*EJ5§
Hen, itis, itis
f
-^-C
p
p. tasto*
lljT
_ =*
-•—"-^-ErrriE^f-Jt
hSrst da's schallen, Klagen, Kla-gen reizt das Ohr.
rrtrd!^=(^±^-|:-frg?rir5rr^^z±r:>^:^:r:t=fi:
:=^==f=3z^=i=^=»=1=ft=3r==»=c:
""^~~f~~r*i^3f" — "t~^j^3^ 1 — % — sn
oder die folgende No. 3:
Der Yo - gel ru - fet oh - neRuh' im Walde sei-nem
r.—^^=*.-f.-fy,~^
3&&2^ES3
K.r^_^_,
I ^ — '
l=lr=S=iq
Bitter, Emanuel and Frieniemaan Bach.
11
Gat ten zu, ach lie - be doch, ach lie - be doch, ach,
/ * ^^E5^Ea^E=3=E
rfr— =*~— • i— f — l~-r\ i — ~Tt;
-tp« -- IX-
lie-be dooh, ach
lie-be doch.
lassen sich niclit zarter und inniger wiedergeben.
Das Ganze wird durch die Musik zu einer Idylle der
edelsten Art erhoben. Die kleine Arbeit wiirde noch mehr von
Wirkung sein, wenn Emanuel Bach es liber sich ver-
inocht hatte? am Schluss beide Stinimen zu einem Zwei-
gesang zu vereinigen. Diesem Mangel Hesse sich fur die
heutige Zeit durch die Einrichtung der letzten Arie zum
Duett, welches als Wiederholung gesungen werden konnte,
abhelfen. Dadurch wiirde auch der sentimentale Gregen-
stand etwas mehr aussere Abrundung erhalten.
Nahe der Zeit; wo diese Cantate entstanden war, liegt
eine andere Arbeit von ahnlichem Charakter, aber von
noch grosserer Vollendung, ein Mittelding zwischen Cantate
und Lied, namlich der im Jahre 1766 gesetzte und bei
G-. L. Winter in Berlin ini Druck erschienene
nach Grleim's Worten
— 163 —
,,Der Wwili und die Gaste",
em Stuck roller Leben und Melodie, voller Feinheit und
edler Declamation, in welchem eine Solostimrne mit eineni
allenfalls zwei- und dreistimmig zu singenden Chore wech-
selt. Wer mochte nicht in folgender Stelle
Wdssig geschwind.
/ DerWirth. Brlnge von dem Wei-ne, Jtmge, der wie B«i - TIA
1
Wan-ge
glubt, feu-rig ist er uiid anf derZunge Keb-
-,__H_^-_-^_i,^..
li - cher, Iieb-11 - cher, lieb-li-cher als Uzens
^
Ein Gast.
Lied. Unser lie-ber Wirth soil le-ben!
eine fiir jene Zeit vollig neue Behandlung der Melodie
neben einer graziosen Art des Vortrags erkennen, die
Haydn und Mozart zur Ehre gereictt haben wiirde?
So unbedeutend die Arbeit an sich ist, so verdient sie doch
um ihrer b^onderen Gestaltung willen eine specielle Er-
wahnung, Denn der Zusammenbang zwischeB diesef
II*
— 164 —
Art der Composition und dein Verdienste Bach's urn das
deutsche Lied ist unyerkennbar.
G. Sebastian Bach's vierstimmige Chorale,
Wahrend auf solche Art Em an u el Bach sich in eine
wahrhafte Fluth von Clavier-, Instrumental- und Gesangs-
Sachen vertieft hatte, arbeitete er gleichzeitig an eincr
anderen Aufgabe, deren Betrachtung den aufmerksamen
Beobachter aus deni glanzvollen breiten Strome, in dern
der Meister sich zu Berlin bewegte; in die stillen Raume
des Cantorats der Thomas-Schule zu Leipzig zuriickversetzt,
in denen der ernste und grosse Sinn seines Vaters so lange
Jahre zur Ehre Gottes gearbeitet hatte. Sei es dass die
religiose Innigkeit der Gellert'schen Lieder, deren Com-
position er in den 12 Nachtrags-Oden so eben beendet
hatte, dazu beigetragen haben mochte? seinen Blick dem
Kirchenliede wieder niehr zuzuwenden? sei es dass die
buehhandlerische Speculation ; die sich der vierstinimigen
Chorale seines Vaters bemachtigt hatte ? ihn veranlasste,
die Herausgabe derselben in die Hand zu nehmen: gewiss
ist, dass er dem Andenken seines Vaters kein ehrenvolleres
Denkmat errichten, seinem eigenen Kunstlernanaen kerne
erhohtere Bedeutung hatte schafifen konnen, als durch eine
Arbeit, welche der Nachwelt den in jenen Choralen nieder-
gelegten Schatz von frommer Gesinnung und von harmo-
iiisehera Reichthum zuganglich machen sollte. Ueber deren
Wichtigkeit und inneren Werth ist an dem geeigneten Orte J)
ansfiihrlich gesprochen worden. Ohne Ernanuel Bach's
sorgfaltige Bearbeitung wtirde diese Sammlung zahlreicher
und bewundernswerther Meisterwerke wohl kaum anders
als unvollstandig und zumeist in verstummelter Gestalt
vorhanden sein.
Der erste Theil, 100 Chorale enthaltend, erschien im
Seb. Bach. Th. H. S. 92 £
— 165 —
Jahre 1765 zu Berlin nnd Leipzig mit folgender burner-
kens werthen Vorrede:
,,Die Besorgung dieser Saminlung wuide mir von deni Henn Yer-
leger aufgetragen, nachdem schon einige Bogen davon gechuckt waren-
Daher ist es geschehen, dass man vier Lieder hat eingeriickt, welche
nicht aus der Feder meines seeligen Yaters gekommcn sind Man
findet diese 4 Lieder xmter dcr 6., 15., 18 und 31. Nunimer. Die
iibrfgen Lieder, sowohl m diesein, als den nachfolgenden Theilcn sind
alle yon meinem seligen Vater verfertiget und eigentlich in vier
Systemen fiir vier Singstiminen gesetzt Man hat sie den Liebbabern
der Orgel und des Claviers zu gefallen auf zwei Systerae gebracht?
weil sie leichter zu iiberseben sind. Wenn man sie vierstinimig ab-
singen will, und einige den Cmfang gewisser Halse iibersehreiten
sollten, so kann man sie iibeisetzen Bey den Stellen, wo der Bass
so tief gegen die iibrigen Stirnmen einhergehet, dass man ibn ohnf*
Pedal nieht spielen kann, nimmt man die hohere Ootav alsdnnit, wenn
der Bass den Tenor iiberschreitet. Der seelijre Yoifasser hat wcg"en
des letzteren Umstandes auf ein sechzehnfiissiges bassiiendes Instru-
ment, welohes diese Lieder allezeit mitgespielt bat, gesehcn. Den
Schwacbsicbtigen zu gefallen, welchen einige Satze imrichtig scheinen
mochten, hat man da, wo es nothig ist die Fortsrhieitung der Stim-
men durch einfaclie und doppelt sclinige Striche deutlich apgezeiget.
Ich hoffe aucb duich diese Sammlung vielen Nutzen und vieles Yer-
gniigen zu stiften, ohne dass ich noting hatte, zum Lobe der Har-
nionie dieser Lieder etwas anztifuhren. Der seclige Yerfasaer hat
meiner Empfehlung nicht nothig. Man ist von ihra gewohnt gewesen,
nichts als Meisterstiicke zu sehen. Diesen Nahmen werden die Kenner
der Setzkunst gegenwartiger Sammlnng ebenfalls nicht versagen
konnen, wenn sie die ganz besondere Einriehtung der Harmonic und
das natiirlich fiiessende der Mittelstimmen und des Basses, wodurch
sich diese Choral -Gesange voiziiglich unterscheiden, mit gehfJrigor
Aufmerksamkeit betrachten. Wie nutzbai ^kann cine solelio Betraeh-
tung den Lelirbegierigen der Setzkunst werden, und wer lengnet
wohl heut zu Tage den Yorzug der Unterweisung in der Setzknnst,
vennoge welcher man statt der steifen und pedantischen Contrapunkte
den Anfang mit Choralen machet? Znni Beschluss kann ich den Lieb-
habern von geistlichen Liedern iiberhaupt naelden, dass diese Samm-
Jsng ein vollstfindiges Choralbuch ausmachen wild Es werden die-
sem Theile noch zwey andrc folgen und iiberhaupt iiber dreyhundert
Lieder enthalten
C. P. E. Bach.'-
Der Verleger hatte? wie man hierans ersiebt? die Her-
ansgabe des Werks begonnen? ohne dass Eraanuel Bach
darum wusste tmd dabei zugezogen worden war. Vielleielit
erkannte Birnstiel ntxslx zu rechter Zeit, dass di
— 166 —
fiihrung dieser Arbeit oline Emanuel Bach grosseSchwierig-
keiten fin den werde, yielleicht auch hatte letzterer selbst
hiegegen Verwahrung eingelegt, da die Herausgabe dieser
Chorale ohne eine durchaus kenntnissvolle, alle Schwierig-
keiten der Form wie der Materie beherrschende Redaction
nur zu einem verfehlten, das Andenken und die Wiirde
seines Vaters blossstellenden Resultate hatte fiihren miissen.
Mit vollein Rechte hat er deshalb auch spater gegen die
ohne sein Vorwissen erfolgte Herausgabe des zweiten Theils
energischen Protest erhoben.
Eine andere, tiberaus wohlthuende Bemerkung, die
sich aus dieser Vorrede aufdrangt, ist die? dass Emanuel
Bach, der seinerseits bereits iin 49. Lebensjahre stand und
selbst zu einem Manne von grosser Bedeutung fur die
Kunst eniporgewachsen war, noch 15 Jahre nach dem
Hinscheiden seines Vaters yon der tiefsten Pietat fur sein
Andenken und seine Arbeiten erfullt war. Man wird bald
erfahren, wie schwer er durch den Verkauf der Kupfer-
tafeln zur Kunst der Fuge das Andenken des gross en
Meisters yerletzt hat. Hier spricht sich im Gegentheil die
Verehrung fur ihn nicht allein in der Anerkennung der
meisterhaften Arbeit, sondern mehr noch in der sorgsamen
Art und Weise aus, wie er bemiiht war? diese in Bezug
auf die Ausfiihrung yor Missyerstandnissen zu bewahren.
Die spatere Generation weiss davon zu erzahlen? dass
nicht bloss ?7Schwachsichtige"; sondern auch Manner yon
heryorragender Bedeutung1) den Werth jcind die Einrich-
tung dieser Chorale ganzlich yerkannt haben.
Endlich spricht sich gegen das Ende der Vorrede
Emanuel Bach als der wahre Sohn Sebastians aus.
Die ?;Lehrbegierigen der Setzkunst" sollten aus diesen
Choralen lernen; mehr als aus dem steifen Contrapunkt.
Welche noch so sorgsame biographische Notizen hatten
x) C. M. v. Weber, AbtVogler und in neuester Zeit auch
Chrysander. Siehe Bitter, J. S. Back Th. n. S. 99.
— 167 —
wohl so sehr zu seiner Charakteristik beitragen konnen,
als es diese wenigen Worte thun!
Inzwischen war naeh dem Erscheinen des era ten Theils
ein zieinlich langer Zeitraurn verlaufen, ohne dass das
Unternehmen Fortgang gehabt faatte. Dein Verleger mochte
der Wunsch nahe liegen es fortgesetzt zu seiien. Er scheint
hiebei wiederum ohne Vorwissen Bach's, der inzwischen
seinen Wohnsitz nach Hamburg verlegt hatte, zu Werke
gegangen zu sein. Denn es erschien bald nachher fol-
gende
Nachricht fiir das Publikujca.
,,Es hat der Herr Birnstiel in Berlin kiirzlich mit eben so vieler
Dreistigkeit als Unwissenheit in der Musik den zweiten Theil von
Johann Sebastian Bach's vierstimmigen Choralgesa'ngen, woven
ich der eigentliche Sammler bin, ohne mir das geringste davon wijssen
zu lassen, heiausgegeben. Ich habe etwas davon angesehen, nnd eine
grosse Menge von Fehlern von allerlei Art darinnen gefunden. Der
Verdruss und Eckel hielt mich ab, alles durchzugehen, weil ich zu-
letzt sogar Fehler fand, dergleichen ein Anfanger in der Compositien
nicht leicht machen wird. Ich bin im Stande, jedem der es verlangt,
die Fehler zu zeigen, und ihm mein Original dagegen zu halten Da
nun durch diese Ausgabe die Ehre des seeligen grossen Mannes, und
meine eigene, als Samniler, aufs empfindlichste angegrififen word en
ist: so eiklare ich hiemit offentlich *8^m Publico raeme Unsehuld, und
warne es auf a treueste, sich dnrch AnscharfuDg dieses zweiten Theiles
nicht hintergehen zu lassen; alle Freunde meines seligen Vaters bitte
ich besonders, die Bekanntmachnng dieser ihm nach seinem Tode znr
Schande gereichenden veistiimmeJten Aibeiten auf alle niogliche Art
zu hindern, urn so viel mehr, da diese Sammlung nunmehro nngleich
mehr Schaden verursachen kann, wahrend es als ein praktisches Lehr-
buch von den vortrefflichsten Mustern den en Studirenden in der Setz-
kunst von ungemeinem Nutzen hatte sein konnen. Doeh — wie reich
sind wir nicht jetzt an Lehrbiichera olme richtige Grundsiitze und
Muster!
Hamburg, den 29. May 1769,
C. P. E. Bach."
Es ist unzweifelhaft Back's Absieht gewesen, die
weitere Herausgabe der Chorale selb.-st zu leiten. Doeh
mogen ihn die gehauften Geschafte seines neuen Amts
daran verhindert haben. Erst im Jahre 1771 entschloss
er sich die Arbeit aa Kirnberger zm Hb£rtrageB7 der Otr
— 168 —
ausser ihin selbst (und seinem zu solchen Geschaften nicht
mehr befahigten Bruder Fried em ann) allein gewachsen
und wegen seiner genauen Kenntniss des Alt-Bach'schen
Greistes dazu vorzugsweise geeignet war. Aber Kirn-
berger liess die Saclie liegen und erst kurz yor seinem
Tode wurden die Chorale an Breitkopf abgeschickt, der
den Verlag dbernommen hatte. So ersehien denn erst im
Jahre 1785 die zweite Ausgabe derselben, 370 Nummern
enthaltend?~ unter denen docli_noch einige fibrig geblieben
sind, die eine blosse Wiederholung enthalten, ebenso cin
funfstimmiger Choral ; der nieht von Sebastian Bach
sondern von Ko sen mil Her gesetzt ist.
In der Vorrede, welche weiterhin wortlich die Vor-
rede zum ersten Theil dor ersten Ausgabe wiederholt,
heisst es:
,,Diese Samm-Iung der Chorale Ist iiach clein vorigen Drucke von
mir nochmals mit vieler Sorgfalt dnrchgesehen und von eingeschliche-
nen Fehlern geroinigt worden. Von Herrn Kirnberger, dem ich
solche bereits im Jahre 1771 iiberiassen hatte, sind sie kurz vor seinem
Tode an den jetzigeii Herrn Veileger gekommen. Bey diesem neuen
Drucke sind also auch die Tbey dem vorigen elngeroischten freraden
Lieder ausgelassen woiden und die neu abgedruckten sowohl in die-
sem als den nachfolgenden Theilen sind alle von meinem seligen
Vater verfertigt."
Welclien besonderen Antheil Kirnberger an die-
ser zweiten Ausgabe gehabt haben rnochte, ist schwer
zu bestimmen. Dass er deven Bearbeitung 12 Jahre lang
(bis 1783) hatte liegen lassen, spricht, selbst unter Beriick-
sichtigung der langen und schmerzhaften Krankheit seiner
letzten Jahre; nicht fur ein besonders lebhaftes Interesse
an derselben. Der Zusammenhang, in welchen die Mit-
theilung hieruber zu der Angabe Bacnys gesetzt ist, dass
er die Sammlung der Chorale ,?nochnials mit vieler
Sorgfalt durchgesehen und von eingeschlichenen
Fehlern gereinigt habe"; scheint erkennen zu lassen, "
dass eine Bearbeitung dureh Kirnberger entweder gar
nicht stattgefunden habe; oder doch dass diese nicht zu-
friedenstellend ausgefallen sei, Es war Emanuel Bach
— 169 —
beschieden, die Beendigung dieses Werks zu erleben, dessen
letzte Abtheilung im Jahre 1787 , also kurz vor seinem
Tode erschienen ist.
Mit der Besprechung der Herausgabc des ersten Theils
dieser Chorale Sebastian Bach's 1st der Kreislauf der
Betrachtungen abgesehlossen, die sich an Emanuel Bach's
Wirksamkeit als Tonsetzer und Schriftsteller wahrend seines
Aufenthalts in Berlin kniipfen. Wird es eines zusammen-
fassenden Riickblicks auf dieselbe bediirfen? Emanuel
Bach war, als Rich diese Periode fiir ihn abschloss, ein
Mann von 54 Jahren, in der yollen Kraft und Reife seines
Lebens. In der grosseren Halfte dieses Zeitrauins hatte
er seine feste Stellung zur Kunst bereits genonimen. So
trat er in sein neues Amt als ein beriihniter Tonsetzer
ein, dessen Specialitat die Mit- iind Nacliwelt in seiner
Wirksamkeit fur das Clavier gefunden hat. Und so
erkennt ihm die Nachwelt auch noch besonders das
Verdienst zu, dena deutscheu Liede Gestaltungsfahigkeit,
neue Fornien und inneren Gehalt gegeben zu haben. Diese
grossen Eigenschaften sind ihm bis an sein Ende treu ge-
bliebeD.
Capitel III
B i a g r a p h i s eh e s,
Bach hatte laut seiner eigenen Mittheilung niehrfache
Gelegenheit gehabt, vortheilhaften Rufen in andere Stel-
lungen zu folgen. Es ist leider ebensowenig moglich ge-
wesen zu ermitteln, an welche Orte hin er berufen worden
war, noch durch welche ansehnliche Gehaltszulage der
Konig seinem Abgange yon Berlin vorgebeugt habe. Un-
— 170 —
erwahnt hat er gelassen, class er sich im Jahre 1750 nach
seines Vaters Tode um das erledigte Cantorat der Thoinas-
Schule beworben. In der Enge des Raths zu Leipzig1)
wurde am 29. Juli jenes Jahres angezeigt; dass sich fur
die Stelle des am 28. 1. M. verstorbenen Cantors oder
vielmehr Capell-Directors Bach J?des Defuncti Sohn?
Herr Bach in Berlin, gemeldet habe."
Er erhielt aber die Stelle nicht. Dass er sich damals
nach Leipzig begeben hatte, ist wohl zweifellos. Die trau-
rige Lage der Familie nnd die Nothwendigkeit einer that-
kraftigen Aenderung der Verhaltnisse batten seine An-
wesenheit so wie so erfordert. Es ist fur die Kunst-
geschichte von nicht geringem Belange, dass Em. Bach
bei dieser Gelegenheit den nmsikalischen Nachlass seines
Vaters mit seinem alteren Brader Wilhelm Friede-
mann und zwar, wie Forkel2) mittheilt, in der Weise
iibernahm, dass er etwa den dritten Theil desselben erhielt.
Auf diese Art sind bei der grossen Ordnungsliebe Bach's
und der^sorgsamen Pflege, welche er den ehrenvollen Tra-
ditionen seiner Familie widmete; eine sehr grosse Menge
werthvoller Arbeiten seines Vaters der Nachwelt erhalten
worden, zu denen ausser zahlreichen Cantaten und Instru-
mentalsachen vor alien die grosse Messe in H-nioll; die
beiden grossen Passions - Musiken , das Magnificat , das
Weihnachts - Oratoriam und die Kunst der Fuge gehort
haben.
Aus deni Nachlasse seines Vaters stammte auch ohne
Zweifel die Mehrzahl jener zahlreichen. und merkwurdigen
Arbeiten der Vorfahren der Familie Bach her, welche
Emanuel unter dem Namen des Alt-Bachischen Archivs
besessen hat und die sich jetzt zum nicht geringen Theile
in der K, Bibliothek zu Berlin befinden 3).
1) Acta des Ratbs zu Leipzig, VIII. 63, fol. 238.
2) Ueber Joh. Seb. Bach, S. 61.
3) Bitter, J. S. Bach, Th. I. S. 31
Dieser Saaanlttug Alt BachischerStucke nabe verwandt ist die
— 171 —
Bei dleser Gelegenheit waren auch die Kupferplatten
zu Seb. Bach's Kunst der Fuge in seinen Besitz iiber-
gegangen, zunachst wohl zu keinem anderen Zwecke7 als
um den Abdruck und die Herausgabe dieses wunderbaren
Werks zu ermoglichen. Em. Bach war es, der auf das
Original unter die bereits begonnene letzte Fuge? in wel-
cher zu den zwei ersten Motiven noch ein drittes in den
Ton en bach tritt? gesetzt hatte: 7,Ueber dieser Fuge,
wo der Name Bach im Contrapunkt angebracht worden?
ist der Verfasser gestorben."
Marpurg gab dies grosse Werk zwei Jahre spater
heraus. Es waren nur wenige Abztige gemacht worden,
und diese deckten die Kosten nicht. Bisherlgen Mitthei-
lungen zufolge hatten deshalb die Erben die Kupferplatten
als altes Metall verkaufen muss en.
Dieselben waren aber in Em. Bach's personlichem
Besitz geblieben. Er selbst ist es? der im Jahre 1756 iiber
der en Verkauf folgendes bekannt macht: l)
,,Den Herrn Verlegern practischer musicalischer Werke
wird hiemit bekannt gemacht, wie ich gesonnen, die sauber
und accurat gestochnen Kupfertafeln zu dem vor einigen
Jahren angemeldeten Fugenwerke meines >sel. Vaters, des
Capellmeisters Joh. Seb. Bach, ftir einen billigen Preiss aus
der Hand zu verkaufen. Es belauft sich die Anzahl der-
selben auf etliche sechzig, und sie betragen an Gewicht
einen Centner, Von dem inneren Werthe dieses Werks
in der K. Bibliothek zu Berlin befindliche Genealogie der Bachisehen
Familie, welche, ,,mit eigenhandigen Zusatzen und Verbesserungen
von C. PhiL Emanuel Bach" versehen und fiir Forkel bestimmt,
seiner spateren Lebenszeit entstammt. Den Ursprung und Zweck
dieser interessanten Zusammenstellung ergiebt die auf dem ersten
Blatte befindliche Bemerkung von der Hand Em. Bach's: ,3ringen
Sie diese Nachrichten in's Eeine, und nehmen Sie daraus, was Sie
wollen. Ben ersten Aafsatz machte mein seliger Vater vor vielen
Jahren. Burch eine saubere Feder kann ein Stammbaum, wenn alten-
falls etwas feblet, binzugesehrieben werden.u
i) Marparg, HislOT* krik BeMarage, Bd H. S. am
— 172 —
wird es unnothig seyn, vlel zu sagen; da das Andenken
der Kunst meines sel. Vaters, besonders in der Fuge, von
was fur einer Art und Gattung sie auch seyn mochte, bey
den Kennern dieser Arbeit nocli nicht erloschen ist. So
viel wird^mir davon anzumerken erlaubt sein? dass es das
vollkommenste practische Fugemverk ist und dass jeder
Scliiiler der Kurast mit Zuzieliung einer guten theoretischen
Anweisung, dergleichen die Marpurg'sche ist; nothwendig
daraus lernen muss eine gute Fuge zu machen? und also
keinen mimdlichen Lehrrneister, der sick das Greheimniss
der Fuge oft theuer genug bezahlen lasst? zu seinem Unter-
riehte bedarf. Dieses Werk wurde bisher 4 Thaler das
Exemplar verkauft Es sind aber nur ungefahr 30 Exern-
plare davon abgesetzt worden; weil es noch nicht uberall
bekannt ist; und da rnir nieine Verrichtungen iin Dienst
Sr. Majestat nicht gestatten, inich in viele und weitlaufige
Correspondenzen einzulassen? una es gehorig uberall bekannt
zu machen? so ist dieses die Ursache, warum ich mich ent-
sclilossen habe? mich davon ganzlich loss zu sagen. Die
Herrn Liebhabor kdnnen sich schriftlich allhier nach Ber-
lin an mich adressiren, und versicliert seyn; dass ich auf
das erste annehmliche Gebot, das jemand thun wird; ihm
ohne alle fernere Weitlaufigkeit und Umstande7 die Ta-
bellen iiberlassen werde; daniit durch desselben weitlau-
figere Bekanntschaften zum Besten des Publici; das Werk
uberall bekannt werde.
Berlin den 14. Sept. 1756.
Carl Philipp Einanuel Bach."
Allerdings scheint es nach der Form und Fassung
dieser langen Anzeige; als ob der Verkauf der Kupfer-
platten nur beabsichtigt worden sei, uin die Vervielfal-
tigung und Verbreitung der letzten gross en Arbeit seines
Vaters zu ermoglichen. Doch schiininert nicht undeutlich
das Verlangen bindurch, die 60 Kupferplatten um
jeden Preis und ohne die geringste Sicherstellung einer
kunstlerischen Verwendung loszuschlagen. Welchen ande-
— 173 —
ren Zweck hatte wohl die Angabe des Kupfergewichts
auf 1 Ctr. sonst Labcu konnen? Und waruru hatte er
ausdriicklich gesagt? dass die Tabellen auf das erste an-
nehmliche Gebot ohne Weitlaufigkeit und Um-
stande zugeschlagen werden sollten?
Era. Bach war zu Berlin in einer, wenn nicht wohl-
habenden, doch gut situirten Lage. Er bedurfte fiir seine
Person und Familie des Erloses jener kostbaren Tafeln
offenbar nicht. Dass er dadurch seiner Stiefmutter und
seinen in Leipzig wohnenden Geschwistern, die allerdings
in Diirftigkeit lebten? habe zu Hilfe kommen wollen? ist
nach der Fassung der Bekanntaaehung, welche den kunst-
lerischen Zweck in den Vordergrund schiebt7 kaum anzu-
nehmen.
So steht man liier vor einem Fragezeichen in der
Charakteristik Em. Bach's, das man ungern zu seinen
Ungunsten beantwortet sehen mochte. Sollte Reich ardt,
der ihn doch lange Zeit hindurch so hoch gesehatzt hatte
und sich seiner Freundschaft ru'hmen durfte, Recht gehabt
haben; indem er von ihm sagte: x) ;.Er war; selbst gegen
junge lehrbegierige Kunstler? die sich ihm nahten, in hohein
Grade gewinnsu'chtig. Diese Gewinnsucht erzeugte auch
manche seiner neueren Arbeiten etc." Im Hause seines
Vaters hatte er keine Gelegenheit gehabt Grundsatze
kennen zu lernen? die ihn zu einem so hasslichen Fehler
hatten verleiten konnen. Der Ru£, der in ihm einen Mann,
von jovialer Laune und seltner Liebenswlirdigkeit schildert?
und das gastfreie "\Yesen seines Hauses, wie es sich spater
in Hamburg gestaltet hat? sprechen im Ganzen nicht da-
ftir? dass er in solchern Masse gewinnsiichtig gewesen sei.
In jedem Falle mochte man wiinschen? dass er die Kupfer-
tafeln zur Kunst der Fuge, auch wenn ihm deren Gewieht
•and gross^ Zahl zeitweise lastig geworden sein sollte, aus
Belcfaardt, Musik-Almaaach von 1796.
- 174 -
Ketat fur die letzte, so miihsame und grossartige Arbeit
seines erblindeten Vaters aufbewahrt hatte.
Als Seb. Bach, starb, war dessen jiingster lebender
Sohn Johann Christian, geb. 17357 15 Jahr alt Ema-
nuel Bach nahm ihn mit sich nach Berlin, erzog und
unterrichtete ihn. Bald aber verliess Johann Christian
ihn wieder, um mit einer italienischen Sangerin nach
Italien zu ziehen. Ungeachtet seiner ausserlich glanzen-
den Laufbahn haben Vater und Bruder mit seiner Er-
ziehung keine Ehre eingelegt. Emanuel hat sich in der
Familien-Chronik hieruber in seiner hunioristischen Weise,
doch ganz klar ausgesprochen, indeni er sagte: *) „ Johann
Christian Bach etc. ging nach des seligen Vaters Tode
zu seinem Bruder Carl Philipp Enianuel Bach? welcher
ihn erzog und informirte. Reiste anno 1754 nach Italien.
1st jetzt in Engelland bey der Konigin in Diensten (inter
nos, machte es anders als der ehrliche Veit)" der um seines
Grlaubens willen sein Vaterland verliess und wenn er sein
Getreide zur Muhle brachte; sich auf der Zither ubte.
Capitel
Anstellnng, Aufenthalt und Lebensverhaltnisse
in Hamburg.
Die freie Reichsstadt Hamburg war von dem Ende des
17, Jahrhunderts ab eine Statte der Pflege und Uebung
fur die deutsche Musik gewesen. Hier hatte die Schule
der alten Contrapunktisten und Orgelspieler in dem "feis
i) In der K. Bibl. zu Berlin.
— 175 —
tief in das 18. Jahrhundert heruberragenden Adam
Re in eke einen ihrer er.3ten und bedeutendsten Reprasen-
tanten verehrt, hier hatte die deutsche Oper in langer und
glanzender Entwickelungsperiode ihren Aufschwung ge-
noramen, hier batten R. Keiser uud Handel gelebt und
gewirkt und hier hatte Mat the son, der unerniiidliehe, stets
schreibelustige und schreibefertige Kritiker? die Presse zu
einem Kampf- und Tumrnelplatz fur die Kunst und Musik-
geschichte seiner Zeit erhoben. Hieher war Sebastian
Bach als arrner Knabe von Ltineburg aus gewandert, urn
zu lauschen, zu horen, zu lernen, und hieher war er als
ein Kiinstler von hohein Range zuruckgekehrt, um die Er-
fahrung zu machen? dass in Hamburg eine Organistenstelle
nicht nach dem Maassstabe der Thatigkeit und der Kennt-
nisse, die sie erforderte, vergeben werden sollte, sondern
nach dem zufalligen Vorrath an Geld3 der auf ihre Be-
zahlung verwendet werden konnte. Spaterhin hatten zahl-
reiche Manner ? deren Nanien die deutsche Literatur init
dankbarer Erkenntlichkeit aufbewahrt hat, sich nach
Hamburg gewandt oder doch dorthin ihre Verbindungen
eroffnet. Hagedorn, Lessing, der hier seine Drama-
turgie geschrieben, Neumeister, Klopstock, Reima-
rus, Gerstenberg, Voss, Claudius, Sturm machten
die grosse Handelsstadt zu einem geibtig belebten und in-
teressanten Aufenthalt. Ihr Umgang, ihre E"ahe konnten
einem kiinstlerisch und lebendig fuhlenden Sinne reiche Be-
friedigung gewahren. Dazu kam die herrliche Lage des
Orts, der nahe Verkehr mit der See, die grossartige Be-
wegung, die dadurch fur das aussere Leben herbeigefuhrt
wurde, jenes seltsame Gemisch von grossstUdtischem Luxtis
und von speculative!' Berechnnng, das noch jetzt das Em-
porium des deutschen Handels an der Elbe charakterisirt,
und das sich mit jenen Bestrebungen auf dem Felde der
Literatur und Poesie zu einem eigenthiimlich schimmernden
Ganzen yereinigte.
Das Berlin VOB 1768 vermochte^ des grosaea
— 176 —
ungeachtet der dort regierte, nicht, sich in seinem ausseren
Erscheinen, in deni Reize und der Annehinlifchkeit des
Lebens, in seiner Lage und seinem ganzen Wesen mit deni
damaligen Hamburg zu messen.
Dazu kam die grossere Freiheit, deren der Kilns tier
doch endlich bedurfte, das Aufhoren jenes Zwanges, der
wie ehrenvoll er inmierhin sein niochte, doch nach fast
dreissigjahriger Dauer das innere Leben, die geistige Kraft,
die Elastizitat des Denkens und Schaffens dem Formalis-
raus nnd der Steif heit zu ubeiiiefern drohte, die naturgemass
uberall da eintretcn? wo kein Wechsel die Atmosphare be-
lebt und wo die Selbststandigkeit der Anscliauungen und
Empfindungen sich den Ordnungen wandelloser Zustande
fugen muss? die; wle hoch und gross ihr Inhalt und ihre
innere Nothwendigkeit an sich sein mdgen? doch imnaer
einen Zwang bilden. Bach's Greist verlangte nach jener
Freiheit des Schaffens und der Bewegung, welche ihin in
Berlin nicht zu Theil werden konnte.
In Hamburg hatte vor Kurzeni Teleniann, ehemals
Sebastian Bach's Mitbewerber um das Cantor at der
Thomas-Schule zu Leipzig, sein arbeitsames? langes und
ehrenvolles Leben beschlossen. Dieser grosse und fruckt-
bare Musiker, zu Magdeburg am 14. Marz 1681 geboren,
also 4 Jahre alter als Sebastian B&ch, den er doch um
17 Jahre iiberlebt hatte, und ebenso viel alter als sein
Jugendfreund Handel, der 8 Jahre vor ihin gestorben
war, hatte am 10. Juni 1721 die Stelle als Cantor und
Musikdirector am Johanneum zu Hamburg ubernominen,
und war in ihr his zu seinem am 25. Juni 1767 erfolgten
Tode, also 46 Jahre lang verblieben. Diese Stelle war
es, die nun auf Sebastian Bach's zweitaltesten Sohn liber-
gehen sollte", den die Prinzessin Am alia noch vor seinem
Abgange von Berlin zu ihrem Hof- Kapellmeister ernannt
hatte, einer Wiirde, die ihn ausserlich zu dem Range erliob,
der seinem grossen Vater vom Konig August III. verliehen
worden war. Die Hamburger Zeitungen melden, so weit
— 111 —
der Verfasser hat ermitteln konnen, von Teleinann's
Tode und der Berufung Einanuel Bach's nichts. Die
einzige offentliche Nachricht daruber ist folgende Anzeige1);
?>Dle durch den Tod des seel. Kapellmeisters Telemania
erledigte Stelle eines Musikdirectors an der Michaelis-
Kirche zu Hamburg ist mit dem beriihmten Herrn Carl
Philipp Emanuel Bach wieder besetzt worden. Wir
freuen uns? diesen grossen Meister des Clavierspiels, dem
wir so viele yortreffliche Sachen fur dieses Instrument zu
danken haben, in einem Posten zu sehen, wo er seine vor-
zuglichen Talente nun noch von einer andern Seite wird
zeigeii konnen, und wunschen dem deutschen Vaterlande
Gliick? dass der Gesang desselben aus der Feder eines
Bach klinftighin neue Schonheiten, neue Vollkommenheiten
erhalten soil."
So weiss man denn auch nicht, auf welche Veranlassung
hin die Stadtbehorden von Hamburg dazu gekonimen sind,
den Ceinbalisten Friedrich\s des (Jrrossen dorthin zu
berufen, Indess war sein Ruhm begrundet und verbreitet
genug. Vielleicht, dass er bei der Nachricht von Tele-
mann's Tode sich fur dessen Stelle gemeldet hatte. Denn
dass er bei geeigneter Yeranlassung von Berlin fortgeheu
wollte? stand wohl langst bei ihm fest. Er selbst sagt:
,?1767 erhielt ich die Vocation nach Hamburg als Musik-
^) Wochentliche Naehrichten, die Musik betr. Leipzig 1767. S. 204.
^Doch findet sich folgendes Gedicht: ,,Anf Telemann's Tod, in
Hamburg im Juni 1767U vor:
,}Ruh.? der geweihten Gruft! IJnd den Gebeinen Friede.
Erst spat entschlief der Geist, des ird'schen Lebens miide,
Und dock fiir seine Kunst zu friib!
Ihr Weste, kiihlt sein Grab, feyrt es, der Weisen Chore,
Kein Laut des ranhen Nords, kein Lob des Schwatzers store
Ben Mann der Harmonie."
Anch eine Grab- oder Leichen-Eede fur den beriihinten Tonsetzer
ist meat aufeufinden g-ewesen. Die Programme des Johanneums ana
jener Zeit erwahnen dieses Todesfalls und des der Anstalt dadurch
ervrachsenen Yerlustes ebenso wenig, als sie iiber den Eintritt B a cb J»
an Telemann's Steile eine Bemerkung enthalten.
Bitter, Emamiel uM Friedemaim Baeb. 12
— 178 —
director an die Stelle des seeligen Herrn Kapellmeisters
Telenaann! leh erhielt nach wiederholter allerunterthanigster
Vorstellimg meinen Abschied vom Konige, und die Schwester
des Kdnigs, die Prinzessin A mail a von Preussen Hoheit,
thaten mir die Gnade, mich zu Hochst Dero Kapellmeister
bei meiner Abreise zu ernennen."
Gewiss war es dem Konige schwer geworden, sich
der Dienste ernes Mannes zu entschlagen, der in seiner
Stellung wie wenige ausgezeichnet ihm seit 27 Jahren ac-
compagnirt hatte nnd an dessen Begleitung er claher sehr ge-
wdhnt war. Der Kdnig, zwei Jakre alter als Bach, trat
in die Lebensperiode ein, wo man seine Umgebung ungern
zu wechseln pflegt. Es scheint, dass er Back's Gesuch
uni Entlassiing aus seineai Dienste , wie dies schon fruher
einige Male geschehen war, zunaclist zuruckgewiesen habe.
Man hat nicht unterlassen, dies so darzustellen, als habe
sich Bach seiner Zeit zu Berlin in einein gewissen Zustande
von Unfreiheit befunden? als habe Frie-drich der G-rosse
ilin wider seinen Willen in gewissermassen gewaltsamer
Weise zuruckgehalten, an der Uebernahme andrer Stellen,
die ibm mehr Freiheit der Bcwegung gelassen haben warden,
gehindert. Diese Auffassung ist offenbar unrichtig. In
friiheren Fallen hatte der Kdnig seinern. Abgange 3?durch
namhafte Zulagen zu seinem Grehalte" vorgebeugt.
Es wiirde schlecht urn das Ansehen Emanuel Bach's vor
der Nachwelt stehen, wenn ein Mann von der kirns tlerischen
Grosse und der personlichen Bedeatung Kdnig Friedrichs,
seiner geringen personlichen Voiiiebe far ihn angeachtet die
erste Veranlassung benutzt hatte, ihm seinen Abschied zu
geben. Dass er auch jetzt dies zu vernieiden suchen musste,
lag auf der Hand und ehrt den Kdnig wie den Diener.
DassBachaber denWunsch hegen musste, in freiere Ver-
haltnisse uberzutreten? ist begreiflich, und so war es ihm
nicht zu verdenken, wenn er auf seiner Entlassung bestand?
die ihm denn auch bewilligt wurde.
Es war fur Bach's Absichten misslich, dass Fasch,
— 179 —
sein College fur das Floten-Accompagnement des Konigs,
grade als er im Jahre 1767 selbst damit umging, seine
bisherige Stellung aufzugeben, den festen Entschluss gefasst
hatte, seinen Dienst zu verlassen. Z elter *) erzahlt hieriiber,
dass Bach ihm? wie er dies sclion friiher gethan, von
dieseni Schritte abgerathen, und als er ihn nicht habe be-
wegen konnen; gebeten habe, ihm zu Gefallen mit seinem
Gesuche an den Konig nur 14 Tage zu warten. Fas eh
sei hierauf eingegangen und Baeh habe in dieser Zeit
seinerseits seinen Abschied gefordert und aueh erhalten.
Er habe seine Verhandlungen mit Hamburg sehr geheiin
gehalten und der Konig sei hieriiber sehr empfindlich ge-
wesen. Fasch habe nun gleiehfalls seine Entlassuug bean-
tragt7 aber zunachst gar keine Antwort bekommen. Denn der
Konig habe, da auch Salimbeni abgegangen sei? geglaubt?
alie seine Leute batten sich verabredet? Zulage von ihm
zu erpressen und sei der Meinung gewesen, dass Hasse
die Ursache hiezu sei2j. Denn dieser sei vor deni Kriege
in Potsdam gewesen, habe dort Bach kennen gelernt und
bewundert und dessen Talent gegen den Konig sehr ge-
ruhmty so dass dieser auf den Gedanken gekommen sei,
er wolle ihm seine besten Leute abwendig maehen? um
sie nach Dresden zu ziehen.
Bach's personliches Verhaltniss zu Friedrich dem
(rrossen scheint kein besonders vortreffliehes gewesen zu
sein? so sehr auch die lange Dienstzeit7 seine ausserordent-
liche kiinstlerische Begabung und der Umstand7 dass der
Konig ihn offenbar ungern aus seinem Dienste sciieiden
1) C. F. Chr. Fasch. S. 20.
Hienach bericlitigen sich aueli die in der Gazette musicale de
Paris von 1854 in einem ,,Musikalisehe Fiirsten" iiberschriebenen
Anfsatze enthaltenen Angaben iiber Bach's Abgang- von Berlin,
welche eher einer novellistischen als einer auf wissenschaftllcher Prii-
futg bernhenden Darstellung nngehoren diirften.
2) Zelter sagt in seinen nachgelassenen Papieren : „ Hasse hatte
von Emanuel Bach gesagt: er sei der gros&te Componist und Ma-
sikus in der Welt44
— 180 —
&ah und vorher schon ihn niehrfach durch Zulagen in
demselben festgehalten hatte, fur das Gegentheil zu sprechen
scheinen. Bach's Natur war ini Allgeineinen eine nach
freier und selbstandiger Entwickelung strebende. Die un-
geheure Ueberlegenlaeit des grossen Konigs in alien poli-
tischen und militarischen Dingen, sowie auf dem Grebiete
der geistigen Bewegung tiberhaupt hatte naturlicher Weise
dazu gefiihrt, dass er nach alien Seiten hin bestimmend,
allein entscheidend auftrat. Dies konnte Bach nicht zu-
sagen. So mag im Laufe der Jahre wolil Manches vor-
gekommen sein? was zur Entfremdung beitrug.
Es wird erzahlt, dass Bach sick eine Zeit lang in
formlicher Ungnade befunden habe und in seinem Dienste
durch einen gewissen J. C. Fischer aus Freiburg ini
Breisgau ersetzt worden sei.
Die Ursache soil gewesen seinL)7 dass Bach; mit an-
deren Musikern nach Sanssouci fahrend, durch die schlechten
Wege so aufgebracht worden sei7 dass er; was wohl kein
General habe wagen diirfeii, einem Kdniglichen Haus-
offizianten gesagt habe: ,;Sagen Sie unserm Herrn; dass
nicht Ehre noch Gewinn uns eine hinlangliche Entscha-
digung fur solch' einen lebensgefalirlichen Dienst bieten
konnen. So lange die Wege nicht verbessert sind, wird
man uns nicht dazu bringen, wieder hieher zu kommen."
Moglich ware ein solcher Vorfall wohl gewesen. Was ihn
aber unwahrscheinlich mackt ist, dass liber die Person
des Fischer, insbesondere uber seinen jedenfalls nur vor-
iibergehenden Dienst in der Kapelle Friedrich's II. nir-
gends etwas aufzufinden gewesen ist2).
Auch des Konigs Sparsamkeit nach dem siebenjahrigen
Kriege scheint den Anschauungen Bach's nicht entsprochen
211 haben. Die Gehalte waren wahrend der Kriegszeit in
!i) A. Eees, Cyclopaedia,
-} v Ledebur's Berliner Tonkiuistler-Lexicon enthalt iiber deu
J. C Fischer nichts.
— 181 —
Besoldungs - Scheinen statt in baarem Gelde ausgezahlt
worden, welche etwa nur V5 cles wirklichen Worths batten
und oft in Zahhtng gar nicht angenommen wurden. Afe
der Friede abgeschlossen war und Friedrich sein friiheres
Leben und seine kiinstlerischen Uebnngen wieder begann,
erwarteten die Kapellisten, die inzwischen ihre Ersparnisse
aufgezehrt und vom Unterricht und dem Ertrage ihrer
Arbeiten batten leben miissen, dass ihnen fur ibre Verluste
Entschadigung gezahlt werde. Aber davon war keine
Rede. Hieriiber soli Bach sehr aufgebracht gewesen sein
und dies auch haben merken lassen. Dies hat schwerlich
dazu beigetragen, ihn dem Konige angenehm zu maehen *).
Sein Missbehagen an dem von ihm auszuiibenden Dienste
wurde in spaterer Zeit noch dadurch erhoht, dass als
Friedrich seine Concerte nicht mehr regelmassig hielt,
alle Musiker dennoch piinktlich und in der vorgeschriebenen
Kleidung an alien den Tagen und wkhrend aller Stunden,
wo nach fruherem Gebrauch hatte Concert sein konnen?
im Vorzimmer gegenwartig sein und ganzlich unbeschaftigt
die Befehle des Konigs, die racist ausblieben? abwarten
mussten. Denn nienials wurde ein Concert abgesagt2).
In Bach's ganzem Wesen, seiner sarkastischen Natur
und seineni auf voile Selbstandigkeit drangenden kilns t-
lerisehen Streben mag ausserdem noch manches gelegen
haben ? was ihm eine Dienststellung, wie er sie in der
Kapelle Friedrich's II. einnahm, auf dieDauer unerwtinscht
erscheinen lassen musste.
Zelter, der ihn sehr hoch schatzte, hat in einer Rede,
die er zu Konigsberg i. Pr. am 17. Januar 1809 zum Ge-
dachtnisse Friedrich's II. gehalten hatte, iiber Bach's
Verhaltniss zu dem Konige auf Grand von Fasch's Mit-
theilungen Folgendes ausgesprochen 3) :
1) Zelter, C. F. Chr. Fasck S. 19.
2) Rochlitz a. a. 0. I. $, 288.
») v. Ledebur a. a. 0. S. 19.
— 182 —
,,Carl Philipp Emanuel Bach hatte einen G-raun
entgegengesetzten ktinstlerischen Charakter. Dieser geisi-
reiche und originelle Componist liebte den Konig auch
als einen schdnen Geist und grossen Konig, aber er Hess
demselben keine seiner machthabenden Anspriiche an Genie
und Kunst gelten. Er behauptete, der Konig sei zwar
gebietender Herr in seineni Lande, doch nicht im Reiche
der Kunst; wo Gotter walten, von denen alles Talent aus-
gelie und wieder dahin zuriickgehe. Ein Ktinstler sei ein
von hoherer Hand ausgestatteter Sohn des Himmels, der
der Welt angehore, wie die Welt ihm, und daher keiner
Beherrschung unterworfen sei. Eine solche Gesinnung lag
mm kaum in den Grenzen der Toleranz des grossen
Friedrich; auch Bach's Compositionen fanden seinen
Beifall nicht, aber der Konig achtete ihn und sah ihn
sehr ungern nach Hamburg gehen."
In der Biographie Fasch's (S. 46) sagt Zelter hier-
liber: ,,Der Konig war dafur bekannt, dass er die Kirchen-
Musik nicht liebte, weil er einmal in der Oper gesagt
hatte: Das schineckt nach der Kirche! Man wollte ihni
ferner die Eigenschaften eines feinen und edlen Herzens
absprechen. Seine Ansprttche auf den besten Geschmack
in der Literatur und in den Ktinsten? sein Macht-Regiment
hier, wie in der iibrigen Welt, war vielen unertraglich
und verhasst. Unter diesen war Bach, Faschens Freund,
einer der heftigsten, und es fielen wohl zwischen beiden
Freunden kleine Streitigkeiten daruber vor. Der Konig
merkte es Bach en an, hatte eine personliche Abneigung
gegen ihn und schatzte diesen grossen Kiinstler deswegen
nicht nach Verdienst."
Vielleicht niochte auch Emanuel Bach's grosse Nei-
gung zu spottischeni Scherze das ihrige dazu beitragen,
ihni eine weniger nahe Stellung zu dem Konige zu geben,
als sie anderen Kapellisten, z. B. Graun, Franz Benda
und auch Fas oh zu Theil geworden war. Fiir seinen
Oharakter und seine Umganglichkeit ist es aber bezeich-
— 183 —
nend, class er mit Quantz, der auf den Konig ausser-
ordentlichen Einfluss hatte und sich dessert auch In hohern
Grade bewusst war, auf dem freundschaftlichsten Fusse
gelebt hat. Doch gab er einst einem Freunde folgendes
Rathsel auf: ?;"Was ist das ftirchterlichste Thier in
der Preussischen Monarchic?" DaNiemand das Rathsel
errieth, sagte er endlicli: ,,Das ist der Schoosshund
der Had. Quantz. Er ist so furchterlich, dass sich
sogar Mad. Quantz vor ihm fiirchtet. Vor dieser
aber flirehtet sich Herr Quantz, und vor diesem
selbst der grosseste Monarch, den die Erde besitzt."
Marquis- d'Argens erzhhlte deni Konige diesen Scherz,
der daruber lachte und nur sagte: ??Hutet euchja, lieber
Marquis? dass Quantz diese Gresehiehte uicht er-
fahrt? sonst jagt er uns alle aus deni Dienst"1).
Bach verliess Berlin., wohin er als Jiingling gekonimen
und zum Manne gereift war., als ein beriihmter Kun.stler.
Dass sein Scheiden von dort nicht unbenaerkt voriiberging,
bezeugt ein Gedicht der Karschin:
?7An den Herrn Kapellmeister Bach bei selnem Heim-
zuge nach Hamburg"2),
Berlin, den 24. Februar 1768.
Der Du bisher mit siissern Saytentone
Den grossten Erdengott entziickt,
Seitdern, dass er auf vaterlichern Throne
Regieret und beglttckt,
O Bach, der Du seit Friedrich's ersten Kiegen,
Bey Koniglicher Sorgenlast,
Sein Herz so oft dem fiihlenden Vergniigen
Sanffc aufgeschlossen hast,
1) v. Ledebur, Tonkunstler-Lesicon. S, 166.
2) Hambui^er UaterfialtiHigen 1762. p. 4SB.
— 184 —
Du gehst, wohin Dein giinstig Gltick Dich ziehet^
In jene schiffunigeb'ne Stadt,
Die gleich dera alten Tyrus wachst und bliihet,
Und fromme Burger hat.
Daselbst wirst Du dern Gottergott gefalleu,
Der alien Konigen gebeut,
Dein Ton wird dort in jedem Ternpel schallen
Dem Herrn der Herrlichkeit.
Du wirst geliebt, gepriesen und verehret,
Doch hier, wo Dir so lange Zeit
Die stille Spree und Havel zugehdret,
Erregst Du Bangigkeit.
Hier- klagen Dich die Edelsten, " die Weisen,
Mit denen Du gewandelt bivst,
Die nebst der Kunst an Dir Dein Herze preisen.
Das gut und redlich ist.
Wie Friedernann Bach seiner Zeit die Stelle an
der Liebfrauen-Kirche zu Halle annahin? die sein Vater
im Jahre 1713/14 abgelelint hatte, so war es seinem Bruder
Emantiel vergonnt; Musik- Director an der St. Jacobi-
Kirche zu Hambui-g zu werden; deren Organistendienst
Sebastian Bach nicht hatte erlangen konnen. Die Stelle,
welche Emanuel Bach zu bekleiden berufen war, hatte
im Uebrigen viel Aehnliches mit dem Cantorate der Thomas-
JSchule zu Leipzig. Das Johanneum, dessen Oantorat init
dem Amte eines stadtischen Musik-Direktors fur die 5 Haupt-
Kirchen der Stadt, die St. Nicolai-, die St. Catharinen-j
die St. Jacobi-? die St. Petri- und die St Michaelis-Kirche
verbimden war, war im Jahre 1529 in einem Theile des
ehemaligen St. Johannis - Klosters nach Vertreibung der
dort befindlichen Domini caner-Monche errichtet, d. h. in
eine Stadtschule umgestaltet und unter die besondere Auf»
— 185 —
sicht mid den Schuiz der Stadt-Behorden gestellt l) worden,
ganz ahnlieh wie die Leipziger Thomas-Schule urn dieselbe
Zeit (1531) aus dem ehemaligen Thomas -Kloster hervor-
gegangen war.
Als Bach in scin Ami trat, gait ain Johanneuin im
Wesentlichen noch die revidirte Sclmlordnung vom 30. April
1634. der gernass der Rector und Coiireetor allein in Prima,
der Subrector und Cantor allein in Secunda unterrichten
sollten. Dies und der Umstand, class in die letztere Stelle
grundsatzlieh nur studirte Personen berufen wurden, er-
giebt, dass ihr Inhaber urspriinglich zur Theilnahme an
dem wksensehaftlichen Uuterriebte bestimmt war. Im
(ranzen hatte friiher das Lebrer- Personal der Anstalt nur
aus dem Rector, Conrector, ISnbrector, Cantor und aus vier
Padagogen bestanden. Im Jahre 1635 waren indess drei
neue Lebrer hinzugetreten und das Institut in acht Classen
getheilt worden. So fand e^ Bach bei seinem Eintritt vor.
Die Besoldungeii waren sehr gering; denn es erhielten
der Rector nicht mehr als jabrlich 1000 Mark2), der Con-
rector 800 Mark, der Subrector 700 Mark, der Cantor
600 Mark? jeder der iibrigen Lehrer gleichfalk 600, der
Schreibelehrer aber nur 400 Mark.
Die Schule war vielleicht in Folge mangelhafter Lei-
tung durch den sehr yerdienten. aber inzwisehen sehr alt
gewordenen Rector M tiller iin Zuritckgehen begrifFen.
Der Cantor nahin seit der durch Telernann einge-
fiihi^ten Praxis ? die diesem auch in Leipzig hatte zuge-
standen werden sollen? an dem wissensehaftliehen Unter-
richte in der Secunda nicht inehr Theil.
Was den Musik-Unterricht am Johanneuni anlangt?*so
hatte schon die Schulordnung vom 15. Juni 1629 3) fest-
gesetzt: 77Die Musik soil von dem Cantor zur gehorigen
J) Ausfiihrliche Nachrichten liber siimmtliche evangel, protest.
Kirchen tind €reistliche in Hamburg. S. 358 if.
2} Hamburger Mark = 15 Sgr. 1,82 Pf.
3] Gesehi<jhte des JoJbanneum YOD Calernberg, S, ItB.
- 186 —
Zeit, d, h. urn 1 Uhr, mit Fleiss getibt und nicht ver-
saumt werden, es sei denn: dass Gott ein Hinderniss in
den Weg lege."
Die verbesserte Schulordnung von 1634, welche noch
zu Bach's Zeit Geltung hatte, bestimnate dagegen: J)
?>Weile die Musica nicht all ein fur niitzlich und dienlich,
sondern auch fur ein besonderes Ornament in einem wohl-
bestellten fiegiment billig gehalteii wird, soil der zu der
Musica bestellte Cantor nebst seinen ordinariis lectionibus
auch die Musica besten Fleisses treiben, vermoge des or-
dinarii und dass in den Kirchen der Gottesdienst sowohl
an "Werkel- als an Sonn- und Feiertagen ordentlich moge
begangen werden Wenn sonnsten an Sonn- und
Feiertagen in den vier Kirchspielen soil figurirt werden,
alsdann sdll sich der Cantor am gebiihrenden Orte unge-
sauint einstellen, und sollen alsdann dem Cantori die Kna-
ben der Schule nicht allein fleissig folgen, sondern auch
die Padadogi dem Cantori fleissig aufwarten
helfen Jedoch soil der Cantor wohlzusehen, dass
die anderen Kirchen nicht zn sehr geblosset und dadurch
in dem Gesang turbiret oder behindert werden
Der Cantor soil wegen der Cantorei stets aufwarten. Bei
Begrabnissen der Verstorbenen sollen christliche lateinische
oder deutsche Gesange und Psalmen mit gebtihrender Re-
verenz oder Andacht gesungen werden, bis alle Manns-
personen, die der Leiche folgen, in die Kirche gegangen;
und das Grab wieder zugescharrt, und wenn einmal ein
Psalm zu Ende gesungen, soil das letzte Versicat nicht
wiederholt, sondern ein anderer Psalm neu angestimmt
werden. ff
Im Jahre 1732 endlich war bestimmt worden2), dass
der Cantor die Stunden von 1 bis 2 zu geben habe, ,,dabei
er auch die Theorie und Historic der Music zu treiben
1) Ibid. S. 127 ff.
2) Schetelig's Materialien, L d. stadtischen Bibl. zu Hamburg.
— 187 —
und dahin zu sehen hat? dass in den Kirehen der Grottes-
dienst ordentlich nidge begangen werden."
Dies war en die Amtsobliegenheiten Telemann's ge-
wesen, und hienach war auch Bach in seiner neuen Stel-
lung allein auf den Musikunterrieht angewiesen, der beson-
ders den Freischiilern des Instituts ertheilt werden musste.
Daneben hatte er die rnusikalisehen Aufftihrungen ini Jo-
lianneum und in den fiinf Hauptkirchen Hamburgs an den
Sonn- und Feiertagen zu leiten, wofiir ihm von jeder Kirche
jahrlich eine gewisse Summe ausgezahlt wurde; dies hat
wohl wesentlich zur Verbes.serung seiner EinkommeBs? der
Stellung in Berlin gegenuber, beigetragen.
??Der Hauptgottesdienst an den Sonn- und Festtagen
wurde abwechselnd in den verschiedenen Hauptkirchen der
JStadt durch eine Musik unter Leitung des Musikdirectors
ausgezeichnet. Doch wurden diese Auiffihrungen von Ora-
torien ihrer Kostbarkeit wegen iin Jahre 1790 (also erst
2 Jahre nach Bach's Tode) auf 30 im Jahre beschrankt.
Man wiinschte die Kirchenniusiken den Fortschritten der
Zeit genaass vollstandiger zu inaclien 5 allein diese neue Ein-
richtung diente iiur dazu? sie ganz aufhoren zu machen" J).
Da nun das Kirchenjahr mindestens 60 >Sonn- und Fest-
tage hatte ? so war? wenn man die Zahl der Festmusiken
spaterhin auf 30 beschrlinkte; zur Zeit Bach's wohl die
grosse Mehrzahl der Festtage dureh Kirchenmusiken ge-
feiert worden? was eine recht ansehnliche Beschaftigung
fur ihn herbeigefulirt haben wird.
Die Kirchenmusiken waren schon bei der Einrichtung
des Johanneunis eingefuhrt worden. Ausserhalb derselben
lag es alien Lehrern der unteren Classen sowie dem Can-
tor und den Schuicollegen ob? mit den Freischiilern in
einer der altstadtischen Hauptkirchen an alien Sonn- and
Festtagen und so oft darin Gottesverehrung gehalten wurde?
auf dem Chore gegenwartig zu sein und an dem Gresange
E. Mockeberg, Die St. Nikolai kirehe zu Hamburg, S. ($6;
— 188 —
Theil zu nehmen. Aueh inussten die Sclmlcollegen mit
dem Cantor im Predigerornat bei alien Leichen, welche
"bei den Hauptkirchen der Altstadt am Nachmittag oder
Abend mit Gresang und Orgelspiel zur Erde bestattet wur-
den, singen, wofur sie besondere Bezahlung erhielten, die
friiher betrachtlich gewesen sein soil, wahrend weiterhin
haufige Klagen iiber das Zuruckgeten der Leichengelder
und Bitten um Erhohung derselben und urn Unterstutzung
vorkommen l).
Wie bereits erwahnt, inussten die Cantoren des Jo-
hanneums Universitatsstudien gemaclit haben. Sie hatten
sich wohl ineistens znvor dem Studium der Theologie ge-
widmet, bis sie in der Folge die Musik zu ihrem Haupt-
beruf machten. Bei Emanuel Bach war die Stadt-
behorde an einen studirten Juristen gekommen. Als er
am 3. November 1767 in sein Amt eintrat, war er der
neunte Cantor an der seit 238 Jahren bestehenden Anstalt.
Jeder seiner Vorganger war durchschnittlich gerechnet
fiber ein Yierteljahrhundert in seinem Amte thatig gewesen,
und auch Bach sollte diesen Zeitraum seines vorgertickten
Alters ungeachtet, nahezu erreichen. Am 19. April 1768
ward er von dem Senior Groeze durch eine offentliche
Rede: De Harmonia coelesti in sein neues Amt ein-
gefuhrt, bei welcher Gelegenheit er, dem dortigen Ge-
brauche gemass, eine lateinische Antrittsrede ??de nobi-
lissimae artis musicae fine hielt 2) , deren naherer
Inhalt leider nicht erhalten geblieben ist.
i) Die Leiclicn-Crebiihren betrugen friiher fiir eine kleine Leiche
8, fiir eine grosse 12 Schilling.
In Schetelig's mehrfach genannten Materialien findet sich eine
Aufforderung des Senats zu Hamburg an die Einwohner, zn piinkt-
licher Zahlung der Leichen-Gebiihren. Es scheint viel Neigung vor-
handen gewesen zu sein, sich dieser Zahlung zu entziehen.
2] Hamburg. Nachr. ans dem Eeiche der Gelehrsamkeit v. 1768
Stck. 37. S. 304.
— 189 — "
Bald nach Antritt seines Aintes erhob sich, wieSche-
telig in den angefuhrten handschriftlichen Materialien zur
Geschichte des Johanneurns erzahlt x), ein Conflict uber den
Vorrang zwischen ihm und dem Lehrer der Tertia; well in
dem Staatskalender der Name Bach's vor dem jenes Lehrers
(Schetelig) aufgefuhrt gestanden liabe. Bei der Anstel-
lung Seb. Bach's in Leipzig war der Streit zwischen deni
dortigen Rath und der Kirchenbehorde gefuhrt worden.
Hier entschied das Scholarchat die wichtige Frage dahin:
dass der Name des Lehrers in Tertia kiinftig im Staats-
kalender nur dann voranstehen solle, wenn der Lehrer
fruiter erwahlt worden sei als der Cantor, sonst aber urn-
gekehrt. Bei dieser Entscheidung ist es geblieben? und
wir ersehen daraus, dass der Cantor ani Johanneum im
Range keineswegs den Lehrern der oberen Classen gleich-
gestellt war. Doch ist es wohl unzweifelhaft, dass hier
wie in dem Cantorate zu Leipzig der Mann und nicht das
Amt gait, und dass Stellungen, die von einem Telemann
und Em. Bach, eingenomrnen werden konnten? nicht nach
dem btireaukratisch beschrankten Massstab eines pedantl-
schen ftchulnieisterreglements beurtheilt werden durften.
Zur Zeit7 als Bach in dieses sein neues Amt eintrat,
war J. S. M tiller Rector der Anstalt. Seit 1731 in dieser
Stellung fungirend, erhielt er bald nachher (1769) Alters-
halber einen Adjuncten in seineni Sohne J. M. Muller?
der bei dem 1773 erfolgten Tode seines Vaters zum Rector
ernannt wurde. Dieser starb in seineni Amte 1781, so dass
er wahrend des grosseren Theils der Dienstzeit Bach's
dessen Vorgesetzter blieb. Er hat das Verdienst7 in die-
ser seiner Amtsfiihrung das Johanneum, mancher Schwierig-
keiten ungeachtet, zu neuer Bltithe erhoben zu haben.
Ihm folgte in dem Rectoramt A. H. Lichtenstein? der
dasselbe bis iiber Bach's Lebensende hinaus bekleidet Rat.
Als Conrector fungirte bei seinem Diensteintritt Gr. Fr.
2) Auf der stMtlsehen Bibliotbek zu Hamburg,
— 190 —
Richertz, der gleichfalls 1773 starb, Subrector war seit
1746 Volkmar, der bis 1783 im Amte blieb. Die an-
deren Lehrer, die Bach als Collegen vorfand, waren:
Schetelig, Lelirer in Tertia seit 1761, (ward 1773 Con-
rector und lebte bis 1807), Heerwagen starb 1783, Wessel-
hoft bis 1798, Raspe bis 1809, Mohl bis 1771, Wahn,
Schreiblehrer, bis 1795, Witte, Zeichenlehrer, bis 1779,
dem 1780— 1784 T is chbein gefolgt ist.
Die musikalische Thatigkeit Bach's fur das Johan-
neum selbst war keineswegs auf den blossen Musikunter-
richt beschrankt. Nach der bestehenden Sitte hatte der
Cantor mit den Schulern die offentlichen Prufungen mit
einer kurzen Musik zu eroffnen. Aber auch sonst gab
das Leben an der Sclmle oft genug Veranlassung zu
eingreifender Thatigkeit, wie z. B. bei Einffihrung des
jiingeren M tiller als Kector und Schetelig's als Con-
rector am 7. December 1773. Letzterer theilt iiber diese
Feierlichkeit Folgendes mit: ,,Etwas nach 101/., Uhr-traten
zuerst die beyden Biii^germeister aus der Kirche in die
achte Klasse der Schule und von da gingen sie in Primam,
und bey ihrern Eintritt nahm sogieich eine von dem be-
riihmten Bach verfertigte schono vollstimmige Instrumental-
und Vocalmusik ihren Anfang Nach der Rede des
Oonrectors, der sich wahrend der beyden ersten Reden
(des ersten Biirgermeisters und des Rectors) auf einen
Stuhl an einem Pfeiler in der Nahe der Herren Prediger,
dem Katheder schrage gegeniiber gesetzt hatte, welchen
Platz unter des Conrectors Rede der Herr Rector einnahm,
ward der zweite Theil der Musik aufgefuhrt x). Wie die
i) Den Text clieser zweitheiligen Cantate entlialten Scheteligs
Materialien unter deni Titel: ,,Text zur Finfiihrnngsmusik der Hoch-
edleji und Hochgelahrten Herren, Herrn Johann Martin Mtillers
als Rector und Herrn Johann Andreas Gottfried Scheteligs
aufgefiihrt von Carl Philipp Emanuel Baeh, des Hamburgisehen
Musikchors Director. Die Poesie ist von Herrn Christian Heinrich
Ernst Miiller, Herrn Sohne des Rectors/' Biehe das Yerzeichniss
der Werke Bach's im Anhange II.
Musik geendigt war, so stunden zuerst die Herrn Burger-
meister auf." etc. etc.
Die Cantate I. Theil ??Vor den Reden", enthieit einen
Chor: J?Freuet euch? ihr Kinder Zions/' ein langes
Eecitativ und eine Arie, der II. Theil ,7Nach den Keden"
eine Arie: J7Frohlich nimm den Lehrstuhl ein, theu-
res Paar vereinter Lehrer?" ein Eecitativ und einen
Chor: ?,Auf zu Gott, du Jubelchor, steigj in heilgen Har-
monien glanzend auf und sehweb' empor3 dein Gresang sei
Hamburgs Flor!" Der Musik , in Charakter und Styl
vermuthlich den Prediger - Einfiihrungscantaten (yergl.
Kap. V. C) entsprechend? wurde in den offentlichen Blat-
tern mit besonderem Lobe gedacht J). Sie ist bei der
Einfuhrmig des Conrectors Lichtenstein3 Schetelig's
Nachfolger, am 9. December 1777 noch einmal aufgefuhrt
worden.
Auch bei den dramatischen Aufriihrimgen? in welchen
die Schtiler des Johanneums offentlich vor einem geladenen
Publikum auftraten? fehlte die Musik nicht 2). Schon im
Jahre 1756 hatte eine solche Auffdhrung des Dramas:
,?Das durch die Romer eroberte Macedonien" sfcatt-
gefunden. In den* Jahren 1758 und 1760 war ein Trauer-
spiel ??Nero" zur Darstellung gelangt? und am 12. ? 13.7
14 und 15. Miirz 1776 fand abermals eine solcbe ,,Rede-
tibung" statt, welche mit einer Instrumentalmusik (Ou-
verture) begann, demnachst in fiinf Handlungen die Gre-
1) Der Hamburger Corresp. von 1773 No. 196 sagt: ,,Vor, zwwchen
imd nach geendigten Eedea liess sieh erne vollstandige Vocalistisik
Mren, deren Composition trasern beriihmten Herrn Mosik- Director
Bacfeen gar bald errathen liess." Die Hamburger Adress-Comptoir-
Nachrichten (B, St. 96) sagen: ,,Unser verdienstvoller Hr. Kapellmeister
Bach halte zu dieser Handtag die Musik gesetzt, eioe Composition,
welche von dem grossen Talent dieses Mannes einen abermahligen
Beweis gab.n
2) Die vollstandigen Programme zu diesen AuffuhrangeB emt-
halten die Schetelig'seiien Materialiea.
— 192 —
schichte Caesar's bis zu seiner Ermordung drarnatiseb be-
handelte^ und nachdern zwischeii den ersten Abtheilungen
Arien1) von Bach's Composition gesungen waren, mil
einer wahrscheinlich aus einzelnen Satzen seiner Svmpho-
nien bestehenden Instrumentalniusik schloss.
Die Auffu'hrung erregte ein ungewdhnlich.es Interesse,
sowolil wegen der ihr zu. Grunde liegenden Dichtung als
auch hinsichtlich der Ausfuhrung. Die Vorstellung war
sehr besucht, weim auch in der Programm-Einladung die
fruher stets figurirende Bitte, ,;die Damen werden er-
sucht, ohne Reifrocke zu erscheinen", nicht mehr Auf-
nahme gefunden hatte. Auch die Musik erregte die Aufmerk-
samkeit der zahlreichen Zuhorer. Ein gleichzeitiges offent-
liches Blatt2) sagt von ihr: ,,Von der Musik, die bei dieser
1) Zu den Arien waien besondere Texte gedmckt, deren Ueber-
schrift lautete: „ Alien, von dem Herrn Cantor und Musik -Director
'Bach in die Musik gesetzet und bey der am 12,, 13., 14 und 15 Marz
1776 zu haltenden Eede-Uebung abgesungen".
Der Text der Ai'ien war foJgender:
Erste Arie. Arioso.
Z^-schen der 1 u.d 2 Handlung $^ rp fliessen
Edle Freiheit, Gottergluck. ™ . « ., v . , , , .
TV, j. , . 1 m i w» j Wie em Fruhlmgsbach dahin
Ohne dich ist Glanz und Wurde „ ... « - °. ."lil-
Nur ein schiinmernd Missgeschick, f ^ Tuf "?' ^n Begteter,
Eine Sklayenbiirde. Lasst auf semem Pfade Rosen
Fur den Liebling ihrer Brust n'
Hat die G-ottheit dich erkoren, .
Und der Mann, der dick verloren, r/ . . ,, .'
T v , \ v T T , Zwischen der 4. und 5. Handlung
Lecnzt urasonst nach andrer Lust. t> . > , , nr ..
Reiche bis zum Wolkensitze,
Zweite Arie. Noch ist Demuth deine Pfiicht.
Zwischen der 2. und 3 Handlung. Dich beschirmt vor naheni Blitze
Himmelstochter, Euh der Seelen, Ruhm und Gold imd Hoheit nicht,
Ewig wirst du Fiirsten fehlen, Gestern Herr von sieben Reichen,
Denn dich schi*eckt des Purpurs Heut ist kaum ein Hugel dein
G-Ianz. Fhichtiger als Krafte reichen,
Ungewinkt, mit leisein Schritte, Kann dein Gllick entwichen sein.
Eilst du zu des Schafers Hiitte,
Windest mit an seinem Veilchen-
kranz.
2) Beitrage zum Reichs-Postreuter v. 1776, St. 24
— 193 ~
Gelegenheit aufgefiihrt ward, braucht man zu ihrem Ruhm
welter nichtsjsu sagen, als dass sie von der Composition
des Herrn Oapelbn. Bach 1st." Auch andere Blatter be-
schaftigten sich eingehend mit dieser Auffuhrung1), welcher
mit gleichem Erfolge und mit denselben Bach'schen Arien
im Jahre 1778 eine Vorstellung des Tode* cles Seneca
folgte.
Ob ahnliche Redeiibungen noch spater stattgefunden
haben, ist dem Verfasser nicht bekamit geworden, Doeh
zeigen die yorhergehenden Mittheilungen ? dass in dem
Johanneum za jener Zeit ein lebendiger Geist, voll von
kiinstlerisch anregenden Elenienten gewaltet hat? und dass
die Stellung Bach's an demselben nicht bless die eines
trocknen Lehrmeisters der Musik gewesen iat. Auch er-
giebt sich aus den kritischen Aeusserungen uber jene
Feierlichkeiten? wie sehr er in naheren und weiteren Elrei-
sen als ein Mann von grosser Bedeutung und hohem Kunst-
range anerkannt ward, aus dem ganzen Zusammenhange
aber auch? wie seine Steliung zu Lehrern und Schiilern
eine vertraute und geachtete gewesen sein muss.
Dennoch war es den Lehrern der Anstalt nicht leicht
gemacht worden? sich mit dem Uebermuthe und der Un-
gezogenheit der jungen Leute abzufinden. Die Schetelig'-
schen Hefte sind reich an Klagen hiertiber und auch Bach's
Stellung scheint dabei nicht ganz frei ausgegangen zu sein.
Das wiederholte strenge Einschreiten des Rectors scheint
nicht immer gefruchtet zu haben? und so erschienen im
Jahre 1778 neue disciplinarische Schulgesetze, welche neben
strengen Vorschriften uber die Haltung und das Benehrnen
der Schuler in den Classen unter Anderem festsetzten?
??dass Niemand mit Degen in die Schule kommen solle?a
und namentlich in Bezug auf die dem Cantor zufkllendeia
Theiie des Unterrichts und der offentlichen Ordnung be-
stimmten:
2) GemeiHnfita%0 Hamburger Anzeigen T. 1176, St. 34,
Bitter, Emnnuel uad Priedemann Bach, 13
- 194 -
Art. 19. Beim Gesange, mit welchem die Selml-
Lections anfangen und geendigt werden; pollen sie, (die
Sehuler) nicht auf unanstandige und baurische Weise ein
Geschrei und Gebolke, viel weniger Possen treiben.
Art. 20. In der Kirche soil sich ein jeder zum Ge-
sang bestimmter und gehoriger Schuler andachtig beneh-
men und nach Anweisung des Vorsangers vor dem Pulpet
absingen.
Art. 23. Die sich bei offentlichen Leichenbegangnissen
einfinden, sollen nach der Ordnung, wie sie in der Schule
sitzen, paarweise gehen und sich alles Larmens nnd Aus-
tretens enthalten, bei der Leiche selbst aber fleissig mit-
singen.
Es scheint, dass diese Vorschriften eine Zeit lang vor-
gehalten haben; denn weitere Bemerkungen uber die Un-
gezogenheiten der Schuler finden sich nicht vor.
So yiel von Em. Bach's ausserer dienstlicher Stel-
lung mit ihren Eechten und Pflichten. Die letzteren waren
im Ganzen genommen nur hinsichtlich des Einstudirens
und der Auffiihrung der Kirchenmusiken von kiinstlerischer
Bedeutung, boten ihm aber gerade hier die reichste Ge-
iegenheit zur Entfaltung einer nutzlichen und fruchtbrin-
genden Thatigkeit. Man wird spater sehen, in welchem
Maasse er &ich dieser Grelegenheit bedient hat.
Ueber sein ferneres Leben in Hamburg theilt Bach
selber nur Folgendes mit: ,?Ich habe seit meinem Hierseyn
wiederum ein paarmal &ehr vortheilhafte Rufe anderswohin
gehabt; ich habe sie aber jederzeit abgeschrieben," Diese
wenigen Worte sagen deutlich genug, dass er? anerkannt
und geehrt von alien Seiten, mit seiner Stellung zufrieden,
sich in seinen dortigen Lebensverhaltnissen glucklich fuhlte
und dass er bis an sein Ende dort verbleiben wollte. So
konnte er zu Burney sagen: 77Wenn auch die Hamburger
nicht alle so grosse Kenner und Liebhaber der Musik sind;
als Sie und ich es wtinschen mochten: so sind dagegen
die rneisten sehr gutherzige und umgangliche Personen,
— 195 • —
mit denen man ein angenehmes und vergniigtes Lefcen
fiihren kann; und ich bin mit meiner gegenwartigen Si-
tuation sehr zufrieden-, freylieh mochte ich mich zuweilen
ein wenig schamen, wenn ein Mann von Geschmack und
Einsicht zu uns koinmt, der eine bessere musikalische Be-
wirthung verdiente? als womit wir ihin aufwarten konnen."
Wohl mochte ihm der Unterschied in der musikali-
schen Bildung und im Geschmaeke an der Kunst? so wie der
Mangel an Umgang mit so ausgezeiehneten Kunstgenossen
gegen Berlin, bei aller Einseitigkeit, die dort nach und
nach hervorgetreten war, recht fiihlbar geworden sein.
Dennoch? wie vereinzelt er in Hamburg stehen mochte,
hat doch seine dortige Stellung ihni nicht bloss die directe
Veranlassung geboten, eine sehr grosse Anzahl umfang-
reicher, zum Theil bedeutender Arbeiten fur kirehliche
Zwecke zu schreiben, sondern ihm auch die Musse gelassen,
in voller Ruhe und Freiheit seiner Vorliebe fur die Instru-
mental-Composition zu gentigen. lSTebenbei konnte er dem
geistlichen und weltlichen Liede in einer nicht zu unter-
schatzenden Weise seine Aufmerksamkeit zuwenden und
den ihm ganz neuen Zweig des geistlichen Oratoriums
betreten. Ausserdem war ihm die Gelegenheit gegeben,
im Unterricht wirksam zu sein und als Virtuose von hoch-
stem Range sich vor dem dankbaren Zuhorerkreise einer
grossen und durch einen sehr ausgedehnten Fremdenver-
kehr belebten Stadt geltend zu machen.
So in seiner ausseren Stellung auf die Kunst hinge-
wiesen? in seinen Bewegungen und Lebensverhaltnissen
ungehindert und frei? in einer Lage? die ihm jedenfSalls
driickendere Sorgen fern Melt, in der reichen Gelegenheit
zu anregendet Thatigkeit und zu interessantem person-
lichen Verkehr mit geistvollen und hochgebildeten Man-
nern, auf ein L«eben voll von ausserem Glanz und von reichen
ktostlerischen Erfahrungen und Geniissen zuruckschauend,
wie hatte wohl eine andere Lebensstellung fur ihn gliick-
licher und befriddigender sein konnen?
13*
— 196
Capitel V.
Compositionen in der Hamburger Periode.
Ba ch hat diese neue Periode seines Lebens fiir die Kunst
in hohem Grade nutzbar zu machen gewusst.
Folgendes sind seine
A. Clavier- Compositionen
der Hamburger Periode.
1769: Senate mit veranderten Reprisen, gedr. im musik. Vielerlei,
Clavier- Concert mit 2 Hornern, 2 Floten und Quartett, Es-
dur *!*,
12 kleine Stucke mit 2 mid 3 Stimmen, gedr bei SchSne-
mann, in Taschenformat,
1770: Concerto fur Clavier, F-dur*/4,
Clavier -Concert init 2 Hornern und Quartett, F-dur4/4,
1771: 6 Clavier -Concerte mit 2 Hornern und Quartetr, gedr. in
Hamburg,
1772: Sonate 5 der L Sammlung fur Kenner und Liebhaber,
1773: „ 1 „ 1. desgl.,
1774, „ 1 „ 3. desgl.,
„ 2 „ 2. desgl.,
„ 3 „ 1. desgl.,
1775: Clavier -Solo, C-dur %,
6 leichte. Clavier -Sonaten (for the Harpsichord or Piano),
Sonate 1, 2, 3 der 1. Sammlung der Clavier-Trii (mit Violine
und Cello), gedr.,
1776: 2 Sonaten der 2. Sammlung fur Kenner etc.,
1777; 4 Sonaten der Clavier-Trii (mit Violine und Cello),
1778: Folies d'Espagne, Variationen,
Rondo 1, 2 und 3 der 2. Sammlung fiir Ke-nner etc.,
2 Clavier -Concerte mit 2 Hornern und Quartett, Gr-dur %,
D-dur A/*,
1 desgl. mit 2 Floten, 2 Hornern und Quartett, Es-dur 4/4>
6 Sonaten fur Clavier, Violine und Cello (bei Humnxel
gedr.)?
1779: Rondo 3 der 3. Sammlung fur Kenner Trad Liebhaber,
— 197 —
Rondo 3 der 4. Sammlung fur Kenner und Liebhaber,
1780: Senate 1 und 2 der 2. Samml. fur Kenner und Liebhaber,
Eondo 2 der 3. SamraL fur Kenner und Liebhabei;
1781: Abschied von meinem Silberman'schen Clavier, in einem
Rondo, E-molI 24,
Rondo 1 der 4. Samrnl. fiir Kenner etc.,
Sonate 1 derselben Sammlung,
Canzonette der Herzogin von Gotha, mit Veninderungen,
F- dm: 2/4,
Trio fiir Clavier und Violine, A-dur^/4,
1782: Die 1. Fantasie der 4 Samml. fur Kennei etc.,
Die 1. und 2. Fantasie der 4. Samml. iiir Kenner etc.,
Das 1 Rondo der 4. Samml. fur Keuner etc.,
1783: Sonate fur's Bogen- Clavier, G-flurH
1784: Die 2. Fantasie der 5. Samml. fur Kenner etc.,
Die 1, 2. und 5. Sonate desgl,
Das 2. Rondo desgl.,
1785: Die 1. und 2. Sonate der 6. Samml. fur Kenner etc.,
1786: Das 1. Rondo der 6. Samml. fiir Kenner etc.,
2 Clavier -Soli, gedr. bei Schwiekert,
Clavier -Solo, C-moll %
Desgl. mit einem Rondo, G-dur 6^
Die 1. und 2. Fantasie der 6. Samml. fiir Kenner etc.,
1787: Clavier -Fantasie, Fis-dur-1^ auch zum Trio umgearbeitet,
Clavier -Fantasie mit Violine,
1788: 3 Quartetten fiir Clavier, Flote, Viola und Bass, C-dur %
D-dur-tyt, G-dur %
Clavier-Concert mit Hornern, Floten und Quartett, Es-dur •* j
Es gehoren ferner der Hamburger Periode ohne ge-
nauere Zeitbestimmung an:
Variarionen zur 4. Sonate des 2. Theils der Trii (No. 34—36),
Sonatine nuove, 6 einzelne Satze zu der 3. Ausgabe des Versnchs
iiber die wahre Art das Clavier zu spielen,
6 kleine Sona'en fiir Clavier, B-Clarinette und Fagott,
Eine Menuett, die vor- und riickwarts gespielt werden kann, gedr.
im Musik. Vielerlei,
Bin Clavierstiick fiir die rechte oder linke Hand, gedr, ebendas.
Diese Stiicke vertlieilen sieh im Eiczelnen wie folgt:
a. Sonaten und Clavier -Soli einschliesslicli der Rondos und
einesConcertsobneBegleitung so wiederfreien Fantasien, 57
b. Variationen, 3
c. kleinere Stiicke, 14
<t Concerte mit Begleitung,
e. Trii und Sonaten mit Instnimenten and Quartetten, .
— 198 —
Von diesen Claviersachen sind zur Lebenszeit Bach's
75 im Druck erschienen.
Fasst man bei dieser Gelegenheit Bach's gesammte
Thatigkeit fur das Clavier zusammen, so ergiebt sich; dass
er Alles in Allein an bekanntgewordenen Clavier -Com-
positionen gesetzt hat:
A. an Sonaten, Rondos, Soils, Concerten, Suiten, Sinfonien, Sona-
tinen und freien Fantasien fur Clavier allein:
in Leipzig 11
in Frankfurt a/0 6
in Berlin 116
in Hamburg 53
zusammen . . . 186
B. an Variationen:
in Frankfurt a/0 1
in Berlin 4
in Hamburg 3
zusammen . . . >•• 8
C. an Fugen fur's Clavier in Berlin 6
D. an kleinen Stiicken jeder Art:
in Frankfurt a/0 1
in Berlin 105
in Hamburg 14
zusammen . . . 120
E. an Concerten mit Begleittmg:
in Leipzig 3
in Frankfurt a/0 1
in Berlin , 38
in Hamburg 12
zusammen . . . — — - 54
F. an Sonatinen, Quartetten, Triis, Sonaten mit
Begleitung von Instrumenten:
in Leipzig 2
in Fiankfurt a/0 —
in Berlin 18
in Hamburg 24
znsarninen . . . 408
Hierzu treten ohne jede Zeitbestimmung:
kleine Duetten fiir 2 Claviere 4
Ergiebt in Allem ... 412
— 199 —
Von dieser Zahl der Clavierstiicke sind zu Lebzeiten
Bach's gedruckt:
a. Sonaten und Soli fur Clavier;
in Berlin 82
in Hamburg 39
b* Concerte: in Berlin 3
in Hamburg . 6
— — 9
c. Kleinere Stiicke:
in Leipzig 1
in Berlin , 71
in Hamburg 20
__ 92
d. Fugen: in Berlin 6
e. Variationen: in Berlin 3
f. Sonatinen, Trii, Sonaten mit Begleitung:
in Berlin 0
in Hamburg 13
zusammen . . . 250
oder grade 5/8 dessen, was er geschrieben hat1).
Diese Thatigkeit, die immerhin als sehr bedeutend
anerkannt werden darf, steht der seines Vaters fur das
Clavier etwa gleich. Seb. Bach hatte, ohne die Qrgel-
Compositionen zu rechnen; in einem 45jahrigen Zeitraum
etwa 350 Clavierstiicke mit und ohne Begleitung ge-
schrieben.
Em. Bach's Claviersachen vertheilen sich auf sein
langes Leben in ziemlich gleichroassiger Weise. Nur in
zwei Jahren erschienen gar keine Clavier-Compositionen
i) Bach selbst hat im Jahre 1773 die Zahl seiner bis dahln
componirten Clavier -Werke folgendennaassen angegebeB:
30 Trios fur Clavier und andere Instrumente,
12 Sonatinen, desgl.,
50 OoBcerte mit Instrumental -Begleitung,
170 Soli fur Clavier.
Diese Zahlen stimmen bis auf unbedeutende Differenzen mit den
vorhergehet&ba AwfetelltaigeiL Nar die Zahl seiaar Clavier- Sola wk
bedeutender, aJs er safest sie angiebt
T- 200 —
von ihrn, nainlich 1768, in welchem Jahre er von Berlin
nach Hamburg itbergesiedelt war? und 1776, wo er iiber-
haupt ungewolmlich wenig componirt hat, was bei seiner
sonstigen rastlosen Thatigkeit anf eine dauernde Stoning,
vielleicht auf Krankheit scliliessen lasst. Sonst treten noch
die Jahre 1772 7 wo er krank gewesen 1st, und 1773 und
1783 init nur je eiuem Claviers tuck zuriick. In dies en
Jaliren hatte ihn die Vocalinusik inehr als sonst in An-
spruch genoinmen.
Seine iin Druck erscliienenen Clavier-Compositionen,
soweit sie ausserhalb dor zahlreichen Saininelwerke jener
Zeit veroffentliclit warden, sind folgende:
1731: Menuett mit uberschlagenden Handen, in Leipzig von ihm
selbst gestochen,
1742: 6 Sonaten, Friediich II. gewidmei: bei Schmidt in
Nlirnberg,
17-44: 6 desgl., die Wiirtembergischen, ebecdort,
1745/52: 2 Fliigel-Concerte, in D-dur und B-dur, ebendort,
1753: 6 Sonateu und eine freie Fantasie zum Versuch liber die
wahre Art des Clavierspiels, in Berlin/
2 Trii fur 2 Yiolinen und Bass, und fur FJote, Violine und
Bass, auch fiir den Fiiigel zu spielen, bei Balth. Schmidt
seel. Wittib in Niiraber^, ohne Jahveszahl, 1748 und 1749
coinponiit,
1758: 12 kleine zwei- und dreistlmmige kurze Saicke (in Taschen-
format, bei Winter in Berlin),
1759: der 1. Theil der Eeprisen-Sondten, ebendas.,
1760: Fiiigel -Concert aus E-dui, ebendort (comp. 1744),
1761: Die 1. Fortsetzung der Reprisen- Sonaten, desgl.,
1762: Die 2. do. desgl.
1764: j 1 Sonatine fur Clavier und Instrumente, C-clur, ebendort,
1765: i die 2. und 3. Sonatine in D-moll und Es-dur. desgl ,
/ 6 leichte Clavier -Sonaten (bei Bieitkopf in Leipzig),
\ 1. Samralung der CJAvierstucke verschiedener Art (bei Win-
1766: tor in Berlin),
1 1. Sammlung der 12 kleincn und ku^zen Aufaugsstiieke fur
[ Clavier, ebendoit,
1768: 2. SammluDg desgl,
16 S iiiiton fur Damon, bei Hummel in Amsterdam,
1770: \ 12 zwei- und clieistimmige kleine Stiicke (in Taschenfornwt.
' bei Schoneniann in Hamburg^,
1772: 6 Concert! per il Cembalo concertato (im Selbstverlage des
Autors zu Hamburg, *
- 201 —
1773: 6 Sonate all' tiso delle donne, Ri#i bei Hartknoch,
(Dieselben, welche im Jahre 1770 bei Hummel zu Amster*
dam erschienen waren.)
1776: Six Senates for the Harpsichord, London,
3 Clavier -Sonaten mit Violine und Cello,
desgl. 2. Sammlung,
1776:
{Beide Sammlungen im Verlage des Autors in Leipzig.)
1778: 6 Sonaten mit Violine- und Violoncell-Begleitung (Oeuvre 2),
bei Hummel in Amsterdam,
1779: 6 Klavier- Sonaten fiir Kenner und Liebhaber (im Selbst-
verlag, Leipzig),
1780: desgl. 2. Sammlung desgl.,
1781: desgl. 3. ,, desgl.,
1783: desgl. 4. „ desgl.,
17QV \ desgl. 5. „ desgl,,
* Sonata per H Cembalo Solo, Leipzig bei Breitkopf,
1786: 2 Sonaten, bei Schwickert,
1787: 6. Sammlung fiir Kenner und Liebhaber, Leipzig im Selbst-
verlage.
Als Bach von Berlin in seine neue Heiaiath iibertrat
hatte er den Euf? der erste Tonsetzer seiner Zeit fiir das
Clavier zu sein.
In Hamburg hat er mit nicht minder redlichem Fleisse
und mit nicht geringerer Auszeichnung daran gearbeitet,
sich diesen Ruf zu erhalten. Dass er? der die Pforten
zu der neueren Claviertechnik ersehloss, in seinen Com-
positionen nicht das Hochste erreicht liat, das wir von
unserm Standpunkt aus kennen , ist gevisa. Ob dies
Hochste ohne ihn erreicht worden ware, ist jedenfalls
zweifelhaft. Wer eine Kunstperiode abschliessen zu dur-
fen glucklich genug ist, dem fallt zugleich der Preis fur
dasjenige mit zu? was Andere vor ihm miihevoll errungen
haben. Mochte man desshalb ihr Verdienst schmalern?
Haydn? Mozart, Oiementi waren als Clavierspieler und
als Clavier-Componisten das gelauterte blfithenrelche Pro-
duct der klassischen Entwickelimgsperiode ? die Bach we«=
sentlich allein begonnen hatte. Auch sie standen noeh
nicht an deren Ende. Erst Beethoven und nach ihm
F. Mendelsohn war es vergonut, sie in voller Grtee m
schliessen.
— 202 —
In der ersten Zeit seines Hamburger Aufenthalts fin-
det man Bach nur mit kleineren und vereinzelten Arbei-
ten fur das Clavier beschaftigt. Die Passionsmusiken, die
Israeliten in der Wuste und verschiedene Kirchenmusiken
nahrnen ihn vollauf in Anspruch. Dennoch trat er schon
im Jahre 1770 wieder mit eineni Sammelwerke hervor,
dessen Herausgabe er diesmal selbst ubernahin. Wie in
Berlin im ?;Musikalischen Allerlei und Mancherlei" so liess
er auch hier einen Theil seiner Compositionen; fur die ihm
wohl im Augenblick eine andere vortheilhafte Verwerthung
nicht zu Grebote stand, in dem „ Musikalischen Vie-
lerlei" abdrucken, das in dem gedachten Jahre zu Ham-
burg bei M. Chr. Bock erschien.
,,Seit dem musikalischen Zeitvertreibe, der i. J. 1760
den Anfang maehte, und seit dem musikalischen Allerley
und Mancherley, die in Berlin darauf folgten, haben wir
keine ahnliche Erscheinung gesehen. Urn so viel angeneh-
mer muss es den Liebhabern der Musik sein, eine solche
Sammlung jetzt von unserm grossen Meister des Claviers,
dem in einer Menge von Compositionen fur dasselbe be-
wunderten Herrn Kapellmeister Bach veranstaltet und be-
sorgt zu sehen; der hohere und richtige Greschmack dieses
vortrefflichen Mannes ist uns fiir die Griite der Stiicke, die
in dies em musikalischen Vielerlei ersch einen werden,
Biirge1)." Schon i. J. 1769 war eine erste Ankundigung
eben dort (S. 158 7 1769) erschienen. In dieser war das
Vielerlei als em ;7praktisch niusikalisches Werk"
bezeichnet und dabei gesagt worden, dass 3?Herr Bach
die Direction iibernommen und mehrere grosse und sich
schon beruhnit gemachte Manner beredet habe; mit ihm
gemeinschaftlich zu arbeiten. Der ganze Jahrgang sollte
4 Thlr.; bei Pranumenation 3 Thlr., die einzelnen Stiicke
2 Grgr. oder 4 Ggr. kosten. ?;Mcht langer als bis zu Ende
i) Wochentliche Nachrichten etc. die Musik betr, Leipzig 1770.
S. 5, (Hiller.)
— SOS —
dieses 1769 Jahres wird Pranumeration angenornmen und
wird zugleich ersticht; die Pranumerations-Gelder dem Ver-
leger franco einzusenden."
Den zienilich reichen Inhalt von 78 Stucken bildeten
Sonaten, Sinfonien, Marsche; Polonaisen, Instrumentalsoli,
Trii? Lieder, Fantasien, Solfeggien, Menuetten und Fugen.
Als Mitarbeiter von Bedeutung finden wir wiederum:
1. Kirnberger: init 2Choralen flir die Orgel, 3Liedern undemem
Allegro fiir Clavier (G-dur %),
2. Graun (der Concertmeister): mit 1 Canzonette,
1 Trio fiir Clavier, Yioline und Bratsche (B-dur^'i),
1 Trio fiir 2 Violinen und Bass (G-dur %},
1 Ariette: Donne, se avete in me pietate,
3. Fasch: mit La Cocehina, Sonata per il Cembalo (F-dur*/4),
1 Clavier- Sonate (C-dur %),
2 Liedera,
1 Dio: Chi vuol trovar la pace.
Von neu hinzugetretenen Mitarbeitem sind zu nennen:
4. J. C. F. Bach, der Biickeburger, mit:
a. 1 Menuett zuni Tanz,
b. 2 Polonaisen (G-dur % und F-dur %),
c. 1 Sonata per il flauto, Violino e Basso (A-dnr 24 )?
d. 2 Clavier -Sonaten (F-dur % und C-dur 2/4),
e. 1 Violoncell-Solo (A-dur %),
f. 1 Fuge, C-moll Allabr.,
g. 1 Trio fur Clavier, Yioline und Flote (A-dur %\
h. 2 abwechselnden Menuetfen zum Tanz,
i. 5 Liedern (vom Herrn Leasing: Die Geschwister, Die
Zeit, Der Sieg iiber sich selbst, Siciliana).
5. J. E. Bach, Gapellmeister in Eisenach i):
mit einer kiteressanten Fantasie und Fuge fur Clavier und
einem Liede.
Von Em. Bach enthalt die Sammlung:
20 Stiicke versehiedenster Art, namlich:
1 Clavier -Sonate mit veranderten Eeprisen vom Jahre 1769
(F-dur */*),
1 Clavier -Donate (n G-molI V*) v. J.
2 Fantasien, G-moil * 4 und G-dur 4/4, beide v. J.
3 Solfeggios, gleichfalla v. J. 1766,
Geb. 1722 f 1777, stammte in directer Llaie von J. BaeiiT
r *d€3r RatteniEelk ^i Er&irth ffi 16?^ j^t>T
~ 204 —
Emige unbekannte Veranderungen iiber das Lied: Ich
schlief, da traumte inir, v. J. 1766,
Erne Menuett, die auch von riickwarts gespielt werden karm,
-t--1—^^^^
2 Polonaisen,
Vier abwechselnde Menuetten,
1 Duo fur Flote und Violine (H-moll %) v. J. 1748,
1 Sinfonie (F-dur */4) v. J. 1728, fur Clavier eingerichtet 1766,
Einige Veianderungeu liber eine Ariette (A-dur 2/J,
1 Clavierstiick fiir die leebte oder linke Hand allein,
1 Lied: Bacchus an Venus.
Die raeisten dieser Stiicke gehoren in die Kathegorie
der Kleinigkeiten, denen ein besonderer Werth nicht zu~
zusprechen ist. DocK sind in der ersten Fantasie (Gr-moll)
bereits alle Elemente der spateren grossen Fantasien Bach's
in reichstem Maasse und ausgepragtester Eigenthuinlich-
keit niedergelegt und die erste Solfeggio in C-moll ist
gleichfalls eine Arbeit voll Geist und Leben.
Die grosseren Clavier -Stiicke (2 Sonaten und 1 Sin-
fonie) sind keineswegs untergeordnete Arbeiten. Insbe-
sondere ist die Sinfonie ein Werk voll von Feuer und
Bewegiing3 ausserlich in- der Form der Sonaten geschrieben,
in Styl und Inhalt aber grosser und ktihner als die meisten
derselben und den scnonen Orchester-Sinfonien vom Jahre
1780 vollkommen ebenbiirtig.
So kann auch diese Sammlung als ein interessantes
— 205 —
Denkmal des Fleisses gelten, mit dem Bach fur seine Kunst
thatig war.
Auch hier erscheint er bedeutender als die iibrigen
Kiinstler, welche mitgewirkt haben, so schon einige der
von diesen gelieferten Arbeiten, vorzugsweise J. Chr.
Friedrichs, des Biickeburger Bach immerhin sein inogen.
Wenn man atis der hier vorliegenden Zusannnenstellung
von Musikstiicken so verschiedener Art einen allgemeinen
Riickschluss auf die nm-sikalische Bildungsstufe der Zeit
und auf die der Stadt Hamburg insbesondere machen sollte,
so wurde dieser jedenfalls sehr zu deren (runsten ausfallen3
so zweifelhaft sich auch Bach selbst dariiber ausgesprochen
haben mag. Denn wiirde die Herausgabe grade einer
solchen Sammlung moglich gewesen sein? wenn si§ kein
Publikum gefunden hatte? das sich fur diese Art der Musik
inter essii'te?
Den Clavierstiicken de>s Vielerlei folgten in deniselben
Jahre 1770: Sei Sonate per il Clavicembalo Solo aW
uso delle donne, Oeuvre premier , (in Amsterdam bei J. J.
Hummel, im Jahre 1773 bei Hartknoch in Riga noch
einmal gedruckt) von denen die 3te und 5te Sonate im
Jahre 1768; die 1? 2, 4 und 6te 1776 gesetzt waren.
Diese Stiicke, im Ganzen ziemlich knapp gefassi^ von
der gewohnlichen Form hie und da abweichend? sonst le-
bendig, zum Theil brillant, ohne schwer zu sein? fiir die
Auffassung massiger Kraffce berechnet; mogen wohl einer
personlichen Concession fur gewisse Kreise ihre Entstehung
verdankt haben. Sie geben Zeugniss von Bach's fruchtr
barem und elastischem Geiste? sind aber an sich nur als
Stiieke von massigem Werthe und von voriibergehendem
Interesse zu betrachten.
Der Zusatz „ Oeuvre premier" auf dem Titel der
HummeTschen Ausgabe lasst darauf schliessen; dass Bach
gelegentlich wohl noch eine zweite Sammlong habe wollen
folgen lassen.
Im nachstfolgenden Jahre 1771 erscfaien aus
— 206 —
Feder folgende Bekanntmachtmg l) : „ Auf Verlangem
vieler Liebhaber werden Sects leiclite Fliigel-Con-
certe. von dem Kapellmeister C. Pb. E. Back im
Drucke herauskominen. Diese Concerte werden sick bei
ihrem gehorigen Glanze von des Verfassers iibrigen Con-
certen hauptsachlich dadurch unterscheiden, dass sie der
Natur des Fldgels mehr angepasst, fiir die Hauptstimme
sowohl, als fiir die Begleitung leichter, in den langsamen
Satzen hinlanglich ausgezieret und init ausgeschriebenen
Cadenzen versehen sind. Auf kiinftige Ostern werden sie
fertig ersckeinen. Bis Weihnachten nehmen ausser dem
Verfasser folgende Herren fiinf Thaler Vorschuss darauf
an etc. etc. Hamburg, >den 29. April 1771."
Aus den Ostern wurde nichts. ?7Da eine unvermuthete
-Krankheit den Druck meiner 6 leichten Fliigel- Concerte
verzogert hat, so werden die resp. Herren Pranunieranten
urn eine kleine Geduld ersucht
Hamburg, den 25. April 1772 2)."
Man sieht hieraus, wie gewissenhaft Bach seinen Ver-
sprechungen nachzukoinmen bemiilit war. Am 11. September
1772 machte er bekannt3):. ,,Meine Fliigel-Concerte kommen
zu Ende d. M. aus der Presse und konnen gegen die Mitte
des kiinftigen Monats October denen resp. Pranunieranten
eingehandigt werden." So erschienen denn gegen das Ende
dieses Jahres die:
yjSei Concerti per il Cemibala Goncertato accompagnato
da due VMim, Violetta e Basso con due Corni e due Mauti
par rinjfQTzot* Dedicati All 'Altezza Rerenissima Di
Pietro Duca regnante di Curlandia etc. etc. e oompa&ti da
Carlo Filippo Emanuele JBac7i? Maestro di Capella de
S.A. j5. M. la Principessa Amalia di Prussia, Badessa
di QuedlinburgOj e Direttore di Musica delta Republica di
Hamburgo. In Hamburgo} Alle spese dell 'Autore.
1) Hambg. unparth. Correspondent. 1771. Nro. 69,
2) A. a. 0. 1772. Nro. 67.
3} A. a, 0. Nro. 147.
— 207 —
Man sieht, dass Bach in dem Augenblick, wo er den
von ihm sonst verlassenen Hofkreisen wieder naher tritt,
sich auch veranlasst sieht, dem Gebrauch der deutschen
Sprache zu entsagen und auf das Italienische zuriickzu-
gehen. Er dedicirte dem letzten der Herzoge von Garland
seinWerk in folgenderZuschrift: ,,Altezza Serenissima. H
Sovvenir clemente, del quale Vostra Altezza Serenis-
sima m'ha favorito, mi spinge di consecrarle quest7 Opera;
tanto per esser il frutto d'una scienza, alia quale devo il
di Lei Patrocinio, quanto per palesar i miei rispettuosi
sentimenti di Gratitudine. Condoni V. A. S. che di tante
altre Dedicazioni segua lo stilo ordinario e 1'unico Tenore.
Ho stimato giusto di rinviare alia Veritk quel che tante
altre volte ha servito all' Adulazione degli autori. Per
questo bramo che sii accetta 1'Opera e Tintenzione 5 e con-
sacrandole insieme col Libro tutto me stesso con mnil
Inchino rimango di V. A. S. devotissimo ossequissimo ed
nmilissimo Servitore C. F. E. Bach.
Die eleganten Redewendungen dieser Zueignung geben
zu erkennen, dass sich Peter III. fur Musik im AlJge-
meinen und fur den Componisten, wie es scheint? anch
personlich interessirt hat, wie denn derAbsatz von Bach's
Musik in nicht unbedeutendem Maasse nach Curland ge-
richtet war1).
Im Ganzen hatte er fiir diese Concerte nur 159 Pra-
numeranten erlangt, unter diesen Agricola7 Kirnberger
und Fasch, seinen Bruder Bach in Buckeburg, den Kapell-
meister Bach in Weimar, Breitkopf?Burney in London,
Ebeling in Hamburg, Eschenburg in Braunschweig und
i) BreitkopTs Magazin des Buch- und Ktmst-Handels. 1782.
10. Stck. p. 788.
„ Sr. Hochfiirstl. Burehl. der Herzog von Curland habea
geruht, dein Herm Kapellmeister Bach zura Zeichen Dero gnad%en
Andeukens eine goldene Medaille dorch einen Curlandischen Kaufmaan
zu ubersenden, welclbe bei Grelegenheit der Anwesenheit Sr. Kouigl
Hoheat des Pnm&n v&m Freusses zu Mitaa gepragt worden,"
— 208 —
den in der Beforderung der Musik unermiidlichen Baron
von Swieten, der zu jener Zeit noch Oesterreichischer
Gesandter ani Hofe zu Berlin war.
Die Ooncerte waren rnit besonderer Sorgfalt, obwohl
fur die Ausfuhrung 4eicht geschriebcn. Das Clavier con-
certirt niit dena in breiter Behandlung und grosser Selbst-
standigkeit auftretenden Orchester. Der Styl erhebt sich
in Grosse der Gedanken und ini Charakter des Zusaminen-
hangs weit uber den gewohnlichen Sonatenstyl. Die Soli
sind brillant gesetzt, die Wendungen in ihnen frappant
und neu? oft von iiberraschender Feinlieit und grosser Ele-
ganz. Es fehlt nicht an jenen geistreichen Pointen, die
Bacli so sehr liebte, und sein humoristischer Geist blickt
hie und da niit blitzendem Lacheln durch das Gewebe der
Tone bin durch.
Mit besonderem Interesse wird man die thematische
Arbeit betrachten, die sich in einigen dieser Concerte?
insbesondere denen in F-dur? D-dur und C-moll; in einer
fur Bach sonst neuen Weise tiberaus reich und wirksani
geltend macht. Man sieht daraus, dass der alternde Meister
sich keineswegs an den Erfolgen seiner grossen Vergan-
genheit genugen lassen wollte; dass er vielnaehr in stetigem
Vorwartsstreben begriffen war.
Es scheint? als ob der Herausgabe dieser Concerte
mancherlei Weiterungen und Unannehmlichkeiten voran-
gegangen seien. Die iui Anhange unter No. 4. abge-
druckten Briofe ergeben einige Andeutungen hierilber.
Mcht weniger bedeutend sind die in den Jahren 1776 —
1777 erschienenen „$ Clavier -Sonat en niit einer Violine und
ein&m Violoncell zwr Begleituny ," fur deren Herausgabe er
gleichfalls den Weg des Selbstverlags und der Pranurae-
ration eingeschlagen hatte. Hiedurch waren ihm 390 Abon-
nenten mit 534 Exemplaren gesichert. Dnter dies en finden
sieh von bekannten Namen und bedeutenden Personlich-
keiten Blumenberg, Professor in Gottingen, Breitkopf
und Sohn? Barney? Cramer in Kiel? Homilius in
— 209 —
Dresden, Marpurg, van Swieten1) (mit 12 Exemplaren }
und bis in die neueste Zeit hineinreichend, von Bismarck ?
Rittmeister in Schonhausen,
Die Instrumental -Begleitung dieser Sonaten ist ohne
jeden concertirenden Charakter wesentlich nur be,stimmt,
das Hauptinstrument zu heben. So konnten sie, wenn der
Spieler die Fiillstimnien ersetzt? allenfalls auch ak Clavier -
Solostiicke gespielt werden. Bach selbst schreibt dariiber
am 20. September 1775 an Forkel: ,,Ich habe doch endlicfa
miissen Jung tibun iind Sonaten fur's Clavier maclien, die
man allein, ohne etwas zti vermissen, und aticli mit einer
Violine und einem Violoncello begleitet bloss spielen kann,
und leicht sind." Docli ist dies niclit wortlich zu nehrnen;
denn bei mancnem wie z. B. bei dern Allegro der 3. Se-
nate, wtirde die Begleitung stark vermisst werden.
Die Sammlung entbalt, zumal in den 3 ersten Sonaten?
in der bekannten Form alle Vorziige mid Schonlieiten?
durch welche sich B a en's beste Clavierstiicke auszeichnen,
in einem ganz besondern Maasse, Es ist in ihnen eine
Eleganz und Feinheit niedergelegt; wie kaum in einer sei-
ner alteren Arbeiten. Melodien, wie die folgende der Se-
nate II (grazioso poco allegro) in rondeauartiger Bearbei-
tung?
i) Van Swietes, bis znm Jahre 1777 K. K, Qesterr. Gesaudter
m Berlin, war eia warmer Yerebrer derMusik und stand mit Haydn
and Mozart wg&o&Tiem Verkehr. Er war der Verfasser des deutscbea
Texts def Sefcopfuflg, dereu Composition er, wie die der Jahreszeiteu
dadiarch mogKeb maebte, dass er die dafiir ndtbigen Summen
Bitter, Emanuel und Friedeumiin Bach,
— 210 —
werden, auch wenn man dadurch an eine Stelle des
Morgengesangs erinnert wird , fur alle Zeiten dem
Schonsten angehoren, was in der Melodik erfunden wor-
den ist. Eine vortreffliche Analyse iiber diese Sonaten
hat Fork el in seiner mnsik. Bibliothek Bd. U, (1778)
g. 275—300 geliefert1)-
i) Der Hamburger Unpartheiische Correspondent, welcher
In den Nros. 15 nnd 149 von 1777 das Erscheinen dor beiden Trio-
sammlungen ankiindigt, sagt in No. 31 desselben Jahres (22. Februar)
iiber die 1. Sammlung' ,,0riginal und Geistvoll, wie alle iibrigen
Werke nnsres grossen C. Ph. Emanuel! Die Begleitung der Violine
nnd des Violoncell kann zwar wegbleiben, besser aber ist es, wenn
die Sonaten mit selbiger gespielt werden. Besonders wird man das
in dem letzten Presto der 1. Sonate gewahr. Der 2. Senate aus G-dnr
ist em Eondeau hinzugefugt, das unter den haufigen Rondeaux leuchtet
ut luna inter Stellas minores. Doch welcher Liebhaber der Tonkunst
kennt diese herrlichen Stiicke nicht. Diesen sagen wir die angenehme
Nachricht, dass die neulich angekiindigten Sonaten des Herrn Kapell-
meisters, die zu Ende dieses Jahres erscheinen werden, 4 an der Zahl
ausmachen, ebenso trefflich als die gegenwartigen sind, wenn Recen-
sent, der das G-liick gehabt hat sie von Herra Bach selbst spielen
zu horen, seinen Ohren trauen darf." Bei Gelegenheit der zweiten
Sammlung bemerkt derselbe Berichterstatter (No. 166 de 1777)} indem
er anf die ganze Sammlung zuriickgeht und ihr eine ausfuhrlichere
Beurtheilung widmet: ,,Diese Bach 'schen Sonaten mit Begleitung etc. s
siud, \vie man leiclit denken kann, voller Geist und Feuer, und ob-
gleich in der Schicibart von den bekannten trefflichen Sonaten ohne
Begleitung etwas veischieden, dennoch ganz original und des grosser
Meisters vdllig wtirdig. Man gerath in eine angenehme Verwunde-
rung, wenn man in jedem neuen musikalischen Werke dieses uner-
schopflichen Genies immer neue Gedanken, ktihne aber sehr richtige
Ausweichungen und Gesang antrifft, der die Seele des richtig Empfin-
denden desto starker riihrt, weil er noch in keinen Opern Arien
hundertrnal vorgeleiert, und von Nachbetern noch ofters nachgeleiert
worden. Es sind in dieser 2. Sammlung 4 Sonaten enthalten. Man
kann diese Sonaten zwar ohne Begleitung der Violine und des Violon-
cells spielen, allein man wird wohl thun, wenn man beide Instru-
mente dabei nimmt. Das Yioloncell hat an verschiedenen Stellen
grossen Antheil an dem guten Effect des Stiicks. Vorziiglich nimmt
es sich bei der Vaiiation aus C-molI in der letzten Sonate aus. Re-
censent hat das Vergniigen gehabt, diese Sonaten von dem Herrn
Kapellmeister selbst auf einem Clavier von Friederici spielen zu
horen , wo eine gedampfte Violin und ein mit Discretion gespieltes
— 211 —
Die 2. Sammlurg, welche 3 Sonaten und 1 Theiim
init Variationen enthalt, steht gegen die 3 ersten Stiicke
etwas zuriick. Namentlich sind die langsanien Satze sehr
kurz und die Schlusssatze, besonders der 1. und 3. Senate
zu aphoristisch behandelt.
Die Variationen der Arie am Schluss des 2. Hefts er-
ftillen nicht? was man heut yon dieser Art von Compo-
sition verlangen wurde. 8ie sind niehr gesangreich als
bravourmassig geschrieben. Doch sind sie voller Geist
Gegen das Ende hin in rondeauartige Wendtingen iiber-
geleitet; schliessen sie in der bei Bach so beliebten TVeise
in starken Gegensatzen vom if. zuin piano abfallend.
Unendlich geringer an Werth sind die im Jahre 1778
bei Hummel zu Amsterdam als ??0euvre second^ er-
schienenen 6 Sonaten? gleichfalls mit Violine- und Cello-
Begleitung. Ueber der Vignette des Umschlags entfaltet
ein auf Wolken schwebender Engel eine Pergamentrolle
mit dem Worte ?;Eternel"? wahrend am Fusse des Piede-
stals, das den Titel der Sammlung tragt, ein Lorbeerbaum
emporschiesst, der an seinem Gipfel merkwiirdigerweise
von Blattern ziemlich kahl in einen diirren Ast auslauft.
Es seheint fast, als seien diese Sonaten von dem Ver-
leger bestellt gewesen, und deshalb schnell hmtereinander
geschrieben worden. Kaum anders als so lasst sich die
Gleichheit in ihrem Character und die iibereinstinimende
Mattigkeit der darin herrschenden Schreibweise erklaren.
Der geneigte Leser wird damit einverstanden sein?
dass diejenigen der in Hamburg entstandenen Clavier-
Viokmeell die Begleitung hatten. Er wiinscht alien, die diese Sona-
ten spielen oder spielen faoren, BUT einen Theil seines empfundenen
Yergniigens, tuid sie werden alsdenn ein selir angenehme Stnnde ge-
bafct haben."
Hiezu ist zu bemerken, dass Bach, wie sich aus einem friiheren
Schreiben an Porkel (vom 10. November 1773, Anhang Nr .3) ergiebt,
die Friederici'sefaen Claviehorde alien anderen ,,wegen des
Traetaments*und weges des Basses ohne Octave, welehe
jefa nicbt leiden kanmru vorzog.
~ 212 —
Arbeiten Em. Bach's, die nicht zu den besonders hervor-
ragenden gehoren (so eine 1785 bei Breitkopf veroffent-
liclite Senate in C-moll, ferner die in London herausge-
komnaenen ,,Six Sonates for the Harpsichord", zwei Clavier-
Soli, bei Schwickert erschienen, und einiges Andere),
nicht einer speciellen Besprechung unterzogen werden, son-
dern dass seine Aufmerksamkeit alsbald auf die 6 letzten
grossen Samnilungen Bach's,
Die Sonaten fur Kenner und Liebliaber
geleitet wird, deren erste, der ?JMadarae Jernitz, geb.
Deeling aus besondrer Hochachtung und Freund-
schaft gewidmet" im Jahre 1779 zu Leipzig im Selbst-
verlage des Autors erschienen ist. Sie hatte 519 Abon-
nenten gefunden; welchc sich mit nahe an 600 Exemplaren
betheiligten. Diese vertheilten sich au£ Berlin (mit Kirn-
berger und Marpurg), Braunschweig, Kopenhagen; Cur-
land, Danzig, Dresden, Grottingen (mit Forkelj, Grothar
Hamburg, Hannover, Holstein, Leipzig, London (mit
Burney), Ludwigslust, Nyburg, Petersburg, (54 Exempl.),
Prag (mit Dussek), Reval, Eiga, Schlesien, Stendal (von-
Bismarck-Schonhausen), Stettin, die Ukermark, Ulm,
Ungarn (B a thy any, Cardinal Ffirst Primas), Warschau und
Wien (van Swieten mit 12 Exemplaren). Man sieht dar-
aus, wie Bach's Werke nach alien Seiten hin, besonders
aber in den nordischen Landern Verbreitung gefunden
hatten.
Die Sonaten dieser ersten Sammlung waren, die erste
1773, die zweite 1758, die dritte 1774, die funfte 1772, die
sechste 1765 gesetzt. Die Zeit der Entstehung der vierten
ist nicht bekannt.
Fast alle sind von einem eigenthiimlichen Reiz. So
gleich die erste Sonate mit ihren schnell dahin perlenden
lelchtfliissigen Gangen und den, dem in die Hohe streben-
den Basse eigensinnig entgegenarbeitenden Passagen der
rechten Hand? dem melodiosen Andante und dem leicht
— 213 —
vorbeirauschenden Allegretto ist eine iiberaus liebens-
wiirdige Composition.
Die zweite Sonate beginnt mit einem gesangvollen
Andante, dessen Vortrag zum Theil auf dem nur bei dem
Olavicliord ausfiihrbaren Beben der Tone beruhte? und das
in leisein Gange nach F-moll in ein Larghetto iibergeht,
welches in Melodie und kunstvoller Bearbeitung , so wie „
in seelenvollern Gesange dem ersten Satze noch iiberlegen
ist, Ein feuriges Allegro (F-dur) von feinem Humor und
voll keeker Wendungen schliesst das Stuck.
In der dritten Sonate zeichnet sich ein Uantabile (H-
moll 2/4 ) als eines der reizendsten, gesang- und melodien-
reichsten Stticke aus, die man horen kann. Es ist ein Liebes-
gesang7 in dena sehnsiichtige Grazie und schwarmerische
Traumerei niit einander wechseln.
Der erste Satz der vierten Sonate ist von ieuriger
Bravour. Der 2. Satz (po«o Adagio ? Fis-moll) erfbrdert
in seiner sanften Farbung und den zwischen der rechten
und linken Hand wecnselnden Figuren einen besonders
zarten und gesangvollen Vortrag. Das ihm folgende Allegro
ist ausgefuhrter als die Mehrzahl der Bach'scken Schluss-
satze? glanzend und voll von Leben.
Die funfte Sonate ist besondei^ durch den sehoaem
Mittelsate (Adagio maestoso D-inoll) ausgezeichnet, dessen
Anlage imd Ausfuhrung, Chaxakter^ Melodie und harmoni-
scher Gang nur schwer auf das Jahr seiner Entstehung
(1772) schliessen lassen wiirden.
Die sechste Sonate endlich, in ernstem Schwunge be-
ginnend und in reichsterLebhaftigkeit durchgefiihrt. mit dem
eigenthumlich geformten Andante in G-moll schliesst mit
einem brillanten Allegro in frischer, keeker und kraftiger
Diese 6 Soaaten sind vor alien geeignet den Gesammt-
typus der Em. Bach'schen Clayier-Sonate zu veraBschaB-
lichen. Ifar lebhafte Feuar? ihre Grazie, iiir gefahlwikr
Gesang, ihr brillaates Spiel, ihr spielender Humor und die
~ 214 —
reichen Schatze harinonischer Schonheiten, die in ihnen
niedergelegt sind, recapitulirengleichsaminwenigenBlattern,
was vorher in einer langen Reihe von Jahren von ihm
geschaffen war. Erscheinen die Finales in einigen derselben
unseren jetzigen Anforderungen gegeniiber auch nur skizzen-
haftj kurzjgeistvollen Aphorismen ahnlich, so sind doch im
, Uebrigen Form und Inhalt der einzelnen Stiicke und der
einzelnen Satze; vorzugsweise der langsainen, so vollendet,
wie man dies nur von eineni so gross en Meister erwarten darf.
Die zweite Sammlung, ?,8r. K. Hoheit, dern
Markgrafen Friedrich Heinrich zu Schwedt" ge-
widmet, erschien 1780. Sie hatte nur 330 Abonnenten
gefunden, darunter 118 in Berlin? 68 in Dresden und 60
in Hambui'g.
Sie enthalt 3 Sonaten, von den en die beiden letzten
1780 componirt waren, und 3 Rondos, 1778 gesetzt.
Em. Bach tritt hier ZUBI erst en Male niit dieser
Gattung von Clavierstiicken vor das Publikum. Dieselbe
war grade damals im hochsten Schwunge und es hatte den
Anschein, als wollte sie die Sonaten ganz verdrangen. Das
Publikum wurde niit einer Menge meist ganz seichter,
reiz- und interesseloser Stiicke formlich iiberschiittet.
Bach^ der sich hier wie so oft in seinem Leben der herr-
sehenden Mode bequemte, betrachtete seine derartigen
Arbeiten als Kleinigkeiten. Zu Cramer sagte er einmal?
indeni er von seinen Rondos sprach: ;;Wenn man alt
wird? legt man sich aufs Spassen!" Forkel? der bei
Gelegenheit der Bekanntinachung dieser zweiten Sammlung
ausrief; ??Auf die geringste seiner Schopfungen ist ein
Stempel gedruckt, welcher gieich der ganzen Welt zuruft:
Ich bin Bach's! und wehe der fremden Schonheit? die das
Herz hat, sich neben ihn zu stelien!" war doch sehr unzu-
frieden, dass Bach sich zur Herausgabe von Rondos ver-
standen hatte: ?!Bach scheint sich in Riicksicht auf die
Ungeubteren zu der jetzt so beliebten und bis zum Ekel
— 215 ~
in alien Clavier-Compositionen vorkommenden Gattimg der
Rondos herabgelassen zu haben."
Was die Sonaten der vorliegenden Sammlung betrifft,
so stelien sie raerklich gegen die fruheren zuriick. Schon
die erste Sonate in Gr-dur ist denen der ersten Sarnm-
lung keineswegs gleich; das Jalir ilires Entstehens i&t
ausnahrnsweise nicht bekannt, und so wird sie wohl
denjenigen fruheren Arbeiteh angehoren? die bis dahin aus
irgend eineni Grande zuriickgestellt gewesen waren. Die
zw,eite Sonate f ein Andantino und ein Presto enthaltend,
steht wenig hoher; das Presto ist seb.r kurz und etwas
bizarr. Die dritte Sonate besteiit nur aus eineni Satze, ist
gefallig und brillant, aber ohne besondere Tiefe. Es macht
den Eindruck? als ob dieser eine Satz nur den Anfang
einer di^eitheiligen Sonate habe bilden sollen. Dagegen
sind die Rondos xnit besonderer Vorliebe gearbeitet und
voll von rnelodischem und liarmouischein Reize. Wie sie
flilcktig und leicht dahin eilen, hat Bach in ihnen gezeigt,
dass die achte Kiinstlernatiir jeder Kunstform den Stempel
der Schone aufzudrucken irn Stande isty auch wenn er da-
bei eine gewisse Rucksicht auf Ungeiibtere genommen
haben sollte. Ein lebhafter Wechsel der Tempi und der
Modnlationen geht in ihnen mit der reizenden Behandlang
und Grestaltung der Motive Hand in Hand. Auch hier
finden sich wie in den friiheren Coinpositionen Bach's recita-
tivische Bildungen eingestreut, so in dem 2. Rondo ein poco
adagio:
« - I V- j\ "V^ _jJ
— 216 —
In dem dritten tiberaus anmuthigen Rondo nait dem Anfange:
JPoco Andante x*~*»v ^e?z» N
{|__ *"b vp- -^__,_^1 ^_J«L_
das voll von wechselnden Farbentonen in einem unauf-
hoiiichen Grlanze liin und her schiinmert, findet sicli eine
Reihe von Modulationen3 mit denen der alte Meister bis dicht
an den Beethoven'schen Charakter lierantritt und durcli
die er dabei in vollendeter Einfachheit einen ganzen Kreis-
latif innerster Seelenstimniungen voriiberfiihrt.
\ |^~|. "^ "- """""1~3fe? '•-"'
*~~~~'-~'-,..-^-"^t"^S^ -- "" ~\
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pp.
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I
Sonach wiirde es schwer sein in den Klageruf ForkeTs
einzustimmen.
— 217 —
Im naehsten Jahre (1781) folgte die 3. Sammlung,
demaltenBeschfitzer derKunst,demFreiherrn van S wieten,
zugeeignet.
Die Zahl der Abonnenten war auf 307 herunter-
gegangen; tmter ihnen war Hamburg nur in it 39, Leipzig
mit 17 vertreten.
Diese Sammlung? wiederuin 3 Sonaten aus den Jahren
17747 1766 und 1763, ferner 3 Rondos von 1779 und 1780
enthaltend, hat sich bis in die neuestc Zeit hinein besondrer
Aufmerksarnkeit zu erfreuen gehabt. Ein im Ganzen nicht
imbedeutender Kritiker des Musikalnianachs von 1783 r)
sagt von ihr: 7?Der 3. Theil der Bach'schen Sonaten fur
Kenner und Liebhaber gefallt mir im Ganzen genommen
weniger, als die beiden ersten Theile. Besonders wollen
mir die Rondos ; gegen die im 2. Theil verglichen? gar
nicht recht behagen. Jene sind so edel? natiirlich und doch
reich und mannigfaltig. Diese hingegen (halten Sie mein Ur-
theil ciicht fiir verwegen) finde ich? das erste in E-dur aus-
genommen, in vielem Betracht gemein^ bizarr."
Von den Sonaten ist hier freilich nicht speciell die
Rede. Von diesen glaubte Reich ardt-) die 3. Sonate
in F-rnoll, mit der ihn Bach einst beschenkt hatte, ??die
vortreffliehste aller seiner Sonaten nennen zu konnen.
Redender, singender, durch jede Anwendung des
Genies ttnd der Kunst hinreissender kann ich mir
nichts denken." Forkel hat derselben Sonate eine lange
Besprechung gewidmet s). Er findet in dem ersten Allegro
den Ausdruck eines gewissen Unwillens? in dem Andante
Betrachtung und Ueberlegungj in dem letzten Andantino
grazioso die darau.s entstandene, fast rnochte man sagen
melancholische Beruiugung. Er sagt ferner (S. 38): 3?Bie
haben vielleicht diejenige Stelle im zweiten Theile des
^ Schwiclcert, Ku& Alman. 1783. S. 141.
2 1 Knnst-Ma^aziB. 1782. S. 87.
3; Leipziger Mus. Almsu^<^ (Sc&wl^kert), 1783^ S. 522
— 218 —
1, Allegro nicht schon gefunden, wo die Modulation in's
As-moll, Bes-dur and von da auf etwas harte Art in F-moll
wieder zuriickgeht l], Ich muss gestehen, dass ich sie,
ausser ihrer Verbindung rait dem Granzen betrachtet, eben-
so wenig schon gefunden habe. Aber wer findet auch
wohl die harten, rauhen und heftigen Aeusserungen eines
zornigen und unwilligen Menschen schon? Ich bin sehr ge-
neigt zu glauben, dass Bach, dessen Gefuhl sonst uberall
so ausserordentlich richtig ist, auch hier von keinem un-
richtigen Grefiihl geleitet sei? und dass unter solchen Um-
standen die erwahnte harte Modulation nichts anders ist,
als ein getreuer Ausdruck dessen, was hier ausgedrtickt
werden sollfce.u
In neuerer Zeit hat H. v. Bulow in der Bearbeitung
einiger der Em Bach'schen Sonaten die Folge dieser
Modulationen geandert2) und in dem Andante unmittelbar
I \$\ v~b~~~P~~~~~~ . .-— i7y"^]"fl — ?-d -^ !__*_--. J — %l~--* ^^•"^•"a)^~~^; ~^ •"
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- 219 -
vor dem Wiedereintritt des Themas 154 Takte hinzu-
gesetzt B a urn g art, in dein Vorwort zu dein 3. Heft der
neuesten Ausgabe der vorliegenden Sonaten bei Leuckart
(Sander) in Breslau, hat dein gegenilber, vri& Forkel?
die ursprungliche Fassnng unter Mitwirkung derselben
aus dem Charakter der Em. Bach'schen Schreibart auf-
recht erbalten. Und dies mit vollem Recbte, da man selbst
an den Sehwachen grosser Meister? zu denen die hier-
genannten Stellen nicbt einmal zu rechnen sind? noch
weniger an cleren besonderen Eigenthiimlichkeiten Aende-
nuigen vornehmen clarf. Was wltrde avis Beethoven
werden, wenn jeder Musikgeneration das Recht zugestanden
werden sollte? hier imd dort nach individuellem Ennessen
Harten zu verwischen, Eigenthiimliehkeiten abzuschleifen?
selbst Spitzen, die hie und da auffallend beriihren7 stumpf
zu rnachen? Man muss Kunstwerke eben so hinnehmen? wie
sie sind. Wo eine Vervollstandigung derselben nach ver-
anderten Zeitverhaltnissen nothwendig TOd? da darf sie
eben nicht zuAbanderungen iibergreifen? sondern muss
sicb darauf beschranken; nachzutragen ? was und wie der
Meister muthmasslich selbst nachgetrageu haben wiirde,
— 220 —
wenn er in der Lage gewesen ware die Nothw&idigkeit
hierfiir anzuerkennen.
Was die beiden anderen Sonaten dieser Sammlung
anbetrifft, so durfte es schwer sein, die erste in A-inoll %
mit dem eigenthiimlich lebhaften Allegro di molto
nicht den besten Sonaten Bach's zuzahlen zu wollen.
Die 2. Senate in D-moll? sehr ernst beginnend, rait
dern schonen Cantabile e mesto und dem freilich etwas
kurz gefassten dritten Satze (Allegro) steht dieser keines-
wegs nach.
"Wegen der Rondos, welch e den en der vorigen Samm-
lung nicht vollig gleich sind; mochte man dem Beurtheiler
Tom Jahre 1783 Recht geben. Das erste derselben zwar,
mit dem iiberans melodischen Thema
Poco Andante.
ist ein Meisterstiick von harmonischer Behandlung der Ge-
danken. Das 2. Rondo dagegen (Gr-dur 2/4 poco andante)
mit dern unsclmldig naiven Charakter, dem man bei Haydn
so vielfach begegnet, durfte gegen dieses sowie gegen die
frliheren Rondos zurucktreten. Bei dem 3. Rondo? F-dur
2/4 Allegretto, kommt es freilich vor Allem auf die rich-
tige Auffassung und Wiedergabe an. Doch bleibt in je-
dem Falle das Thema
— 221 —
Allegretto.
Allegretto. , • 4. » ^^
±C£^==+:^?:::!^^
f** P ^ C*~
etwas diirftig und alle Genialitat der Bearbeitiing, welche
zudem hie und da nicht ohne Bizarrerie ist? liilft nicht
ganz dartiber fort. /
Die 4/Sammlung erscbien 1783 zum ersten Male
obne Zueignung. Sie zaiilte 388 Abonnenten, unter denen
Duscbeck? Burney, von Bisinark->Sehonbausen und
van Swieten zu nennen sind.
Sie enthalt ausnahmsweise 7 Stacker 3 Rondos von
1782, 1781 und 1779; 2 Sonaten von 1781 und 1765 (in
Potsdam, gesetzt) und 2 Fantasien von 1782.
Von grosseren Fantasien hatte Bach bisher nur die
eine in C-moll aus dem Versucb iiber die wahre Art
das Clavier zu spielen, einige kleinere in deni musi-
kaliscben Vielerlei veroftentlicbt. Wesshalb der alte Meister
erst in spateren Jabren an diese Form der Clavierstiicke
gegangen ist, erklart dessen Brief an Fork el (Anbang I.)
vom 10. Februar 1775: 7?Man will jetzt von mir 6
oder 7 Fantasien baben7 wie das 18. Probesttick aus deia
C-moll ist; icb laugne nicht 7 dass ich in dieseni Facbe
gern etwas tbun mochte. Vielleicht ware ich auch nicht
gaaz und gar ungeschickt dazu? iiberdem babe ich einen
Haufen Collectanea da#u? welcbe? wenn ich Zeit hatte sie
in Ordnung zn bringen und sie allenfalls zu vennekren,
besonders was den Grebrauch aller dreyer Generum be-
trifft, zu der Abbandlung von der freyen Fantasie meines
zweyten Versucbs gehoren: allein wie viele sind deren? die
dergleichen lieben? verstehen und gut spielen? Der Herr
von G^rsteiiberg unS Herr E. M. Sehreiber i
hagen u. a. KU wunsebten dergleichen und offeriren
_ 222 —
bona officia: Allein noch habe ich wenigLust dazu etc. etc."
Diese Lust 1st in der That erst 7 Jahre spater ge-
'konunen und sie hat jene herrlichen Tongemalde in hin-
und herschillernder Farbenpracht geschaffen? in denen
Sonnenblicke und diistre Wolkenschatten iiber reiche und
bltihende Fluren. dahinzuziehen scheinen. Offenbar dachte
Bach, der stets danach fragte? was dem Publikuni wohl
angenehm sein werde, durch den Reiz der Abwechselung,
durch Neuheit und die tiberraschende Form zu gewinnen.
Vielleicht auch mochte er zeigen wollen, dass das hohe
Alter seiner Erfindungskraft keinen Abbruch gethan habe.
Forkel1) analysirt die Rondos aus diesena Heft sehr
ausfuhrlich, indem er seinen Unwillen gegen diese Musik-
gattung von Neuem zu erkennen giebt2). ;?Wie viel Spieler
und Kaufer wiirde Bach wohl noch haben? wenn er nicht
sich hierin ftigte? Man vergleiche nur zur Schande des
herrschenden Geschmacks das sparsame Subscribenten-Ver-
zeichniss vor diesen Meisterstiicken von Sonaten mit den
fetten Registern eben derselben bei einigen gleichzeitigeu
leichtfiissigen Werken." An den Fantasien ruhmt er: 7?Die
Wahrheit der Modulatiouen? der Abschweifungen und
Wiedereinlenkungen, die Unerschopflichkeit an Gangen
und Wendungen, die Mannigfaltigkeit der einzelnen Fi-
guren, aus denen das Ganze zusammengesetzt ist, und das
Brillante im Spiele der Hand" und fligt3) hinzu: ??Die
zweite Phantasie z. E., weiss ich? hat er zu seinem Ver-
gniigen an einem Tage verfertigt, wo ihn ein verdriess-
licher Rheumatismus plagte? und er pflegte sie daher scher-
zend gegen seine Freunde die Phantasie in tormentis zu
nennen; nach der Analogie der bertihmten Genialde des
hochseligen Konigs yon Preussen4)." In der That ist diese
1) Magazin f. Mus. Jahrg. 1783. 2. Halfte. S. 239.
2) S. 1247.
3) S. 1252.
!) In doloribus pinxit. Fridericus7 was Friedricli Wil-
helm I. unter seine bei Podagra -Anfallen gemalten sonderbaren Bil-
der zu setzen pflegte.
— 223 —
Fantasie ein wunderbares Gemisch brillanter, hie und da
an das Bizarre streifender, nicht selten von dein erwarteten
Gange weit abspringender Gedanken, bei denen die klare
Melodie
Audante*
ante. l X5
i — -3 — • • "- r?-
sich aus den bin- und berstiirnienden Tonflutlien heraiis-
windet, wo die Harnionienfolge in seltsamem Weclisel der
Mpdulationen dock stets in sorgfaltigster Beachtung der
Gesetze erfolgt, die den Maassstab des Scbonen abgeben?
Allegretto.
Adagio, ten* Allegretto,
=te=»d£iff=£i!lfc:8!f2SS
mB^^^&^=^
und wo es auch an Harten nicKt fehlt, wenn nian; wie bei
der F-moll-Sonate der 3. Sammlung, anf diese zuriiek-
gehen wollte:
In der ersten- Fantasie (Es-dur) werden schnell dahin-
rauschende Passagen von reeitativischen Melodiebildungen
und grossen harmonischen Tongangen durchflochten, wah-
rend der niit Poco adagio bezeichnete Mittelsatz in klagend
weichen Klangfornien daJierfliesst , die; erst nachdeni ihr
Inhalt vollig erschopft ist; in die unruhigbransende Gang-
art der Anfangsmotive zuriickfLihren.
Diese Fantasien zeigen ganz detitlich; dass Bach bei
seinen Spielern die Fertigkeit yoraussetzte; die liarmonische
Ausftillung, wo sie von ihni nicht gegeben war, zu er-
ganzen. . Was konnten bezifferte Stellen wie die folgende
der Es-dur-Fantasie? wie solclies anch am Schluss der
A-dur-Fantasie vorkoinmt;
A -J.
rzi2--fefe-^r"feaLau-i;
BldcS=-.2=z«zzH|=fc2g:
wohl anders bedeuten?
Die 2. Senate dieses Hefts in E-inoll 2/4 mit der
schonen Andantine in G-dur gehort zu den besten Arbeiten
Bach's und ist der ersten in Gr-dur weit tiberlegen.
Die Rondos dagegen sind; was auch Forkel dagegen
eifern mag, yon vorzuglicher Schonlieit. Bogleich das erste
derselben in A-dur (Andantino) mit seinem sanften Thema,
niehr noch das dritte (B-dur Allegro) das iiberaus
— 225 —
ist und durchweg eine feine Auffassung und einen von
humoristischen Anwandlungen gewiirzten, perlenden Vor-
trag erfordert, bezeugen dies. Wie sehr ware es zu be-
dauern, wenn Bach urn einer schulniasslgen Pedanterle
will en, als welche Fork el's Abneigung gegen das Rondo
betrachtet werden inuss, sieh hatte verleiten lassen, von
dieser Musikform, mag man sonst von ihr denken wie man
will, Abstand zu nehmen.
Die 5. Sammlung, 1785 gedruckt und ,,Sr. HerzogL
Durchlaucht Peter Friedrich Ludwig, Herzogen
zn Holstein und Ftirstbischofen zu Ltibeck gewid-
niet"? welche, nm mit Fork el zu reden, ein noch spar-
sameres Subscribenten-Verzeichniss (es waren deren diesmal
nur 308) aufzuweisen hatte, enthielt:
2 Sonaten, beide 1784 componirt,
2 Rondos, von denen das erste 1779, das zweite
1784 gesetzt war, und
_ 2 Faifasien von 1782 und 1784.
C. F. Cramer nennt Bach bei Beurtheilung dieser
Sammlung1) ,,wegen der Versehiedenheit und Originalitat
der Stticke und Gedanken'fc den Unvergleichlichen.
Er analysirt die beiden Sonaten und sagt, indem er auf
die Fantasien iibergeht: ,,Wer den Herrn Kapellmeister
auf dem Pianoforte phantasiren gehort hat und BUT
etwas Kenner ist, wird gerne gestehen, dass man sich
kaum etwas Vollkommeneres in dieser Art denken kann.
Die grossten Virtuosen, welche hier in Hamburg ge-
wesen und neben ihm standen, wenn er grade in
aeiner Laune war, und ihnen vorphanta«sirte, erstaimten
tiber die Einfalle, Uebergange, ktihne, nie gehorte und
doch sachrichtige Ausweichungen, mit einem Worte liber
die grossen Reichthiimer und Schatze der Harmonie, die
ihnen Bach darlegte, und deren viele ihnen selbst noch
•unbekannt gewesen, rieben sich die Stirne und bedauerten,
i) Magaain f. fawk. 1786. 2. Hllfle. S. 870.
Bitter, JEmanuel trad FriederoAim Baeli. 15
— 226 —
* class sie nicht auch solche Kenntnisse besassen. Der
Verfasser dieser Anzeige ist verschiedene Male ein Augen-
zeuge soleher Auftritte gewesen, "and er konnte diejenigen
Virtuosen nennen; die dieses Bekenntniss ablegten, und
die zu den beruhnitesten in Europa gehoren. So seine
Phantasien, die einen ungefahren Begriff dayon geben, durch
welche besondere Wege Bach hier von einer Tonart in
die andere schleicht, dort gleichsam durch einen Salto
mortale hinuberspringt, wie er ktihne Ausweichungen vor-
bereitet und die Tempi andert, wie es sein Grenius gut
findet etc.^
In der That enthalt diese KSanimlung? deren Composi-
tion dem letzten Decenniurn seines Lebens angehorte, nur
Meisterstticke. Schon die Sonate in H-moll, deren erster
Satz in bewegten Motiven von melancholischem Charakter
schnell vorbeirauscht, und deren durch ein kurzes Adagio
von ausdrucksvollern Gteprage eingeleitetes Andantino in
E-dur mit seinen phantasievoll zarten Melodien wie ein
Trauni verrinnend schliesst; lasst nicht erkennen? dass ein
70jahriger Grreis sie geschaffen. Noch bedeutender erscheint
die Sonate in (J-dur, deren gesangvolles Largo nicht
weniger als das abschliessende Andante grazioso den Clavier-
stucken aus Bach's Berliner Zeit? die Reich liar dt so viel
hoher stellte? in keiner Weise nachstehen.
Die Rondos sind sehr ausgefuhrt, das erste in Gr-dur
von dera reizendsten Charakter, voller Anmuth und Grazie
und in einem Reichthum und Wechsel der thematischen
Verwendung, wie sie kaum in einer der fruheren Arbeiten
Baches vorkommt. Noch ausfiihrlicher behandelt ist das
2. Rondo in C-moll, dessen Ausfuhrung der leichten Tech-
nik ungeachtet, ein sorgfaltiges Studium erfordert. Sehr
schon wirkt die in die harpeggirenden Figuren plotzlich
einfallende? iibrigens so einfache \md klare Melodie;
— 227 —
J^ p' ' '~S~*'~s '-*— * • g
I -*-*-*-»-*-*-*-*-»-»-*- -»- -*_*--0-
' 5EgEEE£F?^-gF^-^rrF^L^E^^r:^?:^F=E^
*** ^ N
, _« ___ |W_ __ .W _ /W , _ __ -,-t^7_- » -1 ^ _ i*** _1
gp— MW- — ^z --- 1: ^zzi^^B^_^-zz±gr3Tr,1.STxqr^T^r:r-.jr^
Die Wirkung der Fantasien hangt von der mehr oder
werdger geistyollen AusfuhriiBg ab? die ihnen zu Theil
wird. Ihre poetische Tiefe? die nach alien Seiten wechseln-
den Modulationen? deren Kiihnheit in Erstaunen versetzt,
and der bluhende Eeichthum der Gedanken fesseln und
reizen die Auftnerksamkeit des Spielers7 wie wenige andre
Tonstiicke.
Der 6. Theil der Saumilungen endlich wurde im Jahre
1786 dureh den Hamburger Unpartheiischen Correspon-
denten angekiindigt1).
Gleichzeitlg erseliien von Bach selbst folgende Anzeige:
7?der 6. Theil meiner Sonaten fur Kenner und Liebh&ber,
mit Eondos, Sonaten tind freien Fantasien, wird auf Pranu-
meration gedruckt. Ich ersuche meine Freunde7 die Herrn
BuchMndler und wer sonst die Gute haben will, von jetzt
an bis kunftigen Ostern giitigst Pranumeration auf diesen
Theil anzunehmen, In der Ostermesse wird die Ausliefe-
Hamb. Uoparft,
No, 168.
16*
— 228 —
rung in zweierlei Schliisseln geschehen. Der Pranumera-
tionspreis 1st vier Mark Liibisch, oder 1 Rthlr. 10 Gr. in
Louisd'or, oder 1 Rthlr. 20 Gr. in Preuss. Courant Die
Gelder werden auf Ostern eingezahlt. Wer 10 Exemplare
sammelt, erhalt das 11. und wer 5 sammelt, ein halbes
frei. Nachher wircl der Preis erhoht. Hier in Hamburg
kann bei mir pranumerirt werden. Hamburg, den 17.
October 1786. C. P. E. Bach."
Die Sammlung erscliien etwa 8 Monat spater und war
Ihro Hochgrafl. Gnaden, Maria Theresia, Eeichs-
grafin zu Leiningen-Westerburg gewidmet, einer
Dame? die nach einer Mittheilung voni Juli 1787 ^ ??niit
ihren tibrigen liebenswurdigen Talenten aueh eine vorzUg-
liche Einsicht in die Tonkunst verband und die Bacii-
schen Clavierstucke mit ebenso vielFertigkeit alsGeschmaek
vortrug."
Die Abonnenten-Zalil war, der vorangegangen Ankiin-
digungen ungeachtet auf 288 gesunken, Baron van S.wieten
hatte durch alle 6 Sammlungen hindurch seine 12 Exem-
plare genomrnen. Leipzig war diesmal nur mit 2 Unter-
schriften vertreten. Und docli hatte der Werth der Sonaten,
so weit dies moglich war, von Heft zu Heft zugenornrnen.
Die vorliegende Sammlung bestand wiederum in
2 Sonateu? beide von 1785.
2 Rondos j 17g6 t
2 Fantasien j
Die Sonaten, obsclion interessant genug, stehen vielleicht
nicht auf der vollen Hohe derjenigen der 5. Sammlung.
Sie sind kurz und knapp gefasst und mehr als die meisten
anderen clavichordmassig gesetzt.
Die Rondos sind in ihrer Art wahrhafte Meisterstticke
und strafen das Verdict Forkel's wiederholt Liigen. Das
Rondo in Es-dur mit seineni reizenden Thema
Hamb. unparfh. Corresp. 1787. Nro, 105.
— 229 —
n-±J=fiti
P
3*=£=Z^*
wird wohl fur alle Zeiten als ein Muster fiir cliese Form
der Claviermusik gelten, und das in D-moll 1st von solcher
Netiheit und ilberraschenden Eigenthumlichkeit, dabel voll
von so feinen Wendungen, in denen Ernst und Humor
gegen einander contrastirend wirken? dass es dem vorlier-
gehenden keineswegs nachsteht.
Die Fantasien gleichen in genialer Zusainnienstellung
denen der vorhergehendcn Samnilungen. Die letzte Fan-
tasie mit ihrem humoristischen Thema
und den schonen melodischen Zwischensatzen, unter denen
besonders das Larghetto sostenuto hervortritt:
— 230 —
weicht von dein ineist diisteren und wilden Charakter der
iibrigen Fantasien wesentlieh ab.
Diese und die Rondos dieser Samrnlung sind nahezu
die letzten Clavier- Arbeiten, die Bach geschrieben, jeden-
falls die letzten die bekannt geworden sind, und das Inter-
esse an ihnen ist schon aus diesem Grunde nicht gering.
Will nian? was der seinem Ende nahe Meister in die-
sen sechs Sonatensammlungen geleistet hatte, zusarninen-
fassen, so muss man anerkennen, dass in ihnen neben ver-
haltnissmassig Wenigem, das als schwach bezeichnet
werden muss, das Beste und Yorziiglichste dessen ent-
halten ist? was er in einer 46jahrigen Lebens- und Arbeits-
periode zu leisten im Stande war und dass in ihnen sein
schopferisches Talent, die Feinlieit und Eleganz seines
musikalischen Wesens, seine Erfindung und der melo-
dische Eeiz seiner Gredanken am vollkommensten und rein-
sten dargestellt ist. Alle Vorzuge seines Clavierstyls, deren
im Laufe dieser Betrachtung gedacht worden, finden sich
in diesen Sonaten, diesen Rondos und Fantasien vereinigt,
deren Entstehungszeit nicht weniger als 28 Jahre umfasst,
und deren letztgeschaffene den mehr als 70jahrigen Greis
von gleicher Frische, gleichem Feuer und gleicher Erfin-
dungsksaft zeigen, wie sie den 44jahrigen Mann beseelten,
der im Jahre 1758 die alteste derselben gesetzt hatte.
Mit diesen sechs Sammlungen hatte Bach den wesentlich-
sten Theil seiner Lebensaufgabe beendet. Sie haben ihn
auf jene hohe Stufe ernporgehoben, auf der die Nachwelt
ihn als eine der bedeutendsten Erscheinungen in deni Ge-
biete der schaffenden Musik erkannt hat. Was er theoretisch
33 Jahre frtiher gelehrt, das hat er durch diesen Sonaten-
cyclus zum kiinstlerischen Abschluss gebracht, uns als ein
Vermachtniss bleibender, grosser und edelster Bedeutung
hinterlassen.
Nach diesen Souaten hat er nur nocli wenig geschaf-
fen, im Jahre 1787 zwei Clavier-Fantasien, im Jahre 1788
drei Quartette fur Clavier^ Flote, Viola und Bass. Diese
— 231 —
Stfieke sind dein Verfasser leider unbekannt geblieben. Als
das letzte was Bach fur das Clavier gesetzt hat? wiirde
die Kenntniss ihres Inhalts von hochstein Werthe sein. Nach
dem Katalog der am 19. Februar 1827 in Altona verstei-
gerten Gahler'schen Buchersammlung (No, 9327) sind die
Originalien damals; Grott weiss wohin, verkauft.
In alien seinen Clavier-Compositionen, seien sie mit oder
ohne Instrumentalbegleitung gesetzt, findet man jene Ele-
ganz? die feine poetiscbe Farbe, welche den markigen, tief-
sinnigen, alle Combinations -Moglichkeiten der Motive er-
schopfenden Arbeiten des Vaters zunachst fehlt. Geistiges
Leben, Fiille der Gedanken, Kuhnheit iind iiberraschende
Wendungen der Harmonie, Originalitat in der Technik
sind beiden gemein. Seb. Bach reprasentirt den voll-
endeten Clavierspieler der alten Schule. Em. Bach hat
die neuere Technik fiir dieses Instrument, die sein Vater
begriindet und gelehrt hatte? in seinen Tonstiicken zum
Ausdruck gebracht. Anch er hat meist noch fiir das
Clavichord geschrieben. Er bedurfte, wie Nageli von
ihm sehr treffend sagte J) ? eines Minimums von Materie7
urn ein Maximum von Geist zu offenbaren. Aber? wie
schon oben erwahnt, componirte er auch fur den Fliigel
und das Pianoforte. Er wusste sehr woh!7 dass7 wer jenes
eigenthiimliche und sinnige Instrument zu spielen im Stande
sei? auch die andern zu behandeln lernen werde.
Manches in seinen Compostionen erscheint bizarr.
Vieles in den Formen und den oft gehauften Verzierungen
ist veraltet. Hie und da sind seine Satze? zumal die
Schlusssatze der Sonaten? kurz hingeworfen, ohne eigent-
liche Durcharbeitung, mitunter selbst ohne Tiefe. Nach
jetziger Auffassung wiirde man auch die Kleinheit
mancher Motive, deren kurze Struktur tadeln konnen.
Was fur die jetzige Zeit ihnen am meisten fehlt, ist die
Vervollstandigung der Harmonie, auf deren Nothwendig-
i) Leipz. AUg. Maa-Zeitni^3 Jab^. 13, a 666.
— 232 —
keit bei Gelegenheit der Reprisen-Sonaten (Absctmitt I.
8. 71 ff.) hingewiesen worden ist.
Die vieleii bei Bach vorkorninenden Pausen waren
fur seine Zeitgenossen eine tiberraschende Neuerung. Der
Horer, der sonst den mehrstirmnigeii Tonsatzen mit Auf-
merksamkeit hatte folgen naiissen, um den Faden des niu-
sikalisehen Gedankens nicht abreissen zu lassen, wurde
hiedurch plotzlich aus einer Fulle yon Melodie und liar-
monischer Wirkung vor sein eigenes Innere gestellt? seine
Phantasie frei geniaeht und er aufgefordert, fur einen
Augenblick selbstandig weiter zu gelaen3 bis Bach es fur
gut fand? den abgebrochenen Gang des Stiickes wieder
aufzunehmen. Darum nannte man zu seiner Zeit Bach's
Melodiengang nicht selten einen ??zerhackten". Die
Olayierspieler jener Periode aber warden durch die Eigen-
thtimlichkeit clieser Tonstticke formlich gezwungen, rait
Ueberlegungj Ausdruck und Grazie zu spielen.
Schubafth; der sich sehr eingehend mit Em. Bach
beschaftigt hatte, sagte von dessen Clavier-Compositionen l] :
??Sie tragen alle das Geprage des Ausserordentlichen. Bo
reich an Erfindungen, so unerschopflich in neuen Modu-
lation en ? so harmonisch voll ist keiner wie dieser. Was
Rafael als Maler und Klop stock als Diehter; dass ist
so ungefahr Bach als Harraoniker und Tonsetzer. Was
man an seinen Stiicken tadelt; ist eigensinniger Notensatz?
wo er z. B. dem mittleren Finger immer seine eigne
Sphare giebt; und Unbeugsamkeit gegen den Mode-
geschmack. Wenn auch etwas an diesen Beschuldigungen
wahr ist? so ist doch noch wahrer; dass der wirklich grosse
Mann sich zwar bticken; aber nie zur Zwergheit seiner
Zeitgenossen herabmirdigen kann. Bachpflegte zu sagen:
Wenn meine Zeitgenossen fallen, so ist es meine Pflicht
sie aufzuheben, aber nicht; zu ihnen in den Koth zu liegen.
Daher bemerkt man in seinen neuevsten Stiicken imrner
Aesthetik der Tonkunst, S. 177.
— 233 —
efrvvas Anschniiegen an den Geist der Zeit, aber nie ein Her-
absinken zum lierrschenden Geiste der Kleinheit Alles Tan-
deln auf dein Clavichord, alles sussliche, Geist eutnervende
Wesen, alles Berlocken-Geklingel der heutigen Tonineister
ist seinein Riesengeiste ein Grauel. Er bleibt trotz der
Mode, was er ist, Bach!" Reichardt r) tadelte seine
Arbeiten aus der spf teren Zeit und war der Meinung, dass
die bessere Periode seiner (vlavier-Compositionen in Berlin
abgeschlossen sei.
Indem er von Bach's (jrewinnsncht (ksiehe S. 173)
spricht, fiigt er hinzti: ??Diese Gewinnsucht erzeugte auch
manclic seiner neuen Arbeiten, in welchen er strebte, sich
den llodeformen zu nahorn, die unter seinen Handen
wieder eine ganz eigne Gestalt gewannen? welche er aber
im bessereu Gefiihl seiner inneren Werths bei der offent-
liclien Bekanntinachnng mit alter en besseren Arbeiten aus
seiner sclionsteu Berliner Epoehe zu vermisclien pflegte/'
Dass in den Arbeiten seiner letzten Jahre ein inerk-
licher Abstand gegen die Berliner Zeit lieirortrete, kann
in keinem Falle zugegeben werden. Deninach liat Rei-
chardt in diesem Punkte Unrecht. Dass Bach dem Mode-
geschmack und den Anforderungen des Publikums gern
nachgab? ist richtig. Er arbeitete nicht, wie sein Vater,
vorzugsweise zu seiner inneren Befriedigung. Ware er
dieser seiner Neigung iveniger gefolgt, man wiirde viel-
leicht nianche schwache Arbeit weniger von ihni kennen
und von den besseren wdrde Manches noch vollendeter
geworden sein. Er selbst war sich hierin vollkommen
klar. In seiner biographischen Skizze sagt er iiber diesen
Pnnkt, indern cr der Kritik vorwirft, dass sie unbarmher-
zig urtheile, ohne die Um-stande, Vorschriften und Ver-
anlassungen zu kennen? durch welche die Musikstlicke ent-
standen seien: ?7 Unter alien ineinen Arbeiten? besonders
fiir's Clavier? sind bloss einige Trios, Solos und Concerte,
i] Musik-Ateuaadi v. 17S6,
— 234 —
welche ich mit aller Freyheit und zu nieinenT eignen Ge-
brauch gemacht habe." Hieraus wiirde sich folgern lassen,
dass Bach uberhaupt nur Weniges in voller und reiner
Hingabe an die Kunst gesclirieben habe. Die genaue Prii-
fung seiner Arbeiten bestatigt dies mindestens fiir das
Clavier nicht.
Wie steht es nun mit den von ihm hinterlassenen
Clavier- Arbeiten, die bei seinemLeben nicht gedruckt
worden waren? Fetis in seiner Vorrede zu den von ihni
herausgegebenen Pianofortestiicken Bach's sagt: ,;Soixante
dhc morceaux in edits pour piano seul avaient ^te laisse
en nianuscrit par cet homme, dont 1' imagination fut infa-
tigable." Diese 70 Stuck beliauptet er selbst besessen zu
haben, die Mehrzahl ini Original. Anch Gerber1) hat
eine grosse Ansahl von Clavierstticken Bach's besessen,
die nicht herausgegeben waren. Anderes mag an Andere
gekommen sein. Jedenfalls war die wahrend seines langen
Lebens so sorgfaltig gewahrte Ordnung in seinen Musika-
lien nach dero. Tode aufgelost, deren Inhalt verstreut
worden.
Die K. Bibliothek zu Berlin besitzt von ihm folgende
noch nicht ira Druck bekannt gewordene Glavier-Ooncerte:
H-molI V4 von 1753: mit Quartett,
F-durS/i von 1755: desgl.,
G-dur^4 desgl. Concerto per il Organo,
Es-dur4/4von 1734: Leipzig, mit Quartett, ungeniein fliicfatig ge-
schrieben und voller Correcturen , im Jahre
1743 in Berlin erneuert,
D-moll % von 1748: Potsdam, mit der Bemerkung 7?tnense May"
mit 2 Floten und Quartett,
C-dur*4 von 1746: mit Quartett,
B-dur ¥4 von 1762: mit Quartett (in dem Naclilass-Katalog nicht
eingetragen),
F-dur 3/i von 1763: mit Quartett,
ferner :
Es-dur 4/4 von 1759: fur Orgel oder (Clavier mit 2 Hornern und
Quartett.
Neues Tonkiinstler-Lexicon S. 198.
Am 19. Februar 1827 noch wurden zu Altona aus der
Gahler'schen Biichersamrnlung nach dem Katalog ver-
steigert:
No. 9312: C. Ph. E. Bach, 48 Sonaten, wovon die meisten nicht
gedruckt oder ID andere Musikwerke eingeriickt sind
— geschriebea, 2 Bande.
No. 9314: Desselben kleine ungedrtickte und aus musikalischen
Journalen gesaminelte Glavierstucke, geschrieben.
No. 9323: 36 Clavier - Sonaten , die nicht offentlich ersehienen
sind, geschrieben.
No. 9327: 7 Sonaten mit 1 Viol oder Flote, geschrieben.
No. 9333—38: 87 Clavier -Sonaten, grosstentheils ungedmckt und VOB
dem Verfasser geschrieben.
Woliin diese Sachen gekonimen, ist unbekannt. Indess,
was ihr Inhalt auch gewesen sein inoge? auch ohne sie ist
gewiss, dass Emanuel Bach als Clavier -Oomponist nicht
bloss in seiner Zeit, sondern weit uber diese hinaus schopfe-
risch gestaltend gewirkt hat? und dass? was wir in der
Kunst des Olavierspiels jetzt wis.sen, iiben und geniessen,
aus jener reichen ISaat aufgesprosst ist, die er nahe an ein
halbes Jahrhundert lang ausgesttt hatte. Ist es ihm wie
Wenigen vergonnt gewesen? ein langesLeben fruchtbringend
zu gestalten, so hat er dies auch wie Wenige nutzen-
bringend gethan. Und so kann denn dieser Abschnitt nicht
besser als mit jenen Worten geschlossen werden, die ein
tiefer Verehrer des grossen lleisters wenig& Tage nach
dessen Tode in dem vollen Gefiihle des Verlustes, den die
Kunst erlitten hatte , in ein ilim damals angehoriges, jetzt
in der K. Bibliothek zu Berlin befindliehes Exemplar der
j,Wahren Art des Clavierspiels" eingeschrieben hat:
>?Am 14 December 1788 Abends tim 8 Uhr starb der
sehr beriihnite und vortreffliche Kapellmeister uncl Musik-
director, Herr Carl Philipp Emanuel Bach in Hamburg^
im 75. Jahre seines Alters. JDeutschland hat an ihm einen
der grossten Musiker und Clavierspieler verloren? und ich
sage nicht zu viel? wenn ich behaupte; dass Er wohl, in
seiner Art, der grosste Clavierspieler und der grosste Com-
ponist vor dies iBslrnment in dear Welt war. Er war <tar
— 236 -
wahre Vater aller guten Olavierspieler und hat sich durch
seinen Versuch uber die wahre Art das Clavier zu spielen
und durch seine vortrefflichen Compositionen; welches wahre
Meisterstticke sind — beaonders seine Glaviersachen, welche
gewiss so lange, wie die Welt steht, bei Kennern schon
bleiben und zu Mustern dienen konnen, — ganz unsterb-
lich geraacht. 0; welch' ein grosser Mann, welch' ein
grosser Original-Componist war der unsterbliche Bach. An
seinen Claviersachen kann man sich niclit satt spielen, und
ohne Ihn und seiner vortrefflichen Auweisung zum Clavier-
spielen, wiirden alle Clavierspieler noch irn Fins tern tappen,
denn, nur Er — hat gezeigt, wie dies Instrument init Ge-
schmack behandelt werden muss. Halle, den 7. Januar 1789.
Johann Friedrich Lebrecht Zuberbier."
So dachte Emanuel's Zeit uber ihn. Er war der
Vater ctes guten Clavierspiels.
Im Anhange 1st eine Anzahl von Brief en Ernanuel
Bach's abgedruckt, die sich auf die Herausgabe der 37So-
naten fur Kenner" beziehen und bisher nicht bekannt
gewesen sind. Einige derselben sind auch von all-
gemeinerem Interesse und werden zur notlidtirftigen
Fertigstellung des Bildes dienen , das der Verfasser von
deni zweiten Soline Sebastian Bach's zu entwerfen be-
miiht gewesen 1st.
B. Reine Instrumental- Compositionen.
Fiir die Orgel als Solo-Instrument hat Bach in Ham-
burg nicht mehr gearbeitet. Aber auch der Kreis der
librigen Instrumental-Sachen , die er dort gesetzt hat, 1st
nicht sehr umfangreich. Seine Thatigkeit nach dieser Seite
hin, trat zuriick gegen die grdssere Menge der ihn be-
schaftigenden Gesangs- Arbeit en.
Seine Instrumental-Sachen sind folgende:
17T3. 6 Sinfonien fur 2 Violinen, Viola und Bass in G-dur*4,
G-moll 3/4, C-dur s/4j A-dur */4, H-moll 4/4 und E-dur %
— 237 —
1775. 6 kleine Sonaten far 2 Homer, 2 Floten, 2 Clarinetteu und
1 Fagott.
1776. 4 Orchester-SinfonienfurQuartett, Homer, Floten und Bassons.
(gedruckt 1780.)
1780. Eine Serenade zur Feier des Ehrenmahls des Heirn Biirger-
Capitains mit 1 Tiompete, Trommel, Querpfeife, Flute und
Fagott.
1783. Desgl. urit Trompeten, Pauken, 1 Flote, Oboen und Fagott,
1786. Solo fur die Flote, G-dur3/i
Ausserdem diirften der Hamburger Periode noch an-
gehorerij ohne dass das Jahr ihrer Entstehimg bekamit 1st:
6 Marsche fiir 2 Homer, 2 Clarinetten, 2 Oboen und 1 Basson.
2 kleine Stiicke fiir 2 Homer, 2 Clarinetten und 1 Basson.
Em Orehesterstiick mit Trompeten und Pauken.
Die Mehrzahl dieser Stiicke 1st unbekaunt gebliebeiu
l^ur die Orchester-SInfonien mit 12 obligaten Stimmen
(2 Hornern, 2 Floten, 2 Oboen , 2 Violinen? 13ratsche7
Violoncell, Fagott; Flugel und Violon)r 57Sr. K. Hoheit
dem Prinzen von Preussen unterthanigst gewidniet,"
sind (Leipzig; bei Scliwickert) veroffentlicht worden. Die
Dedication an den der Musik mit besonderer Voiiiebe er-
gebenen, feingebildeten, das Cello mit Virtuositat spielenden
nachmaligen Konig Friedrich Willie 1m II. zeigt? da&s
der Kapellmeister der Prinzessin Ainalia von Preussen
seiner langen Entferntmg von Berlin und seines so g&nz-
lich veriinderten Wirkungskreises ungeachtet mit dem
dortigen musikalischen Leben und mit den in dasselbe
verfloclitenen Hofkreisen nicht ausserhalb jeder Benilirung
geblieben war? wenngleich der mit ihm zum Greise ge-
wordene grosse Konig die Kunst nicht mehr zu uben
vermoekte. Diese Orcbertersinfonien sind ileisterstiicke
ihrer Art.
Aus der alten aber vervollkommneten Form der Or-
chester-Suite hervorgegangen ? durch Verscharfung dfer
Gregensatze? so wie durch selbstiindigere Behandlung der
Blase-Instrumente gehoben? waren sie im Wesentlichen auf
die von Emartuel Bach so vielfach cultivirte dreitheiiige
Sonatenforni gebaut Den von Haydn auf die jetzige Am-
-. 238 —
dehnung gebrachten Sinfonien-Charakter batten sie noch
nicht angenommen. So waren sie im Grande von einfacher
Natur, ohne den Glanz blendender Instramentalwirkungen,
lediglioh auf den mehr oder minder tiefen Inhalt ihrer
Gedtnken und deren geschickter Verwendung gebaut.
Ihre Form ist uberall dieselbe. Doch sind sie in sich
von wesentlicher Versehiedenheit. In der Sinfonie Es-dur %
ist der erste Satz? AUegro di molto, der bedeutendste des
Tonstiicks, von feurigem Glanze:
__^_— -- i ,.,i — !—!•., )• | rrrrrr= fl? :J
-g-
Die Floten und Oboen treten in anmuthigen Solosatzen
in die lebhaften Gange der Streich-Instrumente hinein.
Ein kurzes Larghetto, nach F-moU modulirend und von
dort in die Haupttonart zuriicktretend fBhrt zu dem Alle-
gretto, das zuerst leicnt spielend, in schneller Bewegung
der Violinen, die eine Zeit lang in Vsa harpeggiren, sich
nach und nach zu glanzenden Tonmassen aufbaut.
In diesen Umrissen erkennt man hier7 wie in den anderen
Sinfonien die Formen wieder, die der Zeitgeschmack
liebte? den Eingangssatz, einen Mittelsafcz von ahnlichem
Charakter iind die Wiederholung des ersten Satzes, mit
gegen den Schluss bin veranderter Modulation.
Die schwache Seite dieser und der anderen Sinfonien
liegt in der einformig trocknen Behandlung der Basse, die
— 239
sich nur selten zu besonderer Eigenthumliehkeit erheben.
Man wird dadurch daran erinnert, dass Bach? der ja doch
jeder contrapunktischen Aufgabe wie Wenige vor und nach
ihm gewachsen war? in Bezug anf die individuelle Be-
nutzung der einzelnen Instrumente und auf die Art? diese
zur Wirkung zu bringen, gegen seines Vaters Arbeiten
offenbar im Riickschritt begriffen gewesen ist.
Die Sinfonie in F-dur 4/i beginnt mit eineni ernsten
sehr bewegten Motive ? das sich in alle Htimmen verthellt,
. di motto.
J3.MO. ai mUUO. •^MMM^ f^f~~^ —MMMMM
" j-U-t- « '~-l i 'I'1 •!—-}— f—^H~H — { — i — i m^- 1 1— < — i — i a ,-a
aJ^?=p=g=p==
' '~ '•'"• ~ • .... f '
mit grosser Feinheit und Freiheit dureligefiihrt Ist? von
eineni reizenden Zwischensatz der Violinen (spater der
Oboen und Flote)
Viol. 1.
^m—f—t^1—^1—^ — / —
— y-t-m — ,
— *-t~l — '
J Viol. 2.
^
— 240 —
imterbrochen, am Schluss plotzlich im fortissimo abbricnt
und dann in den Solo -Instrument en des Streich-Quartetta
xnit dem Fliigel in einer eben so fein gewahlten als eigen-
thfimliclien Harmonienfolge
1. tu 2. Viol- {£oto.
Viola Solo.
I feiH^EE^^fe^^P^
• tr Vt^ pp.
Cello tasto solo.
Cello tasto soio. y>t>» x^^x x- — 77^ « z_ ^
leise verhallt.
DerzweiteSatz, Larghetto, fangt zweistimmig im Tutti
der Bratschen und CelU (ohne Fliigel) mit einem 8 Takte
langen graziosen Thema an; das yon den anderen Instru-
menten und dem Fagott aufgenommen wird, walirend die
Violinen sich dem Gregenmotive der Basse anschliessen, und
dann sich im zweiten Duo mit diesen begegnen, das in
gleicher Weise von dem Orchester wiederholt wird; ein
hocnst eigentMmlicher Satz von elegiseher Farbe und
reizender Tonwirkung. Das Presto bildet einen tanzartig
geformten lebhaften Gegensatz?
— 241 —
^3^r- -m— — -£- * ^ — o -I-- »- — -I-—- 'v~ •• — — *j
der kurz und knapp in fester Gliederung schliesst.
Die Binfonie in D-dur baut sicli im ersten Satze
aus feurigen und zarten Gegensatzen zu eineni herrlichen
polyphonen Tongebilde auf. Die Violinen sind concertirend
behandelt? die Floten und Oboen tragen hie und da sanfte
Zwischennaotive hinein. Der ganze Satz, breiter angelegt
und durchgefiihrt als die iibrigen Eingange der Baeh'schen
Sinfonien; bricht, wie der Eingangssatz der F-dur-Sinfonie
plotzlich ab? uni im pianissimo nach Es-dur modulirend zu
schliessen, Ihm folgt ein Largo in einer reinen? klar aus-
tonenden, durchweg von den Solo -instrument en (ohne
Oboen) getragenen Melodie:
Bitter,
a»4
16
_ 242 —
Von der Bratsche und dem Cello, durch die Floten in der
Octave verstarkt, begonnen und voll ungemein siisser
Empnndung, steigert sich der ruhige Gang des Gesanges in
den letzten Takten zu schinerzlicher Erregung, urn nach
E-dnr modulirend in ein Presto (% D-dur) iiberzugehen?
das in spielender Leichtigkeit und in graziosen Wendungen
schnell verlauft.
Die Sinfonie in Gr-dur beginnt -mit einem feurigen
Satze, dessen lebhaft bewegte Violinen-Passagen durch
die Solosatze der Floten und Oboen in anregender Weise
durchbrochen werden. Das Andante in G-naoll; wesentlich
von den Streich-Instrumenten vorgetragen (oline Oboen;
Homer xind Fagott) hat einen weichen melodischen Fluss?
der durcb. ernste Zwischensatze belebtr sich zu tragischer
Empfindung erhebt und in den letzten Takten -von dieser
zariickweichend, zu dem Presto (G-dur fi/8) uberleitet, mit
dem die Sinfonie in heiter spielender Weise schliesst.
Diesen 4 Sinfonien gegeniiber ist es vor Allem zu
bedauern, dass die dem Jahre 1773 angehorigen 6 Orchester-
Sinfonien nicht bekannt geworden sind. Bach hatte diese
fur den oftgenannten Baron van Swioten componirt. Bei
der Abfassung derselben sollte er sicli, wie Reichar dt; der
damals in Hamburg war, erziihlt, nach des Bestellers Wunsch
ganz gehen lasson, ohne auf irgend welche Schwierigkeiten
hinsichts der Ausftlhrung Rlicksicht zu nehmen1). Diese
Siufooien Avm-den? ehe Bach sie abschickte, im Hause des
Professor Busch2) probirl Reichar dt berichtet dariiber,
dass man mit Entziicken den originellen kiihnen Gang der
Ideen und die grosse Mannigfaltigkeit und Neuheit in den
1) Allgem. Leipz. Mus Zeitung. 1814. Jahrg. &
2) Busch ^ar ein grosser Mathematiker tind Director der Hand-
lungs -Akadernie, ein Freund K lop stack's. Er geh&rte zu den an-
gesehensten Mannern Hainburgs (t 1800), denen die damalige Gene-
ration zu hochstem Danke verpflichtet war. Sein Bildniss befindet
sieh in dem Werke: Hainburgs denkwiirdige Manner, ia dem
sich auch die Bilder von Cl Pit. EL Bach und von Ebeling, nicht
aber das von Telemann befinden,
— 243 —
Fcrrnen und Ausweichungen gehort habe. ,,Schwerlich ist
je elne musikalische Composition YOU hoherem, beckerem,
luimoriatiseherem Oharakter einer geuialeren Seele ent-
stromt." Die Partitur derselben wird in dem v. fchvieten'-
bdien Nachlass befindlich gewesen sein. Wohin mag sie
alsdaun gekommen soin?
Bach's Amt in Hamburg war em we,<entlich kireh-
liches. Er war Musik-Director an den fiinf Hatipt-Kirehen
der Stadt mid hatte in dicsen die Sonntag^- und Fest-
Musiken zu dirigiren. Es war daher Tiatiirlicli, class er
bald nach seinem Amtsautritt daselbst auf das von ihm
sehon in Berlin be<chrittene Feld der
C. Kirchen-Musiken
zurucktrat, deiu er sieh nun mit erbohter Thatigkeit zu-
wendete.
Weiiii man die wahrlich uieht geringe Zahl seiner
Kirchenstiicke betraehtet; dann drangt r^ich unwillkiirlich
die Ueberzeugung airf? dass man ihm, wie Groses und
Schone,s er auch auf anderen Grebieten seiner Kunst ge-
dehaffen haben inoge? doch hier in der ihni eigensten
Sphare seiner Lebenstliatigkeit begegnen miisse. Als er
in Berlin sein Magnificat schrieb; war er 35 Jahre alt
Erst 7 Jahre spater war, wiederum vereinzelt, die Oster-
Musik entstanden. Dies und die unbekannt gebliebene
Trainings - Cantate war Alles, was Bach bL zu seinem
53. Lebensjahre an Kircheu-Musiken geschaffen hatte, aller
dings in ciner Dienststellung, welche der Arbeit auf diesem
Felde wenig giinstig war. In Hamburg Snderte sieli dies
IB enigegengesetzter Weise, denn die Kirchenmu^ik war von
mm ab in den Vordergrund seiner Lebens-Aufgaben ge~
treten. Fur sie zu schaffen und zu wirken war sein Bernf
gewordea, tiad er hat e^ an Erasigkeit und Fleiss darra
nicht fehldn Ismen,
16*
„ 944 —
~ M -i. J-
Voin Jahre 1768 ab sind dort nicht weniger als
21 Passions -Musiken,
23 Prediger - Einf iihrungs - Musiken (Cantaten),
6 Oster- Musiken (1771, 1778, 1781, 1782, 1786 mid 1787),
1 Pfingst-Musik j ohne jalireszahJ,
1 ordinaire Kirchen- Musi k >
6 Michaelis-Musiken (1771, 1774, 1775, 1781, 1785),
8 kleinere Kirchen -Musiken, auf den 16. Sonntag nach Tiin.
1774, 10. Sonntag nach Trin, 1775, 18. Sonntag nach Trin.
1779, 10. Sonntag nach Trin. 1786, 12, Sonntag nach Trin.
1786, Misericordias Dom. 1780, Maria Heimsuchung 1786,
Dankfesi fur den Michaelisthurm 1786,
4 Weihnachts- Musiken (1775, 1782, 1784, 3786),
12 Kirchen -Chore.
Mein Heiland, meine Zuversicht 1771,
Wer ist so wltrdig wie Du 1774,
Zeige Du mir Deine Wege 1777,
Heilig 1778,
Gott, deni ich lebe, dess ich bin 1780,
Amen, Lob, Preis und Starke 1783,
Leite mich nach Deinem Willen dgl.,
Meine Lebenszeit verstreicht dgl.,
Meinen Leib wird man begraben dgl.,
Worn der Erde Grande beben , ohne ZeitbestimmuBg)
Erforsche rnich, erfahre, '
Oft klagt mein Herz, wie schwer es sei 1786,
2 harinonisirte Litaneien fiir 2 Chore
und endlich aus deniselben Jahre.
Neue Choral-Melodien zum Hanaburgischen Gesangbuch,
entstanden.
Ausser dieser grossen Zahl von Kirchenwerken geben
die Katalog-e aus der Zeit nach dem Tode Bach's noch
folgende Arbeiten, als von ihm herriihrend an:
Ein einchoriges Heilig, mit Trompeten, Pauken und Oboen,
Sanctus, mit Trompeten, Pauken und Oboen,
Veni sancte spiritus, mit Trompeten, Pauken und Hornern,
Antiphonia fiir 4 Singstimmen,
Amen file 4 Singstimmen,
Motette: Yeni,
desgL Gedanke der uns Leben giebt,
desgl. Oft klagt dein Herz,
desgl. Gott Deine Giite reicht so weit,
desgl. Dich bet' ich an.
desgl. Wirf dein Anliegen auf den Herru. Umarbeitung
der Motette eines Fremden,
— 245 —
Cantate am 30. Sonntage nach Trinit: Herr, Deine Augen
sehen nach deni Glauben, zuin Theil von Seb. Baeh
(unter dessen Tautaten rait aufgeflihrt*.
Nach dem ab.soluten wie deni relativen Werthe dieser
nicbt geringen Zahl von Arbeiten 1st di<; kiinstlerische
Stelhmg z-u bernesseri, welelie die Nach welt Einanuel
Bach als kirchlichem Tonsetzer zuerkenneii darf. Die
Priifung derselben wird inancherlei bedenkliche Seiteu zur
Erscheinung bringen. We mi e# auch scliwer genug ibt
den vSohn YOU den Antecedentlen de,i Vaters und .seiner
tibrigen riiliinlioheu Vorfahren zu trennen, ^u wird roan
doeh auch nicht uiuhin konnen, des Fortschritts zu ge-
denken, den eine namhafte Entwicklungs - Period^ der
kirchlichen Muaik, getragen durch Manner wie Sebastian
Bach,, Handel, Teleniann, Grauii, fiir die Kunst noth-
wendiger Weise hatte niit «ich fiihren miissen. Man wird
auch nicht ausser Acht lassen durfen, dass die Lsolirung,
in der die Musik sich zur Bluthezeit jener Manner inner-
halb der deutschen Lande befmideu hatte, nicht mehr be-
standj da.«.s Literatur und Poesie? die in der ersten flalfte
des Jahrhunderts nur diirftig zu sprossen begannen? nun-
inehr nicht bloss kriiftige Bliithen trieben? sondem dass
der Meister ani Ende seiner Lebenszeit schon deren reife
Frucht erblicken durfte.
Die Periode der alten Schule der deutschen (Jontra-
puuktisten war abgelaufen. Jener fromme religiose Sinn,
der uin der Lehre Christ! willen, mit deni Geringsten
zufrieden das das aussere Leben darbot? nur thktig war.
nm den Grotte.sdien.st in wiirdigster Weise zu schraiicken
imd zu verschunen 7 hatte an seiner urspriinglichen
EeiBheii^ Naivitat und Glaubenastarke erheblicbe Einbu^e
erlitten; Haus und Heerd waren nicht mehr die alleinigen
Trager der btirgerlichen Tugenden geblieben. Der Fiiigel-
.schlag einer neuen Zeit hatte zu rauschen begonnen. Wie
sch5n uiid ehrsrardig das Alte gewesen w^r, es wich vor
ihm zuriick uiid stfeste alimalig in Trimmer
, , 246
Emanuel Bach, der aus jener alten Schule, der
kiinstlerischen wie der btirgerlichen hervorgegangen war,
hatte zu lange am Hofe Friedricli des Gross en gelebt,
gerade wahrend der Zeit, als dessert Geist die leuchtendsten
Ftinken sprtihte, als Aufklarung und Gedankenfreiheit sich
in ihru zu verkorpern begonnen batten ; zur Zeit seines
hoehsten Eulimes, als dass nicht auch in ihin neue Ideen,
neue Ueberzeugungen und Hoffnungen batten Wurzel
sehlagen solleu. In seine letzten Lebensjahre liinein aber
tonten die Donner der franzosiseken Revolution, die den
Uuasturz der alien Verhaltnisse vorzubereiten begannen.
Sein Freund Klopstock hatte (1787) in einer Ode der
jenseit des Rheins >sich bildenden neueii Weltanschauung
lobpreisende Hyinnen gesungen. Konnte unter diesen Ver-
haltnissen Emanuel Bach denken und schreiben wie seine
VoVganger gedacht und geschrieben hat ten? Konnte in
ikna jener kirchlich frorarne Sinn der Vater fortwirken,
der ihrer Zeit 550 eigenthiinilich edle Werke hatte entstehen
lassen? Dnd konnte er das Herrliche und Schone, das sie
geschaffen, uubekiimraert urn die neue Zeit, die ihn umgab
und auf ihn \virkte, fortfiihren?
Eine weitere Frage ist die, ob Bach in der Kirchen-
musik, andertjn Bahnen folgend als die Vorzeit, diejenige
Stellung eingenoinmen habe, die er nach seinen eminenten
Gabon und uac*h seinein gritndlichen und allseitigeii Wissen
hatte einnehmen miissen?
Es ist bereits erwahnt, das« seine rnusikalische Natur
auf einer lyrischen Grundstinirnung beruhte. Er hatte
darin eine iiicht geringe Aehnlichkeit rnit Klopstock,
seinem beriihrnten Zeitgenossen und Freunde. Der Ver-
fasser der Messiade und der deutschen Gelehrtenrepublik,
der Herrmannsdramen, des Salorno und der Oden, war
nur in den letzteren, d. h. als Lyriker, zugleich auch
Dichter, Dichter in wirklich lioherem Simie. Vielleicht hat
dieser typische Grundzug beider Naturen diese ausgezeich-
neten Manner einander naher gefuhrt und nahe erhalten.
— 247 —
Aus der lyrischen Natur Baeh'»s folgte, das-? er das
wesentlich entscheidende Moment auch fur seine Kirchen-
inusik in der Melodie, d. h. im Einzelngesange stichte.
So gross und bedeutend er als Hai*moniker war, so tindet
man dock in seinen Arbeiteu fur die Kircbe die Harmonic
fast uur als Mittel verwendet, um die Melodie zur Geltuiig
zu bringen. Nur selten ergriff ihn hier die Lust, sich
dariiber hinaus in contrapunktiscbe Aufgaben zu vertiefeu,
bei denen sie in die zweite Linie trat. Seine Melodie war
aber nicht jene strange crnste Melodie der Viiter. Es war
auch nicht die weich geforinte und doch so edle innige
Melodie, welche die Kirchenwerke Graun's auszeiclmet.
Nein, es war die Melodie der Oper und des Liedes, die
er in die Kirclie eiiaziifiihren bestrebt war. So Herrliches
iind Grosses er in der figurirten Musik7 in dem Btrengen
Styl der alteu Scliule geschaffen hat? so waren es doch
gerade seine Kirehennrusiken , in denen er, obschon hier
sein Wissen und Konnen so sehr hatte zur Geltung kommen
sollen, sich mehr und mehr von dern strengen Satze ab-
wendete? der bis dahin der herrschende gewesen war. Er
verliess den polyphonen Styl und schuf die Mehrzahl seiner
kirchliehen Arbeiten in einer melodisch rhythmischen Ho-
mophonie, die ftir diesen Zweig der Kunst ein Neues war.
Diese Modification wiirde an sich einen Tadel in keiner
Weise begriinden konnen. Denn der poiyphone Styl be-
stand nicht um seiner selbst willen? und wurde nicht des-
halb geschatzt. weil es der poiyphone Styl war? sondern
weil er tiefe? edle, ernste ^irkungen erzeugt hatte, weil
sein Charakter unmittelbar in dem religiosen Ideenkreise
wurzelte, dem die Musik der protestantischen Kirche ihre
Erfolge und ihre Verbreitung verdankte. Konnten dies©
Wirkungen auf anderem Wege erreicht, der Charakter m
eiBem neiien Ausdruck gebracht werden, wer ware be-
rechtigi gwese% dagegen Einspruch zu erheben?
Aber maa fe^^^et hier einer Erscheinung,
Herr zu
_ 248 —
Studium und nicbt geringe personliche Ueberwindung ge-
kostet hat.
Wie es keineswegs ^in blosser Zufall war, dass die
Musik der evangelischen Kirche in Deutschland sieh so
gestaltet hatte, wie sie ini Laufe des vorigen Jahrhunderts;
gestaltet war, und wie es auch keineswegs als eine bloss
zufallige Erscheinung betrachtet werden darf, dass sie bei
dem Eintritt jener grossen Musikperiode, die das Ende
dieses Jahrhunderts heraufluhrte, im Wesentlichen dieselbe
blieb und auch bis jetzt geblieben ist: so war es auch
kein Zufall, sender n eine innere Nothwendigkeit, daws
Emanuel Bach andre Wege beschritt als seine Vorganger.
Fur ihn war die Kirchenmusik eine Pflichterfiillung, der
er gewissenhaft oblag, indein er coniponirte, einstudirte ,
dirigirte. Er hat es an nichts von allem dem fehlen lassen,
was die in der Kirche versammelte Gemeinde von dem
Ritus des tfottesdienstes und der liergebrachten Aus-
schmiickung desselben durch die Musik in Anspruch zu
nehmen hatte. Aber seine ktinstlerische Neigung folgte
anderen Bahnen. Fehlte es ihm fur das Schaffen wirk-
licher Kirchenmusiken an dem Ernst, den die Aufgabe er-
fordert hatte? Besass er die Tiefe und Hingebung nicht^
die der kirchliche Dienst verlangen durfte? Hielt er die
kimstlerische Durcharbeitung, zu der er sich hatte ver-
pflichtet erachten miissen, fiir kein Grebot der Jsfothwendig-
keit? Giaubte er, mit einfacheren geringeren Mitteln
dieselbe Wirkung erreichen zu konnen, welche die ernste
Arbeit herbeigeliihrt haben wtirde? Oder war es ihm, der
in alien seinen ktastlerischen Bestrebungen ein so grosses
Gewicht auf die Stimme des Publikums, auf den besonderen
Erfolg des Augenblicks legte, nur daruni zu thun, diesen
zu gewinnen?
Seine Kirchenstticke, die auf alle diese Fragen Antwort
zu geben haben, machen in der gros-sen Mehrzahl den Ein-
druck, fils ob sie fiir ein nur oberfiachlich auiBfassendes
Publikum fllichtig und schnell hingeworfen seien. Es darf
— 249 —
in dieser Beziehung wohl auf seine 21 Passions -Musiken
verwiesen werden. Wenn irgendwo, so waren hier Ernst
und Tiefe in Auffassung und Durchfuhrung an ihrer Stelle
gewesen. Man findet dessen aber nur wenig darin. Auch
die zahlreichen Einfuhrungs-Musiken fur Prcdiger, welche
doch als nichts anderes denn nls eine Art ausgedehnter
Kircheri-Cantaten betrachtet werden konnen, stehen auf
eiuem ahnlicken Standpurikt.
So viel Schones im Uebrigen in seiner* einzelnen
Kirchen-Choren lag, em Ganzes tind Beiriedigendes hat er
nur in dem iiberaiw grosnartigen ,?Heilig*; gegeben. Alleb
Andere war Stuck werk, Einzelheit, bestiniint? hie uud da
einem Conglomerat ver,schiedener Musikstiicke, welche zum
Theil von verscliiedenen Torisetzern heiTiihrten, fiir irgend
einen kirchlichen Zweek einverleibt 55 u werden.
Wie in der Behaudlung des ALIgemeinen ? ao findet
man ancli im Einzelnen den gleichen Mangel an trrnsrera
Schaffen wieder. Xicht alleiii der Styl im Grossen und
Ganzen ist e.s? der sich von dem kirchlichen Wrundtoii, den
er erfordert hatte, eutfenit. Auch die Einzelheiten ? auf
denen er beniht? bezeugen eine gewisse Oberflachlichkeitj
eine Art von Schenaatismtte, die sich mit dem Ernst und
der Tiefe* kirchlicher Gedanken und Stimtnangen nicht
vertragt,
Da« Orchester in Bach's Kirehensachen ist diirt'tig.
Zu eigentlichen Orchester-Siufumen oder Ouverturen,
wie wir sie bei Sebastian Bach und Hand el so uft finden,
und wie sie auch E'riedemann Bach melirfaeh gesetzt
hat? versteigt er sich nicht.
An gewissen Aeusserlichkeitea lEsst er es nieht fehlen.
Die Tronipeten und Paukeii werden nicht geschont. Ihre
Verwendnng Iiort gewissermas^^ii atif, Jlittel zu sein? und
wird Selbstzweck. Die Minik mit dem Musseren L&rm und
Glanz, den die^e Instrumente herbeifuhren? wurde freilieh
von der Kircheu-Gemeinde verlarigt Selbst bei A^sr Eiti-
fuhrung von Leiefctan-GeHchwornen durften Trompelea
— 250 —
Pauken niclit feklen. Man liest in den damaligen Blattern
beispielsweise als offentlicLe Ankiindigungen1): ,?Arabevor-
stehenden 25. iSonntage nacli Trinitatis wird zu St. Catha-
linen wegen Eiafu'hruiig eines Leichnams-Geschwornen die
Musik? «tatt YorniittagBj, des Naehmittags init Pauken
uud Trompeten und voller Besetzung aller Instrumente
aufgefunrt werden." Und fern or: „ Am inorgenden Neujahrs-
tage (1769) wie aucli heut in der Vesper wird von dem
Herrn Kapellmeister Bach in der St Catharmen-Kirche eine
vortreffliciie Musik unter Pauken und Trompeten aufge-
fiiln't werden. Der Text dazu etc." Konnte und durfte
aber diese kasserliclie Richtung dazu fiiliren7 den der Kunst
geweihten Tlieil de> Gottesdienstes nur als etwas rein
Aeu,s«erliches zu beiiandeln? War en die Kirchen-Gemeinden
Hamburg^ deren rnu«ikalisehe Fiihriing so lange in Tele-
manu\s Handeii gelegen hatte, so entartet, dass sie bei
dem Vorhandensein zureiclieiider ausserer Mittel iiicht
der Fortbildang? der Erliebung zu einem hoheren Grade
von Auffassung fahig gewesen warenV Wenn man sieht,
dass clieselben, luxi vor und nacli der Friih-Predigt ein
Passioiis-Oratorium zu iioren? des Morgens schon uin 7 TJbr
zur Kirche wanderu, «o 1st die>s billig zu bezweifeln2).
Auch weiss man ja, dass Telemann dureh seinen ?Jhar-
.moniscken Gottesdienst^ (Hamburg, 1725) in ernsterer Weise
1) HamlD. Unpaith. Correbpondent. 1768, No. 183 u. 210.
Audi die Gemeinniitzigen Hamburger Anzeigenvon 1777. Stk. 13.
enthalten eine aimliche Nackricht fiir das Pul)likum.
vAm 1. Februar ist zu St. Nicolai Musikalische Vesper, und den
Tag darauf Yormittag Musik daselbst. Naehmittags aber wird zu
St. Catharinen bei voller Musik mit Trompeten und Pauken in einem
anderen Stiicke der neu envahlte Herr Leichen-Geschworne einge-
fnbrt"
2) Hamb. Unpartb, Correspondent, 1771. No. 44 ,,Arn nachst-
konimenden Freitag, als den 28. Marz wird da.s Passions - Oratorium :
,,Seeliges Erwagen" betitelt, in der heiL Geist-Kirche, in voller Musik,
vor und nach der Predigt aufgefiihrt werden. Der Anfang ist des
Morgens 7 Uhr. - ,
— 251 —
zu wirken bemiiht gewesen war, und dass er? ein Contra-
punktist ersten Ranges und dazu ein wie Wenige frucht-
barer Tonsetzer, eiue grosse Menge vortrefflicher Arbeiten
ffir die dortigen Kirchen geschrieben hat. Diese haben
sich noch wahrend der Zeit Bach's dort erhalten und siiid
inehrfach YOU diesera aufgefuhrt worden1). Sie waren in
der Weise der Kirchenmusiken der alten Schule gesetzt
und Yerlatigneten den polyphonen Styl nicht. Ihre? so wie
die wiederholte Auffiihrung von Cantaten Wilhelm Frie-
demann's und des alten G-rossohenn.s Johann Christoph
Bach; des gros,sen Contrapunktisten aus Eisenach, in den
Kirehen Hamburg^ zeigt? da.ss dort aueh die ernste Ricli-
tung in der Kunst nicht ohne Anklang geblieben war, und
dass Bach dies wohl zn echatzen wusste.
*) Dip in der K. BibJiothek zu Berlin befindlichen Originalien
einer grossen Zalil von Kirchen-Cantaten aus der Feder Telemann's
sind vielfach mit eigenhandigen Bemerkungen und Aufschriften YOU
G. Ph. E. Bach Yersehfii. imd zw<u- in Stimmen und Partitur. Daraus
ergiebt sich, das^ sie YOU ihm aufgefiihrt wordon sind. Unter ihiien
befindet sich, was dev Merkwiirdigkeit wegen hier mitgetheilt werden
raagT eine Captate .,Aufs Bankfest wegen des Sieges bei
Lowositz, den 1. Febr. 1756.'* ,,Auch wegen des Sieges bei
Freiberg, p. Tr. Dom. XXII. 1762'* woruns mch ergiebt, in wie
hoheni Grade das Hamburg des Yorigen Jahrlnioderts den grossen
Konig YOU Preussen und seine Siege feierte und Yerehrte. Diese
Cantate enthiilt einen im polyphonen Btyl geuetzten Chor mit Fuge:
Hallelujali, Arnen, in welchen niit dem Geschnietter der Trompeten
imd Pauken der Satz: Alles was Odera hat, lobe den Herrn!
eingeflochten ist, ferner drei Chorale, ein Duett imd zwei Arien. Sie
ist, abgesehen Yon ihrer musikalischen Bedeutung ein werthYoller
faistorischer Beitrag zur Bemiheilung der Geschiebte Friedrieh's
dts Grossen.
Telemann'js Kirchen-Cantaten enthielten nieist einen im polj-
phonen Styl gesetzten Chor, eine oder zwei Arien roit dazu gehorigen
Recitativen und einen im einfncb 4-stimmigen Satze geschriebenen
Choral
Bein ,,hanflonis ch e r Gottosdienst** (Hani burg, 1725) dagegra
enthalt nur Cufltatan ohne Choral und Chor, aas Eecitativ@n und
Arien bestehead, die Sbar be^ifferten Bass »^d mit BegleitiEHg YOU
einem oder zwei In^mmeaten geaefet
— 252 ~~
Man findet auf der auderen Seite, dass fur die Kirchen-
inusikeii liberLaupt ein lebhaftes Interesse vorwaltete. Nicht
bloss die Iminerhin ziemlich bedeutenden Mittel, welche
die Stadt hierauf verwendete and welche ersl nach Bach's
Tode ciner Einschrankung untcrworfen warden, deuten
darauf Lin. E* ergiebt sich dies auch aus der Aufmerk-
samkeit? init der man von vornherein Bach's Musikauf-
fuhruugen gefolgt ist1). ??Da Herr Kapellmeister Bach sdu
Hamburgische* Musik-Directorat auf Ostern des verwichenen
1768. Jahre^ angctreten hat? so dient den llusikliebhabern
Mem it ziir Nacliriclit, das& nunniehro von da bis hieher
ein complettsr Jalirgang der Texte zur Musik, welche in
dieser Zeit von gedaehteiti Iltrrn Kapellmeister in hiesigen
flauptkirchen aufgefuLret worden. bei Herrn Gruud ani
Fisclimarkt fur 1 Mark 8 Schilling mi haben sind." Konnte
eine >solcli« Sainmlung von blo.^en Toxten far erforderlieh
erachtet worden seiu; wenn nicht das Interest an der Musik
ein verhidtnirfaina&sig lebhaftes gewe^en ware?
Nun siiid zwar Aeujsserungen von Bach wie von Bxirney
bekannt, welche darauf sehliessen lassen? dass das Hamburger
Publikum keinc .sondorliche Neigung fiir tiefe und ernste
Musik gehabt habe, und dass sich Bach seibst scharnte.
einem Fremden wie Burney so wenig Vorziigliehe* bieten
zu konnen, Auch sagt Reichardt-) liber die zur Aus-
fithrung von Musikeu vorhandenen Mittel: 7?Die Ripienisten
sind hier grosstentheils schlecht und die Sanger elendj"
eine Bebbachtung } die Buruey bestatigt, indem er be-
merkt3]: ,.Nach diesem Besuche brachte rnich zwar Bach
uach der Catharinen-Kirche, woselbst ich eine schdne Musik
von seiner Composition horte, die aber fiir die grosse Kirche
zu schwach besetzt war und die auch von der Versarnrnlung
zu unaufinerknam augehort wurde." Aber konnte dies nicht
Harnb. Unparth. Correspondent. 1769. 48.
Briefe eines aufmerks, Reiseadeu. Th. II. S 40.
Reise. Th. JJL S. 191.
— 253 —
grade ein Zeichen sein, dass die Mnsik selbst nicht anregeud
genug fiir die Versaniinluug gewesen ware? Jedenfalta
konnte in der Schwaehe der Ripiemsteu , in dor elendeu
Beschaffenheit der Hanger und in der nicht geiuigendeii
Besetzung des (Jhors kem Grand Iiegen3 grade somsehreiben,
wie Bach seine Kircheninusiken geschrieben hat. Das
Publikurn wird in der gro&sen Mehrzahl steis geneigt .soiu,
die sinnliche Riehtung der Kimst dem Emste und der Tiefe
derselben vurzuziehen. Die Aufgabe de^ schafFenden wie
des darstellenden Klliistlei's i-st e«, deni Horerkreise nicht in
jener falsehen Richtung zu folgen; sondern ihn zu den
edleren Aufgaben? \relche die Kxin^t KM losen hat? her-
iiberzuziehen.
Wenn man von dieser allgemeinen Betraehtung au»
auf die Instrumental- Verwendung znriickkommt ? wie man
sie bei Emanuel Bach findet? so clarfman den Fortsehritt
nicht imbeachtet lassen, der grade nach dieser Seite der
Kirchenmusik bin dureh Sebastian Bach bewirkt wordeit
war, Dieser grusse Tonsetzer liatte, im Gegensatz zu der
bis dahin gebrauchlicheu 8chi%eibart? dem Orchestor eirie
selbstlindigere Haltnng gegeberi? in ihni die einzehien In-
strumente gleichsam njitsprcchcn lassen. Er hatte dadureh
seinen Tonsiitzen ehien besonderen Relz und eine Tiefe
aufzupriigen ^ewu^t, die man bis dahin nicht zn ahnen
ini Stande gewosen war, Aber nicht alluin in dieter
sondern auch in der ^inureiohen Verwendung der einzehien
Instrunicate , ihrer concertirenden Behaiidluug und der
eharakteristischen Wirkung, die er durch ihre Verbiadung
init der Gresaiig<stimme herbeizufuhren suchte, dutch das
eigenthiimliche Colorit, welches er dadureh dein Muaikstiick
aufprligte? hatte er sich auf deu Standpunkt eines Regene-
rators der instmuieutalen Kuust ge^tellt. HitndeL wie-
- wohl weniger erKchopi*end? arbeitete doch sein Orchester
in dem Binne volktandiger Selbstandigkeit. In aeinen Ge-
sangswerken? so wohl for den Solo-Gesang als fur den Gh0r?
war die GesammtwirkuBg? die imponirende Grfese des dm
einzelnen Satze beherrschenden Gedankens das Wesentliche,
Im Festhalten dieser Forderung, in volliger Einheit mit
dem Inhalt des Stiicks war sein Orchester behandelt. Kraft
und Kuihnheit des Ausdrucks standen ihm wie Sebastian
Bach fiber der Siisse der Empfindung and uber dem sinn-
lichen Behagen an der Schonheit des Wohlklangs. Bei
beiden wurde es schwer geworden" sein , den Gesang von
der Begleitung unabhangig zu denken, oder umgekehrt.
Nach dieser Seite hin hatte Emanu el Bach's Aufent-
halt in Berlin eine Wandlung herbcigefuhrt. Der erste
Cembalist seiner Zeit hatte zu lange der Uebimg der general-
bassmassigen Flotenbegleitung Friedrich's des Grossen
obliegen miissen, um nicht den Gang der Melodie und der
concertirenden Hauptstiininc, mochtc dies nun die Flote
oder der Gesang sein, als das Wesentliche des musikalischen
Ausdrucks betrachten gelernt zu haben. Aus dem Concert-
Salon und von der Opernbuhne her drangte sich ihm dieselbe
Erscheinung entgegen. Er hatte sich daran gewohnt, in
der Begleitung der leitenden Cantilene nicht etwa ein gleich-
massig wirkendes, sondern ein mehr oder weniger dienendes
Element zu erkennen. Und so kam es auch, dass er, ohne
den Fortschritt seiner grossen Vorganger zu beachten? das
Orchester in der friiher hergebrachten und in der Oper
eingebtirgerten Weise lediglich als Begleitungsform ver-
wendet hat. Wohl fuhrte ihn sein reicher, dem Fortschritt
zustrebender Geist hie und da fiber die engen Grenzen
dieser Behandlungsweise hinweg. Auch in der gewohnlichen
Anwendung der Instrumente sind nicht selten ein gewisser
Glanz, Weichheit und Fulle des harmonischen Eindrucks,
Zuge der feinsten orchestralen Combination bemerkbar. Im
Grossen und Ganzen aber ist nicht zu verkennen, dass
Emanuel Bach, der mit seinexi bedeutenden Gaben und
nach der ausserordentlichen Schule, die ihm zu Theil ge-
worden war, so wie nach der besonderen Richtung seines
Geistes, wie Wenige berufen gewesen ware, auch fur die
Orchester-Musik das so nothwendige Zwischenglied zwisehen
— 255 —
der alten und der neueren Kunstschule, die sicii vomibe-
reiten begann, zu bllden? diese Aufgabe nicht erfiillt haf
So bedeutend er nach vielen Eichtungen bin dasteht, so
hat er grade in dem wichtigsten Punkte der modernen
Kunstentwiekelung, in der Orcliesterbehandlung, insbe-
sondere in der Verwendung der Instruniente zu dem Oresange,
so wenig geleistet? dass man den von ihm bowirkten Fort-
schritt nur fur unerheblieh erachten kana.
Aehnliches ist von ihm in Bezug auf die Behaudluiig
der Arie zu sagen. Sebastian Bach und Handel hatten
ihrerseits wohl an der alten? von Scarlatti hemihrenden
dreitheiligen Form festgehalten, Aber ihre Arien? so sehr
sie hie und da veraltet erscheinen mogen? waren doch nicht
bloss formell gegliederte Gesang^tiicke, sondern ihrem
geistigen Inhalt nach mit den Werken; deneu sie ange-
horten, eng verwachsen. Bach, derVater, hat auch keinen
Augenblick geschwankt7 iiberall, wo er df»m Zuhorer mit
noch grosserer Unmittelbarkcit naher zu treten gewillt war,
sich seine eigne Form zu schaffen, wie er sie dem beab-
sichtigten Ausdrucke am angemessensten fand.
Auch Handel ging yon der alien Form mit kuhnetu
Geiste oft genug ab? oder legte doch in besonders hervor-
tretenden Fallen in den G-esang so ww In die iiberall bei
ihm hochst charakteristische Regleitung eine Kraft und
Fiille des Ausdrucks? welche die schablonenmas^ige Forni?
wo diese beibehalten war, loiclit \ ergessen liess.
Bei Grraun finden wir dies nicht. Aber seine Arien
siad Meistei'stiicke, theils von fliesstrnd sangharer Meloclie,
theils von schwungvoller Pracht.
Emanu el Bach's Arien dagegen sind die Stief kinder
seiner Muse. So vielen Rauiu or ihnen widmet, so zart
und gesangvoll mitunter die Melodie? so gliickllch die Mo-
dulatioB? hie und da selbst die orchestralen Effecte sind? so
erkennt man doch in ihrer sich fast immer wiederholenden
gleichmamgen Darstellungsweise, in der vorherrschenden
Interesselosigkeifc d^r Gtedjoiken and in dem
— 256 —
stereotypen Charakter ihrer Begleitung? dass er vor Allein
nur darauf bedacht gewesen ist; dem versammelten Kirchen-
oder Concertpublikuni durch Vorfiihrung eines gesang-
inassigen Musikstucks Geniige zu leisten. Der Chor? auf
deni bis dahin die wesentliche Wirkung der Cantaten-
Musik beruht hatte, war damals kaurn in die Oper einge-
fuhrt, zwei- und dreistiminige Satze wnrden in ihr ausserst
selten angewandt, das Ensemble von Solostimrnen aber
sollte erst erfunden werden1). Nun inusste Einanuel
Bach von Leipzig her wohl die grosse Wirkung kennen,
die in dem Kirehenc-hore lag, zurnal in dessen kunst-
massiger Verbindung mit dem Choral Aber es seheint,
dass die Gewohnheit und die Hinneigung zu dein lyrischen
Theile der Musik bei ihni starker gewcsen seien? als die
kiinstlerische Ueberzengung von deni, was dauerud und
nachhaltig wirken miisse. So snchte er den Schwerpunkt
seiner Kirchenniusiken eben da; wo er den Schwerpunkt
der Oper gefunden hatte? namlich in der Arie? und zwar
in der Arie in ihrer uberkommenen Form, in dem Solo-
Gesange, der um seiner selbst willen geschrieben wurde.
An diesem Fehler kranken alle seine geistlichen Mu-
siken, Ihm vorzugsweise ist es zuzuschreiben, dass die-
selben bald vergessen worden sind. Er konnte oder wollte
sich nicht dazu erheben, das Ptiblikum? fiir welches er
schriebj zu sich emporzuziehen. Er bequemte sich seiner
ephemeren Geschmacksrichtung und stieg zu ihni herab.
Bach sagt von sich selbst-): 7?Weil ich meine meistenAr-
beiten fur gewi&se Personen und fiir's Publikum habe machen
musseu, so bin ich dadurch Allezeit mehr gebunden gewesen?
1) Welch1 grosser Werth zu jener Zeit auf die Arie gelegt wurde,
ergiebt sich beispielsweise daraus, dass Friedrich II. mit eigBer
Hand zu einei Aiie aus der Oper Cleofide von Has se fiir den Sanger
Porporino Veranderungen (und zwar von unglaublicher Schwierig-
keit) gesetzt hatte, deren Original - Handschrift (aus dera Nachlasse
Carl Philip p Emanuel Bach7s herriihrend und von ihm be-
scheinigt) sich in der K. Bibliothek zu Berlin befindet.
2) Burney, Musik. Reisen. Ill, S, 20S.
— 257 —
als bei den wenigen Stucken, die ich bloss fiir mich ver-
fertigt habe. Ich habe sogar bisweilen lacherlichen Vor-
schriften folgen ntiissen; indessen fcann es sein, dass der-
gleichen nicht eben angenehme Uuwtande mein Genie zu
gewissen Erfindungen aufgeforrlert haben, worauf icli viel-
leielit ausserdem nicht wiirde gefallen sein."
Dies sieh abhangigmachen von deru schlechten Ge-
schmack des Publikums und den lacherliehen Vorschriften
Einzelner entschuldigt aber nichts. Es wird wohl wenige
Kiinstler geben, die nicht inehr oder minder von ausseren
Verhliltnissen abhangig waren. Was wiirde aus der Kunst
werden, wenn alle nach den Grundsatzen liandeln wollten,
denen Einanuel Bach folgen zu iniissen erklart hat?
Gliicklieher Weise ist aueh er ihnen nur in einem Theile
seiner Arbeiten gefolgt1).
Tielleicht batten die Erfahrungen? an denen sein Vater
und Lehrer von Arnstadt aus gekrankt hatte, die bis in seine
letzte Zeit hin seine Begleiter geblieben waren, und ihn in
so naanehen Conflict mit den iiusseren, sein Leben beherr-
!) Auch die Zeit Bach's hatte, so uberaus hoch er von ihrverehrt
wurde, ein Gefiihl davon, dass seine ConniveBz gegen das Publiknm ihn
Bicht liberal! den rechten Weg gefiibrt habe. Es wird nnter Anderem,
gelegentlieh der Beiirtheilimg eines Hefts seiner Sonateu fiir Kenner und
Liebhaber (hier jedenfalls an falseher Stelle) gesagt: ,,Daas doch ein
solcher Mann aueh glaubt, sieh nach der Mode, d. h. nach dem ver-
dorbenen Geschmack der Liebhaber ricbten zu ntiissen — ein Mann,
dea keine besondere Lage dazu zwingt — dem es viehnehr das
SeMieksal jso gut hat warden lassen, dass er ohne alle Hinderang,
0hme alien Hachtheil fiir iseine Ziirtlichkeit, rahig seine einmal er-
wifelte Strasse dnrch's Leben wandern konnta,u Allg. Hnsik. Alma-
uacli v, 1783 (Schwickert). S. 141.
Bersell>e Vorwurf hat aueh Graun fSr seine Operamusik getroSen.
Bieaer hatte sicb einma] gegen die Einmisehang seines Konigliehen
Gebieters aufgelehnl In den meisten Fallen hat er dies meat ge-
than. Hier lag di© Saehe freilieh ganz anders, denn die K. Oper
zu Berlin wardie<Oper Friedrieh's des Grossen, und dieser hatte
ein gewisses Bedit, dabei mitzasprechen, Und doeh an dem, was
Graun aussera^b ^ferOper geieistet, erkesat maa, was die Oper da-
darch verloren tat, dase ser EicM ia vote FrdWt
Bitter, Emajmel and FTiedeamtaia Baelu
&chenden Verhaltnissen gesetzt batten, einigen Einfluss auf
die Anschaunngen des Bolmes gelibt, diesein eine grossere
Geschineidigkeit nach aussen bin niilzlieh erscheiuen 3 ass on.
Vielleicht trat auch ab und zu das Sehicksal seines Bruders
Friedeinann vor seine Seele, der, vielfach den Conces-
sionen an den Gesehmaek des Publikuins widerstrebend,
Veranderungen an den uberkonirnenen Traditionen, zumal
in der Kirchenmusik abwei&end, an seiner musikalisehen
Starrheit nicht weniger wle an seiner inneren Zerfalirenheit
zu Grunde gegangen war. So gerieth er in seinen Kirehen-
musiken auf einen Weg, der nicht uberall als der rechte
anerkannt werden kann. Seine Kirchemnusiken sind ein
Gemisch von Talent und Grosse und von Oberflachlichkeit;
Breite und Intere«selosigkeit? wie es dessen wenige giebt.
In ihnen findet man nicht jene organischen Gestaltungen?
mit den en die alte Sclmle die Kirche versorgt hatte. Pur
Muster neuerer Arbeit aber fehlte ihnen deijenige Grad
mnerer Vollendung und Tiefe; der allein geeignet gewesen
wire7 ihnen eine bleibende Stelle in dem Kreise grosser
Kunstwerke zu schaflfen. Wohl inochte ihre weiche, durch-
sichtige Form, der melodische Reiz. der ihnen keineswegs
fehlte, das concertmassig Unterhaltende, namentlich in den
vielen Arien, deni Publikum, wie es sich in den Kirchen
Hamburg's zusammenfandj zusagen. Einern ernsten Sinn
aber konnten diese Musiken auch zu ihrer Zeit nicht ge-
Darum miiss man ihren absoluten Werth fur sehr be-
dingt erachten. llatten sie einen relatiy hoheren Werth ?
insofern sie dazu beitrugen> aus der alten strengen in die
aeuere Schule iiberzuleiten? Oeffneten sie der folgenden
Generation von Kiinstlern neue Bahnen ? Ebneten sie ihnen
die P£ade fur iiir Wirken und Schaffen? Auch diese
Fragen missen uiit Nein beantwortet werden. Emanuel
Bach hat in dem Neuen? was seine Kirehenmusiken dar-
boten? kerne Org&uismen enteugt, die fortbildungsfahig
gewesen waren, Sie waren aicht aus seiner innersten Seele
— 259 —
hervorgegangen und es lag in ihnen daher nichts, das hatte
Frueht tragen konnen. Er hat daher zwar Zeitgenossen
gefunden, die wie er arbeiten, z. B. seinen Freund Benda?
dessen Kircheninusiken den seinen selir ahnlieh? von ihm
abgeschrieben und vielfach aufgefuhrt warden; aber er hat
kerne Nachfolger gehabt. Seine Werke aus diesem be-
deutenden Thelle seiner Kiinstlerlaufbahn sind vergessen,
mit Reeht rergessen. Er hiitte Grosseres, Dauernderes
schaffen konnen, Ihm fehlte die Anniuth und der melo-
dische Reiz nicht, der Haydn gross gemaeht hat. Sein
Genius war in vielen Richtungen dem Mozart's nahe ver-
wandfc. Er hat es vorgezogen, einein beschriinkten Kreise
seiner Zeit Geniige zu leisten, und stieg deshalb YOH der
Hohe herab? zu der ihni die Bahn offen lag.
Die Betrachtung des Einzelnen fuhrt zunachst zu seinen
a) Prediger-Einfiihrungs-IVfusiken,
einer ziemlich bestimmt nusgepriigten Gattung von Earchen-
Cantaten.
Die Einfiihrung der Geiatliehen in ihr Arnt war nach
der zu Hamburg herrschenden kirchliehen Sitte von jeher
als ein grosses Fest betraehtet worden? das init einem
gewissen Ponape gefeiert wurde. Grosse Mahlzeiten hatten
hier so wenig wie ehedem in Leipzig gefehlt, waren aber
seit 1757 abgeschafft und wiu^den mit den dazu gehorigen
Emolumenten (Moblirangs-? sowie Reise- und Transport-
Kosten) in Geld (mit 800 Thlr.) abgefunden '). So war
Bur der kirchliehe Ritus iibrig geblieben? und an diesem
Melt man fest. Bei der Einfiihrungs-Ceremonie solIteB dem
alien Herkommen gemiiss alle anderen Pastoren, die Kirch-
spiel-Herren und die Geschwornen zugegen sein. Zur Zeit
Bach's geschah die Einfiihrung in Gegenwort aller Derer;
i) Moakeuberg, die St NIcolai - Kirehe IB Hamborg. SI 99.
Ueber die Predlg^r-EiafiiteiBg'eii in Leipzig, sle&e J. S^ Sadi.
TL I, S. 162.
JT*
— 260 —
die sum Ministerio gehorten, der Kirchspielsherren, der
Diaconen und Subdiaconen der Kirche. Die Feierlichkeit
fand nicht an Sonn- iind Festtagen, sondern nacli der
Wochenpredigt des Pastors statt. Bei solchen Gelegenheiten
wurde dem Guttesdienste erne iliwik hinzugefugt, deren
erster Theil vor, der zwelte Theil nach der Predigt auf-
gefuhrt wurde und deren Text in der allgemeinen Form
der Kirelien-Cantaten gefertigt, den speciellen Unistanden
ontsprechen niusste.
Das Publikum wurde hieyon chircli die offentlichen
Blatter in Kenntniss gesetzt, wobei naturlich der Trompeten
und Pauken ganz besonders gedacht wurde1).
Bach hat soldier Einfiihrungs-Musiken eine grosse
^lenge gefertigt, namlich:
1. 1769: fur Hrn. Palm, Pastor zu St. Nicolai,
2. 1771: fur Hrn. Klefeker, Pastor zu Moorfleath,
3. 1771: fur Hrn. Schumacher, Pastor zu St. Jaeobi (geb. 1738
zu Bnxtehufle und Nachfolger von Erduiann Gott-
fried Neumeister2),
4. 1772: fur Hm. Haeseler, Pastor zu Allersmohe,
5. 1772: fiir Hrn. HornborstI, Pastor zu St. Kicolai7
6. 1773: fur Hrn. W inkier, seit 1772 erwahlter Pastor zu Sanct
Xicolai,
7. 177.^: fur Hrn. Dob re n, Pastor an der Heiligen Geistkirche,
8. 1775: fiir Hm. Michaels en, Pastor an der Weisenhauskircbe,
9. 1775: fiir Hm. Friederici, Pastor zu St. Petri, geb. 1730,
fiuher K. Preuss. Feld-Prediger, seit 1770 General-
Superintendent des Furstenthums Grabenhagen,
10. 1777: fiir Hrn. Gerling, Pastor zu St. Jacobi, geb. 1745,
It 1778: fur Hin. Christian Sturna, Pastor zu St. Petri, geb. zu
Augsburg am 1*5. Januar 1740, seit 1762 Lehrer am
Padagogio zu Halls 1765 Conrector zu Sorau, 1767
Prediger zu Halle, 1769 zweiter Prediger zu Magde
*) So liest man in dem Hamburger Correspondenten von 1769.
Nro.lOB; ,»Ber neu veifertigte und vom Herrn Kapellmeister Bach
mil gji>s8t@® Fleis^e componirte Text zur Musik, so den 12. July bei
dem Antritt des Amies des Herrn Pastor Palm in der St. Nicolai -
Kirrhe tmter Trompeten und Panken aufgefiifait werden wird, ist bei
Herrn C. Grund auf dem Fisehmarkt fiir 2 Schillinge bereits ge-
druckt zu haben-%
2j Bitter, J. S. Bach. Tb. 1 S. 137.
— 261 —
burg, f 26. Aug. 1786, imd war fur unsera Meister
von besonderer Bedeutung durch seine Geistliehen
Lieder,
12. 1780: fiir Era. Eambach, Haupt-Paator zu St. Michaelis, geb.
27. Mara 1737,
13. 1782: fiir Hrn. Janiscfa, Pastor in Altendamm i Hamburger
Landgebiet), f am 5. Aug. 1818,
14. 1783: fiir Hrn. Ltittkecs, Pastor an der Mohrenflether Kirehe,
15. 1785: fiir Hrn. Scbaffer, Pastor zn St Kicolai,
16. 1785: fiir Hrn. Gasie, Pastor ?a St. Michaelfe, geb. zu Ham-
burg 1759 f 1813,
17. 1786: fiir Hrn. Cropp, Pastor an der Mohrenflether Eirche,
18. 1786: fiir Hrn. Mil Her, Pastor zu St. Petri, Sohn des ehe-
maligen Rectors am Johannoum,
19. 1787: fur Hrn. Berckhan. seit 173f] zum Pastor an der Sanct
Catharinen-KIrclte erwahlt,
20. 1787: fur Hrn. Willerding, an Sturm's Stelle zum Pastor
am St. Petri erwahlt,
21 1788: fiir Hrn. Runge, Pastor an der Billwerder Kirche,
21. 1788: fiir Hrn, Stoker, Pastor an der Alieraohen-Kirche.
Die letzten Belden sind erst im Jahre 1789, also nach
Bach's Tode eingefiihrt worden1)-
Diesen Tonstiicken wiirden noch als derselben Musik-
Gattung angehorig anzureilien sein.
23. Aus dem Jahre 1773:
fiir Hrn. Hector Muller (geb. 1722 zu Weraigerode, seit
1754 Conreetor, seit 1769 Rector adjusctus am Jo-
hanneum) nndHrn. Eeetor Sehetelig, bei ^rerEin-
fiihrung im Johannenm,
feraer:
24. Aus dem Nachlasse Bach's eiue Einfiihrungs-Musik ohne Titel* j.
Die Form dieser Muaiken war eiue zieralich bestimmt
au&gepragte. Ein Anfangschor? zahlreiche Recitative urid
Arien tind am Schlusse ernes jeden Theils ein Choral? der
im Ganzen den der gewohnlichen Cantaten-Musik
a. WItie, siverlisslge Hachricliten von deu evangelischea Predigem
za Hamburg.
b. Hanssem. Ai^sfihrliebe Haekiicbten ilber die Kirctei nod Geist-
lichen zu HaEokurg.
c» Oeffke®. J^e gfo^e Mtcbadis-KIrcbe zm Hamburg.
ie&e ^|© 2^swfcmw^©HaBg der Werke Em&mml
II.
alles dies wiederholt sich in ziemlich be-
stimniter Foigc.
NIcht alle diese Einfiihrungs-Musiken sind auf uns ge-
kominen. Uoeh sind ihrer gemig iibrig geblieben, urn aus
ihnen ein bestiiumtes Urtheil ziehen zu konnen.
Die Einfuhrungs-Musik des Pastors Schumacher's
1771. Die Originalpartitur enthiilt die Bernerkung: ??Der
Anfang bis zuui Recit. (wie felsenfest) vom Herrn Ka-
pellmeister Bach. Das folgende von mir (Syndicus
Schuback in Hamburg). Das letzte Recit. (Er7 den du
zu uns) vom Herrn Kapellmeister Bach." Dieser
Original -Partitur ist vorgeheftet der ;7Text zur Musik,
als der Wohlehrwiirdige, in Gott Andachtige und
Hochgelahrte Herr, Herr Otto Christian Schuh-
rnacher, den 8. November 1771 als Diaconus ah der St.
Jaeobl-Kirche In Hamburg eingesegnet ward, aufge-
jRihret von Carl Philipp, Emanuel Bach7 des Hamburgi-
sehen Muslk-Chors Director."
Dieser Text, dem man im Ganzen eine gewisse Wiirde
und talentvolle Behandlung nicht absprechen kann^ war
von Ebelingy dem Aufseher der Handels-Schule zu Ham-
berg, einem der Musifc mit Enthusiasmus ergebenen und
Bach n§he befreundeten Mann gefertigt. Hamburger Blatter
aus jener Zeit l) sagen dartiber: 7;Da die Kirchenmusik einen
Theil unsres diFentlichen Gottesdienstes ausmacht, so ware
W3L wtoschenj dass alle sogenannten Mnsiktexte so gut
der Wurde der Religion so angemessen waren? als
derjenige iat, welchen wir heut' unsern Lesern bekannt
machen. Der Herr M. Ebeling7 Aufseher der hiesigen
Haudlungs-Akademie? ist der Verfasser desselben? wozu
l&m die Einsegnung des Herrn SehumacherTs? Diaconi
boi iwriger Jacobl -Kirche, Gelegenheit gegeben."
Bk Masik war7 wie oben erw^hnt, nur theilweise von
Bach. Die von Schnback coieponirfcen Nummern, von
Hamb. Unparth. CoirfssfKWidaiit v. 1771. Kro. 181.
— 263 —
denen einige aufbewahrt sind, sind unbedeutend und
mogen gegen die Bach'schen Stiicke stark zuriickge-
treten sein. Diese letztereu bestehen in
No. L dem Eingangschor (D-dur 3/i? 3 Trompeten,
Pauken und Oboen, Streich-Quartett). J?Ich will den
Namen des Herrn preisen. Gebt unserm Gutt
allein die Ehre!" welcher nach einem sehr feierliclien
Eingange durchaus hoixiophon, in rhythmisch melodischem
Styl obne jede thematische Verarbaitung der Motive kurz
verlauft,
Ihm folgt:
No. 2. Rec. fiir Tenor, in welchera ein gesangvoll
schones Arioso, Larghetto. % D-moll: Da warden,
ewig Dank sei Dir? Da warden, Herr, auch wir!
yerflocliten ist und woran sich
No. 3. Arie fur Tenor (B-dur */*, mit Streieh-Qimrtett)
anscfaliesst, deren Text:
Religion, du Gltick der Welt,
Geschenk der Grottheit? Heil der Seelen?
Du ew'ger Trost, verlass' uns nicht;
Leit' uns dureh dieses niedre Leben;
Lass7 uns Deine Wege w^hlen;
O? wie himmllsch glanzt Dein Licht,
Grliick der Welt? verlass* uns nicht
der dein Gedichte voraufgegangenen Lobpreisungen im-
geachtet, troekner ist, als dies billig erwartet werden
diirfte.
80 reicht denn auch die Musik dieser Arie durchaus
aieht iiber jene grosse Ziahl von Musikstiicken hinaus, deren
s, nur der Routine folgendes Hinwerfen
M^rkmal der Bach1 sehen Arien bezeich.net werden
Bacfa's ABtheil an der ganzen Arbeit war nur ge-
Dass er f foerh&upt auf eine solche Theilung der Coin-
position eipging, gehort wokl auch zu den Dingen, die Be-
denkem mwjgm dtAm. Was fadat den franzoslsdben Opern-
rand Vaudeville -Dicntern gestattet wird? konnte dies ihm
in der Kirehenuausik erlaiibt sein?
Andere Ehifiihrungs-Musiken sind von grosserer Be-
deutung. So die fur Prediger Haeseler 1772, deren
Eingangsehor (Allabr. moderaix>. 3 Trompeten, Pauken?
2 Oboen7 Quartett) Bach kurzer Instrumental -Emleitung
in einer im unisono gasungenen Choral-Melodie zu kraftig
bewegter Orchester-Begleitimg den 40. Psalm (10 und 11)
3 Troaipet
2 yi»h
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|.rft'ft>":r •"" R. » .1
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T-** — r~^- ^
dei ne Ge - reeh - tig - keit.
Breite aiLsf&hrt, nnd der sehr durchsichtigen
mugeachtet dock ernes der besfen nnd eigenthtim-
SMdke aus dieser Gattung von Musiken Emanuel
Back's 1st.
Dem Clior folgt eia aocompagnirtes Kecitativ (adagio
un poco). ?;Die folgende Arie fallt gleich ein.rt Es
— 265 —
ist erne Arie in G-dur %, vom Quartett lebhaft begloitet,
ftir Bass, sehr colorirt? nicht ohne Wiirde. 77HalleIujah!
Welch' ein Bund!" Nach elnem Secco-Recitativ folgt
der Choral: ??Nun danket alle Grott^? womlt der erste
Theil? kiirzer als die Mehrzahl der ahnlichen Musiken?
schliesst.
Der zweite Theil beginnt mit einem in dem Text als
Grebetlied bezeichneten Chor? der 7 Strophen enthalt^ in
D-dur s/i mit 2 Oboen und 2 Bassons sonst nur mit dein
Grundbass gesetzt ist? und dessen erater Satz kurz und
melodiscli in dem Em. Bach'sclien Kirchenstyl yerlauft.
Dieter Satz wird nach ciner von den Holostimmen des
Tenor und Bass gesungenen, nur von 2 Bassons und dem
Continue begleiteten Strophe wiederhok. Ein zweiter Solo-
satz7 von der Orgel und 2 Oboen begleitet, die weiterhin
dutch die Violinen und 2 Bassons abgelost werden? fiihrt
zum dritten Male auf den ersten Chorsatz zuriiek, dessen
Orehester-Begleitung 3 Troinpeten und die Pauke hinzu-
treten. In dieaem Wechsel und der tSteigerung der in-
strumentalen Wirkung ist das Stiick von nicht unbedeu-
tendem Interesse. — Zum Besehluss wird der Anfangs-
Chor des ersten Theils wiederholt.
Jedenfalls zeichnet sieh diese Cantate vor der Mehr-
zahl der iibrigen Bach'schen Einfiihrungs-Musiken durch
ihre Kiirze und durch eine gewisse Wiirde und feierliehe
Pracht ihres Inhalts vortheilhaft aus. Sie gehorte eben
noch zu den ersten ihrer Art. Der sonst so gewissenhafte
Meister hatte sich noeh nicht in dem Grade? wie es spater-
Mn der Fall war? einer stereotypen Schnellschreiberei fain-
g^ebenj die seinen derartigen Arbeiten so weiaig vortheil-
baft |?ew®8e& ist
Von g^rmgerer Bedeutung ist dieEinftihrungs-Musik ftir
den Pastor Wiukler (1773), welche die nicht unbedentende
Zahl von 17 zam Theil ziemlich langen Nummerm enlhielt?
unter denen ab«r kaum m&hf als der Chor No. 8 des
Theils )?Heil us®, seim Fjiedeja ist
darin vorkommenden, an Shnliche Arbeiten Sebastian
Bach's erinnernden Vermischung von Glior und Recitativ
bemerkenswerth 1st. Ein schwungvolles Element waltet in
dieser Arbeit nieht vor. Sie ist im Ganzen in deni Styl
routinirter Mittehnassigkeit geschrieben. Am Schluss der
Partitur findet sich die Bemerknng: ??Nach der Ein-
fuhrung wird der erste Chor wiederholt."
Wenn man die Lange der Musik-Abtheilungen, der
Predigt und des langen Einfuhrungs-Ceremoniels in Er-
wagung nimint? so ersieht man darans, wie viel der musi-
kalischen Fassungskraft der Horer bei solchen Veran-
la^tingen zngcinutliet werden durfte.
Die K.Bibliotliek zu Berlin besitzt noch die Original-Par-
tituren von zwei Prediger-Einfuhrungs-Musiken, auf denen
weder das Jahr der Entstehung, noch der Name des ein-
gefahrten Predigers verzeichnet ist. Die eine derselben?
mit dem Anfang 37Herr Qott; Du bist unsere Zuver-
sielit ftr und fiir" zeichnet sich dureh einen schonen
Text auSj in Folge dessen die Musik eine grossere Menge
liiteressanter Ziige bietet? als dies in den iibrigen Musiken
dieser Art der Fall ist. Sie beginnt mit einem 4stimniigen
Chor. (D-dur 2/'4? Trompeten, Pauken7 Oboen7 Streich-
Qaartett.) Eigenthunilieh fellt in das hierauf folgende
Seccso- Recitativ des Alt eine 4stimrnig gesetzte recitativ-
Stelle ein
Alt
Deira tan - send
Jah - re sind for
— 267 —
welche in Ihrer von dem gewolinllchen Wege so sehr
abweichenden Htructur an Seb. Bach ermnnert. llehr
noch zeichnen slcn 2 Arien ans? deren erste ftir Tenor
f A-dur % Quartett mit 2 Oboen mit der Bezeickunng
,,feurig") sich in der Begleitung der Violinen dutch in Vis
Noten gebrochene Accordgange und in einer selir scbonen
Declamation der Worte: ??Wenn einst vor Deinem
Schelten Beim Anbrueh jener Eacht Das Feuer-
meer der Welten" etc. so wie in dem dieser Stelle
g^enxibertretenden Satze
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268
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!_ ^r.
— \-4-m »*" Jjp-r
-J-J-J-
gegen die bei Bach sonst gebrauchliche Art der Behand-
Inag der Arien auszeichnet? wahrend die andere Aiie fur
Bass (Lebhaft D-dur % ) mit obligater Trompete,
Lelhuft.
2 TW.
und
Schoii
r
JJ
feir'
. stellt e. vor Oericht.
sdmaetternd ife Woirte l>€sgleltet:
Sehon hor' Icfa die Posaime schallen!
Ihr Menschen sielH emch TOP Gerlcht.
— 269 —
Sehon fallt ein Strahl vom ew'gen Liclit
In meine Gruft! Die Adern wailen
Schon neues Dasein. Engel heben
Den Leichenstein von melner Gruft.
Horcli? Horch, Posaunensehall! Er ruft:
Du Staub ersteh* zu neuern Leben!"
In ihrer feierlichen Wiircte und Pracht gleiclifalis weit fiber
die eonventionelle Arienform hinausgeht. Ihr folgt, mit 3
Trompeten in gewaltigein Tone begleitet, der sehr schon har-
monIsirteChoral?7?Springt? ihrGrabesfesseln? springt"?
mit welcfaem der erste Theil in wiirdiger Weise schliesst.
3 [f r»fii|«lea. '
Sprinyt. tiu Gra - bes - Banden, springt. Le-ben fliesst dureh
fjrr rs f -
denn der gros- se Tag 1st da.
Der zweite Theil enthalt 2 Arien? ein begleitetes
mud den ScMussdhoral ?7Gott, der Du Deines
ge^enkest". Der Text 1st von weniger allge-
Mialt nnd b^ieht slct yorwlegend auf die Cere-
moale der Einfuhnootg, Dem entspreohend 1st auch die
Musik VOE geripgerer Bedeutoug als die des ersten Tbeils.
In der audereu di^er Einfflirtmgsmiisikeii o3uie naliere
— 271
Bezeiehimg ist nur em dem Andenken des verstorbenen
Vorgangers gewldmetes Secco-Recitativ mit einer Tenor-
Arie (moderate A-moli % Quartet t) von Bedeutnng. Der
Text lautet:
?7Ruhe sanft, verklarter Lehrer,
Dort in Doiner kiihlen Gruft.
Dein Gediichtnlss bleibt in Segen,
In den Herzen Deiner Horer?
Bis Dein Gott tins zu Dir raft."
Diese Arie ist besonders gesangvoll? von schoner inniger
Melodie, nicht ohne die bei Baeh hie und da hervortretende
SentiinentalUat.
he sanft ver
ter JLeb - rer.
2^S
i
Ru - he, ru - he, dort in dei - ner kfih - leu Graft,
liib- • — fi^PT . — ErgUEi 1 yj
kurz, ohne Mittelsatz? in edler Form gesetzl Eebea ihr
seiehnet sich noch ein Choral:
B*i - % ist nn - ser Gatt.
Hei - lig fct
g=3?=
qc
p— S
— 272
und erne Arie fur Bzw (D-dur 8/4, 2 Horner; 2 Oboen?
Quartctt) ??Das Wort des Herren starkt auct unter
Ungewittern"11 aus, dia kurz, sehr au.sdrucksvoll? von
edlem? melodic chem Bchwunge und voll von reichen und
frappanten Modulationen ist.
Es sei endlich noch einer dieser Musiken aus den
ietzteii Lebensjahreu Bach's gedacht, dcr Einfiihrungs
Musik de« Pastor Gasie (1785).
Diese beginnt mit einem kurzen Chor. (F-dur */*) ??die
Oboea apielen mit dem Cant und Alt", mit dem An-
fkage; Gnadig und barmherzig, Dann folgt ein Eecitativ
mil j?Arie fur Hrn.Ihlert, setzt ohne Vorspiel ein."
* r
WennMenschendeinver - gessen, o Christ, in deiner
noch bis* du fcicht yer-las-sen, es sorgt fur dich ein Oott.
r t
- 273 —
In diesem Style geht es fort. Die Wiirde und der Ernst
der musikalisehenDarstellung waren hier vcrloren gegangen.
Nacli einem zweiten Recitativ folgt die 7JArie fur
Hrn. Schumacher/' G-dur 2/4 mit obligater Flote, welche
das Zwitschern und den Gesang der Vogel malt, und naeh
einem dritten Recitativ „ Arie fiir Hrn. Reicheln"7 G-moll
% mit 2 gedampften Violinen und Pagott, welche sich in
melodisch-rhythniischer Weise, ohne zu grossen Ernst zu
zeigen ziemlich lang dahinzieht.
Ein kurzer Chor ?7Trachtet am ersten naeh dem
Reiche Gottes/£ ein kurzes Accompagnemcnt und der
einfach harmonisirte Choral ^Ichbinja^ Herr?inDeiner
Macht" mit 3 Versen enden diesen ersten ziemlich langen
Theil von 10 ]Nmnmern? unter dessen Original-Partitur
die Bemerkung steht: ??Ende des ersten Theils, den
14 Juli 1785."
Der zweite kiirzere Theil beginiit mit einein Secco-
RecitatiVy das von einem Larghetto und einem Accompag-
nement unterbrochen wird? und dem ein schones Arioao,
das einzige werthvolle Stiick der ganzen Arbeit (?,langsam?
Hr. Dallwer" C-dur V« Quartett) folgt. ??Da geht er
schon zur heiligen Statte.^
Das Ganze schliesst mit der vierstimmig gesetzten Me-
lodie des alten Chorals ??Lobt Gott? ihr Christen allzu-
mala und ist unterschrieben 7JEnde den 16. Julius 1785.
Nach diesen Mittheilungen wird es kaum bedauert
werden konnen? dass ein grosser Theil dieser Musiken
geblieben ist.
Allgemeinen wird es schwer sein, dieae Prediger-
eia anders denn als eine Art kirchlicher
0^Iegeiiheits-Arbeiten zu charakterisiren,
Die JErgebBie^ eines aaderen Theils der MrcMichen
Thatigkeit B^db's thnlich bezeidbnen zu muBsen, ist m
nictt geriug^n Grade li^ia.iiei'Ecli, Es mA dfes
Bitter, Em^uel taai mtiftmnam Bsgfe. 18
b) die Pfcssions-Musrken
derail er nicht weniger als ein und zwanzig, d. h. in
jedem Jahre seines Aufenthalts zu Hamburg eine ge-
sehrieben liat. Man wiirde Unreclit thun? wenn man
diese mit stehender Regelmassigkeit in ununterbroche-
nem Turnus jeden der vier Evangelisten 5 mal durch-
arbeitenden Musikwerke mit jenen grossen religiosen
Gebilden yergleichen wollte, welche Seb. Bach in seiner
Matthiius- und Johannes-Passion hinterlassen hat. Zu der
stolzen Hohe dieser Werke streben sie in keinem einzigen
ihrer Theile an. Aber so schwer es gewesen sein wurde
jene Hohe zu erreichen, so ware es doch wohl des Sohnes
wiirdig gewesen? dahin zu streben, dass er den ungeheuren
Fortschritt, den sein grosser Vater in jenen Werken fur
die religiose Oratorien-Musik herbeigefiihrt, durch die er
seine eigne sehopferische Thatigkeit gewissermassen auf den
Culmioationspunkt ihrer Bedeutung erhoben hatte, festzu-
ha,ltett vetsucht hatte. Davon findet man in diesen Ora-
torien ebenso wenig, als ein Fortschreiten auf der Bahn
des Messias oder des Todes Jesu.
Im Ganzen ist von diesen Passions-Musiken wenig auf
uns gekommen. Was man von ihnen im Original kennt?
sind nicht eigentlich durchgearbeitete Partituren, sondern
vielmehr schematische Andeutungen? welehe meist nur
wetiige BlUtter enthalten? und kauin fur etwas Anderes zu
eracfalea sind? als fur eine Art ausgedehnter Notizzettel fiir
den Dirigenten, in denen selir Vieles? oft das Meiste als
bekannt vorausgesetzt und nur Weniges in bestimmter Form
niedergelegt war. Vielleicht hatten sie die Bestinamung?
von zuverlassigen und geubten Copisten zu eigentlichen
IPartituren zusamoaengestellt resp. umgeschrieben zu werden.
JPreilich wiirde es dann immerhin merkwiirdig genng sein.
dass eine wirkliche und vollstM-ndige Partitur von keinem
einzigen jener zahlreichen Werke auf uns gekommen ist
Doefe tesst sich atts deto Vorhandenen ein hinreichend
sieheres Bild von dem zusammentragen, was in dieseti
- 275 -
Passions -Musiken gegeben und geboten worden war. Hie
bestanden in einer Art schablonenmassiger Fabrikarbeit,
In der Bach, seiner selbst keineswegs wtirdig, fur jedes
Jahr eine besondere Passion aufzuputzen sicli beiniiht hatte,
und der die ein- fur allemal componirten Evangelisten-Texte
als Grundlage dienten. War fur diescn grossen Aufwand
an unbedeutender Arbeit eine Nothwendigkeit vorfmnden?
Man mochte meinen, dass ein vierjahriger Turnus geniigt
haben wiirde; dem Bedurfniss vielfaehen Wechsels zu
gentigen. Seb. Bach hatte, um nach diescr Seite hin das
Seinige zu thun, mit seinen Thomas-Schiilem neben seinen
eigenen Passlons-Musiken aueh solche von anderen Sleistern
in den Kirchen Leipzig^ zur Auffuhrung gebracht. Der
Sohn? weniger ernst arbeitend als jener? weniger gross in
seiner Auffassung der kirchlichen Dinge und mit geringerer
Tiefe seine Aufgaben erfassend? konnte ein und zwanzig
solcher Musiken schreiben, von denen eine einzige, ini
Sinne und Geiste des Vaters gesetzt, hingereicht haben
wiirde7 ihni fiir alle Zeiten den immergriinen Kranz des
Ruhmes auf die alternden ^chliifen zu driicken.
Welche Wirkung er nach dieser Seite hin erreieht
haben mag? dariiber ist keine Nachricht auf uns gekoninien.
Dass aber diese nicht die der Passions -Musiken seines
Vaters sein konnte, ist zweifellos. Uebrigens hatte aueh
Telenaann nicht weniger als 19 Passions-ilusiken gesclirie-
ben, und die Hamburger Kirchen-Gerneinden waren daher
wohl daran gewohnt, in der Charwoche die Arbeiten ihrer
heimischen Tonsetzer zu horen, wie denn aueh E. Bach nur
seine eignen, fiir die Charwoche jeden Jahres componirten
Passkmen hat auffiihren l^sen.
V0n diesen sind theils ganz; theiis in Bruchstiickea
bekannf:
1. Ke Passion nach Matthaus von 1777.
2. 77 n „ Matthaus von 1781,
3- „ n n Lucas von 1783.
4. n n ?? Johannes von 1784.
IB*
276 —
5. Die Passion naeh Matthaus von 1785.
6. „ „ „ Lucas von 1787.
Eine Passion nach Marcus ist nicht auf uns gekommen.
Die Recitative des Evangeliums7 von denen leider nur
Bruchstiicke iibrig geblieben sind und deren erzahlender
Theil wie bei Seb. Bach dem Tenor zufiel, sind gleich
dem Evangelic der grossen Passions -Musik als Secco-
Recitative gesetzt. Die Chore der Juden waren offenbar
chormiissig behandelt. Sie sind leider vollig unbekannt
geblieben. Innerhalb der Recitative treten im Uebrigen,
-wie in den Passionen des Vaters, die einzelnen Stimmen?
Christus, der Hohepriester, Pilatus, Petrus, Judas etc.
Bieist im Bass gesetzt ? redend und antwortend ein. Fiir
die Reden Christi fehlt jene unvergleichliche Individual!-
.sirungy welche die Matthaus-Passion Sebastian Bach's
ausxeichiaet. Das Evangelium war von zahlreichen Choralen
imd Arien durchflochten, von denen die Chorale, mit den
Nttnuoern und Versen des Hamburger Gesangbuchs be-
zeichnetj offenbar auf den Gemcinde-Gesang berechnet und
daher nur in wenigen Fallen vierstimmig ausgefuhrt waren.
Bezuglich der Beschaffenheit der Arien gilt meist das schon
mehrfach Gesagte. Der Chore allgemeinen Inhalts waren
nur weuige und diese meist seinen geistlichen Liedern ent-
Boinmen, vierstimmig gesetzt und instrumentirt.
Die ?,Passion nach dem Matthaus von 1777" be-
gmnt mii dem ausnahmsweise vierstimmig ausgesetzten
Choral 118. 1. ,jO? Lamm Gottes, unschuldig,"
— 277
dessen eigenthiimliche Harmonisirung eine Arbeit von
hoherem Werthe erwarten l&sst? als weiterhin gegeben
wird. Der ihin folgende Anfangschor No. 1. fehlt. Dann
heisst es waiter:
,,Bec. Jesus (Bass): Der Geist ist willig, aber -das Fleisch 1st
schwach.
Chor No. 2. (fehlt gleichfalls).
Evangelist (Tenor) Judas: Gegrfiaset seistDra, Kabbi! etc.
Herrn B of mania's Arie:
Evangelist: Da verliessen ihn alle Jiiuger und floben.
Choral 129. 6.
Evangelist: Hohepriester (Bass). Was bediirfen wir welter
ZeugnissV Siehe, jetzt habt ihr seine Gotteslasternng gebort, Was
diinket euch?
Evangelist: Sie antwortetenetc. Kaeb dem Chore der Juden :
er ist des Todes schuldig, kommt folgender Choral:
Choral 111 I
Evangelist: Da speieten sie in sein Angesiebt etc.
Naeh dem Chore: Weissage uns etc., bleibt der Choral Ho. 122. 3.
weg.
Evangelist: Petrus aber etc.
Evangelist: .,. nans und weinte bitterlieh.
Hrn. Eb el ing's Arioso und Arie No. 5.
Evangelist: Des Morgens aber etc.
Naeh den Worten des Evangelisten: erhangte sich selbst, Choral
No. 590. 7.
Evangelist: Aber die Hohen Priester etc.
Pilatus (Bass): Wie faart sie Dich verklagen?
Evangelist: und er antwortete etc."
In dem vorstehenden? fast Bur die Stichworte des
EvaBgelisten imd die Angabe der Chorile nach dem Ge-
saugbuch ergebenden diirftigen Notizen YOU Baches Hand
ist alles enthalten? was von dieser Passion auf uns ge-
koiniHen. Erwigt man, dass die^e Bearbeltting nadi
Matth^us die dritta war, welcher sich Bach &dit
— 278 —
Amtsantritt in Hamburg unterzogen hatte, nnd dass das
obige Fragment derselben auf vieles Bekannte nnd bereits
Vorhandene hindeutete> so wird man die Vermuthung be-
grundet findeu, 1) dass die Recitative mit den Choren der
Juden fur jeden Evangelisten nur einnial gesetzt und im
eintretenden Turnus wieder verwendet wurden, 2) dass
diese Vermuthung wohl auch fur einen Theil der Arien
zutreffe, 3) dass die Chorale zum Theil neu5 wiewohl nur
ausserlich und willkiirlich innzugefiigt; auf die mitwirkende
Theilnahnie der Kirchen-Gemeinde am Gesange berechnet
waren, muthmasslich in der Mehrzahl einstimmig gesungen
und nur yon der Orgel begleitet worden sind.
Wahrscheiiilich hatte die so eben betrachtete Original-
Disposition die Bestinamung; die vollstandige Partitur zu
ersetzen. Demi da die Stimmen? Recitative und Arien iin
einzelnen vorlianden waren? konnte Bach nach ihr die
AurfQhrnng wohl im Nothfalle dirigiren. Stellt man die-
selbe den sorgfiiltig geschriebenen und bis in die kleinsten
Detailbezeichnungen ausgearbeiteten Passions - Partituren
Seb. Bach's gegentiber? so ergiebt schon diese rein ausser-
liche Betraehtung den ungeheuren Unterschied7 der zwischen
jenen und diesen Arbeiten besteht.
Yonder ,?Passion von 1781" ist folgendes bekannt:
^Choral No. 110. l.u, daranf ,}No. 1. Anfangs-Chor" (fehlt
ascli bier, wie bei der vorhergeheaden Passion).
Haeh den Worten: Deis Wille etc., Choral No. S93. 1.
Kaefa &m Worten: Ben greifet etc., koxnmt folgendes Accomp.
Reeil (fur Tenor) etc.,
welches den Gehorsam Christi bis zum Tode scliildert und
ohne wesentliche Bedeutung ist
Arie (fur Baas) Poco andante. C-dur; ,}Nun sterb' ich Sunder
nicbt",
welch© ohne Accompagnement mit der Bemerkung 7?die
Htinimen liegen in No. 2" in der Partitur steht, so
dass muthmaqslich die Begleitung ohne partiturmassige
Zusammenstellimg in die einzeken Btimmen ausgesetzt war.
,,Nacb den Worten: Und flohen, koiamt folgende Arie.
— 279 —
Die Arie No. 3 mit der Singstimme und iibrigen Stimmen liegt
in No. 2 cbenfalls. Die Tenorstimme wird in den Biseant gesetzt.
Choral No. 129. 9.
Nach den Worten: Der Dich schlug: Choral No, 122. 5.
Nach den Worten: Ich kenne den Menscben nicht, kommt
der Cramcr'sche Psalm No. 3 mit folgenden Worten:
Keiner wird sieh schamen diirfen,
Welcher Dich zum Schilde nimmt.
Wenn ihn aneh die Feind' er#rimrat
Tagelang darnieder wiirfen.
Aber Schande failt aaf den,
Welcber Fromrae zu verscbmah'n
Ohne Furcht vor Gott sich waget
Nacli den Worten: Und er hangte sich selbst, folgt der
Cramer'sche Psalm No, 4 mit folgenden Worten:
Icb bin gebeogt, ich bin zerseblagen,
Ich schrei voll Seelenangst zu Dir!
Herr, Du vernimmst mem brSnstig KlageBT
Und horst auf das Geschrei von mir.
Mein Herz erbebt, die Kraft' entgehen
Mir vollig, und ich kann kaum seben,
Denn mein unmebelt Auge bricht,
Und mir verloscht sein dunkles Licht.
Gleich darauf der Choral No, 422. 8.
Nach den Worten: Landpfleger sehr verwunderte, kommt
folgendes Accompaguement."
Hier folgt ein accompagnirtes Recitativ YOB 13 Takten?
auf das Vorbild und Belspiel Christ! hmweisend.
,,Gleich hierauf folget der Chor auf der anderen Seite."
DIeser Chor (B-dur Allabr.? sehr langsam? vierBtiminlg
mit Quartett-Begleitung) in vier Strophen lautet wie folgt:
— 280 —
denken, mich in das Meer der Lie - be
zu ver-
sen-ken, die dlch be - wog, von al-IerSchuld des
rtzz^zic
B6 - sen mich zu er - lo
Die zweite Strophe:
^Ich will nicht Hass mit gleichem Hass vergelten,
Wenn man mieh acbilt, nicht rachend wieder schelten,
Du HeiJger Du, Herr fiaupt der Glieder,
Schaltst auch nicht wieder."
ist in vollstandig gleicher Weise wie die erste gesetzt.
Bel dem wenngieich melodisch sanften, doch einfachen
Gauge di^^ chormfesigen Liedes durften die 4 Mnter-
emauder fortgesungenen Strophes doch wohl ermiidend
gewirkt iaben.
m^ /* u f?- Worten: Denn Uebles e«than? kommt der Choral
mit der Meladie: Herzliebster Jenu mit folgenden Worten-
Unendlieh Oluck. Ba httest uns zu Gute,
Ich bin versdhnt mat JDeinem them en Blate
Du hast mein Hell, da Da far mich gestorben,
Am Krentz erworben.
No. S"h4den Wnrten: DanlU S6in. Haupt' kommt der ChOT31
Naeh den Worten: dass sie iha kreuzigten, kommt folgende
e fur Hrn. Hoffmann. MR Die Stimmen lieg^ in No. fl,"
— 281 —
Diese Arie (poco Adagio % D-dur) 1st ziemlich ge-
wohnlichj der alten Arienform geniiiss7 ohne Tiefe und
Schwung. Alles Audere fehlt
Was zur Passion von 1777 beinerkt wordea, passt
auoh hier. Nur maeht die vorstehende Disposition den
Eindruckj als ob nach ihr von einem gettbten Noten-
sehreiber eine nene Partitur habe aufgestellt werden sollen.
Aus der Passion von 1783 (Lucas) 1st noch weniger
bekannt. Die vorhandenen einzelnen Stiunnen deuten in-
dess an? dass der Charakter und die Art und Weise der
Composition wohl im Wesentlichen dieselbe gewesen sein
wird; wie die der vorigen, Was wir davon kennen, 1st:
1. nAccomp. fur Hrn. Ilofmanu uud Arie fiir Hrn, Illert —
von C. P. E* Bacb — naeh den Worten: Weinte
bitterlich."
Das AccoiBpagnement ist in der gewohnlichen Weihe
der begleiteten Recitative ohne besonders hervortretende
Eigerithiimliehkeit geschrieben, die Arie:
77Wenn sich Einbildungen thiirnien?
Hochmuthswellen brausend stiirraen."
in einer etwas gewofanlichen deelamirenden Melodie mit
in Vis iiarpeggirender stark bewegter Violin -Begleitimg;
das Ganze onne besondere Tiefe.
2. ,,Chor No. 6 zur Passion von 1783 von C. P. E. Bach
— nach den Worten; Am diirron werdenV Aus Cramer's
Psahnen: Jehovah herrscht, ein Konig il?jer Alle!"
Lebhaft und glknzend? F-dur 4/4 mit 2 Hornern?
2 Oboeny dem Streich- Quartet t (die Bratsche mit deni
Violon und Fagott)7 welches in Vte Triolen sich bewegt.
3. Herr, starke mich. Ei"9 Cbor aus Gellerten von C. P.
E. Bach, in der Passion von 82 und 83. KB. Der S. und
a Vera."
Es ist dies der bereits zu der Passion von 1781 mlt-
€
getheilte Chor. —
Die Passion von 1784 (Johannes) beginnt (muth-
masslich nach einem mit ]STo. 1 beziffertem Chorale) mit;
— 283 ~
Axisser diesem ersten Chor slnd aus demselben Werke
noch vorhanden:
a. ,,Nach den Worten: Er verschied, der Chor: Hallelujah!
Auf Golgatha starb als em Missethuter Jesus. Der Gereehte
stirbt fur nns Uebertreter."
welcher ziemlich kurz 1st und dessen Melodie, von dem
Streieh-Quartett imd zwei wit den Violinen gehenden
Oboen begleitet3 unverandert zu drei verschledeuen Text-
strophen gesungen wird. Der Chor ist in seinem Charakter
dem vorigen zieralich glelch.
b. Einige Arien in dem Style des vorlgen Jahrhunderts, obnc
hervortretende Bedeutun^,
c. Bin accompagnirtes Kccitativ im ariosen Styl, etwas weiter
ausgefiihrt, aber gleichfalls nur von besclnankter Wirkung.
Die Passion von 1785 beginnt mit
,,dem Choral No. 87, L (weleher einea Ton herunter in
G-moIl gesetzt wird."
,,Nach dem Choral folgt der Chor (sehr langsaxn, vler&timiiiig
E-moll -1/4 2 Oboec, Stieich-Quartett),**
welclier durcli ein sehr ernstes Vorspiel eingeleitet in
einen kurzen der 1. Litaney EID. Bach's entnommenen
Satz iibergehtj deni das dreimal wiederholte
,,0 Du Lauini Gottes das der Welt Siinde tragt,
Verleih uns sleten Friedeii. Amen!u
folgt.
Hier findet man zum ersten Male ein Sttiek? das der
Wiirde und deni Ernst des gottesdienstlichen Zweckes ent-
spricht. Freilieh ist dasselbe nicht fur die vorliegende
Passion componirt? sondem einfech einem anderen Werke
entnommen.
n]^ach den Worten: Den greifet Arie fur Sopran. (E-molI2/4,
StMich - Quartett Andante) Die Bosfeeil giebt mit falsdbes
Kfissen."
mit einem melodiseh weichen Mittelsatz in E-dur.
Das Papier und die Schrift dieses Stiickes sind von dem
ubrigen Originate YOQ 1785, so wie von der spater zu erortern-
den Passion YOU 1787 sehr versehieden. Auf dem Blatte ist die
Bezeiehniing 1789 ersicbtlicJby eine^ Jahres, dessan
Bach nicht mehr ertebt liattd. D» die P^ssion&mtzsik
— 284 —
dieses Jahr bereits ausgearbeitet war, so konnte wohl dies
Stiiek eigentlich jener letztcn Arbeit angehort haben und
nur aus Zufall in die Passion von 1785 gekornmen sein.
,,Nach den Worten: Cnd flohen,u accompagnirtes Eecitativ fiir
Bass, daira eine Arie fur Bats (C-dur %, fiir Streicb-Qnartett) in der
Weise der Mehrzahl der Bach 'si-hen Arien.
Und ging hm - aus nnd wein - te bit - ter-lich.
zy"~
,,Hieranf folgt Hrn Kircbner's Arie. Adagio. SFloten. Quartett,
Im Staub gebttckt wein' Ich vor din" Nacb den Worten: sehr
verwunderte," Arie fiir den Cant. (Allegro C-dur 2/4 Quartett)
Erfrecht euch nur, die Unschuld 211 verklagen. ,,Nacli
clen Worten: ,,ihnkreuzigten,u kommt die Arie fiir Hrn.Hofmann,
<lie in den Stimmen steht.1*
Hachber zuletzt das erste Chor aus der Litaney noch einmal und
der Choral No schliesst.u
Dieser Sehhisschoral ist nicht bezeichnet Doch liegt
der besproclienen Original -Disposition ein einzelnes Blatt
bei, auf welchein vlerstimnaig gesetxt obne Worte der Choral
?JWo Gott der Herr nicht giebt sein Grunst" aufge-
schrieben ist. der muthmasslich den Schluss hat bilden sollen.
Auch bei dieser Pa&sion findet sich im Wesentlichen
wieder bestatigt, was bei Besprechung der ersten Passionen
gesagt worden ist. Inzwischen tritt hier bei dem mindestens
m den Arien etwas reicheren Material die weitere Beob-
achtung binzu, dass dem instrumentalen Theile des Werks
eine fast zu geringe Aufmerksainkeit gewidmet ist, Quartett-
Begleitungj hie nnd da durch Floten oder Oboem verstSrkt,
meist in emfachem Begleitungsgange als Unterlage der
Singstimuneu, das ist AUes, was das Orchester in den
Passionsmusiken Emanuel Bach's zu leisten hat. Jeaer
reiche Weeh^el der Instmmentirung, welcher Sebastian
BacL'a Passionsarien charakterisirt, selbst die glanzenderen
— 285 —
Farben, die Emanuel Bacli in semen Qratorien hie und
da anzuwenden liebte? allcs das versinkt vor diesem ein-
tonigen Einerlei, aus dein selten ein wohlthuender Zug
selbstandiger Bewegung oder eigenthiimlicher Berechnung
hervorschaut.
Die mit der zitternden Hand Aes hohen Alters iu dem
Jahre vor Bach's Tode geschriebene ?,Passio secundum
Lucae von 1787" hat folgenden Gang:
,,Naeh demAnfaagsehoral: ,,0 Lamm Gottes," mit einem Verse
folgt der Chor No. 1. (Largo. D-moll. Allabr.) Die Oboen spielen
mit dem Cant und Alt.
Der Text: ??Meiu Erluser, Gottes Sohn, der Da
fiir mich bittest" u. s. w. ist kurz; rnelodiseh, weich be-
handelt, der ganze Satz einscHiesslich des Vor- und Nach-
spiels 38 Takte lang.
,,Nach den Worten: ,7ATjfecbtung fa I let," folgt dieArieNo. IT.
(Discant-Arie No, II.) G-nioll 44 mit Fagott, ohue Hoboen, nicht zu
langsam.
,,Dein Heil, o Christ, nicht zu verseherzen."
Diese Arie, in der das Fagott merkwiirdiger Weise
die Singstinime in der Octave begleitet, hat eine cavatinen-
massige Form.
,,Nach den Worten: Weinete bitterlicb. Bass-Arie No. III.
(B-dur % 2 Fluten. Quartett) nicht zu kugsain.
,,Mitten unter delnen Schmerzen"
ist wie die vorlge Arie kurz} ohne MitteLsatz, tin Ganzen
melodisch; doch nicht ohne einen altmodischen Anstrich.
,,Accompagnement, laugsam und 1m Tempo.
Thranen bittrer Eeue fliessen
Von sein©m Angesicht.
Und sie schamt sich zu vergiessen
Der gerilhrte Jiinger nicht
Er enteilet dem GetummeIT
Flehet briinstig zu dem Himmel,
Dass Gott ihm die Schtild verzeih',
Und im Scfawacben macbtig sei."
erne hocfast mittelffifesige Composition.
7,Gleich daranf foigt der Cbor: (C-dar *,.*, -2 FlSten, gtreiein
Quartett)
— 286
Deinem Freunde bin ich ahnlieh, Stets auf Deinein Pfad zu wandeln,
Aeh, erbarme ineiner dicli! Liebevol], wie Du, zu handeln,
Siehy, ich fleh' zu Dir so sebnlieb, Bis zura Tode treu zu sein,
Stirke, leite, bessre micb. Dies sei meine Lust allein.u
Dieser Chor ist wie der Eingangschor liomophon? me-
lodisch, doch nicht von jener Wiirde und Feierliehkeit,
die einer solchen Musik ihren Charakter verleihen sollte.
Wenn man den Schlusssatz betrachtet,
Biszum To-de treu zu sein.
Dies sei mei - ne Lust al - lein, meine Lust al - lein.
s^ wird man sich sagen raussen? dass em so liederartiges
Muslciren nicht in den Gottesdienst der Oharwoche passen
konnte.
>?Nach den Worten: Der Kraft Gottes. Arie (fur Bass. D-dur 2/4,
ofane Hobo^n mit Streich-Qnartett)" Lebbaft und niebt ohne einen
gewissen Crlanz,
w^ach den Worten: Was sie thun. Arie (fur Tenor. E-moIl 2/4
ohne Hoboen rait Floten.) Langsam. Die 1. und 2. Flote gehen mit
der 1. nnd 2. Yioline.
nErstaunend sen1 ieh diese Hal 3."
^tzt ohne Vorspiel ein; ist von keiner Bedeutung.
nllaeli den Worten: im Paradiese sein. Arie (fur Bass. C-dur
X, Steieli-Quartett}
Wenn sich zu jener Seeligkeit
Empor die Beele scfawinget"
eb^nfalls nieht von toher^m Werlhe als die vorige.
r,Nacn den Worten: YerseMed er. Cfaor- Largo, enthait BTIT
eine Wiederholung de^ ersten Cbors zu den Worten;
— 287 —
,,Herr, dein Friede sei mit mir,
Und auf mem Gewisseo,
Wenn es zaget, lass ron DIr
Trost und Freude fliesseo.
Trost ergiesst In jedes Herz
Sich aus jenem Herzen.
Auch den biingsten, herbsten Selimera
HeileB Deine Sehmerzen."
-Das Werk schliesst mit Choral No. 110, V. 5.
Die vorstehende Passion ist diejenige? aus welcher
man das Gerippe der anderen am deutlichsten erkennen
kann, weil sie in der Disposition vollstandig Lst. Die Ver-
gleichung zwischen ilir und den vorliergelienden melir
oder weniger bedeutenden Bruclistiicken zeigt deutlich,
dass alle 21 Passionsmusiken nacli demselben Zusclinitt
gefertigt, ohne wesentlichc innere organise he Verschieden-
heiten im Charakter einer geistliclien Unterfialturigsmusik
von vorwiegend sinnlicher Bedeutung geschriaben waren.
Mag, wie in dieser letzten? die Arienform vorlierrsehen?
oder mogen? wie in anderen, die eingestreuten Chorale
und die sonst vorkonimenden niehrstimniigen Sktze eine
hervorstechendere Rolle spielen, alien fehlt die kirchliche
Wurde und Erhabenheit, jener unbeugsame Ernst, welcher
der Feier der Leidenstage des Heilands ziemt Sonadh
lasst sich iiber diese zahlreichon Arbeiten nui* sagen, dass
ihr Schopfer vor der Nachwelt grosser dastehen wiirde?
wenn er sie nicht geschrieben hiitte.
Eine andere Kirchenmusik, welche gleichfalls dem
letzten Decennium d^ Meisters angehort? ist in dem Oegen-
stande ihrer Darstellung den Passioasmnsiken rerwandt?
staht ihm aber der geringeren ausseren Ausdehnuiig' un-
geachtet weit voran. Es ist dies
c) die Osterquarfal-Musik von 1784,
welche in der zu Berlin befindlichen Original-Partitur mit
der Untersetrifi ^cbn 20, Januar 1784" yei^ehen isi Sie
besteht, wie die naeisteii ffa* die Earehen Hajoaburg® ge-
sc^iriebenen Muaike% aus 2 TbeHe&j deren anste1 mi*
— 288 —
No. 1. Chor. (Adagio. D-moll% 2 Oboen. Streich-Quartett)
beginnt:
,,AnbetungT dem Erbarmer! Preis nnd Ehre
Dem, der fur uns den Tod der Sunder starb,
Der uns durch Blut und Tod ein ewig Gliick erwarb,u
Der yierstimmige Satz 1st geftthlvoll, etwas welch,
dock von festgegiiederter Declamation. Die Instrumente
dienen im Wesentlichen mir als Begleitungsgrundlage. Die
zweite Abtheilung im Allegro
,,HalIeIujah! Jesus lebet,
Erluste Menscben, o erhebet
Des Gottverso'imers Majestat!" etc. etc.
1st der vieleii Worte ungeachtet kurz, declamatorisch und
nicht ohne Energie,
f PH * '
Hal-le-Iu-jah, Je-sus le-bet, er - 16 - ste Menscben, o
' S-S-J-
er-
he-bet des Gottver - sohners Ma-je-stat,
in etwas oberflaehlicher Schreibweise gesetzt.
Dem gegeniiber steht No. 2. Acconipagnement (,,fur
IBariton, streng nach dem Tabt") als ein Muster edler
Lyrik da.
Wir standen weinend, tief in Sdimerz verloren,
Urn diese Graft Sie deekte den,
Ber fur die Sunder einst in Knecbtsgestalt geboren
Yon ihnen der Yerfolgnng Scbwacbe
Erduldete, der in»s Gericht dahingegeben
Fiir uns des Tod, ein Raufo der Leiden, sah.
Wir sab'n ihn sterben! 0 wie war nns da,
Denn unsrer Sehnlden Opfer ward sein Leben.
— 289 —
Eineherrlielie, an die begleiteten Recitative derMatthau»-
Passion Sebastian Bach's erinnernde melodische Decla-
mation zu einer Instrumental -Begleitung voller Innigkeit
und tiefen Gefuhls.
No. 3. Arie (ftir Bass. F-molI %7 Viollni con sord.)
mit dem Fagott, das in obligatem Gange mit der Gesangs-
stimme concertirt? und schon dureh die instrumental
Wirkung iiber den gewohnlichen engen Kreis der Arlen-
form hinaustritt.
No, 4. Accoinpagnement.
,J)oeh nun verwandelt sicn der schiiehterne Gesang
Der Traurigkeit in bunte Jubellieder,
Der dem Vo] lender singt Sein Arm
Bezwingt das Grab, nnd seioe Glieder
Deckt nun nicht linger Todea Nacht.
Frohlockt! der fiir uns starb, erwacht!
Der uns erloste, lebet wieder."
in einer deni vorigen Acconipagnement nahe koniinender
Weise? leitet No. 5. Arie (fiir Sopran, (J-dur 4/4, Streicb-
Quartett) ein, *welche in der alten Form und sebr Iang7
doch brillant und nieht ohne Feuer ist? und in der die
erste Violine sich in den bei Emanuel Bach so hiufig
angewendeten Passagen bewegt.
No. 6. Recit secco fiir Alt ftihrt zu No. 7. Cfaor,
dem Haupttheile des Werks, fiber:
nHerr, es ist Dir Keiner gleieh unter den Gotten*, und 1st Hienaand,
der thun kann wie Du! Hallelujah! (Ps. 8<>, 81.
(Allabr. D-dur, Moderato? 3 Troinpeten7 Fauken? 2 Floten
im Anfang mit dem Tenor in der hoheren Octave, 2 Oboen
im Anfang mit der 2. Violine , Streich-Quartett mit den
Gesangsstimmen) eine Doppel-Fuge im grossen Styl, weiche
mit dem Thema des ??Sicut locutusest" aus dem Schluss-
cbor des Magnificat als Hauptthema im Bass begiimt1},
i) Vergl. Bacfeys Brief vom 5, Mara 1783 aa die
Amalie (im Asita^)*
Bitter, Emannel and Pried«Ba*rtn Baeli. 10
i y fa fls w — -j
. ^ 9
— ^H n
!T * c
— © — : 1 '
— rf- J =3
Herr, es
>^7^ j j
1st dir
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!*y'fijj (p | * e J _
*-*-* -j -1 1
_i- Llf_j • ^
Herr, es 1st dir
gleich — un - ter den Got
K"i - ner gleich
_o ^__±r-^>i.
tern.
das IB reicher Arbeit und stronger Behandlung
ist ^nd dem sieb demnaehst das zweite Haiiptmotiv
^^sr__«T-r_
^-*— .
-'JJ.-I '•--
J | I j j-^
: <fa ^ 7 -J-J~-^ *
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i— ^J-^g— ^ ) j { j
,_ - f
^
^^ ' "^.
— =S~T '
y>_.
— — f — p— • —
— 291 —
Hal
-O .-.:. •--
IB jenem gllinzenclen und uberans priichtigen Aufbau und
in so bewunderiLswertherDurcliarbeitung und VerscLlingung
der Stimmen anreilit, wie deren bereits bei dem Slagniticat
Erwahnung gescheken^ und vermoge deren diese Fuge
wohl ohiie Zweifel zu den bedeutendsten und vollendetsten
Leistungen der contrapunktischen Schule gezahlt werden
darf. Der Sehluse, in welchem die Stimmen in dem eraten
Hauptthema vereinigt werden.
Herr, ea ist dir Kei - ner
Hal
le - la
ist einfoch snd grc^sartig. Die Instrnmente gehen in ab-
weehiselnder Weise meist mit dem Gesange, aber mit ®ehr
glClcklicher Eereehuuiig im Einzelnen und mit grosser
Wirktmg.
— 292 —
Der Choral No. 1557 9 (des Hamb. Ges.-B.)? n
sel Dir7 o Friedenslurst," fur alle Instrumente sehr sorgsam
gesetzt, sehlle.st den ersten TheiL Die Musik 211 dem zweiten
IVile ist nicht bekannt. Der Text euthielt 4Nurommern und
inag wolil der von Bach in seinen Kirchen-Arbeiten beliebten
Hanier geinkss von einem andern Tonsetzer componirt
worden sein. Bach's eigenhSndige Bezeichnung des Datums?
wie sie oben angegeben; bezeugt oftenbar, dass er seine
Arbeit an dem Werke beendet hatte. Die Wirkung jenes
prachtvoll fugirten Ohors zu iiberbieten? mochte ihm selbst
schwer geworden sein. Wie sich sein Theilnehmer an
dem Werke damit abgefunden habe, das zu erforschen; lag
ansser dem Bereiche dieser Erorterungen.
Wirft man von den bisher besprochenen Kirchencom-
positionen aus einen vergleichenden Riickblick auf die von
Bach in seiuer Berliner Zeit geschriebenen grossartigen
Tonwerke, so findet man ihn nach Verlauf eines SOjahrigen
Zeitraums und unter Unistanden, die ihm in selten gliick-
licher Weise jede in der Kunst mogliche und berechtigte
Freiheit der Bewegung gestatteten? auf der Bahn wieder?
welcher die ersten Anfange schon in dem Magnificat ent-
Htammten und die in der Oster-Cantate von 1756 deutlich
erkennbar war. Wohl steht die Oster-Cantate von 1784
holier als alle seine Prediger-Einfuhrungs- und Passions-
niusiken zusanimengenommen. Auch ist er in ihr mindesfens
theilweise wieder zu der polyphonen Schreibart zuriickge-
kehrt. Aber grade diese Betrachtung und die Vergleichung
niit den anderen Musiken zeigt, dass ihm bei seinen Kirchen-
stiicken ein bestimnites kunstlerisches Ziel nicht vor
Augen lag.
Dies fuhrt auf die Frage zuruck, aus welchem Grunde
Emanuel Bach, der grade in derselben Periode seines
Lebeus durch zahireiche und vortreffliche Ai*beiten gezeigt
hatte, dass ihm die Bedingungen einer wiirdigeri kirch-
lichen Slnsikiibuug nicht fremd geworden? den kircluichen
Styl in dem Maasse unbeachtet gelassen , naben mochte?
— 293 —
dass man in der grossen Mehrzahl seiner fur die Kirche
gesetzten Tonwerke kaum eine Andeutung davon findet?
Burney1) hat bei Gelegenbeit seines Besuchs in
Hamburg gewisse Aeusserungen Bach's aufgezeichnet, die
tiber die Art and Weise; wie er das streng contrapunktische
Wesen der alien Schule beurtheilte, Auskunft geben sollen.
.,Er sprach mit wenig Ehrerbietung von Canons, und sagte
es sei trocknes, elendes und pedantisches Zeug, das ein
jeder inachen konne, cW seine Zeit daniit verderben wolle.
Ihm sei es jedesmal ein sicherer Beweis; dass es demjenigen,
ganz und gar an Genie fehle, der sich niit einem so knech-
tischen Studircn abgebe. Er fragte mich, ob ich in Italien
viele grosse Contrapunktisten getroffen habe? und auf meine
verneinende Antwort versetzte er: Nun, es wttrde auch
nicht viel sagen; wenn sie auch batten; denn wenn man
den Contrapunkt auch recht gut versteht, so gehoren doch
noch yiel andere wesentliche Dinge dazu; wenn man ein
guter Componist werden will. Er sagte? er habe einst an
Hasse geschrieben, er ware der listigste Betriiger von der
Welt; denn in einer Partitur von zwanzig vorgezeichneten
Stimmen lasse er selten niehr als drei wirkliche arbeiten;
und mit dieseii wisse er so himmlische Wirkungen bervor-
zubringen, als man niemals von einer vollgepfropften Par-
tiiur erwarten durfte."
Doch ergiebt sich hieraus nur, dass Bach den Miss-
brauch mit contrapunkti^chen Schwierigkeiten und Kunst-
stiicken? den Contrapunkt und die Canons, welche um
ihrer selbst willen gesetzt werden, verworfen hat.
Hiitte er hierin welter gehen wollea, so vriirde er zugleich
seine eignen besten Compositionen und alle Grundbedin-
gungen haben verleugnen miissen, auf denen die Bedeutung
und Grosse seines Vaters und seine eigue niusikalische
Bildung beruhte. Selbst talentvolle Musiker ncuerer Zeit,
nicht bloss diejenigen? die mit geistloser Ueberschatzung
Musik. Reisen. IU. S. 192.
— 294 —
ikres eigenen Schaffungsverinogens Mangel an gritndlichem
Wissen und schulmassiger Durchbildung verbinden, halten
den alten Kirchenstyl fur einen uberwundenen Standpunkt.
Emanuel Bach that dies nicht; aber in den Passions-
musiken hat er ihn verlassen, ohne etwas anderes gleich
Berechtigtes an seine Stelle zu setzen. Was hat er damit
erreicht, als dass er eine Reihe von mit Recht vergessenen
Arbeiten gefertigt hat? GUaubte er vielleicht auf dem
den grossen Ideen seines Vaters entgegengesetzten Wcge
zu gleicher; vielleicht hoherer Wirkung zu gelangen?
Wollte er der Kirchengenaeinde fasslicher 7 verstand-
liober sein? Oder niochte er in der Erinnerung tragen?
dass man die herrlichen Musiken seines Vaters in den
Kirchen zu Leipzig nicht ihrem Werthe nach gewiirdigt
hatte? In jedem Falle hatte er wissen mussen, dass die
rechte Wirkung nur mit den rechten Mitteln erzielt
werden konne.
Nicht den polyphonen Styl, weil er polyphon 1st, nicht
die Form der F age, weil sie Fuge ist, nicht den doppelien
oder einfachen Contrapunkt, weil er gelehrt 1st, mochte
man der Kunst gewahrt wissen. Wohl aber hat der alte
Kirchenstyl das Empfindungs-Vermogen der Menschen seines
eignen Zeitalters an der rechten Stelle getroffen und triflft
es auch noch in heutiger Zeit. Darum sollte man ihn nicht
aus kindischer Furcht; altvaterisch zu erscheinen oder des-
aufgeben? weil er muhsarn zu erlernen und noch muh-
in der Ausarbeitung ist. Denn lernen und arbeiten
muss? wer schajffend niitzen will. Wem der echte Genius
mnewohnty der wird stets im Stande sein? die Form dem Geist
anziipassen, durch den er belebend, erhebend, begeisternd
wirken, in dem sich seine Individualitat frei und treu kenn-
zeichnen kann. Hat denn uberhaupt die Form einen anderen
Zweck als den? den Inhalt helfend und klarend zum Ver-
standniss zu bringen? Es ist ein nicht hoch genug zu
schatzendes Verdienst Mendelssohn's, dass er; nach rein
kimstlerischer Eingebung haudelnd, gezeigt hat, wie der
— 29& —
schopferische Geist in den Fornien nicht zu Grunde geht?
sondern sich in ihnen klart, hebt und veredelt.
Das Beispiel, das in diesem Abschnitt der Biographic
eines grossen Meisters gegeben worden, ist ebenso belehrend
als tiberzeugend.
Von E manual Bach's iibrigen Kirchenstiicken , ins-
besondere von den Musiken fur bestimmte Sonn- und Fest-
tage ist verhaltnissmassig wenig bekannt Eine eigne Ab-
theilung derselben bilden
d) Ore Kirchen-Chorer
theils fur sich abgeschlossene Compositionen geringeren Urn-
fangs, theils dazu bestimmt, je nach dem Bediirfniss mit
anderen gleichartlgen Stiicken zu einem cantatenahnlichen
Ganzen zusammengestellt zu werden.
In kiinstlerischer Hinsicht stehea sie mehrentheils auf
einer hoheren Stufe als die bisher betrachteten Kirchen-
Compositionen.
Zu ihnen gehort zunachst der schone Chor: ??Leite
mich nach Deinem Willen," (2 Violinen^ 2 Oboen,
2 Horner, Viola, Bass, A-moll 4/4) componirt am 5. Mai 1785.
Bach sagt uber ihn in dem im Anhange enthaltenen
Briefe an die Prinzessin Amalie, der er diesen Choral
unterni 5.Marz 1787 uberreicht hatte: >?Im beigefugten Choral
ist zwar nichts kiinstliches. Ich habe aber der Worte
wegen auf eine harmonische Einkleidung gedacht, welche
ohngeachtet ihrer Dreystigkeit keine iible Wirkung macht.
Die Melodie wird in lauter leichten Intervallen von der
Harmonie durch schmale und rauhe Pfade geleitet und
jsie folget kindlich." Er hat hiermit dies kleine Werk in
treffendster Weise charakterisirt.
Der erste Vers mit der Ueberschrift ,,Sehr langsam,
die NoteB gut ailsgehalten" lautet in der vierstimnrigea
HarMonie nach einer Einleitu-ng vo» 2 Takten:
296 —
Lei- te mich nach dei-nem Wil-len.
, J _
— O O - -I O— Jfe-
^P
zpzrJSE
:f=ifM
Ganz ver - lass jch mich auf dich
, , I -I J J „ I ^
Dass ich
al - le rnei - ne We - ge kind - lich, kind-lich
3=:
dir be - fell - len mo - ge.
Dar-in,
Grott, er - hal - te mich.
^_d ' *•'
Die Blas-Instrumente folgen als "Verstarkung den Stimmen,
die Violinen und die Bratsche in V4 Noten von der Tiefe
nach der Hohe springend, stellen gebrochene Begleitungs-
accorde dar.
— 297 —
Der Choral selbst, niit seiner vom 18. Takte ab sich
erhebenden Steigerung bewegt sich in iiberraschenden und
feinen Modulationen.
Im zweiten Verse
,,Ist gleich Deine Bahn oft dunkeL,
Doch betret ich sie voll Muth.
Deine Weisheit, Deine Gnade,
Fiihrt sie mich gleich rauhe Pfade,
Dennoch fuhret sie mich gut."
schweigen die Blas-Instrumente, die Violinen und Bratschen
schlagen auf dern 2. und 4. Viertel der Begleitung nach,
wahrend der Choral in seinem grossen harmonischen Fort-
schreiten mit den in uberraschender Folge auftretenden
Bassen wie der diistre Gang dorch ein von Nacht erfiilltes
Leben erscheint
Im 3, Vers dbernehmen die Violinen eine anmuthige .
den Gresang leicht umspielende Begleitungsfigur:
fe
wahrend die Bratsche zuerst mit dem Tenor gehend, vom
5. Takte ab in eine selbstandige Bewegung libertritt, die
in zum Theil synkopirten Noten eine Gegenbewegung gegen
den Choral enthalt:
?7Unyerzagt will ich Dir folgen?
Dessen Weg nicht irren kann.
Freud7 und Leiden, Tod und Leben,
Alles? wie Du mir's gegeben;
NehmJ ich dankbar von Dir an.^
Wie der leuchtende Grlanz des anbrechenden Morgens^
so schreitet die Harmonie in klarer lichtvoller Bewegang
einher.
Das Ganze bildet ein harmonisch in sich vollendetes
— 298 —
Kunstwerk von eigenthumlich sanfter und kindlich reiner
Stimrnung.
In diesem Werke zeigt sich der Gegensatz, in welchem
E manual Bach zu seinem Vater stand, in edelster Form.
Hier der reiche Wechsel der Modulationen, der sich in den
drei Versen auf dem Grunde homophoner Fortschreitungen
cntfaltet, gehoben durch den melodischen Reiz und die in-
strumentale Begleitung; dort die Vertiefung in den Wort-
laut des Gedichts, dargestellt durch die wunderbaren har-
raonischen "Wirkungen, welche die contrapunktische Be-
wegung zu Stimmungs-Bildern edelster Art erhoben hat.
Emanuel Bach schrieb das kleine Werk in einem
Jahre, das fiir ihn in Bezug auf den Chorgesang besonders
schopferisch war, in dem Jahre der Entstehung des Morgen-
Gesangs am Schopfungstage, einer Gelegenheits- Cantate?
des Chors 7,Amen, Lob? Preis und Starke," des Ohors
77Meine Lebenszeit verstreichtr" einer Prediger-Einfuhrungs-
und einer Passions-Musik.
Yon diesen Choren ist die Composition des ^Amen,
Lobr Preis- und Starke," aus Sturm's geistlichen Liedern
(I. No. 4) entnommen, fur den Sonntag Quasimodo geniti
1783 zur Auffiihrung in der St. Catharinen-Kirehe bezeichnet.
Der Ghor besteht aus zwei Versen von vollig gleicher
QoN&pasitM»L. In der homophonen Weise der Mehrzahl der
Bach'sdben Chore gesetzt, im Uebrigen melodio«; rhythmisch,
w& T'r0-fflpeten? Pauken? Oboen und dem Streich-Quartett
begleitet, tragt er den Charakter des ursprunglich Lieder-
massigen an sich? der fiir kirchliche Wirkungen nicht
passt. Die Violinen begleiten in den bekannten jubelnden
Passagen.
Bei einer spateren Auffiihrung (an einem Michaelis-
feste) folgte ihm noch einEecitativ mit dem T^xte: ??Dich
sehenwir g^martert und zerschlagen," dessenMusik
nicht mehr vwhanden ist, und dann der im Jahre 1774
eomponirte Chor: ?7Wer ist so wiirdig wie Du,"
Piese Michaelis-Musik war aus. MusikstackeB ver-
— 299 —
scbiedener Art zusaminengesetzt und so zu einer Cantate
gebildet worden.
Konnte bei einer derartigen Behandlung der Kirchen-
Musik der Ernst ? die Wiirde und Hoheit der Religion,
als deren Schniuck und fur deren Anregung sie doch be-
stimmt war, gewinnen? War nicht dies Zusarnmenlesen
der Cantaten aus verschiedenen Stticken verschiedener
Meister ein Nothbehelf fur den mangelnden Ernst im Streben
und in der Arbeit? War diese Art der Musik nicht wesent-
lich und vor Allem dazu angethan? die Kirchen-Gemednde
sinnlich zu unterhalten und so eher geeignet, sie von dem
Hochsten, das sie in der Kirche suchte abzuziehen, als sie
darauf hinzuleiten? Konnte dabei der innere Zusammen-
hang der Musik mit dem Gottesdienste des Ta-ges erreicht
werden?
Der Gellert'sche Chor: ??Meine Lebenszeit ver-
streicht/£ aus deniselben Jahre wie die vorigen lierrfihrend
(Adagio Es-dur % rait 3 Trompeten, Panken, 2 Oboen und
Quartett), im einfachen Liederton; doch in der Melodie voll
Wiirde und Anmuth, gehort jedenfalls dem Besten an? was
Emanuel Bach in dieser Art geschrieben hat-
Ein andrer der bereite erwahnten Chore: 3?"Wer ist
so wiirdig etc." (aus dem Jahre 1774) ist den Cramer7-
schen Psalmen (No. 8.) entnommen. Ihn zeichnet ein glanzen-
der declamatorischer Styl aus. Die im Unisono des Quar-
tetts beginnende, in reicher Pracht durcbgefiihrte Orchester-
figur von der scharf accent uirten Begleitung der iibrigen
Instrumente durchbrochen, hebt den vierstimmigen Satz. In
der liederartig declarnatorischen Behandlungy die hier
gleichwohl der Wiirde des Satzes keinen Eintrag thut, be-
fand sich Bach in dem ihm besonders zusagenden Bereich,
ifnd so hat er in diesem Chorsatz ein schones Musrkstiick
geschaffen, das, wenn man einmal die Art an und fiir sich
anerkennen will, jedenfalls seinen besten Arbeiten fur die
Kirche zuzuzahlen ist. Auch diesen Chor findet man in
Texten aus jener Zeit7 welche fur die dortigen,
— 300 —
gedruckt waren, mit an der en Choren und Recitativen zu-
r<ammengefugt, ein abermaliger Beleg dafiir, wie Bach
einzelne Stiicke zur Zusammenstellung soldier cantaten-
artiger Musiken zu verwenden pflegte.
Uocb. sind zu nennen:
;,Trost der Erlosung," V. l.; 8., 14. und 17. aus
Oellert's ??Gedanke; der uns Leben giebt" Sstimmig
mitBass (Sopran, Alt, Bass) abweichend von Bach's sonstiger
Compositions weise in vollkommen polyphonem Styl und
von herrlicher Durchfuhrung.
,,Der Kampf der Tugend," V. 1., 2.? 8. und II. aus
Qellert's ,,0ft klagt dein Herz, wie schwer es sei"
(H-moll 6/4 4-stimrQigj ernsthaft). Der erste Vers hoinophon;
der zweite fur Sopran und Bass zweistinamig. V. 8. fur
Tenor und Bass. V. 11. vierstimmig, durcliweg von hoher
Schonheit^ verdionte wohl, der Vergessenheit entriickt zu
warden.
Aus Sturm's Liedern, Th. 2? S. 5. V. L, 4. und 5.
??Uich bet' ich an, Herr Jesu Christ" C-dur jnit be-
ziffertem Bass far Sopran und Alt, choralrnassig dem
vorigen Satze ahnlicL, eignet sich dies Stuck vorziiglich
zu froinmem Gesange in der Stille des Hauses.
Bitten. Vier Verse aus Gellert's ,,Gott, Deine
Giite reicht so weit," (G-moll s/-i niit beziffertem Bass).
Der erste Vers vierstimmig, der zweite und dritte Vers
im Wechsel von Alt und Sopran gegen Tenor und Bass,
die Schlussstrophen dieser Verse gemeinschaftlich. Der
vierte Vers vierstininiig, in langen Accorden bis zum leisesten
Pianissimo verhallend, wie die vorhergehenden Satze von
vorziiglicher Schonheit.
In einem Kataloge von Musik und Btichern,
welche im Jahre 1844 in Leipzig versteigert werden sollten1),
finden sich von Emanuel Bach als geistliche Cantateri
noch angefuhrt:
In der K. Bibliothek zu Berlin.
— 301 —
No. 854: Grottes Grrosse in der Natur.
7J 855: Gott Israel, einpfange *).
„ 857: Jesus Christus, cler clas Leben.
Es lasst sich aus dieseii Angabeii natiirlich niclit er-
sehen? ob es sich hier uni wirkliche Arbeiten Bach's ge-
handelt, oder welche sonstige Bewandniss es mit jenen
Cantaten gehabt haben mag.
Allen diesen Tonstiicken weithin iiberlegen ist der
grosse Doppelchor
e; H e i I i g ,
mit dern sich Bach unmittelbar neben die ersten Meister
seines Jahrhunderts gestellt hat. In der That scheint er
rnitunter das Bedtirfniss gefuhlt zu haben, sich aus den
lyrischen Grefiihls-Ergussen, in die er sich so sehr hinein-
gelebt hatte, herauszureissen und sich in der kraftig ernsten
Weise seiner Vorfahren etwas zu Gute zu thun. Er warf
sich dann rnit der vollen Macht seines Genius auf die ver-
wickeltsten contrapunktischen Aufgaben und schuf Werke,
mit denen er sich weithin liber Alles erhob, was er sonst
in diesem Felde zu leisten pflegte.
Das Heilig; 1778 geschrieben und zunachst einer
Oster-Musik angehorig, ist schon irn Jahre 1779 ina Druck
erschienen2). Dasselbe besteht aus eineni grossen von zwei
Orchestern begleiteten Doppelchore mit kurzer Einleitung
1) Yielleicht den Israeliten in dei Wiiste eninommen.
2) Das der ersten Ausgabe vorgedruckte Verzeichniss weisst 240
Subscribenten nach, daranter aus Berlin 27 (Prinzessin Amalie von
Freussen, Kirnberger,Schulz,Sulzer und SMusiker und Cantoren),
aus Gottingen Fork el, ferner 37 Namen aus Hamburg, 25 aus Copen-
hagen, 13 aus Hannover und Holstein, 10 aus Ludwigstadt (wobei
4 von der Herzoglichen Familie), Moscau, Beval, Kiga, Stettin,
die Ukermark und Scbiesien und in Suddeutschland Ulm. In Ungarn
hatte der Kardinal Primas Ftirst Batniany unterschrieben, in Wien
Baron van Swieten 25, Musikhandler Artaria 12 Exemplare, auf
Warschau kanien deren 37, worunter die Namen des Prinzen Biron
von Garland, der Furstin Czartoriska, des Abt Dufresne, der
Grafin Lubienska, der Furstin Lubomirska, der Grafin Potocka
und der Furstin Radziwii.
— 302 —
durch ein Sopran-Solo. Ein Allegretto der Streich-Instru-
mente (G-dur V*)
dessen Oberstimraen in gefallige Violin-Passagen ubergehen,
fuhrt naclx 13 Takten zu dem als Arlette bezeichneten
Solo:
,?Eerr, werth dass Schaaren der Engel Dir dienen,
Und dass Dich der Glaube der Volker verehrt,
let danke Dir! Sei mir gepriesen unter iimen.
Icli jauchze Dir!
Und jauchzend lobsingen die Engel und Volker mit niir."
Diese Textvvorte driicken den Grundgedanken des
Werks ans. Es ist die Anbetung der Engel des Hinamels
und der Volker der Erde, die sich zum Preise Q-ottes mit
einander vereinigen. Der einleitende Gesang des Engels
bewegt sich in sanft melodischer Declamation, wahrend
die erste Violine inn mit lebhaft graziosen Gangen; wie
mit den Gewinden eines reich bliihenden Kranzes nmflicht?
bis er auf langer Fermate ruhen bleibt Nach kurzer
Stille beginnt darauf der Gesang der Engel in vierstimmigem
Chore das Heilig (Adagio, C-dur 2A)- Wie aus ferner
Hohe herniederklingend, nur von dem Quartett der Streieh-
Instrumente begleitet, schwillt derselbe in wunderbaren
Accordfolgen bis zum lauten Jubelruf an, urn dann wie in
den Wolken verhallend, wieder leise zu verklingen, Ihm
303
antwortet in feierlicher Pracht der Chor der Volker (dessen
Orchester, gegeniiber der einfaclien Begleitung des Engel-
Chors aus 3 Trompeten, der Pauke, 2 Oboen, dem Streich-
Quartett, der Orgel und dem Fagott besteht).
Z wisclien beidenChoren entwickelt sich ein in den reichsten
G-egensatzen sich erschopfender Wechelgesang, in welchem
dort das Ueberirdische, aus den Wolken herniedertcinend,
liier das naturlich kraftige zum Himmel Ernporjubelnde
dargestellt ist. Dreiinal schallt dasHeilig der Engel aus
der Hslie herab; und ihm antwortet zweimal? zuerst in vieo.T-
stimmigen langgehaltenen Accordfolgen^ dann unter dem
schmetternden Rufe der Trompeten und dem Donner der
Pauken in gewaltigem Unisono der Volkerchor. Nach
dem dritten Rufe der Engel vereinigen sich beide Chore
in inachtiger Tonmasse zu dem gemeinschaftlichen Jubel-
ruf ;7Herr Zebaoth!"
Die Fiille, Kraft und Majestat dieses Wechselgesanges
und der grossartige Schwung, der den reichen Grlanz seiner
harmonischen Steigerung erfullt, stehen auf der hochsten
Stufe dessen, was je die geistliche Musik zu sehaffen ver-
mocht hat. Zugleich ist der Ban des Ganzen neu und frap-
pant Der Charakter des in bewundernder Anbetung auf-
strebenden Lobgesanges ist mit erhabener Wiirde festge-
halten. In energisch schwungvoller Weise folgt ihm in
dem gemeinschaftlichen Chore der Engel und der Volker
der fugirte Satz:
Al - le Lan-de sind
sei
Eh - ren
— 304
Al-le Lande sind sei - - ner Eh - ren voll, smd
zzz^fr^igi^^-J-y-*
^S^^^^E^
voll, sind sei
Eh
welcher zunachst in einfacher Durchfuhrung die Haupt-
Motive vereinigt und von dem ersten Orchester auf-
genommen wird. Unter seiner Bewegung trennt sich
der Engelchor yon dem Chore der Volker, urn in
kraftigem Unisono den Choral: ,,Herr Gott, Dich
lob en wir"7 anzustimmen. Nach der 2. Strophe desselben
beginnt das Fugenthema, von den Oboen intonirt, im
zweiten Orchester und der Chor der Volker antwortet
mit der Wiederholung des Chorals in hoherer Tonart unter
steter Umflechtung der Gesangsstimmen durch die das
Doppelthema verbindenden Instrumente. In der verengerten
Verbindung und Gegeneinanderwirkung der beiden Haupt-
Motive ergreift der Chor der Engel das ,,Alle Lande":
Al- le Lan
de smd sei - ner Eh -re voll.
-*-
Al - le Lande, — al - le
Lande
der Chor der Volker antwortet , von seinena glanzenden
Orchester begieitet, in gleicher Weise. Nach reichem
Wechsel <Jer Modulationen tritt diesem plotzlich der Chor
der Engel niit dem in lang gehaltenen Accordfolgen aus-
tonenden Heilig gegeniiber, wahrend der Chor der Volker
in schwungvoller Pracht das Motiv 7,Alle Lande" fort-
fuhrt, bis aach der Engelchor in dieses wieder einfallt.
— 305 —
Feurig und voll jubelnden Lebens vereinigen sich den
beiden Choren beide Orch ester. Ein wabrbaft majestati-
scber Schiuss fiilirt zuletzt Alle in einstimmigen Gangen
zusammen.
Efet2F
SF
Al-le Lande,
al - le Lande,
al-le Lande sind
Al-le Lande,
al-le, al - le Lande sind
-g- j — J — izi
c
Dei - ner Eh - ren
J J J «-\
, -isir
voll
[.
1 ' 'J=^--*-i
1— P-
Dei - ner Eh - ren voll.
Eine seltene Kunst des Satzes, eine nur dem Zogling
der Ba-ch'schen Schule mogliche Beherrsctung aller Mittel
des polyplionen Sty Is zeichnen dies ausserordentliche Werk
aus. Keine veranderte Greschinacksriclitung wird iin
Stande sein; ibm etwas von seinem Wertlie zu ranben.
Dasselbe nat in seiner Zeit die ibm gebubrende Aner-
kennung gefanden und banfige Auffiibrungen erlebt1).
i) In welchem Maasse dies der Fall gewesen ist, lasst sich aus
einer Bekanntmachung im Hamburger Unparthelischen Con-espondenten
vom Jahre 1785 (No. 168. vom 17. October) ersehen? worin es heisst:
,,Kiinftigen Sonntag, als den 23. dieses, wird das Heilig etc.
nach der Composition des Herrn Kapellmeister Bach in der grossen
SCchaelis-Kirche von 2 auf der Orgel nnd dem Kirehensaal befind-
lichen Choren Vor- und Nachmittags aufgefiihrt werden, welches
auch in der Sonnabendschen Vesper daselbst schon geschehen wird.
Welcher wahre Musikfreund wird es wohl versaumen, eines der
vortreiflichsten nnd erhabensten Musikstiicke, die jemals componirt
worden sind, zn horen, wobey sich diesesmal noch eine, von dem
Herrn Kapellmeister inlkusik gesetzte Arie mit einer obligaten Txm-
Bitter, Emanuel und Friedeifiann Bach. 20
— 306 —
Beichardt rief, bei der Ankundigung des Werks1)
fur seine Zeit vielleicht mit volleni Rechte aus: 77Konnte
icli je das Heilig so ineisterhaft ausfnhren horen, als es
gearbeitet ist! Aber das wird's bei unsern Sangeru und
Geigern und Pfeifern nie! In melir als in einer grossen
Stadt hab? ich's schon auffuhren horen. Aber ich muss
gestehen, dass icli noch nicht einmal cine Idee da von
hatte, ware nrir nicht die Partitur zu Gresicbt gekoramen!
f) Die Litaneien.
Ob die Litaneien in strengerem Sinn zu den Kirchen-
musiken gezahlt were! en konnen, niochte zweifelliaft sein.
Doch ist der vorliegenden Bearbeitung ein kirchlich-litur-
gischer Charakter nicht abzusprechen. Sie erschienen unter
dem Titel:
Zwei Litaneien aus dem Schleswig-Holsteini-
schen Gesangbuche mit ihren bekannten Melodien
fiir acht Singstimmen in zwey Choren und dem
dazu gehorigen Fundament-, in Partitur gesetzt
und zum Nutzen und Vergniigen Lehrbegieriger
in der Harmonie bearbeitet.
Dies merkwiirdige Werk ist im Jahre 1785 entstanden
und im folgenden Jahre von Niels Schiorr ing in Kopen-
hagen herausgegeben worden.
Man begcgnet in dieser Composition dem Tljahrigen
Meister auf den Pfaden seines grossen Vaters. Wie dieser
einen Theil seiner vorziiglichsten Werke ??zum Nutzen
.und Gebrauch Lehrbegieriger," also fur den Unter-
richt geschrieben hatte; so hat Em. Bach; der Sohn? ;?hier
7?zum Nutzen und Vergniigen Lehrbegieriger" eine
Mutt von harmonischen Combinationen entfaltet, wie solche
pete befindet, die eine der prachtigsfen und feyeilichsten In ihrer
Artist" (Wahrscheinlich die Bass-Arie aus der Prediger-Einfuhnmgs-
Musik: siehe S. 268. ,,Schon hor' ieh die Posaunen schallen.")
i) Kunst-Magazin Bd. I, (1782.) S. 84. 85.
— 307 ~
bei den kurzen Motiven der Litaneien und deren einformi-
gem Inhalte kauin denkbar gewesen 1st.
Bach hat dies Werk mit einer Vorrede versehen,
welche wesentlich dazu beitragt, den kunstlerischen Stand-
punkt, auf dem er zu jener Zeit stand, zu erkennen.
,,Meinen Freunden ubergebe ich hierbey die alte und
neue Litaney aus dein JBolsteinischen Gesangbuche mit
ihrer Melodie und Harnionie in Partitur.
In unseren Kirchen wird, so viel ich weiss, die Lita-
ney bloss von der Grenieinde, ohne Orgel, gesungen-, folglich
bleibt die Ausfuhrung dieser Litaneyen nur fiir die Privat-
Andacht, und ich habe aus dieser Ursach, der nothigen
Veranderung wegen? besondereHarmonien anbringen durfen.
Bei der Ausfiihrung werden beyde Chore Sanger in
einem geraumen Sale an bey den Enden von einander
getheilt; und zwischen ihnen, in der Mitte des Saals? wird
das Fundament, oder der Grundbass, mit der Orgel, oder
eineni andern durchdringenden Klavierinstruniente nebst
einem Contra- Violon ausgefuhrt.
Bey dem Singen der Litaney in den Kirchen ist niir
das geschwinde Singen, oder vielmehr Plappern, besonders
bey langen Perioden? in kurzen vorgeschriebenen Noten
allezeit anstossig gewesen.
Ein Busslied in gemeiner Noth erfordert durchaus ein
langsames Tempo in gut ausgehaltenen Noten; ich bin
deswegen bey dieser Arbeit, so viel als moglich, von der
Vorschrift abgegangen; und habe statt der kurzen Noten
langsanie genommen und Ruhezeichen da angebracht, wo
sie die Sanger nothig haben, ohne den Verstand zu zer-
reissen. Wenn die Declamation zuweilen kurze Noten er-
forderte, so habe ich sie beibehalten, zumal wenn das
Intervall zu oft auf einander folgte. Langsanie Noten und
immer dieselben, ohne Ruhezeichen, wurden alsdann
widrig klingen.
Ueberhaupt ist ein sehr langsames Tempo nothig, theils
um das Plappern zu vermeiden, theils um die haufigen
20*
- 308 —
forte, piano u. s. w, nicht zu schnell auf einander folgen
zu lassen.
Den Lehrbegierigen zu Gefallen habe ich gewisse
Stellen bezeichnet, urn ineine Riicksicht auf die Worte da-
durch anzudeuten. Dem.ohngeachtet laugne ich nicht, dass
auch Stellen vorkommen, wo eben keine fremde Harmonie
nothig war, welche ich aber der Verschiedenheit wegen nahrn,
wenn es nicht wieder den Ausdruck war.
In der neuen Litaney, welche wegen der langen Peri-
oden mir weit mehr Arbeit, als die alte? gekostet hat, habe
ich zuweilen, aber sehr selten, den vielen H das C mit
eingemischt Dieses letzte Interval! kommt ausserdem
ebenfalls in der Melodic vor? und ich habe, durch dieses
Einmischen, der Harmonie mehr Veranderung geben
konnen.
Die angedeutete Schwache und Starke des Vortrags
hat, neben der Verminderung der Stimmen; ihre Beziehung
zuweilen auf die Worte, zuweilen auch auf die Harmonie
und war bey dein unendlichen Einerley hochst nothig.
Wenn in der neuen Litaney bey langen Perioden auch
das Fundament mit den Singstimmen da schweigt, wo der
Verstand noch nicht zu Ende ist; so ruhet das erstere doch
alsdann entweder mit einer Dissonanz, oder mit einer Sexte,
ausserdem aber nicht.
Bey ein Paar vorkommenden enhai*monischen Stellen
bin ich mit Fleiss von der rechten Schreibart abgegangen.
Ich weis aus Erfahrung, dass man einen reinen und mehr
auffallenden Effect erhalt, wenn die Intervallen unycrriickt
liegen bleiben. Sanger konnen so wohl, als Instrumentisten
rein singen und spielen: aber bey enharmonischen Fallen
ist es beinahe unmoglich, dass, zumal wenn mehr ere zu-
sammen sind, alle auf einem und dem gehorig£n kleinen
Punkt das Intervall riicken. Ein Ausfuhrer, oder viele
machen einen grossen Unterschied hierin. Wenn die Inter-
valle so rein, wie sie vor der Enharmonic warcn, liegen
— 309 —
bleiben, so erwartet das Ohr keine Ausweichung, folglich
1st der Effect hernach viel auffallender. Auf dem Clavier
lasst sich dies am besten probiren. Die rechte Schreibart
der Intervalle sammt ihrer Bezifferung habe ich bey diesen
enharinonischen Stellen unter dem Fundament angedeutet
Ich hoffe, dass man durch diese Arbeit von dem Reich-
thum und von der Wirkung der Harmonie sattsam tiber-
zeugt sein werde, ohngeachtet ich gewiss weiss? bei weitem
noch nicht alles erschopft zu haben. Meine Basse zu eben
diesen Litaneyen im Holsteinischen Ohoralbuch sind merk-
lich von diesen Bassen unterschieden. Je mehr man in
der Harmonie suchet7 desto mehr findet man7 nur habe ich
diesmal mein Suchen nicht ubertrieben? und immer Alles
verandern wollen. Ich wiirde dadurch zu widrig^ und
zuletzt undeutlich geworden sein. Auf Wunden gehoren
Pflaster,
Wenn ich in der Harmonie mehr durch gesunde und
mehr lebhafte Noten statt der langen zusammen anschla-
genden hatte anbringen wollen ? welch unabsehliches Feld
wtirde sich gezeigt haben.
Unter den Sangern miissen die Bassisten die ztiver-
lassigsten seyn? obgleich die Altisten und Tenoristen auch
nicht schlecht seyn diirfen. Die Fortschreitungen der Inter-
valle sind zwar zuweilen etwas fremd, aber verbotene
Fortschreitungen kommen nie vor. Ein langsames Tempo
erleichtert ungemein das Treffen dieser Intervalle.
Kurzlich hatte ich in meinem Hause das Vergntigen,
im Beiseyn einiger Kenner diese Litaneyen von meinen
Sangern recht sehr gut ausgefiihrt zu sehen.
Endlich wunsche ich: dass meine Arbeit den Lieb-
habern der Harmonie angenehm und zum Theil nutzbar
seyn nioge. Dieses sey die beste Belohnung fiir die Muhe,
die ich angewandt habe; einen Gesang? der ein paar
hnndertmal keine andere? als nur zweierley Modulationen
hat, so zu bearbeiten; dass man zufrieden seyn kann, und
— 310 —
nicht befurchten darf, bey der Durchsicht und Ausfuhrung
desselben einzuschlafen oder gar einen Ekel zu bekommen.
Hamburg, den 14 Marz 1785. (X P. E. Back"
Hiernacli ist diese so iiberaus miihsame Arbeit nicht
fur den kirchlichen Gebrauch, sondern fur die Privat-
Andachten gefertigt worden, bei welchen ,,in Zeiten
gemeiner Noth" die Litaneien von denen? die sich da-
bei zusammen fanden, gesungen warden.
Die Litanea, aus der katholischen Kirche herruhrend
und dort in Zeiten der Noth die 6'ffentliche Furbitte ver-
tretend, war von Luther in dentscher Sprache und in
modificirter Form deni Gottesdienste der gereinigten Kirche
eingeftigt worden und bildete an Buss- und Bettagen lange
Zeit hindurch einen Theil der liturgischen Feier. Sie wurde
im Wechselgesange des Geistlichen mit der Gemeinde aus-
gefuhrt und enthielt eine Reihe von Klagen und Gebete
von ermiidender Endlosigkeit.
Ob die Litanei zu Bach's Zeit noch in der Kirche
gebrauchlich war? oder nur in den Hausandachten frommer
Familien geiibt wurde, ist eine Frage, deren Erdrterung
deni ausgesprochenen Zwecke der Arbeit gegenuber ohne
Werth ist, Jedenfalls war die Ausubung dieses Rituals
zu einem fornaellen Acte von herabstimmender Eintonigkeit
gesunken. Die besondere Veranlassung zu dieser kunst-
vollen Arbeit theilt der Herausgeber derselben in einer
in hohem Grade Interesse erregenden Vorrede mit:
,,Wer den Kennern ein klassisches Werk iibergiebt, macht sich
der Ehre, der Herausgeber desselben zu sein, durch die stillschwei-
gende Voraussetzung einer guten Aufnahme einigermassen win dig.
Ich kaim zu dem, was Bach iiber den Zweck sowohl, als liber
den Gebrauch dieser seiner Bearbeitung eines der feierlichsten Gesange
der kirchlichen Aabetung sagt, nichts hinzuzufligen haben. Es wird
aber nicht iiberfliissig sein zu erwahnen, auf welche Veranlassung ein
so originates Denknial der Kunst entstanden und wie es in meine
Hande gekommen ist.
Als vor einigen Jahren ein neues Danisches Gesangbuch heraus-
gegeben ward, wozu ich ein Choralbuch besorgte, wurde unter an-
deren auch die Litaney der Lange nach, auf eben die Art, wie hier
— 311 —
geschehen, mit Begleitung der Orgel ausgeschrieben , und um einige
Mannigfaltigkeit hereinzubringen, im Chor und Gegenchor (wie es nr-
sprunglich gewesen) abgelheilt. Ich wiinschte schon damals und war
nicht der einzige, der es wiinschte, dass der Kirchengesang in den
Herzogthtimern Schleswig und Holstein einer ahnlichen Eevision durch
die vorziigliche Mitwirkung meines grossen Lehrers, des Herm
K. M. Bach's, unterzogen werde. Und ieh hatte mein Augenmerk
dabei insbesondere auf die in dem dortigen G-esangbuch befmdlichen
beyden Litaneyen mitgerichtet, die bei der bisherigen Eintonigkeit des
Gesanges, unter der selbst die ausdauerndste Andacht erliegt, in einem
sonderbaren Contrast zu ihrer poetisehen Energie stehen. Es ist auch
wirklich in voriger Osterrnesse ein Schleswig -Eolsteinsches Choral-
buch, sogar mit verschieden sein sollenden Originalmelodien von
Bach bereichert, erschienen. Dass aber dieses weder im Ganzen, nocb
durch die unglaublich geinisshandelten Bach'schen Lieder nur auf die
entfernteste Aehnlichkeit mit demjenigen Anspruch machen konne,
welches das deutsche Publikum aus der vorlaufigen Naehricht erwarten
musste, die sich im musikalischen Magazin des durch seine Thatigkeit
*und Einsicht gleich verehrnngswiirdigen Hen*n Professor Kramers,
zweiten Jahrgangs befindet, wird Kennern sogleich auf den ersten
Anblick eingeleuchtet haben. Von den wahren Beduifnissen
eines Choralbuchs, das mit den Gesangen uns'rer Zeit im Verhaltniss
stehe, scheint der Herausgeber kaum einigen BegrirT, von denen der
alten Litaney kaum nur eine Ahndung gehabt zu haben; und mit wie
gerechter Scharfe konnte ich nicht seine ungewdhnliche Unwissenheit
in der Prosodie und Declamation riigen, wenn ich dazu geneigt ware.
Ich war unterdessen so gllicklich gewesen denHerrnK. M.Bach
nicht allein zu einer wiederholten Durchsicht der sammtlichen Chorale
bereitwillig zu finden, die er mir mit einem Schatze belehrender
Anmerkungen iibersandtej sondern auch durch diese Arbeit selbst zu
dem Gedanken Anlass gegeben zu haben, dass die Litaney einer
neuen Umarbeitung in einen vierstimmigen Gesang, ohne wesentliche
Abanderung ihrer liturgischen Beschaffenheit fahig sey, und von
dieser also bearbeiteten zweifachen Litaney eine Abschrift mit der
hinzngefiigten Erlaubniss zu erhalten, dass ich sie durch den Druck
bekannt machen diirfe.
Was ich fur die Sammlung des Ganzen durch jene Ausgabe eines
Holsteinischen Choralbnchs zu thun verhindert worden, thue ich nun
wenigstens mit einem einzelnen, aber einem der wichtigsten Bestand-
theile: Ich tiberliefere den Bach'schen Doppelchor denen, die ihn
zu nutzen verstehen; und ich wiirde auch das schon friiher gethan
haben, wenn ich* nicht genothigt gewesen ware, Druck und Correctur
selbst zu besorgen, welches sich bey der Ueberhaufung der hiesigen
Noten-Pressen bis hiezu verzogert hat
Um es zu einem bequemen Handbuch beym Studium der Harmo-
nien sowohl, als bey Singe -Uebttngen zu maehen, habe ich
— 312 —
wartiges Format gewahlt Der Druck 1st daher em wenig enge, die
f. und p., die in alien Stinnnen zugleich eintreten, habe ich, nm Raum
zu ersparen, nur zweyroal bezeichnet. Aus eben dem Grande gilt
der Text der Obeisthnme auch fur alle iibrigen, ausser wo es ndthig
war ihn besonders Mnzuzusetzen. Zur Erleichterung derer, die iiber
diess Werk etwas lesen oder schreiben wollen, sind die Takte iiber
den Tenor von 4 zu 4 abgetheilt, und was der Verfasser durch ein
NB. unter dem Fundament hat auszeichnen woJlen, wunsche ich auch
meinerseits der Auftnerksainkeit guter Beurtheiler, sowie die gemein-
niitzige Anwenduug des Werks iiberhaupt, den Beforderern der er-
habensten xnusikalischen Kunst, empfehlen zu konnen,
Kopenhagen, den 20. Mai z 1786. N. Schiorring.
Dieses interessante Schriftstiick ergiebt, dass E.Bach
die sammtliclien Chorale des Holsteimschen Gesangbuchs
einer Durchsicht unterzogen und tnit einem ?;Schatz be-
lehrender Anmerkungen" versehen hatte; die lei der der
Nachwelt nicht tiberwiesen worden sind1). Man erfahrt
ferner, dass das 1785 erschienene Schleswig-Holsteiniscne
Choralbuch zaiilreiche Chorale von Bach^ Composition
enthalten habe. Die in diesem Choralbuche befindliche
alte Litanei ist ihrem ganzen Umfange nach ohne bezif-
fertenBass abgedruckt, die von Schiorring ausgesprochene
entgegengesetzte Annahme also irrig.
Die Vorrede Bach's lasst vor Allein einen Einblick in
i) Dies wird in einem im 2. Jahrgang des Magazin fur Musik
(Hamburg 1784 S. 121) abgedruckten Briefe des JKammermusikus
Schiorring bestatigt, wo er sagt: ,,Das deutsche Choralbuch (nach
dem Schleswig-Holsteinischen Gesangbuche Ihres Herrn Yaters) dachte
ich in dieseni Sommer drucken zu lassen.
Die alten Melodien habe ich mit giosstem Fleisse nach den
Gesang- und Choralbuchern von 1529 an verglichen. Die an der en,
z. B. die Halleschen und Quantz'ischen Melodien zu Gell erts Gesangen
sind hm und wieder von dem Herrn Capellmeister C. P. E. Bach
verandert worden, so wie auch alle darin vorkommenden an-
deren Melodien von seiner Composition sind. Mem eigner
Fleiss wiirde mich nicht bewegen, das Buch bekannt zu machen. Allein
Bachs vortreffliche Harmonien dazu, die ich iiber Alles schatze,
haben mieh bestimmt, es zu wagen."
Wie sehi* ist es zu bedauern, dass diese Absicht nicht hat zur
Ausfiihrung kommen konnen.
— 313 —
die praktische Weisheit des alten Musikers thun, der bei
dern schwierigen und wegen der Lange und Eintonigkeit
des Textes, des Silbenmaasses und der Melodie, die Ennii-
dung des Zuhorers keineswegs ausschliessenden Werke
die sichere Ausfuhrbarkeit in erste Linie stellte und sich
wohl gehtitet hat? die harmonische Wirkung derselben
durch ?;iibertriebenes Suchen" in Frage zu stellen.
Der Zweck, den er im Auge hatte, schloss die Polyphonic
aus. Im homophonen Styl; der in dieser merkwurdigen
Composition vorherrscht, ist bezuglich des harrnonischen
Reichthums das fast unglaubliche geleistet word en.
Die Original-Partitur ist mit der von hohem Alter zit-
ternden Hand, aber sehr sauber geschrieben.
Der umfangreiche Inhalt der ersten (alten) Litanei
enthalt nicht weniger als 58 Satze und Gegenchore? die
zweite Litanei 42 Chore und Antworten, welche mitunter
bis zu 37 Takten langsamen Zeitmaasses ausgedehnt sind.
Man findet in beiden Litaneien Ausdrucks-Bezeich-
nungen angegeben. Wenn man deren geringes Maass den
in den-Richard Wagner'schen Opern so beliebten Be-
zeichnungen (man betrachte bloss den ersten Act des
Lohengrin x) gegentiberstellt? so muss man sich sagen, dass
hier? wie in der klassischen Musik tiberhaupt, die eigent-
lichen Ausdrucks-Bezeichnungen in den Inhalt, nicht aber
in ausserlichen Vorschriften gelegt sind.
Die Motive der Musik sind sehr einfach. Sie ver-
andern sich nur selten in dem durch die Declamation her-
beigeftihrten abweichenden Rythmus.
i) ,,Mit Feierlichkeit, sehr feierlich, sebr wichtig, mit sehr feier-
lichen Sckritten, mit feierlichem GraneB, sehr geriihrt, lebhaft (5 mal
kurz hintereinander), sehr lebhaft, mit feierlichem Entschluss, in feier-
licher Stimmitng> langsam, sehr langsam, sehr emst, noch hestimmter,
mit grosser Feierlichkeit iind feierHchster Andacht, in grosser feier-
Hcher Aufregung" etc. etc.
— 314 — *
Der erste Satz der alien Litanei
1 Chor.
2. Cher.
I
Herr Gott, Va-ter im Himmel! Er-barm' dich u - ber tins '
*
folgt 22 Mai auf einander, der zweite Satz
7, Chor
2. Chor
Wir ar - men Sun- der bit - - ten, Du
-J I
wol - lest uns er - ho - ren. Herr, Herr, un - ser Gott !
gar 24 MaL
Es wird nieht erwartet werden, dass der ungeheure
in diesem Werke niedergelegte Schatz an harmoriischen
Combinationen, die in keinem Zuge dem Charakter feier-
licnen und tiefen Ernstes imtreu werden? Her analysirt
werden konne. Der wesentliche Zweck der Arbeit war,
dem Studium eine Quelle zu eroffnen. "Wer aus dieser
schopfen will? muss selbst zu Ihr herantreten. Doch. moge
eine kurze Reihe von Beispielen in 4 Varianten des ersten
Satzes eine ganz allgemeine Idee von ihrer Haltung geben.
L Chor.
Herr Gott, Va - ter im Him - mel, erbarm dich \i - ber nns.
~ 315
1. Chor.
2. Chor.
i r i "i r
Herr, GottSohn, derWeltHei - land, er- barm dich u - ber uns^
a.A.All.*£& '-UsUH-
zSsztsz
Herr Gott, hei-li - ger Geist, erbarm dich iiber nns.
._4_d^-J . * .i^tSjfiL
Hilf nns, Herr, Herr, un - ser Gott.
_rJ ^ , ^ -d--S.
/
i) Reichardt (Kimst-Magazin von 1791. S. 30} fiigt der Anzeige
van dem Erscheinen der Litaneien hinzu: ,,Hie und da erlaubt sich
der Hr. E. B. auch seinen reichsten Witz mit Worten zu spielen und
durch sonderbare? oft anscheinend falscheFortschreltungen; Siinden,
Irrthum, Uebel, Teufelsbetrug und List, bosen schnellen
Tod, Pestilenz UH4 tbenre Zeit, Aufrunr und Zwietracht,
letzte Noth und dergleiehen staitdes: ^Beliut7 tins" au
und hat solehe Stellen mit einem HB, bezeicbnei Als
— 316 —
Der unerschopfliche Reichthnm an harmonischen Ge-
danken, die Gewissenhaftigkeit und Strenge in der Dar-
stellung und die from me Vertiefung in den Gegenstand
derselben lassen den alten Meister nahe den Marksteinen
seines Lebens in einem ehrwiirdigen Lichte erblicken, das
einen verklarenden Schein auf den letzten Rest seiner
Jahre wirft.
Unsrer Zeit ist es nicht gegeben, von dieser kunst-
vollen Composition praktischen Gebrauch zu machen.
Mochten dafur diejenigen, die sicli der Kunst widmen
wollen, um so mehr aus derselben zu lernen such en, da
aus ihr so sehr viel zu lernen ist. Dies wurde nicht allein
7?die beste Belohnung fiir die Muhe sein; die der
Verfasser sich bei der Ausarbeitung gegeben>"
es wiirde auch dieses eine Resnltat schon den Versuch
rechtfertigen, das Andenken Emanuel Bach7s nnd seiner
Werke der lebenden Generation in das Ged&chtniss zn-
riickzurufen,
g) Die Choral -Melodien.
Bach hatte, wie die Vorrede zu den Litaneien sehr
bestimmt nachweisst? dem Chorale ein lebhaftes Interesse
zugewendet. Er? der fiir die Privat-Andacht, fur die Er-
bauung frominer Gemiither durch die Meisterleistung seiner
drei geistlichen Liedersammlungen so viel gethan; hatte
auch dem Eirchenliede, in dessen Uebung er gross ge-
worden war? seine Thatigkeit nicht abgewendet. Fiir das
Schleswig-Holsteinische Choralbuch von 1785 hatte er zahl-
reiche Chorale gesetzt, und zwar so? ,?dass die dort abge-
druckten Melodien einestheils ganz neue, grosstentheils
aber alte waren, wovon einige des Sylbenmaasses wegen
trachtet ist der empfindimgsreiclie Witz des Qomponisten auch hierin
bewundernswertb, und ich mociite niebt, dass Hr. E. B diesec Finger-
zefg fiir junge Kiinst}er} die so gerne blindJings nacbahmen, als einen
hamiscben Tadel ansabe; denu es ist ibm gewiss niemand aufrichtiger
dankbar fur dies Werk als icb."
— SIT -
auf die fasslichste Art verandert worden waren1)." Den
Melodien sind dort aber leider die Namen der Componisten
nirgends beigefugt, und da unter denselben auch die
Quantzischen und Halle'schen befindlicli waren, so
-wiirde es schwer sein, die yon Emanuel Bach heraus-
zufinden.
In seinen fur die Kirche bestimmten Compositionen
nahm der Choral freilich die Stelle nicht ein; die ihm ge-
blihrt hatte. In den Passionsmusiken war dies, rein ausser-
lich betrachtet, rnehr der Pall. Aber hier war die Ver-
wendung des Kirchenliedes zwischen der langen Recitation
des Evangeliums doch mehr zu einem losen Hineinstreuen,
als zu einer organischen Zusammengehorigkeit mit Text
und Musik geworden. Dies hing offenbar mit der Art und
Weise zusammen, in der Bach die Kirchenmusik betrachtet
hatte. Es war bei ihm nicht die ??regulirte Kirchen-
musik" seines Vaters, die sich mit dem Inhalt des Gottes-
dienstes und mit dem religiosen Bedurfniss der kirchlichen
Gemeinschaft in Einklang zu versetzen suchte. Es war fur
ihn vielmehr offenbar ein ausserliches Gegebenes, eine
Forderung des religiosen Artstands, dass Kirchenmusik ge-
macht werden miisse. Darnach wurde sie behandelt.
Anders war es mit dem Choral. Ihn hielt er in Ehren?
fur ihn sorgte und wirkte er. Die Harmonien, welche er
zu dem von Senior ring beabsichtigten Choralbuch ge-
fertigt hatte, der ??Schatz von belehrenden Bemer-
kungen?" welche er mit der Bearbeitung der Chorale an
diesen hat gelangen lassen^ sind uns leider nicht aufbe-
wahrt worden. Was damit verloren gegangen, das lasst
sich am Besten aus einzelnen Ueberresten ersehen. Man
betrachte den folgenden Choral: ??Ach Gott und Herr2),"
!) Vollstandige Sammlung- der Melodieen zu denGesangen desneuen
allgemeinen Schleswig-Holsteinischen Gesangbucbs, Leipzig. 1785.
^j In der E/Bibliothek m, Berlin.
— 318 —
der in seiner eigenthumlichen Haltung ein Zuriickgreifen
anf die Beaandlungsweise des Vaters zeigt? dessen vier-
stimmige Chorale er ja grade in den letzten Jaliren seines
Lebens noch einnial iiberarbeitet hatte.
Einen ganz anderen Charakter freilich haben seine
;?N"euen Melodieen zu einigen Liedern des neuen Ham-
burgiscaen Gesangbuchs" (1787), 14 Chorale enthaltend,
von denen indess einer auf eine schon vorhandene Melodie
gesetzt 1st" Eine Anmerkung Bach's vom 30. Juli 1787
sagt: ;?Damit die Gremeinden die andern Melodieen leicht
und bald mitsingen lernen? werden die Herren Organisten
wohlthnn, wenn sie im Anfang diese aus leichten Inter-
vallen gesetzten Melodieen niit der vorgeschriebenen und
untergelegten leichten Harmonie stark nnd ungekiinstelt
mitspielen." Es hatten hienach diese Chorale in den Kirchen
Hamburg's bereits Eingang gefunden? konnten also nicht
wohl den allerletzten Lebensjahren Bach's- entsprungen
sein. Ihrer sind folgende:
— 319 -
* 1. Wie gross ist des Allmacht'gen Giite (von Gellert).
No. 23 des Hamburger Ges.-Buchs.
2. DieHimmel ruhmen des Ewigen Ehre (v. Q-ellert)
No 37.
3. Gedanke, der uns Leben giebt (von Gellert)
No. 66.
4. Jauchzt, ihr Erlosten des Herrn (von Gellert)
No. 120.
5. Wcr ist wohl wie Da (von Freilinghausen).
No. 189.
6. Gott ist mem Lied (von Gellert). No. 290.
7. Was ist mein Stand, mein Gliick (v. Gellert)
No. 264.
8. Besitz' ich nur ein ruhiges Gewissen (v. Gellert).
No. 296.
9. Wohl dem; der bessre Schatze liebt (v. Gellert).
No. 308.
10. Du klagst und fuhlest die Beschwerden (v. Gellert).
No. 312,
11. Was sorgst Du iingstlich fiir Dein Leben (von
Gellert). No. 411.
12. Auferstenn; ja auferstehn (Klopstock). No. 435.
13. Bald oder spat des Todes Raub (von Funk; geb.
1751). No. 437.
14. Erhabner Gott, was reicht an Deine Giite. No. 4
und 9. Melodie: Das walte Gott.
Von Luther's Zeit ab war das Kirchenlied, dessen
grossartige Tiefe wahrend der Reformation in der deutschen
Literatur Wurzel gefasst hatte, in dem Kreise der Dichtung
in Geltung geblieben. Noch das 17. Jahrhundert liatte
auf diesem Gebiet reiche Bliithen aufzuweisen gehabt. Im
18. Jahrhundert hatten Gellert, Klopstock, Sturm,
Claudius und einige andere seinen Kreis erweitert? seine
Art verschont. Diese neuen Lieder erforderten neue Weisen.
Einen Theil von ihnen hat EmanuelBach mit Melodieen
versehen und diese in den Gemeindegesang der Hfm-
- 320 -
"burger Kirchen eingefuhrt, vorr wo sie theilweise in andre
Kreise ubergetreten sind.
Diese Melodieen, obschon nicht von dem tiefen Ernst
und der erhabenen Charakteristik der alten Kirchenchorale
aus der Reformationszeit, sind doch edel? wiirdig, fasslich,
sehon declamirt, in der Harmonie vortrefflich. Zwei der-
selben (No. 1. iind No. 9.) mogen hier f9^
jujcp^liJD p-| -p^p-p
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Wie gross ist des All - macht'gen Gu - te!
der mit ver - bar - te - tern Ge - rnu - the
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ist der ein Mensch, den sie nicht ruhrt?
den Dank er - stickt, der ihr ge - buhrt!
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nein, sei - ne Lie - be zu er - mes - sen,
der Herr hat mein nocb nie yer - ges - sen,
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sei e - wig mei- ne er - ste Pfiicht.
ver • giss, mein Herz, auch sei - ner nicht.
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Jene Eigenschaften waren es, die den Choralen E ma B u e 1
B a cli's vor denen seines Vaters den Vorrang gesichert
haben. Bekanntlich hatte auch dieser eine nicht geringe
Anzahl neuer Choralmelodieen gefertigt, welche aber weder
im Publiknm noch in den Kirehen sich erhalten konnten.
Freilich batten ibm jene neuen geistlichen Lieder nicht zu
Gebote gestanden, in deren Dichtung die zweite Halfte des
vorigen Jairhunderts so fruchtbar gewesen ist.
Bitter, Emanuel und Friedemann Bach,
Anhang
zum ersten Bande,
Inhalt
I. Text dor Musik zur Einweihting der Unterkirehe in Frank-
furt a/0. 1736.
II. Depgl bei Amvesenheit des Prinzen mid der Prinzessin
Friedrich Wilhelm von Preussen 1737.
III, DesgL bei Anwesenheit des Konigs 1737.
IV. 16 Briefe Emannel Bach's aus den Jain-en 1772 bis 1775,
V* Facsimile von C. Ph. E. Bach's flandschrift.
21*
325 —
Welches
Am Sontage des ersten Advents 1736,
Bey der
Solennen
Der FrankfurtMschen
Unter-Kirche,
Abgesungen wurde.
Frankfurth an der Oder,
Gedruckt bey Sigismund Gabriel Alexen.
VOP Mittage.
TUTTI
Ich freue mich des, das mlr geredet ist, dass wir werden ins
des HErren gehen. Ps. 122.
VErgniigtes Israeli
Auf! preise deinen Gott,
Den dreymahl heilgen Zebaotli,
Der dir den Tern pel, den er liebet,
Heut wieder giebet
Tritt vor den Danck- Altar,
Entziinde deiner Andacht Kertzen,
Und brlnge ihm die eignen Hertzen,
Statt Weyrauch, Scliaaf und Hinder dar,
ARIA
Blut und Kauch vergniigt dich nicht^:
Reine Hertzen, Hoehstes Wesen,
Hast du dir zum Lob erlesen.
Brennen diese wie ein Licht:
So erfullen wir die Pflicht.
Blut und Rauch-vergnSgt dich niclit
— 326 —
Wie glucklich ist dein Volck!
Es kan in seinen Tempel gehen,
Wo cleine Ehre wohnt.
Dein Zorn, den wir so ofit verdienet,
Hat uns bisher geschont.
Wir diirffen nicht in Winckeln flehen;
Weil Fried im Lande griinet.
HErr! was dein Fliigel deckt,
Das hat noch nie ein Feind geschreckt.
Du rettest tins, o Gott; ,h
So bald wir unsre Noth
Dir, dem Alhvissenden bezeigen,
Und elufuichtsvoll die Kntie beugen.
Gelobet sey der HErr, cler seinem Yolcke Israel Ruhe gegeben hat,
wie er geredet hat.
1. B, der Konige c. 8. v. 16,
Nach Mittage.
Wie Lieblich smd deine Wohnungen, HErr Zebaoth.
Ps. 84
ARIA
Verdamnie, Zion, Leid und Nacht,
Lass Lust und Freude sich verneuen!
Den Tag hat dir der HErr gemacht;
Drum lasst uns freuen,
Drum iasst uns frohlich drinnen seyn;
Dem Heyland Hertz und Ternpel weyhn,
Und seiner Ankunfft Palmen streun!
Du sehntest dicli
Recht angstiglich^
Wie Yogel nach dem eignen Neste,
Naeh diesem Feste.
Da hast du, Zion, -nun dem Hauss !
Hier schiitte GOtt dein Hertze aus,
Hier danck, hier lobe ihn,
Hier kanst du deine Wohlfahrt bauen,
Und stets dein Gkicke steiff und griin,
Wie eine Ceder schauen.
- 327 -
GOtt ist den semen mild,
Der HErr ist Sonn und Schild.
Dein Heyland komt! auf! Zion, schmiicke dich:
Dein Brautigam, dein Konig nahert sich,
Sieh doch, wie Sanfftmuthsvoll, wie liebreich ist sein Bild!
ARIA
Hochster, wenn wir vor dir beten,
Lass uns nie zuriicke treten,
Ohne einen Gnaden Blick!
Welt und Siinde mag nns hassen,
Wilt du uns nur nicht verlassen,
0, wie fast steht unser Gliick!
TUTTI
Wie Lieblich sind deine Wohnungen, HErr Zebaoth,
Ps. 84.
— 328 —
Da
Hire Konigl. Hoheit
der
Durchlauchtigste Fiirst und Herr
Herr
Frtedrtch Willielm,
Prinz in Preussen und Markgraf in Srahdenburg
und
D er o
Frau Gemahlin
Konigl, Hoheit
die
Durchlauehtigste Fiirstin und Frau,
Frau
Sophia Dorothea Maria
gebohrne Konigl. Prinzessin von Preussen
Die Stadt Frankfurt
Mit
beehrten
legten in nachstehender
©acutatt©
ihre unterthanigste Freude an den Tag
Die auf der dasigen Universitat studirende,
Den 18. Marty 1737.
Gedruckt bey Philipp Schwarzen, Konigl. Preuss. Univ. Buchclr.
A r i a.
Frankfurt, lass in vollen Choren
Dein Yergniigen, deine Lust,
Deine Freudenlieder boren,
Lass aus der entflammten Brust,
Deiner Eegung Kraft zu zeigen,
Wunsch auf Wansch zum Hinrmel steigen.
— 329 —
Recitativ.
Jetzt freut Mcti alles! Ja die Minen
Und jedes treuen Unterthanen Blick
Kan fast statt aller Worte dinen,
Man kan aus ihren Augen deutlich lesen,
Dass selten wol fur sie ein gottliches Geschick,
So schon, und so erwiinscht gewesen,
Als dieses ist,
Dass Da, Dnrchlauchtstes Paar, in Frankfurts Mauern bist
Wir denken nock mit Lust daran,
Wie reizzend wir vordem geriihret waren,
Wenn wir, durch unsres Konigs Gegenwart
Gesehn, bewundeit und erfahren,
Wie seine vaterliche Art
Die Herzen ihrn gewinnen kan.
Wir sind aniezt fur Freuden halb entziickt,
Da wir, Durchlauchtstes Paar,
Dich kaum erblickt,
Und schon in D ein ein hoben Wesen
Den Ahdruck unsers Konigs lesen.
Wer kan dabei der Lust den frohen Ausbruch wehren?
Wer kan den inuntern Trieb verstecken,
Da wir an Dir so bald entdecken
Was Dich des grossen Vaters Pracht,
Und S ein em Ruhm,
Den Er im Wol und Flor der Unterthanen sezzet,
So ahnlich macht.
Wer kennt der Bninnen Heiligthnm
Das Kleinod aller Zeit,
Wer kennt Sophien Dorotheen,
Die grusste Kdnigin,
Und glaubt nicht Sie, in Dir, Durchhiuchtste Markgrafin
So wie in D ein em Ehgeinal
Des grossten Konigs Geist zu sehen?
Was Wunder, wenn man si eh von solchem Gliick gestarkt
Und ungewohnt gereizet merkt,
Was Wunder, wenn bey so annehmlicher Gewalt
Die Luffc von Wiinsehen wiederschallt?
Aria.
Man sieht durch Dich, Durchlauchtstes Paar,
In unsern tief und kuhlea Grunden,
Die allerreinste Gluth entzunden.
Nun wird die Ehrfurcht offenbar,
Und was in so viel Herzen sieekt
Durch Deine Wirkung aufgedecki Da
— 330 —
Recitativ.
Wo Dein gelinder Blick durch unsre Gassen dringet,
Da wirst Du nichts als Lust gewahr,
Die Deine Gegenwart,
Durchlauchtstes Paar,
Nicht etwa nur zurn Sehein,
0 nein
Durch einen sanften Zug erzwinget
Die Musen sind wie ausser sicb,
Und da sie Dich
Vergniigt gefunden:
So scheinen die den Biicheru abgestohlnen Stunden
Vortrefflieh angewandt
Denn weil sie unsres Kdnigs Hand
Beschiizzt, so halten sie davor,
Du konntest sie unmoglich hassen.
Hier steht ein feuriger Soldat,
Durch seiner Obern Beispiel angefiihret,
Und wann er sich an Deine Fenster naht
So wird er so da von geriihret,
Als hatt? er selbst den Mars gesehn.
Der Kaufmann, den sonst nichts, als Geld und Vortel riihret,
Legt diese Neigimg ab, und lasst urn Dich zu sehn,
Die Haufen karger Kauffer stehn,
Die Liebe zum Gewinn wird hintenangesezzet,
Weil inn Dein Anblick mehr, als alle giildne Ziel
Ergezzet.
Er stellt in Dir sich Deine Enkel vor,
Und sieht bewegt, so vieler Lander Flor
Die Sie einmahl bis an den Fall der Erden
Durch Bath und Arm beschiizzen werden.
Die Lust 1st allgemein!
Aria.
Lass Ehrfurcht und Freude, Durchlauchtigstes Paar,
Den Abtrag so vieler gehailigter Pflichten,
Durch Loben, durch Bethen, durch Wiinschen entrichten.
Der Himmel, der Brandenburgs Adler bewacht
Und der ihn den Sternen so nahe gebracht,
Erhobe Dein Gliicke, so lange die Welt
Aus Brandenburg Eelden und Zierden erhalt.
Da Oapor
— 331
Als
Der Allerdurchlauchtigste und Grossmkchtigste
Fiirst und Herr
H err
Friedrich Wilhelm
Konig in 3?reussen
Marggraf zu Brandenburg, des Heil. Rom. Eeichs
Ertz-Cammerer und Churf first, Souverainer Printz
zu Oranien, Neufchatel, und Vallengin, zu Greldern, Magde-
burg, Cleve, Jiilicli, Berge, Stettin, Pominern, der Cassuben
und Wenden, in Meklenburg, auch in Schlesien zu Crossen
Hertzog, Burggraf zu Nurnberg7 Fiirst zu Halberstadt7
Minden? Cammin, Wenden, Sc}iwerin; Eatzeburg und Morss,
Graf zu Hohenzollern7 Tecklenburg, Lingen7 Schwerin,
Biihren und Lohrdam, Marquis zu der Vehre und Kissingen?
Herr zu Ravenstein, der Lande Rostock7 Stargard,
Lauenburg, Butau, Arlay und Breda,
in der Martins Messe 1737
Mit Dero allerhochster Gegenwart
beehrten
Wollten ihre allerunterthanigste Ehrfurcht und Freude
bezeugen
Die auf der dasigen Universitat Studirende.
Frankfurt an der Oder, gedruckt bey Sigismund Gabriel Alexen.
Aria.
Entdeckt durch tauseod frohe T6ne,
Was, Musen each ^or Last ent^iiefct,
Pa ihr den grossteit Held erbliekt,
Den Held so vieler SiegesfalmeB,
Vater seiner Unterttoaneo,
— 332 —
Den Sehutzgott, der die Welt begliickt!
Entdeckt durch tausend frohe Tone,
Was, Musen, euch vor Lust entziickt,
Pa ihr den grdssten Held erblickt!
Vergniigte Stadt,
Dein Konig ist in Deinen Mauern,
Der grosse Friederich,
Auf dessen kluge Vorsicht sich
Der Lander Wolfahrt stiiizet,
Von Dem sie ihren Ursprung hat,
Der mit dem tapfern Schwerdt
Die sichern Granzen schutzet,
Dass sich der Burger ruhig na*hrt.
Erneute Ehrfurcht, Lieb' und Treu,
Blick auf Dein bliihend Wolergehen,
Lass sebn, wie gross die Freude sey,
Den Stiffter giildner Zeit zu sehen!
Aria.
Friedrich Wilhelms Muth und Waffen,
Sein erleuchteter Verstand
Konnten leicht die Kuhe schaffen,
Misste sie das Vaterland;
Aber, da wir sie besitzen,
Dienen sie uns nur zu schiitzen,
Und der hell geschliffne Stahl
Kann mit Schimrner, Glanz und Strahl
Unserm Held zur Freude blitzen.
Bey so erwiinschter Zeit
Kan, sichres Brandenburg uud Preussen,
Wie sehr der Neid
Davon geriihret, dreut,
Dir nichts Dein Gliick und Wol,
Das ewig dauren sol],
Entreissen.
Tritt Gott und Konig vor den Hiss,
So ist Dein Schutz gewiss.
Nur lass die Hande niehmahls sinken,
Die Vorsicht eifrigst anzuflehn,
Damit sie Dis gekronte Haupt
Der Welt, so spat als moglich, raubt,
Der Welt, der sie es selbst zum Heil ersehn.
Sieh, unsrer Musen Chor
Geht Dir hierin mit seinem Beijspiel vor!
- 335 -
Aria.
Hochster, schiifcze Du don Konig,
VeiJangre Seines Lebens ZieH
Sollst Du Flehen, Wunsch und Willen
Des Ibegliickten Volks erfullen,
0, so waren hundert wenig,
Tausend Jahre nicht zu viel!
Hochster, schiitze Du den Konig,
Verlangre Seines Lebens Ziel!
Segne Friedrichs Thron und Erbenr
Und Sein Durchlauchtigstes Gemahl!
Zeucli die Vaterliche Eechte
Nie von Unsres Helds Geschlechte^
Pieussens Euhm kan nimmer sterben,
Sehmiickt Ihr Glantz den Ahnen-SaaL
Segne Friedrichs Thron und Erben,
Und Sein Durchlauchtigstes Gemahl!
— 334 ~
Sechszehn Briefe Einanuel Bach's aus deu Jahren
1772 bis 1775.
(Aus dem August 1772.)
Hochedelgebohrner, kurzum
theuerster Freund1),
Ich kann Ihnen den Verdruss nicht genug beschreiben,
den ich wegen meiner Concerte mit vielem Schaden durch
Herrn Winter's Tod zu uberwinden- gehabt habe, hatte
ich voraussehen konnen
Tausendfachen ergebensten Dank sage ich Ihnen von
Herzen fur alle gutig&t angebotne Frcundschaft. Ich war
in der Klemme und man hat niich nicht herausgelassen.
Basta! Nun Gottlob werden gieich nach Michaelis meine
Concerte herauskommen, so weit sind wir nun gewiss.
Theuerster Freund, seyn Sie doch so giitig und mel-
den mir, wie vicle Exomplare von alien 3 Theilen nieiner
Reprisen-Sonaten und von meinem Concerte III. aus deni
E-dur der seclige Winter bey Ihnen hat liegen lassen.
Wegen Dressden thut mir leid, der Mann ist grundehiiich,
allenfals hafte ich.
Lieben Sie ferner Ihren ewig treuen
Freund und Diener
Bach.
•Die beiden Fugen- Exemplar e, so wie sie sind, sollen
zu Ihren Diensten stehen. Wegen des Preises wollen wir
schon fertig werden.
Wegen Pohlen haben Sie Eecht, noch kann pre-
numerirt werden.
Da Sie die Fugen brauchen diirften, so schicke ich
sie Ihnen Franco mit der Post.
Original im Besitz des Herrn Director Klee in Dresden.
An Hrn. Breitkopf in Leipzig.
Hochedelgebohrner, hochgeehrtester Herr,
theuerster Freund1),
Madame Winter hatte mir meine Goncerte2) verarrestirt,
ohngeachtet sie nach unserer Abrechnung mir mehr als
100 Rthlr. herausgeben soil und sie tiberdem den ganzen
Verlag unserer gemeinschaftlichen Biicher3) in ihren Han-
den noch bis dato hat. Zur Ursache gab sie an: ich hatte
Sie gebeten, mir das ganze depot in Leipzig von den ge-
meinschaftlichen Biichern hieherzuschicken. Mein Wille
war nun, von Ihnen zu erfahren, ob von diesen Biichern
noch viele in Leipzig waren, weil ich voni seel. Winter
in 5 Jahren keine Nachricht davon kriegen konnte, und
er auch znletzt weder mir, noch andern etwas schickte,
folgl. glaubte ich? es ist alles vergriffen. Nun war zwar
nicht nothig; das geringste hiervon zu sagen, was ein
Freund dem andern vertraut, wie ich denn auch ruhig
wurde? da mir Winter den Bestand meldete: Da es aber
doch geschehen ist, so musste nicht mehr gesagt werden,
als wahr war. Seyn Sie, verehrtester Freund, demnach so
gtitig und melden Sie mir mit der ersten Post Ihr Ver-
theidungeri, (?) und schicken mir, wenn Sie ihn noch
haben, meinen Brief mit hieher. Sie glaubeu nicht, was
ich fur Aergerniss deswegen gehabt habe. Endlich sollen
meine Goncerte unterwegs seyn. Mit was fur Gelegenheit
1) Orig. im Besitz des Hrn. Kapellmeister J. Rietz in Dresden.
2) Muthmasslich die 1772 erschienenen 6 leichten Fliigel-Goneerte.
3) Offenbar der Vorratfe der ersten ATW^^ && wafaren Eunst
Clavier zu spielen. .
befehlen Sie die Exernplare? Mein letztes Geld ist doch
richtig eingelaufen?
Gewohnl. massen beharre ich mit aller Hochach-
tung Dero
ergebenster Diner
Bach.
Hamburg, d. 14 Nov. 72.
Zu meiner Legitimirung bitte ich uin Ihre Erklahrung.
Wie kann ich denn Bucher von Ihnen verlangen, dariiber
Sie nicht disponiren konnen?
jjHochedelgebohrner, Hochgeehrtester
Herr
Werthester Freund,
Sie haben nieine Bitto giitigst genehmigt, ich danke
Ihnen ergebenst dafur. Gegen Ostern wird es erst Zeit
seyn? die Anzahl der Prilnumeranten zu berichten nnd die
Gelder einzuschicken. Die Fridericischen Clavicorde
haben bey mir einen grosseren Vorzug vor den Fritzi-
schen und Hassischen wegen des Tractaments tind wegen
des Basses ohne Octave, welche ich nicht leiden kann.
Die Fortbiens1) sind sehr gut und ich verkaufe Viele
davon.
Ich beharre inimerwahrend
Ew: Hochedelgeb.
Hamburg in der That aufrichtiger
d. 10. Noveinb. 73. xi, ergebenster
Eiligst,
!) Erne Art von Fortepiano in Clavierform, erfunden von dem
OrgelbauerFriedericiinGera; vgLKoch, Mnsik-Lexikon. pag.589.
— 337 — «
Hamburg, d. 26. Aug. 74.
Geehrtester und Werthester
Freund,
& Q
g
- o
§5 B B Hlerbey erhalten Sie die 2 Biicher. fur
S sj *"^ i*^;^ " '
"* a 2 ^ deren richtige Bezahlung ich Ihnen bestens
§^ £ §• Q danke. Bey deni einen linden Sie die 6
o" N 2 gt gestochenen Chorale hinten in it gebunden.
"" ^ g" Die dabey geschriebcnen Anmerktmgen sind
o" 5* ^* B yon ^-er Hand des seel. Autors. Ausser-
^ S 2? *"* dein erhalten Sie noch 6 Stucke von J. S.
ef =f o und eben so viele von W. F. Tinier den
ersteren sind 6 angenehme Yorspiele, fur
6 § sf g Anfane-er sehr nntzbar. und unter den letz-
p_, P O ^ 7
g. I" p teren ist das verlangte Stuck mit 2 Clavieren.
sl! ^ o> §^ Beynahe ein Dutzend Trii von J, S. und
£3 ^ p C/2 . .
§ 5* <j noch einlge Pedalstiicke von ihm stehen zu
^ ^ § Dienste. Dies ist alles, was ich ha.be. Es
$L g ^. §• *st argerlich, dass die Sachen vom seel.
3 §- B* Vater so herumflattern7 ich bin zu alt und
CTQ g ^ » zu sehr beschafti^t um sie zusammenzu-
CD Hy- Q <J
o" 2 a! S treiben. Lieben Sie ferner
^ CD ^
gf1 cT |" Ihren redlichen Fr. u. Dr.
Bach.
Volti
Bey Grelege&heit, da Sie zu sagen belieben: wegen
meiner gedruckten Sachen dtirften Sie mich. nicht be-
schwehren? weil Sie sie von Breitkopf kriegen konnten,
tabe ich die Ehi*e, Ihnen zu espliciren^ das Sie ausser
den Psalmen folgend^ Saehen? welche ebenfalls^ NB. samml-
^, Emanuel and Friedemann Badu °°
lich meine Verlagsbucher sind, naher und far eben den
Preiss bey mir unmittelbar haben konnen, weil sie Breit-
kopf YOU mir nimnit, u. ich ihm yielen Eabbat geben muss.
(1) Heine beyden Versuche, (2) meine letzten sechs
Concerte? (3) Alle 3 Theile meiner Reprisen-Sonaten, mit
Winter 'schen Drucknoten, (4) Concerto III. init denselben
Noten, aus dem E-dur. Die geschriebenen Sachen,
die Breitkopf von mir verkauft; sind theiis nicht
von mir, wenigstens sind sie alt nnd falsch ge-
schrieben.
(ft; g* p^
r* 2.
ft. £
§ 1
w^ fa
ein Stiick
abgerissen. i
In Eil habe ich das Vergniigen Ihnen;
bester Freund; den Rest meiner Sebastia-
nore zu scliicken? nehml 11 Trii, 3 Pedal-
stucke und Yoni Himmel hock etc. Sollten
Sie diesen letzten Choral bereits haben, so
schicken Sie ihn gelegentlich wieder zuruck.
Die 6 Claviertrio, die unter ihren Nummern
zusammengehoren; sind von den besten Ar-
beiten des seel, lieben Vaters. Sie klingen
noch jetzt sehr gut, und machen einena viel
Vergnugen? ohngeachtet sie iiber 50 Jahre
alt sind. Es sind einige Adagii darin, die
man heut zu Tage nicht sangbarer setzen
kann. Da sie sehr zerlochert sind, so be-
lieben Sie solche gut in Acht zu nehmen.
Eiinftig kommen lauter Emanueliana. Jetzt
war es unmogl Lieben Sie ferner
, d. 7. Oct. 74.
Ihren treuen Treund
u. Diener Bach.
— 339 —
Hamburg, d. 15. Sept. 74.
Greehr tester Freurid,
Sie liaben nicht viel und nichts besonderes von
naeinen Sachen, wie ich sehe. Das Concert aus dero B
1st nicht von mir; auch die 3 Fugetten nicht. Ich danke
Ilmen herzlich fitr ihre guten Wunsche. Grott segne Sie
dafur! Die 6 Chorale kosten nichts. Ich werde Ihnen
ehestens einen Haufeu meiner geschriebenen Arbeiten liber-
schicken, jetzt bin ich ganz Oratorium? wie Sie aus der
Beylage sehen. Hr. K lop stock und einige andere
Frennde sind Ursache, dass ich schon wieder aufs Theater
trete. Seyn Sie so giitig und weisen Sie Herrn Boje;
nebst Vermeldung meines ergebenen Compliments ein Paar
hundert v^ubscribenteu zu. Ich innss deni Plane des
Hr, Klopstocks genau folgen, also 1st der Hen* Bojr
der alleinige Correspondent. Ich werde Ihre giitig e Be-
kanntmachung nieiner Absicht mit thatigem und gehor-
samem Danke erkennen. Ich habe nichts vom inusi-
calischen Opfer? es ist aber sehr bekannt und leicht zn
haben. Von Concerten haben Sie nun alles, was ich yon
ihm habe.
Kommen Sie do eh bald einmahl zu uns her. Jetzt
bitte ich ferner za lieben
Ihren
aufrichtig ergebensten
Freund u. Diener
Bach.
340 —
Den aufrichtigsten Dank statte ich
Ihnen, liebster Freund, fur die schonen
Metwiirste und meine wiedergeschickten
Noten ab.
Die 2 Sonaten, welche Ihren Beyfall
vorztiglich haben, sind die einzigen von
dieser Art, die ich je gernacht habe. Sie
gehoren zu der, aus dem H-ruoll, die ich
Ihnen mitschickte? zu der aus dem B, die
Sie nun auch haben, und zu 2en aus der
Hafner-Wiirtembergischen Sammlung, und
sind alle 6 anno 1743, im Toplitzer Bade
von mir? der ich damahls sehr gichtbruchig
war, auf einem Claviacord mit der kurzen
Octav verfertiget. Nachher habe ich meist
furs Publicum arbeiten miissen, bis auf
einige Sonaten, von gewohnlicher Einrich-
tung, welche ich Liebhabern zuweilen vor-
spiele und unbekannt sind. Hierbey schicke
ich Ihnen 6 andere Sonaten, welche etwas
starker sind, als die mehresten andern, und
nun haben Sie das von meinen Solos, was
ich furs beste halte zusammen. Meine Ar-
beiten furs Clavier allein enthalten 173
Stucke, theils Sonaten, theils kleine Samm-
lungen von characterisirten Stacken. Von
diesen 173 Stucken sind just 99 gedruckt.
[Inter diesen letzteren sind einige in ein-
zelnen Saminlungen, die nicht die schwach-
sten sind. Die iibrigen ungedruckten alle
sind entweder sehr alte Arbeiten oder
leichte Sachen fur Anfanger. Indessen
— 341 —
steht alles zu Ihren Diensten? was nur
halbweg nlcht zu schlecht ist? und was
nicht unter die wenigen gehort? woinit
nieine alten Finger noch ein bisgen auf-
geputzt werden, wenn Jemand zu niir
kommt, Das nur und Unbekaimtes muss
jetzt bey mir die meiste Freude machen.
^ Die siebente hier beygefugte Sonate
gl ist ein Mscrpt, von mir? welches Sie nair
^ zuru Andenken verwahren konnen? wenn
g_ Ihnen beliebt, Sie werdeii sie kennen? sie
^ steht im musicalisclien Vielerley? und folgl.
OQ liabe ich. keine Abschrift davon nothig.
0 Man will jetzt von mir 6 oder 7 Fantasieu
B* haben? wle das aehtzehnte Probestiiek aus
P^ dein C-moll ist; ich laugne nicht, dass ich
in diesem Fache gern etwas thun mochte?
vielleicht ware ich auch nicht ganz und
^- gar ungeschickt dazu? iiberdem habe ieh
^ einen Haufen Collectanea dazu? welche?
o? wenn ich Zeit hlitte, sie in Ordnnng zu
5* bringen; und sie allenfalls zu vermehren;
fg besonders was den Gebrauch aller dreyer
op Genermn betrifft? zu der Abhandlung von
^ der freyen Fantasie meines zweyten Ver-
d. suchs gehoren: allein; wie viele sind dereii,
g die dergleichen lieben, verstehen und gut
^ spielen? Der Hr. von Gerstenberg und
Hr. E. M. Schreiberin Copenhagen u. a.m.
wiinschten dergleichen und- offeriren alle
bona officia: allein noch habe ich wenig
Lust dazu? eben so wenig? als zu Clavier-
sonaten mit ein em begleitenden Instrument
nach dem jetzigen Schlendrian. Doch die-
ses letztere Un- oder Mittelding konnte
lucrativer seyn, als jene finstere Faatasle.
g-
— 342 --
Ich bin, wie allezeit, nach 1000 Em-
pfehlungen besonders an Ef und M. Heyne,
von ganzem Herzen
Ihr ewig treuer
Hamburg, d. 10. Febr. Fr. u. Dr. Bach.
75.
An den Herren
Forckel
Nebst Noten. in
Grottingen.
Liebster Herr Forckel.
Da ich nicht das Vergniigen babe haben konnen? Sie
hier zu sehen, so uberschicke ich Ihnen hierbey wiederum
ein musicalisches Fricassee von 6 Ingredientien zur be-
liebigen Absclirift. Die 2 Stiicke fiir die Orgel, sind? wie
die vorigen, niehr ohne, als mit Pedal, und miissen so seyn.
Das gedruckte ist nicht herausgekonimen, der Verleger
starb daruber; dies Exemplar war die Correktur.
Ich beharre; nach abgestattetem gehorsamstein Com-
pliment^ an den Hr. Hofr. u. Fr. Hofrathin Heine, wie
allezeit
Ihr
ergebenster Fr. u.
Dr. Bach.
Hamburg,
d. 3. Junius 75.
A Monsieur
Monsieur Forckel
(Jottingue.
B S f- B ,_, Hamburg, d. 20. Sept. 75.
fin?
» 8- ^ ^ g* Liebster Freund,
Q ^-^ J3 pu
o* § ^ g- I- Ftir die giitigst eingesandten 4 Ducaten
g §* S-" § g danke ich Ihnen verbundenst.
p g- «*- §. g Hierbey habe ich das Vergntigen, Ihnen
£- § ~ § £- etwas aus meinen alten Bachischen Archive
CC ^.j O ^.
M. w g g. zu iiberschicken. nebmlich 2 Stiicke von*
CJ a L^ Q3 t"^« '
^ JT'S. Q 1 <Jem braven Job. Cbristoph. und. von
ff>_^ i—i« CD »-; ^S j. / /
§ § If !f. <-• ^essen braven Bruder Job. Michel Bach?
I"" ^ ^ I c§ meineni seel. Grossvater miitterlicher Seits.
"X I- d " ? ^c^ bitte, sie gelegentlich mir; NB. gut
a?" S" ^j S § conservirt? weil sie etwas miirbe sind?
gl o P^ g g wieder zu schicken. Das 22stimmige Stuck
a ^* o^ g, ^ ist ein Meisterstiick. Mein seeliger Vater
$* S" ST 5 § ^a^ es ein:aianl ^n Leipzig in der Kircbe
| S 22. ^ |- aufgefuhrt, alles ist liber den Effeckt er-
^ p: PJ S* p staunt. Hier habe ich nicht Sander ffenu^,
SO* O $5*
g^ F ^ §" ausserdem wiirde ich es gern einmahl auf-
^ cc ^ ^ c fuhren.
aq 2 ^ 5* § Leben Sie vollkommen wohl und lieben
1 52 |^ § §" Sie ferner
2 2 co s^ 3 Ihren
jt SL. i-» Q p
5: ^ g* g- treuen Freund u. Dr.
£ g CD CD T% T
S £-' B J3 Bach,
Salutem plurimam Verte.
(auf der andern Seite!)
Von Fischern? Froberger etc, etc.
habe ich nichts, Der Himmel weiss? wo
diese Sachen hingekommen sind.
A Monsieur
Monsieur Forckel
a
Gottingue.
— 344 —
Hamburg, d. 9. Jenner 77.
Liebster Freund,
Vergcben Sie? da die ganze Christenheit jetzt ein-
ander ein neues Jahr wiinschet, und einem das Haus mit
einena Haufen Eotas oder Laus Deo bonibardirt wird? dass
icli urn kein Heide zu werden, Ihnen von Herzen alles
mogliche Gute In cliesem neuen und vielen folgenden
Jahrcn wunsche und auch mit einer Nota ersclieine.
Darf ich ausserdem auf die 2te Samnalung moincr Wo-
naten nun bald um Ihre- giitigen Collecten wieder bitten?
Ich bin steif und fest, wie allezeit
ganz
der
Ihrige
Bach.
N o t a
des Herrn Forckels HochEdelgeb.
gelieben
Ftir 4 Psalmon; a 1 Thlr. 8 ggl. . . 5 Thlr. 8 ggl.
Fiir die Zeiclinung des Stanimbaums 2 — 12
Fiir die Israeliten 2 — 8
Fiir 4 erste Versuche 12
Ftir 6 Reprisen-Sonaten 8
Fiir 12 Pranurneranten ....... 12
Summa 42 Thlr. 4 ggl.
Eestiren noch 19 Thlr.
E H Gs Bch.
E G D U Dr.
Bach.
Hamburg, d. 9. Jenner 1777.
345 —
Theuerster Freund,
Ich. komme schon wieder mit beykornmender Nach-
richt auf die Betteley imd beharre
Ihr
ergebenster
Bach.
Hamburg, d. 28. Jan. 77.
Seyn Sie so genuigt, imd bitten den Herrn Lodcn in
meinem Nahmen gleiehfalls ergebenst.
Hr. ForckeL
Liebster Freund,
Ich bin jetzt in der Nothwendigkeit, alles niogliche
aufzutreiben. um eine starke Zanlung zu thun, die ich
nicht voraus sahe: haben Sie also fiir miuh die Griite, und
tragen Sie je eher je lieber das Ihrigo mit demjemgen,
was sie wissen? hierzu bey, urn inich keiner unangenehmen
Vorlegenheit wegen meiner zu leistcnden Zahlung bloszu-
stellen.
Ich bin und beharre, wie allezeit?
Ihr
aufrichtiger Freimd
und Diener
Bach.
Hamburg; d. 2. Aprill
1777.
346 —
CD
Hamburg, d. 20. Juni 77.
I I3 Theuerster Freund,
&= E
B § Da nieine neuen Sonaten bald erschei-
cc nen werden: so wunsche ich bald nun zu
wissen, was sich fiir Pranumeranten bey
g g- Ihnen gemeldet haben. Die Nahmen wer-
5* den wieder niitgedruckt. Mein armer Sohn
CD $_ in Roin liegt seit 5 Monaten an einer
^ | hochst schnierzhaften Krankheit darnieder,
|" p,, und ist noch nicht aus aller Gefahr. 0
^ g O Gott, was leidet mein Herz! Vor 3 Mo-
g- fcj naten habe ich ihni 50 Ducaten geschickt,
g ^ und in 14 Tagen muss ich wieder 200 Thlr.
W ^ ftir Doctors und Wundarzte auszahlen;
^ a- "^C^ ^ann n^ctt mehr schreiben? als zu
P g bitten mit mir Mitleyden zu haben und
mir wo moglich beyzustehen.
Ich bin; wie allezeit
Ihr
Bach.
— 347 —
Hamburg, 23. July 1777.
Wehrtester Freund?
Bios meine jetzige Noth hat In Sie gedrungen und
welter kein falscher Gedanke. Ich bin Ihnen fur Hiren
guten Willen bey eingesandten 3 Louisd'or und Musicalien
sehr verbunden und empfehle mich Ihrer baldigen fer-
nern Gewogenheit bestens. Von den neuen Sonaten werde
Ihnen zur fertigen Zeit 6 Exeutplare zuschicken? von denen
xSIe nur 5 Stiicke bezahlen. Ihr Exemplar kostet nichts.
Es ist wohl das Wenigste, dass Ich Ihnen fur Ihre Freund-
schaft von meinen noch zu edirenden Werken allezeit ein
Exemplar verehre. Indess bitte doch? das Geld ftir die
5 andern Exeroplare bey Zeit einzucassiren^ ich habe von
nieinen andern Sachen noch so viele Rtickstande die mich
sehr beschwehren. Bios aus Petersburg soil ich noch fur
27 Sonaten der ersten Sammlung einen Pfennig sehen? etc.
Una Sie und andre Freunde keiner Verlegenheit im Ein-
cassiren waiter auszusetzen: so wird von nun an? ohne
eingeschicktes Geld, nichts von mir weggesandt.
Uebrigens ist unsere in Ihrem Schreiben gemeldete
Rechnung richtig.
Hr. Loden antwortet mir gar nicht? woriiber ich rnich
sehr wundre.
Ich beharre? wie allezeit
Ihr
treuergebenster
Bach.
— 348 —
Hamburg, d. 15. Oct. 77.
g
Liebwerthester Freund,
<j Tau
gelehrtes Programma ! Herr Leister hat
1 gf <j Tausend Dank fur Ihr schemes, fur Ihr
& * "» t$ $ es seilon ail£e ey sc> lim es
CD § ^ ^ HH resP°n(ienten zu recensiren. Nach ineiner
^ T | I 2^ ^J111"11^? NB lim Liebhaber zu bilden,
^ § ^ ^"* ^ konnten viele Dinge wegbleiben, die man-
^ " 2: o" CD' cher Musicus nicht weiss, auch eben noth-
|: 1. g: 3- ^ wendig nicht wissen darf. Das Vornehmste,
& g. §- S" |" nehral. das analysiren fehlt. Man nehine
g ^ ^ g* g ^on aller Art yon musicalischen Arbeiten
I" gl O S. wahrhafteMeisterstucke; zeige den Lieb-
§- p^ 8- ^ ^^bern das Schcine, das Qewagte, das Neue
^ 8 <g ^ darin; man zeige zngleidi, wenn dieses
H-I <? I" cc a^es nic^ wfire; wie unbedeutend das
§" & 3* g Stuck sein mirde; ferner weise man die
c °S ^ E Collier, die Fallbriicken die vormieden
| § orj sind' und besonders in wie fern einer
^"» H y V0m Or(iinairen abgeht und etwas wagen
S' | |] gl konne u. s. w. Doch Sie wissen nun schon
^ ^ «* ^ mehr als ich Ihnen jetzt sagen kann.
Lieben Sie ferner
Ihren alten ehrlichen Bach.
— 349
Hamburg, d. 22. Dee. 75.
Liebster Freund,
JEndlich erscheinen hierbey nieine Israeli ten. Von
den verlangten Antiquita'ten liabe ich noeli nichts auf-
trelben konnen.
Ich muss wegen der Feyertagsarbeiten scliliessen, icb
wiederhole nieine BItte wegen meiner Honaten? worauf NB
nicht subscribirt? sondern praenumeiirfc wird. Sie belleben
die Gelder dafiir so lange bey sicli zu behalten? bis ich
daruni bitten werde.
Lieben Sie ferner
Ihren
^yallre^ Freund und Dlener
Bach.
Druckfehler,
Seite 21
„ 30
„ 50
„ 53
„ 54
w 56
„ 87
„ 112
„ 117
,. 119
„ 142
Zeile
29 statt 900 lies: 200 Thlr.
13 das Wort sind fortzulassen.
10 statt 1746 lies: 1767.
12/13 statt an einzelnen Wendungen lies: in ein
zelnen Wendungen.
20 statt Tosou lies: Toson.
1 statt ohnehin lies: ohnedem.
7 statt et lies: e.
9 (von unten) statt hinzudrangen lies: hinztt
drange.
11 statt Genius, Gestalt lies: Genius-Gestalt.
28 statt diirfte lies: durfte.
23 statt Naumburg lies: Hamburg.
8 statt
lies:
„ 161 „ 8 statt lies:
„ 205 „
staft
lies:
„ 224 „ 18/19 statt der schonen Andnntuie lies: dein schd
* nen Andantino.
„ 258 ?, 32 statt Gegenwort lies: Gegenwart.
17 statt
lies:
Ma-jestat
Ma-jestat
!ft>(rv-.-
•f 8
\YltH, f'RIEDEMANN ^ACH.
CML PfflJPP EMADEL
WILHEIlMEDEMiMBACH
IMD DEREN BRUDER.
VON
C. H. BITTER.
MIT POBTRAIT TJ1SD FACSIMILE VON FRIEDEMANN BACH, SOWIE MIT
ZAHLKEIC
BERLIN, 1868,
VEBLAG VON WILE. M0LLER,
OBAXIBN-STRASSB 165a.
Malt
des zweiten Bandes,
Carl PMlipp Eiaauel Back
Fortsetznng des ersten Bandes. Cap. V.
D. Die Oratorien 1
E. Die geistlichen und weltlichen Lieder . . 60
F. Die weltlichen Cantaten 81
G. Gesammte Uekrsieht aller Compositionen 91
Cap. VI. Biographisches 95
H. AbseMtt.
Cap. YE. Johann Christoph Priedrich Bach 131
Cap. VIE Johann Christian Bach 140
Cap. II Wilhelm Friedemann Bach 150
Anhang mit besonderem Inklts-Verzeiehmss ... 269
Fortsetzung von Capitel V. des ersten Bandes*
Em. Bach hat
D, Drei Oratorien
geschrieben,
Der eigentliche Kirchenstyl ist fur diese durch Handel
zu so stoker Hohe emporgehobene Musikgattung nicht in
seiner vollen Strenge anwendbar. Freiere Formen, leb-
haftere Farben werden fiir die mehr dem Draraatisclien
sich zuneigende Tendenz dieser Werke nothwendig. Schon
nach dieser relativen Seite bin iniissen Bach?s Oratorien
einer hoheren Stufe angehoren; als die meisten seiner
frir den Grebraucb der Kirche geschriebene Arbeiten. Aber
auch ihr absoluter Werfch ist bedeutender.
Ln Ganzen ist Her der homophone Styl weniger flach ak
dort. Er wird nicht selten von glanzenden und wahrhaft
grossen Tonsatzen und von einer Fulle harmonischer Schon-
heiten unterbrochen? denen man in den Bach'schen Kirchen-
Mnsiken nur selten begegnet. Die Arbeit ist sorgfaltiger,
ernster und selbst in der Arie tritt vielfach das Bestreben,
blosse Unterhaltungsnmsik zu geben? vor einer charak-
teristisch entwickeiten organischen Gestaltung zuriick.
Bach zeigt sich hfer yon seinen Aufgaben
Bitter, Emanuel uad Friedemaita Bac3t JL 1
aickt selten begeistert. War ihm aucb nickt gegeben das
Hochste zu erreichen, so hat er dock das Verdienst, in
•wakrkaft kunstlerischer Weise Grosses gesckaffen zu kaben.
Die Zeit Back's nannte das erste seiner Oratorien
Die Israeliten in der Wiiste
,,ein Sing-Gredickt."
Es ist iin Jakre 1769 , also sehr bald nack seiner
Uebersiedeltmg nack Hamburg entstanden. Das Gedickt?
dessen Text iin Ankange unter Nr, V. abgedruckt ist; war
yon Sckiebler, einem zu seiner Zeit geackteten Dickter
in Hamburg, gefertigt. Ein nock zu Lebzeiten Back's
sick tiber die Form und Bedingungen von Oratorientexten
verbreitender Aufsatz sagt daruber1), es konne alien
aknlicken Arbeiten zum Muster dienen. Man wurde
bei Untersucktmg desselben finden, dass es in Absickt auf
aussere Einricktung und innere Bekandlung so besckaffen
sei? wie die fur solcke We?ke bestekenden Regeln
es bestimmten. Auck sei es bloss dieser Einricktung zu-
zuschreiben, dass es weit nattirlicker sei und weit mekr
interessire? als die meisten ubrigen bekannten dramatisirten
Oratorien2).
Jene Regeln, an deren Beacktung ein so giinstiges
Resultat gekniipft worden ist, sind nun folgende:
1. Dass in dem Oratorio nur wenig kandelnde Per-
sonen yorkommen diirfen,
2. Dass die Recitative kurz sein und keine Dialoge
oder forrnlicke Erzaklungen entkalten sollen,
3. Dass alle Umstande fortbleiben, welcke nui- einer
Handlungj die auf dem Tkeater vorgestellt werden
soll? angemessen sind.
Es sind dies Regeln yon rein negativem Charakter,
deren Beacktung oder Nicktbeacktung im Wesentlicken
Fork el's Leipziger Musik-Almanach y. 1783. S. 199 ff.
2) Ob unter diesen Oratorien die von Handel mit verstanden
sein mogen?
stets von den dem Texte zu Grunde liegenden Motiven
land ihrer dichterischen Ausnutzung abhangig sein wird.
In jedem Falle wird zugegeben werden raiissen, dass eine
auf den Concertsaal beschrlinkte oratorische Musik durch
ein gewisses Maass von Gegensatzen getragen werden
rnusse, und dass, wenn durch diese ein drarnatisehes Ele-
ment in die Musik gebracht wird, dies fur die kiinstlerische
Wirkung und Eindrucksfahigkeit des Ganzen. nur von
Vortheil sein konne.
Es beruht grade hierin der innere Unterschied zwischen
der Cantate und dem Oratoriuin? dessen rnehr in das
dramatische Element iibergreifende Gestalt die blosse
Lyrik des Gantatenstyls und der Gantatenform zu einem
gi-osseren Organismus erhebt. Dies hat sich bei der Mehr-
zalil der Handel'schen Oratorien bewahrt.
Fasst man mit Bezng auf die obigen Regeln das Gedicht
Schiebler's in's Auge, vergleicht man, was darin gegeben
ist mit dem grossen Reichthum an Begebenheiten iin
Wtistenzuge der Juden^ die in den heiligen Biichern dar-
gestellt das Geprage musikalischer Bedeutung und Gestal-
tungsfahigkeit in sich tragen, so muss man zunachst aner-
kennen; dass ihm in den weuigen Personen? welche seine
Trager sind? Moses (Bass)? Aaron (Tenor), zwei Israelitinnen
(1. u. 2. Sopran)? ein so geringer Reichthum an Characteren
und Niiancirungen gegeben ist, wie dies nur irgend moglich
war. Aaron ist eine vollig nichtssagende Figur. Die
Israelitinnen scheiaen nur der von ihnen zu singenden Arien
wegen in das Gediclit eingeflochten zu sein. Sie konnen
^bensowenig als Reprasentanten des Judenthums in Allge-
memen; als der die Wtiste durchziehenden Juden insbe-
sondere betrachtet werden. Das Personen-Interesse wird
lediglich auf Moses concentrirt, und dieser als der Trager
des Ganzen mit der Aufgabe belastet, die Aufrnerksamkeit
und SpanBtmg des ziihorenden Publikums rege zu erhalten.
So lange er nun dem verschmachtenden, unzufriedenen, im
i*
_ 4
Sturm der Emporung aufbrausenden Volke, als Gegen-
satz gegemiber steht? so lange erhalt sich das Oratoriuin
auf der Hohe eines bewegten, kiinstlerisch und nmsikalisch
anregenden Lebens7 tritt aber dadurch auch zugleich aus dem
engen Rahmen heraus, den die,?Regeln" sehr unnothiger
Weise Yorzeichneten.
Mit dem ersten Theile horen aber diese Gegensatze
auf. Die Handlung wird nirgend mehr durch spannenden
Wechsel belebt. Die gauze Dichtung des zweiten Theils
ist gegenstandslos. So steigt das Werk von der Hohe
herab? auf der es sich bis zum ScUuss des ersten Abschnitts
erhalten hatte.
Der Dicliter hatte geglaubt? durch den prophetischen
Hinweis auf das Konimen des Messias den Mangel an
Handlung ersetzen zti konnen. Aber dieser Hinweis wiirde
nur von Wirkung gewesen sein; wenn es nioglich gewesen
•vyare, ihn mit der Geschichte des Zuges der Juden durch
die "Wiiste in einen inneren Zusamnaenhang zu bringen.
Diesem Zuge war aber die nach mehr als tausend Jahren
bevorstehende Erscheinung Ohristi vollig fremd.
Hatte der Dichter; der yo^lig vergessen zu haben scheint,
dass das Mosaische Gesetz? dureh d ess en Verbildung und
Verknocherung die gottliche Sen dung des Messias bedingt
worden ist, damals noch gar nicht gegeben war; nicht
bloss den ausseren Schwierigkeiten des Zuges in der Wiiste
Eeehnung getragen, sondern auch die Gefahr des Abfalls
yon dem einigen Gotte? die Verleitung zuna Gotzendienste
in der Anbetung des goldeuen Kalbes und die durch den
grossen Propheten herbeigefuhrte Gesetzgebung fur die
inusikalische Darstellung benutzt, dann wtirde er zwar
wohl gegen die Eegeln seiner Zeit verstossen haben; er
hatte aber ein Gedicht geliefert, das den Genius des Ton-
setzers nicht eingeengt, sondern gehoben hatte, und das
muthmasslich noch jetzt fur- sich selbst wie far die ihm
gewidmete Musik eine dauernde Geltung in Anspruch
nehmen diirfte.
_ , 5
Ueber den Verbleib der Original -Partitur ist nichte
bekannt. Das im Besitz der K. Bibliothek zu Berlin be-
findliche Exemplar der (1775 im Selbstverlage Bach's ge-
druckten) Partitur war einst im Besitze der Gattin Klop-
stock's gewesen, von der es Polchau erhalten hat. Es
mag wohl ein-Geschenk Bach's an die Frau seines Freundes
gewesen sein; die, wie es scheint, Sangerin war. Mindestens
finden sich, offenbar fiir sie geschrieben, in die S. 21 und
94 befindlichen Arien der zweiten Israelitin von Bach's
Hand Veranderungen eingetragen? welche auf einen nicht
geringen Grad von Coloraturfertigkeit schliessen lassen.
Dieser an sich unerhebliche Umstand bezeugt? dass der Par-
titur-Abdruck selbst als zuverlassig betrachtet werden darfl
Das Werk beginnt mit einer kurzen Instrumental-Ein-
leitung (C-moll, Allabreve, Adagio? 2 Floten? Streich-
Quartett). Klagende abgerissene Gange der gedampften
Streich Instrumente, zuerst iiber den langgehaltenen Tonen
der Basse ?
pp
die vom 7. Takte in eine ernste Gegenbewegung zu den
Oberstimmen ubergehen? steigern sich mehr und mehr zu
schmerzlicher Erregung.
Der Chor beginnt in kurzen ; wie aus ausserster Er-
schopfung hervorgehenden? hie und da abgebrochenen
Satzen im leisesten Pianissimo: ??Die Zunge klebt am
dtirren Gaumen/4
Bei der Wendung des Textes: ;,Gott! Du erhorst
des Jammers Klage nicht,"
— 6
i. 1 1 1 _M )
G-ott, du er-horst des Jam - mers Kla - ge nicht
I
fj1-
bricht der Schrei verzweifelnder Sorge in der frappanten
Modulatidn von As nach F-nioll fur einen Augenblick her-
yor, um mit deni nachsten Takt wieder in den Ton der
Klage zuriickzuf alien. Beide Satze erscheinen zweimal,
bis die Klage leise erstirbt.
Das hoflFmmgslos schmachtende Elend des Volkes steht
dem hochsten Gripfel der Noth nahe. Sein Muth ist ge-
brochen, seine zalie Energie zerstort. Unter der -trockuert
Gluth der Wliste erstirbt seine Lebenskraft.
Eine polyp hone Behandlung des Chorsatzes hat nicht
statt gefunden? konimt iiberhaupt in dem ganzen Oratorio
nirgends vor. Das Orche&ter bildet iin Wesentlichen nur
eine Ver&tarkung des honiophonen Ganges der Gesangs-
stiinmen. Das melodisch-rhythniische Element, dem sich
Bach tiberhaupt so sehr zuneigte? ist vorherrschend. Da-
gegen ist die Charakterisirung der Situafion meisterhaft,
die Declamation der Worte in alien Stimmen sprechend,
der Ausdruck ruhrend, fur den orientalischen Charakter;
der hier dargestellt werden soil, vielleicht etwas zu deutsch
gehalten.
No. 2. Einern kurzen Recitativ mit ausdrucksvoller
Declamation folgt eine Arie der ersten Israelitin (Es-dur
3/4 Allegro, Quartett). wWill er, dass sein Volk ver-
derbe?" der en erster Satz lebhaft, feurig, in gedrungenem
Styl gesetzt, der Form der damaligen Zeit entsprecheild
gebaut ist. Der Mittelsatz (Andante, 0-dur »/4) bildet nur
eine kurze melodische Unterbrechung zwischen dem ersten
Satze und der Wiederholung desselben. Die Arie 1st sehr
lang. Melodie und Behandlung des Orchesters erinnern
lebhaft an Grraun.
An sie schliesst sich
No. 3. Recitativ des Aaron, vom Streich-Quartett in
langgezogenen Accorden begleitet. Moses Bruder mahnt
z m Ausharren in der Priifung und zum Vertrauen auf
den Herrn.
Es folgt dessen Arie (D-moll 3/s Andante ? Quartett)
?7Bis hieher hat er euch gebracht," der es an jedem
besonderen Interesse erregenden Zuge fehlt.
No. 4. Auf ein kurzes Secco - Recitativ der zweiten
Israelitin folgt wiederum eine Arie (F-dur 4/4 Larghetto,
Quartett mit Sordinen): 77O7 bringet uns zu jenen
Mauern," von der nur zu wiederholen ware, was fiber
die beiden vorhergehenden Arien gesagt ist.
Bach hat fur die Gesangsstimme die schon oben be-
merkten Veranderungen eingeschrieben, die der Arie ein
mehr coloraturartiges Q-eprage verleihen, ohne ihr en Character
zu heben,
Durch die sich wiederholende Grleichartigkeit der Form,
die durch keine Nuance gemilderte Eintonigkeit der In-
strumental-Begleitting und die Interesselosigkeit der melo-
dischen Erfindung dieser drei nach einander folgenden Arien
wird die Aufnierksamkeit der Zuhorer empfindlich herab-
gestimmt. Bach's Zeit dachte hieriiber zwar anders-, den-
noch ist es zu verwundern? dass einem so feinen Kenner
der musikalischen Mittel und Wirkungen? wie er war? der
nachtheilige Einfluss entgangen ist, der aus diesem Uebel-
stande for die nachhaltige Wirkung seines Oratoriums
folgen musste.
Aaron verkiindet in kurzem Reeitativ das Nahen
des Moses.
No. 5. Eine Symplionie (mit der Bezeichnung 7,oiiT^r-
tmren massig/^ G-dmr \, 3 Trompeten, Pauken, 2 Hom^r,
2 Oboen, Quartett) kiindet in majestatischem Schwunge
das zitrnende Erscheinen des Gesetzgebers an, der sein
Volk mit gross em Sinn aus der Knechtschaft der Pharaonen
durch Entbehrimgen und Leiden zur Freih.eit? Wiirde und
Grosse zunickzufiihren unternommen hatte.
Mit Eecht entfaltet der Tonsetzer bei dem ersten Ein-
treten seines Helden in den Gang des Dramas die ganze
orchestrale Pracht, deren er fahig war. So stellt er die Er-
scheinung des altesten nnd ersten der Propheten des be-
vorzugten Volks in dem Glanze jener aussergewohnlichen
Hoheit dar? der dem Auserlesenen des Herrn gebiihrt.
Anf die einformige Melodik der vorhergehenden Arien
wirkt dieser kurze Instrumentalsatz wahrhaft erfrischend.
Moses fragt voll Zorn: ?7Welch' Greschrei tont zu dem
Thron des Herrn empor, und reizet seine Eache?"
Da bricht die verhaltene Aufregung des verschmachtenden
Volkes in wilder Flamme hervor.
No. 6. Mit sammtlichen Instrumenten setzen die Ge-
sangsstimmen ( Allegro 7 Es-dur 4/4) in kraftigem Unisono
ein: ,?Du bist der Ursprung unsrer Noth!" Nur die
Violinen stiirmen in lebhaften Harpeggien (die in tadel-
loser Reinheit ziemlich schwer auszufuhren sind? und die
innere Erregung des sicJi emporenden Volkes malerisch
darstellen) nebeu dem Gesange daher.
Bu bist der Ursprung unsrer
i , z=r~zz — ITII:
fc !»-
h-,
Ml
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-k_4 n 1 ^ — ? — „
Noth. Hast uns ge - fahrt.
£$—* ^M^ -- ^iu* — i"*^1 —
•^LTp —
9
Naeh dem 4. Takte schweigen die Blaser? und indein
die Streich-Instrumente auf dem tiefen B ruhen; treten
Sopran; Alt und Tenor mit den Worten rGottschiurninert
durch einen herrlichen Vocal-Effect m den mebrstiramigen
Satz fiber.
Die Erregung steigert sich. Wahrend die Violinen
ihre Figur in gleicher Lebhaftigkeit verfolgen, die Oboen
den Sopran und Alt7 die Horner die unteren Stimmon ver-
starken, folgen die Basse mit der Orgel dem Chor in der
unteren Octave ? bis bei den Worten ?7Nein.> wir hoffen
nicht" alle in das Unisono zuriickfallen und der Hatz
nach kurzem wild erregten Zwischenspiele des Orchesters
von Neuem beginnt.
Hier ist ein Cliarakterbild gegeben, das eines grossen
Meisters wiirdig ist und in seiner Grossartigkeit und ener-
gischen Farbung daran erinnert, dass sein Drheber der
Sohn jenes Mannes war, dessen gewaltiger Geist die Volks-
Chore der Jnden in den Passionsmusiken geschaffeu hatte.
No. 7, Ein langes Secco-Recitativ des Moses3 in
welchem dieser den Jtiden ilrren Undank gegen den Gott
ihrer Vater vorlialt? fuhrt zu
No. 8. Duett fur 2 Soprane (E-moll Vs, 2 Floten,
Quartettj: ?JUmdonst sind unsre Zahren," das sonst
nicht ohne melodische Anmuth ira 20. und 21. Takte in
ein liedartiges Motiv fallt,
Uxn - sonst sind unsre Zahren
das an dieser Stelle nicht recht passend ist. Die
begegnen sich zuerst in einfacheui Wechselj treien aber bald
zu wohlklingenden Terzen- and Sexten-Gaiigeu zusamm&i,
weld io gcgen den Sehlun*? des erst en >Satzes liin bei dem
zweiten Eintritt d<T Worte: ?;Kein Trost senkt
— 10 —
herab," durcli eine fur deu ersten Sopran wenig sangbare
contrapunktische Steigerung wohlthatig unterbrochen wer-
den. Flo ten und Violinen dienen aucli Her fast nur zur
Verstarkung der (jresangsstinmien.
Der Mittelsatz (H-inoll 3/8? Vivace) ;;Uns droht das
off en e Grab" erhebt sich zu tragischeni Pathos. Die
.drei mit poco Adagio bezeichneten Takte, ,,Der tins
das Dasein gab/' von den Violinen und der JBratsclie
pianissimo begleitet, treten sehr schon hervor.
No. 9. Recitativ Acconip. (C-moll 4/4? Molto Adagio)
Moses , von den Leiden seines Volkes tiberwaltigt, das da-
hinsterbend, mit dazwischen gestreuten kurzen Chorsatzen
ihn unterbricht, bereitet sich zum Gebet vor. Der reiche
Wechsel lyrischer und dramatischer Stirnmung, das in dem
Gesange des Moses ausstromende tiefe Gefiihl; das schone,
sich den Worten und der Situation so eng anschmiegende
Accompagnement, uberhaupt die iiberrasehende Combina-
tion des ganzen Satzes erheben diesen zu ungewolmlicher
Wirkung.
No. 10. Diese Wirkung steigert sich in der Arie
(C-moll 4/4? Quartett, obligates Fagott, Orgel, Adagio)7
welche in ihrer Wiirde und edleii Lyrik fur den Hohe-
punkt des Werks gelten kann.
Das Quartett bewegt sich in einer fest durchgefuhr-
ten Figur, welche den1 Charakter flehender Bitte an sich
tragt. Mit dem gefiihlvollen Gesange des Moses coneer-
turt das Fagott in edler Melodie.
Viol I. 2.
Fagott,
Bass,
pizz.
— 11 —
5
Man gewinnt hier die Ueberzeugungj dass Bacli? wo es
ihm darauf ankam sich auf die Hohe seiner Aufgabe zu
stellen, keineswegs gesonneu war; sick durch den herge-
brachten Schematismus binden zu lassen.
Das flehende Gebet dieses schonen Satzes verleugnet
in seiner weichen Grrundstimmung doch den priesterlichen
Erast des grossen Propheten keineswegs.
No. 10. Ckor. (Es-dur? 3/4 Allegro. 3 Trompeleu,
Pauken? 2 Borner? 2 Oboen, Streich-Qtiartett. Die 1.
2. Yioline vom 4. Takl an im Uiaisono,)
— 12 —
Moses hat sein Gebet im Glauben und in der Zuver-
sicht auf Den; der sein Volk aus der Aegypter Land ge-
rettet hatte, beendet. Dreimal schlagt er mit seinem Stabe
an den Felsen.
Allegro.
-* *_-
Und siehe, dem Stein entquillt ein silberner klarer Strom,
der in grazios dahinperlenden Violinpassagen
bis zum Schluss durch Chor und Orchester-Massen hindurch
seinen schimmernden Gang fortsetzt. Der Chor, durch
die Oboen, die Bratsche und den Bass verstSrkt, wahrend
die Blechinstrumente in kurzen festen Noten die rhythmi-
sche Bewegung markiren,
i
0 Wunder^ o Wunder! Gott hat uns er - hort.
besteht in einem melodisch declamatorischen sich wieder-
holenden Satze; der in dem zweiten Auftreten abweichend
modulirt ist Das ruhige Fortschreiten desselben zu dem
queUenden Gange der Geigen, der berahigende Gegensatz
— 13 —
gegen die angstlich klagende oder wild aufgeregte Stini-
mung der vorhergehenden Chore, der zugleich sinnliehe
Wohlklang der Stinnnfiihrung ist von bezaubernder
Wirkung. Keine Verwickelung der Stinimen? keine aus-
weichende Harmonienfolge stort das ruhige und wahrhaft
schdne Ebenmaass dieses prachtigen Tonstroines.
Hiemit schliesst der erste TheiL In ihm ist das lyri-
sclie Element mit der dramatischen Farbung im Ganzen
gliicklicli verbunden. Die Ueberzahl der in der ei^sten
Halfte hintereinander folgenden Arien wirkt zwar abspan-
nend, doch konnte dem, ohne dem Wesen des Kunstwerks
zu nabe zu treten; durch Auslassung abgeholfen werden.
Dass es mit dein zweiten Tbeile anders stehe, ist schon
oben angedeutet worden.
Derselbe beginnt obne jedes Vorspiel etwas zu schmuck-
los mit No. 12 y einem Recitativ des Moses, in welchem er
den Juden ibren Mangel an Grlauben verweist. Ungeachtet
der -yortreffliclien Declamation und fein berecbneten Modu-
tionen kann dasselbe doch nur als iiberfliissig betrachtet
werden, da eine unmittelbare Ursacbe fur diese Straf-
predigt nicht vorhanden ist. Aucb macht es eben keinen
sonderlich uberzeugenden Eindrucky wenn dem in der
Wiiste unter tausend qualenden Leiden hinsclimachtenden
Volke immer von neuem das Verbrechen vorgehalten wird,
dass es fiber seine Noth klage.
Es schliesst sich an dieses Recitativ No 13 ein Weehsel-
gesang des Moses, der beiden Israelitinnen und des Chors,
einem Hymnus ahnlicb (Es-dur, 2/4 Allegretto), in dessen
erstem Abschnitt: ,,Grott Israels, empfange," der Ge-
sang des Moses nach einem schon melodiscben Eingange
in einen reichen Figurenschmuck ubergeht.
Bei der 2. Strophe (der ersten Israelitin): ,,Du Gott,
bist mein Vertrauen," treten dem Quartett 2 Floten
hinzu, die in anmuthigen Figuren die Solostimme um-
schweben.
In der dritfcen Strophe nimmt der Chor
— 14 —
Instrumentalglanz (3 Trompeten, Pauken, 2 Homer, 2 Flo'-
ten, 2 Oboen und Quartett) das Motiv des ersten Satzes in
den prachtvollen Rhythmen eines vierstimmigen Lobge-
sanges wleder auf, bis er am Schluss leise verhallend in
das Solo der zweiten Israelitin (in G-moll): >,Der Herr
ist mein Vertrauen," iiberleitet; das init den Floten
eoncertirend, ohne Bass und Accornpagnernent einen hellen
strahlenden Charakter zeigt
"V^enn dieser prachtige Ensemblesatz den Eingang zu
einer in draniatischer Steigerung sicli aufbauenden Hand-
lung bildete, so wiirde man ihn ohne Zweifel sehr schon
und vollig an seinem Platze finden intissen. Aber an eine
solclie Handlung ist nicht mehr zu denken. Es folgen
vielmehr zunaclist wiederum melirere zum Theil vollig
farblose Arien? und zwar
No. 14. der ersten Israelitin (B-dur, 3/4 Andantino,
,Quartett)? welche etwas lang, ziemlich figurirt; dabei aber
melodisch und dankbar ist: ;;Vor des Mittags heissen
Stra'hlen". Eine Kritik vom Jahre 1775 x) sagt von ihr:
y?Grraun und Hasse baben nie schoner gesungen." Wenn
diese Annalinie billig dahingestellt bleiben kann? so muss
doch anerkannt werden, dass diese Arie weitab die sohdnste
des vorliegenden Oratoriums ist.
No. 15. Accompagnirtes Recitativ des Moses: ;?0
Freunde? Kinder, mein Grebet/' (F-moll, V4 Adagio,
Qaartett) mit dem verfehlten Hinweis auf die Zukunft
Cliristi ist edel aber ohne Grosse, viel zu lang; nur der
Schluss bei den Worten: ;,das ist der Held," ist von
hoherem Gharakter und von dramatischem Feuer.
No. 16, Arie der zweiten Israelitin (B-dur, 2(4? An-
dante, Streich- Quartett): ,,0 seelig, wem der Herr
gfewahret," von Bach in dem Berliner Partitur-Exemplar
zur Goloratur-Arie umgestaltet, bei ihrer Gleichartigkeit
Hamb. Unparth. Corresp; 1775. WD. 200.
- 15 -
mit den Arien des ersten Theils mid init der No. 14 voilig
interesselos.
No. 16. Einem kurzen Eecitativ des Moses, in welchem
er wiederum auf die Zukunft des Herrn verweist? folgt
No. 17. Chor: ?;Verheissener Gottes, welcher
Adams Schuld" (F-dur, 44 2 Oboen? Quartett); dessen
innige Melodie voller Wohlklang und feierlicher Frommig-
keit es wahrhaft bedauern lasst, dass die verfehlte Situation
ihn wirkungslos macht. Er bildet einen edlen Eingang
zu dem
No. 18. Choral (0-moll? 4/4) auf die Melodie: ,;Nun
komm der Heiden Heiland"1), der in der gleichmassig
fortschreitenden Weise der Chore dieses Oratoriums, die
auch den Choralen Bach's uberhaupt eigen war? hanno-
nisirt ist.
Was der al - ten Ya - ter Schaar hoch - ster
Wunsch und Seh - nen war und was sie ge-
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Sj Ksdiof von Hailand nm^ Jate
— 16 —
Dass der Charakter des christlichen Kirchenliedes
in die Umgebung cles alien Judenthunis passe, inj[die
er hier so plotzlich hineinversetzt wird; diirfte kauni
behauptet werden. Der Choral ist eben ein ausschliesslich
der christlichen Kirche Angehoriges und kann nicht will-
kiirlicli in jene Urzeit verlegt werden ? ohne dass das ihra
eigenthiimliche Wesen verletzt wird. An dieser Stelle
kann er daher, so sinnreich die Melodie gewahlt ist? die
beabsichtigte Wirkung nicbt thun.
No. 19. Auf ein Recitativ des Tenor , welches wie
das des Aaron hn ersten Theil yon Quartettaccorden be-
gleitet wird, dessen Text die Verheissungen der Erlosung
als erfullt darstellt und der daher ganz ausserhalb des ge-
gebenen StofFes steht, folgt endlich
No. 20. der Schlusschor (Es-Dur 3/4 Larghetto, mit al-
ien Instrumenten), ?JLassDein Wort, das uns erschallt"
welcher, dem Chore No. 17 &hnlich3 ohne besondere Eigen-
thomlichkeit und eigentlich ohne imicre Nothwendigkeit
das Orator ium schliesst.
Diese Darstellung wird ergeben? dass die inhaltlose
Lyrik des 2. Theils, aller Anstrengungen ungeachtet, an
denen es der Componist nicht hat fehlen lassen, dem Ora-
torio jede Moglichkeit einer tieferen Wirkung abschneidet.
Dass Em. Bach, diesen Mangel nicht erkannt und auf
eine veranderte Bearbeitung des Textes gedrungen hat?
wtirde au£fallen; wenn nicht eben sein Streben vorzugs-
weise dem lyrisohen Elemente in der Musik zugewendet
gewesen ware.
Dass die Israel iten zu ihrer Zeit eine vielbewunderte
Erscheinung waren, dariiber kann nach alien vorhandenen
Nachrichten kein Zweifel sein. Dass man aber auf die
Dauer auch die Nothwendigkeit fiihlte? das gegen das
Ende hin sich mindernde Interesse an dem Werke durch
besondere Mittel wieder zu heben; ergiebt sich daraus?
dass man bei spateren Auffuhrungen den Versuch geniacht
hat? dem Schluss das Heilig des Meisters folgenzu lassen,
— 17 —
wodurch in jedem Falle nur ein ausseres Correctly ge-
schaffen wurde.
Anffallend ist in diesem Oratorio die ganzliche Besei-
tigung des polyphonen Styls. Nicht das geringste Zeichen
darin erinnert daran, dass Em. Bach aus der alten Orga-
nisten-SchuIe hervorgegangen war.
Ebenso bemerkbar ist die veranderte Orchester-
Benutzung, welche mit Ausnahrne der Arie des Moses
im ersten Theile und der Violin -Passagen in den Choren
No. 1, 6 und 11 nur in Begleitungsformen oder als Ver-
starkung der Singstimmen auftritt. Die spatere Zeit ist
von dieser Neuerung wieder abgegangen und hat auf die
Grundsatze der alteren Schule zuriickgegriffen. Bacli selbst
hat in seinen beiden folgenden Oratorien diesen Weg
nicht mit der Ausschliesslichkeit yerfolgt, in der man ihn
hier beschritten sieht.
Fiinf Jahre nach der Composition der Israeliten fand
er sich yeranlasst? die Partitur nnter lebhafter Theilnahme
seines Freundes Klopstock im Stich herauszugeben1).
Im Jahre 1774 hatte Reichardt wahrend seines Be-
suches bei Bach ?;die Israeliten" kennen gelernt und darin
77einen so angenehmen und fliessenden Gesang ge-
funden3 wie ihn Keiser und Graun nur jemals ge-
kannt hatten." Er war erstaunt? ??dass dieser grosse
Mann sich so sehr von seiner gewohnlichen Hohe
habe herablassen und einen leichten, uns armen
Erdensohnen so fasslichen Gesang habe singen
konnen2)." Er nennt dieses Oratorium ,,ein solches
M,eisterstuck? welches alle Einwiirfc der bos-
haften oder unwissenden Neider Bach's zu Boden
schlage."
1) Hamb. Unparth. Corresp. 1774. Mittwoch 14. September No. 147,
Besgl. von 1775. No. 79.
2) Briefe ein^ atifoaerksamen Keisenden, Tk n. P. 14
Bitter, Emairael mnd Friedemaim Baob. IL 2
_ 18 -
Die Passions -Cantate.
Der Titel der in der K. Bibliothek zu Berlin befind-
lichen Partitur dieses grossen Tonwerks lautet: 7,Passions-
Cantate von mir Carl Pliilipp Emanuel Bach Anno
1769 in Hamburg in Musik gesetzt,"
Die Partitur-Abschriffc ist schon und deutlich geschrie-
ben. In ihr finden sich yon der zitternden Handschrift
des Verfassers aus den letzten Jahren seines Lebens ver-
schiedene Correcturen und zwei Einlagen. Auf dem Titel-
blatte befindet sick folgende Anmerkung, deren Styl Ema-
nuel Bach als Verfasser unschwer erkennen lagst:
;?Diese Partitur ist zwar nicht von der Handschrift
des Autors, denn von dieser Cantate in dieser Einriehtuiig
esdstirt kein Original, weil der Autor hernach vieles ge-
andert hat; sie ist aber so correct wie moglich, und ganz
gewiss correeter? als alle librigen Exemplare, weil sie der
Besitaer, nehmlich der Autor, sehr oft durchgesehen hat"
Es war dies also Em. Bach's eignes Exemplar gewesen.
Aus dem Nachlass-Kataloge (S. 59) geht hervor, dass
diese Passions-Cantate in der vorliegenden Form nicht in
dem oben angegebenen Jahre 1769 entstanden, sondern
dass sie aus der von Em. Bach in den Jahren 1768 — 69
componirten Passions - Musik ,7nach Weglassung des
Evangelisten und verschiedener gemachten Ver-
^nderungen^ im Jahre 1770 hervorgegangen ist1).
(Jeber den Verbleib jener Passions -Musik und deren
Abweichungen von dieser Cantate verlautet nichts. Dies
ist, da die letztere jedenfalls den bedeutendsten Werken
Bach's angehort, zu bedauern.
Das Textbuch (siehe Anhang II.) ist von der Kar-
schin und von dem bereits friiher genannten. Ebeling
i) Bies wird dureh dqn Hamb. Corresp. 1773. No. 33. bejstatigt,
und dabei noch besonders bemerkt, dass die Recitative ,,durch einen
verdienten dortigen Gelehrten" nachtraglich gefertigt wordea seien.
— 19 —
flem Freunde Bach's, Gehilfen der Handels-Schule zu
Hamburg^ eine Arie darin yon Eschenburg yerfasst.
Der Hamburger Unpartheiische Correspondent vom
22. Februar 1769 enthalt folgende Bekanntraachung:
,,Der Kapellmeister Bach wird am 6. May mit hoher
Obrigkeitlicher Bewilligung in dem neuen Concert- Saale
auf dem Kamp ein Concert geben und in selbigem ein
vortreffliches Passions -Oratorium yon einem beriihmten
Meister auffuhren. Bei dieser Gelegenheit wird Hr. Bach
auch ein Clay ier- Concert spielen. Der Anfang ist urn
V26 Uhr. Fur das Entree wird 1 Mark 8 Sh. bezahlt.
Die Billets sind sowohl in seinem Hause in der Neustadt,
dem Englischen Bastelhofe gegenuber, als auch bei Hrn.
Grrund am Fischmarkte zu haben."
Da das Passions-Oratorium nachweislieh in den
Jahren 1768/69 entstanden ist? der Componist sich aber
nach seiner Stellung zur Kunst sehr wohl als einen be-
riihmten Meister bezeichnen konnte, so liegt die Ver-
muthung nahe; dass es sich in jenem Concert yom 6. May
1769 urn dessen erste Auffiihrung gehandelt habe. Min-
destens ist nicht ersichtlich? aus welchem Grunde, wenn
jenes Oratorium yon einem andern Meister gewesen? dessen
Name yerschwiegen word en ware3 wahrend es fur E. Baeh;
der eben erst nach Hamburg iibergesiedelt war; wohl yon
Interesse sein konnte? die Aufnahme? welche sein Werk
ohne die Bezeichnung des Autors finden wurde, mit
grosserer Unbefangenheit zu beobachten.
Das Textbuch? in dem Bach so sehr zusagenden
lyrischen Grrundton gehalten? hie und da mit Spriichen
aus der heiligen Schrift durchzogen, stellt die Leidens-
gesehichte Christi in ahnlicher Weise dar? wie dies durch
Eammler's Tod Jesu geschehen ist. Das recitatiyische
Element ist yorherrschend? aber wie dort durch die aus
dem Episehen in die Lyrik iibergehende Poesie zu jerter
melodios-declamatorischen Richtung der Musik hindrangen45
in welcher sich Em, Bach so sehr gefieL Eigentliefa dwt-
?* ^ ^
— 20 —
matische Haltung findet in diesen elegischen Gefuhls*-
ergiessungen ihre Statte nicht, lag auch nicht vorzugsweise
in Bach's musikalischer Tendenz. Es mag daher die Be-
zeichnung dieser Arbeit als ^Cantate" nicht ohne Absicht
gewahlt sein? wahrend die Dichterin sie ??das Leiden
und Sterben unsres Heilands Jesu Christi, musi-
kalisch vorgestellt" betitelt.
Die lange Reihe von Recitativen mit und ohne
Accoinpagnement und der dazu gehorigen Arien wirkt
im Ganzen auch hier ermiidend. Dies wurde weniger der
Fall sein? wenn ofters Chorale und Chore eingeflochten
waren. Es ist auffallend; dass Em. Bach hierin nicht dem
Vorbilde seines Vaters gefolgt ist; er wurde sonst mit die-
sem Werke unzweifelhaft eine Schopfung yon grosseti
und dauerndeni Werthe hinterlassen haben. Aber auch so
wie sie gesetzt worden; ist die Passions -Cantate ein in
dem edelsten Sinne geschriebenes Werk, voll von musi-
kalischen Schonheiten, das nicht selten den hochsten Auf~
gaben der geistlichen Musik mit iiberlegener Grosse und
Gewandheit gerecht wird? das in vielen seiner Einzelheiten
jedes Meisters vom ersten Range wiirdig; in seiner Ge-
sammtheit der Kunst und seinem Verfasser zu hoher Ehre
gereicht. Jenen gewaltigen grossen Ernst, den Emanuel
Bach's Vater in seine geistlichen Musiken zu legen liebte,
mit dem er sogleich in den ersten Takten seine ^uhorer
in die geweihte Sphare der Andacht zu erheben pflegte,
die er far die hochste Aufgabe des kunstlerischen Cultus
hielt? wird man freilich bei dem Sohne vergebens suchen.
Aber man wird bei ihm Gefuhl; lebhafte Accente, einen
ungemein feinen Sinn fur melodische und harmonische
Schonheiten finden? deren der Vater auch wohl machtig
war, die er aber nur selten in Anwendung zu bringen
fur gerathen hielt. Sebastian Bach hatte fur die Kirche
und ihre religiosen Zwecke gearbeitet; Emanuel Bach
schrieb fur den Concertsaal und dessen Publikum. So er-
— 21 —
reichte er, was der Vater nicht zu erreichen vermocht
hatte, die Gunst und Bewunderung der grossen Menge.
Von den Traditionen seiner Schule sich ganz zu losen,
dazn fehlte es ihm an eigner Initiative. Sie traten in alien
Perioden seines langen Lebens bei ihrn immer wieder in
den Vordergrund. Ebenso fehlte ihin fur die Oratorien-
Musik jene schopferische Erfindungskraft; vermoge deren
er seinen Q-ebilden die der veranderten Zeit und den neuen
Anschauungsweisen der Kunst enfsprechenden neuen For-
men und ein urspriingliches Golorit hatte geben konnen.
Die Bedeutung, welche Em. Bach in der Kunst-
geschichte erlangt hat? fordert nichtsdestoweniger; dass
auch seine Oratorien, wenngleich sie nicht uberall den
Stempel hochster und dauernder Vollendung an sich tragen,
mit Aufmerksamkeit betrachtet werden. In jedem Falle
ist in der vorliegenden Arbeit gegen ?>die Tsraeliten in
der Wiiste" ein bedeutungsvoller Fortschritt zu erkennen.
Das Oratoriuni fangt rait einein accompagnirten Keci-
tativ No. 1 ;?Du Gottlicher^ (Molto Adagio, Es-dar %?
Streich-Quartett) an. Ueber den pianissimo auf dem tiefen
B ruhenden Violinen beginnt ein sanft bewegter melo-
discher Gang der Bratschen und Basse. Nach dem 4. Takte
tibernehmen die Violinen die Melodie. Das Orchester be-
wegt sich in wehmuthiger Stimmung bis zura Schlusse des
Einleitungssatzes fort. Das darauf eintretende Recitativ
zeichnet sich durch eine edle elegische Farbung aus?
welche der Orchester-Einleitung entspricht und fiir den
folgenden Chor No. 27 Andantino D-molI %7 2 Homer,
2 Floten> 2 Oboen, Quartett) in die geeignete (irund-
stimmung iiberfiihrt In diesem ziemlich ausgedehnten
Chorsatze zeigt sich der ganze Dmfang der Verschieden-
heiten, in denen die Eigenthiimlichkeit Bach's von der
strengen Schule seines Vaters und der Vorganger und
Zeitgenossen desselben, selbst von dem immer noch den
Traditionen der alteren Zeit sich anschliessenden Style der
— 22 —
geistlichen Compositionen Graun's abweicht. Man findet
hier nicht mehr jene strenge Polyphonie, welche sich auf
die einzelne Stimrne und auf die einzelnen Orchester- lu-
strum en te erstreckte, auch nicht jeren herben Charakter
der Melodie, welcher ohne Riicksicht auf die sinnlich
wahrnehmbare Schonheit nur der Idee folgte, die er dar-
zustellen berufen war. Doch wiirde grade die Eigenart
dieses Chores einen berechtigten Gegensatz gegen die
altere Schreibart darstellen konnen, wenn sie fortgebildet,
vervoilkonimnet? in ihrer Weise zur Vollendung iibergefuhrt
worden ware. Denn was hier gegeben wird; ist bei aller
Weichheit der Formen, bei aller lyrischen Gefuhlsstimmung
doch durchaus edel; voll von Gredanken und von harmo-
nischem Interesse. Der Chor (vierstimmig) ist meloidl^li,
und rhythmisch gehalten; wesentlich in homophonem StyL
Die Instrum&nte bilden nur die begleitende Verstarkung
der Singstimmen? das Quartett fiihrt diese in Vs Noten
durch.
Nach ISTakten, mit den Worten ;7Wir aber hielten
ihn fur den, der geplaget und von Grott geschlagen
und gemartert ware" beginnen 2 Solostimmen (Sopran
und Alt) in canonischen Einsatzen einen melodischen
Zwischengesang; welcher durch das plotzliche Abbrechen
der Basse und den gleichzeitigen Eintritt des alten Kirchen-
liedes ??Meine Seele erhebt den Herm" in die durch
die Oboen verstarkten Sopran- und Altstimnien des Chors
zu einer hehren feierlichen und sanften Majestat erhoben
wird.
Flauto L
Sopr.SoM.
>2.
Sopr.SoI«2.
Yiola.
Wir a - ber hiel - ten ihn fur
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Wir a - ber hielten ihn fur
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gen, von Gott ge - schla
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gen und ge-
mar -tert \va - re.
mar - tert
— 25 —
Der Geist des alten Sebastian klingt wie aus einer
fernen Urzeit in das wunderbar feine Gewebe dieses schonen
Satzes heriiber, dera die mit den Solostiininen gehenden
beiden Floten ein fiberaus zartes Gepnige geben.
Mit den Worten des Textes ??Aber er ist uin unsrer
Missethat willen" setztder ganze Ohor wieder in seinem
melodisch rhythmischen Gauge ein? urn noch einroal durch
die Fortfuhrung des Solo -Satzes und des (Jantus firinus
tinterbrochen zu werden.
Ein neues Motiv beginnt mit den Worteu ??Wir
gingen alle in die Irre." Die Chorstiminen gehen aus-
einander, ohne dass ihnen dadurch ein malerisches Colorit
gegeben worden ware. Die Worte werden in canonischen
Einsatzen wiederholt. Dieser zweite Satz scliliesst in poly-
phonem Gesange den Chor ab? der in der Art? wie er ge-
schaffen 1st, als ein in sich abgeschlossenes Meisterstiick
anerkannt werden muss. Seine Wirkung ist voll und
kraftig? in den Gegensatzen ersclieint er edel und reich.
In ihm entwickelt sich des Meisters harinonisch melodiose
Charakteristik in vollkommen ausgepragter Weise, In
seiner Totalitat erinnert er an die jetzige Zukunftsschule,
obne dass dem kiinstlerischen Gehalt zu Gunsten der
Formlosigkeitj der ausgepragten festen Form zu Gunsten
der melodios declaniatorischen Tendenz des fortschreltenden
Gesanges entsagt worden ware.
No. 3. Eec. secco, in declamatorischeni Recitativstyl
geschrieben, wird durch ein schones Arioso:
Largo.
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Ihr konnet schlafen ? Neln I Be - tet and seid
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Geist ist wilhg, doch
da^Flelsch ist schwa ch.
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\— 10
f
unterbrochen imd fiihrt zn dem accompagnirten Recitativ
No. 4 fur Bass (Den Mensehenfreund willst Du ver-
rathen?) iiber7 das (Presto A-moll 4/4) in einem bezeich-
nenden Orchestermotiv voll Feuer und Ausdruck
t&r
Quartett uotsono.
Presto.
arts dem lyrischen Grundton? der bis dabin vorwiegend
war; heraustritt und eine mehr dramatische Farbung an-
nimmt. Der Zorn fiber den Verrather Judas tritt in dem
heftig bewegten Accompagnement; in diesen auf- und
niederjagenden Tonfolgen hervor; es ist das Brausen und
Stiirmen des beangsteten Grewissens? das schon wahrend
der That an die harte Brust des Verrathers klopft, zur
Warnung und Umkehr. — Vergebens! — Der Kuss ver-
ratt den Herrn, der darauf mit der sanften Frage ant-
wortet: ;;Freund, warum bist Du kommen?"
Eine betrachtende Arie fur Tenor, No. 5 (C-dur 2/4>
Quartett, Andante grazioso) mit ausdrucksvoller Melodie?
im Mittelsatze lebhaft an Grraun erinnernd, im Uebrigen
die tiberkornmne Form nicht verlassend, mit dem Anfang
7?Wie ruhig bleibt Dein Angesicht" unterbricht die
Erzahlung des Ueberfalls.
An sie schliesst sich im Fortgange der Leidens-
geschichte das Recitativ No. 63 dessen Declamation durcli
einen bewegten Bass gestiitzt wird.
In die Rede des Herrn fallt Arioso No. 7 ein (Alt,
F-dur 4/4? Streich - Quartett) ,,Du, dem sich Engel
neigen, Dem alle Schopfung singt(/7 das in sanfter
Melodie und wohlthuend einjEachem Gange den hervor-
ragenden Stiicken des Werks angeh^rt.
Ein Rec. secco No. 8 fiir Tenor fuhrt ferner zu
ein em accornpagnirten sehr schonen Recitative B-dur 4/4
Allegro, welches von E. Bach mit der zitternden Hand-
schrift seiner letzten Lebensjahre an Stelle der fruher
arienartigen Behandlung desselben Textes nachtraglieh ein-
gefiigt worden ist. In der That enthalt der neuere Satz
eine wesentliche Besserung gegen die fruhere etwas matte
Declamation der Worte: ;70 Petras, folge nicht" etc.
Von besonders riihrendem Ausdruck ist der Schluss:
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Larghetto.
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==l
o du sein En - gel, hindre sei - nen
In Ihm spricht sich die sanfte Grefiihlsweise des Meisters,
die in seiner Musik eine so hervorstechende Seite bildet,
so deutlich wie mo^lich aus.
No, 10. Das folgende Eecitativ, das die Verhand-
lungen vor dem Holienpriester und Landpfleger schlldert?
wirkt seiner Lange wegen ermxidend. Die Worte ??Ja,
ich bin Go ttes Sohn" sind yon majestatischem Ausdruck.
Der Schluss: ?;Im innersten der Seele Empfand
- 29 —
er'sj-ging zuriicke, Und weinte bitterlich" hat
Bach, wie er dies auch in semen Passionsnmsiken ge-
than, in einfach recitativischer Cadenz gesetzt, was urn
so rnehr iiberrascht, als er sonst dergleichen Motive mit
Vorliebe auszubeuten pflegte.
An diese Worte schliesst sich ohne Ritornell, sogleich
mit dem Gesange eintretend No. 11 Arie fur Tenor,
,;Wende Dich zu meinem Schmerze, Gott der
Huld"? H-moll Adagio, vom Streich - Qnartett mit Sor-
dinen begleitet, an.
Adagio.
2 Tltl.
Yiola,
Basso.
==^=5=^1=— 1 — 1
Wen - de !"dich zu meinem Schmerze,
Gott der Huld,
sieh mein zerfleischtes Her-ze.
r
(
is
Hier tritt die veraltete Form gegen den gefiililvollen
Ausdruck der Cantilene nnd gegen die edle, sich dem Alt-
Bachisehen Geiste anschliessende Auffassung der Situation
und des Gedichts zuriick.
Das Streich-Quartett verlasst die fast
wehmuthig melodisehen Gang
Burney horte diese Arie zu Hamburg im Hauil
Mr. Ebeling's, wo Chore und Solostiicke aus der Passions-
Cantate aufgefuhrt wurden, und sagt von ihr1): 77Eine
Adagio -Arie, da Petrus innig weint, als ihn der Hahn
zur Reue weckt, war so ruhrend, dass fast alle Zuhorer
den Jiinger mit ihren Thranen begleiteten"; ein schones
Zeugniss fur die Wirkung dieses Stiicks, dessen Aus-
fuhrung aber jedenfalls keineni ?>elenden Sanger" iiber-
lassen gewesen sein kann.
Die Ai;ie No. 13 fiir Tenor (Allegro ©on spirito, F-dur
%): ??Verstockte Siinder7 solche Werke begehet
ihr"7 vom Quartett begleitet, ist nicht ohne dramatischen
Sciiwung. Die Violinen haben eine eigenthuniliche oft
wiederkehrende Triolen-Figur; in welcher die Bosheit des
Herzens, das yerstockte Grewissen dargestellt sein konnte.
m
Bine ahnliche Figur der Violinen zeigt der M-ittelsatz;
welcher gegen das Ende bin in die Figur des Hauptsatzes
zuruckfuhrt.
Die Arie Nr. 15 nimmt erweiterte Dimensionen an.
Das Orchester wird ausser dem Quartett von 2 Hornern7
2 Oboen und der Orgel gebildet. Das Stuck (Allegro 2/4,
D-dur) beginnt feurig und gross mit einem breiten Vor-
spieI7 das die Hauptmotive enthalt. Die Instrumente, von
denen die Violinen in unnnterbrochener Bewegung gegen
nnd mit einander wirkeBj geben ihr ein glanzendes Colorit
Musikal. Eeise. Th. HI. S. 193.
Der Gresang selbst ist dramatisch und von treffendem Aus-
druck.
Attest o.
m
Dorm - re nur ein Wort der Maclif, Herr!
tr
Dleser Satz wlederholt sich dreimal in seiner vollen Ans-
dehnung und mit breit gehaltnen und glanzend instrumen-
tirten Ritornellen? dazwischen tritt in zwelmaliger Wieder^
holung der Mittelsatz7 zuerst in H-moll %? dann in A-moll %.
Ob die Arie durch ihre Ausdehnung ermudend wirken
wtirde, lasst sich schwer bestimmen? wenn man sic nictt
in dem allgeraeinen Zusammenhange horen kann. Da^
ihr Selawung offenbar anregender wirken muss? als dies
bei der grossen Mehrzahl der iibrigen Arien E. Bach's
der Fall sein konnte, ist nicht zu bezweifeln.
Nach einem Secco-Recitatiy folgt ein Accompagnement,
7?Nun fachet Q-ott der Mordsucht Flamme" No. 1@;
dessen eigenthiimlieh geformtes; ausserst lebhadFfces Orchestei;-
- §2 -
Presto.
2 Ytolluw. f ^-^ ^*3==£f3rp==zte=?==f=:
Viola.
Basso.
m
an die Orchester-Begleitung des Chors No. 2 aus Grluck's
Iphigenia in Aulis ;?C'est trop faire de resistance" erinnernd,
wie dort die Aufregung einer durcb wilden Fanatismus
zur Blutgier erregten Volksmenge in trefflicher Charakte-
ristik darstellt.
In dem diesem Recitativ angehorigen Ai^ioso (Adagio %)
mit dei^im leisesten pianissimo verhauchenden Violine und
der allein abschliessenden Gesangsstimine ;?Kein Wort!"
steht Bach auf der hochsten Hohe seines Werks. Hier
treten Gefithl und kunstlerische Disposition des Meisters
in entscheidender Weise zu Tage.
Weniger lasst sick dies von dem Duo fiir 2 Soprane
No, 17, (B-dur 2/4? Allegretto moderate 2 Floten? 2 Bas-
sons, Streich-Quartett mit Sordinen) sagen. Es ist alt-
modisch und von ermudender Lange; die mit den Floten
concertirenden Bassons und die sich in Triolenfiguren und
kurzen Gangen bewegenden beiden Singstimmen geben
dem Duo He und da den Oharakter einer leichten, etwas
frivolen Unterhaltungsmusik.
Bacb scbeint die Schwache dieses Stticks wobl er~
kannt zu haben. Denn er hat fiir dasselbe eine Variante
gesetzt, welcbe (Andante; A-dur %) etwa nur die Halffce
der Lange der ursprtinglichen Nummer erreichend; dennochv
— 33 —
kein hoheres Interesse als jene in Anspruch niinrat. Er
war eben in der AufFassung und Wiedergabe des aller-
dings -\venig inhaltsvollen Textes nicht gliicklich,
Ein kurzes Secco Kecitativ, das mit den Worten
schliesst:
?7Fallt nieder; betet an und seht:
Das Lamni voll Unsehuld geht
Zum Opfer- Altar hin."
ieifcet zu deniChorNo. 19: ;?Lasset uns aufsehen auf
Jesuni Christum" iiber. Bach hat den in den voran-
gehenden Worten dargestellfceii Gedanken in seiner vollen
Grossartigkeit ergriffen. In ernsteni Zuge7 einem Triunipf-
gange ahnlich? schreitet der Erloser den letzten Weg? den
Weg des Todes dahin? wahrend seine Gemeinde ror ihm
anbetend niedersinkt.
Das Orchester beglnnt im Ritornell (Largo e pomposo,
D-dnr */*, 2 Homer, 2 Floten? 2 Oboen und Quartett)
eine lebhaft markirte, streng durehgefiihrte Figur yon
feierlich ernsteni Charakter, Ihr tritt der Chor unisono
in choralartiger Melodie, gleichsam einen cantus firmus
darstellend hinzu.
Largo e fomposu,
t-C-
Core unisono.
Tiola. \
Basso.
Bitter, EniAnuel und Friedemftrm
n.
-34 -
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umsono.
-*~
— 35 —
Mit dem Beginn des Chorals gehen die Homer im An-
schluss an den Grund-Bass in eine breitere Behandlung
fiber , wahrend die Floten und Oboen in langgezogenen
Accorden dein Gesange folgen? uber dem sie wie die Glorie
eines Heiiigenscheins schweben, die Violinen in rhyth-
niischen Schlagen ihnen gegeniibertreten und die Bratsche
und der Bass die Figur des Ritornells weiterfiihren.
Dieser ungemein grossartig angelegte Satz wird zwei-
mal unverandert voriibergefiihrt. Die Worte des Textes:
??Lasset uns aufsehen auf Jesum Christum, den Anfanger
und Vollender des Glaubens? welcher unsre Siinden
selbst geopfert hat zu seinem Leibe auf dem Holz"7 sind
wie zwei Choralverse von gleicher Bedeutung behandelt.
Em. Bach stellt sich in diesem grossen Chor und der ihm
folgenden Doppelfuge ebenbtirtig an seines Vaters Seite.
Er hat uber dem Ernst und der Erhabenheit des Gedan-
kens? der ihn hier erfullte, die Frage vergessen? ob und
welche Wirkung derselbe zu iiben im JStande sein? ob das
der leichteren Unterhaltung zugewendete Publikum ihm
auch willig folgen werde? Wie anders ware der Nachwelt
gegeniiber seine Stellung zur Kunst geworden, wenn er
sich stets auf dieser Hohe bewegt hatte, fiir die er so recht
eigentlich^ geschaffen war.
Die Fuge mit dem prS,chtigen Hauptthema
Auf dass wir der Sun -de ab « ge-
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stor - ben, der G-e - rech- tig - keit le - ben.
ist in strenger Fiihning und meisterhaft contrapunktischer
Eeinheit behandelt. Die Horner verschwinden aus der
Orchesterbegleitung, 1, Oboe und 1. Violine gehen mit
dem Sopran; 2, Oboe und 2. Violine mit dem Alt^ dia
&*
— 36 —
Viola mit dein Tenor. Die Floten treten theils in selbst-
standigem Gange, theils als Verstarkrrag der Oberstimmen
auf. Dein ersten Motive tritt ein zweites Tberna
Alt.
53335
m
m
durch Belches Wunden wir sind heil — —
— -wor
den. —
gegeniiber, welcbes in nicht wen:ger gediegener Weise
durchgefiihrt, sich mit dem ersten Motive in prachtvollen
Gegensatzen vereinigt zu einer meisterhaft aufgebauten
Doppelfuge gestaltet, in deren Verscblingungen doch jene
durehsiehtige Klarheit herrscht, durch die sich alle contra-
pnnktischen Satze Emanuel Bach's auszeichnen. Dieser
eine Chor ware es werth, das ganze Werk nicht der Ver-
gessenheit anheimfallen zu lassen.
Das folgende accoiupagnirte Recitativ No. 20 ,,0 Du;
der Gott mit uns yersohnt" (Adagio 4/4), ist von
nicht geringerem Werthe. Die Behandlung der Worte:
?JWelch ein Anblick voll Gratten", die in Vie zittern-
-den Gange zu der in der chromatischen Tonleiter unruhig
und kkgend auf- und absteigendeu ersten Violine
1. YWine.
2. Tiuiiue.
Viola
m u'«iii»TIiiSZp»i ' ^**'
atzri
— 37 —
^-^^*3S^:i:jp^-»^
(eine Figur, die sich spater bei den Worten ?,Du zit-
terst, zagest" wiederholt) geben in ihrer malerischen
Bedeutung diesem Satze? in welchem die von Bach so
gern angewendeten ariosen Stellen mehrfacli den Gang
des Recitativs unterbrechen ? ein eigenthiimlich schmerz-
liches Geprlige.
Nach einer Arie (No. 21, G-dur %? Allegro spiritoso,
vomQaartett begleitet) ,.der Menschen Missethat ver-
birget Dir Deines Vaters Angesicht", welcbe in
Melodie und Begleitung nicht ohne Interesse 1st, folgt
wiederum ein Chor No. 22 ?,Dann strahlet Licht und
Majestat"? C-dur 4/4? Allegro assai, von alien Instru-
menten begieitet. Die Melodie ist kraftig und fest, die
Anlage des Ganzen breit tind glanzend, der Chor in sei-
nem langsam majestatischen Gange wird durch die farbeii-
reiche Benutzung der Instrumente, von denen die Homer
in sjncopirter Gegenbewegong? die Floten mid Oboen m
langgezogenen Tonwellen, die Violinen in reich figurirten
Gangen auftreten, gehoben. Bei den Worten 7,Die
Freeh en beben" schweigen die Blaser und die Saiten-
Instrumente gelien in kurz abgerissenen VB Noten neben
dem Gesange her. Das Ganze ist ein Musikstdck veil
von Pracht und Glanz, auf unmittelbar zimdende Wirkung
berechnet Es ist der Richter, der in seiner Majestat daher-
schreitet, zu richten die ihn erwiirgt haben; und die nun zit-
ternd seines Spruches warten. Ihnen gegeniiber harren
zuversichtsvoll die Gerechten der gottlichen Gnade. Dies
spricht sich in dem Solo flir Bass No. 23 aus: 77Wie
froh wird rair der Anblick sein". Die Blase -Instru-
mente verstummen, die Orgel nimmt den Bass in lang-
gehaltenen Tonen auf; zwei Bassons; denen spater ^ll&s
Streich-Quartett mit Sordinen hinzutritt, begleiten den Ge-
sang? der in dunkler Farbung das ziemlich weit ausge-
ftihrte Arioso ausftillt.
Ein kurzes Secco Eecitativ leitet zu dem Choral No. 24,
A-moll 4/4; tiber, der in dem bangen Bufe nach dem Er-
barmen Gottes den Opfer-Tod des Erlosers in ernster
"Weise beklagt In dem litaneiartig geformten Gesange
offenbart sich des Meisters wunderbare Combinationsgabe
fiir edle harmonische Wirkungen.
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Es ist eine uberaus ernste? tief in die Seele dringeiide
Stimmung, die dieser wunderbare Satz anregt und damit
zn dem kurzen Eecitativ (No. 25) ,,Er ruft: Es ist
vollbracht! und stirbt" iiberfubrt, das von zwei Floten
und dem gedampften Streich-Quartett in den zartesten
Gangen begleitet^ wie der letzte Seufzer eines Sterbenden
leise verhaUt Aus dem kiirzen symphonischen Scbfass
quillt die tnranenvolle Klage IB weicEen Gtogen
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2 Plot., 2 Tiol.
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— 41 —
' In gleich sehmerzlicher Erregung beharrt das folgende
Arioso No^26(Quartett-BegleitungohneSordinen), ,,Mein
tiefgebeugtes Herz wirft sich auf Golgatha", von
einem iiberraschenden Reiehthurne der Modulation und
wie der vorh-ergehende Satz schliesslich im leisesten pia-
nissimo verhallend.
No. 27. 77Die Allmacht feirt den Tod.^ Ein
symplionischer Eingang (F-dur 4/4 poco Adagio) beginnt
in einer fur die Faetur einer geistlichen Musik jener Zeit
vollig neuen und gegen die von schmerzlichen Motiven
gesattigte lyrisclie Grunclstimmung der vorhergehenden
Nummern iiberraschend feierlichen Weise. Die ernste
Todtenfeier, welche die in ihrem Laufe gestorte Natur dem
gottlichen Erloser bereitet, beginnt in wunderbar geformter
Gestaltung sich zu entwickeln.
Drei Homer von der Pauke im leisesten Wirbel be-
gleitet, treten nach einander in canoniscnen Einsatzen
ein. Ihr ernster gedeckter Ton ruft wie aus nnendlich
weiter Feme die noch schlummernden Katurkrafte wach.
Ihnen folgen zuerst die Oboen. dann die Flo ten, spater die
Bassons? bis endiich aucb das Streich-Quartett eintritt und
im Unisono die Holz-Blaser mit sich fortzieht.
In wechselnden Modulationen? wie in dniupfer Schwiile
der Sonnengluth vor dem Sturm und Erdbeben schwillt
die wachsende Bewegung zum lauten Donner auf, um dann
wieder in leisester Ermattung zu verhallen.
Dieses acconipagnirte Recitativ, eins der genialsten
Stticke des Werks? zeugt laut von Em, Bach's grosser
Erfindunga- und Darstellungsgabe. Es ist ein Bild? das
auf diisterem Grunde mit Meisterliand entworfen, wie
in dem falben Lichte der in Gewitterwolken verschwinden-
den Sonne aufgerollt wird; lialb beleuchtet, halb in Dunkel
gehullt1).
i) In eiu^m aiteren krltischen Aufsatz iiber Musik (Jonraai
Lnxus und der Modes. Weimar 179S, S. 339) fiadet sick
— 42 -
Das auf den Aufruhr der Instrumente bei den Worten:
,,der Romer staunt, sieht die Natur empSrt", plotzlich
eintretende Largo: ,,Er betet an!" 1st in seinem zarten
Gegensatze von yollendet kiinstlerischer Wirkung.
Mit dem Unisono des Qnartetts nach den Worten:
,,der Sterbende ist Gottes Sohn gewesen", beginnt
die Figur der Eingangssymphonie von Neuem, schwillt auf
und schliesst dann leise verhallend, um zu dem Schlusschor
(No, 28. Allegro ma non tanto, F-dur 2/4) iiberzufiihren.
Der Hauptsatz ??Preiset ihn" (2 Horner, 2 Floten,
2 Oboen. Streich-Quartett) bewegt sich in homophon-melo-
diosem Fluss, wahrend zwischen den ubrigen begleitenden
Instrumenten die Violinen eine lebhafte Figur einfugen.
Der zweite Satz (Bass-Solo): ,,Trauert, wekmBths-
volle Liederu? mit 2 Bassons und den Oboen begleitet?
in schonem und ausdrucksvoll deckmatorischem Gesarge
und in herrlichen Modulationen endet pianissimo zu dem
Worte ?JEr starb". Nach einer Wiederholung des ersten
Satzes tritt ein Duo fur 2 Soprane, von 2 Floten, 2 Violinen
und der Bratsche (ohne Bass) begleitet ein, dessen zunacbst
sich begegnende gegeneinander wirkende Stimmen sich
bald zu Terzenpassagen von wehrnuthsvollem Charakter
vereinigen? und wie der Solo -Satz der Bassstimmen, in
leisem Gesange verlaufen.
Nach der dritten Wiederholung des Haupt-Satzes be-
Bemerkung: ,,Aus der Kirchenmusik, besonders den Passionsmusiken
war das Horn ganz verwlesen und C. P. E. Bach war wohl der
erste, der es in einem grossen Passions-Oratorium, dreifach, nebst der
Pauke, die sonstnur dem Lobgesang zukarn, bei dem Accompagnement
die Allmacht feiert den Tod, mit so machtigem Success brachte."
Ist diese Bemerkung anch fur die Kirchenmusik im Allgemeinen nicnt
richtig, da scnon Seb. Bach das Horn, z. B. in der Arie der H-moll
Messe: Quoniam tu solns (No. 10) so wie in vielen seiner Kirchen-
Cantaten, in zwei seiner Sonates wie in einer seiner karzen Messen
verwendet hat, so trifft sie doch unsres Wissens fiir die Passions-
musiken zu und legt Zeugniss davon ab, welche Wirkung dieses
Stuck auf das solcher Mittel nicht gewohnte PubHkum damaliger Zeit
gemacht hat.
— 43 —
ginnt em neues Solo fiirBass: ,,Singet Dank," mit Be-
gleituug des Quartetts, in welchem die erste Violine die
Violinfigur a us dem Hauptsatze aufnirmnt und so in diesen
zuriickleitet. Mit der vierten Wiederholung desselben
schliesst das Werk.
Ob dasselbe so? wie es aus Bach's Feder geflossen 1st,
der jetzigen Geschmacks Richtimg selbst in klassischem
Sinne zusagen wiirde, steht dahin. Das Ganze leidet,
der zahlreichen Schonheiten ungeachtet, doch unter der
Emfb'rmigkeit des Textes. Die Hanfung der Arien and
Recitative wiirde in jedein Falle eriniidend wirken1). Der
damaligen Zeit lag ein derartiges Bedenken fern,
!) Die Ausfuhrung dieses Werkes bietet nach mehr als einer Seite
bin Schwierigkeiten. Doch sind diese gegeniiber den Anforderungen,
welche Sebastian Bach an das ausfuhrende Personal stellte,
kaum nennenswerth. Eine in den Studien fur Tonkiinstler (1792,
Berlin. S 188 ff.) befindlicbe ,,frehnuthige" Kritik, als deren
C. S. unterzeichneten Verfasser man den clinch seine sonderbaren
Urtheile iiber Seb. Bach bekannten Hofrath Spatzier vermuthen
mochte, sagt: dies Passions- Oratorium sei ihni immer als eine kolossali-
sche Masse vorgekommen , die ein grosser Kiinstler seineni eigenen
Geiste als ein giosaes Denkmal dessen, was er mit dem Apparat
seiner Kenntnisse vermochte, hingeworfen babe, um auf demselben urn
so erliabneren Schrittes der ihm liingst gebiiliienden Cnsterblichkeit
entgegenzugeben; Aber anch als ein Werk, das wegen eines daran
auf Kosten des Gesanges versehwendeten Eeicfitbums an Harmonic
und Modulation theilweise cur sehr schwer verstanden nnd nicht obne
zeitliche Miihe genossen werden konno. Im weiteien Yerlauf ibrer
Ausfuhrung bemeikt die Kiitik ferner, dass in den Arbeiten Bach's
uberhanpt ein so siisser, melodioser Gesan^ nicbt herrsche, als in den
Werken eines G-raun, Hasse, Naumann, Beichardt. Was beziig-
Hcb der Gelehrtheit nnd scbweren Versiandlicbkeit der Passions-
Cantate gesagt ist, kann fliglich auf sich beruben. Doch muss im Allge-
iBeinen zngegcben werden, dass, zumal fur die Arie Graun, Hasse
nnd Naumaun melodioser gescbrieben haben. Aber es war dies
nicht um deswillen der Fall, weil Bach gelehrter als sie hatte schrei-
ben wollen, sondern weil er seine Alien, wo ibn Text und Situation
niefet besonders an regie n, ohne eigentliches Interesse hinwarf, nor urn
Arien geaetzt zu haben. Was wilrde aber Spat2ier wohl
haben, wenu er die ihra ohne Zweifel unbekannt gebliebenen
Musiken, Cantaten und Messen Sebastian Bach's zu feoreu
fcommen hatte?"
44
Reichardt wolante im Jahre 1774 einer Aufftihrung
dieser Passionscantate in der spater abgebrannten Petri-
Kirche zu Berlin bei. Er ruhmt an ihr Originalitat,
passenden, starken und neuen Ausdruck, anhal-
tende Starke und heftiges Feuer". In jedem Kecitativ,
in jeder Arie? in jedem Chor ist Erfindung und Neuheit,
sowohl in der Harmonie als iin Gesange. Und nichts un-
edles in allem, bis auf eine geschwinde Arie (muthmasslich
No. 13), deren spielender Witz sieh wohl nicht recht fur
die Kirche schicken mochte"J).
Bald nach Em. Bach's Tode iin Jahre 1789 erschien
ein von Steinfeld gefertigter Clavier -Auszug, der der
Herzogin Luise Friederike von Mecklenburg ge-
widmet war.
Er hatte nur 97 Pranumeranten gefunden, unter diesen
keine einzige Person von einiger Bedeutung. Freilich gab
er naeh danialiger Weise weder den Ge^ang noch die
Begleitungsstimmen in hinreichend befriedigender Weise
und stellte von dem Werke daher uns ein unklares und
wenig treues Bild dar2).
Das dritte der von Bach geschriebenen Oratorien ist
betitelt: Carl Wilhelm Rammler's
Auferstehung und Himmelfahrt Jesu,
1) Briefe eines aufmerksaraen Reisenden. Th. I. S. 111.
2) Sollte eine WiederbelebuDg dieses Oratoriums stattfinden, was
bei dem fiiblbaren Mangel an neueren derartigen Werken jedenfalls
erwiinscht sem miisste, dann wiirde es geboten sein, einen Theil der
Secco-Eecitative zu kiirzen, die Aden, etwa mit Ausnahme der Tenor-
Arie No. 11 und der Bass-Arie No. 15, ebenso das Duett No. 17 fort-
zulassen, im Uebrigen aber die bleibenden Recitative von No. 3 bis
No. 18 durch Chorale zu unter brechen, deren ja Em. Baeli so viele
hinterlassen hat. In soleher Form wiirde die Passionscantate eine
ebenso erwiinschte als ed!e Bereiclierung des Kieibes der musikalischen
Aufluhrungen in der Passionswoehe sein. Und in dieser Form wiirden
auch die wirklicben und bleibenden Schonheiten des Werkes in das
richtige Licht treten und, wie sie es verdienen, auch von der Jetzt-
zeit gewurdigt werden.
— 45 —
Die Original -Partitur1) dieses hochst merkwiirdigen
Werks, dessen Entstehung in die Jahre 1777/78 fallt, fiihrt
folgende Aufschrift:
;?Meine eigenhandige Partitur von Kammler's Aufer-
stehung und Himmelfahrt Jesu, in Musik gesetzt von mir,
Carl Philipp Einanuel Bach; hat Niemand tind kann
also gedruckt werden, wozu die saubre Copie dieser Par
titur am besten geschickt ist."
Darunter stehen von der Hand des Biickeburger Bach
die Worte: ?,Zum Geschenk von meinem Lieben Bruder er-
halten." Dieser Partitur ist ein Textbuch2) vorangebunden,
welches von Em. Bach's Hand verschiedene Abanderungen
des urspriinglichen Textes enthalt, die offenbar nach der
ersten Auffuhrung verbessernd eingetragen sind.
Der Text Rammler's; der in seiner amendirten
Gestalt im Anhange II. abgedruckt ist; charakterisirt sich
als eine Fortsetzung seiner Dichtting: ,?der Tod Jesu."
Das Ueberwiegen des lyrischen Elements, das Betrach-
tende? Erzahlende der Dichtung lasst dieselbe niehr noch,
als dies bei der Passions -Cantate der Fall war? eintonig
erscheinen.
Es war en eben die Eegeln, deren gelegentlich der
7?Israeliten in der Wiiste" Erwahnung gethan worden,
in Fleisch und Blut der Oratoriendichter der Zeit tiberge-
gangen, und das Gefallen des Publikwns an lyrisehen
Schilderungen und an langathinigen Arien kain dem leider
zu Hilfe. Eammler hat es in jedem Falle verstanden, jede
sich rnehr dem Dramatischen zuneigende Wendung niit Sorg-
falt zu venneiden. Dem Gedichte fehlen alle Gegensatze,
die belebend zu wirken ini Stande waren, Einzelne hin
und wieder eingestreute Schlaglichter vermogen diesen
Mangel nicht auszugleichen.
1) In der K. Bibl. zu Beriin.
2) Gedruckt frei Eeuss in Hamburg.
- 40 ~
Hieraus ergiebt sich; dass auch hier die Arie und das
ariose Element weithin yorherrschen. Der Choral, der in
den iibrigen Oratorien khnlicher Tendenz eine so wesent-
liche und hervorragende Stelhmg einnimmt mid der selbst
in der Passions -Cantate mehrfach Anwendnng gefunden
hat, fehit hier merkwiirdiger Weise ganz. Was Ern, Bach
dem vorliegenden Texte, wie er einmal war, abgerungen hat,
ist allerdings erstaunlich. Dies Oratorium ist; abgesehen
von dem nur aus eineni grossen Chore bestehenden Heilig
unzweifelhaft das Bedeutendste, was er uberhaupt ge-
schaffen hat, eine Arbeit, in der der Ernst des dem Greisen-
alter nahestehenden Mannes? seine tiefe Kenntniss der
Wirkungen, seine Wissensehaft und tiberlegne Gewandt-
heit in den Formen, so wie seine ausserordentliehe har-
monische Kraft nrit einer gewissen idealen Hoheit in der
Auffassung Hand in Hand geben.
Aus dem Texte wird man ersehen, dass jene Begeben-
heiten Gregenstand der Dichtung sind? welche in der Schrift
dem Tode und der Grablegung Christi unmittelbar folgen:
die Auferstehung des Herrn, sein Erscheinen unter den
Jungern und seine Himmelfahrt. So beginnt die epische
Darstellimg da? wo der Tod Jesu Rammler's aufhort,
mit
No. 1, einer Instrumental-Einleitung, welche die dilstre
Stille an dem Grabe Jesu, die Ruhe der Erschopfung
ma^h dem Tode des Heilands, den Stillstand der Natur,
das Stocken ihres sonst so frisch pulsirenden Lebens in
einem unheimlich leisen Klagegesange darstellt.
Dieser kurze syniphonische Satz (Adagio di molto,
D-moll %), in welchem die Bratschen und Basse unisono
19 Takte lang? ohne jeden anderen Instrumental- Zusatz
miteinander fortschreiten, beginnt leise, steigt gegen die
Mitte zu und fallt dann wieder in die erste Dusterheit
2uriick? in der die Tone nach und nach ersterben.
— 47 —
Tlela, BassI, ^-
ohne Fagott hr^:
und Orgel.
Adayio dt molto.
Die altere Musik hat; so weit die Kenntnlss des Ver-
fassers reiclit? Aehnliches nicht aufzuweisen. Die h5eliste
EinfacWieit der Mittel und deren geniale Verwendung
ckarakterisiren die Stimmung? in welclie das Bild einfuhren
soil, in unubertroffener Weise1). Aber aus den Schauern
des Grabes erhebt sich wie lichter Sonnenglanz (2/4 Largo?
von den durch 2 Floten verstarkten Violinen? den Bratschen
und Bassen leise begonnen) die Zuversicht auf die Ver-
heissungen des Herrn.
r~>
2Viol.
Basso.
i) Die neuere Zeit laat VOB dem beriihmten Unisono der Streieh-
Instnimente, welciie Meyerbeer in (ten 4 Akt seiner „ Afrikanerin" ver-
legt hat tind womit er die Scenen Bnter dem bis zum Todesschlaf be-
tanbenden Manzanillabanm einleitet, viel Anfhebens gemacbt. Wen%e
mdgen wissen, vor wie langer Zelt Em, Bach ZQ einem
Im ^> YI$ «dleiier W^ise das erste Beimel
— 48 —
Der Chor No. 2: ?;Gott? Du wirst seine Seele
nicht in der Holle lassen", ist nicht eigentlich in po-
lyphonein Styl gesetzt, zeigt aber in der Fiihrung der
Stirninen eine gewisse Bewegung, wkhrend das Quart ett
den Gesang verstarkt, die Floten aber sich iiber diesem
zu selbststandigem Gange erheben. Melodie und har-
monischer Wohlklang sind bemerkenswerth.
Dieseni Chore folgt das accompagmrte Recitativ No. 3
(Adagio, Streich-Quartett, PaukenV
Adagio.
2 Tiollne. ,fe— '
Leise beginnend schwillt der Wirbel der gedanipften Panke
mit dem tiber ihm in punktirten Noten stark liiythmisii^ten
Quartett der Streich -Instruments, die sich aus dunkler
Tiefe in dissonirender Harmonienfolge in die Hohe er-
heben? zum lauten Donner auf. ;7Judaa zittert! Seine
Berge beben!" Die Anferstehung des Herrn beginnt inx
JSturme der Natur? den der Dichter in scharfen Ztigen
schildert. Die dem vorigen Chor entgegengesetzte Tonart
fiihrt in den plotzlichen Wechsel der Gedanken liber. 33in
— 49 —
grossartiger Zug durweht das ganze Stuck. Die Decla-
mation der Worte 1st von wirkungsvoller Kraft. In
wecnselnden Figuren und Pormen stiirmt und flaraint das
Accornpagnement mit der Gresangsstimnie dahin, bis e,i
zum leisesten Piano verhallend niit der letzten FigUij
in den beiden Violinen erstirbt. Hie und da? z. B. bei
den Worten ??Flieht? ilir Briider", wird eine Neigung
zu malerischer Darstellung bemerkbar. Ueberrasehend ist
die Figur der Basse zu den Worten ??Und rollt des
vorgeworfenen Steines Last hinweg":
wenn man dieselbe dem Rollen des Steins in dem Duett
des zweiten Acts im Fidelio gegeniiberstellt.
No. 4 Arie fur Bass (Allegro, 0-moll */4, Streich-
Quartett, 2 Horner) ist in dem Em. Bach senr gelauftgen
alten Styl gesetzt, aber voll Kiihnheit und Feuer. Die
Violinen bewegen sick in lebhaften Figuren. Der Gesang,
sehr colorirt, erfordert einen Sanger von grossen Stimm-
mitteln und von vollendeter teclmischer Ausbildung. Der
Mittelsatz (Adagio ?/47 in B-moll beginnend)7 ?;RangJesus
nicht"7 ist von weicher Innigkeit? der Ausdruck der
Fragen in demselben bewunderungswerth.
Von wohlthuender Wirkung ist der folgende Chor
No. 5 (Es-dur %5 8 Trompeten? Pauken, 2 Horner? Oboen7
Rtreich-Quartett) ein laut austonender Triumphgesang? den
die Engel dem erstandenen Ohristus jubelnd entgegen-
singen; der Chor selbst ist homophon. Durdb die glan-
zenden Tonmassen des Orchesters schlingen sich die Harpeg-
Bitter, Emanuel und Friedemajrn Bach. II. 4
— 50 —
gien und Figuren der Violinen wie ein Kranz von Blumen
um eine von Gold und edlen Steinen schlmmernde Riistung.
Sehr schon tritt im zweiten Abschnitt dem unisono
gesetzten Ausruf des Chors ?;Mit lantern Jubel" die
vierstiinmig in contrapunktischer Bewegung gehaltene
Wiederholung dieser Worte entgegen, welche wieder in
das Unisono zuruckfuhrt.
In dem folgenden Recitativ No. 6 beginnt der er-
zahlende Gesang ohne Begleitung. Bei den Worten des
Engels ??Entsetzt euch nicht" tritt das Quartett, die
Rede in langgehaltenen Accorden begleitend, diese wie mit
einem milden Lichte umgebend hinzu und halt bis zum
Sehlusse an. Bei der Stelle 3;Dass ihr inn klaget"
unterbricht eine kurze Figur der Violinen im leisesten
Pianissimo die gehaltnen Tone.
Unzweifelhaft ist Em. Bach in diesem Stficke? so wie
bei einem Tbeile der spater folgenden Recitative der
schonen Idee seines Vaters gefolgt, vermoge deren dieser
die Reden des Herrn in der Matthaus- Passion durch die
Begleitung des Quartette so herrlich individualisirt hat.
An dies Recitativ schliesst sich die Sopran-Arie No. 7
(in G-moll 4/4? Adagio mit Quartett- Begleitung). Die
Musik derselben stellt in dem ersten Satze einen ruhrenden
Klagegesang dar. Der zweite Satz (Allegro %) ,,Heil
Dir? Du steigst vom Grab herauf " tritt als jubelnder
Gesang stark colorirt zu jenem in einen scharfen Gegen-
satz. Die Yiolinen, in reichen Figures in concertirender
Weise begleitend, driicken in der Em. Bach eigenthiim-
lichen Weise die Freude aus? welche die Seele uber die
Auferstehung des Herrn empfindet.
Das folgende Recitativ fur Bass nWer ist die Si-
onitin?" No. 8 beginnt wie das vorhergehende ohne
Aecompagnement Aber auch hier tritt 7 wie der Dichter
zu den Worten Jesu ,,O Tochter, warum weinest
Du?" iibergeht? das Streich- Quartett ein? diese in lang-
gedehnten Accordfolgen begleitend? hort mit dem Fort-
51 —
gauge der Erzahlung auf? folgt aber dem Gesange von
Neuem, wo die Worte Jesu (im Adagio) eingefiihrt werden.
Es folgt ein Duett fur 2 Soprane No. 9 (Andante,
D-moll 3/8j 2 Floten, Streich-Quartett) 77Vater Deiner
scbwachen Kinder." Eine sanfte, yon den gedainpften
Violinen in Terzengangen eingefiihrte? von der Viola und
o^ Bass begleitete Melodie beginnt:
Basso
Bei der Wiederholung derselben durch den zweiten So-
pran treten zwei Floten an die Stelle der Violinen, von
denen weiterhin die erste mit der Bratsche unison o ge-
hej»d den Gesang verstarkt, wahrend die Violinen als
Zwischen-Instrumente verwendet werden. Von der Verei-
nigung der Gesangsstimmen ab schreiten beide Floten mit
den Violinen und 2 Violen in contrapunktischen Gangen
fort, um wieder in die Terzengange uberzuleiten, deren
naiv sanfter Charakter sich der Form des Liedes n&hert?
Bern er - barmend Herz er - weicht.
9*7
und fast genau in derselben Weise sich in Sturm's geist-
licbem Gesange (siehe weiterhin) ??Dieses und jenes
Leben"
Ooch Vri, - ter deine E - wigkeit.
so wie in dein Duett No. 8 der Israeliten wiederholt.
Ein kurzer Zwischensatz fiihrt zu dem ersten Theil zuriick.
Das ganze Stuck macht den Eindruck wohlthuender Ein-
fachheit bei ungemein reinem, rnelodischem Flusse. Das
nun folgende Eecitativ No. 10 fur Tenor ?;Freundinnen
sagt" (ein Gespraeh Christ! mit den Frauen enthaltend),
hat eine reich naodulirte Declamation. Auch hier werden
die Reden des Herrn von dem Strahlenkranze der lang-
austonenden Accorde des Streich-Quartetts umwoben, zu
welchen sich bei den Worten ,,Sie fallen zitternd
$9
nieder," ein einfaches Thema im Accompagnement gesellt.
Diesem Recitativ schliesst sich No. 11, die Tenor- Arie
,,Ich folgeDir, verklarter Held," (D-dur 2/4? Allegro,
1 Troinpete, Streich-Quartett) an. Der erste Satz ist
sehwungvoll behandelt und reich verziert. Es ist ein
triumphirender Gresang voll kraftiger Accente. Die erste
Violine in concertirendem Gharakter auftretend, lasst hell-
jubelnde Klange erschallen, wahrend die Trompete kecke
Glanzlichter umherstreut. Somit ware die instrumental
Behandlung dieses Satzes keineswegs interesselos, wenn
nicht die figurirte und concertirende Behandlung der Vio linen
bei Em an u el Bach zu einer gewissen Manier gewordeu
ware, der man unter bestinimten Verhaltnissen fast mit
Eegelmassigkeit begegnet Der Mittelsatz (Gr-dur 3/s) ist
einfacher und sanft rnelodiseh.
Den ersten Theil des Oratoriums schliesst No. 12,
ein Ghor ??Tod? wo ist dein Stachel?" (Andantino,
G-dur %; 2 Horner in G, 2 Oboen, Streich-Quartett), mit
einer kurzen und kraftigen Einleitung in vierstimmigem
— 53
Satze beginnend. Die letzte Frage ,,Wo?" wird in einer
Dissonanz ausgehalten, die sich erst nach einem langen
Ruhepunkt in den Anfang der Fuge
Soprnn.
/! Un-ser iist der Sieg! Dank sei
, ^ y ^
; der Sieg! Dank sei Gott und J<2
~_^ ~~~j ~| "~1 : ~" ~^
~~ ~ " "~~ | ~ "~~~ j ; _"".'... " I__ZILnZIZ j - ' — . '..'.'_ "
\ ^-_—
auflost. Diese verlauft in stranger Form tmd in gedrun-
gener Kiirze niit dramatisch wirksamem Schluss. Em.
Bach hat nngeachtet seiner Vorliebe fiir den homophonen
Sty! doch in den Monientenj in denen sick die grosseren
Satze seiner Werke zu einer gewis^en majestiitischen Wiirde
steigern sollten, wo er die gesammte Wirkursg verscbiedener
Aufgaben in ein grosses Tonbild zusaminenzufassen ge-
nothigt war? keine anderen Formen und Mittel zu finden
gewnsst, als die waren, vermoge deren die Werke seines
Vaters, wie Hand el's zu ihrer Tollen Wirkung gelangt
sind. Ho schliesst der erste Theil in ernster, wiirdiger?
edler Weise ab. Bezuglich der Schlussikge 9€i
— 54 —
noch benierkt, dass Bau und Charakter derselben rnehr
an Handel als an Sebastian Bach erinnern.
Der zweiteTheil beginnt mit No. 13, einem langen,
zuni Theil acconipagnirten Recitative (Adagio di molto?
G-dur, Allabr.) ,,Dort seh' ich aus den Thoren Jeru-
salem s," in sehr feierlicher Instrumental-Einleitung.
Jesus begegnet den Jungern, gesellt sich unerkannt
zu ihnen und deutet ihnen? wie sich an ihrn die Schrift
habe erfullen mtissen.
Die Anlage uud Ausfuhrung dieses Stiickes ist den
vorhergehenden Recitativen gleich. Die die Reden Jesu
begleitenden Accordfolgen sind von thematisch charakteri-
stischen, in den herrlichsten Modulationen sich bewegenden
Violin-Figuren durchflochten; das Ganze ein Meistersttick
von harmonischen Gredankenfolgen.
In dem ersten Satze der folgenden Arie No. 14 7;Will-
kommen, Heiland" (Allegro, Es-dur 4/4); concertiren die
Violinen mit dem obligaten Fagott in dem reichen Schmucke
lebhafter Triolenfiguren. Der Mittelsatz ??Der Heilige
stirbt fiir Verrather" (G-moll 2[4), wird ohne das Solo-
Instrument von dem Streich-Quartett begleitet. Den Schluss
bildet ein langes Nachspiel, in welchem die concertirenden
Instrumente die Motive des Hauptsatzes wiederholen.
Wohl thut nach dem langen Recifcativ und dieser Arie
eine kraftige Unterbrechung des eintonigen Charakters,
der sieh doch darin gelt end machte, Noth. Bach wieder-
holt zu den Worten: ,,Triumph? der Fiirst des Le-
bens sieget/' den Ohor No. 5 des ersten Theils mit
einer nur sehr geringen Veranderung, Die frische Kraft
seiner Rhythmen und der Glanz der instrumentalen Be-
gleituiig wirken wphlthatig belebend.
Wiederum folgt in No. 16 ein langes Recitativ fur
Tenor 7?Eilf auserwahlte J linger," in der Gestalt der
vorigen Recitative, die Geschichte Thomas, des unglau-
bigen Jiingers, behandelnd. Die letzten Strophen von den
Worten an 7,Der Friede Gottes," werden ohne die
— 55 ~
begleitenden Accorde des Streich-Quartetts, dock in der
Form des Arioso langsam und ausgehalten gesungen.
Langsam und ausgehalfen
ri:
Der Friede Gottes sei mit euch. Und du, Schwachglaubiger,
-yj ^"Q- —
i
Lebhaft und im Tempo
komm, sic -he, zweifle nicht ! Mein Herr, mein Gott!
Ohne Vorspiel? sogleich in die Cadenz dieses Eecitativs
einfallend beginnt No. 17? Arie fiir Tenor (Vivace 6]8? B-
dur? Streich-Quartett), ahnlich jener Arie der Oster-Cantate
(siehe S. 135 Th. I.) sehr charakteristisch mit dem vorste-
hend angegebenen Motive der Wgrte des Recitativs 7?Mein
Herr? mein Grott?" in welcher die Zerknirschung^.es Jiin-
gers fiber seinen Mangel an Glauben sehr sebon ausgedrtickt
ist. Erst weiterhin zu den Worten ??Versohnte kommt,
ihn anzubeten," wird der Charakter der Mnsik zuversiclit-
licher und kraftiger. Der Mittelsatz ?JZu Dir stelgt
mein Gresang einpor" (G-dur2/4)7 istsanft und melodisch,
doch ohne besondere Bedeutung.
No. 17. Nocb einmal unterbricht der Chor No. 5 des
ersten Theils zu den Worten ^Triumph, der Sohn des
H5chsteii sieget/' die lyrische Stimmung und fuhrt.zu
No. 18,, dena letzten Eeeitative des Werkes 37Auf einem
Hugel7 dessen Riicken" iiber? das in besonderem Grade
ausdrueksvoll gesetzt, die Himmeifahrt Christi in schonen
Worten und in edelster Recitation darstellt.
So trittdie Bassarie No. 19. (Allegro^ A-dur 4/4), Quar-
tett, 2Tromp6ten, 2 Homer, 2Oboen) 77Ihr Thore Gottes
— 56 —
off-net euch/- ein, in der man Bach auch in dioser Ge-
sangsform endlich auf der Hohe findet; die seiner wtirdig ist.
Qhne hervortrotenden Mittelsatz ist sie ein Meisterstiick
fur den Arienstyl im Oratorio. Es ist der Triumph des
Konigs, der von den Engeln getragen in sein himmlisches
Reich einzieht. Ghrosse Pracht, Kraft nnd kiihne Charakte-
ristik treten in jeder Zeile der Partitur hervor. Dass die
Violine den Jubel der Seele in der Begleitung lebhaft aus-
driickt ist selbstverstandlich. So erhebt sich Emanuel
Bach mit dieser Nummer, • dem Schlusse seines Werks ent-
gegeneilend, zu einer in der Arienform bei ihm seltenen
Energie und fuhrt uns zu dem grossen Schlusschor No. 20
(Allegro, Es-dur %) ,,Gott fahret auf" tiber, den man fast
einen symphonischen Ghorgesang nennen konnte. Denn
die Partitur desselben, 67 Seiten follend, enthalt nicht
weniger als 91 Takte an Einleitungs- und Zwischenspielen
des Qrchesters, von denen das 18 Takte lange Vorspiel
die Motive des sich ofter wiederholenden ersten Satzes
darstellt, Der Ban dieses Chors erscheint auf den ersten
Anblick in hohem Qrade»complicirt. Er zerfallt in nicht
weniger als 7 einzelne Satze.
Der erste derselben ,,0-ott fahret auf mit Jauchzen,
Und der Herr mit heller Posaune," in dem rhythmisch-
homophonen Styl, den Emanuel Bach in seinen kirchlichen
Gesangswerken so gern anzuwenden liebte,
Gott fah - ret auf mit Jauch
- y-\>
und der Herr
-
_1~_
ist kraftig? zum Theil sehr colorirt gehalten, gegen den
Sehluss hln Ini fortissimo slch zu grossartlgen Dimensionen
erhebend. Die Blasinstrumente sind fast nur zur Begleitung
verwendei Hie und da geltt die er^te Trompete in die
Melodie liber und fiihrt dieselbe. Auch das ilbrige Orehester
zeigt eine selbstandige Bewegung nicht. Nur die beiden
Violineiij ineist in Unisono, fiihrea die lebhaften Figuren
ausj welcheihnen Em ami el Bach in ahiilichen Stiramnngen
anzir,vei^en pflegt Nach Beendigung des Satzes wieder-
holi da* Zwischenspiel die Motive noch einmal, bis in
etwas langsamerein Tempo der zweite Satz (G-inoll 2/4)
eintritt. Die Trompeten imd Pauken scliweigen.
Lobsinget Gott, unserm Konig! die Violinea b°-
ginnen em zweites Motiv
1. ond 2. Yi*l (
Ttola.
— 58
in welches der Chor eingefugt 1st. Dieser entwickelt sich
bald (im dritten Abschnitt) zu einem grossartigen Unisono,
das a capella beginnend, von einem niajestatischen Instru-
mentalsatz unterbrochen wird, der in ein ernstes Unisono
des Streich-Quartetts ubergeht,
Der Herr 1st K6 - nig,
um durch das Hauptmotiv des zweiten Satzes bei den
Worten ^Das Meer brans et," der von den eigenthum-
licfa rhythmisirten Modulationen des Orchesters unter der
wogenden Bewegung der Violinen begleitet wird, durch
einen kurzen Zwischensatz in den ersten Theil zuriickzu-
gehen; dem die Worts des vierten Absehnitts ?,Jauchzet,
— 59 —
ihr Himinel7 freue Dich, Erde! Lobet ihr Berge,
mit Jauchzen!" untergelegt sind. Plotzlich bricht der
G-esang ab. Nach langer Pause beginnt der 5. Satz ,?Wer
1st, der in den Wolken gleich dem Herrn gilt?
Und gleich ist unter den Kindern der Gotter dem
Herrn ?" Tenor und Bass singen diese Strophen zunachst
alleiii im Unisono. Die Orchester-Begleitung tritt als
Zwischensatz hinein. Bei der Wiederholung der Frage
,,Wer?" fallt der ganze Chor ein und fuhrt in die 6. Ab-
theilung iiber ??Lobet ihn7 alle seine Engel !" in welchem
sich wesentlieh der erste Theil wiederholt, dessen drei-
maliges Hervortreten diesem complicirten und grossartigen
Tonstuck Einheit und ausseren Zusammenhang erhalt.
Ihm folgt als siebenter und letzter Abschnitt die Fuge
jjjft^
Tenor.
Q • [, * H
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rrt •r*— w— i
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Herrn. Hal
le - In - iah!
neben der Schlussfuge des ersten Theils der einzige poly-
phone Satz des Werkes? in einem freieren Styl? aber in
ganz grossen Zugen gehalten, eine im hochsten Sinne des
Wortes grosse und glanzende Kronung der Arbeit? feier-
lich und majestatisch zugleich. Das Thema sellnt ist
schwungvoll und entfaltet sich in der Verwebirag
Steigerung der Stkamen zur hochsten
— 60 —
Iliernit wird em Werk edelster Art abgeschlossen.
Grosseres als dies hat Bach nicht geschaffen. Sein reicher
Geist erhebt sich darin frei und ktihn iiber die Grenzen
und Formen fort, welche durch Herkommen, Tradition
und gewohnheitsmassige Arbeit so oftbeengendund hemrnend
gewirkt haben.
Im Jahre 1787 erscMen dies Oratorium zn Leipzig bei
Breitkopf im Druck. Der Bekanntmachung desselben
waren als Empfehlung nur die Worte hinzugefugt:
Opus artificiosum et divinum l).
Am 26. Februar 1788 und am 4. Marz desselben Jahres
wurcle zu Wien dieses Oratorium bei dem Grafen Johann
Esterhazy aufgefuhrt. Das Orchester bestand aus 80,
der Chor aus 30 Personen, die Lange? Adamberger
und Saale hatten die Soloparthien ubernommen, Mo-
zart war es, der die Aufftihrung dirigirte, wahrend TJmlauf
den Fltigel spielte. Ein ausserordentlicher Erfolg kronte
das Werk. Wahrend der Auffuhrung liess Graf Ester-
hazy das Bildniss Bach's im Kupfersticli herumreichen
und in laut schallendem Vivat. so wie einer dreifachen
Beifallssalve sprach sich die Theilnahme und Anerkennung
der zahlreichen Zuhorer aus.
E. Lieder - Compositionen.
Wir sahen, welchen Werth Bach auf seine frtiheren
Versuche im Fache des weltlichen und geistlichen Liedes
gelegt, mit welchem eingehenden und ernsten Interesse er
grade die Gel lert'schen geistlichen Lieder behandelt hatte;
es war doch seit ihrem Erscheinen eine geraume Zeit ver-
flossen, in der er init Aehnlichein in die Offentliehkeit
getreten war.
Inzwischen hatte sich die Richtung seines ganzen
Lebens, seines Geistes und seiner Knnstthlitigkeit niehr
J) Mus. Almanach v. 1789, (Schwickert; S, 31.
— 61 -
den Gegenstanden und Gedanken kirchlich religioser Natur
zugewendet Und so sieht man ihn denn auch in Hamburg
auf dem Gebiete des deutschen Liedes nach dieser Richtung
hin von Neuem seine Krafte priifen. In No. 168. des Jahr-
gangs 1773 veroffentlichte der Hamburger Unpartheiische
Correspondent folgende Bakanntinachung:
,,Schon damals, als m erne Gel lert'sehen Lieder herausgekommen
waren, wiinschten meine Freunde, dass ich zu des Herrn Doctor
Cramer's Psalmen, zur Privat-Erbauung, ebenfalls Melodien zum
SiBgen bei dem Claviere herausgeben mochte. Dieser Wunsch ist
nunmehro In so welt erfiillet, dass eine Auswabl dieser Psalmen,
welche an der Starke meinen Gellert'schen Liedera gleich ist, mit
kiinftiger Ostermesse im Drucke erschemen wird. Ich habe bei der
Ausarbeitung dieser Psalmen an Liebbaber von verschiedenen Fahig-
keiten gedacht, und daber sind sie leichter in der Aosfiibrung, als
die Gellert'schen Lieder, ohne dass ich glaube, der besondern
Pracht dieser Psalmen Eintracht gethan zu haben. Daniit dieses Werk
vor der Herausgabe desselben ftir einen viel niedrigern Preis, als
nachher, angescbafft werden konne, so nehmen von jetzt an bis zur
kiinftigen Ostermesse, ausser mir, folgende Hen*en einen Thaler Vor-
schuss darauf an: In Berlin, der Konigl. Kammennusicus, Herr
Riedt etc.
Hamburg, den 18. October 1773.
C. P. JE. Bach.
Ueber die nachste Veranlassung zur Composition dieser
Psalmen findet sich folgende Nachricht1):
7?Es hat ein Ungenannter den Herrn Musikdirector
Bach zu Hamburg schriftlich ersucht? ob er nieht zu den
Cramer'schen Psalmen eben solche Melodien setzen
wolle? als er zu den Grellert'schen geistlichen Liedern
herausgegeben habe, und zugleich verlangt; die Antwort
auf diese Anfrage in der allgem. deutschen Bibliothek zu
lesen. Herr Bach thut also hiedurch zu mssen? dass,
wenn sich ein billiger Verleger fande, er nicht abgeneigt
ware? die Aufforderung zu erfiilien."
Es scheint7 dass ein geeigneter Verleger sich nicht
gefunden habe? denn im Laufe des folgenden Fruhjahrs
Alls, deutsche Bibl. B. 6, St. 2. p, 321 1768,
— 62 —
erschien im Selbstverlage Bach's die vollstandige
Sammlung.
Das Verzeichniss der Abonnenten erreichte die Zahl
von 327, darunter waren an bekannten Naraen die yon
Agricola, Fasch und Kirnberger in Berlin, Bach in
Biickeburg, Breitkopf und Sohn in Leipzig, Homilitw
in Dresden, Eschenburg in Braunschweig, Gerstenberg
und Scheibe in Kopenhagen. Die Samralung fuhrt den
Titel:
Herrn Doctor Cramers1) Ubersetzt? Psalmen mit Melo-
dieen zum Singen bey dem Claviers.
Das Werk war ,,Dem durchlauchtigsten Herzoge und
Herrn Herrn Priedrich, Herzoge zu Mecklenburg, Fiirsten
zu Wenden, Schwerin und Eatzeburg, auch Graf en zu
Sehwerin, der Lande Rostock und Stargard etc. etc.
Meinem gnadigsten Herzoge und Herrn"
in folgender Zueignung gewidmet:
,,Durchlauchtigster Herzog,
Grnadigster Herzog und Herr!
Ich unterstehe mich, Ew. Hochfurstl. Durchlaucht
• gegenwartige Sammlung von Psalmen des koniglichen
Dichters, wozu ich Melodieen zum Singen gesetzt habe,
desswegen zuzueignen, weil ich weiss, class Hochstdie-
s^l^en bey den musikalischen Vergniigungen einen der er-
habensten Zwecke der Tonkunst, die Ausbreitung der
i) Johann Andreas Cramer war geboren den 29. Januarl723
im sachsischen Erzgebirge, war 1748 Prediger zu Krellwitz bei Mag-
deburg, 1750 Oberhorpredlger in Quedlinburg, 1754 deutscher Hof-
prediger in Kopenhagen und Professor der Theologie daselbst. 1771
ging er von dort nach Liibeck, 1774 nach Kiel, wo er Prokanzler
und erster Professor der Theologie, spater Kanzler und Kurator der
Universitat ward. Er starb 1788 Er gehorte den ersten Theologen
seiner Zeit an und war als Dichter geistlicher Lieder und Oden, durch
die poetische Bearbeitung seiner Psalmen, welche 1762 zu Leipzig er-
schienen, so wie durch zahlreiehe andere Werke, zumal auch durch die
Biographic Gellert's (1774), fiir die deutsche Literatur jener Zeit von
der hervorragendsten Bedeutung.
— 63 —
Religion und die Beforderung und JErbauung unsterblicher
Seelen vorzuglich zu schutzen, und die Arbeiten derer
Manner, welche ihre Talente zur Erreichung dieses Zweckes
angewendet, init Dero gnadigstera Beyfalle belohnen.
Mbchte ich so giucklich seyn? dieses Beyfalls in Absicnt
^iner verfertigten Melodieen von Ew. HochfiirstL
Durchlaucht nicht ganz unwiirdig geschatzt zu werden!
Erlauben Sie mir, Durchlauchtigster Herzog? die an-
genehnie Ueberzeugung, dass Dero holier Name, den ich
diesem musikalischen Werke vorgesetzt habe? die beste
EmpfehluDg desselben sey? und zugleich die Freiheit? mich
mit den Gresinnungen der tiefsten Ehrfarcht untersehreiben
zu diirfen?
Durchlauchtigster Herzog,
* Gnadigster Herzog und Herr,
Ew. Hochfiirstlichen Durchlaucht
unterthanigster Diener
Carl Philipp Emanuel Bach."
Hamburg, den 28. Marz 1774.
Auch hier wiederum ersieht nian? dass Bach sich den
Mannern hinzurechnet ? welche ihre Talente fur einen der
erhabensten Zwecke der Tonkunst; narnlich fur die Aus-
breitung der Religion und die Beforderung und Erbauung
unsterblicher Seelen anwenden, darfs also dem von ihm
dem Fiirsten iiberreichten Werke dieselbe Idee zum Grrunde
lag, welche schon bei den Gellert'schen Liedern fur ihn
maassgebend gewesen war. Mehr noch ergiebt sich das
aus der folgenden langen
V o r r e d e.
Endlich babe ich das Vergnugen, meinen Gonnern und Fre^inden
ihrer schon laugst an mich gethanen Forderung Genijge zu than, und
ihnen Melodien zu des Herrn Doctor Cramer's Psalmen zn liefera.
Bey dem Mangel anderer guter Vorschlage babe ich den Verlag der-
selben selbst ubernommen, und boffe fiir sie mit Grunde eben den
BeyfaH, welcben meine Gellert'schen Lieder zu erhallen so glilek-
Hch gewesen sind. Da diese letzten so viel Erbauung yeraulasst
haben, wie man mich so sehr verslchert bat: sS glaube icfe
- 64 -
dass diese Psalmen nm so viel mehr Nutzen stiften werden, weil ibr
gb'ttlicher Inlialt so voller Majestat 1st, dass dahin nichts reicht, was
noch je von den grossten Dichtern in dieser Art geschrieben worden
1st. Ich bin nicht im Stande von der Uebersetzung dieser Psalmen,
der Arbeit eines unsrer grossten Gottesgelehiten, ein solches Urtheil
zu fallen, wie sie es verdionen; es wiirden anch alle meine Lobspriiche
hieriiber sebr iiberfliissig seyn. Ich berufe mich bloss auf dasjenige,
was ich bey Verfertigung dieser Melodieen empfunden habe. Afts
dieser Ursach batten meine Freunde das grosste Recht, etwas ganz
vollkommenes von mir zu erwarten. Ich muss auch bekennen, ohne
von der Grosse meiner Kraffe zu sehr eingenommen zu seyn, dass
diese Psalmen bey einer weitlaufigen Ausaibeitung ungleich mehr
gewonnen haben wiirden, als jetzt, da ich ihnen bloss kurze Melo-
dien zum Singen bey clem Claviere fiir Liebhaber, die in -der Aus-
fiihrung noch nicht stark sind, angemessen habe. Wer indessen den
Zwang kennt, welcher bey Melodieen zu mehr als einer Strophe un-
vermeidlich ist: wern ferner bekannt ist, wie sehr dieses wegen der
Modulation so kurze und eingeschrankte Feld bereits bearbeitet wor-
den: der wird nicht zu viol verlangen, sondern mich violmehr, wie ich
hoffe, mit seiner Zufi-iedtnheit uber diese mo'me Arbeit beehren. Ich
habe bloss diejenigen Psalmen gewahlt, welche sich noch auf unsre
jetzigen Zeiten schicken und zur allgemeinen Erbauung dienen. Ausser-
dem habe ich auch diejenigen weglassen rmissen, welche im Tezt
mehr als einMebum haben, welche zum Singen zu lang sind, welche
wegen der allzuoft vorkommenden Verschiedenheit ihres Inhalts eine
weitlaufigere Ausfdhrung erfordern, und welche mit vielen Choren
abwechseln, damit ich den Liebhabern kein zu grosses und folglich
zu kostspieliges Werk liefein moge. In ein Paar Psalmen ist die An-
zahl der Silben nicht immer in alien Stimmen gleich; ein etwas auf-
merksamer Ausfuhier wird alsdann gar leicht in dernselben Tone ent-
weder eine Note hinzusetzen oder abkiirzen. Bey tier grossen Anzahl
der Lob -Psalmen und ihres majesta'tischen Inhalts habe ich auf eine
Yerschiedenheit des Ausdrucks denken roiissen, urn nicht immer
einerley Gedanken hervorzubringen; cinigen meiner Freunde zu ge-
fallen habe ich gewissen Psalmen Choralmelodien gegeben; zuweilen
habe ich auch in gebundener Arbeit und in der Ausweichung der
Modulation etwas gewagt. Alle diese Umstande geben dieser Samm-
lung etwas mehr Veranderungen, als man in meinen Gellert'schen
Liedem antrifft, und ich hoife dadurch von dem Beyfalle meiner
Freunde nichts verloren zu haben.
Mochten doch diese Melodien so viel Erbauung und Vergniigen
erwecken, als ich bey ihrer Ausarbeitung zuui Zwecke gehabt und
gewiinscht habe.
Hamburg, im Marz Monathe 1774
C. Ph, E. Bach.
— 65 —
Diese Auslassung zeigt? dass Bach mit der Composi-
tion dieser Psalmen gegen die Grellert'schen Lieder einen
Fortschritt gemaeht zu liaben glatibte. Aber aueh hier
verhelilt er seine schon dort ausgesprochenen Bedenken
tiber die Schwierigkeit nicht; eine Melodic zn mehreren
Versen zu scliaffen. Und doeh hatten gerade die Psalmen,
,,die imVersmaass oft mehr aLs ein Metrum haben/*
ihn darauf hinfiihren konnen, dass er durch grossere Aus-
fiihrung der Compositionen einen Schritt auf seiner Bairn
welter gehen miisse. Er hat offenbar geschwankt, ob er
diesen Schritt than solle, oder ob er ,,den Liebhabern?
die in der Ausfiihriing noch nicht stark sind/; die
Zumuthung grosserer Schwierigkeiten und complicirterer
Formen stellen ditrfe. Denn er sagt ausdriicklich; ??dass
diese Psalmen bei einer weitlaufigeren Ausar-
beitung ungleich niehr gewonnen haben wtirden."
Aber die Riicksicht auf das Publikum; das soleheii Aufgaben
offenbar nicht gewachsen war und auch, wie es scheint,
dies dadurch vertheuerte Werk nicht gekauft laaben wurde?
itberwog. Vielleicht war es sehr lebensklug, dass er so
handelte. Ob man es vom kiinstlerischen Standpunkt aus
billigeii darf? ist eine andere Frage. Nach dein; was diese
Psalmen schon in ihrer beschrankten Form bieten; wtirde
eine freiere Behandlung in grosseren Umrissen zn einer
ausserordentlichen Leistung gefuhrt haben.
Wie Bach sich mit voller Bewunderung iiber den
Inhalt aussprichtj so hat er sich offenbar mit Vorliebe in
ihre Poesie versenkt. Er steht in der That auf einer
hoheren Stufe als in den Grellert'schen Liedern. Er hatte
in dieser neuen Kunstform festen Fuss gefas^t und in der
beschrankten Weise, die er sich nun einmal auferlegt hatte,
eine gewisse Grosse und Vollendung erreicht So sind die
einzelnen Lieder dieser Samnilung noeh jetzt von wohl-
thueiider Schonheit. Einzelne sind mehr nusgefuhrt als
andere; z. B. der 8. Psalm, der ganz durcheomponirt? in
seinem prachtvollen Schwunge sich als ein wahrhafter
Bitter, Emannel and Friedemana Bftdi. IL 5
Lobgegang darstellt; ferner der 33. Psalm, <Jer nut seinen
schonen Imitationen in der Begleitung zugleicli als ein
contrapunktisehes Meisterwerk betrachtet werden kann;
endlicb der 67. Psalm mit dem hinztttretenden Clior und
der 93. mit der feurigen figurirten Begleitung. In anderen
Liedern, wenn auch kleineren Umfangs? sind die Gredanken
von besonderer Reinheit. Die Melodie gewinnt dabei oft
eine EigentMmliclikeit, man mddbte sagen Intensivitat? wie
man sie in den besten Liedern der neueren Zeit kaum
pragnanter finden kann.
Es moge noch auf den 96. 97. und 110. Psalm hin-
gewiesen werden, von denen dem letzteren eine wahrhaft
grossartige? im hochsten Styl concipirte Begleitung ge-
geben ist,
Mclat weniger sind die choralartig gesetzten Stiicke,
welche Bach. ;?einigen seiner Freunde zuGefallen"
so componirt hatte, Meisterwerke in Gesang und Satz.
Zwei derselben, der 6. und 130. Psalm, mogen folgen.
No 6. Choralmassig, SeJtr
langsam.
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Fuh - re,
Dei - nes
Herr, micla nicht im Grim - me
Zor - nes Rich - ter - stim - me
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p'.,_t ',.
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hei - h -
mich und
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--*. 68 -~
Ueber den Eindruck, den diese schonen Lieder, deren
die Sanuolung 42 enthalt, auf das Publikum ihrer Zeit
gemacht haben, 1st wenig bekannt gevvorden. Wohl ware
es eine ehrenvolle Aufgabe ftir die Gegen\vart; den reielien
Schatz? der in ihnen verborgen 1st, durch eine geeignete
Auswahl und sachgemas.se Behandlung zu heben.
Im Allgemeinen fand Bach auf diesem von ilim mit
so viel Grluck und Hingebung beschritteneni Gebiete des
geistlichen Liedes keine Nachfolger, mindestens keine
solche, die eine blefbende Bedeutung gewonnen hatten.
Doch hat sein j lingerer Bruder Johann Christoph
Friedrich zu Biickeburg in den Munter'schen Liedern
gleichfalls Vortreffliches geleistet; und man findet ausser
ihm noch Kolle, Hiller, Scheibe; Hertel? Wolf,
JKunzen und Ben da darin; wenngleich mit geringereni
Berufe^ thatig.
Noch im Jahre 1782 begegnen wir einer lebhaften
Klage daritber1); dass die herrlichsten geistlichen Poesien
uncomponirt oder so gut als uncomponirt gebliebeii seien.
„ B act's Compositionen zu Q-ellert's Liedern, die in aller
Handen sein sollten? sind ausser dem Lande; wo Bach
und Gellert selbst gelebt, wenig gesungen, und seine
herrlichen Compositionen zu Cramer's Psalinen haben
seit 1774 noch keine zweite Auflage erlebt. Einige der
Lieder dieser meisterhaften Sanimlungen sind doch gewiss
auct allgemeine Erbauungslieder2)."
1) Reichardt, Kunst-Magazin. 1782. I S. 172.
2) Der Hamburg. Unparth. Corresp. (1744. No. 112) enthalt eine
ausfiihrliche Kritik iiber diese Sammlung, deren Inhalt fur die Be-
urtheilung der Art, wie Bach's Zeitgenossen seine Werke aufnahmen,
bedeutend genug ist, urn sie hier folgen zu lassen:
,,Die wiederholten Auflagen der von unserm wdrdigen Herrn
Kapellmeister Bach in Mnsik gesetzten Gellcrt'schen Lieder be-
weisen den Beifall, worait die Frennde der Tonkmist diese vortreff-
lichen Melodien aufgenoiumen haben. Eben diesen Beifall konnen
wir den gegenwaitigen Melodien der Cramer'schen iibei-seteten
Psalmen versprechen. Die Originalitat misers Bach's, die St*lrke
— 69 —
Dem geueigten Leser wird im Anhange II, noch
erne Reihe von Briefen Bach's an Forkel mitgetheilt,
welche sidb auf die Herausgabe und den Vertrieb der
Crarner'schen Psalmen beziehen. Man wird aus ihnen
ersehen, wie saner sich der alte Mann sein Geschaft werden
seines Ausdrucks, das Neue und Ku'hne in semen Gedanken, und der
oft ungewdhnliche und iiberraschende Gang der Harmonic, wodurch
sich die musikalischen Compositionen dieses grossen Meisters vor
alien andern auszeichnen , herrschen auch in diesen Psalm - Melodien,
und besonders wird man den Geist eines jeden Psalms und den darinn
herrschenden Aifect auf s gliicklichste in dem dazu gesetzten Gesange
ausgediiickt finden. Man sehe zum Beispiel den 8. Psalm: Wer ist
so wnrdig als du! etc. in welchem die Singstimme eine besondere
Begleitung des Claviers hat Welche Pracht herrscht bier in der
Harinonie des Chors, und welcher muntere Ernst in dem Gesange des
Propheten: 0! welch ein Lob bereitest dn! Eben solche Pracht findet
man in der Melodic des 19. Psalms: Die Himmel rafen, jeder cbret etc.
Der 33. Psalm: Jauchzt ihrGerecbten dern Herrn etc., ist aus As-dur
und ein Meisterstiick der Kunst. Die gebundene Arbeit in selbigem
ist dem Gesange nicht nachtheilig. Der 65ste und 67ste haben sehr
sanfte Melodien. Besonders macht in dern letzten die Veranderuug
des Tactes, da mit dem Chor der «/'s Tact eintritt, eine vortreffliche
Wirkung. Eine unserer Lieblings-Melodien ist der trauiig-langsame
Gesang des 88. Psalms aus F-moll. Der 93ste hat ebenfalls, wie der
8te eine besondere Begleitungsstimme des Claviers. Der Gesang ist
tiberaus glanzend. Der D6ste: Erhebet Gott durch neue Lieder, voll
imgehorter Harmonie! hat im crsten Theil wirklich eine ungewohn-
liche Harmonic, die bier am rechten Ort angebracht ist. Im llOten
spielt das Clavier durcbaus den Bass mit der rechten Hand in der
Octave mit. Der majestatische Gang dor Harmonie schickt sich vor-
treitlich zum Inhalt des Psalms. Der 142ste: Gott! es seufzet meine
Stimme etc. hat einen vortrefflich fiiessenden Gesang. Wir haben
ihn in unserm Exemplar mit 8 Kreuzen bemerkt und er dient uns
immer zur Introduction, so oft wir diese Psalmen spielen. Der l^te
und 148ste, letzterer Allabreve, sind ebenfalls von uns angezeichaet.
ladessen hat eine jede dieser Melodien ihie eigeue Schonheiten und
wo wollten wir Eam« hernehmen, sie alle zu bemerken. Die Choral-
Melodien sind vortrefflich, und die darinn herrschende Harmoiiie aus-
driickend. Die vom 3G. Psalm: Lass mich nicht defnen Zorn em-
pfinden etc. gefallt uns vorzuglicb. Ausser dem 33. Psalm baben
noch ein Paar andere, Melodien mit gebundener Arbeit, die wir eta
Kemiern empfeblen.
Ueberhaupt hat sich Heir Bach durch diese Melodien ma
— 70 — .
liess. Sie enthalten aber aueh Manches von allgemeinerem
Inter esse.
Dass Emanuel Bach sich ftberhaupt dem geistlichen
Liede mit besonderer Vorliebe hingeg&ben habe, zeigt seifie
Theilnahme an der ers ten Sammlung del- Dr. Balthasar
Mtinter'schen Lieder, welche i. J. 1773, also in demselben
Jahre wie die Gramer'schen Psalmen, zu Leipzig her=
ausgekommen ist. Unter den 50 Liedern dieser Sammlung
waren die Nummern 19, 21, 24, 25, 44 und 49, sammtlich
im Styl der Grellert'schen und Cramer'schen Lieder,
von ihm gesetzt. Einige derselben sind von besonderer
Schonheit
In einem alien, der Becker^hen Sammlung ztt JL^ffe^
gehorigen Musikhefte finden sich ferner mit der Bezeich-
nung: ,,In Musik gesetzt von Herrn Bach in Hamburg"
fblgende geistliche Lieder eingeschrieben, die unzweifelhaft
v&n seiner Composition und gleichfalls voll von eigenthum-
Echen Schonheiten sind iind offenbar seiner Hamburger
Lebensperiode angehoren: ,,Auf die Auferstehung des Er-
losers" (von Schiebler), Triumph! Triumph und Lob und
Dank. 3 Verse. ,?Tag, den mir der Herr gemacht, Sei
gesegnet. Tag der Freude. 1 Vers."
rechtschaffenen Herzen Erbauung unendlich verdient gemacht; eiri
Verdienst, das er nun mit dem vortrefflichen Liibeckrsehen Oottes-
g*etorten, dem Herrn Doctor und General -Superintcndenten Cramer,
wir diese schone Fsalmen-UeBerseteung za danken nab en, theiM
Oewiss wird dieser wtirdi^e Mann mit sel. Gellert in Ab-
eioe^ Liedes und der ihm gehorigen Melodie einertei Meimfng
sein. Der letzte schrieb an den Herrn Kapellmeister, entziiekt iiber
dessen Composition seiner Lieder, folgenden richtigen- Gedanken:
beste Lied ist ofme die ihm eigene Melodic ein liebendes Herz,
seine Gattin mangelt, die seine Empfindnugen beseelt, in dem er
ie ihri^en erwecket"
Endlieh miissen wir doch noch, wiewol mit Leidwe&en> inelden,
aitcfe nicht ein einziges Rondeau tmter diesen Melodien befind-
Heh 1st Die Liebhafaer kSUiien in€ess6n ihre Zuflueht ztt den neuegteri
<50iflp6nirfen Mess^, Famous- <kdtorieri und Trauer-Musiken einige*
Italiener und ihrer blinden Naehahmer nehmen, in -
— 71 —
Doch verging ein Zeitratim von 7 Jahren, bis er wieder
mit einer grosseren Sainmlung vor die Oeffentlichkeit trat.
Es erschienen namlich im Jahre 1780: ,,Herrn Chrfstoph
Christian Sturms9, Haitytpastors an der Hauptkirche St. Petri
und Sclwlarclien zu Hamburg, GeistlicJie Gesange mit Melodien
zwm Sing en beym Clavier."
Diese Lieder, zu deren musikalischer Behandlung wolil
die personliche Verbindung mit dem seifc dem Jahre 1778
im Hamburger Predigeramte befindlichen Dichter derselben
Veranlassung gegeben haben mag, erschienen in 2 Samm-
lungen zu je 30 Liedern. Das reichlialtige Verzeichniss
der Hubscribenten fur die erste Sammlung zeigt 647 Kamen.
Berlin war darin nur mit deren 5 vertreten. Fur die
zweite Saminlung, welche 1781 erschien, waren nur 446
Exemplare gezeichnet. Dieser Riickgatig war indess in
jedem Falle nur durcli zufallige Ursacben herbeigefiibrt
worden7 da bereits in demselben Jahre eine zweite Auflage
erschien? der 1792 die dritte Ausgabe hinzutrat.
Noch hatte das inoderne Lied? diese der deutschen
Gemiithsart so sehr zusagende Kunstforni, in weiteren
Kreisen nicht Eingang gefunden. Der Standpunkt des
Publikums war noch immer derselbe7 der bei Gelegenheit
der Besprechung der Berlin is ch en Oden dargelegt worden
ist. Aber aucli die Tonsetzer waren in der langen Eeihe von
Jahreiij die seitdem abgelaufen war, nicht fortgeschritten.
So blickte noch immer aus der Vliter frommer Zeit her die
Tradition an die Beschaftigung mit dem Kirchenliede in das
Familienleben hinein und niehr als je sttitzten sich die
Gewohnheiten und LebensanschauuBgen in den blirgerliclien
Kreisen7 im Gegensatz zu der sittlichen Zersetzung, (lurch
welche die vornehme Welt bedroht war, auf die ewigen
Grundsatze der christlichen Kirche. War es da zu ver-
wundern? wenn Lieder wie diese ein Bediirfniss und eine
Wohlthat zugleich waren? wenn sie die halb vergessene
Ausiibung des religiosen Gesanges, der sich in den Kirefaen
nicht mefar heinifeeh ffihlte, in die FaaoaifiBn
— 72 —
pflanzten, indem sie der hauslichen Andacht den Stenipel
kunstlerisclier S-'hoac aufpragten? Das imbewasste Gefiihl,
das axis dem Herzen heraus nacli Mittheilung imd Befrie-
digung drangte, war noch niclit gewohnt, nach den glan-
zenderen Grestaltungen der Biihnc zu blicken. Mit don
vorliegendeu Liedcru und Cornpositionen wurde ibra eine
Befriedigung geboten, deren reiche Fulle weit fiber den
Drang und das Begehren des Augeublicks liinausreichte
und ztigleich veredelnd, erliebend wirkte. Wohl kann man
den Texten dieser Lieder eine grosse Orthodoxie ziun
Vorwurf machen; man kann zugeben, dass ilinen nicht jene
Kraft innewohnt/ die den alten Kirchenliedern so eigen-
thumlich war. Doch las^t aich ihnen eine gewisse Warm^
der Empfindung, eine scbone poetische Form und jener
populare Anstrich nicht absprechen, durch den sich im All-
gemeinen Sturm's geistlioheSchriften ausgezeiclmethaben Jj.
In einzelnen rlieser Lieder, z. B. im ersten Theil, dem
Friihling S. 14? dem Ernteliede S. 157 dem Sommerliede
S. 20? dem Lobgesang S. 28, BO wie in der zweiten Samm-
limg? dem Pas&ionsliede S. 8, dem Morgenliede S. 15, Gott
der Ernahrer der Menschen S. 19? den Empfmdungen in
einer Sommeriiacht S. 20; Jesus in Gethsemane S. 31 weht
ein Geist edlcr Poesie und einer reinen Keligiositat? der
auch iiber die Grenzen des Pietismus hinaus eine christ-
liciie Auffassung zulasst. Ftir ihre Zeit waren dicse Gc-
dictte von grosser Bedeutnng, und Bach »hat wohlgethan,
sie ' zur Bereicherung des deutsehen Liedes zu benutzen,
Er hat sie in einer Weise musikalisch behandelt, welchc
ihm die dankbare Anerkennung der Nachwelt siclicrt.
Kciner vor ihm hat auf diesem Felde versucht oder ge-
leistet, was ihm zu leisten beschieden war; seine eigenen
!) Sturm gehorte zu denbedentendeienPcr&onon Hamburg's aus
jener Zeit. Er starb bereits 1778, 46 Jalno alt. Die Hanseatischen
Nachrichten (V 147) bezeichnen ihn 7lals was wen, hcrzliehen und
durcbaus praktischen Kanzelredner, als Liederdicbter, Volksschrift-
steller und Mensch, ehrenwertb, vielwirkend und unvergesslicb."
— 73 —
Schopfungen, wie bewunderungswerth viele von ihnen waren,
culminiren in diesen Liedem, imd der ungeheure Lieder-
schatz, den die spatere Zeit erschlossen hat? 1st denselbeu
wenig tiberlegen.
Die Einfachheit der ausseren Behandlung gelit mit
der Tiefe nncl Innigkeit der Gtedanken, mu deren zuiu
Theil grossartiger Kiihnheit und rait deni vollcn Reize der
harmonischen Behandlung Hand in Hand. Die Naivotat, die
grade in der Liederforni des vorigen Jahrhunderts oft so
reizlos hervortritt, verschwindet liier fast durchgehends.
An ifare Stelie tritt eino Vertiefuug in den Inhalt der
Gedichte, die von jeder kleinlichen Auffassung- wcit ab-
weichend, den Auspruch voller Ebeubtirtigkeit mit dera
Besten erheben darf, was spatere Zeiten geleistct Imben.
Lieder, wie aus der ensten Sammluug das Pfingstlied;
,,Sei, Weltversohner, sei gepreist," Gottes Gro^e
in der Natar; der Tag des Weltgeriehts 7,Wenn der
Erde Griinde beben;" das Neujahrsiied ?7Sclioa wieder
ist von unsrer Zeit/1 mit dor reizenden Abwechslung der
Strophen in Moll und Dur, die Fortdauer des Lebcus Je&u:
??Umsonst emport die Holle sicb;" aus der zweitcn
Sammlung: Menschenliebe Jesu ,,l)ich bet1 ieh an? Herr
Jesu;" das Passionblied ,,In Todes Aengsten hangst
Duda;a Empfindungon eincr ^onamernaeht ,,Der Mond
ist aufgegangeu;" ein Lied? das eine der Zeit des Tun-
setzers sonst ganz iremdc Stiminung, die ronaantisehc, in
sich tnigt; fenaer Purbitte des gckreuzigten Je^u 7?Um
Gnade fiir die Siindenwelt," endlieh Jesua in Gethsc-
maoe ??Schau hin, dort in Gethsemane," sirid solche,
welche keinem ehizigen der so gefeiertcn modernen Lieder
weichen dtrfen? vielen nnter ihnen aber an innerer Einheit
und Gedankentiefe tiberlegen sind.
Auch faier ist das Aceompagnenieut kein vollsteindigcs.
An vielen Stellen bedarf dasselbe der Ausfiillung.
Da die hiezu erforderliche Fertigkeit heut wohl meistens
fehlen durfte? so wlirde sicfe eine nene? uacli dieser
Jiiii der Jetztzeit Rechnung tragende Ausgabe einer Aus-
wahl derselben, empfehlen1).
Neben dem geistlichen Liede beschaftigte sich Ein.
Bach aber auch, selbst bis in seine letzte Lebenszeit hin-
ein, mit den Liedern, die er in fruherer Zeit Lieder fur
das Herz genannt hatte. Ira Jahre 1783 erschien eine
Sammlung von solchen ineist aus alterer Zeit im 3. Bande
der „ Polyhymnia." ,7Der dritte Theil der Polyhymnia,
Ton ungefalir einein Alphabete, soil eine Sammlang zer-
streuter Flug-Compositionen von Vater Carl Philipp
Emanuel Bach enthalten. Ausser den nftinnigfaltigen
grosseren Werken dieses fruchtbaren und einzigen Meisters
fitr Gesang und Instrument sind allmalig gelegentlich von*
ihm manche Lieder und Singcompositionen in den Unter-
haltungen? den Musen-Almanachen und anderen dergleichen
Sammlungen bekannt geworden. Seine Freunde haben
fegst gewiinscht; diese; unter denen hervorstechende Meister-
stticke sind? nebst seinen ubrigen Sachen sieh anschaifen
zu konnen. Ich habe die alteren Texte dazu? die zu ihrer
2eit galten; jetzt aber niissfallen wurden; theils geandert;
theils rait besseren vertauscht; alles mit seiner Genehmigung
rind unter seiner Aufsieht. Seine Freundschaffc ubrigens?
deren ich mich ruhme? hafc diese Oompositionen auch
^usserdem noch mit einer >Anzahl ganz neuer und 3SIiemandem
bekannter vermehrt. Mehr habe ich; da Bach?s Nameri
. ^nug sagt? nicht hinzuzusetzen." etc. 2)
Carl Friedrich Cramer,
Professor in Kiel,
Auch diesen kleinen Liedern fehlte es nicht an Geist?
Feuer? Adel und melodischem Reiz. Es war unmerklich
ein Fortschritt eingetreten? wenn dieser sich auch nicht
1) Inzwischen 1st eine Auswabl von Bach's geistlichen Liedern
in 4 Heften bei Sifiarock in Berlin eisehienen.
2) Ma^azin fiir Musik. 1782. Jahrg. I. a 140. C. F. Cramer
war der Sohn des Theologen und Uebersetzerjs der Psalmen, geb.
1782, f 1S07.
bis zu der Vollkommenlieit der geistlichen Lieder gesteigert
hatte. Konnte man dies deru folgenden '(der musikalischen
Real-Zeitung von 1788. Speyer, No. 6 der Musik-Beilagen)
entnommenen, den in Leipzig herausgegebenen Freimaurer-
Gesangen angehorigen Liede gegeniiber bezweifeln?
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hast der Wie-ge vor der Welt dein Elei-
hast* den Thnrm zu Si - ne - ar zum Wun-
ranscht En - ro - pa deinem Ruhm, vom Ta-
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t. Grieche Pindar schlug nnd king wie Sa - lo - ffiCm-
2. Stadtund Ju-bals Zelt,undNo-ahs Schiff ge - bant ^ ^
S. Py-ra-mi-den war aim Ni - his Wife nnd Pracht.
I 4. bleibt dein Heilig - thum ein Rathsel fur die Welt.
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IBI Allgemeinen soil Bach 95 Lieder weltlichert In-
halts geschrieben haben. Ob diese Zahl riclitig ist? kann
dahingestellt bleiben. Das oben (S. 70) erwahnte Liecler-
heft der Bccker?schen Sammlung enthalt neben den ge-
nanntexi geistlichen nock 3 vortreffliche weltliche Lieder
von Bach? die gleichfalls von dem Fortschritte zeugen?
den er auf diesem Gebiete ira Laufe der Jahre geinacht
hatte. Fs sind dies die Lieder: Phillis von Kleist mit
dem der Zeit weit vorauseilenden Schlusse:
Hurtig und
Der Wein machtFreundschaft, starktd.Herz,
schaiftlaugre
,
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Bac - chus, dir wrih' ich mei-ne Lie - der doch!
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Zdrtlich langsam
Phillis kommt,
Phillis kommt,
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Ferner: An die Liebe? von Hagedorn und eine Ode auf
die Gegeriwart des Kaisers in Rom, fur welelie sich das
Jalir der Entetehiing also genau besthnmen lEs«t. Beui
letzten Decennio seines Lebens gehoren auch einige der
im Jabre 1788 zu Leipzig ersehienenen ^
lieder mit ganz neuen Melodien (von den
Kap$l]meistern B$ch? Neumann und Schulss, 38 LJeder
enthaltend) an; von denen eines zweistimrnig, i$eji;rere tait
untermischtem Chore gesetzt, deren zwolf yon B$ch waren.
Diese reiclie Ausbeute seines langen Lebens und Wir-
kens nach diesen schonen Seiten der Kunst bin fand ihren
Abscbluss in einer letzten Sammlung, welcbe alien voriaer-
gehenden weit iiberlegen, des greisen Meisters ktinstleri^chp
StQllung aueh fur dj^s ^yeltliche Lied fixirt hat. Im Jahre
1789 erschienen zn Lubeck bei Chr. Donatius
Neue Lieder-Melodien
nebst einer Cantate zum Singen beim Clavier.
Bie^e Sammlung dnftiger Bliithen? die an dem Rande
&$$ fftr lien alten Meister schon geoffnet.en Grr&bes empor-
spi?asste«i; dessen dustre Tiefe wie mit einem bliihenden
umfloehten? erregt ejn inehr als gewobnliches IXL-
§ie enthalt 21 Gedichte von Holty, Grleim,
•Roding, v. Liitkens, Ebeling; Lessing, Halleru. A.
Die Lieder sind zum Theil in dem alten Liederstyl ge-
setzt, kurze Gesange von einfachem Charakter; aber die
Melodien haben sich veredelt, die Gredanken sind vertief-
ter? inniger ausgedruckt als in den alteren weltlichen L^e-
<lenu In einigen d^rselben tritt B&cb uber die Sebranke^
. die ibn bis dahin gefesselt batten hinaus und componirt
die Texte ganz dnrohj so das ISfoimenlied No. 5 mit dem
reizenden Eefraia:
79 —
than'
0 Lie - be* was hab' ich ge - than.
und dem prachtigen Schluss:
S
so ferner das Lied auf den Greburtstag eines Freundes und
das schone kraftig gebaute: ?7Ieh hoff auf Got t".
Wohl waren diese und andre Lieder? -wie das von Ro-
ding; J?An meiner Ruhestatte"7 ferner das bei aller
einfachen Naivetat in jugendlicher Frische und Lebhaftig-
keit vorbeirauechende Holty'sche Trinklied:
Lu&tig
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werth, der Vergessenheit entrissen zu werden.
Das gleichfalls durchcomponirte Gedicht von Haller
an Doris zeigt jene durchlaufende declamatorisch melodi-
sche Zukanfts-Recitalion, die Bacli auch sonst liebte, und
dic? hier in der edelsten und sinnigsten Weise angewendet,
sicli wohl dem Fantasiestyl des Meisters in Claviersachen
vergleichen liesse. Nach damaliger Begriffsbestimmung
wikde dies Lied als Cantate haben bezeichnet werden
konnen.
Die Composition zu Grerstenb erg's Dichtung 3?Die
'drei Q-razien" ist eine hoehst eigenthiimliche Arbeit, in
demselben nielodischen Gesange wie das Lied an Doris
sich bewegend, von haufigen Recitativen unterbrochen? da-
'bei uberaus zart gelialten, voll yon Anrauth und von fein
musikalisclien Ziigen. Der Bass ist beziffert. Das Stuck'
war bereits iin Juni 1774 gesetzt1). Es crfbrdert, um
riehtig beurtheilt zu werden, einen vollendetcn Vortrag.
Briefe eines aufmerksainen Eeisenden.
Bach hat in ihm den ersten Sehritt zu dem spater so be-
liebten Balladenstyl heriiber gethan.
Wie wohlthuend ist es, hart am Schlusse eines so
reichen, iniihevollen urid ruhmerfulltcn Lebensganges emer
Arbeit zu begegnen, die imter dem Schmucke silberhaari-
ger Locken noch einmal jene jugendliehe Empfindung?
jenen poetischen Zauber? jene Grazie zeigt, die uns bei so
vielen seiner zahlreichen Werke erfreut.
Wohl die letzte Kritik? welche dem dem Verlosehen
so nahen Meister wahrend seiner Lebenszeit zu Theil wer-
den sollte, erschien fiber diese Sammlung3 noch ehe die
Herausgabe vollendet sein konnte, in dem Hamburger Un-
partheiischen Correspondenten vom 18. November 1788
(in No. 185) l).
Nach diesen Betrachtungen bleibt nur noch ein Blick auf
F. die weltlichen Cantaten
zu werfen, die Bach wahrend seines Aufenthalts in Ham-
burg gesetzt hat. Es sind ihrer wenige. Der Katalog
seines Nachlasses nennt als solche:
!) rWelcher Liebhaber der Musifc wird sieh nicht fretien, von
unsenn wiirdigen Herrn Kapellmeister Bach eine SammluDg Lieder
und die Composition einer Cantate wieder zn sefaen, nachdem er ihnen
seit langer Zeit derglcichen Arbeit nicht geliefert hat. Es wiire un-
nothig zu sagen, dass diese Melodien sammtlich das Geprage dea
nausikalischen Genies ihres grossen Componisten tragen, da es be-
kaimt ist, dass dieser verehrurtgswiirdige Mann kerne seiner Arbeiten
OTemtlieli herausgiebt, die er nicht sorgfllltig studirt -and gepraffc hat.
Di© Lieblial>er werden es anch finden, wenn sie diese StScke beim
Clavier singen, wie sehr der Herr Kapellmeister auf den Iiahalt eines
jeden Liedes bei der Composition der Melodien, aaf die Tonart, auf
die Wahl des Tacts, auf deii Rhythmus etc. Riioksicht genommen hat
Bi^ componirten Lieder sind yon Holty, Gleim, Boding^ LSt-
kens, EbeHng, Eli^e Unzerinu, LessingT yon Haller. Das
Sehweizer NonneBlied: ?S ist kein yerdriisslicher Lebe, alis is
das Klosterli gehe eta faat %EL aBfii Strophes eine Melodie
ten, die ungemefa Aaraitociseh fet JJtei *iie&0 Efee M de»
Bitter, Eroarrael nud Friedemann Baoiu XL §
1. Yam Jahre 1770: ,,Der Friihling", eine Tenor-
Cantate ,,mit den gewohnlichen Instrumenten."
Dieses Stiicks ist bereits bei Gelegenheit der Berliner Ar-
beiten gedacht worden.
2. Vom Jahre 1776: ?7Selma", eine Discant-Cantate
mit dem Texte aus Voss' Musen-Almanach voni Jahre
1776, S. 225: ,,Sie liebt mich? die Auserwahlte"
(F-moll 2/4 Quartett, 2 Floten). Der erste Satz 1st von
schoner melodischer Declamation. Die Floten nmspielen
die Singstimme in naeist selbstandigem Gange. Das Quartett
begleitet nur. Im zweiten Satz 1st der Gesang unbequem
in der Lage und far die Aussp rache schwer gesetzt.
3. Ohne Jahreszatl: ,,Der 8. April, besungen T^n
dem Bach'schen Hause." Auf den Geburtstag eines
Fre*tnde$$ ein leicbter, melodiseHer Gesang fur eine Stimme
mit Clayierbegleitung ohne weitere Bedeutung.
Gegen diese kleineren Tonstiicke nimmt
4 Klopstock'sMorgen-Gesang am Schopfungs-
tage hohere Aufmerksamkeit in Anspruch. Dies schone
W@rk ist im Jakre 1783 entstanden. Bach's freundschaft-
liches Verhaltniss zu Klopstock mag wohl eine weaentliche
des Hrn. von Haller: ,,Des Tages Licht hat sich verdunkelt"
widerfabren. Man wird dieses Lied nach dieser neuen Melodife mit
oeuera Vergniigen singen, da sie den Worten so anpassend und so
ist. Besondefs schon ist der Schluss der letzten Strophe
Auch von dem Liede dea: Elise: ,,Ich hoffr auf
eta sind alle Steopben vortrefflich eomponirt, die erste atts
G-dsr, worauf so matiirlich die zweite aus C-moll eintritt, und die
letzte wieder aus C-'dur sehliesst. In den Lkdera inunteren Inhalts
herrscht noch ein Geist, der einen Componisten Ton enrigeii 20 Jahren
vermutfaen Hesse, wenn man nicht wiisste, dass der Herr Kapellmeister
seban alter ware Man sehe z B. Seite 30 u. s. w. Ebeling?s Lied
auf den aeburtstag eines Freundes ist voller Affect Holty's Trink-
lied: ,,Eim Leben, WIQ im Paradies" wird nun bei jedem frohen
Mahle musikalischer Freunde gesimgen werden. Boeh wir konmea
des eingeschrankten Baums wegen nicht fiaehr auszeiehnen. Finis
coronat opus: und so kront aaeh hrerG erst enb erg7 s Oantate: ,,Die
Grazienu diese SammluDg, mit deBen* 'Herr Baeht bei tor Oom-
position derselben, in dem Terteutesten UrQ^ange gelebt hat"
Veranlassung zu seinein Entstehen gewesen sein. Beide
Mariner , gross als Lyriker, beide Begriinder neuer Eich-
tungen in Poesie und Musik, batten zu viel innerliche Be-
ruhrungspunkte, als dass sie nicht auch in dem ausseren
und engeren Verkehr mit einander hatten Befriedigung
finden sollen.
Dass er grade eine der Oden gewahlt hat, in denen
die poetische Natur des Diehters sich am reinsten darstellt,
dass unter dies en eben der Morgengesang sein musi-
kalisches Interesse erregt hat? konnte an sich fiir gleich-
giiltig gehalten werden. Doch lag grade in dieser Wahl
die Bedingung, ein Werk yon den Vorziigen des Vorlie-
genden schaffen zu konnen. Der schone Text ist im An-
hange IL abgedruckt. Seine edle freie Declamation? das
Lyrische der darin ausgedriickten Stimmungen und die
Grosse und JErhabenheit des Gedankens eignen ihn recht
eigentlich fiir die Musik.
Ein Instrumentalsatz (D-dur s/4? 2 Violinen, 2 Brat-
schen, Violoncell, Violon, zunachst ohne Flugel und Fagott)
von dunkler Farbung beginnt. Die Celli und Bratschen,
in syncopirten Noten und canonisch eng aneinander ge-
legten Einsatzen steigen uber dem auf dem Grundton ver-
bleibenden Bass langsam und leise in die Hohe. Ihnen
gesellen sich? das Anfangs-Motiv fortfuhrend^ vom 4. Takte
ab die Violinen hinzu. Es ist wie das Helldunkel des
ersten Morgengrauens? das sich der Nacht zu entringen
sucht.
Langsam und schwach.
. YioUae.
Tialoncello.
Yiolon,
rr
r r r-crrT c~crr r
sfe
pspi
Iin 6. Takte beginnen auch die Basse unruhig in chroma-
tischen Gangen in die Hohe und wieder herabsteigend ihre
beharrende Lage zu verlassen. Hit dem 9. Takte tritt
das Accompagnement des Flugels hinzu. Der Gesang
(Soprano 1) setzt in rnelodisch declamirender Recitation
dfe erste Strophe ein: ,,Noch kommt sie nicht, die
S<mx*e«, wahrend die Instrumente ihren syncopirten Gang
fortfuhren.
Der Eintritt der Singstimme ttber dem dunklen In-
strutnentalsatze wirkt wie der erste Strahl des sich aus
Nebel und Nacht hervorringenden Lichtes. Mit dem Ab-
schluss des Gesanges sucht das Orchester in unruhiger, in
die Hohe treibender Steigerung ihm zu folgen. In dem
engen Raum von vier Takten gelangt es durch ununter-
brochene Modulationen zu klarem, festgegliedertem Zeit-
niaass (V8 H-moIl) und lebhafterem Tempo.
So beginnt der zweite Satz: (Soprano 2) ?,Heiliger!
— 85 —
Hocherhabener!" Die bis dahin selbstandige Bewegung
der Instrumente geht, hie und da durch eine kurze Pigur
der ersten Violine unterbrochen, in begleitende Accord-
folgen iiber, die in Vie Noten schnell mit den Modulationen
der Singstimme wechseln. Es ist ein ungemein reizender
melodischer Gesang von 14 Takten, der sich, obne eine
bestimmte Form zu gewinnen, in dem declamatorischen Cha-
rakter des ersten Satzes, zu dem helieren Glanze der Sterne
emporschwingt, deren strablende Schonheit er darstellt.
So ungefahr mag sick R. Wagner die von ihm mit
geringerem Glticke ausgebeutete ^unendliche Melodie"
gedacht haben.
Bacb benutzt diese recitativabnliche deelamatorische
Eingangsform nur, um sicn im dritten Satze zur wirklichen
Melodie zu erheben (A-dur Allabr.). In langsarnein Tempo
stimmen zwei Floten? in der Octave den tiiiuinerisehen
Gang der Bratschen verstarkend? zuerst unlsono? dann in
sanfte Terzengange iibergeiiend, einen der wohlthuendsten
Zweigesange an, die je geschaffen worden sind. Der in-
strumentale Charakter ist von einer Weichheit und Fiille?
wie er kaum phantasiereieher gefunden werden konnte.
Es spricht aus dieser melodiscben Dichtung der bliithen-
reiche Duft eines rosigen Frublingsmorgens; das erste Dam-
mern der unendlichen Schone, die die Natur liber die
junge Erde gebreitet hat. Nach deni 4. Takt tritt der
Gesang in selbstandiger? gleichfalls declamatorischer Flih-
rung der Melodie hinzu.
2 Floien.
Bass.
i s
Kaum mochte wohl das Erwaehen des Morgens, der erste
Purpurschimmer der heraufeteigeiad^n Morg@nr<)tk$ ,teti^
susseren Tonen, mit einem von reinerenx Zauber umwebten
34elodieixglaBze dargestellt worden &ein,
Eine etwas lebtaftere Bewegung abgerissener Accorde
des Streicli-Quartetts fiihrt aus diesem Abschnitt nach F-dur
(%) zu dem Duett ?JHerr Gott! barmherzig und gna-
dig", das; nach festem Einsatz der Stimmen auf denWor-
t^ ,,Herr? Gott!" sich meist in inelodisclien Terzen- und
Sexten-Grangen bewegend? yon dem Chor in vierdtimmigem
S^tze wiederholt wird. Heitere Zuversicht, eine feste und
doch milde Stimmting driickt sich in diesem schonen
declamatorisch schwungvollen Satze aus. Der Chor ist
tomopbon, die Instrumentalbegleitung (2 Moten, Streich-
Quartett und 2 Bratschen) im Wesentlichen nur begleitend
•uf&i v©rst%kend. Sebr schon ist das? auf den Absehluss
in^dw p^ch der Pause ¥on einem Takt mit dena Quint-
Septimen-Accorde in G eintretende:
— 87 —
EIn Zwischenspiel yon 14 Takten, in dem Gharakter des
Chorsatzes forts chreitend, fuhrt zu dem Duo fur 2 Soprane
(C-dur 4A) ,7Hallelujah! Seht ihr die Strahiende"
tiber; das in ein lebhafteres Tempo ubergeht. Die Sonne
steigt empor. Der Gesang begrtisst die ^Strahlende^ Gott-
liche" in schwungvoller JSllarheit ujid steigert sich in dem
anschliessenden Eecitativ 730 der Sonne Gottes" zu
wahrhaft dramatischer Hohe. In der enharmonischeja Mo-
dulation an^ Schluss
und herr - licher macht durch die Wand-
Inng?
zeigt sick jene Feinheit der Charakteristik, iir welcher
Seb. Bach so oft bewundernswerthe Effecte geschaffen hat.
In dem klaren strahlenden G - dur ? von dem Chor ange-
stimmt, beginnt der Schlusssatz, eine Wiederholung des
Duos: ,?Hallelujah! Seht ihr die Strahlende," das
im Wechsel der Soprane mit den Mannerstimmen
Solo
Hal-le - - lu-iah! Hal - le - lu - jah! t
SopraiK lit.
Teuor. Bass.
anhebt und einen glanzenden, reicbgeschmiickten Abschluss
bildet.
Das ganze Werk athmet; der darin verwendeten tiber-
aus einfachen Mittel ungeachtet, jene feieiiiche Wiirde und
Pracht7 die dem Erwachen des Morgens aus der Stille und
Bute einer majestatischen Natur so eigen ist. Wer jemals
auf den Spitzen der Hochgebirge die Sonne aus dem
Nebelschleier in ihrem allniahlich wachsenden Grlanze durch-
brechen sah? wahrend die balaamische Morgenluft den
Duft der erfrischten Vegetation hauchte, der wird die edle
und klassi^che Schonheit dieser Arbeit zu wiirdigen wissen.
Die Dichtung ist in jener Feinheit und achten Treue in
die Musik iibertragen, die Niemand durch realistische
Mittel, durch den Aufwand glanaender Massenwirkungen
zu erreichen im Stande sein wurde.
Man weiss, dass der Dichter dem Componisten seine
yollste Uebereinstimniung und Anerkennung fitr das Ton-
werk ausgesprochen hat x). Dasselbe erschien schon im fol-
genden Jahre; mit einem Clavierauszug versehen, im Selbst-
verlage Bach's auf Subscription, Das Verzeichniss der
Magazin fur Musik. 1783. 1. Jahrg. 2. Halfte. S. 1116.
Abonnenten weist 204 Personen nach? darunter die Prin-
zessin Anialia, Kapellmeister Reichardt, Forkel in
Gottingen, Dusseck in Prag nnd v. Swieten in Wien,
letzteren mit 12 Exemplar en.
Eine Kritik aus dem Jahre 1808 uber eine Auffiihrung
des Morgengesanges in Dresden sagt uber dies Werk l) :
?,Die Musik wird dem Zuhorer gar zu sparlich, gleich-
sam zugezahlt. Ausserdem dass manches darin wie aus
dem Clavier in Orchestermusik iibersetzt klingt? glaubt
man wirklich den Dichter hinter dem Componisten stehen
zu sen en, der ilm zwar vor alien und jeden Missgriffen
verwahrt, aber ilin auch inimer besorgt zuruekhalt7 damit
er ja nichts thue? als das Nothwendigste, um seine Verse
nur anstandig zu begleiten, fiir niehts Sorge trage, als
dass diese recht gut gehort warden." Der Eeferent, der
in der Bach'scnen Composition zu wenig absolute Musik
und zu viel declarnatorische Recitation gefunden hatte;
konnte freilich keine Ahnung daron haben? dass gerade
diese Eigenschaft des Morgengesanges nach einem halben
Jahrhundert zu eineni neuen Systeme fiir die dramatisehe
Musik erhoben werden wiirde. Aber wie weit ist die Musik
Em. Bach'Sj so sehr sie der Zukunft entgegenstrebte,
davon entfernt? Zukun ft s- Musik zu sein!
No hi theilt in seinen Kiinstlerbriefeii2) zwei Briefe
Bach's an Artaria in Wien mit? welche den Morgen-
gesang betreffen. Er setzt der Mittbeilung jener Briefe
hinzu: ??Abschrift des Morgengesangs besitzt G. Notte-
bohni in Wien mit den Bleistift-Worten Beethovens:
^Von. meinem ttieuren Vater gesehrieben." Er
spricht dabei die Meinmig aus? dass die Worte des Texts
Ton Bee tb oven's eigner Hand; aus dessen Bonner Zeit
herriihren dfirften.
Bach hat noch eine ziemliche Anzahl anderer weltlicher
Leipz. Mos. Alig. Z. Bd XL S. 189.
S. 70.
Cantaten geschrieben, die einer naheren Erorterung aus
dem einfachen Grunde nicht unterzogen werden, well si©
deni Verfasser nicht zuganglich gewesen sind. Dahin
gehoren :
' a. aus dem Jahre 1769: eine G-eburtstags-Cantate
mit den gebrauchlichen Trompeten und Pauken.
b. aus dem Jahre 1773: Herrn Dr. Hoeck Jubel-
musik. 2 Theile, mit Trompeten, Pauken und Oboen.
c. aus deinselben Jahre: Herrn Syndicus Klefecker
Jubelmusik, mit Trompeten, Pauken, Hornern und
Oboen. * ~
,d. aus dem Jahre 1780: Oraiorium zur Feier des
Ehrenmahls des Berm Biirger-Capitains, mit Trom-
peten, Pauken, Floten, Oboen, Hornern und Fagott.
e. aus dem Jahre 178S: Ein gleiohes Oratorium mit
denselben Instrumenten x).
, £ aus dem Jahre 1785: Dankhymne der Freundschaft.
Ein Geburtstagsstuck, mit Trompeten, Pauken,
Hornern, Oboen und 1 Fagott.
g. aus demselben Jahre: auf die Wiederkehr des
Herrn Dr aus dem Bade, 4 Singstimmen,
mit gewohnlichen Instrumenten.
Ob die Partituren dieser Gelegenheitsarbeiten noeh
vorhanden, event, wohin sie gelangt sind, hat sich fur
jetel nicht ermitteln lassen. Dass die Nachwelt ihren
otwaigen Verlust sehr zu beklagen haben mochte, wiirde
jedanfalls als zwdfolhaft gelten konnen. Bach war als
, Gelegenheits-Gomponist nicht 'eben gross. Bei der der
Nachwelt aufbewahrten grossen Anzahl anderer und wertih-
voller Arbeiten aus derselben Zeit, welche das Urtheil
ifeer seine Thatigkeit in Hamburg hinreichend feststellen,
mSchte man voraussetzen, dass, welches besondere Interesse
i) Telemann hatte seiner Zeit, wie er in seiner Selbstbiographie
(Ehrenpforte S. 368) angiebt, mcbt we^iger als 16 adctar Oratorien
componirt.
die nahere Kenntnissnahme yon jenen Werken haben
mochte, doch das Urtheil ziber B ach's Leistnngen iinGfanzen
wie im Eiiizeluen dadurch schwerlich modlficirt werden
wurde.
Der geneigte Leser? der den umfangreichen Betrach-
tungen, rait denen die Tonwerke Bach's vorstehend be-
gleitet worden sind, bis hierher gefolgt ist? wird sich aus
denselben uber die vielseitige Thatigkeit, den Greist und
die kiinstleriscjhe Stellung, die dieser ausgezeiclinete Mann
zu seiner Mitwelt und zn den Nachkommen einzunehmen
bernfen gewesen ist? ein Hnreichend deutliches Bild ent-
werfen kdnnen. Wenn derselbe in dem Eeichthum und in
der Tiefe des BchafFens seinen grosaen V&ter nicht zu er-
reiciten vermochte7 so war er doch der Mehrzahl der iibrigen
Tonsetzer seiner Zeit weit iiberlegen? dabei ein Master
von Fleiss und geistvoll liebenswurdiger Behandlung der
Kunsl
Gresajnmt-TIebersicht aller Compositionen.
Emanuel Bach war offenbar ein Mann, in dessen
^usseren Lebenseinrichtungen grosse Ordnang und Piinkt-
lichkeit vorherrschten. Dies ergiebt sich aus der Art und
Weise, wie er fiber seine Arbeiten fortwahrend gewisser-
inassen Buch und Rechnung gefuhrt? ilmen gewissenhaft
Jahreszahl? Namen und Ort der Entstehung vorgesetzt
Ijal Bald nach seinem Tode konnte ein vollstandiger und
detaillirter Katalog seines musikalischen? wi^enschaftliciaii
und kiinstlerischen Nachlasses erscheinen? welcher den Ibei
, Weitem iiberwiegenden Thei! seiner CoiUpoBitionen von der
Iftibsten Zeit seiner Kunstlerlaufbahn an, ak vorhandan nach-
wies. Wenn ein solcher Naehweis, die Fruclit und Ernte
eines langen und reiehen Lebens schon an sich ein bedeu-
tendes Interesse ^rregt, nm wie viel raehr wird dies der Fall
sein? wenn man in ihm den w^eniiicrfi^ I^ittailfc imd ^^
— 92 —
Haupt-Material far den Gang einer so merkwiirdigen
Kunstler-Laufbahn erkennen muss.
Wahrend von den Werken seines grossen Vaters ein
nicht geringer Theil als veiioren gegangen zu betrachten
1st, wahrend man von einer grosson Menge anderer Ar-
beiten desselben weder die Zeit noch den Ort ihrer Ent-
stehung kennt? wahrend daher seine Lebens- und kiinst-
lerische Entwickelung nach dieser Seite bin selbst der
muhsamsten Forschung zahlreiclie und schwer auszuful-
lende Liicken ubrig lasst, liegt hier der gesarnmte kiinst-
lerische Inhalt einer mehr als fiinfzigjahrigen Thatigkeit
wohlgeordnet? wie ein aufgeschlagenes Buch vor dem be-
trachtenden Blicke aasgebreitet. ' ' f- ?i"
Moge man daher tiber manche der naheren Lebens-
umstande C. Ph. Emanuel's wenig nnterrichtet sein und
mag der personliche Antheil, den jeder aufrichtige Freund
.grosser und edler Naturen so gern an deren Schicksalen
und Erlebnissen nehmen mochte? hier in geringerem Maasse
Befriedigung finden, als bei den grossen Kiinstlern einer
spateren Zeitperiode: so liegt doch Emanuel Baches
kiinstlerische Entwicklung in einer Klarheit und Abrundung
vor, wie dies nur bei wenigen Tonkiinstlern aus der alteren
Zeit der Fall ist.
Sein Nachlass-Katalog weist fast alle seine Arbeiten
in systematischer Ordnung und mit der Jahreszahl ihres
Ent^tehens versehen nach. Was in sorgsainer Besprechung
bisher dem geneigten Leser vorubergefiihrt ist; findet man,
mit sehr wenigen Ausnahmen? dort verzeichnet1). Dieser
Katalog enthalt?
I. Die Instrumental- Compositionen,
a) Clavier- Soli,
b) Concerte,
i) Verzeichniss des mnsikalischen Nachlasses des verstorbenen
Kapellmeisters Carl Philipp Emanuel Bach. Hamburg, gedruckt
1790, bei G. S. Schreiber.
c) Trio's,
d) Sinfonien,
e) Sonaten,
f) Soli fur andere Instruraente,
g) Quartetten,
h) Kleinere Stucke.
2. Die Sing-Compositfonen, geordnet in
aa) gedruckte Stucke.
bb) ungedruckte Stiicke.
3. Ve^ischte Composltionen jeder Art
Ausserdem enthielt Emanuel Bach's Nachlass jene
unscliatzbar werthvolle Sammlung der CJompositionen seines
Vatei-s7 welche noch jetzt den Kern und Mittelpunkt der
bekannten Werke dieses grossen Meisters bildet? ferner
Compositionen von Wilhelm Friedemann, Johann
Chris toph Friedrlch, von dem Londoner und von
J. Bernard Bach; endlich das sogenannte altbachische
ArcMv !).
G-erber giebt an? Emanuel Bach habe vom Jahre
1731 bis 1787 folgende Stucke geschrieben*):
210 CIavier-SoH?
52 Concerte mit Orchester?
47 Trios fur allerlei Instrumente,
18 Sinfonien,
12 Sonaten fur Clavier mit Begleitung,
19 Soli fiir andere Instrumente?
3 Quartetten for Clavier?
1 Magnificat,
22 Passions-Musiken,
384
Sebastian Baefc. Tk L S. 31.
Gerber.
384
4 Oster-
3 Michaelis- Musiken,
1 Weihnachts-
9 Geistliche Chore mit Instruinenten,
5 Motetten,
3 Oratorien,
95 Lieder und Chorale.
504 Stuck.
Es sei, um den yorstehenden Abschnitt iiber die Cora-
positionen des Jfoisterfc thit* feiner Tk>H*t8#d5>gea Uebersicht
abzuschliessen gestattet, in dem Anhange II. alle, sfcia^
bekannt gewordenen Arbeiten nach ihrer chronologischen
Polgeordnung noch einraal zusainmenzustellen ; und so
das Gesamnitbild seiner Thatigkeit als Tonsetzer in einen
grossen Eahmen zusammen zu fassen. Der Nachlass-
Katalog von 1790 bildet dafiir die vorziiglichste Grrund-
lage? ist jedoch durch andere ahnliche Quellen^ z. B. ,den
Hamburger Katalog liber den Verkauf von Biichern und
kostbaren Werken vom 4. Marz 1805 ; vervollstandigt
worden. Diese Nachweisung enthalt ausser den weltlichen
Liedern und einigen den Schluss bezeichnenden unbedeuten-
deren Compositionen 650 Nummern. In ihr diirfte ziemlich
Alles, was Bach gesetzt hat, seine Stelle gefunden haben.
Sie wird ein Zeugniss yon seinem Fleisse und seiner Viel-
seitigkeit ablegeapt. ,Der Zahl nach fallen yon alien seinen
Arbeiten auf die ersten 53 Jahre seines Lebens etwa 3/s?
auf die Zeit in Hamburg, 21 Jahre, etwa 2/s-
— 95 —
Capitel VI.
Biographisches.
Ueber Emanuel Bach's LebensumstSnde, wie sie
sich in Hamburg festgesteilt batten , 1st man etwas menr
unterrichtet, als iiber die in Berlin, wiewohl auch Her
noch der meiste Stoff der Betrachtung aus seinen Arbeiten
zu schopfen war.
Man weiss von ihm, dass er mit dem Beginn seiner
amtlichen Thatigkeit dort auch angefangen Bat, Concerte
in bestimmten Cyclen zu geben? dass er in diesen mit
Instrumentalsachen seiner Composition, als Clavierspieler
und mit seinen Oratorien vor das Publikum trat, und dass
er auf diese Weise der Kunst in einer Stadt Eingang zu
verschaffen suchte, in der jetzt au&ser ihm; obwohl sie
lange Zeit nlndurch reiche Bluthen fer die Musik entfaltet
hatte, kein einziger Musiker lebte? ?7der bemerkt zu werfen
yerdiente1)." Bach selbst sagte zu Burney; ab dleser
ihn in Hamburg besuchte2): ??Funfzig Jahre frfiher;
da batten Sie kommen sollen." Um so bemerkens-
werther sind seine Bemiihungen in dieser Eichtung? wenn
sie auch wohl zum Theil aus dem Streben hervorgegangen
waren? durch solche Concertcyclen Geld zu Terdienen?
dessen Bach bei dem theuren Leben in Hamburg und bei
seinem immerhin nur massigen Gehalte wohl bediirfen
iWMiite. Das erste dieser Concerte fknd am 28. April 1768s)
im DrfUhaujse statt^ ??wobey er (Bach) sich tinter rer-
) Briefe eines asfoterksa^eE Eeisenden. Th. IL S. 40,
) Bnrney. Mus^. Kw» Th. SL a 181,
) Hamb.
— 06 —
schiedenen Abwechselungen von Singstiicken und anderen
musikalischen Sachen mit Olavier-Concerten wird horen
lassen. Der Anfang wird um halb sechs Uhr seyn. Preis
der Billets zwcy Mark." Mit ?7Hoher obrigkeitlicher
Bewilligung" fand Bach's zweites und ?;fur diesmal
letztes Concert zu inehrerer Bequemlichkeit des Publici
in dem neuerbauten Concertsaal auf dem Karnp" statt1),
?,wobey er sich abermals unter verschiedenen Abwechse-
lungen von rnusikalischen Stiicken auf dem Fliigel wird
horen lassen. Es wird bey dieser Gelegenheit das so be-
liebte Singgedicht des beriihmten Herrn Professor Ranamlerj
die Ino genannt2)^ aufgefiihrt warden."
Nach diesem; wie es scheint; giinstigen Anfange findet
man schon ini Herbst desselben Jahres die Ankiindigung
zu regelmassigen Concert-Abenden3). 7?D6r Herr Kap.-M.
Bach wird mit hoher obrigkeitlicher Bewilligung auf^Ver-
langen vieler Musikliebhaber diesen Herbst und Winter
alle Montage von 5 bis 8 Uhr in dem neuen Concertsaale
auf dem Kamp ein pffentliches Concert halten, wenn er
eine hinlangliche Anzahl von Subscribenten bekommen
kann. Die Zahl der Concerte ist auf 20, der Preis der
Subscription auf 10 Thaler Courant festgesetzt. Der An-
fang dieses Concerts, wenn es zu Stande kommt, ist den
31. October. Nahere Nachricht von der Einrichtung dieses
Concerts ist bey dem Herrn Bach in der Bohmerstrasse etc. 4)
zu haben." Spaterhin kommen ahnliche Ankiindigungen
v<>r? so vom Jahre 1769 noch 2 Concerte am 14. und
21 December5). 7?wobey jedesmal ein geistliches Singstiiek
1) Hamb. Unparth. Corresp. 1768. K 70.
2) Cantate von Job. Chr. Fried rich Bach, dem Biiekeburger,
1786 im Druck erseliienen.
3) Hamb. Unparth. Corresp. 1768. No. 155.
4) Baeh wohnte spater in der Fuhlentwiet im Manardi'schen
Hause.
5) Hamb, Unpaitb. Corresp. 1769, No, 185.
- 97 —
aufgefiihrt werden wird, und er sich auf dem Flftgel wird
horen lassen/*
Diese Concerte scheinen langere Zeit mit Erfolg vor-
gehalten zu haben. Docli gab der alternde Meister sie
spaterhin auf. ?;DIe besten und frequentesten Concert*-
hatte ehemals der grosse Bach und nach ihm Herr M,
Ebeling in der Handlungs-Akademie. Aber diese sind
aufgegeben, indem man es naehtheilig fur das Institut aus-
legte, dass es seine Eleven in feiner Gesellsehaft und mit
guter Musik alle Wochen em paar Stunden untertielt.
Bach giebt sich zur Euhe und fuhrt langst keine llusiken
im Concertsaal mehr auf1).
Welche Schwierigkeiten im Ganzen? abgesehen yon
der yorstehend angedeuteten materiell spiessbttrgerlichen
und kleinkramerischen Ansicht die Ooncert-Aufftihrungen
in Hamburg fanden, sagt dieselbe Correspondenz, indem
sie fortfahrt: ??Dazn kommt, dass im Sommer Alles, was
beau monde heisst, auf den Garten lebt, im Winter aber
der GIubs? Assemble^ Lotterien, Pickenicks, Balk und
Sebmausereien so yiele und festgesetzte sind? dass ein
Concert nur mit unsaglicher Muhe einige freie Stunden
ausfindig macht, wo es sich einschleichen kann. Am
Sonntag dtirfen keine sein, das ist wider die Orthtfdoxie.
Drei? vierTage sind Posttage, wo kein Kaufmann? Commis
oder Handlungsbedienter jemals Zeit hat, an Concerte zu
denken. Die tibrigen Tage sind Coniodien; also bleibt
nur der Bonnabend, wo Alles sich von grossen Schmause-
reien, Spielverlusten und Gesehaften erholt.^
Bei solchen ausseren Schwierigkeiten mag es ihm wohl
miter der sich mehr und mehr geltend machenden Last der
Jahre tiicht auf die Dauer behagt haben, fur die ktinstlerische
Unterhaltung des Hamburger Publikums weiter ^u sorgen.
In seinen hauslichen Verhaltnissen scheint Zufrie-
denheit und Ordnung geherrscht zu haben. Sein Haus
i) Magazin fur Mosik. Jahrg. II. 1784 & a
Bitter, Bmannel HM &m£&emxa& Baefa. U. 7 »*'t
war gastfrei und angenehm. Es sind hieruber Zeugnisse
der unzweideutigsten Art vorhanden. Zuerst das von
Burney, in dem Bach's Compositionon ??ein so heftiges
Verlangen erzeugt faatten, ilni zu sehen und zu
horen," dass es keiner anderen musikalischen Versuchnng
bedurft habe, ihn nach Hamburg zu locken1). Bach
empfing ihn ,?sehr gutig," fiihrte ihn in alien Kirchen
umher, spielte ihm die Orgel vor, liess sich vor ihm &<
dem Clavier und dem Fliigel horen7 und lud ihn zu sich
in sein Haus ein2). 77Sein spasshafter Ton emfefernte
gleich alien Zwang; ohne ihm die ^h$£p^, a»uxd
Ehrerbietung zu benehmen^ die iii^a s^me f"V^^^§
schon in der Entfernung eingeftosst hatten."
?7Als ich nach seinem Hause kam? fand ich ihn mit drey
oder vier wohlerzogenen und verniinftigen Personen von
seinen Freunden (diase waren Doctor Dnzer und dessen
Frau? beide durch mehrfache Schriften bekannt; und der
Bruder der Letzteren, ein Herr Ziegler)? ausser seiner
Familie7 die aus Madame Bach, seinem Sohn; dem Licen-
tiaten, und seiner Tochter bestand. Den Augenblick? den
ich in7s Haus trat; fuhrte er mich die Treppe hinauf in
ein schemes grosses Musikziinmer , welches mit mehr als
hundert und fanfzig Bildnissen von grossen Tonkunstlern?
theils gemalt, theils in Kupfer gestochen, ausgeziert war.
Ich fand darunter yiele ?nglander? und unter andern auch
ein Paar Original -Gremalde in Oel von seinem Vater und
Qrpssyater. Nactdem ieh solche besehen, war Herr Bach
so verbindlich? sich an sein Silberrnann'sches Clavier
55u setzen, auf welchem er drey oder vier von seinen
besten und schwersten Oompositionen mit Delicatesse? mit
der Precision und mit dem Feuer spielte, wegen welcher
er unter seinen Landsleuten mit Recht so beruhmt ist,
Wenn er in langsamen und pathetischen Satzen eine lange *
Musik. Eeisen, Th. III. S 187
Ibid, S, 212-
— 39 —
Note auszudriieken hat? weiss er mit grosser Kunst einen
beweglichen Ton des Schmerzes und der Klagen aus sei-
nern Instrumente zn ziehen, der nur auf dem Clavichord
und vielleicht imr ihm moglich. ist; hervorzubringen."
?jNach der Mahlzeit, welclie mit Gesehmack bereitet
und mit heiterein Vergniigen verzehrt wurde, erhielt ich's
von ihm? dass er sich abermals an's Clavier setzte; und er
spiel te? ohne dass er lange dazwischen aufhorte, fast bis
um 11 Uhr des Abends. Wahrend dieser Zeit geiieth er
dergestalt in Feuer und wahre Begeisterung? dass er nicbt
nur spielte? sondern auch die Miene einen ausser sich Ent-
zuckten bekam. Seine Augen stunden unbeweglich, seine
Unterlippe senkte sich nieder und seine Seele schien sich
um ihren Gefahrten nicht weiter zu bekummern? als nur,
so weit er ihr zur Befriedigung ihrer Leidenschaft behulf-
lich war. Er sagte hernach, wenn er auf diese Weise
ofter in Arbeit gesetzt wiirde, so wiirde er wieder jung
werden. Er ist jetzt 59 Jahr alt? ist eher kurz als lang?
hat schwarze Haare und Augen, eine briiunliehe Gesichts-
farbe? eine sehr beseelte Miene? und i^t dabei munter und
von lebhaftem G-emuth."
Diese schone und ausfuhrEehe Erziihlung seiner Auf-
nahme im Hause Bach's hat Burney offenbar unter dem
befriedigenden Eindruck geschrieben? welchen eine herzliche
und oflfne Gastlichkeit bietet Sie hat den Werth, uns
Baeh in seiner Hausliehkeit und in seiner innersten fiir
<tie Kunst und ihre Sprache gliihenden Charakteristik zu
2seigen; indem sie zugleich den Menschen und dessen Um-
gebung mit einigen festen Ziigen klar erkennbar auf-
zeichnet.
Der zweite Zeuge, der sich uber Em, Bach?s persdn-
liche Liebenswiirdigkeit ausgesprochen hat, iat J. Fr.
Reichardt, der? wie er in* Juai 1774 von Hamburg aus
schreibt1), 7?Iange sehon vor Begierde gelwannt hatte
Briefe eiaes atjfeerks. Eefeeadea, Thu H. & 1
~~ loo —
gross en Bach ganz kennen zu lernen". Er erzahlt, dass
Ihn Bach ?7mit der allerfreundlichsten Aufnahme beehrl
und es nicht habe dabei bewenden lassen, so oft er komme
ihm mit unermudeter Gefalligkeit alle Arten von Sachec
seiner Arbeit (drei? vier und auch rnehr Sonaten aus ver-
schiedenen Zeiten seines Alters) vorzuspielen, sondern dass
er ihm auch helfe, seinen Aufenthalt in Hamburg so an-
genehm als moglich zu inachen, und dieses durch die beste
Aufaahme in seinem Hause und durch die angenehrnsten
Spazierwege nach den schonsten Stellen der Stadt," Auch
bestatigt Reichardt? dass beim Phantasiren seine ganze
Seele in Arbeit sei? welches die yollige Ruhe und — fasi
sollte man sagen? Leblosigkeit des Korpers anzeige.
??Denn die Stellung und Geberde, die er anninimt? indem
er anfangt? behalt er bei stundenlangera Phantasiren unbe-
weglich bei."
Beiden Besuchern schenkte Bach Composiiic^iren von
seiner Hand, und an Burney noch dazu seliene alte Muslk-
werke *).
Er war als Mensch? wie Reichardt spater von ihm
schrieb2), ??ein heiterer; witziger Geselle; seine Lieblings-
art von Witz; die aus Wortspielen bestand? welche Les-
s ing so treffend Kizrnberger nannte? erklart manche Sonder-
l) Isdm Ba<^t,^ E^i€feardt,eia lixe«iDpiar seiner Cramer'-
^e^ebrNb er die Worte der Zueignnng,
, ia "der ito eigeuen hnmoristischen Weise
Fofgemcler Art:
*) Musik, Almanach. 1796,
— 101 —
barkeit und manehen geschmackwidrigen Zug in semen
Werken." Auch andere Zeitgenossen bezeugen von ihm,
ohne die beissenden Zusiitze, welche dem Enthusiasmus
Reichar tit's voin Jahre 1774 wenig entsprechen? class er
«7im Umgange ein aiifgeweckter muntrer Mann voll Witss
und Laune. heiter und frohlich in der Gesellschaft seiner
Frexmde gewesen sei1)."
;,Er war aucli ausser seiner Kunst ein sehr unter-
richteter und gebildeter, dabei durchaus ehrenhafter und
im Handeln consequenter Mann. Er war Klopstoek'^
Freund — sein Hausfreund, find Klopstock war eigent-
lich kein Musikliebhaber2)."
Musste schon diese iiberemstimmende Schilderung eines
liebenswiirdigen, heiteren, in sich abgestimmten Charakters8)
dazu beitragen? den Vorwurf der Gewinnsiichtigkeit,
den Reichardt 22 Jahre nach seinem Besuche bei Bach
und 2 Jahre nach dessen Tode gegen ihn veroffentlicht
hat, abzuschwachen : so muss noch dazu bemerkt werden,
dass Bach? dem sein Vater keine Schatze hatte hinterlassen
1) Musik. Real-Zeitung (Speyer) v. 1789. S. 3.
2) Dialogen fiber Muslk von Rocblitz, Allg. Leipz. Musik-Ztg.
Jahrg. 25. S. 90.
3) Von dem liebenswih'digen Tnteresse, das Bach noch als 72jabri-
ger Greis fiir Freunde und Bekannte bewahrte, g-iebt der Brief an
nMonsieur de (Irotthus, Seigneur de Gieddutz, Mietau par Me'mel,**
vom 4 Septeuiber 1786 Zeugniss, den No hi hi seinen Kiinstlerbriefen
S, 71 veioifentlieht und den wir hier folgen lassen: ,,Aller Bester
unter den Besten, Theuerster Gunner, Ach, wie lange haben Sie uns
an einem langsanien i'euer braten JfHsen! leb rechnete wegen Naeh-
richten anf Hm. v. Lieber «nd den Hrn. v. Miiller. aber vergebens.
Die Freude, die wir durch die Nachricht von Ibnen selbst erhielteo,
war iinbeschreibbar. Genug, wir alle beten, und Gott wird Sie ge-
wiss gesund machen. Bey uns 1st es noch immer so, wie es war;
ein bisgen krank, dann wieder gesund. Von dem fernern Befinden
von Ihnen, der gsadigen Frau, dem jungen Herrn Baron erwarten
wir alle Tage die besten Hachrichten, Vermelden Sie unsere Devotion,
besonders lebe und sterhe ich ganz der Ihrige Baoh."
In weJchem Verhaltniss Bach zu diesem Hrn. r. Grotthns ge-
stan*len, ist nicht bekannt Sein Name findet sieh 1784 enter «leB
Abonnenten des IClopstoek'schen Morgan -
— 102 —
konfien, der ein, wie es seheint behagliches aber aueh
eben so geordnetes und massiges Leben gefuhrt hat, nach
allem was man von ihm weiss, mit daranf angewiesen
war, von dem Ertrage seiner Arbeit und dem Einkommen
vom Unterricht seine Familie zu ernahren und zwei Sohnen
eine sorgfaltige Erziehung zu Theil werden zu lassen.
Wohl mag es da fur ihn geboten gewesen sein, das Seinige,
zumal bei dem sehr massigen festen Einkommen das er
bezog, zu Rathe zu halten.
Was bei Eeichardt den sehr bernerkbaren Umschlag
in seinen Ansichten aber Em. Bach herbeigefiihrt haben
mag, ist schwer zu sagen. Das Einzige, dessen seiner Zeit
mit bedauerndem Missfallen Erwahnung geschehen musste,
war das 5ffentliche Ausgebot der Kupferplatten liber die
Kunst der Fuge zum Verkauf urn jeden Preis.
Bass Bach bei aller Ordnung und guter ^ti^erafi^l^P
seine Mittel sehr ztisammenhalten musstef, ^argiebt sein Brief
to Fork el vom 20. Juni 1777 (Anhang II.). Dieser
Ordiaitng und yernttnftigen Sparsamkeit, die freillch genialen
Naturen nicht immer eigen ist, mag es wo hi auch zuzu-
schreiben gewesen sein? wenn Kirnberger am 27. Aug. 1774
ihm ohne Anfrage und Erlaubniss eine Odensammlung
dediciren wollte, ,,weil es Ihn kein Geld kostet".
(Siehe weiter unten.)
Reichardt erzahlt ebendort auch1): ??Mit den meisten
en Ktnstldni hatte er es gemein, dass er ungerecht
seine N0>eiiiiHstIer war. Dies ging so weit, dass
er Meaner wie Gluck, Haydn, Schulz u, a. fur Kunstler
VOH geringer Bedeutung hielt."
Auch liber diesen erst nach Bach's Tode gegen ifa^
eAobenen Vorwurf lasst sich nicht rechten. So lange Bact
in Berlin war, findet man, obschon der Streit zwischen den
dortigen Theoretikern, insbesondere Marpurg tmd Kirn-
berger, eine Zeit lang auf hochster Spitze stand, nirgends
Mus. Alman. v.
— 103 —
Spur yon DLsharraoiue zwischen ihm und seinen Kunst-
genossen ; iin Gegentheil bezeugen die zanlreiehen Sammel-
Werke jener und spaterer Zeit, an welchen er mlt ihnen
geineinschaftlich arbeltete? dass er mlt alien in dem besten
Vernehrnen geblieben war. Von Mar pur g und dem scmst
sclrvver uraganglichen Kirnberger lasst sicli dies bestimmt
nachweisen1): Ob er fiber G luck und Sehulz, die fuglich
nicht neben einander genannt werden konnen, geringer
dachte, als dies ihrern Verdienst nach h&tte der Fall sein
sollen, dariiber ist Authentisehes nicht bekannt. Fur ihn
lag der Zweck der Musik hauptsachlich ??in der Aus-
breitung der Religion und in der Beforderung und
Erbauung unsterblicher Seelen." Moglich ware e«
daher wohl gewesen, dass er Gluek? der ja Opern-Com-
ponist war? eben deshalb nur als einen Tonsetzer zweiten
Ranges beurtheilt hatte. Doch fCihrte ihn seine eigne Rich-
tung von dessen erhabenen Balmen so weit ab? dass man
!) Dies wird imter Anderein auch der folgende Brief bezeugen,
dessen Original sicfa in der Decker'schen Verlagshandlung befindet:
,,Verehrtester Freund. Endlieh bequemt sich der Herr Breitkopf
ohne viel Erinnerung die Oden zu drucken; ich verniuthe, dass, wenn
es znsainmen fertig sein wird, sicfa die Schrift mit den latainiscben
Lettern gut ausnebmen; es ist docht zu vermntlieD, dass 211 dieser
Michaelis-Messe es zur Heransgabe fertig seyn wird. Heute vonnittag
noch oder langstens bis 2 Uhr nach Tisch werde ich die Korektnr zur
Absenduog nach Leipzig Ihnen korigirt iiberschicken. Eine Frage
babe ieh zu thnn, ob ich zum Titelblatte eine Zeil Noten statt einer
Vignette noch beifiigen darf, da ohne dem leerer Eaum genug wegen
des kiirzen Titels iibrig ist; diese Noten sind eine Anspielung iiber
deln Hahmen Bach, wtjil ich ein Exemplar gleichsam als Dedication
an den Hamburger Hr. Bach iibersehieken will Ohne Aufrage wi
Seise Erlaubmiss weiss icfa, dass ieh es thun darf, weil es Ibn hota
Geld kostet
Mein lieber Herr Kunz, ich bitte Sie reeht sehr Ms diesen kom-
nienden ersten September mir 5 Rthlr. vdrzaeehiessen, auf den er-
wahnten L kiinHiges Monaths vorniittag noeh is^rde ich Ihne® die
5 Ethlr. mit dem verbindlichsten Bank wieder iib«rsenden.
meine groase Empfehlung bitte ieh an Herrn Deckem
t
den 27, August 1774
— 104 —
glauben mochte, hier habe eifersiichtige Verkleinerungs-
sucht auf seiner Seite keine Statte finden konnen.
Was Schulz betrifft, so weiss rnan; dass Bach sich
in seiner Jugend fur ihn interessirt und ihn aufgemuntert
hatte, die Griindlichkeit des Satzes und der Harraonie niit
der Gefalligkeit der Melodie zu verbinden. Auch findet
man seinen Nainen unter den Pranumeranten zu Schulz1^
religiosen Liedem, ?7eine Ehre; die der grosse Mann wanr-
scheinlicli keinem zweiten Tonsetzer mehr erwiesen hat1)."
Schulz selbst erzahlt2): 77Ich ward nun dreist genug, in
meinem 14. Jahre (1763) heinilich an Bach nach Berlin zu
schreiben, und ihn urn die Aftwendung und Ausnahmen ge-
wisser musikalischer Lehrsatze zu befragen} woniber ich
von Schmiigel (seinem damaligen Lehrer) nach meiner
Meinung keine befriedigende Auskunft erhalten hatte. Die
herablassende, giitige und precise Auskunft dieses gros®fe$$
Mannes bracbte mich vor Freuden ausser mir" etc. Ferner
sag* Schnlz: ??Da ich bei Graun (1765) keinen Unter-
richt haben konnte; ging ich nicht wieder zu ihm, sondern
bearbeitete ein fugirtes Trio ffir 2 Violinen und Bass? und
ging damit grade zu Bach. Dieser grosse Mann gab sich
die Miihe? die Partitur mit Aufinerksamkeit durchzusehen
und mich dabei genau zu examiniren. Die Folge day on
war, dass ich auf seine Einpfehlung in Kirnberger's
Unterricht kam."
, Schulz hat seine Selbst-Biographie in spateren Jahren
a^fgesetet. Kliogt dies BUB wohl danach? als ob Bach,
dler inzwischen langst verstorben war? gegen ihn unfreund-
liche Gesinnungen gehegt oder gezeigt habe? Dass Schulz
nicht uberall so hoch geschatzt wurde; als er es verdient
hat, war in jedem Falle nieht die Schuld Em. Bach's.
Sein Verhaltniss zu J. Haydn ist dagegen vollig klar.
Ebenso unbegrtindet, wie der ihm in dieser Beziehung ge-
i Allg. Leipa. Mug.-Z. Jafar^. 28. Sf 279. a).
v. Le debar, Berliner Tonkiinstler-Lexicon. S. 229, 30,
— 105 —
maehte Vorwurf, mag auch die Behauptung der Ungereeh-
tigkeit gegen andere Tonsetzer gewesen sein.
Der 2. Jahrgang des Magazins fiir Musik (1784 S. 588)
hatte namlich au« dem zu London ersehienonen European
Magazine die Uebersetzung eines Artikels tiber Haydn
gebracht, in welcheni folgende Stelle vorkani: 77Unter der
Zahl von Kunstlern, die gegen unsern sich erhebenden
Verfasser ( J. fl ay d n) sehrieben, befand sich C.Ph. E m. Ba cli
in Hamburg (ehedeni in Berlin); allein die einzige Ahn-
dung> die sich Haydn gegen dessen Hohnneckerelen er-
laubte? war die: iiaubikalische Lectionen bekannt zu
machen zur Naehabmung der verschiedencn 8cbreibarten
seiner Feinde? in denen er ibre tionderbarkeiten so gen an
copirte? und ibre fremden Passagen? besonders des Ham-
burgLsehen Bach\s seine, durcli Nachaffung burleskirte,
dass sie alle da^ stechende seiner "Witze^ iuhlten, der Wabr-
heit die Ebre gaben und zum Stillsehweigen gebraebt
wurden. Diese Anekdjote wird Au&cliliiBs iiber eiue Anzahl
seltsaioer Passagen geben, welcbe hie und da durcb ver-
schiedene Sonaten verstreut sind. Unter anderen befinden
sicE solehe in der 6. Senate fur Pianoforte oder Flugel,
Op. 13 u. 147 die ausdriicklieli eomponirt sind? uni den Ham-
burger Bach lacherlich zu machen. Niemand kann den
2, Theil der 2. Sonate in Op. 13 durchspielen? nocb die ganze
3. Sonate in demselben Werk, und dabei glauben, Hajdn
babe im Ernst aus eigneia natiirlichem Genie so geschrieben,
seine keuschen und originalen Gedanken so dem Papier
anvertraut. Vielmehr: Bacli's Styl ist darin naehcopirt.
Diese Passagen, in denen jene grillenbafte Manier, tolle
Sprlinge? narrische Modulationen und sebr ottmals kindische
Wendungen7 verbunden mit Affectation einer tiefen Wisaen-
sehaft7 «ehr fein durchgebecbelt sind, mii&sten denn eitwa
gar aus ibm gestolilen sein."
Man siebt? der Angriff war pltimp genug. Bs wiircfe
eben nicbt sebr zu Haydn's Ehre gereioht hab€ai?
er auf diese Weise dea Mann Mtta
— 106 —
dem er iiberall laut und offen erklart hatte? alles gel era t
zu haben was er wisse1). Inzwischen war Haydn ein
harmloser, wohlwollender , alien Intriguen und Personlich-
keiten fernstehender Mann, ,,der nie andre Tonkiinst-
ler tadelte*'2). ??]S[ieinand war geneigter als er? fremden
Verdiensten Gerechtigkeit wiederfahren zu lassen3). In sei-
nen Tonstiicken zeigte sicli oft Laune und Schalkheit?
immer afeer in ein em " liebenswfirdigen Gewande. Seine
Allegros iind Rondos; in denen er oft neckende imd frap-
pirende Motive vorbrachte? waren veil von jenem feineri
Humor, den Em. Bach der Musik zuganglich gemacht
hatte. Oft genug giebt sleh in diesen die JSchnle und das
Stndium des alten Meisters zu erkennen. Bo mag es mit
den Sonaten gewesen sein, durch die er diesen lacherlieli
za machen die Absicht gehabt haben soil.
Bach aber war seinerseits nicht entfernt der Man&?
der in offentKohen Blattern die Eolle eines kritischen Be-
nrfkeikrs spieite. Hahmisches Wesea lag seinem Charakter
fem. HEtte er zur Kritik auch Lust und Neigung
so wtirde es ihm vrohl an Zeit dazu gefehlt liabec.
war er? obgleich der Feder gewachsen und ein
Mann von feingebildetem Qeiste, doch nicht eigentlich in
den literarischen Fornien bewandert. Nur eimnal, aus dem
letzten Jahre seines Lebens, findet sich eine Kritik vor, die
offenbar freandschaftlieiienZwecken zu dienen bestimmt war.
ti lichen Arbeiten Lust in sich verspiirt, wohl
semer 2Jeit Bef lia der reeiite Ort dafar gewesen^ und
4i8 Felgen wiirden 4ann auch nicht ausgeblieben sein.
Dass Bach grade liber Haydn anders dashte, hat er
mit Eticksicht auf den mitgetheilten pamphletartigen Ai*-
tikel authentisch erklart*):
?JHamburg. In der neulichen Anzeige des Cramer5-
!} Griesinger, Biogr. Notizen ubcr Haydn. S. 10$.
2) Dies, desgL S. 210.
3) Griesinger, a. a. 0. S. 103.
4) Hamb. Unparth. Corr@sp. 1786. Ho. 150.
— 107 —
schen Magazine der Musik erw£hnten wir eines Sudlers?
der in das zu London herausgekommene European Maga-
zine ein Denkmal seiner Ignoranz nnd Bosheit, betreffend
Bach und Haydn, hat einriicken lassen. Hier folgt die
eigene Brklarung unseres wiirdigen Herrn Kapellmeisters
selbst daruber.
?7Meine Denkungsart und Gesehiifte haben mir
nie erlaubtj wider jemanden zu schreiben: um so viel
raehr erstaune ich fiber eine kurzlieh in England in
The European Magazine eingertickte Stelle, worin ich
auf eine lUgenhafte, grobe und schmaheiide Art be-
schuldigt werde, wider den braven Herrn Haydn ge-
schrieben zu haben. Nach meinen Naehricliten von
Wien? und selbst von Personen aus der Esterhazi-
schen KapeUe, welche zu mir gekonimen sind, muss
ich glauben; dass die&er wurdige Mami; dessen Arbeiten
mir noch immer sehr viel Vergniigen niachen? eben
so gewiss mem Freund sei; wie ich der seinige. Nach
ineineni Grundsatze hat jeder Meister seinen wahren
bestimmten Werth. Lob und Tadel konnen hierin
nichis iindern. Bios das Werk lobt und tadelt am
besten den Meister, und ich lasae daher jederman in
seinem Werth.
Hamburgj den 14. Sept. 1783.
(J. Ph. E. Bach."
Wenn hier der 71jjihrige Greis unter Zuriickweisung
jener Anschuldigungen mit Bestimmtheit ausspricht, ??dass
der brave Haydn, dieser wurdige Mann, wie er
glaube? ebensowohl sein Freund sei? wie er der seinige,"
so wird m wohl auch mit der allgerueinen Anschuldigung
Reichardt's nicht viel mehr aufsich gehabt haben, selbst
wenn Bach7 was ihm jeclenfalls zustand, eine.s oder das
andere Tonstlick seiner Zoitgenossen weniger gtostig b©-
urtheilt haben sollte., als man es verlangt oder erwaft^t
hatte. Es findet sidh airgends eibe Spur davon, dass er
mit irgend einem sein€r Zei%ep^peii IB Streit
t- 168 —
sei odor in Unfrieden und Feindschaft gelebt babe. Wohl
aber weiss man, dass er zu vielen derselben in den freund-
schaftlichsten Beziehimgen gestanden hat. Wie herzlich
sein Verhaltniss zu deni 35 Jahre jiingeren Fork el war
(von Faschj Marpurg, Kirnberger, Klopstock u. A.
zn schweigen)? ergiebt sich aus der niit ihra gefiihrten
Correspondenz zur Geniige. Hier haben offenbar nur auf-
richtige Gegenseitigkeit und Freundschaft, nicht Eigennutz
die Feder gefuhrt.
Ueber die Art, wie er iiber den ihm deni aussereu
Lebensgange nach feriustehenden Handel geurtheilt habe?
findet sich nirgend^ die leiseste Andeutung. Kann dies
als ein Zeichen von CTeringrfchatzung betrachtet werden?
Mit Hasse stand er in freundschaftlichein Briefwechsel.
Er konnte nnter Umstanden iiber die Arbeiten\ seiner Zeit-
genossen allerdings ein bestimmtes Crtheil haben? wie der
nachfolgende Brief an Decker beweist1):
?'?Hochedelgeborner? flochgeehrtester Herr; fur Dero
sehr angenehmes Prasent danke ich Ihnen ganz ergebenst
und ich werde mir ein besonderes Vergniigen daraus
machen? dieses respectable imd vortreffliche Werk? so viel
wie moglich; zu recommandiren. Hatteu Ew. Hochedelgeb.
gleich anfangs mich wegen dieser Sarnmlung nm Rath
gefragt, so wiirde ich es Ihnen widerrathen haben. Er>
mt ein Werk fiir Eenner und Lehrbegierige; diese haben
20 Tbh. an ein W^k 201 wenden. Die Noten-
ab^B sicfe bis bierher bejnahe krumin und labin
aaa diesen Saehen geschrieben. Es ist ein Werk
des Greschmackes ; wie oft verandert sich dieser in der
Mnsik? wie verderbt ist er nicht schon jetzt! Alles muss
narrkch and koiniseh seyn. Graun und Hasse sind
nicht mehr mode, so spricht der Unverstand um Sie, da
die Worte italienisch? *so kann answarts etwas debitirt
werden. Auch hier ist nichts zu thuii. Icli beharre mit
l) Orig. im Archive der Deeker'sehen VerlagshandJung.
— 109 —
den besten Wiinschen und vollkommener Hochachtung
Ew. Hochedelgeb. ergebenster Diener Bach/'
Hamburg, den 29. Nov. 1774
So darf bis auf weiteren Nachweis wohl angenom-
men werden, dass jene ungiinstigen Charakterztige, die
Reichardt iiber den von Ihni einst so iiochverehrten
Todten drucken liess. ihm in Wahrheit nicht eigen ge-
wesen waren.
Alles, was sonst von ihm bekannt geworden, vereinigt
sieh, Emanuel Bach als eine durchaus ehrenwerthe,
liebenswiirdige, heitere, der Kunst ergebene und der
Freundschaft ofFene Natur darzustellen.
Nur einmal ist er mit einer kritischen Besprechung
von Arbeiten seiner Zeitgenossen vor die Oeffentliehkeit
getreten. Es war dies im Jahre 1788? seineni letzten
Lebensjahre, bei Gelegenheit des Erseheinens des ersten
Bandes von Forkel's Allgemeiner Geschichte der
Musik (bei Schwickert in Leipzig). Porkel? obwohl
bedeutend j anger , war mit ihni? sowie mit seineni Bruder
Friedemann auf das innigste befreundet? ein tiefer und
aufrichtiger Verehrer Sebastian Bach's, und ein Mann?
dem Einanuel in Bezug auf den Vertrieb seiner Werke
vielen Dank schuldete. Dies niag den greisen Kiinstler
bewogen haben, mit der vor Alter zitternden Hand zur
Feder zti greifen und das Werk seines Freundes mit
einigen warm enipfehlenden Worten«in die Oeifentlichkeit
einzuftihren.
^Endlich erscheint hier der erste Theil der von alien Freuaden
der Tonkunst so sebr erwarteten GescMchte der Musik des Heirft
Doctor Fork el, der mit so viel Einsiebt, Fleiss uud Belesenheit aas-
gearbeitet ist, dass nicht nur jeder Mnsikliebhaber, sondern auch
feder Freund von Aufklanrag in dfen menschlichen Kenntnissen dieses*
"Werk mit dem grossten Yergniigen lesen, und die FortsetztiBg mit
Ungedold erwarten wird, Es ist in diesem ersten Theile die ®e-
schichte der Staik bei den Egyptiern, Hebriiera, Griechen nnd K§-
mern abgehand^It Elue vorhergehende Einleitung enthalt amf $8
) Hamb. Unpaid. Obtr. 1788. H& 6 voui 9, Januar.
dime fcurze Hetaphysik der Itonkunst, wodureh der Herr Doctor
Fork el seine Lescr erst mit der inneren Natur und mit der all-
mahligen Erweiterung seiner Kunst bekannt macben will, ehe er sie
zur Geschichte deiselben bei veiscbiedenen Volkern ffihrt. Die Bil-
dung und Zusammensetzung der musikalischen Ausdriicke 1st darinn
mit der Bildung1 nud Zusarnmensetzung der Sprachausdrucke ver-
glichen. Man hat die Musik schon lange eine Spraehe der Empfin-
dung genannt, folglich die in der Zusammensetzung ihrer tmd der Zu-
sammensetzung der Sprachausdrucke liegende Aehnlichkeit dunkel
gefuhlt^ aber noeh niemand hat sie, so viel Kecensent bewusst ist, so
deutlich entwiekelt und fiir die Theorie der Kunst naclt ibrem ganzen
Umfange so wichtige Folgen daraus hergeleitet, als der Herr Ver-
fasaer in dieser Einleltung tlint Unter mehrern mag nrfr der eimzige
ans dieser Yergleiehung entspringende Beweis von der Nothwendig-
keit der Harmonie angefiibrt werden, die selbst von unsern besten
Aesthetikern so oft bezweifelt und sogar bestritten wurde, und die
sicli nach der hier gegebenen Erklarnng 1) anf die Vermehmng,
2) auf die genauere Bestimmtiieit der mnsikaJischen Aus&ritcke griin-
det, folglich in einer Musik, die als eine wirklieh aneinanctet j]
Spraehe zu unsern Empfindungen reden soli, unentbelbrllch
weitem nicht die gothische itnd barbariscfle Erfedung^r
isct, for weleh« sie YOB Fh^oso§)fa}en Qfene Kunstkenntniss,
a3>er von ^toi bewhnaten J. J. Rousseau so 3aut er-
klirt worden isi $ocli manche ganz neue Gesichtspunkte, zu deren
aber dc^r Rate hier mangelt, werden sachkundige Leser
selW i>emerkeii, und sich dadureh diese Einleitung, der eigent-
Ilclien Absicht des Yerfassers gemass: zu einem "Wegweiser machen
konnen, die Stufe» der Yollkoinmenheit, worauf nach der folgenden
Geschichtserzahlung die Musik bei verschiedenen Yolkern des Alter-
thums gestanden hat, wenigstens so richtig und sicher, als bei solchen
QegeifitiWen moglich ist, daxnach zu bestininien. Der iibrige Inh^it
fieses Werkes ist zu reichhaltig; urn hier ganz angezeigt werden zu
Es wird daher genug sein, nur noch einige Endurtheile an-
hilt <fer Herr Doctor Fork el die Musik alte dec
lefeeii in jfe®ejn Baat^e gei^edet wird, selbst die der
gaaz aB^en©w»^n, naehr fiir Yolkssache und fiir sahr
dSrflagen Ausdriek der IB den reeitirten oder gesangenen Gediehten
Empfindungen, als fur eigeniJiche Kunst nach unsern Be-
Ohce Harmonie, die kemeai alten Yolke bekaunt war, koimte
sie uMQoglich aus eigenen Kraften wirken, sondern mu^tte sjbeh eben
aus Mangel eigener zusammenhangender Aiisdrucke am Po^gfie,
Tanz u. a. w, so fest anschmiegen, dass sie uns i&st stets nw: in
dieser Gesellschafi; erscheint Die so haufig geriihmten Wirkungen
der alten Musik liegen daher auf keine Weise in der innern Be-
schaffenheit derselben, sondern sind nach aller verniinftigen Wahr-
— Ill —
enfrweder fur Fabeln zu erklaren, oder der Mitwirknng
der Poesie und anderer Nebenmnstande zuzuschreiben. Die neuere
Musik that nicht nur iihnMche Wirkungen ganz aus eigenen Kraften,
sondern wiirde ihrer unlaugbaren gr&ssern Yollkoinmenheit wegen
noch weit wzcbtigere tliun konne®, wenn es den neuern Gesetzgefoern
gefallen hatte, die offentliche Anwendung derselben einer weisen Auf-
sicbt zu unterwerfen und dadurch ihren Einfiuss nicht bloss auf leere
Ergotzlicbkeit, sondern anf die Bildtmg des sittlichen Charakters ibrer
Usterth^Ben zu leiteu. Bloss dieser Vernadblassigring ist es zuzu-
sclireiben, dass sie in den neuern Zeitei, ibrer Vollkommenlieit un-
geacntet, doch ihre wohlthatigen Wirkuiigen nicbt allgemein rer-
breiten kann, sondera sicli begniigen mass, nur das Gliick imd Ver-
einzelner Menschen zn )>ef8rdern. Die Beweise dieser mud
Meinungen miissen sicb die Leser ira Werke selbst aif-
suchen, wo sie an ihren Orten ausfiibrlich angezeigt sind.
Carl Philipp Emanuel Bach".
Segen kritische Aeusserungen scheint Bacb
lich gewe&en zn selu. Es fehlt nicht an
dass? so hoch die Beurtheilung der Zeitgenossen ilm m
Allgeiiieiuan erlnob; er doch auch scharfem Tadel uuter-
zogen wiirde. Was Ihm vorgeworfen wurde, ist znmeist
in dem mitgetheilten Anfsatze aus dein European Magazine
zusammengeleseix Von Burney erfahi^t man? dass seine
Klavierstiicke zu lang? ron Reichardt? dass sie zu sehwer
gef unden wurden, Vorwiirfe? die Bach jetziger Auffassung
nieht rnefar gerechtfertigt ersscheinen.
Er selbst benutzt die Gelegenhelt ztir Abfassung seiner
biographischen Lebensskizze zu folgenden Bemerkimgen :
?,Bey dieser Gelegenheit muss ich anfiilaren, dass die Herrn
Kritiker, wenn sie auch ohne Passionen, wie es doch selten
gescliiehtj schreiben, sehr oft rait den Kompositionen? welche
sie recensiren? zu unbarmherzig umgehen? weil sie die
Umstiade? Vorsehriften und Veranlassungen der Stildbe
nicht kennen. Wie gar selten trifft man- bey einem Kritiker
Efcpfindiiiigj Wissensehaft, Ehrlichkeit und Muth
in gdborigem Grade an. Vier E%enschaften? die in
langlldbem Maasse bei jedem Kritiker schlechterdings
faanden sein mii^sen. Es ist daher sebr traurig* fe
Reich der Musik 7 dass die sonst sehr niitzliche Baitik
~~ 112 —
eine Besehaftigung soldier Kopfe ist, die nicht mit alien
diesen Eigenschaften begabt sind."J)
Das letzte wird man fuglich zugeben kdnnen, ohne
deshalb iiber die schlechte Kritik, die iramer den weit
iiberwiegenden Antheil an der Beurtheilimg aller Kiinste
haben wird, so bedenkliche Ansichten hegen zu diirfen.
Es ist dies em Uebel, das man ebenso init in den Kauf
nehmen muss als das Anhoren schlecliter Mnsik oder das
Reisen durch ode und flache Gegenden. Dagegen muss
doch bemerkt werden, dass der Kritiker auf ,,Umstande,
Vorschriften und Veranlassungen" bei der Beurthei-
kng von Kunstwerken in der That keine Riicksicht m
nehmen hat, und dass Bach, indem er dies verlangte,
jedenfalls im Unrecht gewesen ist. Wie er sahr rtehtig
sagte: Bios das Werk lobt und tad^lt
Meister, so hatte er auch alle Veranlasgti^g«jgel^fef
zusetzen, dass die baste Entik durch Berucksiehtigung
«er Umst^nde, Vor^hriftem tol Veranlassungen ein mittel-
misB^a Krastwerk nicht bet«? die schlechteste Kritik
ein wirklich gutes Werk nicht herabsetzen konne2).
Bach hatte 3 Kinder, eine Tochter und zwei Sohne.
Von diesen war der alteste, Johann August am 30. No-
vember 1745 zu Berlin geboren. Er war Licentiatus juris
i) Zelter sagt itierfiber in
.
durel a^tasnte Elasto lielra: seyc als ibre
wenigstens ihm mete mefir helfen konnte.
So hatte Marpurg Bach's zweistimmlge Fuge aus D-moll
sebarf kritisirt. Barauf sagte Bach zn einein seiner ehemaligen
MSchade, schade! Warum hat Marpurg seine scbone Kritik nicht
eber gemacht, als ieh meine Fuge? Nun weiss ich auch was ihr feblt
Wenn ich lebe, denke ich iK)cb manche Fuge zu machen, doch keine
besser als — ich kann!"
2) Reichardt (Briefe eiaes aufinerksamen Eeisenden Th I
S 117.) flchrelbt, dass an den Bach gemachten Vorwiirfen, an die er
selbst spater freilich herangestreift ist, nichts so vfol Schuld babe
— 113 --
txnd prakticirte zur Zeit als Bnrney in Hamburg war,
dort in der Eigensehaft eines Rechts-Licentiaten1).
Er hatte 1769 im Juni zu Rinteln promovirt2) und 1st
am 24. April 17897 44 Jalire ait; wenige llonate nach
seinem Vater zu Hamburg gestorbeu. Dtr andere, nacli
seinem Grossyater Joliann Sebastian genannt, war im
September des Jahres 1748 geboren, widmete sieh der
Malerkunst und studirte auf den Malerakademien zu Leip-
zig und Dresden ,,aein Haupt-M>tierfc'\ Er war ;,ein
reiner; edler Menscb7 Kiimtler von Gedanken und Talent 3)7"
dem ein friihes Grab bo.-chieden war. Ini Jahre 1777
sahen wir Em. Bach in der Lage; so yiel Geld als ihm
moglich war? zusammenraffen zu inusjjen. Dies besagen
die Briefe an Fork el aus jener Zeit. Ain 20. Juni
scbreibt er: ,7Mein armer Sohn in Eom liegt seit 5 Mo-
naten an einer boclist - schnierzhaften Krankheit dnrnieder
und ist nocli uicht aus aller Gefahr. O Gott? was leidet
mein Herz! Vor 3 Monaten habe ich ilini 50 Ducaten
geschicktj und in 14 Tagen inuss ich wieder 200 Rthlr.
fiir Doctors und Wundarzte auszahlen. Ich kann nioht
mehr schreiben; als zu bitten mit mir Mitleyden zn haben
und mir womdglich beyi5ufstelien." Doch besserte sich das
Befinden des Sohnes und ain 11. August dcdselben Jahres
als ,,die Bosheit und der Neid vieler Musiker, die die Verdienste
dieses grossen Marines eli3#uselien wohl ira Stande seien, die aber,
well sie sich imfahig fiihlten seinen Ruf zu schiaalern, sich bemiihten,
ilin wesigstens in den Augen der Unwissenden berabzusetzen.4'
So Ireflfch dacbte die musikalische Societat zu Giistrau nicht, als
sie am 4. Marz 1783 ein ,,dem Vater der dentschen Muaiker"
an dem vor knrzem neuerbauten Orchester errichtetes Denkinal ein-
weihte, durch dessen Anblick das zu eineni Concert eingeladene
Pablikum nicht wenig iiberrafecht worden sein soil. (Magazin for
Musik. Jahrg. I. 1783. S. 557.)
1) Bnrney, Musik, Eeise. Th. III. S. 203.
2) Dissertatio inauguralis ad jus aggratiandi, Praeside Carelo
Oailielaao WippermaniL Einteln 176$ in quarto. 30 Seiten,
»; Leipz. Allg. HQA. Z. II. B. &m.
Bitter, Emanuel and. Friedemjmn Bacli. EL $
— 114 —
kennte Bach an Professor Oeser in Leipzig iiber ihn Fol-
gendes berichten1):
,,Hamburg, d. 11. Aug. 77.
,,Lieber, liebster Freund und verehrungswiirdiger Hen-
Professor, ist Alles wahr, was man ihnen von meineni ar-
men Hans erzahlt hat Doch gottlob! jetzt (so schreibt
man) ist meist alles Vorbey und er hat an seiner Gresund-
heit nichts verlohren. Ich kann Ihnen unser Wehklagen
nicht genug beschreiben, als wir eine ausfuhrliehe Nach-
richt von seinen Umstanden kriegten. Sie war so, dass
es einen Stein in der Erde erbarmen niusste. Denken
Sie, in 5 Monaten 3 der erschrecklichsten Operationen auf
Tod und Leben. Mein Medicus hier, der seine gute Seele
kannte, weinte wie ein Kind und staunte dariiber, was er
ausgestanden hat. Selbst in Rom sehreibl man seii%
nesungj naclist Grott, lediglieh seiner, eiserue& Naiur,
gesunden Blute und seiner Folgsamkeit bey. Der ehrliche
Riefenstein hat wie ©In Vater an ihm gehandelt. Das
Schlimmste fHr sein Studium sind 5 verlohrne Monate^
und fur meinen Beutel bezahlte 30 Ducaten und fiir diese
verlohrene 5 Monate a part Pension. Ich danke nebst den
Meinigen von Herzen fur das bezeigte Mitleiden. Grott
erhalte Sie nebst den geehrten Ihrigen. Nebst 1000 Com-
plimenten beharre ich auf ewig und von Herzen
der Itrifire s Bach.
°
fe Bfe^@mBg keiae naehhaltige gewesem
zn seiB. Er starb ro folgenden Jahre (1778) zu Rom. Es
existirt von ihm ein in Kupfer gestochnes Portrait aus der
Zeit seiner jugendlichen Studien zu Leipzig. Der Verlust
dies^ talentvollen und vortrefflichen Sohnes, von dem sich
in Em. Bach's Nachlass eine grosse Menge von Zeich-
nungen und Studien vorgefunden haben? die spaler
i) Original in den Handen des Herrn Direct. Knaukiing In
Dresden,
— 115 —
5ffentlichen Verkauf gekoramen sind, war fur den alten
Vater ein ungemein barter Schlag.
Wie sich iia Laufe der Zeit Bach's Verhaltniss zu
seinen 3 Briidern gestaltet habe? dardber giebt es? wie fiber
so vieles in seinem und seiner Briider Leben, wenig positive
Nachriehten. Dass er mit Friedemann auf die Dauer
der Zeit nieht harmoniren konnte, ist klar. Friedemann
hat ihn ofter gesehen. Er war im Jaiire 1747 bei ihm in
Potsdam, als sein Vater dort Friedrich den Grrossen
besuchte, und auch 1750, muthmasslich naeh des Vaters
Tode war er in Berlin und Potsdam bei ilini zuni Besuch !).
Friedemann, der nie einen Schritt von dem strengen
contrapunktischen Wesen der alten Schule abgewichen war,
der in seinen Arbeiten und beim Fantasiren und Fugiren
sich bis zur Ermiidung in seine Problems und Combi-
national vertiefte? pflegte von den Arbeiten Enianuels
nur mit mitleidiger Herablassung zu sprechen. J?Er hat
einige artige Siichelchen gemacht", wie Sebastian
Bach die Dresdener Opern-Musik ,,artige Liederchen"
genannt hatte. Aus spaterer Zeit findet sich keine Spur
eines Zusammenhangs zwischen beiden Briidern raehr vor?
die zusammen erzogen waren, zusammen gelernt hatten,
und deren Wege spaterhin so weit auseinander gin gen.
In einem Punkte nur blieben sie einig. 7?Die Welt weiss?
dass beide grosse Kiinstler waren; aber sie weiss viellcicht
nicht, dass sie von der Kunst ihres Vaters bis an ihr Ende
nie anders als mit Begeisterung und Ehrfurcht sprachcn." 2)
Was den Londoner Bach, Johann Christian, an-
feelriffl, so hatte Emanuel ihn nach dem Tode seines
Vaters zu. sich nach Berlin genommen, dort erzogen und
tmterrichtei Aber auch dessen Weg fiihrte weit ab von
den Bahnen seines Lehrers und Erziehers7 freilich in ©nt-
gegenge$etzter Weise als der Friedemanns. Denn wiihread
Marpurg, L^eadeaa einiger Musikfaeiligen. S. 185,
JForkeL J. Sek Baeh. Vcarefe S. X.
8*
— 116 —
dieser durch eigensinniges Beharren auf einer durch die
uberragende Grosse seines Vaters abgeschlossenen Bahn
in einsam abstossender Versunkenheit nielir und mehr dera
Leben, der Ausiibung und dein Dienste der Kunst ent-
freradet wurde? stieg Johann Christian zu holier Stel-
lung empor, um im ausserlichen Wesen vollig zu ver-
flachen. J?Werde kein Kind!" schrieb ilim Emanuel
nacli London1) und er antwortete: ?;Ich muss staxnmeln,
damit micli die Kinder verstehen." So trennten innere
Verscliiedenheit und aussere Entfernung beide Brtider von
einander.
Ebenso wenig ist von seinem Verhaltniss zu Johann
Ghristoph Fried rich, dein Biickeburger bekannt, der?
3 Jahre alter als der Londoner Bruder, Emanuel
naher geblieben war. Was er von ihm in die
Genealogie geschrieben faatte: ,?hat eine .n
Frau und Kinder? welche musikalisch sind"? ist
diirftig genug. Doch haben wir gresehen? dass er in
einem Concerto zu flamborg (1768) dessen J no-Can-
tate hatte auffuhren lassen. ~Wenn man ferner auf dem
TItelblatte der Partitur von der Auferstehung Jesu
aus Johann Christoph Friedrichs Feder die Worte
liest: ??Von raeinein lleben Bruder zum Geschenk
erhalten"? und beachtet? dass dieser sich auch an dem
Musik. Vielerlei betheiligt hatte, das Emanuel m Ham-
burg herausgegeben Eat? so ist feierdurch das Vorhanden-
seia eiaes kunstlerisch freundschaftlichen wie bruderlichen
Yerkehrs festgestellt, der nicht wie bei den anderen Briidern
unter entgegengesetzten Stromungen des ausserlichen Lebens
nnd der Charaktere zu leiden hatte. Dies wird auch da-
3ureh bestatigt, dass, als Christ. Friedrich Bach etwa
tm Jahre 1774 seinen Solm Wilhelin nach London brachte^
ura ihn dort bei seinem Bruder Christian die Musik,
jtudiren zu lassen, er den Weg iiber Hamburg nahm? wo
Scbubarth. Aesthetik der Tonkunst.
— 117 —
er seinen Bruder Emanuel besuchte imd wo Wilhelm
Bach sich auch in einem Concerte offentlich horen Hess1).
Ein anderer Punkt in dem Leben Einanuelsj der
wenig genug aufgeklart ist, beruht in seiner Eigensehaft
als Lehrer. Dass er durch Unterricht und Erziehung
wie wenige zur Verbreitting der Kenntnisse und Fertig-
keiten seiner Knnst geeignet gewesen sei? wird ah zweifel-
los angenommen warden konnen. Man weiss auch, and
es ist gelegentlich angefuhrt worden, dass er in Frank-
furt a. 0. und Berlin Unterricht in der Musik und auf
dem Clavier gegeben hat. Eine nieht geringe Zahl seiner
Clavier - Compositionen ist auf Onterrichtszwecke basirt
gewesen. Sein grosses theoretisches Werk 7?Der Yersuch
iiber die wahre Art des Clavierspiels", rlas ah eine
Clavierschule achter Art bezeichnet werdcn kann, war dem
Unterricht gewidmet, und bei der Heratisgabe der 4stim-
migen Chorale seines Vaters und der beiden Litaneien bat
er ausdrticklich des Nutzens gedacht, den Lehrbegierige
daraus schopfen mochten.
Aber so viel Schiller er auch gehabt haben naag?
Emanuel Bach hat seine Methode nicht durch eine Schule
in dem Sinne, wie beispielsweise Sebastian Bach Schiller
und Zoglinge gebildet hatte? fortgepflanzt Dazu trag zu-
nachst der Urnsfcand bei? dass seine Hauptz^it in die Um-
bildung der Instrumental- Tec hnik au- den alt en in die
neueren Clavier -Constructlonen fiel. Er selbst hielt ^icb
mit Vorliebe an das Clavichord. Wer bei ihm lernte? war
gewiss im Stande auch die PianoiS und die Fliigel der
neueren Construction mit Auszeichnung 211 spielen. Aber
man wollte die schwierigere Technik, die fur das alte
Clavier den mehrstimmigen Satz moglich und init Voll-
kommenheit ausfiihrbar machte, nicht inehr studiren und
mit dem Abkommen der lilteren Instrumente hbrte sie von
selbst auf.
v. Le debar. Berliner TonkiiBStler-Lexicon. S. 25.
- 118 —
Wohl versichert Schubarth1), dass er eben so gross
ais Lehrer wie als Clavierspieler gewesen seL ?,Niemand
versteht die Kunst Meister zu bilden besser als Er. Sein
grosser Geist hat erne eigne Schule gebildet, die Bach is che,
Wer aus dieser Schule 1st, wird in ganz Europa mit Ver-
gniigen aufgenommen."
Aber Namen von einiger Bedeutung hat er nicht ge-
nannt. Auch war es ja eben nicht seine, sondern die
Schule seines VaterS) die er fortfuhrte und der seine
Unterrichtswerke gewidmet waren.
Dazu kam7 dass sein Clavierspiel selbst ein; wenn
man es so nennen kann, vorzugsweise personliches war.
Burney hat dasselbe geschildert (v.S.98). Keichardt2)
sagt von ihm: 7,Hr. B. spielt Dir nicht nur ein recht lang-
sames, sangbares Adagio mit dem allerrthren^gtem r Mw-
drucke, zur Beschamung vieler InstrumentalBten? die arff
ihrem Instruiaente mit weit weni^er Mtihe den Singstimmen
nahe kommen konnten; er halt Dir auch in diesem lang-
samen Satze eine sechsachtellange Note mit alien ver- '
schiedenen Graden der Starke und Schwache aus und das
sowohl im Bass als Discant. Dieses ist aber auch wobl
nur auf seinem sehr schonen Silbermannischen Clavier
moglich? fiir welches er sich auch besonders einige3) So-
naten geschrieben, in welchen das lange Aushalten eines
* Tones nur vorkommt4). Ebenso ist es mit der ausser-
1) AesiMk ^«ar TonfeiBst. S. 177.
2) Briefe dues aufinerksamen Relsesden. Th. IL S. 16, 17.
3) Boeh schatzte er die Fried ericisehen Clavichorde, deren auch
Eeichardt Erwahnimg thut, sehr, hoch. (Siehe den Brief vom
10. November 1773 an Fork el, Anhang I).
In seinem Naehlasse fanden sich 4 Clavier- Jnstrumente vor, dar-
anfer zwei von Friederici, ein grosser Fiiigel und ein Piano von
Jang, Bes SI1 berm a nn'schen Claviers, von dem o ben die Rede ist,
scMnt Bach sich in dem Jahre entaussert zu haben, in welchem er
den ,,Absciiied von meinem Silbermann'schen Clavier" in einem
Eondo componirt hat, namlich im Jahre 1781.
*) Beispielsweise die zweite Sonate der ersten Sammlung fiir
Kenner etc. mit der im ersten Safee zweimal vorkommenden Stelle:
119 —
ordentlichen Starke beschaffen, die Hr, B. zuweilen einer
Stelle giebt: es ist das hochste fortissimo: ein anderes
Clavier wiirde in Stticke dariiber gehen-, und ebenso init
dem allerfeinsten pianissimo, welches ein anderes Clavier
gar nicht anspricht."
In noch pragnanterer Weise druckt sich Schubarth
aus1): ??Niemand hat jemahls die Natur des Fliigels, des
Fortepianos? des Pantalons und Clavichords mit so tiefem
Blick durchdrungen, wie dieser unsterbliche Mann. Son-
derlich war er der erste, der Colorit in das Clavichord
brachte? der das Schweben und Beben der Time, den
Trager, eine Art von Mezzotinto, die Formen, die Prell-
triller, auch den Doppeltriller? nebst unzahligen anderen
Verzierungen des Clavichords erfand. Er spielte ausserst
schwer und ebenso schon. Sein gebundener Sty I, seine
Manieren? seine Ausweiehungen? seine harnionischen Kunst-
griffe sind unerreichbar. So gross er als fck»lospieler ist,
so schopferisch seine Phantasien sind? so gross und erhaben
seine Einbildungskraft, so gross ist er in der Begleitung.
Wer begleitet wie Bach? Niemand! — wh'd gauz Europa
antworten!;i
Andante.
i) AestfceMk fc ^iikrasL S. 177,
— 120 —
Sind diesc Urtheile sefaon uberzeugend genug, so tritt
ihnen das Zeuguiss eines jungeren Zeitgenossen hinzii, das
jene alie weithin uberwiegt.
Mozart hatte Em. Bach einige Jahre vor seinem
Tode in Hamburg beaucht und ihn auch auf seinem Silber-
mann'schen Instriuaente phantasiren hdren.
Als er bald darauf naeh Leipzig kara, fragte ilin
Doles fiber Bach's Spiel und Mozart antwortete ihm: ,,Er
ist der Vater; wir siad die Buben. Wer von uns was
Rechts kami, hat von ihm gelernt 5 und wer das nicht ein-
gesteht, ist ein Lump. Slit dein, was er macht, kainen wir
jetzt schwerlich aus. Aber wie er's rnacht; — da steht
ihm Keiner gleich. Mich hat er darum auch am liebsten
auf der Orgel gehort, obschun ich laugher wenig Uebung
darauf habe. Das war ihm recht; und da hat er mich
einmal fiber's andere an sich gedruckt, dass ich httie
schreien mogen1)."
Muss es nicht, wenn man diese ubereinstimmenden
Schilderungen dessen, was Bach auf dem Claviere lei-
stete liest, ganz naturlich erscheinen, dass seine Spielart
als eine verloren gegangene betrachtet werden muss und
dass die Schiller, die er ausgebildet hat, die Kunst ihres
Meisters fortzusetzeii nicht iin Stande waren? Es war
eben die Technik einer Kunst, die das folgende Zeitalter
nicht mehr kannte; aus der sich aber durch Bach's geniale
Mitwirkung in Lehre und (Jomposition die moderae Spiel-
art fe%estellt hat, die Schule Seb. Bach's? theoretisch
dargestellt von seinem Sohnc Emanuel2).
So spann sich dies lange und glanzende Kfinstlerleben
J) Eochlitz, Fiir Freunde der Tonkuost Bd, 4. S. 308.
Neue Miscellanea , historiscfaen. politischen und moralischen
7. Stck. Leipzig 1779.
Hort Ihr nicht der goldnen Tone Schwirren?
Ha! dies sind der Musen Melodeyn.
Zwlschen Lorbeera glaabt ich hinzuirren,
Dureh den heilgen Hain.
— 121 —
bis zu den Grenzen des hohen Qreisenalters ab7 ein Leben,
dessen phantasiereiehe innere Bewegung, dessen geniales
Wirken imd Schaffen von keiner romantist4hen Begehenkeit3
von keinein Einflusse dramatischen Charakters zu einer,
ausserliche Interessen erregenden Ersclieinung gestaltet war-
den 1st. Em. Bach, der Kiinstler und Mensch, lebte in dem
rubigen Grleichmaass , das den Weisen von dem Drangen
und Treiben der fortwirbelnden Stromungen des Tages
abschliesst, ein Leben voller Ebrenhaftigkeit, voller Thatig-
keit, Arbeit und muhevollem Fleiss, aber auch reich an
Ehren, an Befriedigung und am Gelingen seines Tagewerks.
Was seinem Andenken einen be'^orider^ ehrenden
Schimmer verleiht, ist die Pietat, mit der er, abweichend
von seinem Verfaliren hinsichtlich der Kunst der Fuge
(siehe Th. I. S. 171 ff.)7 die Traditionen der Familie, der er ent-
sprossen war? ehrte und zusammenhielt Das A It-Bach is eh e
Arcbiv, zur Zeit in Berlin, giebt davon Zeugniss. Wie
ware man jezt im Stande, den Kiinstlergeist der Vorfahren
Emanuel's wie Sebastian Bach's mit so bestimmter
Charakteristik zu erkennen? hatte er deren Arbeiten nicht
gesammelt; deren Bildnisse aufbewahrt y deren Lebens-
ums tiinde aufgezei ehnet,
Dass er iiberhaupt ein Mann von allgeineinerer Auf-
fassung der Kunst war, stellt sein gesammtes Leben, wie
man es vor sich sieht, dar. Welches Iriteresse er ftir die
Kiinstler seiner eignen Lebensperiode hatte., zeigte uns
sein Nachlass, in welchem sich eine Sammlung von 376
Siisser Trug! Em machtger SaiteB^)ieIer
&t (lurch ZanbertSue mich betliori
Ha, nun kexm' ich Dich, Apollo's Schiiler,
Seines Lobes werth!
Ber nicht sliase Eel^aog bloag dem Ohren,
Audi im Herzea wiraaeiia Sehhg
Weas, im
Er <i
Portraits vorfand, unter denen die Bildnisse von Abel,
Agricola, P. Benda, GL Benda, Coneiliani, der Cuz-
zoni, von Ebeling, Farinelli, Fasch; Friedrich deni
Grossen, Q-ellert, Grerstenberg, Gressner, Gluck, den
beiden Grraun, Hagedorn, Handel, Hasse, der Fau-
stina, von J. Haydn, Hiller, Holty, Kirnberger (in Oel),
Klopstock, Kuhnau, Le.ssing, der Mara, Marchand,
Marpurg, Mattheson, Mos. Mendelssohn, Leop. Mo-
zart (mit seiner Familie), Neefe, Pepusch, Pisendel,
Quantz, Ramler, Reiehardt, Rolle, Salimbeni,
Schiorring, Schubarth, Senesino, Sturm, Sulzer,
Telemann und die Silhouetten von Dus check, Nau-
mann und Wan hall befindlich waren1).
Aus seiner Familie besass er die Bildnisse seines Va-
ters und der Anna Magdalena, seiner Stiefmutter, desgL
das seines Grossvaters Ambrosius in OeL ferner di©rd^
' ^ "^^pp
der von W. Friedemann, seiner Briider in Buekeburg
and London, und das des Hans Bach, des ,?Geigers
mit der Narrenkappe und der Schelle auf der
Schulter".
Mit Em. Bach starb die Schule seines Vaters aus,
wenn auch hie und da noch ein Nachkomme derselben
fortlebte. Ab^r niit ihm beginnt deren reiche Saat ihre
IVachta zu bilde% deren die kommende Zeit sich erfreuen
- Itit ihm mitM die alie Schule der Polyphonie dem
Hand in unser
Von seinen letzien Tagen wissen wir nichts. ,,Ein
bischen fcrank, dann wieder gesund", wie er an
Grrotthus geschrieben, so wird es wohl bis in seine letzten
Tag^e ergangen sein. Im 74. Jahre des Lebens mogen wohl
nur wenige besonders begluckte Naturen, wie er es zu
thun vermochte, im Grossen und Kleinen kiinstlerisch fort-
zuwirken im Staaide sein.
Nachlass-Katalog von 179a
— 123 —
Aus seinem im Anhange abgedruckten Briefe an
Westphal in Schwerin vom 20. November 1788 ersieht
man, dass er In dlesem selnem letzten Lebensjahre sehr
leidend gewesen ist Seine alte Krankheit, das Podagra,
hatte ihm stark zugesetzt. Sein Leben erlosch natur-
gemass und naturnothwendig durch das hohe Alter, das
er erreicht hatte, in Folge einer Brustkrankheit.
Am 16. December 1788 wurde das Publikum von
Hamburg durch folgende Bekanntmachung von dem Hin-
scheiden <Jes greisen Meisters in Kenntniss gesetzt1):
,,Hamburg, den 15. Dezember.
,,Gestern hat unser Publikum einen sehr merkwiirdigen
und beriihmten Mann verloren. Es starb Abends 10 Uhr7
Herr Carl Philipp Einanuel Bach, Kapellmeister und
seit dem 3. November 1767 hiesiger Musik-Director, im
75. Jahre seines Alters. Er war einer der grossten theo-
retischen und practischen Tonkdnstler, der Schopfer der
wahren Art das Clavier zu spielen, der einsichtsvollste
Kenner der Regeln der Harmonie oder des rein en Satzes;
der genaueste Beobachter derselben, und ein Clavierspieler,
der seines Gleichen in seiner Art wohl nie gehabt hal
Seine Compositionen sind Meisterstcicke und werden vor-
trefflich bleiben, wenn der Wust von modernem EHingklang"
langst vergessen sein wird. Die Tonkunst verliert an ikoa
eine ihrer grossten Zierden, und der Xame eines Carl
Philipp Emanuel wird ihr auf immer heilig sein. Im
Unagange war er ein aufgeweckter munterer Mann voll
Witz und Laune, heiter und frohlich in der Gesellschaft
seiner Freunde, in deren Klagen uber seinen Verlust sidi
aueh die ThrSnen des Verfassers die^s Aufsatzes mischeai,
ier das Gteck hatte, mife der zilrjkKehsten Freundschaft ies
WoHseligen beefarfc zu werden."
,Uu|>airtk OorreBp. 17^. No. 201. Vennuthlicli
Feier. W^rtii^i diesell>e Be&anntmacliUDg fiadet
S, S der Mns.
— 124 —
Dieser Bekanntmachung folgten verschiedene Gedichte:
7>Als Zeus zur Gotterlust jungst ein Concert erwahlte,
Und viele von Gefuhl zu diesem Fest berief^
Fiel sehnell ihm ein, dass zur Vollkonimenheit noch eines
fehlte.
Er sprach — und Bach entsehlief."
Ferner:
,,Sein Geist lauscht nun der Engel Harfentonen?
Und an dem Thron des Ewlgen
Hort er sein Heillg nun vom Chor der Seraphinen
Und fallt anbetend bin."
Alien Vater Gleim? nur 5 Jahre jiinger als Bach,
der selt mehr als 30 Jahren seine Lieder durch Melodien
geschmiiekt hatte, widmete ihin einen Nachruf1):
??Aus unsrer kleinen Welt voll, ach! so grosser Ifeugdi
Ging in die grosse Welt und in's Concert der Enge!
Nxm aueh der Eine Bach!
Sah seinen Einzigen schon wieder,
Und sang ihm seine deutschen Lieder!
Ha! Wann folg' ich ihm nach?
Gleim."
Zwei Denkmaler sollten ihni gesetzt werden? das eine
in der Michaeliskirehe zu Hamburg, fur welches der San-
ger des Messias? Klopstock, des Verewigten Freund7
fcigende Grabschrift gefertigt hatte:
i) Hamfenrger UBpartk Corresp. 1788. No. 210. Reichardt &i-
saug den Tod des grossen Kimatlers in seinem Musik. Ennstmagazin
von 1791 (VEI) S. 93 wie folgt:
Es bildete die leise scbaffende Natur
Jalirhunderte an diesem Manne;
In Kunstvollkommenheit erschien er tins.
Sie Wiekte tief ihm in die Seele,
Und sah . . . Schweig tief verebrend, Muse! . . .
Und sein Gesehlecht erlosch mit inm.
und fiigte diesen Versen sonderbarer Weise folgenden Zusatz bei:
,J)er majestatisehe Strom tbellt seine hochste Fiille in vier Arme,
schickt diese alien Weltgegenden zu und sie alle treffen auf Siimpfe, in.
denen sich die scbone Flutb unwiederbringHch verliert"
— 125 —
??Steh' nieht still, Naehahmerj
Denn Du inusst errothen, wenn du bleibst.
Carl Pliilipp Enaanuel Bach,
Der tiefsinnigste Harmonist,
Vereinte die Neuheit mit der Sehonheit,
War gross
In der vom Worte geleiteten,
Noch grosser
In der kiilmen spraehlosen Husik;
Uebertraf den Erfinder des Claviers,
Denn er erhob die Kunst des Spiels
Durch Lehre
Und Ausiibung,
Bis zu dem VoOendeten.
Gebohwn 1714, gestorben 1788."
Der Plan 1st nicht zur AusfiihruBg gekoinmen. Sobald
iiber dem Grabhugel der Rasen zn sprossen beginnt? pflegt
die ErinneruBg der uberlebenden Greneration zu dunkeln?
und was der Augenblick der Erregung und des Schnierzes
nicht vollendet, beginnt meist einzuschlumniern.
Auch das fur seine Vaterstadt Weimar bestimmte
Denkmal, fur welches folgende Inschrift gleichfalls von
Klopstock bestimmt war:
,jCarl Philipp Emanuel Bach?
Sebastian's Sohny
Wurde in Weimar geboren
Zur Freude der Einwohner;
Denn sie wussten,
Dass diesem Geschlechte
Die Musik erblich sei.
Wie die gute Vorbedeutnng eintraf?
Horet ihr uberall?
Und leset es auch
An seiiner Urne in Hamburg^
Wo ar steb."
ist nieht swi^efelwt worien.
Die Zeichnungen zu beiden Denkmalen liatte der Bau-
rath Ahrens in Hamburg gefertigt.
Von Bach waren verschiedene Portraits gezeichnet
worden. Mit Forkel's Nachlass wurden die Silhouetten
von ihm, seiner Gattin und seinen drei Kindern verstei-
gert. Ein gestochnes Portrait von J. C. Kriiger, in der
Zeit seines hohen Alters gefertigt, zeigt Aehnlichkeit mit
den Ziigen Seb. Bach's, dabei eine angenehme, wohl-
wollende, edle Gesichtsbildung. Dem Kopfe fehlen die
Symbole des Costiims der Zeit, Periicke und Zopf nicht.
Das Ganze deutet darauf hin? dass Bach eher stark als
mager gewesen sein miisse. Das Auge ist geistvoll, die
stark gebogene Nase und die vorstehende Unterlippe geben
dem Kopfe einen besonders charakterfetischen Ausdruck.
Dasselbe Portrait findet sict auf der Vignette zu dem Titel
im Fassioiiscaaitaten-Ausgabe von 1789 als Busfe Aarge-
Sfeelily die von einem Engelj der eine Posaune in der B&nd
l|i% uait dem Lorbeer gekront wird, walirend ein anderer
Bagel klagend am Fusse des mit dem Namen Bach be-
iseiefaneten Postainentes sitzt, vor ihm auf der Erde Mote
und Leier.
<f Ein anderes Bild, ?Jaus Hochachtung gezeichnet"
von A. Stottrup, soflte nach Versicherung von Zeit-
genossen ahnlicher als das vorige sein. Dasselbe ist von
Skerl gestoehen, 7Jzur Sehadloshaltung fiir die un-
x glucfcliche Krtiger'sche Verunstaltung". Iin Ganzen
findea sieh auf ihm jedoch die Ziige des Kruger'schan
Portraits wieder, so dass beider Aehnlichkeit als fest-
stehend angenommen werden darf. Auch einige Oelbilder
existiren von ihm. ^Naeh dnem derselben, auf dem
Kupferstieh-Cabinet des E. Museums zu Berlin befind-
Kch, ist das dem ersten Bande vorg^stellte Portrait ge-
fertigt
Eine Buste Em. Bach's fsk in 4em G©?neeii$aale des
1C Schauspielhauses zu Berlin aufgestelte
; — ' 127 - —
Als Haydn bei seiner zweiten Londoner Relse Im
Jahre 1795 *) nach Hamburg kam? nm Bach, von dessen
Tode ihm nichts bekannt geworden. war, personlich kennen
zu lernen, fand er von der ganzen Familie, deren Hans
einst den Kunstfreunden so gastlich offen gestanden hatte,
nnr nocli die Toctter am Leben2).
1) Griesinger, Bio^r. Notizen iiber Haydn. P. 157.
2) ,,Tn der Nacht vom 19. auf den 20. dieses Mon&ts entrlss mir
Gott meine geliebte Mutter, die Wittwe des sel. Kapellmeisters
C. P. E. Bacfe, Johanna Maria, geb. Danneman, an den Folgen
ernes Schlagflus&es im 71. Jahre ihres Alters. Biesen fur mich hiiehst
sehmerzlichen Verlust mache ich hiedarch alien meinen auswartigen
Freunden bekannt.
Der bisher von meiner sel. Mutter gefiihrte Handel mit den Mu-
&ik»lien meines seLVaters und Grossvaters wird inskiinftige von mir
mit der aussersten Aufmerksamkeit fortgesetet werden.
Hamburg, den 29. Juli 1795.
Anna Carolina Philippina Bach."
Hamb. Corresp. 17%. Ho. 122.
Atoschnitt EL
Wilhelm Friedemann Bae!i?
der Halllsclie,
und seme Brttder Johann Christoph Friedrich
nnd Johann Christian Back
Bitter, Emannel und Prledemann Bach. II.
JWanuel Bach's thatiges Wirken mid Sdbaffen, das
eine so umfangreiche Betradbtuug in Anspruch genomnien
hat, sein gauzes Leben? wie es in treuein Bilde vor uns
steht, war fur die Kunst von der hSehsten Bedeutung
gewesen.
Was die Nachwelt von semen Briidern erfahren, die
niit ihm den Sarg des Vaters umstanden hatten, stellt diese
nicht auf die gleiche Hohe,
Indem der Verfasser sich anschickt, deren Lebensgang
in skizzirter Weise zusammenzufassen? mag es ihm gestattet
s$3n, hiebei von der chronologischen Reihefolge ihres
Alters abzusehen. Er wird? naehdem er zusammengestellt
haben wird, was von den weniger bedeutenden nnter ilmen,
Job. Christoph Friedrich; dein Biickebui'ger 7 mid
Job. Christian? dein Londoner, bekannt geworden, sein
Werk mit Wilhelm Friedemann scHiessen, der nacii
seinen Gaben und seiner Erziehung fur die Kunst dem
grossen Vater'hatte am nachsten stehen sollen, und der
sich? wahrend er an dessen kunstlerischer Art mit starreni
Geiste festhielt, im ausseren Wesen am meisten von ihm
entfernt hat.
Capitel VII*
Johanii (hristopk Friedneh B;u'Ii,
der Biickeburger,
JohannCbrlstoph Priedrich Bach war am 21. Juni
1732 geboren? 18 Jake jtoger als Emanuel. So vie!
lonan von ihm weis$? bat er? wie jeaer, zuerst die Eechte
jsfadirt und sidk d»n fe Musifc
— ' 132 —
Er durfte kaum je eine andere Stelle inne gehabt ha-
ben als die ernes Concertmeisters am Hofe des Grafen
Wilhelm von Schaumburg-Lippe, in dessert Diensten
er bis zu seinem am 26. Januar 1795 erfolgten Tode ver-
blieben ist.
Vor ihm war in Biickeburg ein Concertnieister Go-
lonna mit 600 Rthlr. angestellt gewesen, der nebst dem
mit 480 Rthlr. salarirten Oompositeur Serini am 14. April
1756 entlassen worden war. Muthraasslich ist der damals
24jahrige Johann Christoph Friedrich unrnittelbar in
deren Stelle getreten.
Die Genealogie der Bach'schen Fanrilie weiss von
ihm nichts zu sagen, als dass er eine musikalische Frau
und Kinder gehabt habe; die musikalisch gewesen seien.
Von seiner Frau weiss man, dass sie eine vorziigliche
S^ngerin war. Er selbst war ein fleissiger? frommer Mann,
•der ausser vielen Instrumentalsachen besonders aueh Ora-
torien und Passionsmusiken componirt haben soil1), von
denea aber niehts zuriickgeblieben istl
Sein Qehalt soil 1000 Rthlr. betragen haben, was for
jene Zeit sehr viel gewesen sein wiirde. Man darf aia-
nehmen, dass Bach nur das Grehalt Colonna's von
600 Rtklrn. bezogen habe, dem spater noch einige Zu-
kigen hinzugetreten sind (siehe die amtlichen Schriften
Anhang IL). Mit diesem Gehalte, dem ,Ertafage seines
Ojaterrichts und dem Brlose «e%ier OoiopositioB^iL tebte
er am Hofe des ausgezjeiehneten und geistvollen H€^%
dem er diente, hochgeehrt und voll Znfriedenheit. Wohl
konnte seine Lebensstellung eineni einfaehen Sinne ge-
B§gen? zumal wenn sie durch den Trieb zu treuer
und gewissenhafter Pflichtcrfullung und durch aufrich-
tige Hingabe an die Kunst getragen wurde. Denn
jenes reizende Fkekehea deutsehen Landes, mit seinen
dunklen laubumkriuzten "W^idgebirgen und seinen lacheia-
Hilgenfeld, Seb. Bach. &
— 133 —
den fruchtbaren Thalgriinden ladet wie wenigc zur Zu-
friedenheit3 zu stillem Nachdenken und zu frohlicher Ar-
beit ein.
Fried rich Bach's tiefe Einsichten in das Wesen der
Harmonie und sein ungemein fertiges und geschmackvolles
Clavierspiel, in dem er fast keine Sehwierigkeiten niehr
kannte1), haben ihn als ausiibenden Kiinstler bemerkens-
werth gemacht. Die Instrumente seiner Familie, Clavi-
chord, Flfigel, Fortepiano und Orgel waren auch die
seinen.
Er hat viel geschrieben, sowohl fur Gesang als fur
Instrumente und Clavier. Quartette, Concerte, Sonaten,
Trios 7 Sinfonien und Gantaten sind von ihui bckannt,
Auch geschieht einer angeblich von ihm gesetzten Oper
77Pygmalion" Erwlhnung. Das Musikalische Vielcrlei
(Th.l. S.2Q2) enthalt allein ISStticke von seiner Composition.
Em. Bach liess seiner Zeit in einem seiner Concerto zu
Hamburg die Soloeantate Ino (von Bamler gedichtet,
1786 im Clavierauszug erschienen) auffiiliren ? und die
Amerikanerin (von Gerstenberg^ 1787 in Rinteln ge-
druckt) hatte sich einen gewissen Buf erworben. Beide
Arbeit-en aber sind langst iiberlebt, und es wiirde scliwer
sein, ihnen das geringste Interesse abzugewinnen.
Denselben Charakter verhaltnissmassiger Unbed^utend-
heit zeigen seine weltlichen Lieder sowie seine Clavier-
und Instrumental - Compositionen. Sie gehen nicht liber
daa Niveau des Mitteimassigen hinaus und erreichen
fcaom die schwacheren Arbeiten Emanuel's, an dessen
Styl sie sich iin Ganzen anschlieseen.
Das B^te7 was Chr. Friedricfa ge^chrieben hat, isi
ia-iea Jf^bdien der &mtm und zw^Iten Sammlung von
I>. "Balthasar Mfinter's geistliefaen Liedern enthalten,
die IB d©a Jahren 1773 und 1774, das erste Heft kurm
JDMfchland (Sobvlckert). 17^.
vor, das zweite kurz naeh den Cramer'schen Psalm on
erschienen waren. In dem ersten Hefte sind nur die Lie-
der No. 1. 2. 9. 11. und 20. von seiner Composition. Die
zweite Sammlung ist ganz von ihm.
Es sind 51 Lieder in der Art der Gellert'schen Me-
lodien seines Bruders, einfach, edel; zum Theil sehr schon,
wie jene iiber die damals gewohnliche Liederform weit
hinausreichend, mit harinonisirter Begleitung, freilich von
geringerer Tiefe als die geistlichen Lieder Emanuels.
Dennoch zeigt sich in ihnen der Tonsetzer als der Sohn
des alten Bach. Die Lieder: No. 3. Heiligkeit Gottes,
No. 23. Dem Sehopfer, No. 26. Demuth, No. 33. Busslied,
No. 40. Neujahrslied, No. 43. Herbstlied? No. 44. Lied im
Winter, No. 47. Kraft des Gebets, No. 48. Gebet fur
Zweifler^ waren wertbi gewesen; in den erschienenen Ver-
snchen und Schriffcen uber die GescHchte des deutschen
Liedes ErwaBnung zu finden. Sie vervollstandigen das
System, in welchem Emanuel Bach begonnen hatte dem
Liede die bestiinmte Form? dessen Inhalte geistige Tiefe
zu geben. Da sie so gut als verschollen sind, so mag es
gestattet sein einige von ihnen hier folgen zu lassen, zu-
nachst:
Heiligkeit Gottes.
Mdssig langsam*
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— 135 —
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nend aul die Sunde zeig-t du den
Rich - ter mir, wie gu - tig, wie ge-
lin
de cr - wi^ sidh Oott an dir.
*
Dann No, 23. ,,
Kraftig.
Schopfer.£i
Vott de» Stamb, den ieh be - woh- ne, blick' ich
anf zn dei - nem Throne, uner - mess - lich grosser
Oott. Bo ge - bo^t derWelt,zm vcr-den, und sio
-r, 136 —
ward auf dein Ge - bot. Gross und viel sind dei - ne
A — H
EF^^J
Werke, wunder - bar und schon sind sie! Dei-ne
Gu - te, dei - ne Starke, deine Weis - heit preist der
^i
Er-den und der Himmel Har-mo - nie.
* r r
?>LIed im Winter.^
Gott winkt, so , sfegen Re- gen T gns •
AAV O*— -KK . ° £ „
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sieh
die
137 —
ifcr
taglich auf die F elder hin,
truben Nebel preisen ihn.
Die Sonn' in
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Sterne in langer, heller Winternacht. Die
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tin - ge - stu - men Mee-re ver - kfmdigen des Schopfen
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Bit - re, lob - sin - gea sei - aer
Macht.
Cnr. Frleirich Bach, der vorzEgsweise den
seines Brnd^rs Emauael gefolgt 1st, faat auch wie die
em SantBaelwerk YOB Yerschiedenea Sfusikstiicken
By die amte ife»U?ffiien Am ^tusikalischen H^
— 138 —
beBstunden" bekannte Sammlung, welche im Jahre 1786
angekiindigt und in 2 Heften erschienen 1st, Nicht nur
die Art des Unternehmens, aucL. die Bekanntmaclmng des-
selben im Publikum erinnert durchaus an die Weise? wie
der altere Bruder solebe Dinge zu behandeln pflegte.
Nachricht an's Publikum1).
Noch immer 1st sowohl in den Handen der Anfanger, als der
Getibtern ein Mangel soleher Sammlungen von Clavierstiicken, die
sich dureh Gescbmaek und angenebme Mannigfaltigkeit empfehlen.
Daber glaub' icb nicbts Ueberfiussiges zu thnn, wenn icb eine solche
Sammlung dem Publico, besonders dem scboneren Tbeile desselben
zu liefern mich erbiete. Sie diirfte in der Hoffnung einer binlang-
liehen Anzahl Abonnenten unter dem Titel : Musikaliscbe Nebenstunden7
an's Licbt treten. Adagios, Allegros, Menuetten, Arien, Prestos,
Ariosos u. s, w, werden init einander abweebseln^ dann und wann
soil en aucb Auszage aus ungedrnckten, und folglich dem Publleo
nocb unbekannten Cantaten geliefert werden. Das ganze Werk wird
aber groastentheils fiir Anflngor eingericbtet werden; Geiibtere ver-
lieren dabei nicbts^ indem icn versicbere, dass alles neu und bis jetzt
imbekannt sein soil AHe Yierteljahr wird ein Heft von 12 Bogen
in Foliofonnat erscbeinen, worauf Jeder, dein zu abonniren beliebt,
16 dgr. subscribirt, welcbe beim Empfang des Exemplars ausbezablt
T^i^n, In Hamburg nimmt etc ..... Diejenigen Herren, die mich
Ait iferen Beitragen gutigst beebren, werden eben so uneigenni^g,
^s Ich, bloss den Beifall des Publikums zum Augenmerk babenv .•
Buckeburg, den letzten May 1786.
J. Chr. Pr. Bacb.
Das erste Heft dieser Sammlung hat der Verfasser,
alter angewandten Multe ungeachtet, wie so manches Andere?
Charakterisirung der^ Nachkommen des grossen
emttetgen geeigriet, ware? niebt "erfoBg%n
konnen. ,
Das zireite Heft entMlt ausser dem Clavierauszugel
der Amerikanerin ^iae ^>aa4e far Clavier und Violine,
6-dur 2/4? 2 Marsche, ein Trinklied im May? zwei
Rheinweinlieder (?7Ein LebdE wie im Paradies" iind
;?BekrSnzt mit Lattb^) und eii LSed ;7?Unser susse-
ster Beruf", 1 Villane!la? 2 AngfaiseB; em Presto, Allegro
Hamb. Uaparth. Corresp. 178& Ho.
— 139 —
tmd Adagio (das leztero den besseren fetucken angehorig,
obwohl "ohne besondere Tiefe)? 2 Menuetten, Polonaisen und
noch ein Allegro, ferner 1 Sonate aus 2 Siitzen bestehend
(Allegro mid Andantino), wohl das besle vStiick der Samrn-
lung, endlich 1 Rondo , saramtlieh von der Composition
Friedrieh Bach's.
Weiteren Fortgang scheint die Baehe iiiclit gehabt zu
haben? denn ein drittes Heft ist nicht erachienen.
Christoph Friedrich bietet als Mensch seinen BrU-
dern Christian und Friedemann gegcniiber das wohl-
tfaaeade Bild einer in sich 2ufriedenen? liebenswiirdlgen
Natur7 in der er Einanuel Bach nahe karu, niit dem er
auch in briiderlich freundschaftlichem Vcrkehr geblieben ist.
0o<A war in ihm das Talent offenbar geringcr* Der
gittiiche Funke, der in seinen Briidern kg, von zweiea
miter ihnen in niedrigen Leidenschaften erstickt wurde?
gluhte nur in geringerem Grade in ihm.
Er hatte aus^er anderen K-indern einen Sohn? Wil-
helm Friedrich Ernst, geb. am 27. Mai 1759, der sich
gleichfalls der Musik widmete, die er zuin Theil bei sei-
nem Vater, zum Theil bei seinem Oheim in London er-
lernt hatte, bei dem er bis zu desseri Tode verblieben
wax. Er ist eine Zeit lang als Claviervirtuose mit grossenj
Beifall durch ver^chiedene Lander (Holland, Frankreich)
gereist? and Hess sieh schliesslich in dem, dern Wohnsitz
seines Vaters nalien Minden nieder. Als Fried rich Wil-
helni II., Friedrich' s des Grossen Xacliiblger, nach
seiner Thronbesteigung zuin eraten Male durthin kai^
fehrte Wilhelm Back ihm zu Ehrea dne Cantate: ??West-
ph&ien's F^eude, ihren viel geliebten Konig zu
sehen", anf, welclie den vollen Beifall desKonigs erhielt, der
bekanntlich ein besonderer Liebhaber nnd friner Kenner dar
Miisik war. Wilhelm Bach wurde nach Berlin berufen*)? ,
WQ er laagi® Ziait ak Kapellmeister zuerst bei der regi©-*
1791.
— 140 —
renden, dann bei der nachmaligen, in Preussen so hoch-
verehrten Konigin Louise angestellt war. Er 1st der
Lehcrer Friedrich Wilhelm's III. gewesen und hat auch
die Bruder desselben, die Prinzen Wilhelm und Heinrich
von Preussen unterrichtet. Letzterer, der sich spater
nach Rom zuriickzog, hat ihm noch yon dort aus eine
Pension von 300 Rthlrn. ausgesetzt.
Er war ein Anhanger des strengen Styls und der alten
Musik, dabei schtichtern und dem 6 ff en t lichen A uft re-
ten abgeneigt. Deshalb ist auch von seinen Compositio-
nen wenig gedruckt worden. Sohne hat er nicht gehabt.
Er hatte die Freude, als der letzte welke Spross der einst
so zahlreichen Familie der Bach an der Erinnerungsfeier
Theil zu nehmen, welche Felix Mendelssohn 93 Jahre
nach dem Tode" Sebastian Bach^ (am 23. April 1843)
zu Leipzig veranstaltete. In seiner Gegenwart fand die
Enthtillung des in der Nahe der Thomassehuk zum €fer
dUehtniss Sebastian^s errichteten Denkmris statt
Zwei Jakre sp^ter (ami 22. December 1845) ist mit dem
84gatfigeii Grreise der letzte Spross der Familie des grossen
Cantors aus Leipzig zu Berlin zu Grabe getragen worden.
Seinem Vater sowenig als ihm war es vergonnt ge-
wesen, den alten RuJ^m ihres Geschlechts in die kommende
Zeit hinuberzutragen. Aber Beide haben den Namen, der
ihnen in gutem Klange uberkommen war; mit Ehren ge-
filhrt und in Ehren erhalten.
Capitel VHL
Johann (liristiaii « a ch
der Londoner.
Anders stand es mit den BrMern Christian, dem
Londoner, und Friedemann, dem Hallteschen Bach, Beide
sind eminente Kiinstler und grosse Tenseteer gewesen. Abear
~ 141 —
w&hrend der erne sein Talent vergeudet, der andere das-
selbe unfruchtbar hat verkommen lassen, haben beide dem
ehrliehen Nainen ihrer Farnilie einen, ihin bis dahin un-
bekanriten Makel aufgedruckt.
Obschon von beiden, insbesondere von Friedemann
Bach sehr ausgezeichnete Arbeiten auf die Naclnvelt ge-
konimen sind? so zahlen beide doch nicht zu denen; deren
Wesen^und Arbeit neue Bahnen eroffnet? neue Kunstzweige
belebt7 die vorhandenen hoLerer Vollendung? grosserer Voll-
kommenheit entgegengefuhrt hatte. Ihre Berechtigung fur
die Kunstgeschichte beruht vorzugsweise in ihrer Eigen-
schaft als Sohne eines grossen Vaters.
Doch ist das Absterben der Familie desselben em so
bedeutungs voiles Ereigniss, dass es selbst in seinen nnwir-
digen Sprossan ein Recht auf Beobachtung in Anspracb
nehmen darf. Zweihundert Jahre hindurch hatte das CJe-
schlecht der Bach seit dem Urvater Veit Thiiringen und
Sachsen mit zahlreichen Musikern versehen7 die zuni iiber-
wiegenden Theile zugleich Klinstler gewesen waren. Aus
ihm vor alien hatte sich die contrapunktische Scliule re«
crutirt? deren glanzendster Schlussstein Sebastian Bach
gewesen ist. Seine^Schiiler waren es? die zu Berlin in
gemeinschaftlichem Wirken jene neue Schule gebildet hnt«
ten, durch welche die altklassische Musik im Gegensatz zu
der von der Opernbiihne her mehr und niehr um sich
greifenden italienischen Geschmacksrichtung gepflegt und
f&rtentwickelt wurde, und die in Em. Bach, Kirnberger,
Marpurg? Nichelmann, Quantz7 Agricola, den Ben*
da's und selbst in Graun und seinem Bruder ihre Y®r-
treter geftinden hatte.
Nun sollte das Gesehleeht von der Welt abtreten.
Johann Christian, genannt der Mailander oder <t@r
Londoner Bach? war im Jahre 1735 zu Leipzig
der elfte Sokn Sebastian's. Bei seiner Geburt
ausser Wilhelm Friedemann? Emanuel und
stop fa Friedrj^b mwk drei and0re Sohne desselben,
_ 142 -
denen Johann Gottfried Bernhard (Organist zu Miihl-
hausen) friih genng starb, David, der jiingste, blodsinnige,
diesem bald folgte, und Gottfried He in rich noch lan-
gere Zeit, bis 1761? ein unbekanntes Dasein gefuhrt hat.
Als Sebastian Bach das miide Haupt zur ewlgen
Ruhe neigte, war Johann Christian 15 Jahre alt.
Der grosse Kiinstler hatte seine Familie in sorgen-
yoller Lage zuruekgelassen. Anna Magdalena; die treue
Gefahrtin seines Lebens und seiner kimstlerischen Grosse
wie seiner Sorgen und Leiden vermochte nicht? den jung-
sten der ihr gebliebenen Sohne? deren sie sieben geboren
hatte, zu erziehen. Philipp Emanuel, auf den vor
alien die Sorge fur die Seinen gefallen war? nahm ihn zu
sieh nach Berlin, erzog und unterrichtete ihn dort1). Doch
scheint das Kunstlerblut bei ihm friih in Wallung gerathen
zu sein. Die Bekaiintschaft mit den italienischen
linnen der Berliner Opef wirkte nicht ebeii
amf ihs ein? land vier Jahre spiter (1154) verliess or 19 Jahre
ait seines Bntders Haug uad &ehule? wie di6 Heimath, um
D0fit «iet dieser SJingerinnen nach Italien zu gehen. In
Mailand wurde er? der Lutheraner: nach kurzein Aufent-
halt zum Kapellmeister an einer der dortigen Kirchen be-
stellt. Da blieb er? bis iin Jahre 1759 Hilndel sein ruhm-
volles Leben zu London geendigt hatte. Sofort elite er
dorthin und erhielt? etwa 24 Jahre alt, dessen Stelle als
Musifa&eister der Konigin? ein Dienst, in welcheni er bis
zn seinem im 47. Jbebeasjahre erfolgten Tode (er starb
Anfangs Januar 1782) rerblieben ist2). So war der jungste
Sohn Sebastian Bach?s to die Stelle jenes grossen Ton-
setzers getreten, der? als er auf der Hohe seines Glanzes
stand? es nicht hatte iiber sieh gewinnen konnen, mit dem
1) Gsnealogie der Bach*scliett Familie in der K. Bibl. zu Berlin.
2) Kach Polil (Mozart und Haydn in London) featte J. 0. Bach
dort am 2. Juni 1768 im Saale des Thatch d'House zum ersten Male
oifentlich auf dem Pianoforte gespielt. Doch ist es kaum denkbar,
dass er hiemH 9 Jafare sach seiner ArtsteSung gfcwarfet naben
— 143 —
einfaohen Cantor der Thomasschule in personlichen Ver-
kehr zu treten. Wohl hatte dieter JSohn im Hinblick hier-
auf sich gedrungen ffihlen sollen? den Manen cles Vaters
in grossen Tonwerken siihnende Opfer zu bringen!
Aber was war ihin der Gedanke an den Vater, den
er nur als Knabe gekannt? dessen Wirken nnd Streben
or nie schatzen gelernt hatte! Leben wollte er und ge-
n lessen. Und so schliirfte er in deni berauschenden
Tranke sinnlicher Lust das Vergessen seiner grossen Stel-
lung und Aufgabe mit durstigen Ziigen ein.
Sein Einkommen wurde auf 1500 Pfd. Sterling (gegen
103000 RthLr.) geschatzt l ). Als er starb? hinterliess er
gegen 30?OQO Rthlr. SeMden. Er war mit Cecilia Grassi,
einer seit 1761 bei der grossen Oper zu London sehr be-
liebten Sangerin verheirathet. Naeh seinem Tode ging
diese7 dureh eine Pension ? welclie die Konigin ihr zahleu
liess, vor ISfoth und Sorgen geschtitzt, nach Italien zurtick2).
Kinder liat Christian Bach nicht gehabt.
Rochlitz sagt sehr treffend Yon ihni3): 7?^o viel Ge-
schmeidigkeit des Gei»tes, so viel Accommodation in dea
Genius des Saculums 7 so viel Unterjochung der tiefen
Theorie unter die fliichtige Melodik der Zeit, — hat wohl
noch niemand wie dieser Bach gehabt. Er seheint skb
ordeutlich den Plan vorgesetzt zu haben, seinem Bruder
in Hamburg zu beweisen; man konne gross sein und sich
doch nach dem geringfugigen Geiste des Volkes bequemen.
Der Erfolg bewies? dass* er Unrecht hatte, denn sein Geist
litt unter den Fesseln der Accommodation. Die hoh«
Tteorie? die er aus den Rippea seines grossen Vaters an-
zog? uiagab er mit dem Biiberflor des modernen Geschmack^
— eine Rieein in Filet gebiillt — Er war Meister in alien
Sly lea, Buchstablich war es wahr? was ein
Mm. Almanack 178S. a 142.
Hilgenfeld, <T. S. Bach. S. 14
L a 9L1.
englischer Dichter von ihm sang: ,,Bach stand auf des
Olympos Gipfel und Polyhymnia kam ihm ent-
gegen, Sie breitete die Silberarme urn ihn und
sprach: Granz bist Du mein!"
,,Seine Kirchenstiicke haben viol G-riindlichkeit, nur
eine gewisse weltliche Miene, die den Geruch der Ver-
wesung ankiindigt Seine Opern, die er in England , Ita-
lien und Deutschland setzte, verrathen alle den Herrscher-
geist im Grebiete der Tonkunst Dieser Bach konnte sein
was er wollte, und man verglich ihn rait Recht mit dem
Proteus der Fabel. Jetzt sprudelte er als Wasser; jetzt
loderte er als Feuer. Mitten unter den Leichtfertigkeiten
des Modegeschmacks schinunert iminer der Riesengeist
seines Vaters dureh. — Sein Bruder in Hamburg schrieb
ihm ofters: ,7Werde kein Kind!" Er aber antwortete
immer: nlch muss stamuaelny damit inich die Kiader
v^rstehen." v , v
,,Dass aber diesar ausserord^Bliich^ Maam atteh in dem
tkferonigen Style sein^ Braders uni Vaters arbeiten konnte^
bw&iseB Tensehiedene Claviersonatenj die er zu London
li^^isgab. Sonderlich ist eine Sonate von ihm aus F-moll
foekannt? die mit den grundlichsten und besten Stticken
dieser Art wetteifert."
7?Bach hat sich in alien Arten des musikalischen Styls
fast mit gleichem Gliicke gezeigt. Er arbeitete fur die
Kirche, fiir's Theater, for die Rammer. Er verfertigte
tragische und komische Opern , * ernste und seherzhafte
Ballete. Natiirlich^r Fluss der Gedanken, liebliche Melo-
dieen? reiche Instrumentkenntniss, iiberraschende Aus-
weichungen, herrliche Bearbeitung des Duetts, festliche
Chore nnd meisterhafter Recitativstil — charakterisiren
seiile ernsten Opera. Er sctrieb deren sehr viele in
Italian, England und Deutschland; und noch heute werden
sie mit dem entschiedenstea Beifall aufgefuhrt. Jomelli'-
sehes Feuer, und den harmoniaehen Tiefsion seiaes Bruders,
in Hamburg ~ sucht man freiich in diesen sein^i Opern
_ 145 —
vergebens; aber Natur und Einfalt ersetzen diesen Mangel
desto reichlicher. Das Zartliehe und Verliebte gelang ihm
besser als das holie Tragische. Seine seherzhafte Muse hat
yiel giiickliche Einfalle: sie 1st mehr wltzig als launig,
daher wurden seine komischen Opern in London nie lange
goutirt. Seine Ballete in beiden Arten sind yortrefflich
und dollmetscJaen den ganzen Sinn der Geberdenspraehe.
— Seinen Kirehenstiicken fehlt es nicht an Wiirde und
Andacht. Er hat fur Bom und Neapel einige Messen ge-
setzt, welche daselbst allgemeine Bewunderung erregten.
Auch fur London schrieb er einige Psalmen in wahrem
antiken Geschmacke. Sein Te Deum laudamus ist eins
der schonsten, die wir in Etiropa besitzen. Die Fugen
und Chore bearbeitete er mit grosser Kunst? ohne in Pe-
dantismus zu fallen. — Seine Clavierconeerte, Sonaten u. s. w.
mit und ohne Begleitung, gehoren noch imnaer unter die
Lieblingsstiicke des Publikums. Bach spielte das Clavier
selbst als Meister, zwar nicht mit der magischen Kraft
seines Vaters oder Bruders in Hamburg; -aber doch so?
dass ihn Niemand in England iibertraf. Weil er verKebter
Komplexion war? so sti*ebte er sehr nach dern Beifall der
Damen. Dieser Umstand klSrt vieles yon seinem musika-
lischen Charakter auT. Seine Anschmiegung an den Mocle-
geschmack? seine oft zu grosse Nachgiebigkeit, seine ge-
fallige Condescendenz7 da wo der Wohlgeschmack sank;
das seinem grossen Geiste so wenig passende Tiindeln; die
oft wasserige Leichtigkeit in seinem Satze, da wo er yon
Natur zur Schwere geneigt war — all dies riihrte yon
seiner allza grossen Liebe fiir das weibliche Geschlecht
her. Er war der Liebling der englisehen Damen. Seine
Sinfoniea sind gross und prachtig, dieser Schreibart yoll-
kommen angemessen und fur Priyatconcerte weit schick-
licher? als die Jomellijschen."
?7Badbt war einer der fleissigsten Tonsetzer? die jemals
gelebt habexL Sraie Stticke belaufen sich auf eine kauia
glaubliche Zahl^ woriu der Vortrag KBtgemein abwechsela4t
Bitter, Enuuinel nrtd Wx$&&8mai!a£ Bach. IL |Q
*
ist *l)a Bach nur hochst selten seinem eigenen Geschmack
folgte, da gleichsam immer eln Anderer schrieb als er
selbst, so haben nur wenige seiner Stiicke lekheit und
Originalitat. Er selbst war deshalb mit seinen Stiicken
nie zufrieden, uud wenn er lange auf dem Flugel gespielt
hatte, so pflegte er immer mit einer tiefsinnigen Phantasie
zu schliessen, und am Ende zu sagen: So wiirde Bach
spielen, wenn er diirfte1)!"
Dies eine Wort bezeichnet seine Stellung zur Kunst nicht
minder wie das Andere, das er, als ihm einst einer seiner
Freunde iiber sein leichtsinniges Leben und Componiren
Vorwiirfe machte und ihm das Beispiel seines Bruders und
i) Forkel hatte Irgendwo gesagt, dass Christian Bach ein
Volks-Componist gewesen sei.
Hierawf fragt Zelter m seinen naehgelassenen Notizen: ,»Was ist
ein" Tolks-Oomponist? l , #
* Bies^: Baefe war em ehriicher Betitscher, der IB England italie-
MdieO;peTn geschrieben hat, und das soil ein Volks-Componist seyn?
'Dema wenn er's nicht noch ist, so ist er es auch zu seiner Zeit nicht
gewesen.
Wer ist denn das Volk, dessen Coniponist Bach war? Doch
nieht die Damen und Herren, die seine italienische Arie nach-
seufzten? *
Se cerca se dice
PAmica dov'e?
PAmica infelice
Eispondi: mori!
Ah n6 si gran duolo
Non darle per me
Rispondi, ma solo
Piangendo, parti!
Dies ist eine von den Arien, welche gem gesungen wurden, weil
man sie schon fand, aber noeh einmal: Wer ist das Volk?
Was Hr. Fork el hier aber sagen zu wollen scheint, ist: der
Londoner Bach sei ein gemeiner Oomponist fur den Pobel, und etwa
deswegen allgemein beliebt geweisen. Boch ist er deswegen eben so
wenig ein Yolks-Compomst, ala das Volk von ihm (ELrn. Forkel aus-
genommen) weiss. Er verzeihe es ater, wenn wrr hiemit bemerken,
dass ein Volks-Componist eim gropes und edles Genie sein kann,
wie das Volk selbst in seiner wahrea Bedeutung nichts anderes ist/
— 147 —
Erziehers Emanuel vorhielt, diesem antwortete1): ?,Mein
Bruder lebt, um zu componiren, Ich componire,
um zu leben."
So durfte Emanuel von ihm sagen2): 7JInter nos?
machte es anders, als der ehrliche Veil"
Man kann von Niemandem? der das Leben ini Taurael
des Genusses auskosten wilI7 verlangen, dass er ein grosser
Kiinstler sein solle. So ist des jungsten Bach's Kiinstler-
thum und Kiinstlerruhm zu Grunde gegangen. WIe ein
machtiger Strom nidht selten im Sande verlauft, so verlor
sich der edle Geist seines Vaters in der Verflaehung und
der sinnlichen Grenusssucht dieses Sohnes, der? wie sein
stets durstiger College Abel dem Wein? seinerseits den
Frauen ergeben war, ohne dass er deshalb den Wein ver-
selimaht hatte.
Nach einem von ihm vorhandenen Portrait war er ein
schoner Mann von feurig edler vornehmer Gesichtsbildung,
wie sie wohl den Damen seiner Zeit gefallen konnte.
An sich fehlte ihm auch ein edlerer Sinn nicht. Dies
zeigt beispielsweise der kurze Brief, den er (leider ohne
Datum und Jahreszahl) an einen CIavierspieler; Namens
Krenschel in Dresden in franzosicher Sprache geschrieben
hat. (Siehe Anhang n.)
Cramer's Magazin fur Musik3) enthalt eine Nach-
weisung seiner offentlich bekannt gewordenen Werke,
welehe hier zu wiederholen nicht erforderlich sein durfte.
Sie bestanden in Clavier -Concerten mit und ohne Instru-
mental-Begleitung, in Trios, Sonaten, Sinfonien, Quartetten7
Quintettenj verschiedenen Opern ernsten und komischen In-
halts^ Ballets und einzelnen Gesangssachen in den damals
gebrauchlich^i verschiedenen Stylen, das Meiste in jener
Aflg. Leipz. Mns, Z^. Jahrg. 29. S. 876.
Genealogie der Famille Baeb. (K. Bibl, zu Berlin.)
1788. Tk L S. 194.
10*
- 1*8 -
oberflaehlich melodiosen Manier, die eine Zeit lang fur die
rausterhafteste Schreibart in der Musik gait
In den von ihm imd Abel dirigirten Concerten zu
London und auch spater noch wurde ofter eine von ihm
componirte Sinfonie fur 2 Orchester aufgefuhrt. Eine
seiner Opera: la Clemenza di Seipione ist noch im
Jahre 1805, durch Elisabeth. Billington; eine beruhmte
Skngerin aus dera letzten Viertel des vorigen Jahrhunderts,
die eine Zeit lang (etwa urn 1775) seine Schiilerin gewesen
war, auf die Biihne gebracht worden1). Zu den sonst
yon ihm componirten Opern gehorten2): Orf6o, Catone,
Especie di tormanto? Demofonte, Gioas Re di Quida, La
confusa smaritata.
Naeh Junker3) Vare J. Chr. BacK auch von dem
KurfCirsten Carl Theodor zur Kchopfung einer Oper nach
Mannheim berufen worden , wo von dort freilich nichts be-
kannt ist.
Nicht alle s®bae musikaJi^cKen Siinden7 die der Oeffent-
lielGteit anheimg0f^lleB? sind ihm voll anzurechnen. In
einem Briefe vom Jahre 1783 aus London4) heisst es:
;,Sie mussen sich niclit wundern, wenn man so oft Werke
von Bach und Abel im Stiche sieht; die man in Deutsch-
land fiir inittelmassig oder imter der Wiirde dieser beid^gf
beriihmten Manner gehalten hat Dies verhielt sich so:
Beider Werke, die sie ftir's Publikum bestirnmt hatten,
gaben sie an Brenner und Walker zu stechen? die da-
fur reichlieh bezablteo. Alles Andere ist ganz wider
Wissen uad Willeai derselben entwandt und ohne Erlaub-
niss? ja sogar Einiges fabch unter J. C. Bach's Nameu
gestochen worden. Die Entwendung i§t folgendermassea
geschehen. Da man von denselben selbst nichts erh<en
1) PohL Mozart und Haydix IB London. S. 15 u. 826.
2) Katalog von Musikalkm von Westpltal in Hamburg. 1782
ttnd Nachlass-Katalog von Paul Scheel ia Ilzehoe.
3) Skuzen, (Bern) 177G. S. 15,
^ Cramer's Magazin f. Musik. 1783. Th. I. S. 553.
kdmien und nieht hinlanglich bezahlen wollen? so hat roan
gesueht, Abschriften von den kleinen Aufsatzen, so sie fiir
Scholaren an Quartetten, Trio's etc. fur verschiedcne Hiiuser
gemachtj zu erhalten, diese zusammengesetzt, so gestochen
und in der Stille verkauft. Kauni hatten nun andere neue
Wcrke von diesen Autoren? besonders mit Bach's Xamen
geselien? so warden sie wieder nachgestochen und so als
achtc Werke dieser so beliebten und grossen Manner ver-
breitet; und dadurcli ward zugleich die Ehre und der gute
Name dieser Verfasser gekrankt."
Mag hienack raanche seiner Arbeiten nicht zur Ver-
offentliehung bestimtmt gewesen sein? in jedena Falle war
J. C. Bach, der sein Talent ? die Genialitat, die den Stem-
pel ihres Ursprungs nicht verlittignen konnte? rait Leicht-
siun vergeudete? das grelle Gegenbild seines ernsten, froni-
rnen, voin Dienste seines Qottes und von der Verehning
seiner heiligen Kunst so tief dnrchdrungenen Vaters. Er
war aber aueh zugleich eiu nierkwurdiges Seitensttick zu
seinem altesten Bruder Friedeniann, der bei gleichen
Gaben mit tieferem Wissen und mit weit iiberlegenen
Kraften, wie er an den Klippen strandete, an denen das
Leben grade die bevorzugten Geister so gern vomberfuhrt,
um ihre Aechtheit im Kampfe zu ^priifen und — wenn sie
sich nicht bewkhrt, sie an ihuen zerschellen zu lassen.
Wiirde es sich lohnen mit miihsamer ^orgialt heraus-
zosuchen und der jetzt lebenden Generation darzule^en,
was etwa an Kornern edlen Goldes in semen Arbeiten ver-
slreut gefunden werden konnte? Joh. Christian Bach
hat seine Zeit und in ihr seine Kunst nicht gefordert.
dass er der Sohn des grossen Sebastian war? rettet
dos einst Vielbewunderten vor Vergessenheit.
— 150 —
Capitel IX,
Wilhelm Friedemann Back,
der Halliscke.
Wird dies traurige Schlussurtheil iiber ein verfehltes
Leben nicht auch auf Wilhelm Friedeniann Anwendung
finden, der, Sebastian Bach's Erstgeborener, vor allem
die Aufgabe zu erfiillen gehabt hatte, den Namen, den
ihm ein seltenes Geschick in so reinern edlen Qlanze iiber-
wiesen hatte, fleckenlos zu erhalten, dcs Vaters kiinstleri-
sche Thatigkeit im Sinn des Fortschritts weiter zu fiihren,
die Kunst selbst als ein heiliges Vermachtniss zu betrach-
ten, das ihm jener^ von unendlich hoherm
Reichthum und Sehiatze dieser Erde? hmfcerlassea
Mit.soiiiBer^liclieni Zweifel weiit der Blick der Nachwelt
^tuf Tdiesem Lieblingssohne des grossen Tonsetzers, in dessein
6teiste die seltenen Gaben des Vaters neu veijiiDgt empor-
zubliihen schienen.
Wilhelm Friedemann war im Jahre 1710 zu Wei-
mar geboren, der erste von den 21 Kindern Seb. Bachjs,
der fUteste seiner 12 Sohne.
Mit weloher Liebe hatte der Vater dies en Sohn em-
pfengen, gehegt, unterrichtet, erzogen!.
Von seiner Jugend ist kauin mehr bekannt als von
der EmanueTs. Man weiss nur, dass sich in ihm sehr
frtih die seltenste Befahigung fur die Musik zeigte, dass
er im Clavier- und Orgelspiel bald Meister war und der
verwickeltsten Aufgaben im Contrapunkt mit spielender
Leichtigkeit Herr wurde.
Als Sebastian Bach im Jahre 1722 von Cotben nach
Leipzig zog, war Frie demann 12 Jahr alt. Damals be-
reits hatte der Vater fur ihn seine 6 Sonaten oder Trios
— 151 —
fur 2 Clavlere mit obligatem Pedal geschrieben, um ihn
fur das Orgelspiel vorzubereiten 1). Wer diese wunder-
baren Stiicke kennt, der wird erstaunt sein 211 erfahren,
dass sle fiir einen 12jahrigen Knaben gesetzt waren. Nicht
weniger aber wird es ihn mit ehrerbietiger Bewunderung
erfullen; dass es dem Vater vergonnt gewesen war, in diese
Knaben-Sonaten einen solehen Schatz harmonischer Tiefe
und Kunst, eine so eigenthiimliche Besonderheit der Ge-
danken niederlegen zu diirfen. Friedemann's Auffas-
sungsfahigkeit war eben seinem grossen Gedankenfluge
bereits gewachsen.
Aber er sollte nicht bloss Clavier- und Orgelspieler
werden. Aus eigner Erfahrang hatte Sebastian gelernt3
dass ein Tonsetzer, der iiber die Gewdhnlichkeit hinaus
will? vor allem der Violine ah des Hauptinstruments fiir
Orchester- und Kamniermusik Herr sein miisse. So liess
er ihm von seinem 15. Jahre ab durch den damaligen
Herzogl. Merseburg'schen Concertmeister J. J. Graun,
der spater in die Kapelle Friedrichjs des Grrossen ge-
treten ist, Untemcht auf der Violine geben, damit er nach
der Natur dieses Instruments setzen lerne. Durch diesen
Unterricht ist Friedemann ein vorziiglicher Violinspieler
geworden.
Dass er zugleich die Thomasschule besuchte? ist selbst-
verstandlich. 37!Nach oflfentlicher Valediction von derselben *
schritt er zu den hoheren2) Wissenschaften auf der Uni-
versitM-t Leipzig^ allwo er unter den Professoribus Joches
tind Ernes ti die Philosophic und insbesondere unter
Dr. Riidiger die Vernunftlehre studirte. Ueber die In-
stittttiones faort© er die Herren Dr. Kdstner und Dr. Joa-
dbito uiid bey diesem letzterm besonders die Pandecten,
bey dem Harm Dr. Stieglitz Wechselrecht, und bey den
Herren Profes&oribas Haussen und Eichter die Mathe-
1) Forkel, Sefe. Back's Leben und Warke. S. 60.
2) Marptiirg?s Ms&yf. Mi Beitr%a B^. I. S, 4B1.
matik." Diese authentischen Mittheilungen zeigen, dass
die Studien7 denen Friedemann in Leipzig oblag, keines-
wegs bloss forraeller Natur gewesen sind. Die Mathematik,
erne Wissenschaft, die im vorigen Jahrhundert vielfach
auf die Theorie der Musik und die Ausinessungen der Tone
angewendet wurde, hafc er spater noeh, als er in Dresden
Organist an der Sophienkirche geworden war? bei dem
7jSehr geschickten Commissions-Rath und Hoftaathenaatikus
Walz" fortgesetzt und ,?dabei noch die Algebra fleissig
geubt."
So hatte, wenn sckon seine JSchulzeit in jene Epoche
der Thomasschule gefallen war? in der sich unter deni alt-
gewordenen Rector J. H. Ernesti eine gewisse Auflosung
der Disciplin und inneren Ordnung eingeschleppt hatte,
doch seine wissenschaftliche Bildung eine sorgfaltige und
grundliche sein miissen. Mindestens hat es ihm an der
Gelegenheitj solche zu erwerben, nicht gefehlt. Gleiehzeitig
war er zum vollendeten Musiker herangereift? der seiner-
seits den Schiilern seines Vaters Unterricht zu ertheilen
yermochte. Unter Anderen gab er im Jahre 1730 , also
da er 20 Jahr alt war? an Nicheimann Cl^Tief-
Unterricht J); wahrend dieser bei seinem Vater die Theorie
der Musik studirte. Und dass dieser Unterricht kein ge-
ringer gewesen sein kaun? ist d^raus ersichtlich? dass
Nichalnxann spater gkickzeitig mit Em. Bach in der
Kapelle Fri^dridbi's des Orossen als Cembalist fun-
girem konnte.
Seb. Bachjs Lie|)^ war yprzugsweise diesem seinem
Erstgebornen zugewendet? der^ wie er glaubte^ ihn selbst
weit iibertreffen wtirde. Er trennte sich nur- ungern von
ifam und nahm ihn? wenn er auf Reisen giag^ mit sicb.
J7Friedeinann?" pflegte er zu sagen, wenn es nach Dresden
gehen sollte^ wohin ihn die beruhmte Oper unter Hasse's
Leitung und mit dem Wundergesange der Faustina zog
Marpurg's histor. farfi ^^ge. Bd, I B.
— 153 —
— nwollen wir nicht einmal wieder die sehonen Dresdner
Liederchen horen?u Die Vorliebe fiir die Begleitung
dieses Solmes anf Reisen hieit bis in seine spate.ste Lfbens-
zeit an. Es ist bekannt, dass er ilin noch iin Jahre 1747
auf der Reise nach Potsdam zu dem grossen Konige rait
sich genommen hat.
Ueberhaupt scheint Friederaann niit seiuein sinnigen
traumerischen Wesen und seinein in musikalischer Be-
ziehung sich ganz und gar in die contrapunkti-schen Tiefen
der Kunst versenkenden Streben eine Vertrauensperson fiir
den Vater gewesen za sein, der wohl kauni ahnen konnte,
zu welcheii Folgen bei der besondereu Riehtung seiner
musikalisehen Anlagen dieses starre Anklaramem an den
formellen Theil der Kunst ; dieses einseitige Erfassen der-
selben fiihren werde. So beauftragte er? der dainals krank
war, im Jahre 17297 als Handel von Italian aus vor sei-
ner Riickkelir nach London seinen zweiten Besueh in Halle
machte, den 19jahrigen Sohn, dorthin zu fahren nnd den
beriihmten KunstgefUhrten zu ihrn nach Leipzig einza-
laden. E^ ist bekannt, dass diese Sendung keinen Erfolg
hatte? da Handel das Zusainmentreifen uiit Seb. Bach
zu vermeiden suchte1).
In jedem Falle hatten diese Reisen, der bevorzugte
Verkehr mit dem Vater und die Bekanntschaft niit den
vielen grossen Kiinstlern, die dessen Haus besuchten, dazu
beitragen konnen, Friedemann's Gesielitskreise zu er-
weitern, seine Ansiehten und das Verstlindniss fiir die Auf-
gabe seines Lebens abzuklaren? seiner Bildung einen imi-
Gharakter zu geben. WoH kaum konnten all©
hiefiir in ^idherem Grade vereinigt werden,
als irie sie sich eben ihm darboten.
Mehr und naehr suchte der Vater sich ihm geistig
mitzutheilen, die ganze Kraft und Fiille seines gewaltigen
Wissens tind Erkennens auf ihn zu tibertragen. Sem
Bitter, J. S. Baefe, Tk IL a 5.
— 154 —
Bruder Philipp Emanuel durfte daher auch mit Recht
von ihm. sagen1): ??Er konnte unsern Vater eher er-
setzen, als wir alle zusammengenoramen."
Er war nach Allein, was von ihm bekannt geworden,
der starkste Orgelspieler seiner Zeit. Seine Fertigkeit und
Gewalt auf diesem Instrumente waren unglaublich. Der
Zuhorer traute, indem er dem wunderbaren Gange seines
Spiels folgte, seinen Augen und Ohren nicht2). Die Hoheit,
Wiirde und Macht desselben erregten heilige Schauer.
Seine Phantasien waren so reich, neu und fremdartig tiber-
raschend, dass ofters selbst der geiibteste Harmonist Miihe
hatte seineni Schwunge zu folgen3). Fork el sagt von
ihm4): J?Wenn ich ihn auf dem Klaviere horte; war alles
zierlich, fein. Horte ich ihn auf der Orgel; so tiberfielen
mich heilige Schauer. Hier war alles gross und feieiiich."
Von Friedemann's alteren Compositionen ist ausser
einzelnen kleincn Studienstiicken so gut als Nichts bekannt.
Es ist daher auch sehr schwer zu sagen, wann und wie
sich sein CoiBpositionstalent entwiekelfc habe'. Seinea friihe-
sten Arbeiten gehoren offenbar die dein Genre der damals
teSebten Charakterstucke beizuzahlenden 1, La Revoilte
und 2. Limitation de la chasse an? von denen sich Ab-
schriften auf der K. Bibliothek zu Berlin betinden. Beides
sind kleine Salonstiicke in dem heutigen Sinne des Worts,
ohne eine gewisse Eleganz gesetzt,
Das ersiere, in 0-dur Allabreve,
iszr
i) Leipz. Allg. Hus.-Z, H, S. ^9,
^) Reiebardt, Mas. Almanacli. 1796.
3) Mus. Almanacb (Scfawickert), 17^. S. 120.
4) Leben und Werke Seb. BaMiya S. 1$.
— 155 —
ist leicht dahinspielend, sehr gefallig, voll von Leben, viel-
faeh modulirend und ohne Anspruclae an besondere techni
sche Fertigkeit.
Das zwelte? 0-dur 2/47
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ist hochst charakteristisch , vielleicht nicht durchweg als
jagdmassig zu betrachten? obschon es ofenbar eine iiber
Stock und Stein dahineilende Parforccjagd darstellen soil.
Es erfordert wegen des fortwahrend nothwendigen Ueber-
schlagens der Hande eine gewisse Uebung und vorgesehritte-
nere Technik.
Die Art7 wie dieses Stiick gesetzt ist, und der
rakter der Reveille , welche ofFenbai* den Stticken
Coaperin und Muff at nachgeblldet ist, zeigen eben^
diese Compositionen der Jugendzeit Friedemann's aa-
gehoren musseix. Dies darf um so mehr als wahrscheinEeti
aHgenOBana^n werden^ als bekanntlich Seb. Bach else
gros&e Verehrung fiir (Jouperin und die franzo-^ische SpM-
art hafefce; dies iBn^fc© sieh auf sdtaa Schiiler u
— 156 —
wie das Beispiel Ernanuel Bach't* deutlieh beweisst. Von
dlesem Gesichtspunkt aus und als Zeichen des Bildungs-
ganges, den Friedeinann's musikalische Entwickelung
genommen hat, sind beide Stiicke jedenfall% von nicht ge-
ringem Interesse.
Friedemann, der weiterhin so viel Proben eigen-
thtimlicher Lebensfremdheit gegeben hat, dass von ihm
allein mehr Anekdoten aufbewahrt sind, als von seinem
-Vater imd seinea Briidern zusainraengenominen, sclieint
sehon als junger Menscli zerstreut und sonderbar genug
gewesen zu sein, tun 'selbst mit der beschrankten Umgebung
des Hauses nicht ausser Conflict zu bleiben.
Er war em vertra liter Freund von Doles, der wah-
rend der Dreissiger Jahre im Hause seines Vaters die
Musik studirte. Einst wollte Friedeinann diesen auf
seiner Stube besucheu, fand ihn dort aber nicht und setzte
&ich, um ihn zu erwarten, an den Tisch? wohin man eben
db» Abendessen {fir Doles auf Kohleu gestellt hatte1). In
seine Tr£umereien versunken ? niixrat* er das Essen herunter,
es bis auf den lezten Rest *und w&3* danix zu
Familie zum Essen gerufen. Ruhig raumt er zti1
sammen, steekt dabei llesser, Gabel nnd Loffel in die
Tasche, setzt sich mit den Seinen wieder zu Tisch und
speist ohne Weiteres noch einmal. Doles kommt nach
Haus7 iindet das leere Oeschirr? vermisst sein Besteck,
fragt, wer attf seinem Zimmer gewesen? hort; dass Fri ede-
ma urn dort war, geht zu ihm und macht ihin Vorhal-
tangen dartiber, dass er sein Abendessen verzehrt und sein
Besteck mitgenommen habe. Dieser sehr erstaunt weist
die Zitmuthung des Freundea ab? und wird? als dieser sein
Besteck von ihm zuriickfordert? im liochsten Grade auf-
gebracht Er springt auf und droht Doles; dass er ihn
zum Diebe Aachen wolle. Dieser, dem starken tind faust-
rechten Gegner nicht gewaehsen, fiieht*, Friedemann will
Allg. Leipz. Mas.-Zeit H, (180D)
— 157 —
ifaza nach? seine Geschwister halten ihn? man hurt das Klap-
pern in seiner Rocktasche und zieht das Bestec-k heraus.
Fried emann sfcutzt Er rnft den Frexmd zuriick und
bittet ihn uin Verg-ebnng. Wahrend aber die Anderen
iiber seine Verkehrtheit lachen? weiss er niclits zu sagen,
als: „ Wo ieh nur all den Appetit herbekomnien haben uiag!"
Unter solchen ausseren imd inneren Verhaltnissen war
Friedemann zum Jangling herangereift und hatte end-
Hch ein Alter erreicht, in welehem er nacli der >Sitte der
Vorfahren und dem (lebrauche der Zeit seine Kritfte pru-
fon? sich Haus und Herd selbst griinden sollte. Die iStudien-
zeit war mit deni 23. Lebensjahre voriiber. Nichts koimte
ihn mehr veranlassen, in deni von Greschwistern und Schfi-
lern uberfiillten Hanse des Vaters zu bleiben.
Im Jalire 1733 war die Organistenstelle an der Sophien-
kirche zu Dresden erledigt. Am 7. Juni naeldete er sich
von Leipzig aus mittelst folgenden dort ani 12. Juni prilsen-
tirten Schreibens uni die Stelle1):
,.Magnifice!
HochedeJgeborne, Hoch- und Wohledle , Hoch- und Wohlgelahrte,
auch Hoch- und Wohlweiae Herren, Hochgeneigteste Gonner.
Eu. Hochedelgeb. Herrlichk. sojiderb«ire G-iite und Sorgfalt, mit
welcher Dieselben jedermannt so nnr Dero hiilfreiche Hand ver-
langet, zugetban, kan varitzo genug seyn, inich in meiner Hoffiniuig
zu unterstutzen 5 Massen iiberdiess Eu. Magnslic. u. ILochedelgefe.
Herrlichk. angebohrce Leutseeligkeit mich last zwingen solte zu
glauben, es werde auch vor diessmabl inline unteithiinige Bitte eini-
germassen statt finden. Es wird nehmlich Eu. Magnific. und Hoch-
edelgeb. Herrliehk. nicht unbewust seyn , Was massen der Herr
Pezold, gewesener Organist bey der Sophien-Kirche dieses Zeitliche
gesegnet, und also dessen vacante station mit emem subjecto wiedeir
zu ersetzen; Wenn demnach !>ey Eu. Magnific. und Hochedelgeb
Herrlichkeit als einen competenten mich gehorsarast meldeii wolte
(obgleich Derer kein Mangel seyn dorfffce). Als ergeht an E®,
Mag-aific. und Hochedelgeb. Herrlichk. meine unterthanige Bitte, da»»
dieselben gnadig gerahen wollen, bey dieser Yacaace meine Wen%-
keit IB hofae Consideration zu ziehen, und nebst anderen Competenten
micfa zsr Probe gaEdig zu admittiren.
i) Aeta des Btadt-E^^ sn Dresden, clen Organistendienst an <fer J
Sophienkirobe betr. 173B— 18A Sect III €0^, YII. No. 67. Pol. 1^ "
— 158 —
Vor diese hohe Gnade verharre Zeit LebeBS in devotesten respect
Eu. Magnificence und Hochedelgeb. Herrlichk.
gantz untertbaniger gehorsamster Diener
Leipzig d. 7. Juny ao. 1733.
Wilhelm Friedemann Bach."
Eigenthurnlich genug nimint sich dies Schreiben aus,
wean man daran denkt, dass dasselbe von einem jungen
Manne herruhrte, der nach erlangter wissenschaftlicher Vor-
bildung auf der Thomasschule 4 Jahre * lang zu Leipzig
die Rechte und die Philosophie als sein Ilauptstudium ge-
trieben hatte.
Der Brief ist tibrigens ganz von seiner Hand, in sehr
ausgeschriebener, fester, an Sebastian Bach erinnernder
Handschrift geschrieben l) und mit den eigenthiimlichen
Redewendungen jener Zeit, wie man sieht, reichlich durch-
flochten.
An demselben Tage ging ein zweites Sctreiben
in sehr ahnlichen Ausdrtcken (siehe Anhang II.) an
den Apellationsgeriehtsrath coad Stadtsyndictis Schr&t^?^
damals Consul regens ( dirigireBder Biirgermeister) zu
Dresden ab? in welehem die gleiche Bitte vorgetragen
wttrde? und welches sich gleiehfalls in eigenhandiger Sehrift
Wilhelm Friedemann?s durch eine in sonderbarem
Franzosisch geschriebene Adresse auszeichnet. Der genannte
Biirgermeister scheint ein personlicher Gonner der Familie
Bach gewesen zu sein. Denn nachdem bereits im Monat
May verschiedene andere Gresuche um dieselbe Stelle ein-»
!) Anch Friedemannjs Notenscnrift war der des Vaters nicht
unahnlieb, zumeist fesfe und bestimmt. Correcturen finden sich bei
ihm niebt baufig. Dagegen benutzte anch er die leeren Systeme
seiner Partitaren in den Cantaten, um diese mit Arien und Recitativen
zu flillen. Am Anfange der Gantaten findet sicb nicht selten das
von Sebastian Baeb her bekaunte J. J. (Jesujuva) und amBcbluss
das S. D. a. (Soli Deo Gloria).
Ware er weniger di^en Aeus^riMikeiten des Vaters gefolgt, als
dessen grossem Streben, seiner klaren Gewissenhaftigkeit gegen die
Kunst und die Mensehen, seinem ileiss und der Treue des Haudelns
gegen seine Familie!
— 159 —
geg&ngen waren, wurde auf dieses personliehe Schreiben
sofort unterm 9. Juni verfiigt1): 77dass auf nechstkornraen-
den 22. Juni IStaehmittags urab 3 Uhr in der Sophien-
Kirchen auff dasiger Orgel von Wilhelm. Friedemann
Baehen, Christoph Schaffrathen? und Johann Chri-
stian S toy en eine Probe gerichtet und sodann einer imter
ihnen, der am besten bestiinde7 zum Organisten in be-
ineldter Kirchen erwehlet werden sollte."
Das Protokoll tiber diese Probe ist im Anhange ab-
gedruckt. Weshalb andre Competenten 7 als Christian
Heinrich Grabner, der in seiner Eingabe yom 28. May4)
sagt? dass er ??durch geschickte Anfuhrung des be-
riihinten Organisten in Leipzig y Herrn Kapellmeisters
Bach, qualificirt gemacht sei;" ferner Johann Samuel
Kayser? KcinigL Kammennusikus zu Dresden? Johann
Gottfried Stiibner, Organist zu St. Annen, und Carl
Hartwigj Theol. und Mus. stadiosus7 der sich? wie er
anfuhrt, ?7von Jugend auff zum Clavier appliciret, wie er
dann vom Capellmeister Bach in Leipzig profitiret3)?"
warum diese Personen zur Orgelprobe nicht zugelassen
worden sind? obschon sie sich rechtzeitig gemeldet hatten,
das ergiebt sich aus den Acten nicht
Die Probe fand in Gegenwart des Kapellmeisters
Hebenstreit statt. Dieser erklarte sich fiir Friedemann
Baeh? der denn auch am 23. Juni7 da er ??nach aller
Musicorum Ausspruch und judicio als der beste und ge-
schickteste anerkannt und er sich auch bei der Probe am
besten exhibiret? wegen seiner Geschicklichkeit" einstimmig
zaim Organisten der Sophienkirche erwahlt und ihm fol-
gende Instruction ertheilt wurde4):
1) A<^a des SW^Ratfes. Pol. 12.
2) Ibid. FoL X
s) IfoM. Foi &
Foi 3J& iC
— 160 —
„ Instruction
vor Herrn Wilhelm Friedemann Bach,
Organisten bey der Sophien-Kirche.
Demnach nach Herrrn Christian Pezold's gewesenen Organisten
in der Sophien-Kirche allhier erfolgtem Ableben, nnter anderen Compe-
tenten sich Herr Wilhelm Friedemann Bach zu solchem vacanten
Dienst angemeldet, er auch bey gehaltner Piobe seine Geschicklich-
keit auf der Orgel in besagter Kirche dergestallt erwiesen, dass er zu
solchem Dienste genugsam qualificiret erfunden worden, Und wie
denn seinem Suchen statt gegeben; Als wird gedachtem Herrn Bach
sothaner Organisten -Dienst in der Sophien-Kirche dergestalt hiemit
conferiret, dass er solchen mit allem Fleisse verwalten, den Gottes-
dienst, so offt er ihn durch Spielen auf der Orgel zu versehen hat,
ohne Noth und ohne erhaltene Erlaubniss nicbt versaumen Oder doch
ein solches subjectum, welches auf der Orgel zu spiel en geschickt
ist, vor sich bestellen, nicht weniger auch sieh der gleichen Art, so
sich zur Andacht schicket und dem Gehor annehnilich ist, zu spielen
befleissigen, das Orgelweik gebuhrend in Acht nehmen, und darnit
kein unnothiger Bau daran verursacht werde, verhiithen, auch solches
alle Sonnabend gehorig stimmen, mit dem Cantore und denjenigen
Sehul- Collagen, die in solcher Kirche das Musiciren und Singen ver-
ri^hten, sieh friedlich vernehmen, iibrigens aber alles dasjenige, was
die Enre Gottes befordert, wohl in Acht nehmen und allenthalben
und wie einem gottesfttrchtigen geschiekten und treuen Organisten
geaaemt und zukommet, sich verhalten solle. Dagegen soil ihm das-
jenige, was zur Besoldung und anderen Emolumenten geordnet und
der vorige Organist genossen, willig gereichet werden. Urkundlich
ist diese Bestallung und Instruction unter unsrer und Gemeinde Stadt-
Insiegel, auch gewohnlicher Unterschrift ausgestellet worden.
So geschehen Dresden den 23. Juny 1733."
„ Diese Instruction ist Hr. Bachen, wie vormahls gewohnlich,
von dem Rathe allein unterschrieben, gegeben und eben so zur con-
fenatK>n beym Ober-Consistorio prasentirt worden, welches nach-
rfdbtJi^ anher angemefket worden, den 30. Jun. 1733,
D. Schroter."
Diese Bestallung und Instruction zeigt, dass Friede-
mann bei der eigentlichen Barcheniniisik nicht anders als
behufs der Begleitung an der Orgel zugezogen und ledig-
lich und ausschliesslich als Organist betrachtet wurde.
Es ist von Bedeutung? dass dies hier angemerkt werde?
weil es anderen Voraussetzungen gegeniiber dazu beitragt?
seinen spateren Abgang von Dresden und die Annabme
der Stelle an der Liebfrauenkirclie zu Halle zu
— 161 —
Sein Gehalt betrug jahrlich 79 Rthlr. 19 Ggr. 6 Pf.,
femer 80 Thaler Zulage und 3 Fass Bier oJer 5 Thaler
Tranksteuer-Benefiz1). Dasselbe war nicht von Bedeutung.
Wie bei alien solehen Stellen musste der Nebenverdienst
durch Unterricht und Composition das ITeiste thun. Ob
und welehe sonstigen Emolumente hinzugetreten ? 1st nicht
bekannt.
Die Uebergabe der Orgel land (siehe Anhang I.) ana
1. August desselben Jahres statt, naehdeui Friedemann
bereits am 11. Juli die Schliissel zu derselben erhalten
hatte. So war er sein eigner Herr geworden und unter
verhultnissmassig gunstigen Umstanden in die Laufbahn
eingetreten3 in der so viele seiner Vorfahren In bescheidenen,
oft sehr Urmlichen Verhaltnissen zur Ehre Gottes gelebt;
gewirkt und gedarbt batten und In der sein Vater zu
einem grossen Manne geworden war. Losgelost aus dem
Kreise der Familie? der ihn bisher umgeben, fand er duch
noch imnier seinen Haltpunkt in seinem Vater, der ofters
Dresden besuchte^ dort Goncerte; zunial auf der schonen
Silbermann'schen Orgel der Frauenkirche gab und ihm
wohl nach. wie vor niit Eath und That zur Seite stand.
Ueber seine ausseren Lebensverhaltnisse in dem neuen
Dienste 1st so gut als nichts bekannt. Wenn. wie welter-
hln bemerkt werden wird? sein Leberiswandel ansto.ssig
gewesen sein soll? so sind fiir eine solche Aunahme Beweis-
mittel nach keiner Seite hin vorhanden. Ini Cj-egentheil
scheint es; als ob er still und anstandig gelebt? Uiuerrieht
ertheilt7 hie und da einiges componirt habe, Aus dem
welter unten angefiihrten Briefe vom 1767 an die Chur-
fiirstin Marie Antonie ersieht man, dass er wahrend
seines Dresdner Aufenthaits Goldberg's Lehrer war, der
Das j«tssige fete Einkommen der ir. Stelle 1st in den mehr-
tefi Acten Fol. 127 yerso dorch die deio fetzten Erwerbcr der-
i. J. 1^8 ^tWlfee lastraction auf nicbt metir als 124 Ethlr.
Or. 3 Pf. £es£gese&t~w0rctei, aJso auf circa 40 Kthlr. geringer als
Bitter, EmaauelmMiFriedemiBaBAcli. IL 11
_ 162 —
damals im Dienste des Grrafen v. Kayserling stand und
ein tuchtiger Clavierspieler gewesen sein muss, da Seb.
Bach im Jahre 1742 fur ihn seine beriihmte Arie mit den
30 Variationen geschrieben hat.
Friedemann's schlimme Oharakterseiten sind offen-
bar erst spiiter, zumal nach seines Vaters Tode7 zum Vor-
schein gekommen.
Wie sehr er fur seine Kunst und alles was ihr an-
gehorte Interesse hatte; zeigt unter Anderen ein Gredicht,
das er nach der Einweihung der oben erwahnten Siber-
ia ann'sch en Orgel verfertigt hat1):
^Kann was natiirlicher als vox Humana klingen?
Und besser als Cornet mit Anmuth scharf durchdringen?
Die Grravitat? die nur in dem Fagotto liegt,
Macht? dass Hr. Silbermann Natur und Kunst besiegt."
In Dresden hat Friedemann einige Instrumental-
sachen gesetzt. Kirchenmusiken scheint er hier nicht ver-
fa^t zu haben, zumal ihn sein Amt zu d^en Coaoaposition
nieht unmittelbar yeranlasste. Zu andauerndem Ileisse
kann er es nicht gebracht haben 7 da sonst mehr Spuren
von demselben sichtbar sein miissten.
Sein grosses und phantasievolles Spiel auf der Orgel
und die ausserordentliche Schwierigkeit der Aufgaben, die
er in seinen offentlichen Kunstle^stungen zu losen unter-
nlthm, scheinen schon damab im Publikum die Ansicht
f^rbreitet zu hab^n, dass er nicht anders als sehr schwer
schreiben konne. Dies zeigte sich zuerst bei der von ihm
beabsichtigten Herausgabe von 6 Clavier- Sonaten. Er
mochte eine Ahnung davon haben, dass seine Compositionen
i) Alte und neue Curiosa Saxonica. 1737. S. 64. ,,Uel>er die
Silbermann'sche Orgel."
Es heisst dort: ,5Von dieser Orgel hat der Organist zur LiebeB
Frauen in Dresden, Herr Christian Grabner, In seiiem eanniae
gratulatorio anHm. Silbermann Boch angemerket, dass sie
€000 Pfeifen iabe, und Hr. Wllhelm Friedemann Bacfey
zu St. Sophien, riihmt von sokher Orgel folgendes:
— 163 —
kein grosses Publikum finden wiirden? und so Hess er, ge-
wissermassen als Probe, zuerst erne derselbtm unter dein
Titel: ,,Sei Senate per il Cembalo, dedicate al Sign. Gr.
Ernesto Staid, Gonsigliere della Corte di S. M. il Ee di
Prussia, Ellettore di Brandenburgo, ecomposte da G-uigli-
elmo Friedenianno Bach (in Verlag zu Laben 1. bey
dem Autore in Dresden, 2. bey dessen Herrn Vater in
Leipzig und 3. dessen Bruder in Berlinj", erscheinen.
Aber Niemand wollte sie kaufen, angeblich ,,weil Xieraand
sie spielen konnte." Hinter oinem in der K. Bibliothek
zu Berlin befindliclien Exemplare findet sieh deshalb die
Bemerkung eingeschrieben : 77die dem Titel nach fehlenden
3 Sonaten sind nicht erschienen, weil das Publikuni es
dem Verfasser an der zur Herausgabe nothigen Unter-
^lutasang feblen liess."
Es ist aus dieser Sammlung tiberhaupt nur eine Senate
erschienen, welcher folgende Widmung vorgedruckt war:
Signore e Padrone Colendmo
Non havendo mai havuto I'occasione di far vedere publicameEte
la riconnoscenza, allaquale Thonore della Sua aimeizia, e Sua bonta
molto particolare verso di me m'obligano: Oso di valermi della pre-
sente, dedicando a V. S. IHnstnn*. quaiche prove del mio studio in
musica, e supplicandola di ricevere la buona volonta come un pegno
della mia grandissiino divozidne. Se il prezo del mio lavoro uon
conviene al Suo gran nome, io so almeno per certo. che mai una
dedicazione, sla fatta con una venerazione Hguale a qnella, che mi-fii
sottoscrivere
de V. J, Illuatrissima
osservandissimo devotissimo
servo1)
Quiglielmo Friedeinanno Bach.
Dresda, il 16. Marzo
i) Anf deatseli: Da ich nie Gelegenheit gdfenden habe, ciffentlicli
von der Erkenntlichkeit Zeugaiss abzulegen, zu der mich die Elire
Hirer Fretuadscliafl und ganz besoiKleren Giite verpfliehten: so wage
icb es, diese durch Gregenwartiges gel tend zn machen, indem ich Ew.
Sarrfleiikelt elnig© Ergebuisse Badioer nmsikaiisclieii Thutigkeit widme
Sie bitta, dea gatea Witei als ein Ffaad mimr grosaesten Er-
der W«rt& meiner Arbeit
li*
,~ 164
Man sieht, dass dergleichen Phrasen auch von Dresden
aus in italienischer Sprache in die Welt geschickt werden
mussten. Welcher Art das yon dem angesehenen Kiinstler
so gepriesene Verhaltniss des preussisclien Hofraths zur
Kunst und zu Friedemann Bach. gewesen, hat sich nicht
ermitteln lassen. Man begegnet dem Namen la Stahl
auch bei EmanuelBach in dessen kleinen Musikstiicken.
Die Sonate selbst ist in dem Styl geschrieben, in
welchem die demselben Jahre angehorigen Wurtember-
gischen Sonaten Emanuel Bach's gesetzt sind, der
damals zu einer Badekur nach Teplitz gegangen war,
bei dieser Gelegenheit Dresden beriihren musste und sich
ohne Zweifel bei seinem Bruder anfgehalten hat. Die
Sonate besteht aiis 3 Theilen und ist in alien Satzen
streng dreistimmig durchgefuhrt. Sie beginnt mit einem
Un poco Allegro, D-dur %,
ES
=3PT:
a.
(\mrg-
* P~1
=T=F)
»-^»
L_
Rn
' ~y*
...
L_^
^%
".
i—it
i
das zweinial von kurzen, wie schmerzliche Seufzer wirken-
den Adagio^s unterbrochen? allerdings hie und da in den
Gedanken und ihrer Verwendung complicirt und aueh
grossen Namen nicht entspricht, so bin ich mindestens dessen gewiss,
dass nie eine Widmung mit ^eer gleid^n Yerehrung wie dlese er-
folgt ist, in der ieh mich unterzei&bne efce.
— 165
(lurch die sonderbare Idee, elnen Theil der Unterstimiaen
im Altschliissel zu setzen, ungewohnlieh erscheint und fur
Liebhaber im gewohnlichen Sinne keineswegs geeignet ist^
dessen Technik aber durchaus nicht besondere Schme-
rigkeiten bietet. Einige der Gedanken sind neu imd
frappant? andere sind melodios, das Ganze in hoheni Grade
interessant, freilich mehr die Aufmerksamkeit rege haltend?
als auf das Gefuhl wirkend.
Dies steigert sich in dem folgenden Adagio:
r
r r •
j — ,
> qps - *_
> *u
Cf r
H" — r
]
Der tiefe Ernst? der in diesem Satze liegt, und die wunder-
bare polyphone Gestaltung desselben? wie sie sich mit
einer hochst eigenthtimlichen und genialen thematisehen
Arbeit verbindet7 gehen weit uber das Maass desjenigen
hinaus, was ein Tonsetzer? der sich in die Oeffentlichkeit
einfuhren will, dem grosseren Publiknm bieten darf. Seiche
Stucke arbeitet der Kfinstler fur sich und fur wenige Aus-
erlesene. Kommen dazu Stellen7 wie:
— 166
i
wo die durchgehenden Toiie mit ihren Harten, der folgen-
den Auflosungen tmgeachtet? dem Qhre wehe thun? so war
es In der That nicht zu yerwimdern, dass man Bedenken
trng7 sich Knnstwerken mt*W6Bden7 in denen deB Be^irf-
Bi^eB mud Wimsdtem des PribBkums so wenig Redlining
getragen war.
Kicht viel anders ist es mit dem dritten Satze (Vivace
D-dur? Allabr.)7 dessen fur die damalige Zeit geniale
Einzelnheiten? wie z. B. folgende sich mehreremale in ver-
schiedenen Modulationen wiederholende Stellen
i
— 167 —
tiber die Abstractheit der ganzen Composition fort-
helfen. Es fehlte ihr der Gesang Em ami el Bach's und
der immer frisch ausstromende, nie in kleinliche Spielerei
oder Gedankenleere abweichende Geist des Vaters.
War bei der obigen Sonate der Yorwurf, dass sie
Niemand spielen konne? in jedem Falle unbegriindet, so
war im Ganzen doch das Publikmn ilir gegeniiber in
seinem Rechte. Die weitere Herausgabe der anderen
Sonaten unterblieb.
Spaterhin? noch in Dresden, gewann Friedemann
es fiber sich, dem Geschmaeke des Publikuins nalier treten
zu woilen. Er kiindigte ein Dutzend PolonaLsen fur das
Clayier an. Aber man war der Ansicht, dass, well sie
von ihm kamen? sie notbwendiger Weise zu schwer sein
mtissten und abermals wollte Niemand sie kaiifen1). Und
dock sind diese Polonaisen Meisterstiicke ihrer Art'2). Es
sind nicht Polonaisen im engeren Sinne des Worts, sondern
Musikstucke im 3/4 Takt? in den en das tanzartige Element
vor dem edlen und tiefen Inhalt, der in sie gelegt 1st,
vollstandig und der Art zurucktritt, dass keine einzige
der Nummern tiberhaupt im Tanztempo gespielt werden
kann, und nur wenige annahernd daran heranstreifen. Es
sind Stucke von verschiedener? theils ernster? theils heiterer
und grazioser Charakteristik , etwa in die Kathegorie der
? jpetites pifeees^ E m a n u e 1 B a ch * s fallend. Einige davon
sind von ausnehmender Schonheit, so Ko. 3. D-dur \4
Allegretto , No. 5. Es-dur 3/4 AIlo. moderate, in 4er sich
die Melcwiie in volliger Freiheit entwickelt? No. 6. Adagio
Es-naoE? mit tief gefiahlten? in der edelsfeen Weise sieh ent-
faltenden Moduiirangen? No. 7. A-dur? Andantino; init
seiaem grmsddsen? fast modern zu nennenden Charakter,
No- 9. F-dnr? Allo. moderato? und No. 10. F-moll Adagio.
Aile zengen laut von der eminenten Kunstlernatur
Jim. Mm&a&efe fit J>&^Mm^ 113&. S. 201.
AMhlMMfetft Ii®|»2% ^Jteeam dflrUJMl^te vua Peters.
~~ 168 —
Friedemann's, der? wenn er wollte, auch gefallig und
schonklingend sehreiben konnte, ohne der Strenge des
Satzes und den Bedingungen eines ernsten fasten Sty Is im
Geringsten zu entsagen. Denn alle 12 Polonaisen "bewegen
sich durckweg in dem der Bach'schen Schule eigenen
mehrstimmigen Satze.
Wohl ist es zu bedauern, dass er fur solche Arbeiten
keine Abnahme finden konnte. Noch rnehr zu beklagen
ist es; dass er die Elemente des Fortsehritts, die in diesen
kleinen Tonstiicken ganz unverkennbar rdedergelegt sind?
nicht gepflegt und entwickelt hat. Ware dies gesckehen,
er wurde unzweifelkaft ein Meister ersten Ranges fur die
damals moderne Richtung der Musik geworden sein. Aber
es blieb auch hier? wie so oft in seinem Leben bei dem
Anlauf. Vielleicht dass ihn die ablehnende Haltung des
Publikums verstimmt und von ahnlichen Arbeiten zuriick-
gehalten hat.
Dem Aufenthalt in Dresden wird noch eine andere sehr
merkwiirdige Arbeit Friedemann's zugeschrieben, namlich
ein Concert fiir die Orgel mit zwei Manualen und
dem Pedal, eine Arbeit, die Sebastian Bach? wie der
Augenschein des in der K Bibliothek zu Berlin befindlichen
Atitographs bezeugt und Fried emann's eigenhandige
Aufschrift: ?>Manu ruei patris descriptum" bestatigt? ftir
wiirdig gehalten hat? ganz Tollstandig abzuschreiben.
Dass dies Concert einer spateren Zeit als der Dresdner
nieht an^ehort, daruber wird kein Zweifel obwalten? wenn
man erwagt, dass der alternde Vater nach dem Jahre 1746
wohl schwerlich sich mit dem Abschreiben eines solchen
Werks werde beschaftigt haben. Indess konnte es auch
den Studentenjahren Friedemann's entsprungen sein,
einer Zeit7 in der Seb. Bach noch haufig fremde Arbeiten,
die ihm gefielen? copirt hat. Vielleicht hat er es bei einein
seiner Besuche in Dresden bei seinem Sohne Friedemann
gesehen und dort abgeschrieben. Das Concert beginnt
mit einer ernsten EinleitUBg (D-moM 3/*)# in der fiber dem
— 169 —
21 Takte lang in % Noten auf D beharrenden Bass die
Oberstimmen durch eine Reilie etwas eintoniger Imitationen
zu lebhaft bewegten , im Brustpositiv scharf markirten
Harmouienfolgen gelangen, die herab- and lieraiifsteigend
in der Haupttonart abschliessen, und vermittelst eines im
vollen Werk eintretenden Grave yon 3 Takten zu einer
zweistimmigen Fuge mit drei Motlven
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uberf(ihren? welche in durchsichtiger Klarheit gearbeitet,
zum Schluss fiber einem 14 Takte lang anhaltenden Orgel-
punkt einen hochst glanzenden Charakter annimmt, sich
iibrigens in ihrem ganzen Bau, so wie in der einfacheren
Tecnnik7 in der sie sieh bewegt? wesentlich von den Fugen
des Vaters unterscheidet.
Ihr folgt ein Largo e spiccato
^ JT1 J rJT3 '
— 170 —
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von weicbem, ausserst melodischem Cbarakter, dessen
Mittelsatz durcb eine Fiille von Modulatlonen der edelsten
Art gehoben, ohne Bass? in schmerzlichem Gresange, wie
ein Euf theilnehmender Liebe aus fernen HoKen hernieder-
klingt, ein Tonsttick, das immer yon Neuem das lebbafte
Bedauern erregt? dass der es gesetzt, sicb so wenig ge-
trieben fiiblte, den Inhalt seiner Seele, seine geistige Tiefe
zur wirklichen und bleibenden Erscbeinung gedeiben zu
lassen.
Der dritte Safe endlich nii^ dem un^niMg fortei^em-
dem, bald Yon kraftiger eingreifenden ernsten Mofiven
Anlang
und dem leidensebaftlidbL erneten Gredankengange ist ^in
Meisterstuck von OriginaEl^t, feuriger Stimmung imd voll-
kommner Beherrschung des Stofis. Die an den Einleltongs-
— 171 —
satz erinnernden Wendungen am Schlusse geben dem
Ganzen ein Geprage jener Einheit und Grosse? die in den
Arbeiten Seb. Bach's so wohlthatig beriihrt.
Durch dieses Concert und die 12 Polonaisen hatte
sich Friedemann als ein Tonsetzer von hoch^tem Range
bewahrt. Dass das Publikum in Dresden, das ihn in seinem
Orgelspiel zu bewundern Gelegenheit genng gehabt, ihn ab
solchen anerkannt hatte ? davon ist freilich nirgends eine
Spur zu entdecken. Es hatte sich nun einmal eine vor-
urtheilsvolle Ansieht gegen ihn und seine Conipositionen
festgesetzt. Sie zu beseitigen hat er spittcr \venig gethan.
Sie hat ihn daher bis in seine letzten Lebensjahre hinein
verfolgt, und ihm selbst da; wo er in der That nicht zu
schwer gearbeitet hatte? wie in einem grosr:en Theile seiser
Sonaten und Clavier -Concerte? so wie in den Fugen die
er spaterhiri zu Berlin herausgeben wollte? die offentlich©
Theilnahme abwendig gemacht,
Freilich trat auch bald genug die Zeit ein, in der
das Interesse fur den strengen Styl in der Musik erlosch
und diejenigen? die sich von ihm nicht abwenden mochteB,
mehr und mehr vereinsamt dastanden.
So blieb er 13 Jahre lang in Dresden, bis in der
Nahe seiner Vaterstadt Leipzig, zu Halle, eine Stelle 6r-
ledigt wurde, deren Vorziige ihn veranliusten? sein^n
dortigen Dienst aufzugeben. Das im Anhange abge-
druckte Schreiben vom 16. April 1746 sagt in it Be-
stimmtheitj ,?dass er seine Uerbeaseruiig ausserhalb
Dresden anderweitig gefonden." Als Nachfolger schlug er
dem Rathe seinen zuktinftigen Schwager, den studio&tnn
Altnicol zu Leipzig vor; der sich auch an demselben.
Tage zu der Stelle gemeldet hat. wlch habe," sagt
in seinem Gesuch*)7 ??von Jugend auf in der Music
geubt und b^y d®m Herrn Capellmeister Bache in Leipzig
versehiedne Jahre das Clavier uud die Composition |$©*
IC Foi.
— 172 —
Iernt7 auch bei Ihm so yiel provitiret, dass ich dieser
Function und Organistendienste, ohne eitlen Ruhm wohl
ftirzustehen mir getraue." Indess erhielt so wenig er als
ein durch hohe Protection empfohlener Musiker, Namens
Fittich, die Stelle, sondern J. Chr. Gossel, der bei ab-
gehaltener Probe seine Geschicklichkeit auf der Orgel er-
wiesen hatte.
FriedemannBach's vorbemerktes Entlassungsgesuch
ist in so fern von Interesse, als er darin, abweicbend yon
seiner spateren Handlungsweise zn Halle , Vorkehrungen
fur den Orgeldienst in Antrag bringt und als der Inhalt
von einer gewissen dankbaren und anhanglichen Gesinnung
gegen seine vorgesetzte Beliorde zeugt? die nicht bloss in
Phrasen und Worten besteht? sondern eine gewisse Inner-
lichkeit in sich tragt. Merkwiirdig genug ist dieses sonst
unbedeutende Schriftsttick von Friedemann Bach nicht
selbst geschrieben, sondern nur von ihra unterzeichnet
worden. Es scheint sich also schon zu jener Zeit? wo er
erst 36 Jahre alt war, die spater bei ihm so hervortretende
Neigung zur Tragheit und zu vornehmer Unthatigkeit in
ihrem ersten Stadium bemerkbar gemacht zu haben.
In Halle war am 21. Januar des gedachten Jahres
der Organist an der Liebirauenkirche3 Namens Kirchhof7
gestorben? ein Schuler Zachau's; derselbe, der im Jahre
1714 diese Stelle erhalten, nachdem Seb. Bach ihre An-
BaSmie abgelehnfc hatte. Es ist ein eigenthfimlicher Zufall,
dass, w&hrend Friedemanm Her der Kirche zu dienen
berufen wurde; deren Dienst seinem Vater angetragen wor-
den war und diesem so viel Dnannehmlichkeiten berei-
tete1), E man ue 1 zu Hamburg spater in der Kirche als
Musikdirector zu fungiren bestimmt war, deren Orgelwerk
Seb. Bach? als er in der Bluthe und Kraft seiner Jahre
stand; dorthin gezogen hatte2}7 ohne dass es ihm gelingen
sollte, diese Stelle ZH erhalten,
1) Bitter, J. Seb. Bach. TL 1 S. 84 ff.
2) Ibid. Th. I. S. 135.
— 173 —
Der Mitconcurrent Fried em arm's zu Halle war der
Organist J. G. Ziegler zu St. Ulrieh. Bach siegte iiber ihn
und cs ward ihm am 16. April, demselben Tage, an dem er
sein Entlassungsgesuch zu Dresden eingereieht hatte, die
Vocation ausgefertigt7 in der er falschlieh als wohlbestallter
Organist an der St. Katharinenkirche daselbst bezeiehnet
worden ist. (Siehe Anhang.) Die Form der Vocation
war im Uebrigen genau dieselbe, welche ehedeni seinem
Vater ausgestellt und von diesem zuriickgesendet wor-
war.
Das Diensteinkommen war darin auf
140 Rthlr. — Ggr. Besoldung, ingleichen
24 „ — - „ zur Wohnung7
17 „ 12 ?, zu Holz,
zusammen 181 Rthlr, 12 Grgr. festgesetzt, Ferner sollte
dem Organisten ?7vor die Composition der Catechismus-
Musique jedesmal 1 Rthlr. und von jeglicher Brautniess
1 Rthlr. a gegeben werden. Nach dem weiterhin mitzu-
theilenden Protokoll scheint der Organist auch einen ge-
wissen Antheil an dem Klingebeutelgelde geliabt zu haben.
Somit war dies Amt dem zu Dresden hinsichtlich der
Einktinfte iiberlegen. In jedern Falle bot die Universitli
mit den Professoren und den dort studirenden jungen
Leuten einem Musiker von strebsamein Geiste nicht allein
manche Gelegenheit zur Ertheilung von Unterricht7 son-
dern auch eine Fulle geistiger Anregungen? deren er in
Dresden wohl zu entbehren gehabt haben mochte. Ejn
setr wesentlicber Vorzug seiner neuen Stellung lag aber
in dem vocationsmassig ausgesprochenen Berufe (Art. 2),
dass er ^ordinarie bey faohen uud anderen Peaten, in-
gleichen uber den drltten Sonntag aebst dem Oantore und
Ohor-Schulern auch Stadfc-Muslcis und anderen Instrument
tisten eine bewegliche und wohlkiingend gesetzte andach-
tige Mnsiqiie zn exMbireB? extraordinaire aber die zwer
letzteren hoh&& Feyerta^ nebst dem Cantore und
_ 1T4 —
lorn, aucb zuweilen mit einigen Violinen und andern In-
strumenten kurze Figural-Stiicke zu inusiciren und alles
dergestalt zu dirigiren babe, dass dadurch die eingepfarrte
Gemeinde zur Andacbt und Liebe zuni Gehor gottliclien
Worts desto mehr erinuntert und angefrischet werde."
Diese Bestimmung? fur welcbe ibm In den Studirenden
der Universitat noch ein gewisses Personal zu Hilfe kam,
dessen vortbeilbafte Mitwirkung er von Leipzig her wobi
kennen konnte, entbieit gegen seine untergeordnete musi-
kaliscbe Stellung zu Dresden einen so ausserordentlichen
Fortscbritt, dass er aucb obne die materielle Verbesserung
diese Stelle zu erlangen hatte sucben iniissen.
Wenn man dies alles berticksicbtigt , so ]asst sicb
Friedeinann's Wecbsel im Dienst wobl ohne die von
Ledebur1) ausgesprocbene Vermutbung erkliiren ? dass
sein Lebenswandel ihn gezwungen babe? Dresden zu ver~
laasen. Dies wird? abgeseben von seiner eigenen oben an-
gefabrten und autbentiseben Erklarung um so mebr an-
zaerkennen sein? als er in Halle seineni Vater und seiner
Familie so viel naber war als dort, wobin dieser bei zu-
nebmendem Alter seltener und scbwerer kommen mocbte.
In Halle batte er aucb jenes scbone Orgelwerk unter
sieb? das im Jabre 1716 von Cuntzius erbaut und von
seinem Vater in Gemeinscbaft mit Rolle und Kubnau
al)gen.ommen worden war2).
1 i) Berliner Tonk&istier-L. S, 23.
2) Bitter, J. Seb. Back Th. L S. 99 ff.
Eigenthiimlich gentig nimmt ®s sich ans, wenn dem Organisten
M Si Marlen in Art, 4 seiner Vocation wortlieh Foigendes vorge-
sehrieben wird: ,TFerner wird er sich befleissigen, sowohl die ordent-
Hcnen} als auch von denen Herrn Ministerialibus vorgeschriebenen
Choral -Cresange vor und nach denen Sonn- und Festtags-Predigten,
aueh unter der Communion, item zur Vesper- und Vigilien-Zeit langsam
ohne sonderbares CoIoriFen mit vier und fiiof Stimmen und dem Pria-
cipal andachtig einzuscHagen und mit jedem Versical die auderem
Stimmen jedesmahl abzawecn&elar a«eti zar (Juintaden und Bchaarr-
werke, das Gedacke m& auch die Syn^^paHoneB pa^ BimduBgeB
— 175 —
Sein wirklieber Eintritt in das neue Amt fand erst
Im July desselben Jahres statt. Denn das Uebergabe-
Verzeichniss der dem ?;neuen Qrganisten daselbst"
uberwiesenen, der Kirche gehorigen Instruiaente 1st vom
28. July datirt. (Siehe Anhang.)
Friedemann Bact, der nach seinem gegenwkrtigen
Wahnort den Nainen des flalle'sehen erhielt; hatte ge-
inass des erwahnten Artikels seiner Vocation im Laufe
des Jahres fur ungefahr 26 bis 30 Fest- mad Sonntags-
musiken zu sorgen und es fehlte ihm also an Veranlassung
»ieht; dem Beispiele seines Vaters folgend, sich eine be-
deutende Stellung als Kirchencomponist zu schaffeu. Dem
gegeniiber liat er aus seiner dortigen ISjahrigen TJbatig-
keit eine verhaltsissma^sig nur uubedetitende Anzahl von
Kirchenwerken Mnteriassen. Nur auf wenigen derselben
kt der Ort oder das Jshr der Entstehung verzeichnet?
namentlich bei:
1. der Pfingst-Cantate 7?Wer mich liebt" mit Trom-
peten und Pauken (1746), muthinasslich eine
Art von Einfuhrungsmusik, die Friedemann^
der zu Pfingssten sein neues Amt angetreten
hatte? hiefur componirt haben wird?
2. <l@r Oantate zum 1. Advent ??Lasset uns ablegen
die Werke der FinsternifciE$a; gleichfalls rait
Trompeten und Pauken (1749),
3. einer Cantate zur Geburtstagsfeier Friedrich's des
Grrossen, der die Bezeichnung 77 Halle" bei-
gefugt ist, UB^
4. einer Cantate auf den Hubertsburger Frieden:
(1768) ,,ATaf, Chrfsten, p@saunt."
tuaterKegt ee wohl kaum einem Zweifel?
gegtalt zu adhibiren, dass &m ^iugepfarrt^ Cteieimle die Orgel zwm ,
FttB^an^jt^ ejmer ^utea B4OTK>B|e und gkidbiftomigen Thoses setew,
darlnnen andaehtig: siogen nad dem Allerh5chsten danken und loben '
— 176 —
die von ihm ausserdem bekannten Kirchencantaten sammt-
lich seinem Aufenthalt in Halle ihr Entstehen verdanken.
Zu diesen gehoren:
5. Cantata festo natiV. Christi 77Ach dass du den
Himinel zerrissest" D - dur 7 2 Horner,
Quartett.
6. Weihnaehts-Cantate ,,O Wunder!" D-dnr, 2 Hor-
ner7 2 Hautbois. Quartett.
7. Fer. 1. Paschalis 77Erzittert und fallet," D-dur?
1 Trompete, Pauken? Quartett.
8. Aria mit Begleitung der Orgel und eines Hornes?
77Zerbrecht7 zerreisstjihr schnodenBande."
C-dur.
D-dur? Trornpeten7 Pauken;
7?
LobetGott"
Quartett.
10. Festo circumcisionis ,,Der Herr zuDeiner Rech-
ten." F-dur? 2 Horner? 2 Oboen? Quartett.
11. Arie. ?7Erzittert? ihr brausenden Schaaren,"
2 Trompeten? Pauken? Quartett.
12. Dom. 2. post. Epiph. Parodie alia Dom. Palm.:
»Wir sind Gottes Werkc." F-dur; Quartett
13. Festo Joannis e adv. Ghristi ?7Es ist eine Stimme."
D-dur? 2 Trompeten, Pauken, 2 Oboen? Quartett.
14. Dom. 10. post, trinit. ,7Heraus7 verblendeter
Hochmuth!" F-dur? 2 Horner , 2 Oboen?
Quartett.
15. Festo visitationis Mariae ?7Der Herr wird mit
Gerechtigkeit." D-dur? 2 Trompeten, Pauken?
Quartett.
16. Festo ascensionis Ohtisti ?7Gott f^hret auf mit
Jauchzen." D-dui^? 2 Trompeten7 Pauken?
Quartett.
17. Festo ascensionis ??Wo geht die Lebensreise
hin?" D-dur? Quartett.
18. Dom. 6. p. Epiph. ??Ihr Lichter jener sch<5nen
Ho hen," D-dur? Qnactett,
— 177 —
19. Kyrie und Gloria. D-moll? Quartett.
20. ??Dienct dem Herrn mit Freuclen"1). Es-dur,
2 Trorapeten? Pauken? Quartett.
i
21 j^DerHdchTt^erLsr'et""0"" 1 Peten> Pauk<*,
{ i Quartett
22. Introduzione della predicazione del catechismo.
77Wohl dem, der den Herren fiirchtet"
A-dur? Quartett. (Mutlnnasslich eine jener voca-
tionsinassig niit 1 Rthlr. zu honorirenden Kate-
Au«cT dieseu Cantaten1) pollen noch vorhanden sein:
23. Cantate auf den 6. Sonntag nach dem Dreikonigsfest.
24. Pfiiigstmusik ?,ErtOnet, ihr heiligen." F-dur.
25. ?7Amen und Hallelujah." D-moll.
26. Drei Motetten: a. 3JAus tiefer Noth." b. ;?Du
bist allein der Hcichste." c. ??Lobet Gott"
(vielleicht identisch mit dem oben erwlihnten
Chor).
In der K. Bibliothek zu Berlin befinden sich noch die
von Friedemann geschriebenen Quartettstimmen zu einer
Arie mit dem Anfange
Im Or%iBal} mit Awwlwft von No. 4, simmtlich In der Kf
u Berlin.
Bitter,
— 178 —
zu der die Worte und der Gesang fehlen. Die Bibliothek
des K. JoachirDsthal'schen Gymnasiums besitzt ferner von
ihm aus dem Nachlass der Prinzessin Amalie 2 Arien;
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Lassdein We - hen
Wenn man di^e Musiken uaher betrachtet? so
man sich der Ueberzeugung nicht erwekren? dass ikre
Composition vollig ausserbalb der Schaffungsfabigkeit Frie-
demann's gelegen hat. Woal konnte v. Winterfeld1),
wenn er sein Urtheil allein auf diese Arbeiten begrundet
hat, mit Recht sagen: ??Liess sein inneres ungeordnetes
Schalten ihm keine Zeit zur Arbeit ? fehlte es dem Eigen-
sinnigen und Launenhaften an Lust dazu7 so raffte er ailer-
Evangel. Ki
. Th. HI.
— 179 —
hand gangbare musikalische Floskeln seiner Zeit, naeh
seiner Art sie aufputzend, fur ein befremdliches Ganze
msatnmen. Trat der seltene Fall guter Laune ein und
angenehmer Anregung? so zeigte er sich erfinderisch iind
sinnreich in allerhand unerwarteten Verkniipfungen der
Htirnnien und Instrumente? ohne auf die Ausfiihrlbarkeit
je Riicksicht zu nehmen." Er hatte eben gradezu beiiugen
konnen, dass es Friedemann Bach an Talent for die
Kirchen- und Gesangsmusik gefehlt, dass ihm die Natur
nur das grosse ausiibende Genie und die Gabe der Erfin-
dung fiir die Instrunientaimusik verliehen gehabt habe.
Als die alteste seiner Coinpositionen fiir die Kirche
durfte die Pfingst-Cantate ??Wer mich liebt" (No. 1.
obiger Nachweisung) zu betrachten sein. Ini Uebrigen
wird roan nicht fehlgehen? wenn man a lie vorbezeiehneten
Arbeiten,, etwa mit Ausnahme des Kyrie { Xo. 19)? das eine
Jugendarbeit zuscheint? der Halle'schenPeriode von 1746
bis 1764 zuschreibt. In alien ist derselbe Geist der Schwer-
falligkeit und Miih,sauikeit? des Ungesanglichen ? des oft
kleinlich Gekiinstelten erkennbar, keine zeichnet sich durch
neue AujBEassung? durch wohlklingende eingangliche Schreib-
arty wenige durch grossere Klarheit des poljphonen Satzes
aus. Friedemann giebt durchaus nur; was und wie er
es aus der Schule des Vaters iiberkommen hatte? unver-
Indertj ohne Neues, Eigenes hinzuzuthun, meist ohne den
tiefen Inhalt, ohne jene grossartige Wtirde und Kraft der
Empfindung und des Ausdrucks, die in den Conipositkmen
Sebastian Bachjs niedergelegt war.
Die Anordnung seiner Cantaten ist fast uberall dieselbe.
Ein im streng-polyphonen Styl geschriebener vierstimmiger
Cfaor, einige* Recitative und ArieB, letetere meist unter Ver-
wenduBg obligater Instrumente; hie und da ein Duett, zum
Schluss ein einfach gesetzter Choral, das ist die fast uberall
in gleicher Weise wiederkehrende, nur selten rnodificirte
Sussere Form, Wo der Text der Ctotaten mit einer Arie
oder eiiaem EeeilatiT beg^nj? setzt© @r eine Sinfonie fiir
12*
— 180 —
Streicli- Quartet t und einige Instrumente als Anfang, so
beispielsweise in der Weihnachts-Cantate mit dein Recitativ-
Anfange: ,,0 Wunder! Wer kann dieses fassen!
Gott selbst hat sich. im Fleische sehen lassen?"
deren Instrumental-Einleitung
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mit dem diesem Eingangs- Motive gegeniiber trctendcn
zweiten Ttema
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einen lebtaften festlichen Charakter bei trefflicher Ver-
wendung der Instrumente (2 Corni, 2 Hautb*7 Quaiietl)
zeigt, weit ab als das beste Stuck der Cantate
— 181 —
werden darf und Friedemann's besondere Gabe fur In-
strumental-Compositionen deutlicb erweist,
Aucli die Cantate ?7Festo aseensionis, Wo geht die
Lebensreise Kin?" beginnt mit einer Sinfonie (D-dur
2/4)j welche mit 2 Trompeten, Pauken7 2 Oboen und dem
Quartett feurig und glanzend dahinbraust. Auch bier findet
man den Componisten in seinem Element Der freie Fluss
der Melodie7 der harmoniscben Entwicklong und Steigerung
ergiesst sieh lang ausgedehnt in acbte Jubel- und Feier-
tagskjange,
Die zu der Cantate auf Friedrich des Grossen
Geburtstag gesetzten Sinfonien sind leider nicht vor-
handen.
Mit diesen Sinfonien 1st das Beste, was die Cantaten
eaitlialten, angedeutel
Die Texte der letzteren steben durchweg unter dem
Niveau dessen? was man ak das geringste Mass der musi-
kaliseben Gestaltungsfabigkeit betracbten kann. In ibnen
spricbt sich der ultrapietistische Geist jener Geistlichen zu
Halle aus7 die sich denNamen der Halle7scben Pietisten
erworben baben.
Aehnlicbes ^Is Her in hausbackener prosaischer Form
gegeben wird? wie z. B. der Eingang der oben bezeicbneten
Weibnacbts - Cantate :
Wo gebt die Lebensreise bin?
Zum Himmelj oder zu der Hollen?
Das soil der Geist und Sinn
Ibm angstlieb sucben furzustellen.
Dies soil allein
Die beste Frage sein
In Demem gaazen Leben?
Soil Jesus Dir dereinst den Hiinmel geben.
Wie aber sind die Wege wobl zu unterscheiden?
etc, etc.
ist in den Texiea dea* Sebastian Badi'schen Cantaten
k&um zu findm. So weit diese biaier den Forderungen
— 182 —
zuriiekgebliebeui sind, die man im Vergleich mit der herr-
lichen Musik der grossen Mehrzahl von ihnen zu stellen
"bereit sein mochte, so waren sie doch viel allgerneiner im
Inhalt und in den einzelnen Stiioken nicht ohne lyrische
Gedanken, Dergleichen wiirde man liier vergeblicb sucben.
In den polyphonen Eingangs-Choren der Cantaten ist
Friedemann Bach am wenigsten gliicklich. Zwar fehlt
es ilim niclit immer an feurigen und feierlichen Motiven.
Aber in der Eegel sind diese klein, abgerissen und un-
zusammenhangend behandelt. So der Eingangs-Chor der
Cantate ??Fei\ Paschalis (No, 7.) Erzittert und fallet,"
in dem die einzebien Stimmen nach und nacli ohne In-
strumente einsetzen* Der Chor? der zunachst in abgerissenem
Gange von der brausenden Tonmasse der Instrumente be-
gleitet und durehbrochen fortschreitet, wird erst weiterhin
in glanzende Passagen ubergeftihrt, zwischen denen der
aof langgezogenen Accorden gesungene Satz ??Den ihr
gesctlagen" machiag hervortritt, ohne dass darum eine
Totalwirkung erreicbt ware.
Nicht gliicklicher ist der Eing&ngs-Chor der Gantate
Festo circumcisionis ?7Der Herr zu Deiner Eechten^
behandelt, der sehr breit ausgefulirt, mit ^eler ktinstlicher
Detail-Arbeit versehen? voll abgerissenen Wesens ist, ohne
dass auch selbst nur vortibergebend Stimmen und Instru-
mente zu einer grossen Ge&ammtwirkung zusammengefasst
warden.
Der Anfang des Chors der Gantate 7;Gott fahret
auf mit Jauchzen" ist ein Muster dieser Art von unzu-
reichender Behandlung, Was bei Sebastian Bach
Charakter war? wird hier zur Manier.
Was kann man iiber eine Compositions -Weise sagen,
die wie in dem Ghor der Gantate ??Ihr Lichter jener
schonen Hohen" neben den unsangbarsten Schwierig-
keiten
— 183 —
Die Leh - rer a-ber werden
Him -mels Glanz — — des Himmels Glanz
Glanz
Die
leuchten wie des Him - mels Glanz —
des Him - mels Glanz —
Leh - rer hoch!
die Lelirer,
a - ber, die Lehrer
— X84 ~
zu den eomplicirtesten contrapunktischen Arbeiten gehort,
die die Schule geliefert hat1):
All.
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„ Tenor.
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Leh - rer,
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Him - mels Grlanz
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Kaum weniger schwierig ist die Ausfahrung des Chors
IB der Cantate ??WIr sind Gottes Werke," der ausser-
ordentlich kunstlich gesetzt ist.
, Wohl kann man aus diesen Stiicken die besondere
eontrapunktische Fertigkeit erkennen, die Friedemann
ist Mer natibrlicb erklart, FriedemansBaeh
hat die Motive dieses Cbors aus dem zweiten Satze^seiner Eicereata
fur 5 Saiten-Instrtnnente
185
zu Gebote stand. Aber sic crschcint fast tiberall kleinlich
und gesucht. Zu eigentlich kiinstleriseher Grosse weiss er
sie nur selten zu steigern. Nur der Eingangs-Chor der
Cantate Festo Joannis advent. Christi zeiehnet sich
nach dieser Seite bin aus.
Es kann hienach kaum zweifelhaft sein, dass der alteste
Sohn Sebastian Bach's dieFahigkeit nicht gehabt hat, die
Wirkungen, die der Chorgesang im polyphonen Style zu
erreichen verrnag, fur die Kirche zur Erscheinung zu
bringen. Kein einziger reicht an die grossen und pracht-
voll gestalteten Fugen und Chore Em. Bach's, in dessen
,,Heilig," in deua ,?Magnificati: und in der Oster-Quartal-
Musik heran, geschweige an die Chore und Fugen des
Vaters. An Muhsamkeit hat es Friedemann, wenn er
eininal an die Arbeit gega&gen war, nieht fehlen lassen*
Aber ihto inangelten die grossen Gedanken und die Gabe7
der Arbeit klare Entwickelung zu geben.
Den Choral hat er nirgend aU tlieinatische Grundlage
fur den Chor oder Einzel-Gesang benutzt Er ven\rendet
ihn fast nur als Schloss der Cantaten-Musik im einfach
vierstimmigen Satze. Einige Male lasst er seine Cantaten
rait solehen einfachen Choral -Gesiingen beginnen. Nur
einmal findet sich in der Cantate Festo ascensionis (No. 16)
eine eingehendere, Seb. Bach's vierstimmigen Choral-
Arbeiten ahnliche Behandlung^ niimlich die des Kirchen-
Liedes 3,Herr Jesu, ziehe bei uns ein,"
— 186 —
Diese zeigt; was er fur die Bearbeitung des Chorals hatte
leisten konnen. Aber er 1st tiber diesen einen Versueh
nicht fortgekommen. In der Weihnackts-Cantate (No. 6)
wird derselbe Choral in derselben Bearbeitung mar in
Gr-dur wiederholt.
Das Beste, was die Cantaten enthalten, liegt in den
Arien. Aber auch in diesen sind neue Formen, neue Wege
nirgends bemerkbar, Es ist der unveranderte Styl Seb.
Bach's, und es sind dieselben Mitfel, die hier verwendet
werden. Auch sie leiden unter zru grosser Kiinstelei und
unter der in den Choren vielfach bemerkbaren Unbehilf-
lichkeit und Sonderbarkeit der Declamation. Wenn es
beispielsweise in dem Eingangs-Chor der Cantate ??Der
Hochste erhoret" lautet: wvoll Liebe, 'Liebe, voll Liebe?
Liebe, Liebe fur Lehrer, Lehrer," so ist dies nicht weniger
sonderbar? als wenn in der diesem Chore folgenden Arid
fur Alt declamirt wird: MUein Hertze7 Hertze? Hertze
klopft, klopft, klopft;" ond spa^r:
— 187 —
klopft — —
oder wenn es in der Tenor-Arie der Oantate ,?Ihr LIcliter
jener schonen Hohen" lautet:
Dieses ist der Gnadenlohn, Gnadenlobn, Gnadenlohn.
oder wenn in einer Tenor-Arie der Cantate zum Geburts-
tag Friedrieh's II. das Wort ??Ketten" wie folgt be-
handelt wird:
Ket
ten, Vortsieht
Auch sonst finden sich in seinen Arien Sonderbarkeiten
und Uebertreibungen des Ausdrucks aller Art; so in der
sehr langen, von der Trompete begleiteten Arie der Cantate
?,Wo geht die Lebensreise hin?"
Ihr tretien See - leu fah-
E .
ret,
fahret
rpi*
~mi^m
^*~
anf-
In der Bass-Arie der Cantate ,,Q Wunder" kommt
folgende; in der That kaum ertraglicie Stelle Tor:
Wan-
— 188 --
Die Darstellung der Worte in der Arie ?JErzittert7
ihr brausenden Schaaren"
K-g.
Rauscht! Rauscht! Rauscht ihrFluthen, rauscht.
ii
Rauscht!
Rauscht!
ist gleichfalls auf die Spitze getrieben.
Doeh finden sich auch manclierlei Schonheiten. Er
ist insbesondere in der Verwendung der instrumentalen
Mittel oft sinnreich und poetisch, mitunter selbst in der
Melodie iiber sein gewohnliches Mass hinaus gehend? den
zerrjssenen Charakter seiner meisten Gresangssachen ver-
lengnend.
Zu den Arien der letztbezeichneten Gattung gehort
tinier Anderen die Alt-Arie der Gantate Festo ascensionis
mit obligater Bratsche:
fe^^H
^^ • VVLp r* ? fr JK^^
•••* -J- y *
Ber Himmel nei - get sich zur Er-de, da Jesus
: -
— 189
zu dem Vater geht. DerHimmel neigetsich zurErde, derHimel
aeiget sich zur Erde, da Jesus za dem Vater geht.
die ebreh Melodie, feine Instriimental-Wirkimg, Gefuhl
und Adel den bestan Alien Sebastian Bach's gleich-
kommt.
In gleicher Hohe steht die Tenor-Arie der Cantate
??Erzittert und fallet," welche init 2 Floten in dem
reinsten vierstimmigen Satz? voll von melodischen und in-
strumentalen Schonheiten ist. Ihr stehen die beiden Alien
derselben Cantate, deren eine in H-molI mit glanzend be-
handelter obligater Violine? die andere fur Bass mit obli-
gatem Cello gesetzt ist, wenig nach,
Nieht selten hat Friedemann zu seinen Alien in
^liDlicber Weise, wie das Seb. Bach Me und da gethan?
elne obligate Qrgel-Begleitung ge^tzl Doch gewinnen
bei itoi dime Staeke den Charakter von Orgel-Sonaten
mit hinzugef>en Worten. Der Gesang feritt dabei durch-
aus in die zweite Reifae, Die Tenor-Arie der Cantate
?7Heraus? verblendater Hochmutb^ giebt ein voll-
— 190 —
giiltiges Beisplel hiefur. Der Gresang ist zerrissen, die
Orgel ausserst glanzend gesetzt, hie und da mit 2 Floten
concertirend, mehrfach in breit gehaltenen Zwischenspielen
sich ergehend.
Aehnlich behandelt ist die fur Orgel und Horn ge-
setzte Arie (C-dur %) ,7Zerbreclit? zerreisst, ihr
sclin5den Bande!a in der auch das Horn von nur un-
geordneter Bedeutung ist.
Auch in der Tenor-Arie der Cantate ??Der Hochste
erhoret^ erscheint die an einigen Stellen mit der Orgel
concertirende Gesangsstimme nur ganz nebensachlich.
Von den zweistimmigen Gresangssatzen? die mitunter
in diesen Cantaten vorkommen, liesse sich etwa dasselbe
sagen. Ueberall fast erscheinen die Stbnnien im Instru-
mental - Charakter. Zu derartigen Stucken gehort das
Duett der Weihnachts-Oantate ??Der Herr zu Deiner
Reehten" mit dem Anfenge:
Je
su, grosser Him
Ko - mg.
— 191 —
g==7
das weiterhm in der Stelle:
Und dich nnr — —
» .
Und dich nur im Glan-
Glau-
ben
ben schan-
scJiau-
,
e®,
ben
— 192 —
en, nur im Glau-
schanen,
nnr im Glau-
/-£#
-rt'S-'-'T— :fr*— :
^=^
lk=^
= — _ — &K
-^^-g-^LU , | I ,
^ ^
— ( : 1-
1
ben, nur im
ben.
die freiKch aus dem Modegescbmacke jener Zeit herans-
gewacksen ist, von dem eigentlich Gesanglichen ganz ab-
sleht Dabei 1st das ganze Duett der melodischen Ajafangs-
inotive UBgeaclitet von eben so ermiidender Lange, ak das
in der ??Introduzione della predicazioni" vorkommende Duett
^Gottes susse Bande brechen" und das Duett ?,Grott?
der da in dem Himmel wohnt/£ in der Cantate ?7Der
Herr zu Deiner Rechten/* das zudem ausserst unsang-
bar geschrieben ist.
Wie Friedeiaann in seinen Oantaten (iberall streng
der Schule und den Forinen des Vaters folgt, so bewegt
er sien aueh hie und da in dessen besonderen Eigenthmn-
lichkeiten. Das zweistimmige Eecitativ der Cantate >?Her~
aus verblendeter Hochmuth" mit dem Anfange:
193
Mein Gott, wie sehr entweiht man doch den
3=^
wo Glaub" und Andacbt herrsehen sollen
^
giebt davon Zeugniss^ ebenso das Becitativ e Arioso der
Cantate 7?0 Wunder?" desaen G-esang (Sopran) zunachst
nut der Violine und dem Bass in Uusserst trockner Weise
concertlrend? ein Stiick von rein contrapunktisehern Glia-
rakter? oline Inneriichkeit und Wsirme ist, und das sick
weiterhin durck den Hinzutritt der Bassstiinme zu eiriem
Arioso a due entfaltet, wie dergleicken auck Tbei Sebastian
Back vorkommen7 ohne dass es an die Grosse und Inner-
lickkeit der gleickartigen Stucke dieses grossen MeLsters
keranreickte.
Friedemann's beste Oantate 1st offenbar die Ad-
vents-Cantate ??Lasset uns ablegen die Werke der
Finsterniss/£ deren Original sick zu Berlin befindet. In
der zu Wien (in der BibL des Conservatoriums) befind-
lieken Absckrift ist sie als Pfingst-Cantate bezeichnet? und
dazu die Bemerkung eingetragen: J7C. Pit. Era. Bach hat
dieses Stliek in den Jakren 1772 bis 1779 in den Ilani-
burgiscken Kireken aufgeftkrt"
Der Text lautet;
No. 1. Chor (4Bt D-dar VO-
Las^et BBS «tMe^n die Werke der Finsteraiss und
anlegen die Waff©B d^s JUtefct^
Bitter, Emanael und FxMtonmt Bach. IL 13
— 194 —
Ho. 2. Recitativ, Alt.
Schon nahet sich die Zeit;
Vom Stlndensclilafe aufzustehen,
Und Gottes Geist ist schon bereit
In unsre Herzen einzugehen.
Wie liebreich nahet sich inein Gott zu alien Siindern,
Die nur nicht freventlich des Geistes Wirkung hindern.
Er schenket unsrer Seele Ruh7,
Und ruft uns? wenn wir wanken, zu!
So. 3. Choral (Mel: Nun danket alle Gott),
Steh' auf vom Siindenschlaf etc.
No. 4. Recit. Sopr.
D'rum? Vater7 wollest Du auf niich
Den Geist der Jiinger senden7
Und mich nacli Deinem Rathe lenken.
No. 5. Arie. (H-moll 3/s? Sopr.)
Hore; Vater, mit Erbarmen
Meinem matten Seufzen zu.
Hab* ich mich von Dir entrissen,
So lass meine Seele wissen,
Dass in Dir sei wahre Ruh7.
No. & Recit mit Accomp. Bass.
Ich weisSj clie Nacttt ist schon dahin, ,
Und durch das* Jbicht die Finsterniss vertrieJ)eB.
DVum muss ich auch des Lichtes Werke iibeti.
Dazu wirst Du; Geist Gofetes, Baieh bereiten
Nach Deinem Sinn. Mit Dir will iefe
Der S linden Reiz bestreiten.
No. 7. Arie. (D-dur 2/4, Bass).
Ich ziehe Jesnm an im Glauben;
Damit will ich vor Gpott bestehn,
Er lasse mich im Thim und Wandeln
Nach. seinem heil'gen Willen handeln?
So kann ich niclit -verloren gehn.
No. 8. Choral.
Den Geist? der heilig ist,
Lass willig Dich regieren.
Er wird auf ebner Bahn
Dieh alle Zeit wohl fiihren.
Und dass Du Gottes Kind
Dem Herzen pragen ein.
Auch Dlch versichern des,
Dass Dn sollst Gottes sein.
Dieser Text, genau den Textdispositionen Sebastian
Bach'scher Gantaten und deren Inhalt entsprechend? Iksst
emen Fortschritt in der Kirchen-Poesie eben so wenig er-
kennen, als dies bei der Mehrzahl der Ein. Bach'schen
Cantaten der Fall war. Die Texte enthielten nielits als
den abstracten Ausdruck der mit dem Halle'selien Pietis-
mus verketteten lutherischen Orthodosie.
Die Musik soil dem Jahre 1749 asgehoren. In ihr
findet sich der Charakter der Kirchen-Oantaten Sebastian
Bach7s in einer Bestimmtheit wieder erkennbar,^ dass,
wenn der Ursprung nicht sonst genau bekannt wiire, man
sie leicht fiir eine der Cantaten des Vaters halten kunnte,
zumal die oben angedeatetexi besonderen Eigcnthiimlicli-
fcd&en in der Schreibart Friedemannjs fiir die Kirelie
hier weniger bemertbar sind,
D^r ei^fe Chor langt mit einem Instrumental -Vorspiel
des Streich - Quarteits mit 2 Trompetoa und Pauken an,
in welchem die HaHptmotive wie bei den Seb. Bacli'sclien
Instnimental - Einleitagen an dein Zuhorer vorbereitend
voriibergeftthrt warden. Die Basse beginnen mit einer
Orchester-FIgur m l}m wdfofee weiterH® TOB den Violinen
13*
— 196 —
iifaernommen und concertirend neben dem Chorgesange
durchgefiilirt wird. 1m 19. Takt setzt der Chor ein1):
1. 2. Tromp.
Pauke.
Yiela.
Basso.
Las - set nns,
las - set uns,
m
i
_£ ^ — » At— j. H — ^^^ % — *
g^^^r^^ .r> ' t3£==ifc=JL ^=fe
^^F^11^^ -^=g
ab - le - gen
f J: i
las - set uns
die
*
set uns
i) Man bemerks Wohl die l>eckmation der Worte, das Drerfecte
,jLasset uns" und das Zerreis»en ^as-set unsu im S. Takt dee
Tenor und Bass,
- 197 -
JJ2-
•a h
y 7
die Werke der Fin- &e Werke der
die Werke der
198 —
I. Tioline.
9 — -j m — •
=*£»
2. Tioline.
kJ^
Fin-
Qi£
Fin-
' 1 jji =
• •
^m
,r
ster - niss.
ster - niss.
Naeh diesem homophonen Anfange tind der sehr firap-
panten Wirkung des Eintritte der B-dur-Tonart mit der
loo
JLi/i/
folgenden Modulation nach a auf dem Worte ,7Finster-
niss" beginnt eine vollig polyphone bis zum Schluss an-
haltende Behandlung, zu weleher die erste Violine ihre
harpeggirende Form, hie und da nait dem Bass weehselnd
fortfuhrt, und deren im Wesentliehen sich gleicli bleibende
Motive mehreremal von anderen durch alle Stimmen wech-
selnden Themen wterbrwhen werdea. In dieser Weise
ist der Ghor zu einem ausgedehnteny m strengster Form
durchgearbeiteten Satze geworden, welcher alien Forde-
rungen des ernsten Styls und der Polyphonic entspricht.
Das nur vom Bass begleitete Recitativ des Alt konnte,
genau wie es geschrieben ist, einer Sebastian Bacli'schen
Cantata angehoren. Es zeigt insbesondere die diesera so
selir eigentbiimliche Declamation.
(Janz dasselbe lasst sich von der Sopran-Ai'ie No. 5
sagen, welche fur 1 Fiote, 1 Violine (oder 2 ViolLuon) und
einen fast obligat behandelten Bass im rein^ten 4dtirniaigen
!Satz geschrieben ist:
Flile. Viol.
lass.
^* — ^
Ho - re, Va - ter, mit Er - barmen
{ - am mat - ten, mat - tea, mat
ten
— 200 —
Senf - zen zu.
Ho-
!>
^
SE
re, Ya-ter!
ho
re, Vater !
i H==i=^g
raj
i
Man wird zngeben mussen? dass eine Familien-Aehn-
lichkeit nicht frappanter sein konnte als die Glelchartigkeit
dieser Arie von zartestem Charakter und sirmreicher Be-
nutzung der Instrumente mit den Arien Seb. Bach?s.
Ganz dasselbe kann man yon dem aecompagnirten
Recitativ No. 6 sagen, dessen Anfang wie folgt lautet:
— 201 —
Ich weiss, die ISTacht jst nun dahin,
~_jP, , t- : ^ 1 C.~.p .-...-. 1
- ': '-1----TT-1 J-^":^1!^— — -"^
ef « ~-_ij^
f-jVi — * — rP-—
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"* -/ ;/ ' ' T^ ' I
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and durch dasLieht
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die Finsterniss
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vertiieben,
— , ,t — , _^ — . ft~& — — — ~|
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•-; 5-*T— I
^t_^£L
— --.—r-i^N
zfcrE:
Drum muss ioh aoch des Lieh
ted Werke u - ben.
Auch in der Arie No. 7 mit der Solo - Oboe sind
Insti-umentatloia wie Gesang durchaus In der Weise des
alten Meisteirs gefulirt, Der Sehhiss- Choral ist kirchen-
uaassig gesetzt und wird von den Streich-Instrumenten und
den Trompeten und Panken begleltet,
Unmoglicii war^ e$ Bidbt? dass Mer mindestens die
tteilweise Bentttateg $m®£ wikokaxmt gebliebenen Gantate
— 202 —
Sebastian Bach's vorlage1). Ware dies nicht der Fall,
so wiirde jedenfalls anerkannt werden mussen, dass der
Sohn es ver&tanden habe den Vater auf das getreueste
nacbzuahmen, und dass er dabei jedem selbststandigen
Schaffen und jeder eigenen Besonderheit entsagt habe.
Den interessanteren Kirchen-Compositionen Friede-
mann Bach's gehort das Kyrie an, welches sich in einer
von Haseler in Erfurt gefertigten Abschrift in der Konigl.
Bibliothek zu Berlin befindet. Es ist oben die Vermuthung
ausgesprochen worden? dass dies Stuck eine Jugendarbeit
sein moge. Die weniger complicirten 7 kleineren Form en
aller Theile desselben mit alleiniger Ausnahme der Schluss-
fuge? die melodiose Behandlung und die grossere Sang-
foarkeit in den Stiminen schliessen die Wahrscheinlichkeit
aus? dass die Composition in Halle gefertigt sei. Von den
in jener Periode gesetzten Sachen unterscheidet sie sieli
durchaus. Muthmaasslich gehort sie einer Zeit an? w<i-
Friedemann noch unter der Aufsicht des Vaters arbeitete.
Der erste Satz beginnt mit einem ernsten fugirten
Einleitungs-Satz von 25 Takten, in dem die Instrumente
(Qoartett) mit den Stimmen gehen
/ Q L p, — -
— ^^
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Fund.
*} Man lasse bieri>ei die weiterhin folgen^e Erzlhlung van der
Art, wle er 4fe P^sskHss-Mnsik des Vaters in demselfeen Jahre
zur Anwendung gebrachit feafeen ^olJ, nicbt aus den Augen.
di$ VcrmutbiiDg1 des Yerfa^^rs ^ojinte die mehrfacfye
dfeser Cautate tkirch Sm. Bach^fe toa Kirdien zu HaaiaJtog" gelteitd
gemacht we^d^n, vorausg^setzt dass
— 203 —
Im 15. Takt tritt der deutsche Text ?,Herr crbarme
Dich" ein imd der Chor geht dann in cinen zwciten
fugirten Satz tiber.
Christe e
Christ
le -
Basse. Christe
(\~$L\) """ "" * * 1
i ,, * S
-
^— ^TTr
r ^
If
fr f
i tfon, Chri
- ste e -
le
"
-H
i - rion.
I i £~ £— »~-p-
— ^ — rjrr
_} ; : —
le - i - son.
der kurz gefasst ist imd In dessen letzten Takten plutzlich
•wieder das deutsche 3?Herr erbarme Diet" zura Vor-
scbem koratBt? worauf der erste Ohor 7?Kyrie eleison"
wicderholt wird. In beiden Satzeta sind eigeritlich nur
die Anlitufe zu fugirter Arbeit zu finden, doch 1st deren
Inhalt wurdig und in der harmonischen Haltung nicht
ohne Interesse.
Dieser ersten Nummer folgt ein Duo fur Sopran imd
Alt (F-dur 3/j) ??Und auf Erden Friede"', melodiscb,
etwas figurirt? nur voa dein Continuo begleitet? far den
©ine Bezifferjing nicht angegeben ist. !Nacli 45 Takten
geht dasselbe in einen kmrzen mit lebfeafter Instrumental-
Arbeit friedetti«iia*« betraefetel liajbe. Dock ist nicht zu vergesson.
daas jeier seit 14 fesfarm vosi Hawe abwc^ciMl den grosseren Tbeil
^jr seit 1?^ a««f«rt»&«l^a^cke des Vafcers schwerlkh kcBiiea
— 204 —
Begleitang schnell vortiberrauschenden Chor ,,Wir lob en
Dich, wir beten Dich an" iiber.
Das hierauf folgende ;?Vater; Herr? eingeborner
Sohn, Jesu Christe, Du allerhoehster Herr Gott,
Lamm Gottes, Sohn des Vaters, der Du hinnimmst
die Siinde der Welt, erbarme Dich unser", Adagio
fur Bass (B-dur 4/4) mit Accompagnernent, ist in edler
recitativischer Declamation gehalten, voller Gefuhl und
Wiirde.
Den Schlusschor:
Du bist al - lein
fenor.
der
' M-+. mm
r*F~
~v • - • *
<u/
Du
b
=\
ist
» —
£
?
a -
lein der
— 1 | p—
\ — ^__l — 1 — j
~ f —
- ste, du bist al - lein, du bist al - lein der Hoeh-
bildet eine Fuge von sorgfaltiger und breiter Ausfiihrung.
Nach dem 44. Takte tritt dem vorsteienden Thema ein
zweites Hauptmotiv Hnzu:
' U r ^ —
\ : f*"
" — ('"1 i1"1 == —
V*
Bass.
t — *—£*-„-
Du bist al
_. - — „.,,.. .,£ —
- lein der Al - ler -
hoch-
\ — •*
I
Du bist al - lein der Hoch-
205 -
ste, du
und gestaltet den Satz zu einer mit der hochsten Kunst
behandelten Doppelfuge? deren glanzender Schluss in hohem
Grade imposant wirkt Dieser letzte Abschnitt des Schluss-
chors 1st an sich der Taktzahl nach langer? als die ganze
Musik der 6 vorhergehenden Theile.
Das Ganze wiirde sich sehr wohl zur Verwendimg als
kurze Hesse in der lutherischen Kirche eignen, Ob es zur
Anffuhrung gelangt ist^ stehtdahin; Friedeinann kiinnte
in Halle hiezu wohl Veranlassung gefunden haben. Dass
in Erfurt elne Absehrift vorhanden gewesen ist? seheint
auf dort stattgehabte Auffiihrungen zu deuten,
Der Gegensatz? in welchem Friedeinann in seinen
kirchlichen Oompositionen zu seinem Bnider Emanuel
stand? lasst sich kaum deutlicher darstellen als durch eine
Betrachtung seines Heilig. Dieses Stfiek? mit Trompeten?
Pauken und dem Streich - Quartett gesetzt und auf der
Original-Partitur mit den Initialen J. N. J. rersehen? be-
ginnt sogleich mit dem Chor, der unter sehr bewegten
Violinfiguren mit kraftigen Accorden einsetzt, bald aber
in einen anfangs wunderlich figurirten; spaterhin eigen-
tfaiimlich declamirten Satz:
— 206 —
Hei -Eg 1st Gott der Herr!
Hei - lig ist
Hei
t/
lig,
Coat, f 1 -T-
rfei-lig!
-^
Gott der Herr
Gott der Herr7 Gott der Herr
Zeba-oth.
'
Iiei- lig ist Gott der Herr
ip
Zeba - oth,
Gott der Herr
sicfe die IFsge
^
de sind sei-ner
— 207 —
(If
Alt.
------- t . i V *V 1
~T/ ff.
Tenor.
Al-Ie
£._ ^ --*-
t/
"Al*tJ" * P ^~ " ~?~£5~*' — ? — ? — *~^ '"*"*
23~t:
Al
-1
e
Lan - - de sind seiner Eh -
1 3±S^
^L.
• !
M~i
[vJLi Tj1^ T — — [^ — -j
Eh- - ren, Eh - - ren voll. Al-
VOB naeisterhafter nnd glanzender Teciinik anschliesst,
Ohiie Zweifel libt dieser letzte Satz nach der unruhigen Be-
wegung des Heilig eine edle nnd felerliche Wirkung aus.
Wenn man das ganze Werk aber der Idealen Hohelt und
dem grossartlgen Schwunge der Emannel Bach7schen
Composition gegenuberstel!t7 so muss es in den Hlntcr-
grund zuriicktreten. Die grossen Mittel an der rechter^
Stellc zu verwenden? das lag emma{ eben so wenig in
Friedem aim's Natur, als die frele Entwickehing ein-
facher Gedanken und die Verwerthmig mclodisclier Satee,
Vielleicht mochte es noch von Interesse sein, einen
Blick anf die Cantate ?>zum Geburtstage Friedriclis des
Grossen" zu werfen? deren Text^ ofFenbar unter den Ein-
driicken der Wechselflllle des siebeiyafarigen Krieges ge-
schrieben? im Anhange II. beigefiigt, zwar herzlicli schlecht
1st, dock aber gegeniiber den Ereignissen des Jahres 1866
aaf unzweifelhafte Weise erkennen lasst, wie sehr IB
Schlesien sehon zu jener Zeit die Besorgniss vorgewaltet
hat, da$s dies Land wieder von Preussen getrennt werden
kdnnte.
Nadhdem der Feind a«sgerufen:
??& Misse sein© Lander
Dad SeUesIem sei unser
tritt Schlesien nait den Worten ein:
Ich nod die HimsieJ mussen
208 —
Recht und Religion wftrd' in Ewigkeiten
* Ein leerer Klang, ein Nickts!"
Arie.
wBluht Boch Hoffnung zura Erretten,
Vors>icht? so zerbrick die Ketten?
Die fur mich der Hochmuth schlagt.
Senke Dich uiit fluid kernieder,
Zeig' ilm mir im Lorbeer wieder,
Ihn, der Deine Blitze tragt."
Die Cantate beginnt mit einer Sinibnie, deren Partitur
leider nickt vorlianden ist, wenn man nickt etwa annehmen
mdckte, dass die von Friedemann nachgelassene Sinfonie
yon einem Satze in D-moll (Siehe weiter unten), was
ihrein Ckarakter nach sekr wokl moglick ist? die Bestini-
mung gehabt kabe ak Einleitung zu dienen. Dieser Sin-
foiiie folgte das In ansdrncksvoller Instruinental-Begleitung
g^setzite aecompagnirte Recit. No. 17 welckes eine bei ikm
seltea yortrefflieke Deckmation
Er - sebuttert rnei-ne Kuh, mei - ne
ES
Huh
.- i
=*=£
c c
^3E
209 —
and eine bis zu einem gewissen Grade dramatisch heroischc
Farbung zeigt.
Die Arie No. 2 (2 Homer, Pauken, Continuo, D-dur V* )
ist der Cantate ??Grott fahret auf mit Jaiichzen'£ ent-
lehni Sie getort mit ihren schmetternden Fanfarenklangen
ikrem figiirirten Gesange denjeaigen Arien BacJi\s
die am meisten einen Tjestimmten (Jliarakter an sich
Dock sind die Bleeh - Instrumente an einzelnen
spielbar gc^etzt und der Gesang fur die
mit dem dfter yorkommenden Fis uncl G iiber
an
Lmi© iia faddisten Grade unbequem, Dem mit unge-
lebhafter nad in dem grosses Styl des ersten Reci-
tativs g€^etetea Becitativ No, 4 ??Der Waff en rauseheu-
des G^t§Ee^ $©B M«h *«r £emeirka3ag der Original-Par-
tita* ??8egn^ «imf®mi^£^ V^^i^^ cin ; Instrumentaistiiok
Bitter, Effliflttftl mad FriedeautKft^ch. H. 14
gefetgt sem. Ea sdbeiat, «lass sat jener Bezeicnnung wohl
das Vorspiel der Arie No. 5 gemeint war, das (Furioso,
D-dur 3/47 1 Horn, Quartett) einen feurig bewegten In-
strumentalsatz von tiefernstem Gharakter enthalt und in
die Arie fur Tenor iiberleitet, deren Text oben angegeben
worden ist.
Die Melodie derselben tragt den Stempel der abge-
rissenen Satzbildungen, deren oben mehrfach Erwahnung
gesehehen; der eigenthiimHehen Declamations -Weise des
in dem Mittefeatze vorkommenden Wortes ??Ketten" ist
gleichfalls schon gedacht. Dieses Andante nnd der Ein-
gangssaiz wechseln dreimal mit einander, wobei das gleicla-
felk dreimal wiederkebrende Furioso jedesinal mit ganz-
lich veranderter eharakteristiseher Instrmnental-Begleitung
erscheint, und dadurch der sonst nicht bedeutenden Ark
ein gewisses Gepr%© von Gr5sse giebt
Das Secco-Reeitatir fiir Alt No. 6 nnd das Lierauf
folgende Duo fiir 2 Soprane (2 Floten, A-dur 3/s? Oont.)
stud oime b^onderes Iiitere^e.
Der ScMnsschor No. 9 ??Heut jauciiaet in Jubel"
(Trompete, Quartett^ D-dur %) ist in dem Haupt-Motive
etwas gekiinstelt. Sopran und Alt setzen in canonisdien
Oangen nach einander ein. Bass und Tenor folgen in
gleieher Weiiie. Ab und zu yereiBigen die Stimmen sich
«» k>m0plion6n Ganger, die aus dein Gewirr der polj-
pli^nea «Bd ooaaferapunktisehen Combinationen wirknn^-
Y®!t hervortretaa. Madb ^ineBa kiirzen Mittelsatz YOU sekr
Ihnlichem Charakter melmen'Tenoir und Bass das
therna wieder auf und Sopran und Alt folgen.
ier Satz in gleicfeer Weke wie der ers&e zu Ende geluhrt
ist? tritt ein neues Motir iMnzu? das den Chor in ^0Eg-
Miiger Arbeit zum Seklus^ ffifart> okne da^s derselbe, wie
es den Worten entsprecliend gewesen ware, sich zn
Schwunge ©uaporfiebk Ein lastrmaental - Nachspiel
26 Takten ^shiiesst &sts Wei^ deswa B^deutu
der historischeB Tfaatsaofae sd^^r fix£ste®zs ab m
— 211 —
speciellen Inhalt zu suchen 1st, Friedemann Bach liat
es in der Fortschreitung dieser Composition niclit ver-
mocht slch auf der Hohe zu erhalten, auf der man iim In
den ersten Kummern findet.
Es 1st der Betraehtung der kirehlicheii tJuinpositionen
dieses Meisters im Verhaltniss zu ihrem Werthe vielleicht
ein zu grosser Raum gewidmet worden. Bisher ivaren
diese Arbeiten Friedeinaiin's so gut wie imbekannt, Es
kam darauf an zu zeigen, das,s das romaiiliafte Bild, das
man sieh friiher von diesem genialen ^lusiker gemacht liatte,
mindestens in diesem Fimkte nicht auf schiein Verdienste
als Tonsetzer berulit hat. Es ersehien nothwendig festzu-
«tellen? dass Friedemann's Kirchen- Arbeiten die Kunst
um keinen Schritt vorwarts gebracht, ja dieselbe nicht
einuaal bereichert haben. Die Kunst-Gesehichte kann fiber
sie ohne Bedenken zur Tages-Ordnnng tibergehen.
Auch elnige Instrumental -Cornpostionen sind aus der
Zeit Friedemann Bach's in Halle bekanut. Doeh diirfte
die im Jahe 1748 erschienene j;Sonate pour le Clavecin,
d6di£e a Son Excellence, Monseigneur Happe? etc. etc."
mit der Zueignung:
„ Monseigneur!
Le gout, que Votre Excellence a pour la Musique, et
les marques de bont6, que j'ai re$u d'elle? me font esperer,
qu'elle agr^era de meme maniere ce petit essai, que je
prens la liberte de Lui d^dier. Mon but Be tend, que
da Lai faire connaitre Fempres^ement? que j'ai de ni'aquiter
par la da plus sacr£ de mes devoirs, comme ime vive re-
eoiua^isancej qui n'en cedera jamais au profond respei^
avee lequel je me fais gloire d'etre toute ma vie,
MoBseignemr! De Votre Excellence Le tres Humble et le
trfe® obe^ssant Serviteur Friedeniann Bach."
Halle ce 8 Jem- 1745.
wobl orq>rl|nglicli den oben erwi-hnten in Dresden COBI-
ponirten 6 §<|ns|^i »geb^rt hal)0B? von den en 5 nocfa
nicht publimi *w®fm* Jilndesteii^ *W Styl und Inhali
14*
— 212 —
derselben der im Jahre 1746 ver&ffentlicbten Sonate so
nahe verwandt, dass es schwer wird zu glauben, dass liier
eine neoe Composition vorliege.
Auch hier 1st die Form derjenigen der Em. Baeh'sehen
Sonaten gleich und eine grosse innere Aehnliehkeit nait
den Wurtembergisehen Sonaten bemerkbar. Die Musik
1st im Ganzen einganglicher, weniger fremdartig als die
der ersten Sonate 5 liin und wieder zeigen sich melodische
Formen, die eine weitere Ausnutzung verdient imtten, so
der Anfang des ersten Satzes:
Allegro ma HOH troppo.
£
in
^
das erste Thema des 3. Theils:
JY«to.
|^!^rjEy-^rn
m
£a welchem auch einige bravourmassig gesetzte Stellen
liegende Largo dagegem
Takte in der Mitte und
noch als interessant z®
dieser Sonate ein irgeni
von 1745 zu erkenneB
Friedemann einen g©^
. I>enn 23 Jahre spater,
das&elbe Stack noch
zirar m.lt dem
Son
dm
Das zwi^jhen beiden Titeilen
1st mratey sehwHHgl<^ and, einige
am Schloss aosgenommm, kaam
bezeichnen. EeinenfaUs wurde in
arkeblieher Fortschritt gegen die
sein, Dennoch scheint es? als ob
wi^cfn Wertb anf sie gelegt tabe
Im Jahre 17687 eisci^int
einmal in d^
??Sonate pour le
Monseigneur de Kalserlimg,
— 213 —
bassadeur et Conseiller prive" de S. M. L'lrnperatrice de
tontes les Russies, Chevalier de 1'Aigle blane, Membre de
la Societe des sciences a Berlin, Seigneur etc. etc. com-
posed par W. Fr. Bach", mit genau derselben Vorrede,
mit welcher Friedemann Seiner Excellenz Herrn von
Happe gehuldigt hatte, sogar unter demselben Datum des
8. Jan., im Uebrigen auch mit demselben Druck, demselben
Papier und in derselben Ausstattung wie die Ausgabe
von 1745. Ja sogar die auf dem Titel der letzteren be-
findliche Bemerkung: 7,In Verlag zu haben 1. bey dem
Autore in Halle, 2. bey dessen Herrn Vater in Leipzig" etc.,
war beibehalten worden; obschon der alte Bach bereits seit
18 Jahren im Grabe ruhte.
Graf Kaiser ling war ein Mann von feingebildetem
Geiste, der sich lebhaft fur Musik, insbesondere fur Clavier-
Musik interessirte, ein Freund und Verehrer cles grossen
Canton zu Leipzig, der; wie man sich erinnern wird, eiust,
als er noch K. Russischer Gesandter in Dresden war, die
bei Seb. Bach bestellte Arie mit den 30 Variationen
fiirstlich bezahlt hatte1). Friedemann war in Dresden
mit ihm bekannt geworden. Wohl mochte er sich in den
Jahren seines Verfalls dessen und des reichen Honorars
entsinnen, das seinem Vater zu Theil geworden, Er hatte
dem Kammermusikus des Grafen, Goldberg, Unterricht im
Clavierspiel gegeben und dieser hatte sich einst in seiner
Gegenwart mit Beifall vor dem Hofe horen lassen. Alles dies
war dem nach augenblickUcher Hilfe in der Noth Haschen-
den offenbar in das Gedachtniss zuruckgetreten. Hatte er
in der Hoffnung einer angemessenen Bezahlung dem Grafen
ein neu coinponirtes Werk zugesandt? wer hatte etwas da-
gegen einwenden wollen? Es war einmal so der Brauch
der Zeit Dass er aber zu einer alten, nicht abgesetzten
Arbeit griff, und deren vergilbte Exemplare mit neuem
Bitter. Sell. Baek Tfe, H.
— 214 —
Titel herausputzte, ohne selbst einmal eine Veranderung
der alten Dedication fur nothig zu halten, dies zeigt
mehr als manehes Andere, wie unwtirdig Friedemann
schon damals von der Kunst und seiner Stellung zu ihr
dachte.
Es ist eine leider niir zu bekannte Thatsache, dass
Prledemann Bach's Grenie inTrunksucht und murrischera
Wesen untergegangen ist1). Es unterliegt aueh keinem
Zweifel, dass es in Halle war, wo die ungliickliche geistige
Disposition dieses grossen Kunstlers, welche ihn nach und
naeh dem Leben mit edlen Menschen entfrerndet und
seinen Mitburgem und Eunstgenossen feindlich und ab-
stossend gegentiber gestellt hat? zuerst in ihrer ganzen
Schroffheit hervortrat. Ihr gesellte sich noch jene iiber-
groase Zerstreutheit hinzu? die ihn filr jede Art von Ge-
sehlften tmlahig macbte. Dies Alles trieb ihn in ein un-
geordnetes Leben und nach und nach in vollige Zerriittung
imdt Aussen und Innen. Doch ist es wahrscheinlich, dass
ins Dnhedl in voller Seharfe erst tiber ihn gekommen ist?
3aaelidem sein ehrwurdlger Vater die Augen geschlossen
iatte. So lange dieser lebte, war ein gewisser Halt in
ibm? der ihn inindestens das Schlimmste vermeiden liess.
Wenn ihn nach dessen Tode etwas vor den Verirrungen
ernes in sieh grubelnden, der Aussenwelt abgekebri€^> kar
i gebeigten schroffen Wesens hatte retlen konBen?
es sicherfidi die Efe© gel^dSm, Priedemann
di@s gef&klt uad B^eb dem Tode des Vaters einen
anderen Stfitz- und Haltpunkt fur sein mehr und mehr
der Verworrenheit entgegentreibendes Leben gesucht zu
baben. Er war 41 Jahre alt, als er zu Halle, 8 Monat
nach seines Vaters Tode, am 25. Februar 1751 dureh
Diaconus Litzmann mit ,,Jungfer Dorothea Elisabeth,
Herrn Johann Gotthilf Georgi, Konigl. Einnehmers
bey der Accise-Kasse zu Halle altesten eheleiblichenTochter"
*) von Ledebur. Berliner Tontinsfe. S. M.
— 215 —
copulirt wurde1). Nichts erinnert daran, dasa dies Ehe-
band jene zarten Wechselbeziehungen unterhalten habe,
die aus der Tiefe der Seele heraus Herz und Gemiith zu
Leid und Gliick vereinigen und von denen sich in dem
Verhaltniss seines Vaters zu Anna Magdalena Witlkens
so riihrende Zeichen fin den.
Ihm wurden 3 Kinder geboren2):
1. Wilhelm Adolph, den 10. Januar 1752, getauft
am 13. Januar. Taufpathen waren: a. ,,Ihro Excellenz
der Oberhof-Marschall Herr Graf Johann Georg
von Einsiedel in Dresden; b. Die Frau Geheiin-
Kathin von Dieskau; c. Ihro Excellenz Hr. Franz
Wilhelm von Happe? Wirkl. Gek Etats- und
Kriegs-Rath in Berlin". Diese Pathen sind bei der
Taufe nicht anwesend ge^Yesen? sondern von Ein-
wohnern der Stadt Halle vertreten worden.
2. Wilhelm Friedrich? geboren den 30. Juli 1754
Pathen waren: a. ??Herr Christian Friedrich
Georgi? Ober-Bornmeister und Renthey-Controlleur;
b. Frau Katharina Elisabeth Becker? Licent-
Wittwe*, c. Herr Johann Gotthilf Georgi? Konigl.
Accise-Einnehmer".
3. Friederike Sophie, geb. den 7. Februar 1757.
Pathen sind gewesen: a. ,,Ihro Hochfiirstl Durchl.
Fr. BernhardineChristiane? Furstin von Sehwarz-
burg und Rudolstadt; b. Ihro HochfurstL Durchl. Hr.
Carl Georg Lebrecht? Ffirst von Anhalt - Cothen ;
c. Ihjo Hochfiirstl. Durchl. Prinzessiu Marie Jlagda-
lena Benedictine von Anhalt -Cothen", welche
gleich&lk durch Personen aus der Stadt Halle ver-
tretea gewesen sind.
Von diesen Kindern starb zuerst Wilhelm Adolph
am 20. November 1752, zehn Monate alt ,;am Jammern",
1) CopElatioQS-Hegl&ter der Kirche m Unserer lieben Frauen.
2) Eireheabietar wA Ta^J^ister iaselbst.
— 216 —
darn Gotthilf Wilhelm, am 16. Januar 1756, I1/* Jahre
alt, am Stickfluss. Nur Friederike Sophie blieb am
Leben? um das traurige Schleksal ihrer unglucklichen
Mutter zu theilen und mit ilir unter des Vaters mehr und
mehr sich steigender Trunksucht, Arbeitsscheu und Ver-
dorbenheit zu leiden.
Wohl erinnern die hochgestellten und fiirstlichen Tauf-
P&then der Kinder Friedemann Bach's daran, dass er
der Sohn seines Vaters war, bei dessen Kindtaufen Aqjin-
liches bemerkt worden 1st. Doch wie ganz anders hatte
dBeser gehandelt, als er im Jahre 1718 seinen furstlichen
Freund Leopold zu Anhalt-Cothen und dessen Verwandte
zwc Taufe seines ihm damals gebornen Sohnchens geladen
hatte! Ware Friedemann in hoheren Dingen seinem
JSeispiel gefolgt!
* Ob und welchen Einfluss Bach's Gattin, die nicht
ganz unyermogend war? im Anfang der Ehe auf ihn aus-
geQbt habe? davon weiss man nichts. Gewiss ist, dass bald
geimg seine Sonderbarkeiten waiter gingen, als dies mit
geordneten Verhkltiimeii vertraglich 1st. Nach dem spateren
Vftristif dies^ unglucklichen Familienlebens mochte man
^Uuben? dass die Frau es nicht vermocht habe, mildernd?
veredelnd, sittlich reinigend auf das Gfemiith ihres Gatten
emzuwirken.
dieter selbfii im gewdhBlichm Varkelir'oft genug
er Schroffii^t war7 hatte er sek>£ fidiher vielfach
Als er im Jaire 1150 Ton Hdle aus? muthmass-
lich nach seines Voters Tode, bei seinem Brude^ Emanuel
in Potsdam zum Besuche war, traf er dort in der Wohnung
TOG Marpurg1) mit dem Violinisten Giordano, einem
KiHstler von bedeutendem Eufe? zusaromen. Marpurg bat
iiese^ etwas auf der Geige zu spielen, was aueh mit bereit-
willigster I^ebeiiBwSrdigkeit gesefaak Bagegen war Frie-
demann durch keine Bitten an das Clavier za bringen.
V Legecden einiger Masikhel%m.
— 217 —
Erst als Giordano sich entfernt hatte, setzte er sich an
das Instrument nnd begann zu phantasiren. Marpurg
ging Geschafte halber fort. Als er nach einer Stunde
nachHaus zuruckkam, fand er Friedeinann nocL Immer
am Fliigel in seine Phantasien versunken. Zelter frei-
lich schrieb iiber ihn an Gothe1): J7Friedeinann Bach
wurde fiir eigensinnig gehalten, wenn er nicht Jedem auf-
spielen wollte? fur uns junge Leute war er es nieht, und
spielte stundenlang." Aber dies zeigt eben? dass er launisch
war. Dieses schroffe Wesen oifenbarte sich auch in seinen
dienstlichen Verhaltnisaen. Oft praludirte er in einer Breite
und Ausfuhrlichkeit, welche die Kirchengeineinde zu nichts
weniger als zur Andacht stimmen konnte. Als ihm einst
der Geistliche, der auf der Kanzel den Beginn des Liedes
erwartete, bedeuten liess? dass es Zeit sei zu enden, rief
er dem Kirchendiener tiberlaut zu: 3JDer Herr Pfarrer ver-
steht den Teufel? was zu einer guten Fuge nothig ist. Ich
werde spielen und schliessen? wie sich^s gehort2)." Ueber-
wog in ihm in solchen Fallen der contrapunktisch gebildete
Kunstler den Kirchendiener ? so konnte er mitunter auch,
wenn es ihm an Lust fehlte? so spielen, dass es nicht zum
Anhoren war. In solchen Fallen begleitete er nicht selten
den Gesaug der Gemeinde in der Weise, dass er die Me-
lodie des Chorals nur ganz einfach mit einem Finger ohne
alle begleitendeJEFarmonie und mit Weglassung der Zwischen-
spiele auf der Orgel angab, und dadurch grossen Anstoss
und Aergerniss hervonief.
Er pflegte sich selten sogleich beim Anfang des Gottes-
dienstes auf der Orgel einzufinden, iibertrug vielinehr in
der Regel die ersten Stiicke einem Studenten. Da -aber
auch dieser, wie man leicht denken kann, oft genug aus-
blieby so veranlassten die hiedurch bewirkten Storungen
das Eorchen-Collegium zu tadelnden Erinnerungen. Statt
Briefwecbs^ Mit 03&& ^.5. S.
Eeiehardt7s
— 218 —
sein Amt mit grosseref Punktlichkeit zu versehen,
schritt er? der immer im Recht zu sein glaubte, zur Be-
schwerde und verlangte, dass der Kirehenvorstand ange-
halten werde, den Gottesdienst erne Stnnde spater anfangen
zu lassen. Es schien ihm durchaus nicht in der Ordnung?
dass dieser Antrag zuriickgewiesen wurde1).
Sein Fleiss Hess tiberhaupt viel zu wiinscnen iibrig.
An sieh war freilich die Haltung des Publikums seinen
Compositionen gegeniiber wenig ermunternd; und dies mag
bei seinem scharf ausgepragteu Boinstlerstolze nicht wenig
zur Verbitterung seines Gemtiths beigetragen haben. Aber
er? der von seinem Bruder Emanuel niehts zu sagen
,wusste als: ?7Er hat einige artige Sachelchen ge-
macht", konnte es nur schwer tiber sich gewinnen? seine
feigenen Arbeiten zu Papiere zu bringen.
Als er im Jahre 1749 yon den Studenten in Halle
er&ueht worden war, ihnen fttr ein Honorar von 100 Rthlr.
e$Be Abendmusik fiir den Prorector der Universitat zu
? war er viel zu bequem und lassig? um eine
Musik zu schreiben, Er zwangte vielmehr den ihm
Text in einige Stiicke aus der grossen Passions-
mtisik seines Vaters ein und schickte die Arbeit so den
Bestellern zu? die sie auch wirklich auffiihrten. Aber die
Sacbe kani durdi einen zufeM|ger^eise tiiite
ttta&tt anw^@n4en Cantor aBs der JSahe VOB
4^r seine Entristag iiar di^ Entetelkng jenes
Meisterwerks Bicfat haHe zortckhalten konnen?
und das Honorar wurde ihm nieht ausgezahit2).
In ihm stritten gewohnlieher Hochmuth und Kiinstler-
slok*? wirkliche Kiinstlergrosse und ungeheure Virtuositat
mii der Zerfahrenheit eines ungeordneten Inneren, mit
Tr^gheit, Eigensin03 Laune und racksichtslosem Wesen.
Und wohl ihm? W^HI es hiebei gebiieben, wenn er nicht
Marpurg, Legecden eiaiger Mesikliei%eH. 178& S.
Marpurg, Legcndea
— 219 —
in der traurigen Leidenschaft des Trunks tiefer gesunken
ware. Leider batten das Stuclium der hoheren Wissen-
schaften? die sorgsaine Erziehung, die ihm zu Theil ge-
worden, die kunstlerische Umgebung, in der er anfge-
wachsen war, einen anderen Erfolg gehabt als bei Ema-
nuel Bach, der vermoge der ihm hiedurch gewordenen
trefflichen Eigenschaften niclit allein ein grosser Kimstler;
sondern auch ein liebenswiirdiger Mann und feingebildeter
Gresellschafter geworden war.
Jenes Ungeordnete in Friederaann's Wesen driickte
sieh selbst in seinen Briefen aus? deren Styl und Schreib-
art; wie die im Anhange abgedruckte Correspondence mit
einem Mitgliede des Kirchenvorstandes zu Halle erweist1),
von nichts weniger als von einer sorgfaltigen wissenschaft-
lichen Bildung zeugt.
Zu verwundern ware es gewesen, wenn seine Unfttg-
samkeit fiir aussere gegebene Verbaltnisse nicht Streitig-
keiten und Zankereien mit seinen Vorgesetzten herbeige-
fiihrt hlitte. Dass diese von wenig freundlicber Gesinnung
gegen ihn erfiillt waren? ersieht man daraus? dass? ob-
gleich das Kirchen- Collegium vocationsmassig die Repa-
ratur der Orchesterinstrumente zu bestreiten hatte, dasselbe
docb Eriedemann Bach gegeniiber darin Schwierigkeiten
machte. Als dieser namlich im Jahre 1760 eirunal die
Pauke von einem Studenten hatte schlagen lassen, der im
Uebermaass des Eifers ein Loch in dieselbe gehauen, dessen
Ausbesserung 1 Rthlr. 8 Grgr. gekostet hatte, wurde er
de&halb zur Verantwortung gezogen und ihm ein Verweis
dariiber ertheilt? dass er nicht 7?die gewofanlichen Kirchen-
Mttsikanten" bei den Instrumenten verwendet habe2}.
Deutlicher als hierin spricht sich die Unzufriedenheit
seiner Dienstvorgesetzten in einem ihm im Jahre 1761 er-
theilten verweisenden Bescheide aus, der in den Acten der
Origin, m den Acten der LiebfraueB Kirohe.
Chrysander, Zeifesehr, fir musikal W^senschaft. 1J. 1867.
— 220 —
Lletfrauenkirche auf bewahrt 1st. Es war namlich in diesem
Jahre der Stedt Halle von feindlicher osterreichischer Invasion
eine Contribution auferlegt und diese auf alle Einwohner
vertheilt worden. Auch Bach war davon uin so melir
betroffen, als seine Fran dort mit Grund und Boden an-
sassig war. Hieriiber beschwerte er sich, indem er zu-
gleich den Antrag an das Kircheneollegiuin richtete, ihm
eine? wie er behauptete bei Antritt seines Amts ver-
sprochene Zulage zu seinem Grehalte zu gewahren. (Siehe
Anbang II.) Die hierauf ergangene Resolution vom 22. No-
vember desselben Jabres lasst die tiefe Kluft; die sich
2Tirischen ihm und seiner vorgesetzten Behorde gebildet
hatte? deutlich erkennen. Indem seine Beschwerde wegen
der Kriegseontribution als unbegrundet zuriiekgewiesen
wird7 wobei man ihm vorhalt, dass er weit geringer als
der scblechfceste Handwerksmann berangezogen worden sei3
wirfi ilxm binsiclitlich der Qekaltszulage eroflfaet^ dass ?;bei
dfters ungebubrlicben Betragen, bei seiner Ver-
sehuldigen Subordinationj da er erhaltenen
Verweises ungeacbtet ofters ohne Permission verreiset und
die ihm gegebne Weisurtg zu seiner Besserung nichts babe
mtzen lassen? sein Gesuch zuruekgewiesen^ er aber dabei
erinnert werden musse? sich besser wie zeither der
seinem Officio obliegenden Subordination geg^o.
Kirehen-Colleginm z*u befleis^igeia? damit
Bicbt genatbigi wer^Cy andere Verfugung zu
treffaa.41
Aucfa hier sind Familienziige erkennbar? die an das
Verhaltniss seines Vaters zu dem Gonsistorio in Arnstadt
und zu dem Rathe zu Leipzig erinnern. Auch dieser war
von dem Vorwurfe zu grosser Belbstandigkeit in seinem
dienstlichen Verhalten und eines nieht selten schroffen
Wesens gegen seine Vorgesetzten nicht freizusprechen ge-
wesen. Aber was dort aus einem edlen und grossen Kunst-
streben hervorgegangen war? jeden Falls durch andere treff-
liche Eigenschaften in und ausser dem Dieoo^fce
— 221 —
uberwogen wurde, erscheint liier als Eigenwille, Starrsinn,
Ungebuhrlichkeit, Charakterfehler.
Wohl mag es scbwer gewesen sein, mit einem Orga-
nisten in geordnetem Dienstverkehr zu bleiben, der neben
seinen sonstigen Widerwilligkeiten einst, statt auf cleni
Orgelchor seinen Dienst zu verrichten, ruhig in der Kirelie
unter der Gemeinde sitzend den Anfang des Gottesdienstes
abwartete, und auf die an ihn gericktete Frage, wer denn
heut die Orgel spielen werde; ganz einfacli die Antwort
gab: ?7Ja? ich bin auch recht neugierig."
Vielfache Verdriesslichkeiten mit dem Kirchencollegio
und den Predigern fiihrten endlich ztim BrucL Der
Kirchenvorstand raochte keineswegs nnangenenm iiber-
rascht «ein? als er ain 12. Mai 1764 folgendes Schreiben
erhielt:
??An
Wohllobliches Kirchen- Collegium
zu U. L. Frauen
gehorsamst
Pro Memoria.
HochWohl- Wohl- und HochEdelGebohrae
Hoch- und WoMgelahrte
Zum Wohllobh Kirchen-Gollegio zu U. L. Frauen
Wohlverordnete Herren Vorsteher und
Achtmanner
Insonders HochgeEhrteste Herren.
Ew. HochWohl- Wohl- und HochEdelGebohren habe
ieh Hermit tenipestive zu notificiren meiner Schuldigkeit
geroass erachtet was massen ich gesonnen mein hiesiges
Organisteii-Amt zu resigniren. Alle mir erwiesene Liebe
und Wohigewogenheit werde ich Zeit Lebens uiit schul-
digsten Dank zu erkennen geflissen sejn und verharre
Ew. HoehWohl- Wohl- und HochEdelGebohren
Halle
den 12. May gel^orsamster Diener,
1764. WilheliB Fri^em^nn Back"
— 222 —
Von diesein Tage an stellte Friedemann seine
Funktionen bei der Kirclie ein? war aber unbillig g^nug?
die Fortzahlung seines Gehalts und der Emolumente bis
zu Trinitatis desselben Jahres, also noch far 2 Monate
weiter? in Anspruch zu nehineDj was itmi natiirliclierweise
abgeschlagen wurde (cf. Protokoll roxa 5. Juli 1764.
Anhang).
Da er die der Kirehe gehorigen musikalischen Instru-
mente, die ihm seiner Zeit ubergeben worden waren, unter
Versehluss hatte, so war von einem der Borchenvorstelier
behufs ihrer Ruckgabe nach dem Inventario tnit ihm ein
Tftrmin auf den 5. Juli Nacbmittags 3 Ubr verabredet
irorden. Wer nicht ersctien war Friedemann Bach.
Als nach langem Warten zu ihin geschickt wurde? liess er
sagen? er sei nicht zu Hause. Auf eine sckriftliche Auf-
forderung des Kirchenyorstehers lieferte er die Schliissel
OT dem Instrumentenschranke nicht aus. Erst als der
Consistorialrath Ramb ach ihm dieselben dnrch denEarchen-
die&er abfordern liess, gab er sie ab? ohne iibrigens selbst
zn erseheinee. So musste die Inventarisirung ohne ihn
TOrgenommen werden. Dass hiebei eine Zinke? eine Po-
saune? ©ine FIdte und der Bogen zu einer Bratsche fehlten?
zeigt? dass Bach nicht bloss hochmiithig und ungezogen,
sondern auch unordentlich gewe&^a war.
Man hat nicitt unteriassen, die Missvertataiisse, in die
IWl© in sepBam kirchlichen Amte ge-
fefetkeken Rkiiteig in Verbindung zu
txriogea, in der sich bekanntlich die dortige Geistlichkeit
imd besonders der Consistorialrath Ram bach bewegt©?
itnd die kurz vor seiiiein Diensteintritt daselbst Friedrich
Grossen za sehr energischen Bemerkungen veran-
kalto1}. Ets findet sich indess nirgends die geringste
i) Auf ABStiHea te GeMiehen, insbesondere Franke's, war
efne Sefaanspieier-G^elJbehafl, die m HaJIe VorstelluBgen gegeben
hatte, von dozi fortgewiesen wordeBv Auf den bieruber eistatteten
B^rieht bezeietoefce teKonig m ^g6iiMiMiigem]>©cretTom 14.Fel»r.
— 223 —
Spur, die zu einer solchen Voraussetzung berechtigen
konnte, Ira Gegentheil konnte man aus den Texten? die
er zu seinen Kircliencantaten verwendet hat elier schliessen,
dass er sich jener Richtung damals gleichfalls angeschlossen
gehabt habe? obwolil iui Uebrigen sein Leben grade nicht
fur elnen besonders kirehliehen Sinn spriclit. Jene iliss-
verhaltnisse waren offenbar niir ein Ausfluss seines Wesens
und seiner personlichen Unvertragliehkeit,
^ Sein Nachfolger war ein gewisser A. F. Eoth. Es
wirft ein wahrlich wenig erfreuliches Licht auf den Ruf,
in dem Friedeminn stand als er sein Aint verliess, dass
dieser Roth in seiner Meldung sich nicht scheuen durfte
auszusprechen: ;,er werde nicht zngeben, dass man von
ihm sage? ;?der Organist kann mit seiner Orgel gross
thun; schade, dass sie nicht mit ihin brilliren kann".
Aber diesem Roth sowenig als dessen Nachfolger war
eine lange Anitsdauer yergonnt, und Friedeniann Bach
war es nicht gelungen eine andere Stelle zu erhalten.
So findet man nach dem was voraufgegaugen war,
nicht ohne Erstaunen folgendes Gesuch um erueute An-
stellung an derselben Kirche:
;?Hochwohl? Wohl und Hochedel Geboren,
Insonders hoch zu Ehrende Herren^
Hochgeneigte Gronner!
Dass ich mich erkuhne Ew. Hochwohl- Wohl- und
HochEdelGebohren gegenwartige Bittsehrift mit schuldig-
ster Ehrfurcht zu iiberreichen? dazu veranlasst niich die
Orgauisfcen - Stelle an der Hauptkirche zu U. L. Fratien
aliMer? welche durch den neulich erfolgten Tod des seel.
Herm R|ihiemann7s erledigt worden ist. Ich wunsche
an des Verstorbenen Stelle gedachter Kirche rneiue Dieiiste
ZE leisten^ uad habe daher nicht ermangeln wollen? ineinen
1745 die Urheber dieser Unterbr^cbgsg der Yor^telmngen als ,,geist-
liclies Mnekerpacku; indem er biuziisetzte: nSie sollen spielen,
und Herr Fi^nke oder wie der Schurke heisst7 soil dabei
sein." 8<&*6>&er,.>€toeh. *r^B6^iBer O^er. B. 111.
— 224 —
darcn diesen Voriall erzeugten Wunsch, und auf die Er-
ledigimg dieses Posten gerichtete Absicht Ew. Hochwohl-
Wohl- und HochEdelGebohr rait dem gehorsamsten Er-
suchcn dahin an den Tag zu legen, dass dieselben auf
diese ineine Bitte vornehmlich reflectiren, und mir oben-
beriihrte Organisten-Stelie bey gedachter Haupt-Kirche zu
ertheilen, die hohe Gewogenheit haben mogen. Sollte ich
durcli Ew. Hoehwohl- Wohl- und HochEdelgeb. yorziig-
liche Begiinstigung meines geziemend angezeigten Gesuchs
theilhaffeig werden; so werde ich. nicht unterlassen, meine
hierdurcli entstehende Obliegenheit nicSt nur aufs piinkt-
licbste zu erfiillen, sondern aueh bey jeder Gelegenheit
die Pflichteu meiner Dankbarkeit mit den aufrichtigsten
Gesinnungen an den Tag legen? und lebenslang in tiefster
Ehrfurcht zu verharren
Ew. Hochwohl- Wohl- und HoehEdelgeb.
Halle
den 22. Febr. gehorsamster Diener.
1768. Wilhelm Friedemann Bach."
An
Bin WoUIobliclies zur Haupt-Kirche
unserer lieben Frauen alhier
wohlverordnetes Barchen-
Collegium.
Diese7 tbrigens weder YOB setaear Hand
n0€b von Ubm selbst mitaraeichiiet© ®Bgabe7 in
morkwlirdigerweise seiner fruhe^en ISjShrigea Dieimteit ^te;
derselben Kirche mit keiner Silbe gedacht war, hatte wie
man sich denken kann keinen Erfolg. Ein anderer Dienst
war fortan fiir ihn nicht inehr zu finden. So begann er
ein wtist unstates Leben zu fiihren; in welchem er die
Sictening seines Unterhalts und der Existenz seiner un-
gliicklielien Familie von einem Tage zum andern suchen
musste. Ztin^ciist wird wohl der Grundbesitz seiner Frau
haben verlussert warden mussen. Mindestens fiadet sich
weiterhin keine Spur mehr davon, dass er solcae
mogensobjeete besessen babe. Im Uebrigen lebte er von
dem jedenfalls geringen Ertrage seiner Compositio:oen7 die
er auch in der iiussersten Not!* nur dann aufzuschreiben
sich entschliessen konnte, wenn ihin jede andere Hilfs-
quelle versagte. Der allmalige Verkauf des ilim zugefal-
lenen Antheils an dem musikalischen Naehlasse seines
Vaters; hauptsiichlieh aber die Untersfciitzung seiner Freunde
aus der Schul- und Studienzeit her mussten mithelfen, ihn zu
erhalten. Eine Zeitlang soil er sein Brod mit der Violine
unter Musikbanden und in Dorfsehanken verdient haben?
der alteste Solm Sebastian B a ch ' s ; als Dorffiedler , den
Bauern zurn Tanze aufspielend!
Wenn es ihm passte und er grade in der Stimmung*
und Lage war, anstandig auftreten zu konnen? gab er
auch Clavier- oder Orgelconcerte. Doeli wird die^ wohl
nur selten geschelien sein. Tiefer und tiefer sank er herab,
bis er in dem Schinuz und Ekel der CTassenrinnen gefun-
den wurde.
Friiher hatte der grosse Ruf seiner Kiinstlernatur hie
und da noeh einen Lichtschiminer in dies zerriittete Da-
sein fallen lassen. Der Landgraf von Hessen hatte
ihin den Titel eines Hessen-Dannstadtischen Kapellmeisters
verliehen? und wahrend seines Aufenthalts in Halle hatte
er einen vortheilhaften Ruf als Hof- Kapellmeister nach
Rudolstadt erhalten ? den er aueh hatte amiehmen -wollen7
nur dass er es nieht fitr nutlu'g gehalten hatte, auf das
Ihm dariiber zugestellte Schreiben zu antworten 1).
Weiterhin aber verliert sich jede Spur davon, dass
ihm irgend ein Antrag fur eine ahnliche Stellung zu Theil
geworden ware. Man hiitete sich eben, mit einem Manne
wie er war in Verkehr zu treten.
Das Jahr 1767 hatte ihn wieder nach Leipzig und
Halle gebracht. "Wir haben hieriiber? ausser seiner vor-
gedachten Bewerbung um die Organistenstelle " in der
i) Reiehardt, Musik, Alm»aefe v.
Bitter, Bmanuel w*& Frfecteraazm Bacfc II. 15
noch das Zeugniss eines Schreibens, welches
er am 29, Juli 1767 von Halle aus an die Churfurstin
von Saehsen (Marie Antonie)1) gerichtet und mit dem
er dieser em Concert fiir deren Sohn uberreicht. Dies in
dem 3L Archiv zu Dresden aufbewahrte Schreiben, von
ihm nicht einmal nnterschrieben? aber mit dem eigen-
handigen Zusatze:
??von Ew. Hochfurstl, Durchl. dem Landgrafen zu
Hessen-Darmstadt ohnlangst Berufener Capell-Meister"
1st im Anhange U. mitgetheilt.
Das Concert ? um welches es sich hier handelte^ war
in E-moll gesetzt. Es wird von ihm weiterhin die Rede sein.
Von 1771 ab lebte er in Braunschweig ; wo er sich
sswei Jahre spater um eine 7?freilich nicht wichtige Orga-
mistenstelle bewarb? die er in seiner Situation zu suchen
Ursach fand2)." Es ward ihm aber ein anderer Bewerber
TOrgezogen. Dies veranlasste ihn, noch in demselben Jahre
seinen Wohnsitz von dort nact Gfottingen zu verlegen?
well er dort Forkel laiidj der7 mn begeisterter Anhanger
fsassea Ya4er®y zngleicli ein genauer Fraond soin^
Emanuel war. Docfc auch hier Melt er es nicht
lange am, sondern zog 1774 nach Berlin^ wo er mit eimem
Orgelconcert in der Marienkirche (d^s Billet zu 1 Btblr.)
auftrai
Wie gross noch zu dieser Zeit7 in <J<
Iwr^k die Stiirme und Wechselfalle des Lebens
feeh Ma- mud hergeworfenen Manne die Gewalt des
Imsefaeaa Weniiis w^? d^r sein Inneres von Jugend auf
i) Es kann sich bei der Uetereieteg dieses Concerts und seiner
Bsstimmmig fiir den Sohn der Clrarf5rst!n stir um den nachmaligen
K$fc% Friedrich Am^ast L von Sadhsen gehandelt haben, der seit
seiner Jmgsmd der Ifusik seiir ergeben, 1750 gebwen, 17^3 zum Throne
gskigt, tonak 17 Jahr-e ait war md 1768 die Regienwg selb&taadfe
antrat D^ Chirfdrstin selbst, welche u. a. 1770 in Berlin bei
Friedrieh dem Orossen zum Besache war, hat verschiedene Opera
in Musik gesefet trad imter den Buehstaben E. I P. A. dniekea lassen.
*) Barney, Msak, Eeise. Tk IH B. 259.
— 227 —
erfiillt hatte; und dessen Flammen von Zeit zu Zeit Immer
wieder aus der Aschenhiille hervorbrachen, die ihn uru-
diisterte, zeigt ein Gedicht, das nach diesem Concert er-
schien: ??bey der G-elegenheit, als er sich 1774 in Berlin
offentlich auf der Orgel horen liess l)."
?7Die Orgel.
An Herrn Wilhelm Friedemann Bach.
Wer eingeweyht, Grefuhl und Ohr zu werden,
0 Bach, in Deinen Tonen schwimmt:
Sieht unter sich den Tand der Erden?
Den Ruhni7 der sich im Staube kriimnit.
Vom Fluge Deiner Tonkunst fortgetragen,
Eauscht unter ihm der Ocean,
Ein Tropfen? — und den Sonnenwagen
Sieht er fur einen Funken an.
Du spieltest — Wer vermag dein Lob zu wahren?
Stand nicht verklart Dein Vater da? - —
Der sich (im Auge Salem's Zahren)
Ihm ahnlicn — vor der Orgel sah?
0 wer erzahlt der Tone Myriaden,
Die Deine Schopfung kommen hiess:
Und dann mit Lorbeer iiberladen
Zur Ewigkeit ersterben liess
Doch schweig? Calliope der mein Jahrhundert
Staunt den Verdiensten in BerUn — —
Und Bach wird vom Olymp bewundert:
Amelia bewundert ihn!"
Solche Worte? wenn auch nicht durchweg verstand-
Kch, zeugen Ton dem gewaltigen Eindruck, den das Orgel-
spielFriedemann's noch dainals hervorzurufen vernaochte.
Wohl leuchtete auch fetzt noch hie und da in ihm
i) SehrifUicte Na^Mrag m toft in to £. JBibliothek zu Berlin
befindlichen Exemplare der Ehrecpforte von Mattheson.
15*
— 228 —
der Trieb auf, als Kiinstler zu leben imd zu wirken. Aber
sein Fleiss war nicht gesegnet. Niemand mochte Arbeiten
von ihm kaufen und seine weitergreifenden Plane waren
nicht praktisch.
Schon in seiner besseren Zeit hatte er ein Werk:
Von dexn harmonischen Dreiklange, gesehrieben.
Marpurg verkiindete davon, ??dass es der Welt unstreitig
neue Entdeckungen tiber diese wichtige Materie mittheilen
werde." Es warte nur auf einen annehmlichen Veiieger?
an dem es dem beruhmten Autor nicht fehlen werde1).
Aber der Verleger hat sich nicht gefunden, und die
Musik ist ohne jene wichtigen Entdeckungen normahnassig
zu ihi'em Hohepunkt emporgelangt.
In den Jahren 1778/79 beschaftigte er sich sogar nait
der Composition einer Oper? deren Text: La us us und
Lydia, nach Marmontel von Plumicke; dem Verfasser
der Theatergeschichte von Berlin und zu jener Zeit Theater-
dichter und Mitglied der dortigen Dobbelin'schen Ge-
selischafty fur ihn gefertigt war, Er wollte darin besonders
versuchen, die Theaterchore der Alten so viel als moglich
wieder auf die Biihne zu bringen. Doch blieb die Com-
position ?;kranklicher Umstande des durch sein
grosses musikalisches Genie beruhmten Compo-
nisten wegen" unbeendigt2),
W^re dies Werk? voa dem naeh jeBer jodii?ga Mit-
Aeilcing Am Textverfassers ^in TEeil fertig gewese&-2n
sein ^eIieiBt? und dessto Tendenz dem idealen Kiinstler-
geiste Friedrlch Wilhelm's IV. und dem grossen Talente
Felix Mendelssohn-Bartholdy's urn 50 Jahre voraus-
eilen zu wollen schien, zur Ausfulirung gebracht worden,
vielleicht dass Friedemann Bach's Name dadurch der
Kunstgeschiclite von wirklicher und dauernder Bedeutung
hatte werden konnen. Aber es ist offenbar bei dem An-
lauf geblieben.
i) Marpnrg, Histor. krit Beitr. B4 I. S. 430ff.
9) Plumieke, TbeatergescMchte v. Berlin. S. 338,
— 229 —
In Berlin hat sich sein Schicksal nicht gebessert. Auch
hier schlossen ihn allo jone Elgenschaften, die ihu bis da-
hin in so ungiiicklicher Weise beherrscht batten, von der
Moglichkeit besserer Verhaltnisse aus.
Die besten Hauser der Stadt? in denen man seinen
Genius zu schatzen wusste, batten sicb beeifert, ibm jede
Aufmerksamkeit zu erzeigen1). Eine Scbiilerin nach der
anderen bot sich ihin an? und es hing nur von ihm ab,
so viele Stunden als er wollte zu geben? ohne dass er
seiner Bequemlichkeit den geringsten Zwang anzuthun
nothig gehabt hatte. Man uberliess ihm sogar, das Ho-
norar selbst zu bestimmen. Aber der wundeiiiche alte
Mann? durch Erfahrung nicht gebessert? von dem Gefiihle
der Kunstlerwurde nicht mehr erfullt? hielt es fiir schick-
licher? zu darben, als sich etwas zu erwerbenf Wenigstens
glaubte er> besser zu thun, wenn er von einigen monat-
lichen Beitragen guter Freunde ktiinmerlich lebte, als wenn
er sich entschloss, drei oder vier Stunden taglich zu geben?
um auf eine anstandige Weise leben zu konnen.
Doch ist eine ISchulerin von ihm bekannt, die wie es
scheint bis in die letzte Zeit seines LeTbens hinein von
ihm Unterricht empfangen hat und zu einer bedeutenden
Klavierspielerin ausgebildet worden ist. Es war dies Frau
Sara Levy? geborne Itzig, die Grossniutter Felix Men-
delssohn-Bar tholdyjs? aus deren Nachlass noch einige
Friedemann Bachjsche Conipositionen auf uns gekomnien
sind? die sich sonst nirgends vorfinden.
Mitunter arbeitete er Instrumental -Sachen aus, wie
sich dies beispielsweise aus den im Anhange abgedruckten
Biefen an Fork el ergiebt? iu denen er^ neben dem Ver-
langen nach Gottinger Mettwursten, die Bekanntniachung
einer von ihm zu veroffentlichenden Composition bespricht.
Aber im Ganzen entstand nur wenig. \
Marpurg, Lege»len eii%af Mnsikfeei%%c. 1786. S. 36.
_ fSO
Seine gesaminten Instniniental-Coinpositionen, so weit
sie der Nachwelt uberliefert und zur Zeit bekannt sind,
sind folgende:
1. Orgel-Concert fur 2 Claviere und Pedal, D-moll, gedr,
2. 1 Sonate fiir 2 Claviere, concert., F-dur.
3. 8 Fngen, der Prinzessin Amalia gewidmet, gedr.
4 2 Fugen in C-moll s/4 3st.3 und in C-dur % 3st
5. 12 Polonaisen fur Clavier, gedr.
6. 1 Concert mit Quartett-BegL in A-moll Allabr.
Allegro.
-»*-*-'
-*-*-^r
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bei Herrn Lecerf in Dresden.
7, 1 desgl. in E-moll 4/47 der Churfiirstin von Saehsen
dedicirt:
— 231 —
9. 1 devSgl. in Es-dur 4/4. welches nur bis zum 16. Takte
des zweiten Baizes iin Adagio vollendet ist,
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Jr.* 4 — I y. 0 m •
Ef)^=H~- ^Fg
10. 1 desgl. in D-dur Allabr.
11. 1 desgl. in G-moll V*-
12. 1 desgl. A-dur »/«, Brucbstiick.
13. 1 desgl. fur 2 Claviere, 2 Homer, 2 Troinpeten,
Pauken und Quartett;
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un $oco
14. 1 Concert in F-d'ur (in der Bibl. des K. Joachims-'
thalschen Gymnasiums):
— 232
Mlegro ma, non troppo.
15. 1 Senate in C-dur % (abschriftl. in der K. Privat-
Bibl. zn Dresden) mit dem Anfange:
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16. 1 Senate In B-dur 2/4 (Abachr. in Berlin u. Dresden).
17. 1 desgL in C-moll (abschriftl. im Besitz dos M
Dir. Lecerf in Dresden) mit dem Anfange:"
.. 1 Sonate in D-dur ebendaselbst mit dem Anfange:
— 233
Allegretto.
^v:B Q -Q-
5^j^/k
19. 1 Sonata per il cembalo, dedicata a Sua Altezza la
Principessa da Prussia (Berlin) D-dur? mit dem
Anfange:
Allegretto.
20. 1 Sonate in Gr-dur Vi? in Berlin in Abschr.
21. 1 desgl. in A-dur 4/47 Bait dem Anfange:
Allegro.
^T — * 1 ^ ^
i — n^
i_^ 4_^ n , IS i
1
^4- *. •*»;.#, J ^ J *
^^--E
22. 1 Sonate in D-dur 2/4? gedr. 1745.
23. 1 desgl. in Es-dur 4/« gedr. 1745.
24. 1 desgl. in B-dur Allabr. mit dem Anfange:
25. 1 Sonate in F-dnr */«.
26. 1 zweite Sonate in Gr-dur */t.
Die EL JBibL zm Berlin besitet ferner ein
27. Concert: per il Violino del Sign. Vivaldi, appropr.
al organo a 2 Glav. e Ped. D-raoll, Brttchstuck.
28. Preludio per-il cembalo, C-moIl Andante %•
29. Reveille
30. Imitation de la chasse
fiir Clavier.
An Clavier-Fantasien:
31. Fantasia in E-moll AlTabr. (Orig. in Berlin mit der
Bemerkung: fatto Octob. 1770) mit dem An-
fange:
tmd mit angehangtem
in Es-dur %;
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33.
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235
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Adagio.
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34 Fantasia E-moll */« (Berlin).
35. Fantasia in C-dur «/« (Berlin).
36. Fant. In D-moll
Allegro di molto.
Dresden bei Hrn, Lecerf).
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37. 38. 2 kleine Fantasien in B-dur */t und F-dur
ebendort.
39. 40. 2 klebe Faatasien in D-moll «/. und D-dur V
(Berlin).
— 237 —
41. Fantasie in C-moll 4/i (Berlin).
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42. Desgl. in C-moll V4 (Berlin).
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43. Das Fragment einer Burleske (Berlin).
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44, 1 Gique, G-dur 6/8.
45. 1 Etude (Solfeggio) (bei Hrn. Lecerf in Dresden).
46. 1 Suite G-moll? bestehend aus Allemande? Courante,
Sarabande? Presto und Bourree.
47. 1 Trio fur 2 Floten und Bass? D-dur 4,V
48. 49. 2 desgl. fur Oboe, Fagott und Cont.3 C-dur %
und A-dur 4/4-
50. Desgl. per Violino e Cembalo obligate ? H-dur %
5** i ?HT I «fr ASK-
D2. 1 Allabreve j
53. Ricercata ftir Quartett und Bass, D-moll 4/4-
54. 1 Sinfonie fur 2 Floten und Qaartett, D-moll 3/4-
55. Sestetto per due eorni, Clarinetto, Violino, Viola e
Basso, Es-dur Allabr.
56. 1 Divertimento per il Cembalo, A -moll (Allegro,
Minuetto, Trio, Polonaise, Rondo, Presto).
Perner aus Emanuel Bach's Nachlass1):
57. 1 Duett fur 2 Claviere (vielleicht die Sonate in
F-dur?).
58. 1 Allemande fiir Clavier.
59. 1 Heines Presto desgl.
und aus Forkel's Nachlass2) (neben anderen schon
genannten Sachen):
60. 1 Concert fiir Clavier mit 2 Violinen und Cello in
F-dar.
Bie Q^esamintisahl der bekamMen Instrumental-Sachen
Priedemann Bach's steigt sonach auf etwas iiber 80,
iroranter 10 Concerte, 10 Fugen, 10 Sonaten, 1 Suite und
1 Divertimento, 6 kleinere Clavierstiicke, 7 grossere und
4 kleinere Fantasien.
Ausserdem bezeidbnet ©ine von CiirysaiLd^r her-
Mittheilimg an die K. Bibliothek zu Berlia noch
als
welehe sehw&rliefa an Sch5nlieit inres Grleidhe®
feaben."
Manches ist ohne Zweifel verloren gegangen. Enthalt
der vorstehende Nachweis nun auch bedeutend mehr, als
man bisher von Friedemann als bekannt vorausgesetzt
hat, so ist diese Ausbeute eines 74jahrigen Kiinstlerlebens
Nachlass-Katalog von 1790. / Beide In der K, Bibl. zu
Desgl. von ForkePs Nachlass, I Berlin,
~ 239 —
dtfch immer nur als gering zu betrachten, -wenn man dabel
erwagt, dass die Zabl seiner Gesangs- und Kirclien-Com-
positionen gleichfalls nicnt erheblich ist. Er starb nur ein
Jahr j linger als sein Bruder Enianuel, 9 Jahr alter als
sein grosser Vater. Und in welchem Verhaltniss steht,
was er geschaffen? der Zahl und zum grosses Theil auch
dem Inhalt nach gegen den Nachlass jener. Und doch
waren diese bis in ihre letzte Lebenszeit hinein durcli ihre
kirchlichen Aemter, durcli* den Unterricht7 den sie offent-
lick und privatim zu ertheilen hatten? so wie lange Zeit
hindureh durch ihre Direction und Mitwirkung in Con-
certen und Akademien thatig gewesen, wahrend er kaum in
Halle ausreiehend beschaftigt? schliesslicb 20 Jahre lang
ohne Amt und ohne irgend eine zwingende Abhaltung
nur der Kunst und in ihr der Composition hatte leben
konnen.
So sind die Vorwurfe? welche nach dieser Seite hii|
seinen Fleiss betroffen haben; wonl begrtindet. Docb daif
man im Ganzen anerkennen, dass seine Thatigkeit flir das
Clavier keineswegs eine durchweg verfehlte genannt werden
kann. Wenn gleich Manches seinep Clavierstiicke ohne
besondere Bedeutung ist, so steht doeh Anderes auf einer
hohen Stufe kiinstlerischer Vollendung und widerlegt die
irrige Ansicnt, dass Friedeinann Bacn mit Eigensinn
und starrer Verblendung vorzugsweise nur den strengen
Styl der alten Schule cultivirt und fiir die Ausfunrung zu
schwer geschrieben babe.
Schon oben ist iiber Einzelnes gesprochen worden.
Vieles in seinen Sonaten ist sehr schon. Doch stehen sie
im Allgemeinen denen Emanuel Bach's nicht gleich. Ilire
Form ist von der Form dieser wenig unterschieden. In ihrew
Stractur zeigt sich7 wie in Friedemann's Kirchenstiicfc&i^
nicht selten eine gewisse Schwerfalligkeit. Was ihnen asa^
meist fehlt; ist der Gesang, der wohlthuende melodisoltf
Reiz^ die elegante harmomsehe Behaadlung? die den "
gang aus clem alten in cten moderrten Clavierstyl
terisirt? tmd fur den Mangel an eigentlich thematischer
Behandlung der Stucke und an breiterer Anlage der Me-
lodien Ersatz bietet.
Doeh treffen diese Bemerkungen keineswegs alle 80-
naten. Die Senate in A-dur 4/4 (No. 21 der vorstehenden
Nachweisung) durfte mit ihren elegant en ? beide Hande
beschiftigenden Harpeggien, dem einfach schonen Andante
con tenerezza? und dein brillant reizenden Allegro assai
keineswegs zu den unbedeutenden Stucken gezahlt werden.
Dies gilt auch von der Sonate in B-dur Allabr. (No. 24)7
in der besonders der letzte Satz mit dein zweimal zwischen
eintretenden Andantino von hervortre tender Schonheit ist.
Die Sonate in D-dur % (No. 18) zeichnet sich durch
ein sehr ausgefiihrtes gesangvolles Grave in Gr-dur
( jMr ^ 4. frf-
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voller Imitationen ifnd von wohlklingender naelodischer
Sehonheit aus7 und die Sonate in Gr-dur 4/4 mit dem An-
fange:
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— 241 —
welcher ztt einem nielirfachen Wechsel iin Tempo und in
den Motiven fuhrt, hat als Mittelsatz ein schones Lainento
In E-moll, dessen edle Melodik sich durch die herrlichsten
Modulationen hindurchwindet.
Vor alien bemerkenswerth 1st die Senate in B-dur No. 16:
•Af-n '*•'-" f
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• N'i -p>—
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»- »
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* •• *
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—
deren erster Satz sich in fortwahrenden Irnitationen und
Umkehrungen bewegt? ohne dass dadurch die klare Fliissig-
keit desselben beeintrachtigt wiirde, wahrend das Presto
i l i ' f"
den interessantesten Clavierstticken jener Zeit angehort
und den besten Schopfungen Emanuel Bach's nicht
naehsteht.
Einige dieser Sonaten gehoren wohl zu jener Samm-
lung, die Friedemann in Dresden herauszugeben die
Absicht hatte. Ware ihm dies gelungen, hatte er dadurch
Veranlassung bekommen mehr zu schreiben? seine Be-
sonderheit und sein jnelodisches und contrapunktisches
Talent fur den Glavierstyl freier und leichter zu eni-
wickeln, tmzweifelhaft wxirde er der Nachwelt gegeniiber
auf e«ter anderen Stufe ktinstlerischer Bedeutung stehen.
Zu, den am wenigsten ansprechenden Stiicken dieser
Art von Musik gehort offenbar die Sonate concertante in
F-dur fur 2 Glaviere. Sie ist ein miihsam gearbeitetes
Work, ohne bedeutende Z%e? voll kl^ner spielender Ein-
zelnheiten. Dies trifft in&be^ondere den ©rsten Satz (Allegro ,
Bitter, Bmannel tiad
®acli. IL
16
moderate) vom 10. Takte an, and das Andante (D-moll V4),
dem es an jeder tieferen Empiindung; sowieNan der ^rfor-
derliehen Breite der Motive fehlt. Der letzte Satz/Pff^to J%,
ist nicht ohne Feuer? zeigt eine gewisse Frische und KraiT
und ist in der Arbeit am wenigsten kleinlich.
Das Trio in H-dur fur Violine und obligates Clavier,
gteiehfalls in der damals herrschenden Sonatenfonn ge-
schrieben, steht auf hoherer Stufe. Melodischer Reiz und
gefalliger KJiang herrschen durchweg vor; die musikalische
Auffassnng ist kunstlerisch freier. Der erste und der dritte
Satz insbesondere sind von fein berechneter Wirkung7 und
die eoncertirenden Stinimen? von denen freilich das Clavier
nur zweistiinmig auftritt7 greifen auf eine ungemein har-
monische Weise ineinander. Dabei sind alle 3 Satze von
lebhaftena und anregendem Character. Ein eigentlich lang-
sames Tempo kommt nicht vor, Dessen Stelle vertritt der
erste Safcz:
Cemklo.
rt
der eine besonders schnelle Bewegung nicht zulasst; wenn
die darin liegenden melodischen Schonheiten gehorig her-
vortreten sollen.
In der Behandlung der Violine zeigt sich Friede-
mann; der einfachen Bewegung derselben ungeachtet?
seinem Bruder Ernanuel uberlegen.
_ 243 —
Vollendeter als in den Sonaten steht er in seinen
Clavier -Coneerten vor uns.
Diese sind fast durchweg in jenem grossen Styl gesetzt?
der eine Folge der vollkonirneneren Beherrschung des
Stoffes? freierer Gredanken, kiihner Entwickelung nnd Zu-
samnienstellung derselben 1st. Hier zeigt sich Friede-
mann ernst? tief; bedeutend, zugleieb grazieus, elegant,
nielodisch? glanzend; sowohl in der Technik des Clavier-
spiels ? als in der coneertirenden Verbindung des Solo-
Instruments rait der Quartett - Begleitung. Viele seiner
Clavier- Con certe «ind noch jetzt Meisterstiicke, die der
Uebung und des Vortrags wiirdig sind. In ihnen ist die
Wirkung nicht in kleine, spielende? oft zm* Steifheit oder
Bizarrerie ausartende Kiinsteleien und contrapunktisciie
Schwierigkeiten gelegt.
Form und Umfang sind wenig verscnieden von denen
Emanuel Bach's. Ini Inhalt stehen sie diesen gleicb.
Docb feblt ihnen der dort hie und da her vor tret ende
Humor und der melodische Gesang.
Das Concert in Es-dur fur 2 Claviere und Orchester7
(No. 13) ein in sauberster Ausarbeitung aller Details ge-
schriebenes Stiick mit dem Unisono-Anfange:
^£
^p
m
Z7rt poco Allegro.
geht nach 26 Takten zu dem Haupt-Motive iiber?
Cembalo I.
£=!-> 7 IL gT^FJ
Yitlino 1.
das weiterhin von dem ersten Clavier in der lioheren
Quart wiederholt? von bravourmassig gesetzten; zwischen
beiden Instrumenten wechselnden Gangen vielfach unter-
brochen, in reichster Weise thematisch verarbeitet, und
oft von neuen Gredanken und genialen Wendungen, die
nicht selten einen vollig modernen Charakter annehmen,
durcBflochten ist.
- 245
Man sieht, dass Friedemann, als er den Entsehluss
gefasst hatte, das Stuck zu Papier zu bringen? in der
kiinstlerischen Laune war, die ihn so selten iiberkam.
Der zweite Satz (Cantabile, C-moIl s/s); Wos ffir zwei
Claviere, bekundet bis auf einen gewissen Grad die
Schwache des Componisten. Er ist sehr einfach in Melodic
nnd Modulation; frei von alien sonst so oft vorkommenden
Absonderlichkeiten; doci beruht das Interesse, das er er-
regen kann, wesentlich in der exacten Ansfiihrung, die er
erfordert.
Der Schlusssatz (Vivace, Es-dur 2/4) dagegen ist feurig
und gross in Styl nnd Ausarbeitung, von einer Abnmdung
nnd einem Fluss? wie sie fiir die Zeit der Entstebung des
Concerts, selbst wenn diese in die spateren Lebensjahre
Friedemann's fiele^ bewundernswerth sind.
Das Haupt-Motiv
«*
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— 246 —
m
m
-*-#
ist in einer Weise beai'beltet, die der spateren Entwickelung
der Clavier - Musik vorangreift und sich in gleich voll-
kommener Art kaum anders als in Emanuel Bach's
besten Fliigel-Concerten findet.
Stellen wie
¥toi. I. a. 2.
welefee 4en Toll%
Styls enthalten? uberrascken an diesem Orte im
Grade.
Das Gauze ist ein Musikstiick von hochster und
bleibender SchSnheit. Mit Bedatiern blickt man auf das
vergeudete Leben eines Kiinstlers hin? der so schreiben
konnte und doci so wenig so geschrieben hat.
Nicht minder bedeutend ist das jESr den Kurprinzen
von Sachsen? 1767, geschriebene Concert in E-molI No. 7,
durch dessen Inhalt sich jener melancholische Zag hin-
durchzieht, der in den meisten Clavier -Arbeiten Friede-
js bemerkbax ist. Das Quartett ist mit besonderem
— 247 —
Interesse behandelt, der Character des G-anzen elegant,
voll von glanzendem Figurenwerk, nicht selten in moderne
Satzbildung iibergelaend.
Das Adagio:
1st gesangvoller, als dies sonst der Fall zu sein pflegt, der
3. Satz:
Allegro aasai.
3
-J.
-#*-
tt=FE
S
^
rLjd^L
voll von Feuer, Leben nnd Geist, bei dem ofter vorkom-
menden Ueberschlagen der Hande Me trad da speciellere
Uebung erfordernd.
Zweifellos den 'besten Clavier - Compositionen des
vorigen Janrhanderts, den vorgedachten Concerten fast
noch tiberlegen, gehort das Concert in G-moll No. 11 an,
Wenn man das seknerzlich kla^ende, zmgleicB grossartige
Motiv des ersten Satzes:
248 —
betrachtetj dem im weiteren Verlaufe das folgende
entgegentritt, wenn man das gesangreiche, wie vom tiefsten
Schmerz durchbebte Adagio, und das darehaus in dem
Character der klassisch-modernen Musik gesetzte Vivace
— 249
rait dem reizvoll eigenthiimllchen Hauptthema fiir das Solo-
Instrument
— J — j 4-^->dT-"* -tf^ ''?- -f — >cr"
* •*• -©*• n -sr -f- -f - -^=r-
in semen vielfachen Formen und harmonischen Verbin-
dungen verfolgt, wenn man die breite und grosse Anlage
und die meisterhafte Ausfuhrung berucksiclitigt, die das
Ganze beherrscht, so wird man das oben ausgesprochene
Urtheil ka^m als irrig bezeichnen konBen.
Ueber das Oomeert in A-moll No. 8 Hesse sieh zi
lick dasselbe sagenL weBB sieht daB Adagio
etwas zuriicktrate, wahrend der 3. Satz? Allegro con
spirito
=£=£=
roll blitzender edler Gedanken und fur Friedemann's
Zelt in kiihnen Wendungen gesetzt ist.
So Melbt anch hier wiederum nnr zu bedauern? dass
dfeer wtmderbare Mann? der fur die Instrumental -Musik
oifeifoar sehr fruchtbar in der Erfodung War? nidbt fleissiger
IB der Arbeit des Niederschreibens gewesen ist. Im Granzen.
beknnden alle diese Concerte die yollendete Reife und die
erfahrene Hand eines gediegenen Meisters und werden daher
in die Zeit seines vollkommenen mannlichen Alters, in die
Zeit, die zwischen seiner Ankunft in Halle bis zur Ueber-
sfecfeteng imeh Berlin liegt? zu setzen sein.
Von niclit geringem Interesse sind die Fantasien, die
in verMteissmlssig grosser ZaW vorkanden sind. Giebt
sich in ihnen auch niclit jene pbantasiereiche Gestaltung,
jener pracb% schillernde Farbenglanz, die bliithenreiche
Poesie zu erkennen; durch welche die grosseren Fantasien
Em, Bad's so anregend wirken, so geben doch auch sie
Zeugniss von der Erfindungsgabe Friedemann?s? von
der Grosse seiner musikalischen Auffassung, von der Grazie
und spielenden Leichtigkeit, deren er sich in der Behand-
lung der Gedanken zu bedienen vermochte und von seiner
vollkommenen Hemchaft uber die Tecbnik des Lastrumente.
— 251 —
Man betraehte die in Allegro mid Adagio wechselnde,
sehr auRgefiihrte Fantasic in C-dur (No. 33), die zuletzt
in ein prestissimo iibergeht, das iin rapidesten Wechsel
von Zierlichkeit und Kraft daherbraust, oder die grosse
Fantasie in E-moll (No. 34) mit den in dieselbe einge-
streuten langen und sehr ausdrucksvollen Reeitativen, oder
die iiberaus geistvolle Fantasie in E-moll (No. 31), oder
die in D-moll (No. 36), in der die bereits weiter oben an-
gegebene Eingangs-Bewegung mit einem ouverturenartigen
Grave? und einem ziemlich ausgefuhrten Fugensatze:
wechselt, uberall wird man Geist, Leben, Originalitat und
Erfindung erkennen.
Friedemann's bedeutendste Arbeiten in dieser Art
sind die beiden grossen Fantasien in C-moll (No. 41 u. 42),
die sich abschriftlicfa in der K. iibliothek zu Berlin be-
finden.
Die erste von beiden, die in h&ufigem Wechsel der
Tempi (Grave, Adagio, Vivace, Andantino und Prestis-
simo, Cantabile und Allegro di molto) mit eben so viel
verschiedenen Motiven und von mehrfachen Harpeggien
unterbrochen? sehr breit ausgearbeitet ist, unterscheidet sich
von den Fantasien seines jtingeren Bruders wesentlich da-
durch, dass alles geordnet nach einander eintritt, dass jedes
Tempo mit seinem Inhalt das vorhergehende in regel-
massigem Gange abl5st? gewissermassen die Reflexion dies©
einzelnen Theile ansserlich gestaltend zusammengeftigt hat,
wahrend bei E manual mehr der innere Drang der Seel©,
die Inspiration des AugemWicks hervorzutreten scheint.
Die andere E^antasie in 0-inolI isfc ahnlich construir^,
und zeichnet sich durdh mkr knge Harpeggien aus7 derail
_ 258 _
mil geriugen Unterbreehungen, nicht weniger als
80 Takte ausfullt
Die Mehrzahl dieser Arbeiten diirfte nach der Aehn-
lichkeit, die sie in ihrer Anordnung tragen, dem letzten
Jahrzehend Friedemann's angehoren. Von den zuletzt
genannten 2 Fantasien in C-moll weiss man dies mit Be-
stimmtlieit. Sie sind in dem letzten Lebensjahre, wenn
Bicht in den letzten Monaten des greisen Mannes ent-
standen, und vermnthlicli anfgeschrieben worden? nm
bitterster Noth abzuhelfen. Ihr Ursprung ergiebt sich
aus dem Briefe eines Herrn von Behr aus Schleck vom
2. July 17847 dessen Original3 an Forkel gerichtet, der
in der 5- Bibliothek zu Berlin befindliclien Abscbrift an-
gefiigt ist. Man ersieht daraus, dass dieser Herr von
Behr beide Fantasien von Friedemann Bach batte auf-
setzen kssen. Er bittet Forkel nm sein Urtbeil und
wfesctt von ikm die Schonheiten derselben entwickelt zu
der freien Phantasie^ wte er diese an der Orgel
am Clavier auszufubren pflegte und dureb die er
so wunderbar ergreifenden Eindruck auf seine Zu-
hervorbrachte, kdnnen diese schriftlicben Ausarbei-
tangen naturlicher Weise keine deutficbe Vorstellung
la eiaar etwas frttertB Zeit^ wmngleidi a^k-
Deeennio seines Lebam ^ageterigj sinji die sp&fcer
durch den Brack bekaunt gewordeneifc 8 Fugen enlstanden,
welche im Jabrel778 derPrinzessin Amalia von Preussen,
der Schiilez*in Kirnberger's und Gonnerin seines Bruders
Emanuel mit folgender Dedication iiberreicht worden
sind:
?;Durcblauchtigste Prinzessin,
Gnadigste Aebtissin und Frau!
Die Gnade Ew. Konigl. Hoheit gegen mich hat meine
— 253 —
deutende Opfer init dem feurigsten Gefiihl der Dartkbar-
keit zu Hochstdero Fiissen lege, und in tiefer Ehrfurclit
ersterbe.
Ew. Koniglichen Hoheit
Berlin, den 24. Februar unterthanigster Diener
1778. Wilkelm Friedemann Bach.
Ob Friedemann Bach zu der Prinzessin in irgend
einem naheren kiinstlerischen Verhaltniss gestanden habe,
ist nicht bekaunt Doch konnte ihr ein so kenntnissreicher
und tiefer Musiker und so grosser Kiinstler, wie er selbst
in seinern damals 68. Lebensjahre noch immer war, nicht
ganz fremd geblieben sein.
Hiegegen wiirde auch sein nahes Verhaltniss zu Kirn-
berg er, so wie das besondere Interesse sprechen, welches
diese ausgezeichnete Fiirstin fiir die altklassische Schule
und die aus ihr heryorgehenden contrapunktischen Arbeiten
sich bewahrt hatte.
In jedem Falle darf angenommen werden, dass der
stets geldbediirftige Friedemann von ihr unterstiitzt
worden ist, und dass der Inhalt der Dedication daher
nicht bios eine hohle Phrase dargestellt haben werde. Die
Fugen selbst, ohne Ausnahme Sstimmig, konnten der Mehr-
zahl nach als Fughetten bezeichnet werden. Es sind kleine
Satze, im strengen Styl gearbeitet Einige, z. B. die Fuge
No. 5 in Es-dur und No. 6 in E-moll zeichnen sich durch
melodische Anmuth aus. Die Fuge No. 8 in F-rnoll ist
weiter ausgefiihrt als die anderen. Alle 8 Stiicke sind
leicht zu spielen und von durchsichtiger Klarheit, durefe
welche $ie auch dem weniger geiibten verstandlich un4
einganglich werden.
Hit dem in deinselben Jajire componirten Heilig
seines Bruders Emanuel mogen dies wohl die letztea,
Fugen aus der Schule des alien Bach gewesen sein, dm
zu allgemeraerer KenBtoiss gel^agt ^nd. Schon hatte
der Kkvierstjrl VOB der strenge^ Polyphonic
umd jenes Werk reprasentirte daher schon damals ein Stuck
kistorischer Vergangenheit.
Uebrigens 1st noch eine andere, sehr scheme und welter
ausgefuhrte dreistimmige Fuge YOU Friedemann Bach
bekannt?
tr
welche otne Zweifel als eine der yollendetsten Arbeiten
dies^ Art betrachtet werden darf und keineswegs den
Meht spielbaren Stucken angehort.
Von relnen Instrumental -Oompositionen hat Friede-
»amn nur wenig hinterlassen? nnd wie es scheint anA
Bur wenig gesetzt. Es lag eben nicht in seinem Wesen,
m arbeiten, wenn nicht eine dringende Veranlassung
iasu Torhanden war? und diese fand sich far ihnr weim
nicht die bitterste Noth an ihn herantrat, ma so seltener?
je mehr er sich yon dem Verkehr mit anderen Menschen
isolirte, je mohr er sich in sieh selbst zuriickzog iind seiner
Nei^aig zi^a Trt^te folgle.
Oantaten bekaant
L Eine Sinfonie in einem Satze fiir
Quartett, (Original in Berlin auf der
Bibliothek).
2. 4 Duetten und
. A11 , fiir 2 Floten. ohne Bass.
1 Allabreve 7
3. Ricercata, funfstimmig ? far Streich - Quartett und
Bass7 und
4. Sextett fur 2 Horner^ Clarinette, Violine? Viola und
— 255 —
Es 1st dies freilich nur cine geringe Ausbeute fur ein
so langes Leben, doppelt auffallend, da Friedemann ein
vorziiglicher Violinspieler war, und es arts diesem Grande
und well er sich in der Instrurnental-Musik xiberhaupt am
freisten bewegte, natiirlich gewesen sein wiirde, wenn er
hierin mehr geschaffen hatte.
Doch gereicht es ihm gewisserinassen zur Entschul-
digung, dass er nie in die Lage gekommen ist; als Orchester-
Dirigent zu wirken, und so zn einer Thatigkeit nach dieser
Richtung bin besondere Anregung zu erlialten.
Unter den vorbezeichneten Stucken nimmt die zuerst
genannte Orchester-Sinfonie, die yielleicht der Cantate zuni
Geburtstag BViedricha des Grrossen als Einleitung ge-
dient hat (Siehe S. 181), unzweifelhaft den ersten Eang ein.
Sie beginnt mit eineni Adagio:
2 Ytoitoea
con sordini e
sempre piano.
Ytala e Basso.
das sehr ausgeflilirt, von melancbolischem Character, durch
den spateren Hinzutritt von 2 Floten eine reichere Farbung
erbalt und eine Fiille vou scbmelzenden Stimrnungen ent-
wickelt.
Ihm folgt eine vierstimmige Fuge (ohne Floten):
AMegro e forte.
Viola.
Basse.
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7 ff C
welehe, indem sie den weichen , Grundton, der In der
Einleitung vorherrseht beil>elxalt? in strengster Form und
Durchfiihrungj bei grossem Eelehthum der Gredanken und
der harmanisclien und contrapunktischen Verbindungen
^n Mckt^rw^rk Hirer Art darstellt, das jedenfalls ^wer^
aiieht der Vergessenheit anheimzufallexL.
Wenn man dem Text 4er ehep ^rw^tnten; ^)antate
n.) einige Aufi^^cksaaafceit ztiwei^t^'i^.id^r
bange Zweifel uber die Gestaltung der Dinge fur den
grossen Konig nicht zu verkennen sind, so wurde dies
Stiick als Einleitung sehr wohl an seinem Platze gewesen
sein. Da die iibrige Musik der Cantate erhalten ist, so
das V^scHwinden der dazu gesetzten Sinfonie jeden-
zn
,
Die IToten-Dne® besiM die Einigl ftKblio*k
JBerlin in einer alten Absdbrift Ite Heft fet
7J3 Duetti a 2 Flauti Traversi-senza Basso dal Slg |^
GigL Fried. Bach."
Doch enthalt dies Heft ausser den auf dem Titel be-
zeichneten 3 Duetten noch ein AUabreve und ein viertes
Duett? gleichfalls fiir 2 Floten ohne Bass.
Sammtliche Stiicke sind von streng contrapunktischer
Arbeity und bestehen meist aus Imitationen und canonischen
Verbindungen. Das melodies sangbare, das der FlSte so
257
zusagend ist, tritt nur hie und da in den Vordergrund
und kommt kaum in den langsamen Stellen zur Geltung.
Brayourmassige Stiicke sind nicht darunter. Weni es in
der Instrumental - Uebung zugleich auf Musik ankommt
der wird solche Her linden, und nicht selten daraus auch
besondere Befriedigung schopfen.
Von yorzuglicher Schonheit ist das Allabreve in H-moll,
welches der dritten Sonate folgt, und sich, bei hochst
merkwiirdiger Zusammenftigung der beiden Instrumente,
in einem ausserst interessanten Wechsel yon Modulationen
bewegt.
Die 4. Sonate in E-moll diirfte, rein rausikalisch be-
trachtet, wohl die bedeutendste sein.
Die Ricercata ist yon nicht geringem contrapunk-
tischen Interesse.
Es ist dies ein fur Streich-Quartett und Bass gesetztes,
aus zwei Theilen bestehendes fiinfstimmiges Musikstiick7
welches rait einer sehr ausgefuhrten und mit der grossesten
Kunst behandelten Fuge
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Violoncello.
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Bitter,
B&eii. II,
17
in 2 Motiven zugleich beginnt? denen; nach 43 Takten
von der 2. Violine begonnen, ein drittes Thema trinzutritt,
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Alle Motiye werden in bewundemngswtirdiger
• schaft und Klarheit durchgefuhrt.
Es ist hiebei elne gewisse Aehnlichkeit mit dem Konig-
Hchen Thema des musikalischen Opfers nicht zu verkennen.
Der 2. Satz, un poco Allegro, F-dur? beginnt in drei-
stpimigein Contrapiinkt mit der 2. Violine, der Bratsete
und dem Bass.
259 —
Vteitoe.
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Dieser Motive ist bereits bei Gelegenheit der Cantate :
Lichter jener schonen Hohen" gedacht worden.
Hire Verarbeitnog darf als ein contrapunktisches Kunst-
werk von hdchster Bedeutung bezeickaet werden; in welchem
die melodisehe Anmuth, die bei der Verwendung ftir den
Chor-Gresang nicht zur Geltung gebraclit werden konnte,
keinesivegs ganz zuracktritt,
Es sckdJ3a$? sib ob Friedemann Bach zu den innerea
Sctwierigkeiteii der Aiiig&foe rail Afcsicht die aus6erem,|?
< ' •; %.r M: n* - fl
— 2BO
Schwierigkeiten habe hinznfugen wollen. Denn eigenthum-
licher Weise 1st nicht allein fast durchweg die zweite
Violine in einer Art behandelt, in welcher sie als die
leitende Oberstimme erscheint, sondern es ist auch die
Viola im Tenor-Schliissel geschrieben, urn im Alt-Schliissel
gespielt zu werden, die zweite Violine im Alt-Schlussel;
mn im Tenor-Schliissel gespielt zu werden, und die erste
Violine ist im Discant-Schlussel gesetzt, so dass die Ueber-
sieht der Partitur fur unsere Zeit eine iiberaus schwierige
und die ausserste Aufoaerksamkeit erfordernde ist.
Muthmasslieh ist hiefiir eine specielle Veranlassnng
maassgcbend gewesen. Denn was der Kunst an sich mit
solchen Absonderliclikeiten hatte geniitzt warden konnen;
ist nicht wohl abzusehen. Doch zeigt diese Arbeit; sowie
die Orchesterfuge der zuerst genannten Sinfonie die un-
gefceure technische Combinationsgabe, die ausserordentliehe
eontrapmaktiselie LeistungsfaMgkeit Friedema^|H^^flftS
a^iiderem Grade.
Einen Yollstandig entgegengesetzten Character zeigt
4&s lebendig melo^ose Se^tetto per due Corni; Clarinetto?
Oy Viola e Violoncello, mit dem Anfange:
ma non troppo-
f '.yiy — ^j~ r —
; «y ' '
r^-o -^
_-|=«=r
LLU
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dessen Mittelsatz ein schdnes Andante in Es-dur
halt; und dessen letzter Theil
ent-
— 261 —
Rondo Alley*
ausnahmsweise ein Stuck voller Anmuth und Grazie, voll
spielenden Humors, ganz im Haydn'schen Style ge-
schrieben? die einzigen Stucke sind? aus denen sich nmth-
massen lassen konnte, dass auch in Friedemann Bach;s
zerkltifteter Natur jene bltithenreiclie heitere Poesie hatte
Wurzel fassen konnen, in der sein Bruder Emanuel und
J. Haydn so gluckliche Erfolge erreicht batten. Indess
ist es eben nur dies eine Stuck, in welchem diese Eigen-
schaften zu Tage treten.
Was Friedemann an Cornpositionen hinterlassen hat,
ist an dem geneigten Leser vorubergefiihrt worden. An Masse
im Verbaltniss zu dem langen Leben gering, an Inhalt nur
zum Tbeil von Bedeutung, ist der Gesammt-Ueberblick
nicht befriedigend. Die Polonaisen, das Orgel-Concert, die
Fugen und die Klavier-Concerte, eine Orchester-Sinfonie,
eine Cantate, die Ricercata, das Sextett, und einige Sonaten
und Fantasien, das ist Alles, was genannt zu -warden ver-
dient, wenn man ron ihm als Tonsetzer sprechen will.
Mag jrielm verloren gegangen sein; was der Nachwelt
aufbewatrt worden ist, l^sst ein sicheres Urtheil dariiber
zu, ob die Ktuast ak solefee duroli inn weiter gefuhrt.
worden sei? > ^
+- 262 —
Dies Urtheil fallt verneinend aus. Die Concerte, wie
schon sie sind? konnen dies nicht andern. Alles Andere
bewegt sich entweder In der alien Bahn der contrapunk-
tischen Schule und hat daher Neues nicht fordern konnen,
oder es 1st in vollendeterer Weise nnd in systematischeni
Zusammenhange mit dem Fortschreiten des Jahrhunderts
von Emanuel Bach der Welt iiberliefert worden1).
Die Elemente des Fortschritts, der Entwickelung,
neuer Formen, neuer Gestaltungen, tiefer Wirkungen, die
hie und da zuni Vorschem gekommen waren? (es mag an
seine 12 Polonaisen und an den zweiten Satz des Orgel-
Goncerts erinnert werden) hat er nicht gepflegt. Sie haben
keine Frucht getragen. Einer der edelsten Bliithen der
Kunst, dem Gesange war sein Innerstes verschlossen. Mcht
rthrend? sondern nattirlieh hatte ihm die vox Humana
der Silbermann'schen Orgel geklungen.
Die Nachrichten uber seine letzten
grade aus, um ein img^Ubiw^d'^.tRW^
zu geben, in der er sft^ M^fe;"tmfli die er seiner un-
l^lfie bearaitete. Die Eticksichtslosigkeit
ere scieint bis auf einen hohen Grad von Roh-
gediehen zu sein. Eeichardt, sein jungerer Zeit-
genosse, der damals Kapellmeister an der Oper Friedrich's
des Grossen war und daher wohl wissen konnte, wie es
rra* ihn stand, sagt, ??dass er die Seinigen IB
*) Zelter's Urtheii 51>er Frledemann Bach findet sich in
seinen naehgelasseneB Hotizen folgendennassen aufgezeichnet:
^,,Was wir VOD Priedemann kennen, hat bekannte For men von
bestimmten Maassen, als Singstiicke, Sinfonien, Concerte, Sonaten,
Fugen, Tanze und Characterstiicke. In diesen Formen bewegt er sich
fein, zierlich, geistrelch und so zu sagen wissenschaftlicb. Allen
diesen gnten Eigenschaften abei fehlt Anmuth und Grazie. Das
fliessende wird nicht stromend, man kann nicht bingenssen werden.
Fur die Singstimmen hat er etwa so geschrieben: Die Basse bis zmn
grossen C herunter und die Soprane bis zum dreygestr. 0 hinauf-
findet sich auch wohl einer oder der andre, der es singen kann, so'
wills nicht Jdingen, weil's nicht gesungen sein will."
— 263 —
Diirftigkeit und Lebensangst habe schmachten
lass en," und erziihlt einen Zug, der allein hinreichend
ist, urn das Verhaltniss zu seiner Familie zu kennzeichnen *).
Friedemann war einmal mit seiner Tochter in Potsdam
gewesen und bemerkte, als er die Billets zur Riickfahrt
nach Berlin mit der Journaliere nehmen wollte, dass er
nur grade noch das Geld fur einen Platz habe. Ohne
Weiteres fuhrte er seine Tochter in den nachsten Kauf-
laden, bat die Leute; zu gestatten, da»ss sie ihn hier fur
einen Augenblick erwarten durfe, setzte sich dann in den
Wagen und fuhr ab. Man denke sich die Lage des armen?
in Bezug auf ihren Vater schwerlich verwohnten Miidchens?
als sie bei fruchtlosem Warten zu der Ueberzeugung
kommen musste, dass dieser sie in acliter Vagabonden-
Manier bei fremden Leuten ausgesetzt habe, um ihr zu
iiberlassen, auf welche Weise sie sich wieder zu ihrer
Familie in Berlim zuriickfinden konne.
Es scheint? dass der ungliicklicbe Kiinstler grade hier?
wo sein Bruder Emanuel zu so holier Bedeutung empor-
gewachsen war? und wo so viele seiner Freunde und Jugend-
genossen in ehrenwerther Thatigkeit den Namen seines
Vaters als Symbol dessen? was in dem Leben der Kunst
gross und schon genannt werden konnte, heilig hielten?
von Stufe zu Stufe herabgesunken sei. Mindestens bezeugt
Reichardt nicht allein von ihm? dass er dort einen
finsteren und harten Charakter gezeigt habe und dass es
nicbt moglich gewesen sei? von schwarzerer und sonder-
Laune zu sein2), sondern er setzt noch hinzu:
7rFreunde der Kunst und des, Baeh'schen Namens
mehr als einmal im eigentlichen Verstande vom
Miste genommeijj anstandig untergebracht und mit den
Nothwendigkeiten des Lebens versor^t. Nie aber gelang
es ihnen, ihn in einem dauernden Zustande von Ordnung
1) MaaQt AtoaBacIt v. 1396.
2) Muslim 'Atonadt v,
mi erhalteB. Sein Eigensinn, sein Hochmuth von der ge-
melnsten Art und sein grosser Hanfg zum Trunke liessen
ihn immer wieder in's Elend zuruckfallen."
Welche Frucht hatte nun die grosse Liebe, die un-
ausgesetzte Sorgfalt und Vatertreue getragen, mit derSeb.
Bach in seinem Erstgebornen die Keime der Kunst gepflegt,
in der er inn veredeln, in Wissenschaft und Bildung auf
die Hohen des menschlichen Geistes hatte emporfiihren
wollen? Wohl hatte er ihm in rastloser Arbeit, in fester
Zucht und Ordnung des Hauses? in dem Glucke eines
stillen zufriedenen Familienlebens? nicht weniger in der
Furcht Gottes? in der B\omniigkeit des Herzens dureh
Wanflel und Beispiel gezeigt, wie man der Kunst; der
Menschheitj wie man seinem G-otte dienen miisse. Aber
alle jene trefflichen Eigenschaften? die man an dem Vater
nait bewundernder Ehrerbietrmg wahrnimmt, und die
Baoh's wohltbuende Gestalt in langem arbeitsamem J
fer%epflau!zt hat, wird man bei
Br war? wie bereits erwahm^ ein merkwiirdiges Seiten-
zu seinem jirbgsten Bruder Christian, der? wie er
kunstlerischem Stoffe geformt, mit leichtfliissigerem
Blute und heiterem Sinne am Taumel des sinnlichen Ge-
nusses zu Grunde glng? wahrend er? freudelos, gallicht
imd finster in Zerfahrenheit und Ekel endete.
Und doch? wie tief er gesunken war? es war zwischen
ihm mud jenem ein w^entlich Dnterscheidendes geblieben.
Gottfried Christian halt© die Kunst, die ihm Vater
und Binder als fleekenloses Juwel iiberliefert hatten; ver-
leugtety sie zur Dienerin und Handhabe seiner leichtfertigen
Lebenstriebe gemacht. Friedemann dagegen, wiekunst-"
lich und mfihsam mitunter seine Arbeiten waren, wie
kleinlich und unfruehtbar Vieles darin erseheinen mag?
wie sehr er sich eigensinnig und bis zur Uebermudung in
Einzelnheiten vertiefte, hatte doch nie den Kunst-Prinzipien
entsagt? zu denen er erzogen worden war. War er
— 265 —
Laune und falsehem Verstandniss, aus Hartnackigkeit und
Eigensinn, oder aus der besonderen Richtung seines Talents
streng auf der uberkommenen Bahn verblieben, okne dem
Fortschritt und der durch die grossen Vorganger ermog-
lichten freieren Bewegung in Inhalt und Form sein Herz
zu offnen, ist seine Kiinstlernatur schliesslich an dem Zwie-
spalt zu Grunde gegangen, der aus diesem fruchtlosen
Kampfe gegen die nothwendigen Bedingungen weiterer
Entwicklung folgen musste, so war doch sein Weg selbst
kein unkiinstlerischer.
Ueber das traurige Lebensbild, das die !Nachwelt
von ihm zuriiekbehalten hat? gleitet ein Schimmer ver-
sohnenden Mitleids? wenn man daran denkt, dass er
mindestens in diesem einen Punkte? wenn auch ohne Be-
rechtigung? treu geblieben.
Er war der letzte Vertreter der alten contrapunktischen
Schule? die einst so weit verbeitet in der Familie ??der
Bache^ ihren hochsten Glanzpunkt erreicht hatte. Und
somit ist sein Geschick nicht ohne einen Anflug von
Tragik J),
i) Die Leipz. Mtisik. Allg. Z. (II. S. 8^9) enthalt eine, nach vielen
Seiten kin treffeDde Charakteristik der drei Bach's, indent sie sagt:
Friedemann Emamiel Christian
Ist Meister Ira Hell im Grau in Grau — invielfarbigenBiumen-
dunkel, stock en nach der Natur,
wollte in der Arbeit — Kennera und Lieb- — Liebhabern und Yir-
nur sich selbst ge- habern, tnosen,
niigen,
stiess von sich. — interessirte, — wurde beliebt,
blieb rob, — war cultivirt, — warpolirt,
darbte — hatte genug, — bekamzumVerschwen-
^ den,
lebte nnstat, — in Hamburg, — in London,
fand fast nur Feinde, — viel Fretmde, — noch mehr GeseJIen^
acfetete den tnif tleren — achtete den alteren — lachte beide aus,
Br^er aor mlssig, hoch, den jiingeren
veracitete dm jnsge- massig,
re%
tranktmds^riQbdaB^ — traafc nicht usd — trank und schrieb
niefeL ,
— 286 —
der darin vorkornmenden, an ahnliehe Arbeiten Sebastian
Bach's erinnernden Vermischung von Clior und Recitativ
bemerkenswerth 1st. Ein schwungvolles Element waltet in
dieser Arbeit nicht vor. Sle ist im Ganzen In dein Styl
routinlrter Mittelinassigkeit geschrieben. Am Schluss der
Partitur findet sich die Bemerkung: ,,Nach der Ein-
fiihrung wird der erste Chor wiederholt."
Wenn man die Lange der Musik-Abtheilungen, der
Predigt und des langen Einfiihrungs-Ceremoniels in Er~
wagung nimint? so ersieht man daratis, wie viel der musi-
kalischen Fassungskraft der Horer bei solchen Veran-
la^tuagen zugeinutliet werden durfte.
Die K.BIbliotliek zuBerlin besitzt noch die Original-Par-
titnren von zwel Prediger-Einfuhrungs-Musiken? auf denen
weder das Jahr der Entstehung, noch der Name des ein-
gefiihrten Predigers verzeichnet ist. Die eine derselben?
mii dem Anfang ,,Herr Grott7 Du bist unsere Zuver-
siebt far mnd fiir^ zeictnet sich dureh einen schonen
Text anSj in Folge desseti die Musik eine grossere Menge
interessanter Ztige bietet? als dies in den iibrigen Musiken
dieser Art der Fall ist. Sie beginnt mit einem 4stimrnigen
Chor. (D-dur 2/4? Trompeten, Pauken, Oboen? Streich-
Qoartett.) Eigenthiiinlieh fallt in das hierauf folgende
Secoo-Recitativ des Alt eine 4stimmig gesetzte recitativ-
arfclge Stelle ein?
S^pr.
Alt
Bans.
Demi tan - send
ah - re sind VQT
£
— 267 —
Frucht seiner ausserordentlichen Geschicklichkeit zu ge-
niessen, dass es, so wie in seiner Jugend, so in seinem
Alter nicht mit ihm fort will. Dass diese sonderbaren und
unbegreiflichen Umstande nicht durch ihn allein, sondern
auch von der ganz eignen Art seiner Kunst bewirkt worden,
davon bin ich iiberzeugt."
Less ing sagt an einer Stelle: ,,Alles, was* der Ktinstler
tiber den Punkt, wo sich jedes Verdienst in den Augen
des Volkes zu verwirren und zu verdunkeln anfangt, hin-
austreibt, kann ihm weder Gliick noch Ehre erwerben."
Was hier ausgesprochen 1st, und was Forkel mit
Eecht auf Friedemann Bach angewendet hat, 1st in
Wahrheit der Schliissel zu seinem kfinstlerischen Ungliick.
Er starb am 1. Juli 1784, 74 Jahre alt, an volliger
Entkraftung und in grosser Dtirftigkeit. Ein Jahr nach
seinem Tode wurde zu Berlin Handel's Messias aufgefiihrt.
Bach's Wittwe erhielt aus der Einnahme dieses Concerts
eine Untersttitzung. Dies ist das Letzte, was man yon ihr
erfahren hat. Was aus der Tochter geworden ist, weiss
Niemand1).
So endeten Friedemann Bach und seine Familie in
Vergessenheit.
Er war, nach einer in der K. Bibl. zu Berlin befindlichen,
in rother Kreide ausgefiihrten Zeichnurfg zu urtheilen, die
dem beigefiigten Portrait zum Grunde gelegt ist, ein schoner
Mann, mit geistrollen edlen Ztigen, so recht g^eignet, darch
sein Aeusseres empfehlend und anziehend zu wirken.
Das einst so reich bluhende, so weit verzweigte Kiinst-
lergeschlecht ist ausgestorben 2). Bs hat manche tiefe
Anch Sebastian Bach's Wittwe tuid Tochter lebten nach
Tode in Burfligkeit und bediirften der Unterstutziung. Ab«r
wenig konnten aie den grossen Ton^tzer dafiir verantwortlidi
maeh^n!
2} In der Biographfe J. Beb. Baeliss (Th. I. S. 26/27) ist di^
Stammtafe! des Cl^elilecte bis v auf die S5fene Sebastian's mitge^,
tbeilt worden. Zm Terrollsl^^^mg det Uetorsicht iiber
; manehe dunkle Stelle aufeuweisen gehabt. Aber
der Lichtglanz, der von ihm ausging, war weit iiberwiegend.
Drei hellen Sternen gleich strahlen die Namen Johann
Oitristopli? Johann Sebastian nnd Carl Philipp
Emanuel Bact aus glanzvoller Hohe herab. Sie warden
mit bewundernder Ehrerbietung genannt werden? so lange
ihre Kunst'auf Erden in TJebung bleiben wird.
tfemn, die Bliithe und den Yergang desselben wird ira Anbang unter
^o. XIV der gesammte Stamm bis auf die letzten bekanut gewordenen
Seitenzweige in drei Tafeln mitgetheilt.
Anhang
zum zweiten Bande
Inhalt,
I. Text des Oratoriums: Die Israeliten in der Wiistc
IL Desgl. der Passions-Cantate.
Ill DesgL der Auferstehung und Himmelfahrt Jesu,
IV, 12 Briefe Emanuel Bach's aus den Jahren 1774 bis 1788.
V. Brief der Wittwe Bach an Fran Sarah Levy. 1789,
VI. Test zu Klopstock's Morgen-Gesang am SchopfuLghfeste,
VIL 8 Briefe Kirnberger's aus den Jahren 1774 bis 1783.
VIIL Chronologisch geordnetes Verzeiehniss sammtlicher Compo-
sitionen Emamiel Bach's.
IX. 6 Actenstiicke fiber Christian Friedrich Bach.
X. Brief des Londoner Bach (ohne Datum).
XI. 10 Actenstiicke, Wilhelm Friedemann Bach betr.
XIL 5 Briefe desselben aus den Jahren 1749 bis 1776.
XIIL Text der Cantate auf den Geburtstag Friedrichs des
Grossen.
XIV. Stammbaum der Familie Bach (in 3 Abtheilungen>
XV. Facsimile von W. Friedemann's Handschrift.
— 271 —
Die Israeliten in der Wiiste,
em
Siitg-Gedif&t.
Erster Theil.
No. 1. Chor der Israeliten.
Die Zunge klebt am dtirren Gaum^
Wir atbmen kaum;
Rlng-s um uus her ist Grab.
Gott, Du erhorst des Jammers Klage nicht;
Du kehrst Dein Antlitz von uns ab.
No. 2. Reeitativ.
Erste IsraelitiB.
Ist dieses Abram's Gott?
Der Gott, der bei slch selbst geschworen,
Das Volk, das er slch auserkoren,
Nie zu vergessen, zu verlassen?
Wir schmachten, wlr erblassen,
Wir haben keinen Trank,
Als dies© Thranen, die -wir wemen.
Der Herr hat Lust an unserm Untergang;
Und er gedenkt nicht mehr der Beinen.
A r i e.
Will er, dass aein Volk verderbe?
Sind wir langer nicht sein Erbe?
Schant er ewig ohn' Erbafmen
Auf das Leiden, das nns draekt?
Die Ifer Blemais wieder
und w^iat7 erblich'na Briider,
des T^cto Armen,
Wle mx ihr so
— ' 272 —
No. 3. Recitativ.
Aaron.
Verehrt des Ewgen Willen,
Yerehret ihn, der euch auch da noch Hebt,
Wenn auch sein weiser Rath betriibt.
Hort auf, die Luft mlt Klagen zu erfiillen,
Wo jede grossres Weh auf eure Haupter ruft,
Hort auf den Herrn; er wird den Kummer still en,
Der euch verzehrt.
Sein Auge schaut
Mit Segen auf em Herz,
Das ganz auf ihn vertraut,
Ar i e.
Bis hieher hat er eueh gebracht,
Hat euch beschtitzt, hat euch bewacht;
Auch kiinftig wird sein Arm euch leiten.
Sein Wort sei eure Zuversicht.
Es mag der Sonne Grlanz erbleichen;
Die Erd' aus ihren Banden weichen;
Fest bleibt in allc Ewigkeiten,
Was Gott dem Sterbliehen
No. 4.
Zweite Israelitin.
Waruni verliessen wir Aegjptens bliihend Land;
Den Sitz des Ueberflusses,
Und folgten Moses5 Bath und Dir?
OI des verderblichen, des thorichten Entschlussea !
Wie straffc uns spate Keu' dafiirl
A rie.
O! bringet uns zu jen«n l£auern?
Von denen wir entfernet trauem;
O! bringt zu ihnen uns zuruckl
Sind wir zu I^eiden denn geboren?
Jetzt, da wir unser Gliick verloren,
Erkennen wir erst unser Gltiek,
No. 5. Hecitativ.
Aaron.
Fiir euch fleht Moses stets um eure Huld
Den Ewgen an.
O! zwingt ihn nicht zum ^orn durch eure Ungeduld.
Er naht sich uns.
— 273 —
Das Murren ettrer Zungen
1st bis zu ihm gedrungen!
Moses.
Welch ein Geschrei tont in mein
Tont zu dem Thron des Herrn empor,
Und reizet seine Rache?
No. 6. Chor.
Du bist der Ursprung unsrer Noth,
Hast nns gefiihret in den Tod.
Gott sehlummert , und wir hoffen nk-ht,
Bass er zur Iluir erwaelie.
No. 7. Recitativ.
Moses.
Undankbar Volk, hast du die Werke
Veil Wunder schon vergessen,
Die fur dich dein Gott gethan?
Dein Herz emporet sich kiihn wider ihn,
Den Gott der Starke,
Der mitleidsvoll zu deinem Sehutz geeilt:
Auf dessen Wink die Fluthen sich getheilt,
Die Tmbenetzt dich fiiehen liessen,
Auf deiner Feinde Haupt sieh wieder ziiznsehliessen:
Du murrest wider den,
Der, als der Hunger dich verzehrt,
Hit Brod vom Himmel dich genahrt.
Sink', sink' In Demtith bin,
Und liebest du das Leben,
So ehre den, der dir's gegeben.
Glaub', dass sonst nichts dein Unglilek lindern kann :
Gott will dich prlifen, bet" ihn an.
No. 8. Duett
Erste Israelitin.
Dmsonst sind unsre Zahren,
Umsonst sind sie geflossten,
Kein Trast senkt sich herab-
Zweite Israelitin,.
Er will tins aieht erhorea,
Sein Himmel feleibt verschlossen,
Kein, Trost seakt sich herab.
Laut
Bitter, Em&miel raid Pri^deHiaam Bacb. IL
- >'
Dem BchrecMiehsldi* der
das Casein gab.
No. 9. Aceompagnement
Moses.
Gott, meiner Yater Gott, was lassest Da mich sehen ?
Was muss ich horen?
Chor.
Wir yergehen!
Moses.
Bei diesem Anblick voll Yerderben
Vergisst meln Herz, dass ihr Geschrei
Verbrechen sei,
Gott wider DIch.
€hor.
Wir sterben!
Moses.
Allmaehtigerj verzeih'!
Eroffne, Herr, in di^em Augenblick
Die Schatae Deiner Huld!
Entseteliekes Ge^chiok!
Moses.
Erziirnter, willst Dn strafen,
La^i Dem Gericht, Herr, iiber mich ergeh*n;
Nur scfaone diese hierl
Chor.
Es ist nm uns geschehn!
Ko. 10.
Moses.
Gott, sieh Dein Volk im Staube liegen!
0 Vater der Erbanmmg,
Merk auf mein demuthsvolles Flehn !
Du, der mein Hoffen nicht betrugeu,
Meiu Bitten nicht rerwerfen kann.
Lass diesen Felsen, Gott der Starke,
Die Lindrung nnsrer Qual uns geben,
Herr, lass die Kinder Jacob's leben,
Dich zu verehren, za erhohn;
Blick, Ew'ger, uns in Gnaden an!
275 —
No. 11. Chor.
0 Wunder! Gott hat uns erhort,
Und frische Silberstrome qulllen
Aus diesem Felsen, sie zu stillen,
Die Pein, die unsre Brust verzehrt,
Zweiter Theil.
No. 12. Recitativ.
Moses.
Verdient habt ihr ihn, den Zorn des Herrn;
Doeh er hat euch verziehn.
Er sucht, er liebet euch.
0! wenn fur seine Gute
Nicht enre Bmst von Dankbegierde gliihte,
WaVt ihr des Daseins werth?
Ihr, die ihr wider ihn emport
Im bittern Klaggeschrei die Weisheit seines Baths geschmahet;
Ihr, deren Schmerz sein Rath in Wonne kehret,
0 betet den Gott der Gnaden an,
Ihn, der mein Plehn erhoret.
No. 13. Wechselgesang mit Chor.
Moses.
Gott Israels, empfange
In jauchzendem Gesange
Der Herzen heissen Dank.
Erste Israelitin.
Du Gott, bist mein Vertrauen!
Wie nichtig war das Granen,
Das niich zn zittern zwang.
Chor.
Gott Israel's, empfange
Der Herzen heissen Dank,
Zweite Israelitin,
Der Herr 1st mein Vertrauen
Er liess sich gnadig schauen
Al§ alle Hotonsg sank.
€hor.
Gott Israel's, empfange
Der Heraen heissen
No. 14, Recitativ.
Erste Israelitin.
Wie nab war tins der Tod, und o! wie wunderbar
Errettet uns durch dich der Ewige von der Gefahr,
I>ie liber unsern Hauptem war!
"VYie schlagt in unsrer Brusfc das Herz
You Dankbaikeit geriihrt, und von der Reue Schmerz,
Dass wir dem Ew'gen nieht die Zuverslcht geweiht,
Die jener Huld gebahret,
Hit der er uns bewacht und nnsre Scnritte fiihret.
Arie.
Vor des Mittags heissen Strahlen
Senkt ihr Haupt die Bluine nieder:
Kiihler Thau bedeckt das Land
Und die Blume hebt sich wieder,
Duftend, und erfieut den
Gott sah gnadig auf die Qnalen,
Die sein armes Yolk epipfand,
Umd aus seimejr Wundfernamd
Floss m frosrfe maifeem*
Die verlorae Kraft '
No. 15. Accompagnement.
Moses.
0 Freunde, Elinder, inein Gebet
Hat jenes Labsal eueh erileht^
Das eure Kraft verjtingt, das Leben euch. erhalt.
Doch einst, vor meinem Bliek seh ieh die Zukunffc aufgehellt,
Ernst wird fur Adam's siiud'ge Welt
Bin AMerer zute MeM^r iefoe».
Gott wird ein gsMig Ofar s&f seisie Bitten lenken,
Und die, fur die er lent, mit ew^ger Womae tr^nken:
Die sich voll Zuversicht ihm nahn,
In ein vollkommner's Canaan,
O Freunde , werden sie auf seinen Spuren gehen,
Ich bin bei euch sein schwaches Bild!
Er wird, wenn nun' der Zeiten Lauf eifiillt,
In sterbliche Gestalt verhiillt,
Die menscbliche Natur erhohen.
Dies ist der Held, des Weibes Saame, *
Der mit der Schlange k^mpft, und ihr den Kopf zertritt
Er kommt und bringt den Frieden niit7
Und Heil und Segen ist sein Name.
— 277 —
No. 16. Recitativ.
Zweite Israelitin.
Beneidenswerth, die Ihren Sohn ihn nennt!
O wie das Herz in mir vor frober Regung brennt.
Den Flueh, den Eva's Fall auf ihre Kinder braehte,
Ruffc dann des Richters Mund zuruck-,
Die Schopfung lachelt dann der Menschen heitrem Blick,
Wie sie in ihrem Friihling lachte.
A r i e.
0 seelig, wenn der Herr gewabret,
Den Heiland, den mein Wunscb begehret,
Den Gottlicben zu seben!
Mit Wonn? eifiillten Thianen-Glissen,
Tief bingebeugt zu meinen Fiissen,
Ihn dankend zu erhobn.
No. 17. Recitativ und Cbor.
Moses,
Hofft auf den Ewigen und barret sein:
Er wird der Erde sieb barmberzig zeigen:
Er wird den Himmel neigen,
Er wird der Menscbbeit Glanz erneu'n.
Cbor.
Verheissner Gottes, welch er Adam's Scbuld
Vertilgen soil, Gescbenk der grossten Huld,
Erscbeine bald, erscbeine, dass die Erde
Auf's neu ein Sitz dcs Friedens werdel
Sie seufzt nacb Dir
Voll Inbrunst, so wie wir
Nacb jenen Wassern nns gesebnet,
Die unsern Durst gestillt,
Die unser Herz erquickt, und es mit Freud' erfiillt.
No, 18. Choral.
Was der alien Vater Schaar
Hocbster Wunseh und Sebnen war,
Und was sie gepropbezeit,
1st erfullt nacb Herrliebkeit.
No. 19. Recitativ.
Aaron.
O Heil der Welt, Du bist ersebieaen^
Und neu erscbaffen bast Da sie.
Dicb sasgen, als Du kainst, die Sera^binen,
Hit bimmliscb boher Melodie.
— m -
Du predigtest der grossten Woisheit Lehren,
Und hiessest Deine Jiinger gehn
In alle Welt, die Volker zu t>ekehren,
Und Deinen ^amen zn erhohu.
Es 1st gesehehen.
Die Wabrheit Deiner Lehren
Und Deines Namens Euhm erklang
Yom Anfang Ms zum Niedergang;
Und taglich muss Dem Keich sich naehren.
No. 20.
Lass Dem Wort, das uns erschallt,
Mit entziickender Gewalt
Tief in uns're Herzen dringen:
Lass es gute Friichte bringen,
Die Dein Vaterherz erfreu'n.
Lass nns Dir, allmachtge Giite,
Unsre Brust zum Tempel weihu.
— 279 —
Das Leiden nnd Sterben
nnseres
Heilandes
Jesu Christi,
musikalisch vorgestellt
nach der Composition
des
Herrn Capellmeisters Bach.
No. 1. Reeitativ mit Accompagnement.
Du Gottlicher! warum bist Du
So in des Todes Schmerz versnuken?
Warnm hast Du den bittern Kelch getrunken?
Den Keleh des Zorns, den Gott dem Frevler reicht,
Der kiihn sein Herz zur Siinde neigt?
TJnschuId'ger Erommer, dessen Leben
ISTur Wohlthun war, wantm bist Du
In sein Gericht daMn gegeben?
No. 2. Coro.
Fiirwahr, er trug unsere Krank-
beit, und Ind auf sich mnsere
Schmerzen. Wir aber hielten ibn
fiir den, der geplaget, nnd von
Gott geschlagen nnd gemartert
ware. Aber er 1st nm unserer
Missethat willen verwundet, nnd
nm unserer Siinden willen zer-
schlagen. Die Strafe liegt anf
ihm, anf das wir Friede batten;
nnd dnrch seine Wnnden sind
wir geheilet. Wir gingen alle in
der Irre, wie Sebafe; ein j
sabe atrf seinen Weg: aber
Heirr warf Baa
ibn. Jes. 53, 4 — ^6.
Choral
Meine S@ele erhebet den Herrn,
Und raein G^eist frenet sich Gottes,
— 180 —
No. 3. Eecitativ.
Seht ihn! gebeugt liegt er, und fleht,
Und windet sich im Staube.
Gott horet nicht das zagende Gebet
Urn Labsal seiner Angst, urn Seelenruh'.
Sein Leiden steigt; init jedem Augenblicke
Stromt neue Qual Him zu
Denn G-ott geht in's Gerieht
Mit ihm. Nun iibernimmt er feyerlich
Der Siinde Strafen
Sehon liegen sie auf ihm; schon hat ihn Gott verlassen.
In alien Himmeln Gottes ist
Nicht Einer, der ihn trosten kann.
Jetzt sieht er mitleidsvoll die Jiinger an.
Sie wussten nicht, was ihn fur Leiden trafen.
Er spricht:
Arioso.
,,Ihr konnet schlafenV
,,Nein, betet und seyd waeh!
,,Es naht sich der Versuchtmg Stunde.
,,Der Geist ist willig, doch das Fleisch ist schwach."
Recitativ.
Er sprach's. Nun kam voll Fretrateliaft in dem
Im Herzen voll Verrath,
Ischarioth.
No, 4, Recitativ mit Accompagnement.
Ben Menschenfrennd willst dn verrathen?
Den Heiligen, den dein Gewissen kennt?
Die Rache wacht; sie sieht die Tiicke
In deinein finstern, tiefen Blicke:
Sie sieht die HoIIe ganz in dir.
Es bebet die Natur bey deinen Missethaten :
Die schrecklichste wird klein dafiir.
Er kiisset ihn, und zeiget
Den Freund der morderischen Sehaar,
Die mit ihm war.
Der Fromme neiget
Den sanflen Blick auf ihn, und spricht:
?JFreund, warum bist du kommen?*
No. 5. Aria.
Wie ruhig bleibt dein Angesicht
Bey deines Jiingers Frevelthaten !
Er kommt, dein Freund, dich zu verrathen;
Der Tod mit ihm: du wankest nicht.
— 281 —
Sey, wie er, gelassen,
Seele, wanke nicht!
Warm dich Sturme fassen,
Sey voll Zuversicht.
Wie ruhig bleibt dein Angesicbt etc.
No. 6. Recitativ.
,,Nehmt mich; ich bins." Dies Wort der Allmacht schrecket
Die Schaar zurlick. Doch will er nicht entflieben;
Ei* strecket
Vielmebr die Hande dar: sie fesseln ibn.
Und nun erwacbt
Der Jiinger Muth, ihn zu befreyn,
Er selbst bait sie zuriick: 7,Steckt eure Scbwerter ein!
Der Engel Heere war en
Zu meiner Rettung da, wollt ich znm Vater flehen:
Docb wiirde dann die Scbrift erflillt?
Des Ew'gen Wille muss gescheben.
No. 7. Arioso.
*Du, dem sicb Engel neigen,
Dem alle Scbopfung singt,
Wenn dicb, vom Tbron zu steigen,
Die Menscbenliebe zwingt;
Du kommst, zum Tod entscblossen ;
Em Kelch erwartet dich,
Vom Zorne voll gegossen:
Du trinkest ihn fiir mieh.
No. 8. Becitativ.
Mit wildem Ungestiim
Fiibrt nun den Duldenden die Schaar
Zum Hohenpriester bin, bey dem, ihn zu verdammen,
Der Sunder Volk versammlet war.
Der muth'ge Petrus m*r erkubnt sich ihm zu folgen,
Die andern alle fliehn.
No. 9. Arioso.
O Petrus, folge nicht!
Die Jiinger flohen; fliehe mit!
Gedanken, wachet auf, und warnet ihn!
O du, sein Engel, hind're seinen Schritt!
UmsonstI — —
No. 10. lUeiUtiv.
Nun stehen Zeugen auf,
Und sprechen, zum Verrath gedungen,
Verworfne Lasterungen
Und Liigen gegen ihn. Voll Majestat
Und gottllch hober Wiirde steht
Der Unsehuldsvolle da, und sprlcht:
;,Ja, ich bin Christus, Gottes Sohn;
,,Und einst halt ieh von meines Vaters Thron
,,Auch iiber euch Gericht."
Der tollen Mordsncht Stiranien steigen
Nun hunmelan: ,,Ihr habt's gehort!
,,Lasst seine Worte zengen:
,,Er lastert Gott; er ist des Todes werth."
Sie sahn in ihreni Grimnie
Die Lahmen nicht, die durch ihn wandelten.
Sie horten nicbt die Stimme
Der Stummgebornen, nieht der Blinden
Und nicht der Tauben Ruf,
Die seine Hand zum frohern Leben scbuf.
Umsonst erschollen lante P$almen
Der Todten, die er nen gebar;
Er, dessen Tagewerk das Gliiek dear Menselm war.
Er soil
Des Todes der Verbreeher sterben!
Wer rettet ihn? Sem Petrus wird es thun:
Und sollt er aueh erblassen.
Er wird ihn retten. — Aeh! auch Er hat ihn verlassen:
Der kiihne Held verleugnet seinen Freund.
Zwar warnt ihn Jesus ; doch, veinaiessen, glanbt er nicht
Der Warnung. Hort! er spricht
Und jschwrt dreimal: ,,Den Mensehen kennj ich nicht.u
Da sah mit ernstem, mitleidsvollem Blicke
Der Mittler Petrum an; im Innersfeen der Seele
Empfand ers, giug zuriicke, %
Und weinte bitterlich.
No. 11. Aria.
Wende dich zu meinem Schmerze,
Gott der Huld! sieh mem zerschlagnes Herze;
Nimm es, dir zom Opfer, an!
Ach, ich s&fce! wirst du mich nicht heben,
Giitigster, der schonen und vergeben,
Vater, der nicht ewig ziirnen kann!
Wende dich zu meinem Schmerze etc.
— 288 —
No. 12. Recitativ.
Der Jiinger, der den Heiligen verrieth,
Er weinet auch I — Flehn seines Jammers Tbranen
Nicht aueh gen Hinimel? Hofft sein Sehnen
Nicht auch auf Gnade? — Nein, nur Angst der Missetbal
Ergreift ihn. Ach, er kennet nur den Racher,
Nieht den Erbariner der Verbrecber!
Er eilet In den Rath
Der Juden, wirft das Geld, das seinen Frevel
Belobnen sollte, bin, und spricbt:
nDen ich verratberiscb in eure Hand gegeben,
,,Der Mann ist obne Scbuld." Allein man bort ihn nicht.
Noch einmal sieht er das, was er gethan,
Mit wutbender Yerzweiflung an;
Beschliesst es, fliebt, und niinmt sieh selbst das Leben.
No. 13. Aria.
Verstoekte Sunder! solche Werke
Begebet ihr, und fublt es nicbt?
Ein Herz voll Bosheit nennt ihr Starke,
Und das Gewissen ein Gedieht?
Am Ende wacbt ihr auft zu spat:
Voll Schreeken stiirzet ibr binunter
Zum Abgrund, den ibr often seht.
Verstoekte Sunder! solche Werke etc.
No. 14. R-ecit&tiv,
Gefesselt steht nun Jesus im Gericbte
Des Homers. Lauter wiitbet das Getiimmel
Des Volks; ein wild Geschrei erhebet sich gen Himinel,
Und klagt ibn an, er babe
Das Yolk emport,
Und Konig sich genannt. Er hort
Die KIag?, und unbeweget
Yon dieser Schmach,
Denkt er voll Ernst den Folgea
Der ewigen Versohnung nach.
No. 15. Aria.
Donnre nur ein Wort der Macht,
Herr! so muss die Frechheit zagen.
Aber, ohn^ ein Wort zu sagen,
Lasst die Unschuld sich verfclagen,
Und ist nur auf mich bedacht.
nu? eifi Wort dor Macht ete.
— 284 —
No. 10. Recitativ.
Noch wachet in Pilatus Ernst
Ein leicht Gefuhl von Menschenliebe:
Er hat nicht Lust
Am Blut der Unschuld: er will Jesum retten,
Und fiihrt den Rauber vor, den sie schon langst
Dem Tode gem geopfert batten.
nSeht! einen schenk ich euch; wahlt ihu!u Sie wahlen
Des Raubers Freiheit, und das Bint
Des fromraen Mensehenfreundes.
Der Anfrubr steigt: da sinkt des Eomers Muth;
Feigherzig willigt er, die Unscbuld zu verdammen.
Nun sahe Gott der Mordsucbt Flammen
In jedem Aug'; er horte das Gescbrey
Dabin gegeb'ner Siinder.
Sie riefen's, bebten, riefen's nocb einmal:
j,Sein Blut komm^ iiber uns? und liber uns're Kinder!"
Noch immer tobt das Volk; es scbaumt vor Wuth.
Schon fliesst der frommen Unscbuld Blut
Zerfleiscbet steht er da:
0 Schmerz! — sein Leib ist Eine Wunde;
Und docn (Welch1 Beyspiel der Geduld!)
Es geht kein Wort aus seinem Munde.
No. 17. Duetto.
Erste Stimme.
Muster der G&duld und Liebe,
Mocbten wir dir abnlicb seyn!
Zweite Stimme.
Floss' uns sanfte, sanffce Triebe
Deines giiten Geistes ein!
Beide.
Lass sie unsern Geist beleben!
Erste Stimme.
Deine Langmuth und Geduld
Schont den Sunder.
Zweite Stimme.
Du vergietest gern die Sehuld
Deiner Kinder,
Beide.
Lass uns aucb vergeben.
No. 18. Recitativ.
Die ifar durcb des Messias Glauben
Durch den VOD Gott verheissnen Tod,
— 285 —
Habt Heil und Seelenruh gefunden,
Fallt nieder, betet an, und seht:
Das Lamm voll Unschuld geht
Zum Opferaltar MD!
No. 19. Coro.
Lasset uns aufsehen auf Jesurn Christum, den Anfanger und Vollender
des Glaubens.
Weleher uns're Siinden selbst geopfert hat an selnem Lei be auf dem
Holz,
Auf dass wir, der Siinde abgestorben, der Gerechtigkeit leben: durch
dessen Wunden wir sind hell worden.
No. 20. Recitativ.
0 du, der Gott mit uns versohnt,
Wie wurdest du verbohnt
Yon Henkern, die dich wild umgaben!
Wie hat der Dornenkronc Schmerz
Bein blutend Haupt duichgrabcn!
Ennattet gehest du
Den bangen Weg zum TodeshiigeL
Da steht's! Du schwebst empor
Am Kreujce. Welch' ein Anblick voller Grauen!
Gott, Mittler! nun ergreift dich auf einmal
Der Siinde Fluch-
Und alle Qualen jeder Missethat,
Die Gottes Zorn entziindet hat,
Durch be ben deine Seele.
Du zitterst, zagest, hangst von Gott, von Gott verlas^en,
Und flehst! Doch Gott ist im Gericht
Mit clir, und hort dein Flehen nicht.
Arioso.
Von Gott verlassen klagst du dichV
Geliebter Sohn! kann dich dein Vater lassen'?
Nein, mich, mich muss sem heiPges Auge hassen;
Von Siindern wendet Gott sein Angesicht:
Dich lasst er nicht
Dich stiirzet meine Sdiuld in tiefe Mitternacht:
Du siehst den Vater nicht, der mn dich wacht.
Doch! — bald ist es vollbracht —
Dann glanzt in deinem Reiche
Ein neuer Tag und Wahrheit, Recht und Licht
No. 21. Aria,
: Der Henschen Missethat verbirget
Dir dein^s Vaters Augesicht:
Doeh zittert, die ihr im erwirget!
Er kommt wahrfea^ig zom Gerk&t
No. 22. Ooro.
Dann strahlet Lleht und Majestat
Vom Throne, der auf Wolken steht;
Sein Auge flammt: die Frecfaen beben.
Solo.
Wie froh wird mir der AnbKek seyn!
Er wird mir seine Reehte geben
Und sagen: Du bist mem.
No. 23. Recitativ.
Nun sammlet sich die grauenvolle Maeht
Des bangsten Todes, und ergreift
Unaufgebalten seine Seele.
No. 24. Choral.
Heiliger Schopfer, Gott!
Heiliger Mittler, Gott!
Heiliger, barmherziger Troster!
Du ewiger Gott!
Urn dieses Todes will en
Hilf uns in der letzten Noth;
Erbarm dich unsert
No. 25. Eeeitativ,
Er ruft: Es 1st vollbracht!
Und stirbL-
(Die Instruraente maehen eine Trauermiisik.)
No. 26. Arioso.
Mein tiefgebeugtes Herz wirft sicli
Auf Golgatha, sem Blut ganz aufoufassen.
O, moclit' ich Mer bei seinem Kreuz erblassen !
Er starb fiir niich.
No. 27* Eecitativ mit Aecompagnemenf.
Die Allmacht feyrt den Tod. —
Die Sonne scheut den Blick,
Und nullt ifar Angesicht in tiefe Naeht, —
Die &rde bebt znrSck!
Ihr Eingeweide" zittert
Der Felsen tiefe Wurzel wird ersehuttert:
Die steile Hohe kracht,
Und stiirzt herab. —
Dort hebet isich eia €rrab,
— 287 —
Und stosset seinen Banb ans Lrieht. —
Der Homer staunt, sieht die Nator emport;
Er betet an, nnd schwort:
7,Fiirwahr, der Sterbende ist Gottes Sohn gevresen !c
No. 28, Schlnss-Choral.
Preiset ihn, erlo&te Sunder!
Lrobsingt, lobslngt dem tleber winder 1
Gebt Gott, dem Retter, Ruhm nnd Maeht!
Er hat selm grosstes Werk vollbracht!
Solo.
Tra^ert, Tvehiaauths-rolle LiederS
Der Sohn des Ew'gen karm hernieder,
Und starbj cln Finch fur nns gemaeht.
Coro.
Preiset ihn, erloste Sunder!
Lobslngt, lobsingt dem Ueberwinder!
Gebt Gott, dem Vater, Ruhm und Macht!
Er hat sein gross tes Werk vollbracht!
Duetto.
Betet an! dahin gegeben
Zum Tode, hat er nns das Leben
Und ew'ge Wonne ^wiederbraoht!
Coro.
Preiset ihn, erloste Sunder!
Lobsingt, lobsingt dem Ueberwinder!
Gebt Gott, dem Better, JBtuhm nnd Macht!
Er hat sein grosstes Werk vollbracht!
Solo.
Singet Dank! des Todes Banden
Hat er zerrissen, ist erstanden;
Ihn halt nicht mehr des Grabes Macht!
Coro.
Preiset ihn, erloste Sunder!
LfObsingt, lobsingt dem Ueberwinder!
Ge&t Gott, dean Better, Buhm und Maeht!
Er hat sein grosstes Werk voll brack t!
— 288
Carl Wilhelm Ramler's
Auferstehung und Himmelfahrt Jesu,
in Musik gesetzt
von
Carl Philipp Emanuel Bach.
Erster Theil.
No. 1. Instrumental-Einleitung.
No. 2. Chor.
Grott, du wirst meine Seele nicht IB der HSlle lassen, and nicht
ztigeben, dass dein Heiliger die Verwesung sehe.
No. & Ree,
Judaa zittert, seine Berge befoen,
Ber Jordan flient den Strand.
Was zitterst du, Judaas Land?
Ihr Berge, warmn bebt ihr so?
Was war dir, Jordan, dass dein Strom zunicke fioh?
Der Herr der Erde steigt empor aus ihrem Schooss,
Tritt anf den Fels und zeigt der staunenden Natur sein Leben.
Des Hiramels Myriaden liegen auf der Lnft
Rings urn ihn her, und Cheiub Michael fahrt nieder,
Und rollt des vorgeworfnen Steines Last
Hinweg von seines Konigs Grruft
Seiu Antlitz flanimt, sein Auge gliihet,
Die Bchaar der Romer sttirzt erblasst auf ilire Schilde.
Flieht, ihr Briider!
Der aotter Rache trifffc uns! Fliehet, flieht.
No. 4. Aria,
Mein Creist, Toll Furebt nnd Freuden bebet,
Der Fels zerspringt, die Naeht wird Kcktef
Seht, wie er anf den Luften scbwebet,
Seht wie von seinem Angesichte
Die Grlorie der Gottheit straMt
— 289 —
Rang Jesus nicht mit tausend Schmerzen?
Empfing sein Gott nicht seine Seele?
Floss nicht sein Blut aus seinem Herzen?
Hat nicht der Held in dieser Hohle
Der Erde seme Schuld bezahlt?
No. 5. Chor.
Triumph, des Herrn Gesalbter sieget,
Er steigt aus seiner Felsengruft.
Triumph, ein Chor von Engeln flieget
Mit lautem Jubel durch die Luft.
No. 6. Recitativ.
Die fiommen Tochter Sions gehen
Nieht ohne Staunen durch des offnen Grabes Thiir.
Mit Schaudern fahren sie zuriick:
Sie sehn in Glanz gehiillt den Boten des Ewigen,
Der freundlich spricht: Entsetzt euch nicht.
Ich weiss, ihr suchet um den Todten,
Den Nazarener Jesus hier,
Dass ihr ihn salbt, dass ihr ihn klagt.
Hier ist er nicht Die Statte sehet ihr,
Die Grabetiicher sind vorhanden,
Ihn aber suchet bei den Todten nicht.
Es ist erfullt, was er zuvor gesagt.
Er ]ftbt! Er lebt! Er ist erstanden!
No. 7. Arie.
Wie lang hat dich mein Lied beweint;
Aeh unser Trost, der Menschenfreund
Sieht keinen Troster, steht verlassen.
Der blutet, der sein Volk geheilt,
Der Todte weckte, ach, muss erblassen.
So hat mein langes Lied geweint.
Heil mir.f Du stiegst vom Grab herauf.
Mein Herz zerfliesst in Freudenzahren.
In Wonne lost mein Gram sich auf.
ISfo. 8. Recitativ.
Wer ist die Simonitin, die vom Grabe
So sehiichtern in den Garten flieht und weinet?
Nicht lange. — Jesus selbst erscheinet,
Doch unerkannt, und spricht ihr zu:
O Tochter, warum weinest Du? —
Herrr sa^e, nahmst Du meinen Herrn
Aus diesem Grafoef Wo liegt er ? Aeb
Dass Ich ihn feole, dass icfe Ito wi Ttiraneu
JDE,
Bass icli ifea mit ,dfese$L SaB>em aooh im Tode mlben konne,
Wie ieh im Leben ihn gesalbt.
Maria! — so ruft mit holder Stimm' ihr Freund,
In seiner eigenen Glestalt. — Maria! —
Mein Meister, aeh! — Sie fallt zu seinen Fiissen nieder,
Umarmt ihn, kiisst ihn, weint. —
Du sollst mich wiedersehen.
Noch werd' ich nioht zu meinem Vater gehen.
Steb; auf, nnd suche meine Briider,
TJnd meinen Simon. Sag', ich will sie sehen!
No. 9. Duett
Erste Stimme.
Vater deiner schwachen Kinder,
Der GefalPne, der Betrubte
Hort von dir den ersten Trost
Zweite Stimme.
Troster der gerlihrten Siinder,
Die dieh suchte, die dieh liebte,
Fand ttei dir den ersten Trost.
Beide.
Troster, Vater, Mens<^xenfreund,
O wie wird dur^i jede Zahre
Dein erbarmend 9^rz erwejucht.
Sagt, ,wer unserm Gatte gleieht,
Der die Missethat vergiebet,
Liebe, die du selbst geweint.
No. 10. Becitativ,
Freandinnen Jesn, sa^t, woher so oft
In diesem Garten? Habt ihr nicht gehort,
Er lebe? Ihr zartlichen Betriibten hofit,
Den Gottlichen zu sehn, den Magdalena sah.
Ihr seid erhort. Urplotaliph fst er da,
Und Aloee und Myrrhen doftet sein Gewand,
Ich bin es! Seid gegriiss£! — §ie fallen zitternd nieder,
Sein Arm erhebt sie wieder;
Geht bin in unser Vaterland,
Und sagt den Jungern an, ieh. lebe,
Und fahre bald Jbp nanf in n^ei^es Vatei*s Reich.
Doch will ieh alle sehn, bevor ich mich fur each
Zu meinem Gott und eurf^a Qott gen HimmeJ
No- 11.
Ieh folge Dir, verklarter Held,
Dir, Erstling der entschlafeen Frommen,
— 291 —
Triumph! Der Tod 1st weggenommen,
Der auf der Welt der Geister lag.
Das Fleisch, das in den Staub zerfallt,
Wachst frohlfch aus dem Staube wieder.
O ruht in Hoffnung, meine Glieder,
Bis an den grossen Erndtetag,
No. 12. Chor.
Tod, wo 1st dein Staehel?
HoJle, dein Sieg, wo ist er?
Unser ist der Sieg, Dank sei GottI
Und Jesus ist Sieger!
Zweiter Theil.
No. 13. Heeitativ.
Dort seh' ieh aus den Thoren Jemsalems
Zwei Schiller Jesu gehn, in Zweifeln ganz,
Und ganz in Traurigkelt Yerloren,
Gehn sie durch Wald nnd Feld, -and kla^en ihren Herrn.
Der Herr gesellt sich zu den Trauernden,
Umnebelt ihr Gesicht, hort ihre Zweifel an,
Giebt ihnen Unterricht.
,,Der Held ans Juda, dem die Volker dienen sollen,
Muss erst den Spott der Heiden
Und seines Volks Terachtung leiden.
Der machtige Prophet von Worten und von Thaten
Muss, durch den Freund, der mit ihm ass, verrathen,
Verworfen dureh den andern Freund,
Verlassen in der Noth von Allen,
Den bosen Rotten in die H&nde fellen.
Es treten Frevler auf und zeugen wider ihn;
So spricht der Mund der Vater:
Der Konig Israels verbirgt sein Angesleht
Vor Schmach und Speiehel nicht,
Er halt die Wange ihren Streichen,
Den Biicken ihren Schlagen dar.
Zur Schlachtbank hingefiihrt, thut er den Htrod nieht auf,
Grerechnet unter Missethater,
Fleht er fur sie zu Gott hinauf.
Durchgraben hat man ihn, an Hand und Fuss durehgrabeu.
Mit Essig tr^okt man ihn in seijaem grossen Durst,
Gali©
- 292 —
Sie sehiitteln ihren Kopf um ihn.
Er wird auf kurze Zeit von Gott verlassen sein.
Die Volker warden sehn, wen sie durchstochen haben.
Man theilet sein Gewand, wirft um sein Kleid das Loos,
Er wird begraben, wie die Eeichen,
Und unversehrt am Fleisch zieht Gott ihn aus dem Schooss
Der Erd' hervor und stellt ihn anf den Fels. Er gehet
In seine Herrlichkeit zu seineni Vater ein.
Sein Eeich wird ewig sein,
Sein Name bleibt, so lange Mond und Sonne stehet."
Die Rede heilt der Freunde Schmerz.
Mit Liebe wird ihr Herz zu diesem Gast entziindet.
Sie lagern sich. Er bricht das Brod,
Und saget Dank. Die Jiinger kennen seinen Dank,
Der Nebel fallt, sie sehn ihn, er verschwindet.
No. 14. Arie.
Willkommen, Heiland! Freut eucfa, Vater!
Die Hoffnung Zions ist erfullt.
0 dankt, ihr ungebornen Kinder,
Gott nimmt fiir eine Welt, voll Sunder
Sein grosses Opfer an.
Der Heilige stirbt fur Verrather.
So wird des Richters Sprueh erfullt.
Er tritt das Hanpt der H6He nieder.
Er beuget die Eebellen wieder,
Der Himmel nimmfc uns an.
No. 15, Chor.
Triumph, der Fiirst des Lebens sieget,
Gefesselt fiihrt er Ho'lP und Tod.
Triumph, die Siegesfabne flieget.
Sein Kleid ist noch vom Blute roth,
No. 16. Kecitativ.
Eilf auserwahlte Jiinger bei verschlossnen Thiiren,
Die Wath der Feinde scheuend, freuen sich,
Dass Jesus wieder lebt, Ihr glaubt es, aber mich,
Erwidert Thomas, mich soil kein falsch Gesicht
Verflihren. Ist er den Galilaerinnen nieht,
Auch diesem Simon nicht erschjenen?
Sah ihn nicht Kleophas and sein Gefahrte dort
Bei Emaus? Ja, hier, mein Freund, hier an diesem Ort
Sahn wir ihn alle selbsi Es waren seine Mienen.
Die Worte waren seinen Worten gleich.
Er ass mit iras! — Betrogen hat man euch!
Jhr selbst, aus Sehnsucht, habt euch gern betrogenf
— 293 —
Lasst mich ihn sehn, mit alien Nagelmahlen sehn,
Dann glaub' auch ich, es sei mem heisser Wunsch gescheha.
Und nun zerfliesst die Wolke, die den Herrn umzogen,
Der mitten unter ihnen steht tmd spricht:
Der Frieden Gottes sei mit Eueh! Und du,
Schwaehglaubiger, komm, siehe, zweifle ntcht! —
Mem Herr, mein Gott, ich seh*, ich glaub', ich schweige. —
So geh' in alle Welt und sei mein Zeugel
No. 17. Arie.
Mein Herr, mein Gott, dein ist das Reich,
Die Macht ist dein.
So wahr dein Fuss dies Land betreten,
Wirst du der Erde Schutzgott sein,
Jehovahs Sohn wird uns vertreten.
Versohnte, kommt, ihn anzubeten,
Erloste, sagt ihm Dank.
Zu dir steigt mein Gesang empor,
Arts jedem Thal^ aus jedem Hain.
Dir will ich auf dem Feld Altare,
Und auf dem Hiigel Tempel weihn.
Lallt meine Zunge nicht mehr Dank,
So sei der Ehrfurcht fromme Zahre
Mein letzter Lobgesang. ^
No. 18. Ghor.
Triumph, der Sohn des Hochsten sieget,
Er eilt vom Siihn- Altar empor.
Triumph, sein Yater ist vergniiget;
Er nimmt ihn in der Engel Chor.
No. 19. Becitativ,
Auf einem Hiigel, dessen Eiicken
Der Oelbaum und die Palme schmucken,
Steht der Gesalbte Gottes. Urn ihn stehn
Die seligen Gefahrten seiner Pilgrimschaft,
Sie sehn erstaunt von seinem Antlitz Strahlen gehn,
Sie sehn in einer lichten Wolke
Den Flammenwagen warten, der ihn fiihren soil.
Sie beten an. Er hebt die Hande
Zuni letzten Segen auf. — JTSeid meines Geistes voll;
G^ht hin und lehrt bis an der Erden Ende,
Was ihr von mir gehort, das ewige Gebot
Ber Liebe! Grehet hin, thut meine Wunder,
Geht hi% vexkSa<i%t ailem Volke
YersohiHrng, Friede,
Er sagt's, sfceigt auf, wird schnell emporgetragen,
Ein strahlendes Gefolg' umringet seinen Wagen,
No, 20. Arie.
Ihr Thore Gojtes, Sffhet euch,
Der Konig ziehet in sein Eeich,
Maclit Bahn, ihr Seraphimen-Chore,
Er steigt auf seines Vaters Thron, i
Triumph, werft enre Kronen nieder,
So schallt der weite Himmel wieder
Triumph! Gebt unserm Gott die Ehre,
Heil unserm Gott nnd seinem Sohn!
No. 21. Schlusschor.
Gott fahret auf mit Jauchzen,
Und der Herr mit heller Posaune.
Lobsinget Gott^ unserm Konige. ,
Der Herr ist Konig!
Bess freue sich das Erdreich,
Das Meer brause,
Die Wasserstrdme frolalocken,
Und alle Inseln seien frohlich.
Jauchzet, ihr Himrael, freue dich, Erde,
Lobet, inr Berge, den Herrn mit Ja^icjizen!
Wer ist, der in den Wolk«a gleich dem Herrn gilt?
Und gleich ist unter d^n KJndera der Gotter dem Herrn?
Lobet ihn, alle seine Engel!
Alias was OJem hat, lobe den Herrn!
Hallelujah!
— 295 —
Zwolf Brtefe Ernanuel Bach's v. J* 1774-1788.*)
No. 1. Hamburg, d. 10. Apr. 74
Geehrtester und liebwerthester
Freund,
Fur die giitigst eingesandten G-elder fur
29 Exempl danke ich Ihnen ganz ergebenst;
und da gleich anfangs meine Gedanken
waren, Ihnen fiir Ihre gtitige Sorgfalt
2 Exemplare zu verehren? so hatten Sie,
gleich melnen ubrigen Herrn Sammlern,
Sich denen Vorausbezatlern nicht beyfugen
sollen? otogeacht ich Ihren geehrtesten
Naknen mit beydrucken lasse; sondern
mict fiir so billig ansehen sollen; d^s ich
Ihnen ohne Bezahlung mit meinen Psatoen
wiirde aufgewartet habeB.
Ich werde also mit denen 29 bezahlten
Exemplaren, Ihrem giitigen Verlangea nafch,
Ihnen noeh 14 Exemplare schicken-, daron
behalten Sie giitigst 2 Stiicke fur Sich,
und die iibrigen 12 konnen gelegentlich
durch Ihre giitige Sorgfalt, das Exemplar
mit 1 Thlr. 8 ggl. yersilbert werden. Bey
Ueberschickung dieser Psalmen , welche,
sobald ieh sie mit der Masse kriege, so
gleich geschehen soil, werde ich Ihnen
einen kiirzlich verfertigten saub^-en tmd
ziemlich ahnHchen Kupferstich von meines
lieben seel. Vaters Portrait zu
*} Die OriginalieB dieser Briefe befiB^en sleh, so weft nicfet etwas
aaderes ten bemerki 1st, in d^r KTBibHoftflkj* Bedto.
— 296 —
das Vergnugen haben. Meines Vaters Por-
g^ § trait j welches ich in meiner musicalischen
o J* ® P Bildergallerie? worin mehr als 150 Musiker
5" PJ ^ §! von Profession befindlich sind, habe, ist
O g? | &- in pastell gemahlt. Ich habe es von Berlin
#T ^ o* o* hierher zu Wasser bringen lassen, weil
JL 8* g ° dergleichen Gemahlde mit trocknen Farben
^ * B CD das Erschiittern auf der Axe nicht vertra-
§ 5* ^ |f gen konnen: ausserdem wlirde ich es Ihnen
|. 8 °S. sehr gern zum Copiren iiberschickt haben.
B Wer hat denn mein Portrait, welches
B" Sie besitzen, gemahlt? Vielleicht ist es
® tf CP? Q' e^ne Copie von Hrn. Riefstein? welcher
g g-c| g inich anno 1754 in Cassel mit trocknen
HO* o4 |- Farben abmahlte. Vielleicht bin ich so
1 if " B. glftcklich, wenn Ihnen anders damit gedient
<P. p- 1. I" ^^ ^a^ m^ einem saubern Kupferstich,
Bildniss;
| M ^ I* jenige, was Sie haben? hat^keine Runzeln,
Q T |[ ^ aT>er? was, ich hoffe; Ihnen zu schicken?
i§* tn ^ ^ desto mehr.
^ gj g^ tr Wer hat meinen altesten Bruder ge-
f: | tr- ^ mahlt? Meine Passions -Cantate steht zu
p o 51 ® Diensten. Mein Exemplar ist jetzt ver-
, ^ ®. jr Hehen? ausserdem etwas undeutlich und
|^ g dnrch das viele Herumsehicken sehr zer-
8 >- |- lumpt. Wenn Sie befehlen, so will es
^ § B. Ifanen durch ^^en Copisten sauber copi-
9 |" f£ ren Iassen? es wird die Partitur ohngefahr
1- J eg" 5 Thk. kosten. Ich beharre; wie ich soil
^.§0
§ § 12.
»* t-i CD*
Bach.
- 297
No. 2. Hamburg, d. 4. Marz 74.
Kens v H
&-g^g
00?
^ 8. * t"1 B1 Hochedelgebohrner, kurzum
$ § & p, % Theuerster Frermd,
f-i u-4 CD -. CD"
as d g 2 t3"
*;• ^ o *^ »— *
o g pj ^ CD
o* fr ^ cr- p JDa meine Psalmen auf die Ostermesse
Hi CO U ^ _
:
gewiss erscheinen warden: so seyn Sie so
.
S g i g gtitig z^ belieben mir die Nahmen Ihrer
g- Hrn. Pranumeranten gegen die letzte Woehe
^ I §• g vor Ostern einzuschicken^ damit sie bey
& tr g* Zeit beygedruckt werden konnen.
D t^1 0 Q
09 5' g$ g Alle Auslagen belieben Sie abzurechnen,
S; H. u4 ^ ich bleibe demohngeachtet Ihr grosser
0 w £ ^ Schuldner und bebarre mit der re<Jlichsten
^ ffi & TY
g g puCP5 Hochachtung
0 -—i 02 tj
d g
§"(§ o3 ? Ew. Hochedelgeb.
5^ d & §
» I §: S-
H 5"o5* o> ergebenster Freund
p O CD "*
g: *"* p P^ und Diener
^ ? P I Bach.
Hrn. Forckel.
No. 3. Hamburg, d. 12. Julius 74.
g OQ Theuerster Freund,
^ 1 w Endlich sind die Psalmen da! Gottlob!
ho O 03
8 ~ 8 Vergeben Sie, ich kann nicht dafiir. Ich
| I I- schicke ihnen 42 Stuck, nehralich 28 fur
S- "Si § so viele Pranumeranten. Herr Cramer hat
, 1 ^ sein Exemplar bey mir selbst abgeholt!
? s* d 2 fur Sie und 12 zum Verkauf. Schicken
"• g ^ Sie mir einen Catalogue" von den geschrie-
^ |- if benen Sachen, die Sie bereits von mir
£, « ^ haben , was Ihnen noch fehlt , steht zu
C) DD C5
-Q S S* Diensten. Ferner bekommen Sie meinen
§• ^ 1 seel. Vater in Kupfer nnd meine Passion.
^ |. r- Dies 1st ein erschreeklich Packet. F. die
§ 5 £> Post zti kostbar. Fuhrleute sind nicht.
^ ^ g Seyn Sie so giitig und besorgen ^itigst,
§ d. 7 dass Ihr Hr. Buehhandlfer die' Drucks..
CD ?
b | ^ welche Postfrey seyn sollen, so gut ist,
| §- £. und auch das Packet in Bewegung bringt.
g w S Ich erwarte Dero baldige Bestellung und
I" ^. beharre von Herzen auf immer
p- ta ^
Uero
treu ergebenster
Ich sitze im Packen Fr. u. Dr.
bis an die Ohren. Bach.
No. 4. Hierbey 12 Psalmen
und
meines seel. Vaters Portrait.
Hamburg, Bach,
d. 3. Aug. 74.
— 29$ —
No. 5. Ew. Hochedelgeb. erhalten
hierbey abermahls
11 Psalmen
Von
Hamburg? Ihrem ergebenen Diener
d. 5. Aug. 74. Bach.
No. 6. Hierbey erhalten Sie7 wehrtester Freund,
die letzten 11 Psalmen in dem beykom-
nienden 4ten Packet. Sie haben nun zu-
<| K
o 2- sammen 42 Psalmen bekommen. Meines
g ^ ^ seel. Vaters Bildniss kostet nichts. Die
* &• § erhaltenen Musikalien von ihm konnen
® H- S nach Ihrer Bequemlichkeit wieder zuruck-
£? g 3 senden, weil ich sie so nothwendig nicht
^ ^ HTJ brauche. Von meines seel. Vaters Kupfer-
§• >? & sachen sind keine Esemplare mehr zu ha-
o R • *
5^ CD j_, ben: auch die Flatten sind nicht mehr da.
8 PJ
g- g 2. Was ich davon habe? nehnxL den ersten
g o u&d. 3ten Theil? will Ich Ihnen gebunden,
ou g« pi zur beliebigen Abschrift, oder gar kauflich
$0%^ iiberlassen. Die Materle von beyden kostete
§ <T ^ ehemahls 6 Thlr.? wenn Sie sie nichi ab-
g" | §" schreiben wollen? so will ich beyde Theile
N | | Ihnen, sauber gebunden, und sehr gut con-
® g servirt? fur 8 Thlr. iiberlassen. Ich habe
g ^ des seel. Mannes Manuscript und damit
§" E wi^ ^cn mich behelfen; und Sie haben das
eg £ Exemplar, was er ehedem selbst fur sich
0$ £fi hatte. Doch mtisseri Sie sich gar nicht
geniren.
Mein Haus empfiehlt sich Ihnen bestens
und ich bin wie aUezeit
Ihr
treuster
Hambnrg7 d. 9. Aug. 74.
— 300 — ~
(Original bei Herrn Sanitats-R. Dr. Rintel in Berlin
aus Zelter's Nachlass.)
No. 7. Hamburg, den 16. December 79.
Liebwehrtester Freund?
Ihr letztes Schreiben hat micli ungemein vergniigt.
Besonders danke ich Ihnen fur Ihr Lied1) recht sehr. Ein
wahres Meisterstiick ! Die Fuge in ineinern Heilig all ein ?
ohne Wiederholungj welche nicht seyn muss, muss nicht
langer als 3 Minuten dauern. Bald werde ich mit der
2ten Sendung meiner Sachen herausriicken, Darf ich wohl
wieder una ihre Giite ansprechen? Diese Sendung wird
Ton der ersten ganz verschieden seyn. Fiir die Berich-
tignng der Pranumerations-Gelder danke ich ergebenst.
Nebst vielen Complimenten beharre ich ohne Auf-
horen
Ihr
alter Freund Bach.
A Monsieur
Jte^eur Kirnberger?
, Ooiiapositeur au Service de S. A. M. la Princesse
Amelie
a
Berlin.
i) Das Lied folgt hiebei. Es 1st, wie bereits oben bemerkt
worden, eine Parodle aof eine Arie Eeichardt's, wobei Kirn-
berger, urn diesen zu argern, einige falsche Quinten angebracht
hatte, Man sleht daratts, dass dieser grosse Contrapunktist ein
witziger Kopf war, und dass er, wie aach sein Freund Em. Bach
eineu gnten Gredankeu, wenn er ihn ennnal gefasst hatte, nicht zurtick-
halten konnte, selbst auf die Gefahr hinr sich dadurch Unannehmlich-
keiten znznziehen.
— 301 —
Cavata. Nachrieht vom Genie,
eine tingemein wohl ausgef iihrte , und nacli Wunsch gelungene Arie
(s. Walter's Lexicon S. 150).
Ein Fuchs traf einen Esel an, Herr Esel ! sprach er,
IZ*=3— +-*-
Jedermann halt Sie fur ein Ge - nie !
±=r
fur einen grossen
Mann!
Das
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(Original in der Bibl. des K. Joachimsthalschen Grym-
nasiums zu Berlin.)
No. 8, Hochwiirdigste Durchlauclitigste
Prinzessin3
Gnadigste Ftirstin; Abbatissin und Frau,
Eure KonigL Hoheit erlauben gnadigst^ Hochstdenselben
beykoromde Arbeit von mir zu Fiissen legen zu dtirfen,
Das fugirte Chor liatte ich zwar iiber andere Worte scfeon
Tor vielen Jaliren gemachtj da ich aber nachber gesehen
habe? dass beyde Themata besonders willig sind, viele
eontrapunktisclie Ktinste ohne Zwang anzunehmen, so habe
ich es ganz umgearbeitet, damit es wta^dig warden rnoge,
Ew. KonigL Hoheit als einer so grossen Meifferin unsrer
Kmnst vorgelegt zu warden von Hochstdero in's TOste Jahr
tretenden Oapellmeister.
Im beygefugten Chorale ist zwar nichts kunstliches,
ich habe aber der Worte wegen auf eine hannonische Ein-
kleidung gedacht, welche aber ohngeaehtet ihrer Dreistig-
keit keine able Wirkung macht. Die Melodie wird in
lanter leichten Intervallen von der Harmonie durch dunkle
und rauhe Pfade geleitet; und folgt ihr kindlich.
Ich ersterbe in tiefster Ehrfurcht
Eurer KonigL Hoheit
Hamburg7 den 5. Slarz unterthanigster Knechf
1783. Bach,
— 303 —
No. 9. Zelter's Copie.
Hamburg, den 28. April 84.
Besster Freund.
Fur die gdtigst eingeschickten 6 I/dor, danke ich Ihnen
ergebenst; dass Sie aber fiir sich selbst pranumeriren? ist
mir nicht lieb? weil ich sehr gern xneinen Freunden, wenn
sie auch nocli so wenig sammeln, ein Exemplar gebe. Da
die Zuriickgabe sehr umstandlich ist, so bleibt fiir mich
nichts als mein warmster Dank ubrig und die Hofnung
zugleich in ferneren Fallen, wenn ich darf meine Gewohn-
heit beizubehalten. Breitkopf kann vor Johannis den
Morgengesang nicht liefern. Ich habe es in der Zeitung
bekannt gemacht. Sie werden doch nicht ungehalten sein?
dass ich Ihnen jetzt 3 Ooncerte, 1 Sonatine und 1 Trio
hiebey iiberschicke, ohne den Morgengesang abzuwarten?
Im Porto wiirde der Unterschied zwischen 2 Paketen und
einem starken glaube ich nicht gross seyn. Sie haben einen
sehr guten musikalischen Magen; desswegen erhalten Sie
hiebey starke Speise. Das Concert C-mol war ror diesem
eines meiner Paradors. Das Rezit. ist so ausge8*fczt> wie
ich es ohngefahr gespielt habe. Das Trio hat mir mehr-
mahls bei Hofe der alte Franz Benda unnachahmlich
accompagnirt. Ich erinnere mich noch hieran mit Ver-
gniigen. Alle 3 Stiicke belieben Sie fiir sich zu behalten.
Ich bin krank an Podagra und kann nur sagen; dass ich
lebe und sterbe
Der Ihrige
Bach.
Jiingst schrieb mir Jernand, dass es etwas besonderes
sey, nicfat allein mein Zuname, sondern auch die Anfkngs-
buchstaben meines Vornamens (alF Italiano) C. F* E. warea
mnsikalisch. Hierattf antworiete ich.
- 604
e
NB, Die x bezeichnen den Zunamen,
In einem Coneerte ein Eondeau anzubringen habe ich
nicht versueLt.
Briefe slnd nach dem Zusatz Zelter's auf der
Copie an den Advocaten Grave in Greifswald gerichtet
fewesen, wo Z. ihn beim Musikdirector Are Taliemant
gefonden und am 20. Aug. 1820 copirt hatte.
— 305 —
(Orig. von No. 9 bis 12 bei Hrn. Fe"tis; Director des
KonigL Conversatoire in Briissel.)
No. 9. An
Herrn Organisten Westplial
in
Schwerin.
Hamburg, d. 9. Jan. 87.
Hochedelgeborner, Hochgeehrtester Herr,
Ew. Hochedelgeb. danke ich fur die gtitigst einge-
sandten 20 Mrk. Ltibiseh ergebenst und ubersende hierbey
die 5 verlangten Sanimlungen im Violin -Zeichen. Was
die geschriebnen Sachen betrifft, bedaure ich Ihre grosse
Kosten. Ich glaube gewiss, class ausser den fehlerhaften
und schlechten Abschriften, es Ihnen auch so gegangen
ist? wie vielen andern; nehnilich man hat Ihnen viele
Sachen verkauft unter meineni Nahnien? die nicht von mir
sind. Ich wiinschte wohl? die Themata einniahl zu sehen.
Im Fa lie wenn Sie etwas geschriebenes von niir ver-
langen sollten: witnschte ich, dass Sie Sich gerade an mich
wendeten. Ohne den geringsten Eigennutz, bloss fur die
Copialien, stehe ich zu Ihren Diensten.
Ich beharre mit warmster Hochachtung
Ew. Hochedelgeb.
ergebenster
Bach.
No. 10. An denselben,
Hamburg, d. 3. Jul. 87.
Liebster Freund.
Ich eile jetzt, um Ihnen Ihre gtitigst bezahlten 3 Exem-
plare zu ubersenden. Ktinftig werden Sie die noch fehlen-
den characterisirenden Stiicke und etwa 6 Solos von mir
erhalten. Aber mm kornrnt mein bester Dank fiir Ihre
Bilder. Engeln niit saninit deua Rahm werde ich Ihnen
BiUer> Enmnuel wid Friedemana Back, II, 20
— 306 —
wiedersehieken. Icli lege jetzt alles ohne Raliin in ein
Buck Ich werde Ihnen von raeinen Doubletten etwas
mitschicken. Sie miissen niclit zu gutherzig sein? und
allenfalls mir ein Bild, was schon eingefasst ist? abtreten.
Kunftig ein Melireres.
Lieben Sie ferner
Ihren wahren
Fr. u. Diener
Bach.
No. 11. An den Herrn" Organisten Westphal
in
Schwerin.
nebst ein Paket niit
Musik; sign. EL W.
Hamburg, den 25. Oct. 87.
Kurz u. gut:
Hiebey erhalten Sie? wiirdigster Freund, wieder 6 mei-
ner Sonaten. Die aus dem H-moll und A-dur sind vor-
ziiglich.
Den verlegten neuen ersten Versuch liabe ich auch
beigelegt. Er kostet, wegen der Verwahrung 1 Mark
inehr? folglich 10 Mark. Ausser den 6 Clavierfugen, die
Sie schon haben; habe ich Keine mehr gemacht; Auch
habe ieh nichts weiter fur die Orgel oder Chorale aufge-
setzt. Herbsten und &erberten habe ich schon? ich
danke sehonstens. Die Allgemeine Liter. Zeitung hat man
hier nicht. Ich mochte doch gern die Nahnaen der 30 ver-
langten Bildnisse wissen. Der Aufsatz ist nicht von mir.
Richtern aus Strasburg? Schmidten 1642 aus Magde-
burg, Schmidten, Sachsischen Kapellmeister und Caspar's
Werke wiinschte ich mir, wenn sie zu haben waren? aber
NB nicht anders als fur meine Bezahlung.
Ich embrassiere Sie und beharre unverandert
Der Ihrige
Bach.
— 307 —
No, 12. An denselben.
Hamburg, d. 2. Nov. 88.
Liebster Freund,
Seit den 18. Sept. bin ich ani Podagra und andern Zu-
fallen sehr Krank gewesen. Nun fangt sichs an zu bessern.
Hier haben Sie den ganzen Rest von naeinen Solos in
8 Stiicken. Ein Trio habe ich rait beygelegt. Haben Sie
die Giite, wenn Sie wieder schreiben, mir den Anfang der
Trio's, die Sie aus nieiner Hand haben? zu ver-
inerken. Das letzte Geld habe ich erhalten. Ich beharre
Der Ihrige
Bach.
Schreiben der Wittwe Bach an Fran Sara Levy.
(Original bei Hrn. Sanitais-Kath Dr. Rintel in Berlin,
aus Zelter's Nachlass.)
Wurdigste Madame!
Verzeihen Sie? verzeihen Sie es? dass ich so spat erst
Ihren giitigen Brief beantworte. Der Wunsch, Ihreni Ver-
langen ganz Grenuge zu leisten, verzogerte eines Theils
mein Schreiben, und die andere traurige Ursache1), die
mir viel Verhinderung auch ausser dern Schmerze verur-
sachte, wird Ihnen bekannt seyn. Ich will niehts weiter
erwahnen? da Sie selbst die Gate gehabt haben7 durch
S tills chweigen meinen ersteren Verlust mit mir zu empfinden,
so werden Sie gewiss auch mit eben der Schonung meinen
zweiten Verlust niit mir fuhlen.
Aber tausendfachen Dank inuss ich Ihnen und alien
Verehrera und Freunden meines lieben verewigten Gatten
fQr die thatige Sorge, seinem Andenken ein Denkmal zu
stiften, sagen. Die Nachricht dieser Ihrer Verwendung
Der Tod d^ ^Itesten Sohnes der Wittwe Bach.
ao*
— 308 —
zu diesem Denkmal war sanfter Balsam auf meine Wunde.
Dem Herrn Professor, der gefalligst die Bemuhungen dieses
Unternehmens auf sich genommen hat, bitte ich in meinem
Namen den verpfiichtesten Dank abzustatten.
Sie werden durch Herrn Wessely schon benachrichtigt
w or den seyn; dass die Krankheit meines lieben Mannes
ihm nicht erlaubt hat, an das von Ilinen ihm comittirte
Conzert zu denken. Was er diesfalls versprochen, hat er
gewiss nur in der Erwartung, es bald erfullen zu konnen,
gethan. Aber leider! — Doch genug.
Die Nachricht von den Hnterlassenen Musikalien; die
unser lieber Herr Wessely zugesendet hat; ist nicht vollig
richtig. Jetzt will ich einen kleinen richtigeren Aufsatz
diesem Briefe beyfligen.
An Clavier -Soli sind 209, wo von 6 ganz unbekannt
und dem Druck bestimmt sind, 138 sind schon gedruckt
und die (ibrigen durch Abschriften mehr oder weniger
bekannt.
An Concerten 52? in deren Ansehung die durch Herrn
Wessely ubersandte Naehricht vollig richtig ist.
An Trii 46, wovon wohl nur 1 ganz unbekannt, 19
gedruckt und die tibrigen in Abschrift mehr oder weniger
bekannt sind.
18 Symphonien; wovon 5 gedruckt sind, die ubrigen
siod ziemlich bekannt.
12 Sonatinen, wovon zwar 3 ehedem gedruckt gewesen,
aber nachher umgearbeitet worden. Alle 12 sind nicht
sehr bekannt.
18 Soli fur andere Instrumente ais das Clavier, wovon
1 Floten-Solo ganz unbekannt, eines gedruckt und die
librigen mehr oder wenig bekannt sind.
6 kleine Sonaten fur blasende Instrumente.
6 Dito fur's Clavier, Clarinette und Fagott.
6 Marsche und andere kleine Stiicke fur blasende
Instrumente.
— 309 —
8 MinuettS; 6 Triis und 2 Polonaisen fur dergleichen
Instrumente,
1 Stuck fur Trompeten und Pauken fur die Arche.
4 kleine Duetts fiir 2 Claviere.
2 selir vollstimmige Minuetts.
Verscbiedene Stiicke fur Flotenubren, Harfenuhren und
Dreborgeln.
Die erste Senate aus der 1. Fortsetzung der Repriaen-
Sonaten 2 mal durchaus verandert.
Variationen zur 4. Sonate des 2* Tbeils der Trii.
Veranderungen und Verzierungen verscbiedener Sonaten
fiir Scholaren, Cadenzen zu verschiedenen Concerts.
Eine selbst radirte Menuett.
1 Sinfonie mit dem Fiirsten Lobkowitz, aus dem
Stegreife, einen Takt ura den andern componirt.
1 Trio fiir 1 Violiue, Bratsche und Bass, mit seinem
Vater gemeinschaftlich componirt.
Miscellanea Musica oder Regeln fiir den Greneralbass
und noch einige bin und wieder in verschiedenen ge-
druckten Schriften zerstreuete kleine Aufsatze.
Dies waren die Instrumentalsachen. Nun komme ich
auf die Vocalsachen, davon sind vorbanden: ausser den
gedruckten Gellert'scben Oden? Israeliten in der Wuste,
CramerJschenPsalmen? Sturm'scben Liedern? Wewer'-
schen Oden, zwei Ldtaneyen, Cboral-Melodien zu Liedern
des Hamb. Gesangbucbs, der Cantate: Pbyllis und Tbirsis,
dem Gleim'schen: der Wirth und die Gaste, einem Ver-
such des einfacben Gesanges in Hexametern? der Aufer-
stebung und Himmelfabrt von Rammler, dem 2-chorigen
Heilig? Kl op stock's Morgengesang und den Neuen Lieder-
Melodien.
Eine nocb in Berlin componirte Oster-Musik.
Drey andere Dito.
1 Weihnacbts-Musik.
3 Micbaelis-Musiken.
1 Trauungs-Gantate.
— 310 —
1 GeburtstagJi-Oantate.
1 Cantate: DerFriihling. Aus dem Versuch im Hexa-
meter ist diese Gantate geworden.
1 italienische Ariette und 3 deutsche Arien, die in
jimgen Jahren verfertigt worden.
Das sehon in Berlin verfertigte Magnificat, vollstimniig.
Die bekannte Passions-Cantate.
Ein Chor, dem sehwedischen Kronprinzen (jetzigen
Kdnig) zu Ehren auf Verlangen der Stadt.
2 Oratorien und 2 Serenaten bey Burger -Cap itains-
Musiken, sehr vollstiinmig, und zu den Serenaten 1 Trommel
und 1 Querpfeife.
Einweilmngs-Musik des MichaelisthurmSj sehr voll-
stinimig.
Hymne der Freundschaft, ein stark besetzte^ G-eburts-
tagsstiick.
Viele Prediger-Einfahruugs-Musiken.
2 Jubel-Musiken.
1 einchoriges Heilig.
2 ungedruckte Lytaneien.
12 Freymaurer-Lieder.
1 Cantate Selma7 aus dem im Vossischen Almanach
1776 stehenden Gedicht verfertigt.
5 Chore aus Cramer'schen Psalmen.
6 Chore und Motetten aus Gellert'schen Liedern.
8 Chore aus Sturm?schen Liedern,
13 Chore von verschiedenen3 davon die meisten in
Passions-Musiken7 nebst vielen Arien, Accompagnernents
etc. gebraueht sind.
1 Veni mit Trompeten und Pauken und ohne.
1 Sanctus mit Trompeten und Pauken.
Antiphonia; wie sie hier in den Kirchen ehedem ge-
sungen wurden, und ein Amen.
Chorai-Melodien zu Liedern, die der Graf von Wer-
nigerode gemacht hat.
Viele andere Choral-Melodien.
— 811 —
100 Lieder in alien mit denen durch den Drtick be-
kannten, theils in der Wewer'schen Odensamnilnng, theils
in den Neuen Lieder -Melodien, theiis in den Musen-Al-
manachen, theils sonst hin und wieder zerstreuten, and
den vorhin angefiihrten Freyinaurer-Liedern.
In 20 Passions-Musiken des 20jahrigen hie&igen Aufent-
halts, die hier nicht cantatenmassig, sondern mit den Evan-
gelisten aufgefiihrt worden, und wo alle 4 Jahre derselbe
Evangelist vorkommt, ist noch verschiedenes, doch ist auch
yieles von anderen aufgenommen.
Auch in etlichen anderen Kirchenstiicken ist noch
etwas hin und wieder von dem lieben Sel. zerstreut mit
eingemischt.
Ich glaube, Ihnen ein gaoz vollstandiges Verzeichniss
aller hinterlassenen Werke meines lieben Mamies geliefert
zu haben, und bitte sehr, die Nachlassigkeit, die sich hin
und wieder eingeschlichen hat, gutigst zu entschuldigen.
Meine Tochter und ich empfehlen uns Ihrer Freund-
schaft auf s Beste. Dem Herrn Gemahl machen Sie unsere
Empfehlung.
Ich habe die Ehre raich zn nennen
Ihre
ganz ergebene
J. M. Bach.
Hamburg, den 5. Sept. 1789.
Darf ich gehorsanast bitten, die Einlagen an unsern
Freund, Hrn. Her ing zu geben?
An Madame Levy,
geboEene Itzig.
frey Berlin.
Im Itzig' schen Hause.
— 312 —
Klopstock's
Morgengesang am Schopfungsfeste,
No. 1. Eine Stimme.
Noch koinint sle nieht, die Sonne, Grottes Gesendete,
Nocli weilt sie? die Lebensgeberin.
Von Dufte schauert es noch rings uraher
Auf der wartenden Erde.
No. 2. Arienmassig.
Heiliger! Hocherhabner! Erster!
Du hast aueh unseren Sirius gemacht!
Wie wird er strahlen, wie strahlen,
Der hellere Sirins der Erde!
No. 3. Eine Stimme.
Hchon wehen? und sauseln, und ktihlen
Die melodischen Ltifte der Friihe!
Schon wallt sie einher^ die Morgenr6the, verkiindiget
Die Auferstehung der todten Sonne!
No. 4. Zwei Stiminen.
flerr! Herr! Gtott! barmherzig und gnadig!
Wir, deine Kinder, wir niehr als Sonnen,
JItissen dereinst auch imtergehen,
Und werden aucL aufgehn!
No. 5. Alle.
Herr! Herr! Gott! barmherzig und gnadig!
Wir, deine Kinder^ wir mehr, als Sonnen;
MUs«cn dereinst auch untergehen,
Und werden auch aufgehn!
- 313 -
No. 6. Zwei Stiinmen,
Halleluja! Sett ihr die strahlende, gottliche komnien?
Wie sie da an dem Himmel emporsteigt!
Halleluja! wie sie da, auch ein Grotteskind,
Aufersteht!
No, 7. Eine Stimme.
0 der Sonne Gottes! Und solche Soimen,
Wie diese, die jetzo gegen uns strahlt,
fliess er, gieich dein Schanm auf den Wogen; tausend-
inal tausend
Werden in der Welten Ozeane!
Und Du solltest nicht anferwecken? der auf dem ganzen
Schauplatz der imuberdenkbaren Schopfung
Immer, und alles wandelt?
Und herrlicher macbt dureh die Wandlung?
No. 8. Alle.
Halleluja! Seht ihr die strahlende, gottliche kommen?
Wie sie da an dem Hiinrnel einpor steigt!
Halleluja! wie sie da? auch ein Gotteskind,
Aufersteht!
— 314 —
Acht Briefe Kirnberger's aus d. J. 1774 bis 1783.*)
No. 1. I)a Ew. HochEdelgeboren im vergangenen Monath
mir erlaubt haben, in diesen Monath. um Greld zu schicken,
ehe noch die Zeit ware zu Ende dieses Monaths laut den
geschlossenen Oontrackt gefallig ware, so sehe ich mich
genothigt, dero gutige Vorsprache mir zu Nutze zu raachen,
um zu bitten, dass wann dieselben nair eine ausserordent-
liche Freundschaft erzeigen wollten, Ew. HochEdelgb. doch
die Gutigkeit fiir mich haben niogten, mir die 100 Rthlr.,
welche ich erst zu Ende dieses Monaths haben soil, heute
mir zu schicken, ich weiss, dass es Ihnen gleich viel ist?
und mir geschiehet dadurch eine sehr grosse Htilfe. Sollte
es aber nicht mogl. seyn mir die 100 Rthl. heute schicken
zu konnen, so bitte ich wenigstens um 50 RtliL bis zu
Ende dieses Monats. Wollen dieselben Sich giitigst dazu
entschliessen mir Greld zu schicken , so bitte ich daVon
Fiinf Ducaten an den Herrn Voss in Gold zu geben, aus
dessen. Giite ich das Versprechen habe, es nieinem arm en
Vater Hoftischer in Coburg auszahlen zu lassen, uncl ich
glaube; das& der Herr Voss heute schon, Seinen Brief nach
Goburg besorgen wird.
Gestern habe ich von den Herrn Birnstiel vernommen,
dass sein Sohn nicht inehr in der Wintersch, Druckerey
ist es wird also wohl nicht anders seyn konnen, als dem
alten Herrn Birnstiel an den Graunsch. Sachen mit helfen
zu lassen, sonst kann dass Werk bis Ostern nicht zu Stande
kommen, denn an meiner Piece woran schon 10 Bogen
abgedruckt sind, kommen noch 3 dazu? ehe es ganz fertig
1st, ich hoffe mir giitige Antwort von Ihnen aus erbl.
Ew. HochEdelgb.
Berlin d. 4. Jan. dero Diener
1774. Kirnberger.
*) Die Briefe No. 1 bis 6 und No. 8 sind an Herrn Decker ge-
richtet.
315 —
No. 2. HochEdelgebohrner Herr
Besonders hochgeehrtester Herr!
Es ist mir besonders angenehm es zu vernehmen, aus
dero Hchreibe-n zu crsehen, dass dieselben Sich vergniigt
und wohl in Ihrern Vaterlande befinden. Wegen der
Graunischen Sache so bitte ich sehr, uiieli nicht in Ver-
dacht zu haben, als hatte ich daran etwas versaumen
wollen, sondern ich hoffe von Tag zu Tage wie weit es
Ihnen belieben wiirde, den vierten Band zu continuiren
welches dieselben mir auch vor Dero Abreise nacli Leipzig
versprochen batten melden zu lassen. Sobald ich von Dero
Diener ini Cointoir erfuhr? dass der Beschluss init einem
Alphabete seyn sollte, so habe ich auch gleich alles
besorgt, das also in kurzen alles geendigt seyn wird.
Ew. HochEdelgeb. ersuchen niich auch in dem Briefe,
dass ich ineine Bezahlung auch ohne Dero Hierseyn
erhalten wtirde^ konnen Sie wohl glauben? dass ich
einen Gredanken diesen wegen in Kopf bekominen? wenn
Dieselben mir 100 und mehr Rthl. trauen? wie es ge-
geschehen ist; wie ware es naoglich, sich den Kopf daniit
zu zerbrechen. Wollte Gott ich hatte imrner mit so rai-
sonablen und hiilf leistenden Menschen zu thun gehabt, ich
wilrde mich ganz gewis besser befinden; dass ich an das
Geld gar nicht Ursach zu dencken gehabt habe? wissen
Dieselben ja, dass ich auf ineinen zweyten Theil toeines
Buches schon 25 Rthl. voraus habe^ also bin ich ja in
Dero Schuld.
Das schlechte Zutraun zu den Graxmischen Werke
lasst rnich doch noch nicht verzweifeln, dass es nicht besser
kommen konnte, als Sie es vermuthen^ Graun und alle
deutsche Componisten? sind nur bis jetzo auswarts nicht be-
kannt gewesen? denn es ist doch nicht zu vermuten dass alle
Menschen in der Welt gleicb dumm sind^ und die jetzig
— 316 —
nlchtswiirdigen Operncomiquen aller Wege von Musik den
Vorzug einraumen werden.
Mit der Arbeit an des Herrn Professor Sulzers Dick-
tionair bin ich ganz fertig, tind Er, der sich ausserordent-
lich wohl befindet wird in etlichen Wochen auch ganz
fertig? denn er hat nur noch sechs Bogen zuin endigen
seines zweiten Theils. Gleich nachdem wird er meinen
zweiten Theil eben wie den ersten in Richtigkeit bringen,
welches nun meine grosste Sorge 1st, Ihnen es bald ab-
liefern zu konnen. Unterdessen versichere ich Ihnen^ dass
ich von Dero mir vielgeleisteten Dienste und Beystand in
meinen schlechten Umstanden; in welche ich durch die
Selbstverlegung meines ersten Theils gerathen bin? zeit-
lebens dankbar seyn werde, und alle Mittel aufzusuchen
trachten werdet wegen der Graunischen Duette Ihnen
auf ander vortheilhaften Art schadlos zu halten, denn es
ist aehr leichte dem Pobel zu befriedigen? wenn man Ken-
ner befriedigen kann? aber umgekehrt geht es nicht.
In diesem vierdten Bande von einem Alphabet koni-
men noch lauter Chore, sollte sich der Verkauf davon in
der Folge bessern, so kann man nachdeni? wenn Ew. Hoch-
Edelgb. willens sind mehr zu verlegen, die besten Arien
alsdann aus alien Opern von Crraun ausstichen; ich habe
noch inimer gute HojQfnung? denn der Herr Professor Sulzer
hat keine Gelegenheit in seinem Werke entgehen lassen
wo nicht der Duette zum allerbesten Erwahnung geschehen?
eben so der Hr. Prof, de Costillon, wenn anders meine
Recommandation etwas gillt, ich auch in beiden Theilen
memes Compositions Werke, ich empfehle niich tibrigens
in Dero ferner Freundschaft und bin mit der vollkonaensten
Hochachtung
Ew. HochEdelgb.
ergebenster Diener
Kirnberger.
Berlin den 18. Jan. 1774.
— 317 —
No. 3. P. P. (ohne Datum.)
Gestern ist der Herr Birnstiel inn Antwort zu er-
halten bei mir gewesen, welchen icli also Dero Ent-
schliessung genieldet babe, ohne an den Buchdrucker Vogel
zu gedenken.
Da es nun a her bereits ein MOB at ist, dass in der
"Winterschen Druckerey weder an den Graunsch Sachen
als auch an einer Piece nichts gemacht wird, so habe ich
es Ihnen hiermit melden wollen, weil rair der Herr Birn-
stiel gesagt hat, dass sie das Rosen fest von Wolf wieder
auflegen, und dieserwegen alles liegen bleibe. Ist es mit
Ihrer Genehraigung? so muss ich es mir auch gef alien
lassen? wo nicht so miissen Herr Decker andere Ver-
ffigungen ergreifen, sonst kommt weder das eine noch andere
bis Ostern zu Ende.
Ew. HochEdelgeb. habe mir letzlich einige von Ihren
Feder Kiele zuin schreiben versprocheu, ich imterstehe mich
also an Dero gi'itiges Versprechen zu eriunern? weil ich
fur Geld nicht einmal gute auftreiben kann.
Kirnberger.
N. S.
Ich habe noch einen kleinen Zusatz zu der jetzo im
Druck Piece von mir beigefiigt? wodurch es noch uin einen
Bogen oder hochstens zwei Bogen starker wird? und zur
neheren Erlauterung ineines ganzen Werkes dienet? ware
es Ihnen gefallig mir zu erlauben; dass ich es noch ver-
mehren darf? so wird es dadtirch noch ntitzlicher und
brauchbarer. Es betrifft ein einziges Stuck welches aber
sehr leicht zu sezen ist, und gar nicht irn Vergleich rnit
den vorhergehendeB? woran noch gesetzt wird.
— 318 —
Icli iiberschicke es den Hr. Agricola zum Durchsehn,
um sein Gutachten deswegen zu vernehmen, dieselben wer-
den aus beygelegten Blatte Seine Meynung unten beigefiigt
finden.
Aus diesen untergelegten Grundnoten wird ein jeder
leiclit einsehen dass nach meiner Methode dieselbe zu finden
sehr leicht 1st, ich glaube auch ganz sicher, dass andere
Grundharmonien dazu nicht zu finden seyn werden, in der
zweyten Halfte des ersten Taktes ist es aber moglieli
zweierley Arten von Harmonien unterzulegen? in den einern
Falle? wo im sechsten Achtel im Bass H mit 5/s steht,
betrachte ich das nachschlagende Sechzelintheil gis in der
Oberstimme als einen von folgenden Accord anticipirendo
Tact: im anderen Fall zain E im Bass dieses gis als terz.
Es wird mir ausserordentlicli angenehm? wenn Herr Agri-
cola es alles richtig befinden, und dadurch werde ich
ganz ruhig schlafen, ftir alle gewesene und noch kiinftig
entstehende Systeminacher? wofur uns Gott ferner behtiten
wolle!
K.
Ich fincle keine Einwendungen, die ich wider
diese Methode und wider ihre Ausfulirung machen
konnte. Wenn anders Herr Decker will, riethe
ich Ihnen dies Stuck auch noch mit drucken zu
lassen, Hier schicke ich die Bachische Fantasie
wieder.
Agr.
— 319 —
No. 4. Werth ester Freund! (ohne Datum.)
So gerne icli heute den Herrn Decker erwartet hatte,
so unmoglich war es mir, weil ich vor 12 noch zu Jeinand
zu gehen hatte ; iiberdies ist es vor raich eine ersehrecklfche
Commission von Jemand Geld zu fordern, wenn ich es
gleich wieder abgebe oder abverdiene. Gleichwol sehe
ich mich jetzt in dieser Yerlegenheit; dass ich Herrn
Deckern durch Sie bitten muss, einigen Vorschuss fiir
das Manuscript des dritten Bandes meines Werkes zu
thun, ich bin schon einige Zeit iiber der Arbeit, sie in's
Reine zum Druck zu bringen, aber ineine Brodsorgen
inachen niich ganz sinnlos und unthatig. Ich habe an
unsern Herrn Karnrnrath die Erlaubniss gegeben7 von
meinen Sotoris nach und nach nieinen (Jreditores zu be-
friedigen, und da ich an den Herrn Saltzmann fur uns
gelieferte Waare seines Ladens 62 Rthlr. von meinem
Viertel-Jahr abziehen lasse? so fehlt es niir dieser wegen
an Lebens-Unterhalt.
Ich muss alle die den Herrn Decker kenneu? von Seiner
wahren guten Gesinnungen Nachricht geben; daher hoffe ich,
wenn dieselben in nieinen Nahmen Ihn bitten, mich jetzt ein
wenig zu unterstutzen; Er es nicht abschlagen wird? denn
ich glaube auch? dass»Er von niir eben auch die gate
Meinung haben wird; dass ich entweder mit neuem Manu-
script oder in Natura ans unserer Hofstatts-Kasse es wieder
vergiiten werde. Ich bin der Hoffnung? dass Sie? werthester
Preundj Ihr Moglichstes bei der Sache thun werden? weil
ich jetzt in so schlechten Umstanden bin, dass, wenn wir
nicht noch Brod fur den heutigen Abend batten, mir das
Geld dazu mangelt. Zwischen heute und uiorgen konnen
Dieselben wohl mit dem Herrn Decker die Sache besorgen,
unterdessen haben Sie doch die Giitigkeit? weil der Herr
Decker nicht zu Hause ist, meiner Aufwarterin riur etwas
zu geben? wefl ich nicht emmal einen Brief von der Post
— 320 —
(wenn einer kommen sollte) einlosen konnte. Allerliebster
Freund, Ich wiirde in diesen verdriesslichen Umstanden
nicht seyn? wenn mir dureh Marpurg's Bosheit nicht so
em grosser Querstrich an meinen Hofe ware gemacht
worden? ich hoffe aber? ich werde xnich durch meinen eigenen
Fleiss in kurzen aus alien Schulden ziehen, und dann der
yergnugteste Mensch von der ganzen Welt seyn, wenn ich
nieniand mehr einen Heller schuldig bin, das nothdiirftigste
werde ich wohl ferner haben, weil ich doch bis hierher
nicht habe verhungern diirfen, obgleich mit vieler Sorge
und Verdruss, ich will Ihnen nicht beschwerlich seyn? eine
Antwort schriftlich zu erhalten, weil heute Posttag ist;
aber morgen wiinsche ich eine des Herrn D e ck e r Js Meynung
zu eroffnen.
Ich bin Ew. Hochedelgeb.
gehorsamster Diener
Kirnberger.
No. 5. Ich habe die Ehre, Ew. Hochedelgeb. die kleine
Piece uber die Stimmung der Orgeln und Fltigel Es von dem
Herrn Hauptruann Tempelhof zu iiberschicken; sie ist
anvergleichlich gut gerathen. Wenn es moglich seyn kann?
so bitte ich Ihn recht sehr, es gleich drucken zu lassen?
urn damit meinen Gegnern einen Eiegel vorzuschieben,
oder wenigstens ihnen den Weg; sphwerer zu machen.
Wegen des Schwarzreichdrucks habe ich alles schon
besorgt, aber um es noch besser zu haben, lasse ich das
ganzeBlat von meinem Noten-Copisten Herrn Jungmann
welcher ausserordentlich schone Noten schreibt; sehi- htibsch
abschreiben morgen 7 wo nicht heute noch wird der Herr
Jungmann es in Dero Officina tiberbringen.
Die Corrector wird der Herr Hauptinann Tempelhof
selbst iiber sich nehmen? weil noch der geometrisch
(Jharakteur genaue Vorsicht, um es ohne Fehler zu haben,
von noten ist.
Berlin, U. a April 1775. Kirnberger,
— 321 —
No. 6. Ew. Hochedelgebor. haben rair versprochen, bei
Erhaltung des Herrn Hauptinann Teinpelhof's Piece von
der Stirnmung gleich zuni Druck zu befordern; ich ver-
muthe, dass Sie es aus der Acht gelassen, und daher konnte
die Piece gar liegen bleiben. Da mir mm ausserordentlich
viel daran gelegen ist? dass sie je eher je lieber abgedruckt
ware, so bitte ich sie mir lieber zuriick, wenn Sie alien-
falls so viel aiidere Sachen zu besorgen haben? dass diese
kleine Schrift nicht kann vorgenoinmeii werden. Ich muss
alsdann schon sehen, dass ich es in einer andern Druckerey
kann gedruckt bekommen, sollte es Ihnen moglicTa seyn?
es drucken zu lassen, so geschelie inir ein grosser Gefallen;
wo nicht, so muss ich auch zufrieden seyn.
Ihre Hoheit die Prinzess A ma lie sagte inir vor einigen
Tagen, dass Sie die Grraun'schen Duette Ihnen nicht be-
zalilt hatte, ich wusste nur niclit, sollte icli das Geld von
Ihr inir geben lassen? um es Ew. Hochedelgeb. znzustellen
oder nicht, wenn es Ihnen nun gefallig ist, so inaclien Sie
mir Rechnung anSie7,ich werde sie der Prinzess zustellen,
und Ihnen das Geld iiberschicken.
Habe ich nock Hoffnung, dass Sie die Schrift
von deni Herrn Hauptinann wollen drucken lassen;
so were es mir sehr lieb seyn, kann es nicht seyn,
so bitte ich sie mir zuriick.
Kirnberger.
No. 7. Brief von Kirnberger an Forkel. 1779.
(Original bei Herrn Sanitats-Rath Dr. Rintel in Berlin,
aus Zelter's Nachlass,)
Werther Freund,
Die verlangten Yiolinsaiten erhalten Sie nun von dem
Commerzienrath Herrn Hummel, ich wtinsche mir, dass
sie nach Dero Wunscli gut sind, der Herr Joseph Ben da
hat mir wenigstens die Versicherung gegeben? dass dieselben
gut und die besten gegenwartig unter alien hier waren,
Bitter, Emarrael raid Friectemaan Baei. II. 21
Der Titel des Buches, welches Reichardt herausge-
geben und in Konigsberg so beissend recensirt worden,
1st: ,,Leben des beriihraten Tonkiinstlers Heinrich
Wilhelm Gulden, welcher genannt Guglieimo
Enrico Fieino. 1. Theil. 8. Berlin, 1779." 16 Sgr.
Ich habe es nicht gelesen und mag es nicht lesen, wie
man mir aber gesagt hat, so soil die ganze Erzahlung von
ihm und seinen Eltern seyn.
Sie verlangen von mir zu wissen, wie es dem Herrn
Friedeinann Bach hier geht, so weiss ich nicht anders,
als dass es ihm sehr schlecht gehet, bey seiner Ankunft
nach Berlin nahm ich mich aus Dankbarkeit seines Vaters
an mir bewiesener Liebe aufs beste an, durch mich, be-
wog ich nieine Gnadige Prinzessin, dass Hochst Dieselbe
eigene Mahi ihm reichlich beschenkte, zuni ersten Mahl mit
einein siibernen Kaffee- und Milch-Kannchen; wobey auch
eine silberne Zueker-Dose war, nach der Zeit etliches an
Gelde jedesmahl zu 30 Rthlr., ferner bewarb ich mich? gut-
herzige Leute dahin za bewegen? dass dieselben monatlich
ihni etwas Qewisses schickten? wozu ich aus nieiner eignen
Tasche, die doch selbst klaglich beschaffen ist? monatlich
2 Rthlr. legte, Herr Bach; der meine gute Gresinnung
nicht erkannte? liess sich's einreden; zur Prinzessin zu
gehen, und niich auf die hochst unbilligste Weise zu ver-
laumden, und dadurch glaubte ei^ wiirde er mich ausser Brodt
und Dieiist bringen? und er wiirde meinen Platz bekommen.
Sachdem er seine Galle ausgeschiittet hatte, so sagte
ihm die K. IIoh.? seine Offenherzigkeit gefiele ihr, er nahm
es fur baar Geld auf, hatte sich aber sehr geirrt? dass
seine Prinzessin solche Zuge gegen seinen gewesenen Wohl-
tliater ausschuttete; er wurde nachdeni allemal abgewiesen
trad ihm mit Verweiss gesagt, class er als. der schlechteste
Mensch gegen mich gehandelt hlitte, und alles was Ihre
K. Hoh. ihm gates gethan hatten, durch nieine Veranlassung
und mir zu Gefallen geschehen ware. Hierauf gab ich
ihm auch nichts mehr aus ineiner Tasche, und die ubrigen?
— 323 —
die es auch nur mir zu Gefallen gethan batten , gaben
auch nichts mehr.
Folglicli geliet es ihm jetzt ganz erbarmlich, cornponiren
wie aucli Lection geben mag er nicht, und sein Herr
Bruder in Hamburg will auch von ihm nichts wissen, weil
nichts bey ihni angewendet ist, wenn er ihm auch noeh
so viel schicken wollte, welches er schon ofters gethan hat?
ohne Dank dafur zu haben.
Bach en's Heilig wurde liier aufgefuhrt, und die Fugc
grade durch dauerte 11 Minuten? ich missbilligte es? weil
es ganz dadurch verdorben wurde. Hr. Bach in Hamburg,
deni ich nieldete, es gehorte nicht niehr als 5 Minuten Zeit
dazu, iiberschickte inir bey folgeiideni Brief (Siehe 8. 300)
und setzt die Zeit auf 3 Minuteu? mir scheint aber, da^s
4 Minuten die beste Art sey? aber 11 Minuten ist gar
nicht vor Ekel anzuhoren.
Kirnberger.
Von Mannheim, habe ich von Jemand ein Schreiben
erhalteiij dass Vogler daselbst eben so wenig als aller
Orten gilt. So geht es den Windbeuteln.
No. 8. Werthgeschatzter Freund!
Ew. Hochedelgeb. wissen? in welchem elenden Zustande
ich schon m's 4te Jahr liege, ausser den gehabten Schinerzen,
die gewiss iiber alle Torturen in der Welt gingen, welche
jetzt die neueste Art zu curiren mit sich bringt, habe ich
ausserdem noch so viel andere Verdriessliehkeitcn mid Noth
gehabt; Dass sich selbst Doctor und Chirurge wundeni,
wie meine Natur es aushalten kann.
Da ich aus Noth etwas in Druck zu geben willens
war, um mir etwas zu meinem monatlichen Traktament
zu verdienen, so wissen Sie? dass ich dazu keinen Verleger
finden konnte? ich entschloss mich daher auf Subscription
es selbst zu verlegen? ich habe auch bereits viele Ver-
— 324 —
spreehungen von Mer und auswarts, deren genug zu be-
kommen^ aber die Zeit wird inir zu lange, ehe icli eine
erforderliclie Anzahl sicher habe, urn mit den Wochen-
blattern anfangen zu konnen, Unterdessen habe ich eine
kleine Piece von 2 Bogen nun von Hrn. Birnstiel setzen
lassen, kann aber kein gates Papier fast in alien Papier-
Handlungen von hiibschen Ansehn und zuni Notendruck
auftreiben.
Sollten der Herr Decker so viel mir ablassen konnen,
als ich zu 1000 Stuck brauche, welches 2000 Bogen be-
tragt, so wurde ich es Ihnen zeitlebens Dank wissen, ich
schicke Ihnen 6 Rthlr. vor der Hand, was noch nachzu-
zahlen ist, will ich sogleich auch nachzahlen? sobald ich
erfahre; wie viel es seyn muss,
In den Zeitungen ist es zu friih angekundigt worden,
auch ist in beiden Zeitungen statt meines Vornahmens
DoL oder J. in D falsch geseztt? da ich doch nicht am
allerundeutlichsten schreibe, man weiss also nicht ? ob das
D. David, Diedrich etc. bedeuten soil.
Kirnberger.
den 12. April 83.
— 325 —
Chronologisch geordnetes Verzeichniss
sammtlicher Compositionen Eniamiel Bach's.
A. Aus Leipzig.
1731. 1. 2. 2 Clavier-Soli, B-dur % (im musik. Allerlei
gedruckt) -and F-dur %, beide neu bear-
beitet 1744.
3. Menuett mit iibersehlagenden Handen (ge-
stochen).
4. Trio fur Clavier imd Violine, D-dur s/±? er-
neuert 1746.
5. Desgl. far Clavier und Violoncell, D-moll s/4>
erneuert 1746.
6. Desgl. fur Flote, Violine und Bass, H-moll 2/4?
erneuert 1749.
7. Desgl. fur dieselben Instrumente, G-dur 4/4?
erneuert 1747.
8. 9. 10. 3 Trii far dieselben Instrumente, F-dur -/4,
A-dur */4 ^^d A-moll 2A? erneuert 1746 und
1747.
11. Solo fur die Oboe, G-moll */*
12. Desgl. fur die Flote, G-dur 4/4-
1732. 13. 14. 15. 3 Clavier- Soli, A-moll V4? 0-dur 4/47
D-moll 4A, alle erneuert 1747.
1733. 16. Suite, E-racll 4A, erneuert 1747.
17. Concert fur Clavier mit Quartett-Begleitung,
A-moll 4/4? erneuert 1744.
— 326 —
1734 18. Desgl. Es-dur %.
1735. 19—24. 6 Sonatinen, F-dur 4/4, G-dur 4/4, A-moll %,
E-rnoll V4,D-dur % Es-dur 2/4, erneuert 1744.
B. In Frankfurt a. 0.
25. Menuett von Locatelli rait Veranderungen,
G-dur 3/4.
26. 27. 2 Trii fiir Flote, Violine und Bass, A-moll %
und G-dur 3/4; das erste erneuert 1747.
28"." Solo fur die Flote? G-dur 3/4-
29. Clavier-Solo, E-moll % erneuert 1743.
1736. 30. 31. 2 Clavier-Soli, G-dur 2/4 und Es-dur 2/4?
erneuert 1744.
1737. 32. 33, 2 desgl. C-dur */4 und B-dur 4/4, er-
neuert 1745.
34. Clavier-Concert mit Quartett-Begl. , G-dur 4/4?
erneuert 1745.
35. Solo fur die Flote, G-dur */*.
1738. 36. Clavier-Solo, A-dur % erneuert 1743,
C. In Berlin.
37. Clavier-Concert rait Quartett-Begl., G-dur %.
38. 39. 2 Floten-Soli, B-dur % und D-dur 3/4.
1739. 40. Sonate fur Clavier, gedr. in der 1. Sammlung
der musikal. Nebenstunden.
41. Clavier-Solo? B-dur 2/±.
42. Clavier -Concert mit Quartett, C-moll 2/4, er-
neuert 1762.
43. Solo fur die Flote, G-dur 4/4-
1740. 44. Clavier-Solo, gedr. in den Marpurg'schen
Clavierstiicken? 3. Sammlung.
45. Clavier-Solo, G-dur 2/4,
46—51. 6 Sonaten; Friedrich II. gewidmet
52. Concert far 2 Claviere mit Begleitung, F-dur %
53. 54. 2 desgl, fur Clavier mit Quartett, G-moll 8/4
und A-dur *-
— 327 —
55. 56. 2 Soli fur die Flote, A-molI ^/8 mid
D-dur */*
57. Solo for Vioioncell, erneuert 1769.
1741. 58. Clavier-Concert mit Quartett, A-dur 2/*«
59. Sinfonie fitr Quartett, G-dur Vi*
1742. 60. 61. 62. No. 1, 2 und 4 der WUrtembergischen
Sonaten.
63. 64. 2 Clavier-Concerte rait Quartett, G-dur 4/4
und B-dur 2/4.
1743. 65. Clavier-Solo, H-moll 3/4 (Teplitz).
66. 67. No. 3 und 5 der Wurtembergischen Sonaten.
68. Clavier-Concert mit Quartett, D-dur */4-
1744. 69. Clavier-Solo, D-dur 34.
70. No. 6 der Wurtembergischen Sonaten.
71. 72. 2 Sonaten, E-dur V* und D-moU % gedr.
in den Oeuvres melees.
73. Desgl. C-dur ^/s, gedruckt in der collection
r4cr Native.
74. Desgl. im musik. Allerlei. Stuck 38.
75. Sonate 4 der 2. Fortsetzung der Reprisen-
Sonaten.
76. Clavier-Concert mit Quartett, E-dur s/4-
77. 78. 2 desgl. F-dur 4A und D-dur %.
1745. 79. Clavier-Solo, G-dur 2/^
80. Clavier-Sinfonie, E-moll 3/'4.
81. Menuett mit Veranderungen, C-dur 3/4-
82_85. 4 Clavier-Concerte mit Quartett, E-moll s>4?
G-dur %, D-moll 4/4, D-dur */4-
86. Trio fur Flote (oder Clavier) mit Violine und
Bass, C-dur 4/4.
87. 'Solo fur die FIote? C-dur 4/4,
88. Solo fur die Viola da gamba, C-dur 4/4-
1746. 89—92. 4 Clavier-Soli, C-dur 4/4? G-moli 4/4, F-dur V*?
F-dur 6/s.
93. 94. 2 Clavier-Concerte mit Quartett, A-dur V*
•and C-dur V*
95. Solo fur die Viola da gamba, D-dur %.
96. Desgl. fur die Flote, B-dur 3/8-
1747. 97. Clavier-Solo, B-dur %
98. Arioso mit Veranderungen, F-dur 2/4.
99. Sonate far Clavier mit 2 Tastaturen, D-moll %
100. Clavier-Solo, F-dur %.
101. Sonate 1 der 2. Fortsetzung der Reprisen-
Sonaten.
102. 103, 2 Clavier-Coneerte mit Begleitung, A-moll %
und D-moll 4/4, das erste erneuert 1772.
104 105. 2 Trii ftir Flote, Violine und Bass, Gr-dur 3/4
und D-dur 2/4-
106. 107. 2 desgl. fur 2 Violinen und Bass? F-dur %
und E-moll %.
108. Solo fiir die Fldte, D-dur 3A-
109. Desgl. ohne Bass (gedruckt).
1748. 110. 111. 2 Clavier-Soli, G-dur % und D-moll %
112, 1 desgi, gedr. in Wewer's Tonstiicken.
113. 114. 2 Clavier- Concerte mit BegL, D-moll %
und E-moll 2/4.
115. Trio fur Flute, Violine und Bass (gedruckt).
116. Duo fiir Flote und Violine, gedr. im musik.
Vielerlei.
1749. 117. Clavier-Solo, gedruckt in den Oeuvres melees,
F-dur Vi-
118. 119. 2 desgl. D-moll % und A-moll %
120. Clavier-Solo, gedr. im musik. Mancherlei.
121. Clavier -Concert mit Quartett, B-dur % (ge-
druckt).
122. Magnificat ftir 4 Singstimmen und Orchester.
123. Trio fur 2 Floten und Bass, E-dur 3/4-
124. Desgl. fiir 2 Violinen und Bass (gedruckt).
1750. 125. Allegretto mit Veranderungen, C-dur 2/4, ge-
druckt im musik. Allerlei.
126. Clavier-Solo, Or-dur 2/4? gedruckt ebendort.
— 329 --
127. Senate 6 der 1. Fortsetzung der Reprisen-
Sonaten.
128. 129. 2 Clavier -Concerte mit Begl., D-dur %
und A-moll 3/2-
1751. 130. Suite, gedr. im rnusik. Allerlei.
131. Clavier-Concert, B-dur 4/4.
1752. 132. Clavier-Solo, gedr. in Marpurg's raccolta.
133. Desgl. G-moll %
134. Lied mit Veranderungen , F-dur 6/s? gedr. im
musik. Allerlei und VielerleL
135. Duo fur 2 Violinen? D-moll 3/4-
1753. 136. 137. 138. 3 Clavier -Concerte mit Begleitung,
A-dur 4/4, H-moll 4/4, C-moll %.
139. Versuch iiber die wahre Art das Klavier zu
spielen. Th. I.
140 — 145. 6 Sonaten als Beispiele dazu.
146. Grosse Fantasie C-moll, gleichfalls dazu.
1754. 147. Clavier-Solo, gedr. im musik. Mancherlei.
148. Desgl. Es-dur %.
149 — 152. 4 petites pieces (la Gause, la Pott, la
Borchwardt, la Bohmer).
153. Clavier-Concert mit Begleitung, G-moll %•
154. Trio fiir 2 Violinen und Bass, G-dur 3/4-
155. Desgl. fiir 2 Violinen und Bass, A-moll 4/4-
156. Desgl. fur Clavier und Violine, C-dur V*.
157. Desgl. fur 2 Violinen und Bass, gedruckt irn
musik. Mancherlei.
1755. 158—163. 6 Fugen fur Clavier, D-moll %, F-dur %,
A-dur 4/47 G-moll % Es-dur Allabr., C-moll 4/4.
164 — 173. 10 petites pieces (la Philippine, la Ga-
briel, la Caroline, la Prince tte, TAly? la
Gleim, la Stahl? la Bergius, la Buchholz,
la Herrmann).
174. 175. Allegretto u. Allegro fiir Clavier, C-dur 4/4
und D-dur 4/£.
176. 177. 2 Sonaten fiir die OrgeL
— 330 —
178. Clavier-Solo, E-dur 3/4.
179. 180. 181. 3 Soli fur die Orgel, B-dur %
D-dur \ A-moll 3/4.
182. Clavier-Concert mit Quartett, F-dur %
183. Concert mit Quartett fiir die Orgel, G-dur 4/4.
184. Trio fur Bassflote, Viola und Bass; F-dur 3/4.
185. Desgi. fur Flote? Violine und Bass, G-dur 3/4.
186. 187. 188. 3 Orchester-Sinfonien, D-dur \
G-dur \ F-dur 4/4.
1756. 189. Clavier-Solo, E-moll 2/4.
190 — 195. 6 petites pieces (la eaprieieuse, la com-
plaisante, les langeurs tendres, la journaliere,
1'irresolue, la Louise).
196. Andantino fur Clavier, D-rnoU 2/4.
197. Clavier-Solo, gedr. in Marpurg's 2. raccolta.
198. Praludium fiir die Orgel, 2 Claviere u. Pedal,
D-dur 4/4.
199. Trio fur 2 Violinen und Bass, gedruekt im
musik. Mancherlei.
200. Sinfonie E-moll 4/4 (gedruekt).
201. Ostermusik, ??Gott hat den Herrn", 4 Sing-
stiminen, Orchester.
1757. 202. 203. 2 Clavier- Soli, gedruekt in den Oeuvres
metees, E-dur 4/4 und B-dur 4/4.
204. Desgl. C-moll 4/4.
205. 206. 207. 3 desgl. im musik. Mancherlei.
208—212. 5 petites pieces (la Xenophon, la Sibylle,
la Sofie, FErnestine, TAnguste).
213. Orchester-Sinfonie, C-moll s;2.
214. Gellert7s geistliche Oden.
1758. 215. Clavier-Solo? H-moll 44? gedr. in der collection
recreative.
216. Solo fur die Orgel, B-dur 4/4 (gedruekt }.
217. 218. 2 Clavier-Soli, gedruekt in den Oeuvres
m!le"es (Zerbst).
219. Sonate 5 der Eeprisen-Sonaten (Zl
— 331 —
220. 221. Senate 3 und 4 der 1. Fortsetzung der-
selben (Zerbst),
222. Senate 6 der 2. Fortsetzung.
223. Senate 2 der 1. Sammlung fur Kenner und
Liebhaber.
224. Sinfonie fur Clavier, P-dur 44, gedruckt in den
Clavierstiicken verscMedener Art.
225. Desgl gedr. im musik. Vielerlei, G-dur 4/4.
226—237. 12 kleine Stucke zu 2 und 3 Stiinnieri,
gedruckt in Tasehenformat.
238. Orchester-Sinfbnie, G-dur ^.
1759. 239-243. Senate 1, 2, 3, 4 und 6 der Reprisen-
Sonaten.
244. Clavier-Solo, A-moll ^.
245. Senate 5 der 1. Fortsetzung der Reprisen-
Sonaten.
246. Senate 2 der 2. Fortsetzung desgl.
247_252. 3 Fantasien und 3 Selfeggien? gedruckt
in den Clavierstiicken verschiedener Art.
253. Concert for die Orgel oder Clavier mit Be-
gleitungj Es-dur 44.
254. Trio fur Clavier u. Viola da gamba. B-dur? 24.
1760. 255. Clavier-Solo, B-dur 4;4.
256. 257. Senate 1 und 2 der 1. Fortsetzung der
Reprisen-Sonaten.
258. 259. 260. Allegro. Polonaise. Veranderimgen
auf eine italienische Arie, C-dur 2;4.
261. Versuche eines einfachen Gesanges fur den
Hexameter.
1761. 262. Sonate 3 der 2. Fortsetzung der Reprisen-
Sonaten.
263. Der 2. Theil des Versucks liber die wahre Art?
das Clavier zu spielen.
264. Oden mit Melodien.
1762. 265. Somate 5 der 2. Fortsetzung der Beprisen-
Sonateru
— 332 —
266. 267. Senate 1 u. 5 der leichten Clavier-Sonaten.
268—279. 3 Oden, 6 Menuetten; 3 Polonaisen (zum
Thell in die Jalire 1763, 1764 u. 1765 fallend).
280. 281. 2Clavier-ConcertemitBegleitung?B-dur4/4j
C-moll %
282 — 286. 5 Sonatinen fur Clavier und Orchester,
D-dur 3/4, D-dur 6/8? G-dur \ G-dur %,
F-dur 3/4.
287. Solo fur die Harfe, G-dur 3/4.
288. Orchester-Sinfonie, F-dur \.
1763. 289. Sonate 6 der 3. Sammlung fur Kenner und
Liebhaber.
290, Clavier-Solo, D-inolI 4/4, gedr. in den Clavier-
stiicken verschiedener Art.
291—295. 5 desgl. E-moll % D-dur 44; C-dur 4/4?
A-dur 44, B-dur %
296. Clavier-Concert mit Begleitung, F-dur 4/4.
297—300. 4 Trii far Clavier u. Yioline. H-moII 4/4?
B-dur 3/4j Es-dur 4/4, F-dur 4/4.
301—305. 5 Sonatinen fur Clavier und Orchester.
B-dur 3/4, E-dur Allabr., C-dur 2/4; D-dur 8/4?
C-dur «/8.
1764. 306—309. Sonate 2, 3, 4 u. 6 der leichten Clavier-
Sonaten.
310. 311. 2 Sonatinen fur Clavier und Orchester.
F-dur % Es-dur 4/4.
312. 12 Geistliche Oden als Anhang zu den Gellert'-
schen Liedern.
1765. 313. Clavier -Concert, gedr. in den Clavierstiicken
verschiedener Art.
314—322. 9 Satze fur Clavier, gedr. in der 1. Sainm-
hmg der kurzen und leichten Clavierstiicke.
323. 324. Sonate 4 und 6 der 1. Sammlung fur
Kenner und Liebhaber.
325. 326. 327. Sonate 2, 3 und 5 der Sonaten fur
Damen.
— 333 —
328. Senate 2 der 4. Samml. fiir Kenner u. Liebhaber.
329. 330. 2 Clavier-Soli, Es-dur 4/4? A-dur 4/4.
331. Fantasie fur Clavier, D-xnoll 4/4.
332. 333. 2 Clavier-Concerto mit Begleitung, B-dur 4/4,
Es-dur 44 (auch fiir die Oboe gesetzt).
334. Der 1. Theil der 4stimm. Chorale Seb. Bach's.
335. Trainings -Cantate, mit gewohnlichen Instru-
menten (auch mit 1766 u. 1767 bezeichnet).
336. Phillis und Tirsis, Gantate.
1766. 337. 338. 339. 3 Claviersatze, gedr. in den kurzen
und leichten Clavierstiicken.
340. 12 Variationen auf eine franzosische Romanze.
G-dur 4/4.
341. 342. 343. 2 Clavier - Soli , B-dur */4, B-dur
AUabr. u. E-dur 3/2.
344_347. Sonate 1, 2? 4 und 6 der Sonaten fiir
Damen.
348. Clavier-Solo, gedruckt bei Breitkopf.
349. Desgl. gedruckt im musikalischen Vielerlei.
350—361. 3 Pantasien? 3 Solfeggien, 3 Menuetten
und 3 Polonaisen, gedr. im musikalischen
Vielerlei.
362. Sonate 4 der 3. Sammlung fiir Kenner und
Liebhaber.
363. Trio fiir Clavier und Violine, C-dur 2/4.
364. Der Wirth und die Gaste. Trinklied.
1767. 365—376. 12 Satze fiir Clavier, 2, Sammlung der
kurzen und leichten Clavierstiicke.
Hinzu treten, ohne nahere Zeitbestimmung, der
Berliner Periode angehorig:
377. Choral - Melodien ? zu Liedern des Grafen
Stolberg.
378. 379. 2 abwechselnd stark besetzte Menuetten,
gedruckt im musik. Mancherlei.
380. Verschiedene Exempel und Canons zu Mar-
purg's Abhandlung von der Fuge,
— 334 —
381. Sonate, abgedr, im rausik. Allerlei.
382. Duo im Contrapunkt, A-moll %.
333 — 387, 5 verschiedene kleine Clavierstiicke, gedr,
in Marpurg's raccolta I.
388. Sinfonie mit dem Furs ten Lobkowitz, einen
Takt urn den andern aus dem Stegreif.
D. In Hamburg.
1768. 389. Passionsmusik nach Matth&us.
1769. 390. Senate niit veranderten Reprisen, F-dur 2/4?
gedr. ira musik. Vielerlei.
391. Clavier-Concert mit Begleitung, Es-dur 4/4.
392—403. 12 kleine Stiicke mit 2 xiud 3 Stiniinen?
gedr. in Taschenformat.
404. Die Israeliten in der Wiiste.
405. JELerrn Pastor Palm's Einfiihrungsmusik.
406. Geburtstags-Cantate mit Orchester.
407. Pfingst-Cantate: Herr lass mich thun? zurn
Theil von Homilius, mit Orchester.
408. Passionsmusik naeh Marcus.
1770. 409. Concerto fur Clavier, F-dur %
410. Clavier-Concert mit Begleitung, F-dur \.
411. Cbor: Spiega Hammonia fortunata (auf
Verlangen der Stadt zu Ehren des Kron-
prinzen von Schweden).
412. Die Passions-Cantate.
413. Der Fruhling, eine Tenor-Cantate. Aus ISTo. 261.
1771. 41^-419. 6 Clavier-Concerte mit Begleitung? F-dur,
D-dui-y Es-dur, C-moll? Gr-dur? Cdur? sammtl.
gedruckt.
420. Musik am 1. Ostersonntage.
421. Hrn. Pastor Klefecker's Einfiihrungsmusik.
422. J?Chor: MeinHeiland? meineZuversicht.^
423. Hrn. Pastor Schumacher's Einfiihrungsmusik.
424. Passionsmusik naeh Johannes.
1772. 425. Sonate 5 der 1. Samml. fur Kenner u, Liebhaber.
— 335 —
426. Michaelisnmsik. ,,Ich will den Nam en des
Herrn."
427. Hrn. Pastor Haseler's Einfiihrungsmusik.
428. Passionsmusik nach Matthaus.
1773. 429. Senate 1 der 1. Samrnlung fiir Kenner uiid
Liebbaber.
430—435. 6 Orchester-Sinfonien, G-dur 447 G-rnoll %
C-dur 8/4, A-dur 4/4? H-moll *k, D-dur 4/4.
436. Hrn. Rector M tiller's und Conrector Sche-
t e 1 i g ' s Einf iihr ungsmusik.
437. Hrn. Pastor Winkler's Einfuhrungsrnusik.
438. Hrn. Pastor von Dohren's desgi
439. Cramer's Psalmen (erst 1774 beendet).
440. Passionsmusik nach Marcus.
1774. 441. Sonate 1 der 3. Sainml. fiir Kenner u. Liebhaber.
442. Sonate 2 der 2, Samnil. desgl.
443. fSonate 3 der 1. SamniL desgl.
444. Chor: ??Wer ist so wiirdig wie dn."
445. Cantate: J?Der Gerechte ob er gleich/' am
16. Sonntag nach Trinitatis, zum Theil Ton
J. Chr. Bach aus Eisenack
446. Musik zum Michaelisfeste.
447. Passionsmusik nach Lucas.
1775. 448. Clavier-Solo, C-dur 3/4.
449 — 454. 6 leichte Clavierstiicke.
455 — 457. 3 Sonaten der 1. Sammlung ftir Clavier?
Violine und Cello? gedruckt.
458—463. 6 kleine Sonaten ftir 2 Horner, 2 Floten,
2 Clarinetten und Fagott? D^dur 2/4? F-dur 3/4?
G-dur s/4? Es-dur 3/4? A-dur «/8, C-dur %.
464. Hrn. Pastor Miclielsen's Einfuhrungsmusik.
465. Hrn. Pastor Fried erici's desgl.
466. Hrn. Dr. Hoeck's Jubelmusik.
467. Hrn. Syndicus Klefecker's desgl.
468. Michaelismusik: ??Siehe? ich bewahre deine
Befehle."
— 336 —
469. Weihnachtsmusik: ,,Auf, schicke dich."
470. Psalm auf Dona. 10 post trin.: ,,Lass mich
nicht deinen Zorn empfmden."
471. Passionsmusik nach Johannes.
1776. 472 — 475. 4 Orchester-Sinfonien, gedruckt.
476. Selma, eine Discant-Cantate, mit Floten und
Quartett.
477 — 482. 6 Sonates for the Harpsichord or Piano,
gedruckt, B-dur *4, G-dur 2/4, A-dur 3/4,
Es-dur */4, E-moll 44, D-dur 4/4.
483. Passionsmusik nach Matthaus.
1777. 484. 485. Sonate 2 und 3 der 2. Sammlung fur
Kenner und Liebhaber.
486. Chor: 7?Zeige du mir deine Wege."
487 — 490. 4 Sonaten ftir Clavier, Violine u. Cello,
2. Sanimlung, gedruckt.
491. Hrn. Pastor Gerlin's Einfuhrungsrnusik.
492. Die Auferstehung und Himmelfahrt Jesu.
493. Passionsmusik nach Marcus.
1778. 494. Folies d'Espagne. 12 Variationen, D-moll 3/4.
495 — 497. l.? 2. u. 3. Rondo der 2. Sammlung fur
Kenner und Liebhaber.
498. 499. 500. 3 Clavier -Concerte mit Begleitung,
G-dur 34, D-dur 44 u. Es-dur 4/4.
501—506. 6 Sonaten fur Clavier, Violine u. Cello,
gedruckt.
507. ,,Heilig", Doppelchor.
508. Ostermusik; ,,Jauchzet, Prohlocket!"
509. Hrn. Pastor Sturm's Einflihrungsmusik.
510. Passionsmusik nach Lucas.
511. Rondo 3 der 3. Samml. fur Kenner u. Liebhaber.
512. Rondo 1 der 5. Samml. desgl.
513. Rondo 3 "der 4. Samml. desgl.
514. Musik am 18. Dom. post trinit.
515. Passionsmusik nach Johannes,
— 337 —
1780. 516. 517. Senate 2 u. 3 der 2. Samml. fur Kenner
und Liebhaber.
518. Rondo 2 der 3. Saminlung desgl.
519. 520. Oratorium und Serenate zur Feier des
Ehrenmals des Herrn Burger-Capitains. Mit
Militair-Instrumenten.
521. Chor: ,,Gott, den ich lobe, dess ich bin."
522. Misericordias Domini.
523. Hrn. Pastor Rambach's Einfuhrungsmusik.
524. Sturm's Geistliche Gesange, 2 Theile, beendet
1784.
525. Passionsmusik nach Matthaus.
1781. 526. Abschied von meinem Si Ibermann7 schen Cla-
vier in einein Rondo, E-moll 24.
527. Rondo 2 der 4. Samml. fur Kenner u. Liebhaber.
528. Sonate 1 der 4. Samml. desgl.
529. Canzonette der Herzogin YOB Gotha mit
Veranderungen, F-dur 2/4.
530. Trio fiir Clavier und Violine, A-dur 4/4.
531. Musik zum Osterfest.
532. Desgl. zum Michaelisfest.
533. Passionsmusik naeh Marcus.
1782. 534. Fantasie 1 der 5. Samml. fiir Kenner u.Liebhaber.
535. 536. Fantasie 1 u. 2 der 4. Samml, desgl.
537. Rondo 1 der 4. Samml, desgl.
538. Musik amjL Osterfeiertage.
539. Desgl. am 1. Weihnachtstage.
540. Hrn. Pastor Janisch Einfiihrungsmusik.
541. Passionsmusik nach Lucas.
1783. 542. Sonate fur's Bogenclavier, G-dur 4/4.
543. Kl o p s t o ck}s Morgengesang am Schopfungstage.
544. 545. Oratorium und Serenate zur Feier des
Ehrenmals des Herrn fiurger-Capitains, mit
Hilitair-Instrumenten.
546. Chor: ??Amen? Lob> Preis und SUrke."
547, Chor: ?7Leite mich nach deinem Willen."
Bitter, Emaimel mid Friedemami Baelu IL 2S t
— 338 —
548. Chor: ?3Meine Lebenszeit verstreicht."
549. Chor: ,,Heinen Leib wird manbegraben."
550. Hrn. Pastor Lutken's Einftihrungsmusik.
551. Passionsmusik nach Johannes.
1784. 552. Fantasie 1 der 5. Samnal. fur Kenner u. Liebhaber.
553. 554. Senate 1 u. 2 der 5. Saminl. desgl.
555. Rondo 2 desgl.
556. Ostermusik: ,,Anbetung und Erbarmen."
557. Musik zurn Weihnachtstage.
558. Passionsmusik nacli Matthaus.
1785 559. 560. Sonate 1 u, 2 der 6. Sauiinl. fiir Kenner
und Liebhaber.
561. Dankhymne der Freundschaft. Ein Geburts-
tagsstiick init Orchester.
562. Hrn. Pastor S chaffer's Einfuhrungsmusik.
563. Hrn. Pastor Gasie's desgl.
564. llichaelismusik: 7?Der Frevler mag die
Wahrheit."
565. Auf die Wiederkehr des Hrn. Dr. aus
dem Bade. Mit Quartettbegleitung.
566. Arie: 7,F(irsten sind ani Lebensziele."
567. Passionsmusik nach Marcus.
1786 5G8. Rondo 1 der 6. jSamml. fiir Kenner u. Liebhaber.
569. 570. 2 Clavier-Soli, gedr. bei Schwiekert.
571. desgl. C-moil 2/4.
572. Desgl. mit einem Eondo? Gr-dur %.
573. 574. Fantasie 1 und 2 der 6. Sammlung fur
Kenner und Liebhaber.
575. Rondo 2 desgl.
576. Solo fur die Flote, G-dur %.
577. 578. 2 Litaneien fiir 2 Chore.
579. Musik am 1. Weihnaehtstage.
580. Auf Maria Heimsuchung: „ Heine Seele er-
hebt den Herrn (znm Theil von Hoff-
mann).
581. Musik am 1. Ostertage.
— 339 —
582. Musik Dom. 10 post, trinit.
583. DesgL Doni. 12 post, trinit.
584. DesgL am Dankfest wege*n Beendigung des
Michaelis-Thurmbau's.
585. Hrn. Pastor Cropp's Einfuhrung^musik.
586. Hrn. Pastor Mailer's desgl.
587. Trauerfausik bei Beerdigung des Biirgermeisters
Schulte.
588. Passionsmusik naek St. Lucas.
1787. 589. Clavier-Fantasle, Fis-moll 4/4.
590. DesgL init Violine.
591. Neue Melodien zu einigen Liedern des Ham-
burger Gresangbuchs.
592. Musik am 1. Ostersonntage.
593. Hrn. Pastor Berckhahn's Eiufiihruiigsmusik.
594. Hrn. Pastor Wilier ding's desgl.
595. Passionsiausik nach Johannes.
1788. 596. 597. 598. 3 Quartetten iur Clavier, Flote, Vio-
line und Bass? C-dur 2/i? D-dar %, G-dur 4/4.
599. Clavier-Concert niit Begleitung? Ua-dur 4/4.
600. Neue Liedermelodien nebst 1 Cautate.
601. Passionsmusik nach Matthaus.
602. Hrn. Pastor Runge's Einfuhnmgsniusik.
603. Hrn. Pastor S tocher's desgl.
Fcrner gehoren der Hamburger Periocle oline
specielle Zeitbestimmung an:
604. Eine Prediger-Eiufuhrungsinusik ohne Narnen.
605. Jubelinusik auf den (Jreburtstag der Madame
Stresow.
606. Der 8. April. Besimgen im Bach'schen Hause,
eine Geburtstags-Cantate.
607. Musik am 3. Pfingsttage.
608. Eine andere Kirchenmusik ohne Bezeichnung.
— 614. Sonaline nuove zur 3. Ausgabe des Ver-
suchs tiber die wahre Art des Clavierspiels.
— 340 —
615. Menuett, die vor- und riickwarts gespielt werden
kann, gedruckt im musik. Vielerlei.
616. Clavieretuck for die rechte und linke Hand,
gedr. ebendort.
617. Variationen zur 4. Sonate des 2. Theils der Trii.
618. ,?Sanctus." Mit Orchester.
619. 7?Heilig"; fur 1 Chor desgl.
620. 7?Veni sancte spiritus", desgl.
621. Motette: ,,Veni". 2 Sopr.? Bass, Fundament
622. Desgl. ??Gedanke? der uns Leben giebt."
3 Singst, Fundam.
623. DesgL ?;0ft klagt dein Herz", desgl.
624. Desgl. ,,0-ott, deine Gate reicht so weit",
4 Singst, Fundam.
625. Desgl. ,;Dich bet ich an"; 3 Singst., Fundam.
626. Der 4. Psalm: ,,Wenn icn zu dir in deinen
Aengsten", fur Discant? Alt u. Fundam.
627. Der 2. Psalm; 77Warum versammeln sich
und draun", fiir 4 Singst.7 Fundam.
628. Antiphonia fiir 4 Singst.
629. 12 Freimaurer-Lieder.
630. ,,Amen", fur 4 Singst.
631. Motette: ,,Wirf dein Anliegen auf den
Herrn", von einem Anonymo, aber ganz
umgearbeitet? 4 Singst.
632. Einleitung zu Seb. Bach's ?>Credo".
633. Chor: 7?Erforsche mi eh, erfahrea7 4stimm.
Orch ester.
634. DesgL ;?Wenn der Erde Griinde beben^
desgl.
635. Desgl. ,,0ft klagt dein Herz", desgl.
636—641. 6 kleine Sonaten fur Clavier, 1 B-Clari-
nette und 1 Fagott.
642—647. 6 Marsche fiir 2 Horner, 2 Clarinetten,
2 Oboen? 1 Fagott.
648. 649. 2 kleine Stiicke fur dieselben Instrumente,
.- 841 —
650. 1 Orchesterstuck mit 3 Trompeten und Pauken,
ohne nahere Bezeichnung.
Hierzu treten endlich noch an Stficken, flir
welche jede nahere Zeitbestimmung fehlt:
651 — 654. 4 kleine Duetten fur 2 Claviere.
655 — 660. 6 Menuetten far Blaseinstrumente, 2 Vio-
linen und Bass mit abwechselnden Trio's.
661. 662. Zwei abwechselnd stark besetzte Menuetten
mit 3 Tromp^ Pauken? 2 Hornem, 2 Oboen,
2 Floten und Streichinstr.
663. 664. Zwei abwechselnd stark besetzte Menuetten ?
gedruckt im musik. Mancherlei.
665. 668. 2 Marsche far 2 H5rner, 2 Oboen u. Bass.
667—672. 6 Polonaisen fur Blaseinstrum. 2 Violinen
und Bass.
673. Duo for 2 Clarinetten, C-dur 4/4.
674. Solo fur die Flote mit Bass, G-dur 4/4.
675. Arie: J7Anior, per te languisco."
676. 677, 678. 3 Tenor- Arien, in jungen Jahren
verfertigt:
a) Edle Freiheit? Gottergltick,
b) Himmelstochter, Rub' der Seelen,
c) Reiche bis zum Wolkensitze.
679. Trio fur Violine, Viola und Bass, mit Seb.
Bach gemeinschaftlich.
680, Cantata auf Bom. 10. post trinit.: ??Herr,
deine Augen sehen nach dem Giau-
ben^7 gemeinscbaftlich. mit Seb. Bach.
Ausserdem hat Em. Bach noch gesetzt:
a) verschiedene Stiicke £iir Floten -Uhr en ; Harfen-
Uhren und Dreh-Orgeln und fiir besondere In-
„ strumente, namlich:
fur Flote und Harfe deren . 3
fiir 2 Floten ...... 5
fur die Dreh-Orgel . . . 2
fur die Harfen-Uhr ... 6
IF
— 342 —
b) Miscellanea inusica, bestehend in Uebungen fur
den General-Bass.
c) Chorale, theils mit Instrumenten , theils zum
Clavier und niit ausgesetzten Mittelstimraen.
d) Eine grosse Anzahl (angebl. 95) Lieder, gedr.
durch Weber, Donatus, in den Grafe'schen,
Krause'schen, Lange'schen, Breitkopfschen
u. Miinter'dchen Lieder- u. Oden-Sammlungen, in
den Clavierstiicken verschiedener Art; den Unter"
haltnngen, Musen-Almanaclien; im musik. Allerlei
und Vielerlei, der Polyhymnia etc.
Ein iin Besitz des Hrn. Fetis zii Brussel befindlicher;
wie es scheint von Westphal in Scliweriu zusammenge-
stellter, zieinlich vollstandiger theroaiischer Katalog ent-
halt folgende nahere Angaben:
1. Instrumental-Soli.
Soli far die Flote 12
Soli fur die Oboe 1
Soli fur die Viola da gamba .... 2
Soli far Violoncell 1
Soli far Harfe 1
Duetten fur Flote und Violine ... 1
Duetten for 2 Violinen 1
Duetten fur 2 Clarinetten 1
20
2. Trios.
Fur Flote, Violine und Bass .... 11
Fur 2 Violinen und Bass ..... 7
Fur verscHedene Instrumente ... 4
22
3. Concerte.
Fiir die Oboe (aucn fur Clavier) . . 2
Fur die Flote 4 *
Fur Violoncell ......... 3
— 343 —
Transp. 51
4. Sinfonien 18
5. Vermiselitc Stticke fur Biasinstru-
mente, fur Floten und Harfen-
Uhren etc.
Pur Flote und Harfe ...... 3
Fur 2 Floten 5
Fur die Dreh-Orgel 2
Fiir die Harfomihr 6
Menuetten 8
Polonaisen 6
abwechselnde Menuetten ..... 4
34
6. Claviersachen.
Menuett rait iiberschlagenden Handen 1
Menuetten 23
Polonaisen 21
Duetten fur Clavier 4
Solfeggien 9
Fugen 1
Marsche 2
Petites pieces 24
~ 85
7. Sinfonien fur Clavier eingerichtet 9
8. Sonaten:
a) gedruckte, einscaliesslieli der Sona-
tinen, Eondos, Fantasien etc. . . 142
b) ungedruckte 53
195
9. Trii fur Clavier 59
10. Quartetten 3
11. Sonatinen (darunter 3? die nur als
Varianten zu betrachten sind) .... 15
12. Concerte &2
521
— 344 —
Die Gesangsstucke dieses Eatalogs stimmen im Wesent-
lichen init den Angaben der vorhergehenden Zusammen-
stellung iiberein, Nur eine ?,Trauennusik" bei Beer-
digung des Burgermeisters Schulte am 10. Januar 1786
koinmt in dem Nachlass-Katalog nicht vor.
Unter den Instruraentalstucken sind
1 Solo fur die Viola da gamba, Andante, G-dur 4/4?
1 Duo fur 2 Clarinetteiij Adagio e sostenuto, C-dur %
in den friiheren Katalog-Angaben nicht aufgezeichnet.
345
Actenstiicke,
den Buckeburger Bach betr.
1. Acta? Rep. I. Bedienungen.
in specie.
Das dein Concertmeister Bach zu selnem Salario
noch zugelegte Brennholz und Kostgeld und verlangten
Vorschuss auf sein Salarium betr.
1757.
(eigenhandig).
Den Gammer -Musico Bach sind annoch zu seinem
bissherigen Deputat 4 Klafter Brennholtz in Gnaden
zugelegt.
Bkbrg. den 19. Febr. 1757.
Wilhelm.
ad cameram.
2. An
den Concert-Meister Bach.
Demnach Sr. Erlaucht imser Gnadigster Herr sub
dato Rom Lunesso 2. July 1764 gnadigst befohlen
haben, dass dem Concert-Meister Bach eine jahrl. Zu-
lage von 60 Thaler qua Taffel-Gelder und anstatt der
bisher erhaltenen 10 Klaffter von gesagtem dato an
funfzehn Klaffter Brennholz in. Gnaden ausgeleget wer-
den sollen; so wird sothane Gnadigste Resolution ge-
meldeten CJoncert-Meister Hemit bekannt gemacht^ ge-
- 346 -
stalten dem derselbe der TaffelGelder Zahlung halber
bey der Kiichstube nnd des Holzcs wegen bey dent
Hofffourier, dahin bereits Verfugungen ergaugon sind?
sich zu melden.
Buckeburg, den 7. July 1764.
3. Es haben Sr. Durchl. U. Gn. E. Herr gnadigst
befohlen? dass vor diesesmal extra consequential!! uber
das vorhin gnadigst ausgeworffne Deputat an den
Ooncert-Meister Bach fiinf Klaffter Brennholz frey zu
verabfolgen. Nachdem nun der Ausfolgung und An-
fuhr halber Verfugung ergangen^ so wird solches nach-
richtlich hieinit imverhalten,
Buckeburg den 20. April 1767.
An
den Concert- Meister Bach.
4. An die Gammer Cassa.
Es haben Sr. Durchlaucht Unser gnadigst Regie-
render Landes Herr Grnadigst bofohlen, dass von
Michael a. c. an dem Ooncert-Meister Bach en an Gage
sechszehn Thaler zugelegt seyn sollen, welche also die
Gammer Gassa gegen Quittung quartaliter zti zahlen u.
mit den Besoldungen zu verrechnen hat.
Bekb. den 16. Sept. 1768.
Ad Mandatum Serenissimi Eegentis speciale.
— 347 —
5. (eigenhandig).
Durcblauehtigster Herr
Gnadigst Regierender Landes Herr,
Ew. Durchl. werden Sich noch gnadigst zu eriimern
geruhen, dass vor einigen Jahren das mir huldreichst
zugeteilte lioltz bis auf 12 Kiafftern eingeschrankt
worden. Ich habe dabei die Unbequeinlichkeit, dass
ich nur einen Ofcn liitzen kann? u. meinc Arbeiten In
dein nemlichen Ziramer, wo meine gantze Familie ver-
sainmelt ist; verrichten muss. E\v. Durchl. werden
aber sclbst guiidigst zu beurtlieilcn gerulien, da^s die
Composition der Music bey dem G-erausch verschiedener
Gegenstilnde nicht den gewiiuschten JBrfoIg baben
kanu, u. dahero ergeliet an Ew. Durchlaucht meine
nntertbanigste Bittc, Hocbst diesclben wollen inir die
3 abgekiirzten Klaftern Holtz wieder zuzulegen, die
hohe Gnade haben. Ich ersterbe in tiefster Ehrfurcht
Ew, Durchl.
Meines Gnadigst Regierenden Landes Herrn
treu unterthanigster Knecht
Johann Christoph Friedrich Bach.
Suppl. den 26. April
1771.
(eigenhandig).
es sind ttnserm Concert -Meister Bach jahrlich drey
Klaffter Brennholtz zu desselben jetzigen Holtz-De-
putat zugeleget.
Wilhelm.
Bburg den 30. April 1771.
ad Cameram.
- 348 —
6, Durcblauchtigster Heir,
Gnadigst regierender Landes-Herr!
Ew, Durcblaucbt geruhen gnadigst, sich unter-
tbanigst vortragen zu lassen, wie meine zeitliche Um-
stande, durch die jungst gescbehene Verheirathung
ineiner Tochter um ein grosses derangirt geworden,
u. zu deren "Wiederherstellung ich gesonnen bin, etwas
yon mftinen Corapositionen in Druck zu geben. Da
aber zu Ausfdhrung dieses Vornehmens eine ansehn-
liche Summe baaren Geides zum Vorschuss erfordert
wird und mein yierteljahrliches Salarium dazu nicht
hinreicht; so habe meine unterthanigste Zuflucht zu
der langst bekaianten hohen Gnade Ew. Durehl. neh-
men wollen mit untertanigstef Bitte3 mir diese Ostern
100 Rthlr. iiber inein Salarium gnadigst vorscbiessen
zu lassen? ich lasse mir untertanig gefallen, dass mir,
zu Wieder Erstattung dieser Summe von kiinfftigen
Jobanni an? yierteljahrlich 25 Rtbl. von meinem Salario
abgezogen werden. In gewissester Hoffnung gnadigster
Erhorung meiner untertanigen Bitte ersterbe mit der
tiefsten Devotion
Ew, Durchlaucht
treu untertanigster Knecht
(gez.) J. E. F. Bacb.
Suppl. d. 29, Mart 1777.
349 -
Ein Brief des Londoner Back
Mon Cher
D'abord apres le diner je Vous conseille de Vous en
aller a Wiesenfeld et d'y defenser Votre renomm^e, qu'
Einert cherche a obfusquer, disant a tout le monde, que
Vous aviez retenu chez Vouz le present que son ami de
Groettingue lui avoit envoi6 par Vous m§me. La lettre;
que Vous lui avez port6 doit signifier? <pe celui? qui Fa
6crit; y avoit joint un pr&ent, qu' Einert n'avoit point
re9U. Vous le saurez le mieux; je n'en crois rien; mais
je Vous prie de me tirer de Fineertitude et de me con-
vaincre, que Vous §tes digne d'etre estim6 *
de Votre affectionne
A, H. Ch. B.
-- 350
Aetenstiicke?
Willielm Friedemann Bach betr.
1. A Son Excellence
Monsieur Schroter;
Conseiller des Apellations
de S. A. Royalle Monseigneur
rElecteur de Saxe et Syndic
de le Magistrat de la Residence
a
Dresde ').
,HoehEdelgebohrner? Vest und
Hochgelattrter Herr Apellations
Rath;
Hochgeneigtester Gonner.
Sollte wohl die allzugrosse Kulinheit, vernioge welcher
icli mich nnterfange gegenwartiges an Ew. Excellence ab-
gehen zu lassen, zu pardoniren sein? Massen ja nur zu-
riickdenken sollen? mit -wie yiel Verrichtungen Ew. Hoch-
Edelgeb. Excellence uberhauffet^ und cs also fast unver-
antwortlicli schiene, Ew. Excellence davon abzuziehen:
Jedoch isollte meynen , dass insonderheit vor Olienten,
worunter ieh nicht der Letzte; der Zugang zii Ew. Hoch-
Edelgeb. Excellence sich iederzeit geoffnet fande. Es kan
i) Acta des Stadtraths zu Dresden, die Besetzung des Organisten-
dienstes an der Sophien-Kirche betr. 1733—1842. Sect in. Cap. VII,
No. 67. Fol. 11.
— 351 —
nembl. Eu. HochEdelgeb. Exellence nicht unbekannt seyn,
wassmassen der Herr Pezold, gewesener Organist bey
der Sophienkirche das Zeitliehe mit dem Ewigen ver-
wechselfc und also dessen Station verrauthlich noch vacant.
Weile dann bey Eu. HochedeL und Hochweisen Rath als
einern Cornpetenten durch ein Memorial mich unterthanig
gemeldet; Als ergehet an Eu. Excellence mein gleich-
niassiges Bitten ? dass dieselben gnadig geruhen wollen,
dero holies Patrosinium meiner Wenigkeit gnadig ange-
deyen zu lassen. Wenn dann an gnadiger Aufnahme dieses
nieines unterthanigen Petiti nicht zweifle, um so mehr
werde bemiihet seyn? Zeit Lebens mich zu bezeigeu als
Eu. Hochedelgeb. Exellence
unterthanig gehorsamer
Leipzig, den. 7. JunI Knecht
1733. Wilhelm Friedemann Bach.
2. Dresden, den 20. Juni 1733 l}.
Weilen auf bevorstehenden 22ten hujus?
wegen Absterben des Organisten Hrn.
Pezolds, Organ ntenprobe in der St.
Sophienkirche geschehen solle: So propo-
nirte
Consul regens
Hr. BurckhardLeberechtBehricht
ob bey solcher Probe der Herr Oberhof-
prediger Dr. Merberger zuzuziehen sey?
ohnerachtet solches vorhero nicht ge-
schehen. Und ist hierauf yom Collegio
Senato folgendergestallt yotiret worden:
i) Die folgenden Actenstiieke sind aus den vorbezeielmeten Aeten,
Foi 13 und 14 entnommen.
— 352 — .
Der Proconsul Stetiger. ist pro affir-
mation, dass der Hr. Oberhofprediger da-
bey zuzuziehen sey.
Vogler. Desgleiclien. sub praetextu,
weil Er einen Candidaten recommandiret?
solchen rnitzuhoren.
M. Senatores Zopfe. Desgl.
Schlezig. Desgl.
Sommer. Beharret auf der observanz,
und da solches noch niemahlen geschehen,
trfige Er Bedenken, davon abzugehen.
Klette? wie Herr Sommer, zumahlen
derselbe nicht conforinirt wiirde.
Jiinger. Wie Hr. Brgrrn. Vogler.
Strauch. Desgl.
Stetiger jim. Desgl.
Hr. Lippold. Desgleidh. und confor-
miret sich der Consul regens denen majo-
ribus. So nachriclitl. registriret.
Christian Weinlitib.
der Hat Collegium Senatus entschlossen;
e8^-11 to nur bloss dem Hrn- Oberhofprediger Nach-
Herr Oberhofprediger, fioht Zii geben, dass dessen recommandir-
noch der Herr Superin- . .
der Observanz ter Candidat zur Probe admittiret werden
wann solche geschehen werde, zu geden-
ken; noch demselben dalieim zu insinuiren*
So nachrichtlich reg.
Christian Weinlich.
— 353 —
3. d. 23. Juni 1733.
Bey der abgeiegten Nachdem gestrigen Tages die Probe
Orgel - Probe ost auf TT ni OIPP.I T
requisition des Raths von H™* Bachen, Schaffrathen und
zugezog^n gewesen der Stoyen in der St. Sophienkirche gespielt
Churfiirstl. Vice Capell- J * ,
Monsieur Pan- worden, So ist Hr. Oberhorprediger da-
bey nicht erscliienen. Inmassen demselben
tind hat selbiger vor «/
anderm des jungeren auch? well er sich krank befindet, keine
Bachs G-eschicklichkeit ,T , . , , ., , , ,
mit dem Zu- Nachnclit ertheilt worden, und man also
bey der vorigen Observanz geblieben. So
SCompetentenderbeste . •
sey. nachriclitlich reg.
Christian Weinlich. Seer.
y. r. w.
4. den 23. Jun. 1733.
Wurde deliberiret, wer von denen auf
die Probe gestellten 3 Competenten zum
Organisten in der Sofienkirche zu er-
wehlen.
Dom. Consul Stetiger, Bach sey nach
aller Musicorum Ausspruch und Judieio
der beste und geschickteste und habe er
sich auch gestern bey der Probe am besten
exhibiret, dahero er ihm sein Votum gebe.
Dom. Consul Vogler.
Dr. Jacobi.
Dr. Schlezlg.
- Sommer.
- Klette.
- Jiinger.
Strauch.
Boheim.
Stetiger.
Wagner.
Lippold.
sign. Dr. Consul Regens Behrlgt
Bitter, Emanoel tmd Piiedemann B&eb. IL ^
— 354 —
Sind allerseits gleicher Meynung und geben
B a ch e n wegen seiner Geschiekliclikeit
ihr Votum; Aetuin in Consessu Senatus.
D. Schroter.
E e g,
5. Dressden, den 11. Juli 1733.
Anhero ist zu bemerken. gewesen, dass
der Herr Senator und Carnmerer So miner
als Inspector der Sophienkirche sich nebst
Endesbenamten Actuario und dein Organisten
Herr Wilhelm Friedeinann Bachen an-
hero in gedachte fciophienkirche yerfuget?
und sind diesem folgende Schliisseln:
Em Scbliissel zur KirchhoffThiire,
Ein Sehlussel zur KirchThiire;
Ein Schliissel zum Chor?
Zwey dergleichen zum OrgelGehause,
Ein Schliissel zum Clavier,
Ein Schltissel zur BalgenCammer, uud
Ein dergleiehen zum Schrank
ausgeantwortet und iibergeben worden, die
er auch in Empfang genommen;
So anhero registriret, uts.
Jolian Nicolaus Herold.
A. Amer.
— 355 —
R e g i s t r,
6. Dressden, den 1. August 1733.
Heute diesen Nachmittag begab sich
Herr Christian Sonimer, des Baths wie auch
Camraerer und Inspector der Sophienkirche
nebst mir und
Herr Wilhelm FriedemannBachen, Organisten
bey nur gedachter Kirche personlich anhero
in dieselbe und iibergabe dieseni die nur
vor wenig Jahren neu erbaute Orgel mit
mit denen dazu gehorigen Schltisseln,
1. Einen Schliissel zur Kirchhofthiirej und
2. Einen dergleicben zu der ersten KirchenThiire, welehe
beyde derselbe zu gebrauchen hat; wenn er die
Orgel stininien will.
3. Einen kleineren zur TreppenThiir zum Ohor? und der
auch die InstrumentenKaninier schliesset?
4. Einen Schliissel zuni Orgel-Chor,
5. Einen zum Orgel-Glavier oder Manuall,
6. u. 7. Zwey zur Orgel und Werke selbst?
8. Einen Schliissel zur BlilgeCammer und
9. Einen Schliissel zu eineni kleinen Schranke in der In-
strumenten-0aninier7
mit der Bedeutnng, dass gedachter Herr
Organists Bach nicht nur die Orgel wohl
in acht nehmen und keinen Schaden daran
verursachen, auch nicht verhangen solle?
dass von anderen dergl. dem Werke zuge-
fiigt werde.
Und weilen ihn die Schliissel zur Kirch-
hoffthiii-e wie auch zur Kirehe selbst an-
vertrauet worden? dass er beyde Thiiren
wohl zuschliessen, und sich darbey so in
— 356 —
acht nehmen sollte, dass Niemand darinnen
verschlossen werde, oder die Thiiren ganz
offen bleiben mochten, welchein alien nach-
zukommen mehr erwehnter Herr Bach ver-
sprochen, zugleich aber auch erinneret; dass
das Werk gar sehr verstimmtt ware, und
eine HauptStinmiung brauchte, indem ein
paar Register darunter, welche er zur Zeit
nicht einmal gebrauchen konnte. So man
anhero notiret uts.
gez. Johann Nicolaus Herold,
A. Anier,
Wilhelm Friedemann Bach1).
7. Hoch und WohlEdle? Veste, Hoch und
Gross. Aclitbare? Hoch n. Eechts. Wohl-
gelahrte, auch Hoch u. WohlWeise
Hochgeehrteste Herrn und Patroni,
Ich bin verbunden, Deroselben gehorsamst zu melden?
dass meine Verbesserung ausserhalb Dresden gefunden7 u.
denn anderweit yerlangten Dienst zu Pfingsten anzutreten
niich anheischig gernachet. Nachdeni nun Ew. Hoch u.
WohlEdel nieinen zeitherigen Dienst; vor meinem Abtritt
wieder zu ersezen sich resolviren mochten; So unterstehe
mich sogleich? ein anderes Subjectum in Vorschlag zu
bringen. Es ist ein Studiosus aus Leipzig, Hr. Altnicol?
welcher bey meinem Vater das Clavier und zugleich die
Composition gelernt. Wenn nun dieselben auf ihn gtitigst
zu reflectiren und eine Probe spielen zu lassen belieben
wollten ; So zweifle ich nicht? er werde seine Geschicklich-
keit auf der Orgel dergestalt zeigen, dass Deroselben
ineine Recommandation nicht ganzlich niissfallen werde.
Hiernachst habe zu Ew. Hoch u. WohlEdl. auch Hoch u.
Aus den voibezeichneten Acten FoL 17. 18.
- 357 -
Wohlgeb. Herrn das zuvcrsichtl. Vertrauen, Sie vrerden
rnir so lange, als den ietzigen Dienst vcrsehe, und biss 211
Ende dieses Quartals die davon abhangende Emoluinente
u. Besoldung zu reichen, hochgtitigst geruhen, gestalt ich
denn, wenn auch ein paar Sonntage nach ineinem Ab-
zuge versauinen miisste? cine solche Person zu bestellen
schuldig bin? welche die Orgel inmittelst versehen kann.
In dessen danke ich gehorsamst vor die mir zeithero erzeigte
Propension und WoUgewogenheit, wunsche, der Aller-
hochste wolle Dero Regiment niit alien Seegen begnadigen,
auch Ihre Hochgeehrteste Personen und "Werthesten Fa-
millien mit langen Leben beglucken? ich aber empfehle
mich zu fernern Wohlwollen? und verharre in schuldigster
Devotion
Ew. Hoch und WohlEdL auch
Hoch und Wohlw. Herrn
Dresden gehorsamster
am 16. April Wilhehn Friedemann Bach?
1746. Organist zu St. Sophie1).
i) Aus den vorbemerkten Raths-Acten Fol. 19. 20,
— 358 —
Actenstticke,
Friedemann Bach in Halle betr.
9. Wir Endes Unterzeichnete Kirchen-Vorsteher und Acht-
manner zullnserer LiebenFrauen allhier vor Uns undUnsere
Nachkomnien im Kirclien Collegio uhrkunden hierdurcli
und bekennen, dass wlr dena WohlEhrenVesten und Wohl-
gelahrten Hern Wilhelm Friedemann Baehen? wohl-
bestalten Organisten bey der St. Catharinen Kirche in
Dressden Krafft dieses zuin Organisten dergestallt bestellet
und angenommen haben, dass Er unss und Unsere Kirche
treu und dienstgewartlg sey? eines tugendliaften und exem-
plarisehen Lebens sich befleissige, zuvorderst bei der un-
geanderten Augspurgischen Confession der Formula Con-
cordia und anderen synabolischen Grlaubens Bekanntnissen
bis an sein Ende bestandig veriharre, nebst andachtigen
Gehor gottlichen Wortes sich zu dieser Kirchen Altar
fleissig halte, und dadurch sein Glaubensbekanntniss und
Christenthuni der gantzen Gemeine bezeuge. Hiernechst
so viel seine ordentliche Amts-Verrichtung concerniret,
lieget ihm ob:
1) alle hohe und andere einfallende Feyer oder Fest
Tage und deren Vigilien auch aller Sonntage und
Sonnabends nachmittage? ingleichen bey denen
ordentlichen Oatechismus:Predigten und bey offent-
lichen Copulationen , die grosse Orgel, zur Befor-
derung des GottesDienstes nach sein em besten Fleiss
und Verrnogen zu schlagen, jedoch dergestalt dass
zuweilen auch die kleine Orgel? zumahl an hohen
Festen bey der Choral und Figural Musique ge-
spielet werde.
— 359 —
2) Wie er denn 2., ordinarie bey hohen und anderen
Festen, ingleichen iiber den dritten Sonntag nebst
dem Cantore und Chor-Schlilern auch Stadt:Mu-
sicis und anderen Instrunientisten eine bewegliche
und wohlklingend gesetzte andachtige Musique zu
exhibiren, extraordinarie aber die zwey letztern
hohen Feiertage nebst dero. Cantore und Sehiilern7
auch zuweilen rait einlgen Violinen und andere
Instrumenten kurze Figural tit tick e zu niii>ieiren
und alles dergestalt zu dirigiren hat? dass dadurch
die eingepfarrte Gemeinde zur Andacht und Liebe
.zuni Gehor gottiiches Wortes desto mehr erinuutert
und angefrisclit werde.
3) Vornehrnlich aber hat er 3.? iiothig die zur Musique
erwehlten Textus und Cantiones dem Herrn Ober
Pastori Unserer Kirche Tit. Consistorial Rath und
Inspector!, Johann George Frank en zu des.sen
approbation in Zeiten zu coniniuniciren? gestalt er
deswegen an den Herrn Consistorial -Eath hierinit
gewiesen wird.
4) Ferner wird er 4., sich befleissigen, powolil die
ordentlichen, als auch von denen Herrn Ministeria-
libus vorgeschriebenen Choral Gesaiige vor und
naeh denen Sonn und Fest Tages Predigtcn, anch
unter der Communion 7 item zur Vesper und Vi-
gilien Zeit langsam ohne sonderbares coloriren in it
vier und fiinf Stimmen und den Principal anclachtig
einzuschlagen und rait jedem Versicul die andere
Stimmen jedesmahl abzuwechseln, auch zur quinta-
den und Schnarr Werke, das Gedacke, wie anch
die Syncopationes und Bindungen dergestalt zu
adhibiren, dass die eingepfarrte Gemeiude die
Orgel zum Fundamente einer guten harmonie und
gleichetimmigen Thones setzen? darinneB andaclitig
singen und den AUerhochsten danken und loben
moge.
— 360 —
0
5) Wobei Ihnen 5., zugleich das grosse und kleine
Orgel : Werk nebst dem Regal und andere zur
Kirch e gehorige in einem Ihnen auszustellenden
Inventario specificirte Instrumenta hierdurch an-
vertraut und anbefohlen werden, dass Er fleissige
Obacht habe damit die erstere an Balgen; Stim-
men und Registern auch alien andern Zubehorun-
gen in guten Stande auch rein gestimmt und ohne
Dissonanz erhalten und da etwas wandelbar oder
mangelhaft wiirde, solches alsobald dem Vorsteher
oder wenn es von Wichtigkeit dem Kirchen -Col-
legio zur reparatur und Verhutung grosseren Scha-
dens angezeiget werde. Das aus unsern Kirchen
Aerario angeschaffete Regal aber und ubrige mu-
sikalische Instrumente sollen allein zum Gottes:
Dienst in unserer Kirche gebrauchet, keineswegs
aber in andern Kirchen vielweniger zu Grastereyen
ohne unsere Einwilligung verliehen? 'auch da etwas
davon verlohren oder durch Verwahrlosung zer-
brochen wiirde? der Schade von Ihnen ersetzet
werden.
Vor solche seine Bemiihungen sollen Ihnen aus den.
Kirchen :Einkunfften Einhundert und Vierzig Thaler Be-
soldung? ingleichen Vier und Zwanzig Thaler zur Woh-
nung und Siebzehn Thaler 12 gr. zu Holtz alljahrlich ge-
zahlet^«aueh vor die Composition der Catechismus Musique
jedesmahl 1 Thlr. und von jeglicher Brautmesse 1 Thlr.
gegeben werden. Wogegen er verspricht; Zeit wahrender
dieser Bestallung keine Neben Bestallung anzunehmen,
sondern die Dienste allein an dieser Kirche fleissig zu ver-
sehen, jedoch bleibet Ihnen so wie ohne deren Versaumung
geschehen kann frey; durch information oder sonsteB acci-
dentia zu suchen.
Zu dessen Uhrkund haben wir diese Bestallung in
duplo unter dem grossern Kirchen Secret ausfertigen lassen?
eigenhandig nebst dem Herrn Organisten beyde exemplaria
- 361 -
nnterschrieben, eines davon Ilmen ausgestellet, und das
andere ist bey der Kirchen zur Nacbricht behalten worden.
So geschehen Halle den 16. April 1746.
(L. S.)
Schafer. Wilhelm Friedemann
Becker. BacL
Moschel.
Queinz
Dr. Fran eke.
J. Stappenius.
Hoffmann.
Loeper.
Krause.
0. Hippius,
io. Verzeichniss
Derjenigen musicalischen Instrumenten, welche auf dem
Chor der Hauptkirche zu U. L. Frauen allhier yerwahrlich
aufbehalten; und nuninehro dem neuen Organisten daselbst
Herrn Bach soil en extradiret und eingehandigt warden.
L Ein paar Pauken nebst Eloppeln.
2., Drey neue Trompeten, welche an. 1743 anstatt
der gestohlencn angeschafft worden.
3. Bine alte Trompete, und noch eine altere.
4. Ein Regal
5. Ein alter unbrauchbarer Violon.
6. Drey Zinken.
7. Drey Posaunen.
8. Sechs Violinen.
9. Zwey Violen? darunter eine unbrauchbar.
10. Zwey Floten.
11. Ein Schalineyen-Bass.
So geschehen? Halle? den 28. July an. 1746,
Augustus Becker, Lie.
Wilh. Friedeinann Bach.
- 363 —
11. HochWohl Geborne, Hochedel Geborne
Hochgelehrte Herrn?
Insonders Hochzuverehrende Herrn
Vornehme Gonner.
Ew. HochWohl- und Hochedel-Geb. babe ich hierdurch
melden wollen, dass ich im vorigen sowohl als auch diesem
Jahre bey den ausgesehriebenen Contributionen als Burger
betrachtet wurde, und die mir in dieser Absicht zuer-
kannten Gelder bey Strafe militairischer Execution wiirklieh
eiiegen muste. Da ich mich nun gegen dergleichen ver-
driessliclie Vorfalle nicht in Sicherbeit stellen kann, wofern
Ew. HochWohl- und Hochedelgeb. nicht desfalls die ge-
horige Verfugung machen (zumahl ich in Ansehung meiner
Frau einmahl zugehorigen Immobilium ininier leyden muss
und dieserwegen als Burger angesehen werde), so ergehet
an Ew. HochWohl- und Hochedelgeb. hiermit nieine ge-
horsamste Bitte, es so einzurichten ? dass ich in's kiinftige
bey den Contributionen als Kirchen-Bedienter angesehen
werde, und als solcher nicht niehr zu conferiren bra ache.
Ich nehme mir zu gleicher Zeit die Freyheit, Ew.
HochWohl- und Hochedelgeb. urn Zulage meines Gehalts
gehorsamst zu ersuchen.
Schon bey dem Antritt meines Amts gab mir der ver-
storbene Herr Prasident S chafer im Namen eines Wohl-
loblichen Kirchen - Collegii die Versicherung, wenn sich
irgend die Kirchen-TJmstande verbesserten, darauf bedacht
zu seyn. Diese mir seit 15 Jahren gegebene Versicherung
sammt den itzigen sehr schlechten Zeiten und der taglich
zunehmenden Theuerung bewegen mich jetzt, Ew. Hoch
Wohl- und Hochedel-Geb. deshalb gehorsamst anzugehen,
— 364 —
In Erwartung einer giinstigen Antwort habe ich die
Ehre zu seyn
HochWohlGeborne, Hochedel Greborne
Hochgelahrte Herrn,
Insonders Hochzuverehrende Herrn
Vornehme Gonner.
Halle, den 20. Octbr. 1761.
Dero
gehorsamster Diener
Wilhelm Friedemann Bach.
Denen
Hochwohl- und Hocbedelgebornen Herrn,
Hochansehnlichen Acht - Mannern eines
Wohlloblichen Kirclien-Oollegii der Kirche
zu U. L. Frauen,
12. HochWohl- nnd HochEdel Geborne
auch Hochgeehrteste Herrn und Oollegen.
Da mir anvertraut worden, Hr. Bach als Organisten
auf sein beyliegendes Suchen, eine Resolution zu fertigen?
so communicire selbige beygehend zur Eevision bitte, wenn
nichts zu erinnern Dero vidit beyzusetzen, damit solche
nachhero mundirt, unterschrieben und Hrn. Bachen er-
theilt werden konne.
Ich habe die Ehre zu seyn
Ew. HochWohlWohl- und Hochedelgeb.
ergebenster
0. Hippius.
— 365 —
Resolution fur Hrn. Organisten Bach.
Es 1st bey dem Kirchen-Collegio zu Unserer Lieben
Frauen verlesen worden, was deren Organist Hr. Wil lie 1m
Friedeinann Bach wegen reinedur seines Beytrages zur
feindlichen Krieges-Brandt-Steuer-Contribution, aucli ver-
langter Zulage seines Gehaltes bey jetziger Theuerung vor-
gestellet und gebethen? worauf demselben hiermit zur Re-
solution ertheilet wird, dass wegen den Beytrags zur feind-
lichen Krieges- Contribution, von Konigl. immediat- Com-
mission nach dem Principio der allgemeinen Mitleydenheit?
und von Jeden Einwohnenden, verlangten Schutz die re-
partitions-Anlage gemachet worden, und also derselbe von
selbst sich zu bescheiden habe; wie Er auch ohne Absicht
des ihm anvertrauten Organisten-Dienstes, da er durch er-
forderlichen Contributionen-Beytrag, gleichen Schutz wie
andere Einwohnende geniesset, er auch weit geringer als
der schlechteste Handwerker angeleget worden, seinen
Beitrag, ohne sich an Unser Kirchen-Collegium zu wenden,
vorhin und kunftig bey der general-repartition zu thun
schuldig sein. Anlangend die gesuchte Zulage seiner Be-
soldung betreffend, so finden wir bey dessen ofters unge-
biihrlich bezeigeten Betragens, und seiner Vergessenheit
der schuldigen Subordination, gegen das Kirchen-Collegium
und des Herrn Consistorial-Raths Rambach'sHochwiirden,
da er? der Ihnen einstmahlen schon in pleno Collegii ge-
gebenen Weisung ohngeachtet, ohne erhaltene permission
ofters verreiset, und die Ihnen vom Herrn Consistorial-Rath
Rambach gegebene Weisung, zu seiner Besserung sich
nicht nutzen lassen, gar keine Drsache, aus welchem Beweg-
grunde bey seiner ihm von Anfang erhohten Besoldung,
Ihnen annoch eine Zulage bewilliget werden sollte; da zu-
mahlen. die Vermogens-Umstande Unserer Kirche sich seit
seines angetretenen Dienstes nicht verbessert, und sein un-
gebuhrliches Betragen eine Vergeltung fur ilm zu sucien,
keine Crelegenhelt gegeben. Es wird daher auch dieses
— 366 —
Punktes halber ihm zur resolution ertheilt : wie sein Suchen
keine statt finde, und zugleich derselbe erinnert, sicli besser
wie zeithero, der seinem Officio obliegenden Subordination
gegen das Kirchen-Collegium und den Herrn Consistorial-
R am bach zu befleissigen, damit wir nicht genothigt werden,
andere Verfugungen zu treffen. Wornach derselbe sich
zu achten.
HaUe; den 22. Novbr. 1761.
Vorsteher und Achtinanne des Kirchen-Collegii
zu U. L. Frauen hieselbst:
(Gez.) vidi Loeper.
vidi Stiebritz.
vidi Grade,
vidi Buchner.
vidi Franke.
vidi Krause.
vidi Bromme.
vidi Hoffmann.
(Ein Name ganz unleserlich.)
13. Actuin, Halle in der Kirche zu Unserer Lieben
Frauen? den 5. July 1764.
Als der abgehende Organist Herr Bach am 3. Huj.
zu mir? dem Vbrsteher; gekommen und um die Bezahlung
des Restes seiner Besoldung der 35 Thlr. bis Trinitatis h. a.
und der Wohnungs-Gelder auf das Quartal von Ostern bis
Joh. mit 6 Thlr. gebeten7 ich aber ihm vermeldet, wie
Collegium weiter nieht als bis zum 12. May 1764 als den
Tag seiner resignation die Bezahlung thun zu lassen re-
solviret, als von welcher Zeit er der Kirche keine Dienste
weiter gethan, ferner auch die Trauungs-Grelder und das
Ellinge-Sacks-Geld in der Buchse auf der Orgel vom 12, May
bis Trinitatis urgiret, ich aber aus obgemeldeter Ursaoh©
— 867 —
ihm sein Suchen ohne des WohllobL Kirchen-Collegii Ge-
nehmigung, dehne erstlich davon referiren wolle? nicht
accidiren konnte.
Demnachst er auch die bei seinem Antritte 1746 naeh
einer unterschriebenen Specification erhaltenen musica-
lischen Instruinenta gehorig abliefern musse, so wurde von
mir mit ihm die Abrede genominen, solches heute Nach-
mittags 3 Uhr nach geendigter Naehmittags-Predigt zu be-
werkstelligen, und er auch darzu willig gewesen7 zum vor-
aus aber angezeiget, dass bey dem Empfang 1746 eine
Zinke erfehlet, welches er auch dem damaligen Hrn. Vor-
steher Lie. Beckern verraeldet, und auszustreichengebethen,
welches aber nicht erfolget; ich aber dieses Vorgeben nicht
zugestanden? ich bin darauf auch heuteNachmittags 3Uhr anf
die Orgel gegangen, und habe des Hrn. OrganistenBaehen
daselbst erwartet, und nach einer Verweilung meine An-
wesenheit in der Kirche nach seinem Logic durch einen
Kirchen-Knaben wissen lassen, zur Antwoii aber erhalten?
er sey nicht zu Hause? weil er nun nicht gekommen und
Montag mir gesagt, dass Hr. Bach zu Mittage auf ein an
ihn geschrieben Billet von ihm die Schliissel verlanget, er
aber ihm nicht gesandt, als welche vorhin der Herr Con-
sistorial-Rath Rambach durch den Kirchhiiter Wend ten
vom Hrn. Bachen hohlen und nachher ihra Montag solche
behandigen lassen, habe inGegenwart desGustodi Karbaum
und des Calcanten Montag den Schrank, worinnen die
Instrumente vei-wahrlich durch Montag aufschliessen und
zur Durchsehung Stuck vor Stuck mir vorlegen lassen
und als solche mit der Specification eontestiret hat sich
befunden.
Verzeichniss der Musicalisch.
Kirch.-Instrument d. d.
28. July 1746.
1. Ein paar Pauken nebst
Kloppem „ — „ — „ sind vorhanden, nebst Leder-
Decke auf die Pauken*
368 —
2, Drey neue Trompeten, so
an. 1743 angeschafft — „
3. Eine alte Trompete und
noch eine altere „ — „
4 Ein Regal „ — . „ — „
5. Ein alter unbrauchbarer
Violon —„—„—„
6. Drey Zinken — „ — „
7. Drey Posaunen „ — n
8. Sechs Violinen „ — „
9. Zwei Violen, darunter
eine unbrauchbar „ —
10. Zwey Floten _ „ — „
11. Ein Schalmeyen - Bass ,
hierza kommt noch
12. Ein guter Contra- Violon
weleher aus der Kirche
Aerario auf Hr. Bach
Anrath zum Grebrauch
den 15. April 1751 gekauft
sind vorhanden.
itzt noch 1 gute und 2 alte
vorhanden.
dieses ist den 14. Februar
1757 mit Grenehmigung des
Kirchen-Collegiij weil esnicht
mehrzugebrauchen yerkanft,
und von mir in Eechnungs-
Einnahme gebracht.
ist noch vorhanden auf der
obern Brieche bey der Orgel.
hiervon sind 2 st. nur vor-
handen und fehlet 1 stuck.
2 st. vorhanden und fehlet
1 stuck.
sind vorhanden , aber an
Saiten mangelhaft.
sind vorhanden^ bey einer
aber fehlet der Fiedel-Bogen*
Diese wiirden auch Pratzsche
genannt.
ist 1 st. vorhanden und fehlet
1 st.
ist vorhanden.
ist vorhanden, fehlen aber
darauf Sayten, und daher
wieder zu beziehen.
— 369 —
Bey weiterer visitirung des Schrankes hat sich dar-
innen niehts mehr gefunden, und sind daranf alle vor-
handene Instrumente durch Montagen wieder in Schrank
verwahrlich gebracht und verschlossen, die Pauken No. 1.
und No. 5. ein alter unbrauchbarer Violon aber an ihrern
Orthe gelassen und der franzosische Schliissel nachdem
vorher 5 andere Schliissel an 1 Bunde, als
1 Schliissel zurn Chore.
1 st. zur Thtire und Behaltnisse? worm der Schrank
init den Instrumenten befindlich.
1 st. ZUIQ Schranke der Instrumente.
1 st. zur Thiire auf die Brioche hinter der Kanzel
nach der kleinen OrgeL
1 st. welcher zur Thure auf die kleine Brieche
bey der Orgel gehore?
in das Schrankchen? in der Orgel geleget, zu mir genommen
worden. Actuna ut supra.
J. Bromme.
Bitter, Emanuel nnd Frie4^naan Bacli* H. 24
370 —
Briefe Friedemann Bach's.
1. HochEdelgebohrner
HochgeEhrtester Herr,
Da die vielen Verrichtungen Ew. HochEdelgeb. an
eine Antwort nicht haben denken lassen, will nicht zwei-
feln; Es ergeht als hierdurch eine giitige Erinnerung in-
dem bewusster Hr. Heinrich Andreas Cuntius vor denen
Ferien hier wiederum eintreffen wird, urn Rechenschaft von
meiner ausgerichteten Commission ablegen zu konnen. In
Erwartung einer baldigsten Resolution -and Antwort habe
die Ehre? nebst Anwiinschung vergniigter Ferien mich zu
nennen
HochEdelgebohrener
HochgeEhrtester Herr
Dero
Halle ergebener Diener
den 20. Febr. W. E. Bach.
1749.
2. Hochedelgebohrner
HochgeEhrtester Herr?
Der Herr .Concertmeister Grraun, den icb als meinen
ehemaligen Meister auf der Violine noch jetzo yeneriere^
hat auf Ew. HochEdelgeb. Ordre mit Zizziehung meines
Vaters in Leipzig einen tuchtigen Meister Nahmens
Cuntium von hieraus zu einern neuen Orgel Ban in Vor-
schlag bringen miissen. Ohngeachtet nun die Sache ver-
schiedene mahl sehr pressant gemaeht worden, so ist gleich-
wohl die letzte absolution zu einer Abreise von hier ans-
geblieben. Ich habe also p. Commission bey Ew. Hoch-
Edelgeb. anzufragen? ob wie zu vermuthen? ein anderes re-
— 371 —
solviert worden ? wann dem also, so habe nur ineklen sollen,
dass erwehnter Herr Cuntius, so bestandig -wegen seiner
Geschicklichkeit rait yieler Arbeit uberhauft, gleich wonl
auf meines Vaters Sckreiben, so sich selbst fiber die ge-
gebene und hernach ins Stocken gerathene Commission oft
genug verwundern konnen? eine Reise nach Leipzig thun
und folgl. alle Arbeit indess damahle bey Seite legen
miissen, mn wegen der neuen Orgel genauere Abrede zu
nehmen, ihr Gutachten, Einriehtung und zu forderndes
Preisses einander zu comnmnieiren, wie auch die von dem
Frankfurther Organist nacli Leipzig uberrnachte zwar sehr
ungescbickt abgefasste Disposition der neuen Orgel zu re-
flectiren. Ich habe ingleichen nielden und bitten sollen,
dass man Herr Cuntio wenigatens wie billig die dainah-
lige Reise und versaumte Arbeit bonificiren u. die 2 Louis-
d'or nur an niieh, wie bey komniende hinterlassne Com-
mission ausweisst, gittigst zu addressieren, da er auswarts
in einem Orgelbau begriffen. Ick liabe iudessen in Er-
wartung einer baldigsten Antwort, die Ehre mich nennen
zu durfen
Co minis so ri a: Beifolgendes
vSchreiben habe dem Herrn Gevat- HockEdelgebohrner
ter Dir. Bach in memer Abwesen- HochgeEnrtester Herr
belt giitigst zu besorgen, und die- ^
weil die 10 Kthl. als meinen or- -Lyero
Ktten Schaden in meinem Nahmen egebenster Diener
in Empfang zu nehmen hinterlas- Bach Direct. Music,
sen wollen.
Halle, den 22. Nov. 1749.
Gottfried Heinrich Cuntins.
Halle den 1. December 1749.
— 372 —
3. Allerdurchlauchtigste Ohurfurstin,
Gnadigste Frau!
Ew. Konigl. Hoheit lege Ich hiernit ein Concert von
meiner eigenen Ausarbeitung zu Dero Fiissen in tiefster
Unterthanigkeit nieder. Ich habe inich wegen dieser
Dreistigkeit bey mir selbst vorgefordert, und ausser der
Schuldigkeit naeinem Vaterlande und dessen hohen Be-
herrschern von der Anwendung nieines Talents vorztiglich
Rechenschaft zu geben, nocli andere Beweggrunde gefunden,
die mich angetrieben haben? diese kiihne Anerbietung an
Ew. KonigL Hojieit zu wagen. Dahin gehort fur allem
andern die Ueberzeugung, die ich von Ew. Konigl. Ho lie it
erhabenen Einsichten in die Tonkunst eheroals in Dresden zn
erhalten das sehatzbare Grltick genoss; als ein gewisser, da-
mahls bey dem am Churfurstl. Sachscn. Hofe stehenden
russischen Gesandten Herrn Grafen von Kay ser ling be-
findlicher iunger Menscli; Nahmens Goldberg^ die hohe
Gnade hatte? eine Probe von seiner in der Music unter
meiner Anfuhrung erlangten Fertigkeit abzulegen.
Ich fuhre die besonderen tTmstande dieses fur mich
so gliicklichen Vorfalls sonderlieh des wegen an, weil sie
mir zugleich die seltene Gelegenheit verschafften, die prac-
tischen Fahigkeiten Ew. Konigl. HoLeit in der Sing-
kunst aus einem naheren Gesichtspunkte zu bewundern
und weil sie mich gegenwartig noch in der siissen Hoff-
nung starken? dass HochstDieselben mit einem gnadigen
Blick auf diesen kleinen Versuch herabsehen werden^ den
ich einer so grossen Gonnerin der Tonkunst als ein Ver-
ehrer der Music ? und als sin Zeichen meiner schuldigen
Ehrfurcht darbringe.
- 373 -
In Erwartung dieser unverdienten hohen Gnade, u. in
inbriinstiger Anwiinschmg aller gottlichen Segnungen fiber
Dero theuerste hohe Person u. iibrige Konigl Pamiiie
werde ich lebenslang in tiefster Unterthanigkeit verknen
Ew. Konigl. Hoheit
Halle in Sachsen
den 29. Juli
1767.
ganz imtcrtbanigster Diener
(cigenhandig) Wilhelm Friedemann Bach,
Ew.Ckitel.DuK-hl.Dero (eigeilliand}g.)
Herr Sohn weulca usu'li cler v & ° ;
giosscn Fabigkeit in cler Music von Ew. Hochfnrstl. Durchl. dem
das sebi practicable Concert Landgrafen zu He^eu-Dai'mslatt
sehr gut voiliagen kdnnen. ^^^ ^w® Oapell
Meister.
UB. aus dem Konigl. Archive zu Dresden.
— 374 —
4. Hochedelgebohrner,
Insonders Hochzuehrender Herr!
Da Hr. Schonfeld mit seinen Eleven ver-
fe" gangenen Sommer nach Strassburg gereist ist;
hj So muss nunmehr selbst die Feder ergreifen,
8 und 2 Kirchen-Stiicke ? 2 Pedal -Stiicke von mei-
p nem Vater, ein Concert von mir? hieher an mich
• zu schicken, hierdurch ergebenst bitten. Sollten
^ ohne mein Wissen Hr. Schonfeld an Ew. Hoch-
2. edelgeb. noch in meinem Nahmen Music^ &
^ tibergesandt haben, so bitte mir selbige gleijj ^
p aus, indem uberflussige Zeit zu decopiren g\ i*
| sen ist. Was inachen die Methwurste? MachenJ -d
y an Hr. Frid. mein Compliment und erinnern Sel-
^ bigen ohnmassgebl. auch an den gutigst ver-
» sprochepen Wurst-Artikel. Grenug ich verspreche
^ mir nachstens was von Gottinger Wiirsten.
J% In Erwartung einer baldigsten Antwort bin
I" nebst gehorsamer Empfehlung an das heiniische
§ Haus
^ Ew. Hochedelgeb.
ergebenster Diener
Bach.
Berlin, den V. Febr. 75.
Ich logire auf der Neu-Stadt in
der letzten Strasse in Fr. Wagnerin
Hause.
A Monsieur
Monsieur Forckel?
Musicien fort habile
Grottingen.
- 375
5. Hochedelgebohrner
HoehgeEhrtester Herr Music -Direcktor!
Ew. HochEdelgeb. danke ergebenst vor die durch
Herrn Pfeiffer richtig erhaltene Wiirste. 1st denn die
Fran Hofrathin Heine todt, wie man mich berichtigt hat?
Ich nehme mir die Freyheit beykomrnendes Avertisse-
ment zu uberschicken? nebst gehorsanister Bitte, solches
durch die Zeitung oder andre Art bestmoglichst bekannt
zu machen.
Ew. HochEdelgeb. werden mich ilbrigens sehr ver-
bindlich macheB, wenn Dieselben auf Derer Music-Lieb-
haber Anfrage zu attendiren die Grewogenheit vor mir
haben wollten, der ich mich zu alien Gegendiensten erbiete,
und mit aller ersinnlichen Hochachtung bin
Ew. HochEdelgeb.
ergebenster Diener
Back
Berlin, den 16. Marz 1776,
Ich wohne bey der Laufbriicke bey
R Coraissaire Dunokel 2 Treppen
hoch.
376 —
Text der Cantate
zur
Greburtstagsfeier Friedrich's II.
No. 1. Siufonie.
No. 2. Recitativ rait Accompagnement
(Preussen.)
0 Hiinmel, sclione, schone! Ziirnest clu?
Welch' Well .erschutt&rt meiue Ruh!
"" Era^Sgstlich furchtbar Zittern
Durchschauert meine Brust. So stiirzt auf mich
Hit Wuthen de& Ungliicks wilde Flutli herab.
Fern In der Zukunft droht
Die halbe Welt, mir nie gefiihlte Fesseln anzulegen.
No. 3. Arie.
Oeffnet, ofEhet den glubenden Racbeo,
Erbebet, ihr donnernden Liifte mit Kracben,
Kebrt Menscben und Wobnung in schreeklichen Gratis.
Ibr Volker, seid grausam verbeeret,
Wallt, blutige StrdmeT zerstoret,
Breitet durch Flammen Verwlistung aus.
No. 4. Recitativ.
(Oesterreich.)
Der Waffen rauscbendes Getose
Verwirrt die Welt durcb micb.
Wobl denn! Yor ihrem Heere
Trotzt grausam das Entsetzen bier*
Des matten Feindes Ohnmacbt
Set Frankreicb ein bereiteter Triumph.
Er miisse seine Lander fliebn,
Und Scblesien sei traser Raub.
(Scblesien.)
Icb. und die Eiminel miissen
In ode Klumpen zeitriimmern.
Recht und Religion wurd7 in den Ewigkeiten
Ein leerer Klangf ein Nicbts,
— 377 —
No. 5. Arie.
Blunt noch Hoffnung zum Erretten,
Vorsicht, so zerbricli die Ketten,
Die fur mich der Hoehinuth schlagt.
Senke dich mit Huld hernieder,
Zeig' ihn mir ira Lorbeer wieder,
Ihn, der deine Blitze tragt.
No. 6. Sinfonie.
No. 7. Recitativ.
Er siegt, dein Held, clein Konig!
Wirf, treues Schlesien, das Denkmal deiner Noth
In die verzehiende Vergessenheit.
Auf, sieh5 mit himmlischem Entziicken
In jene wundervolle Scene,
Wo Friedrich kampft^ und Heil dem grossten Held,
Den Stolz der Nationen darnpft.
Dort streitet er und schlagtl
Er kommt und iiberwindet sie.
Sein Heer begleiten meine Scbrecken,
In schnellem Laufe fitichten sie.
No. 8. Duo.
Erster Sopran.
Was meines Namens Ehre scbiitzt,
Das hat Gott getban!
Zweiter Sopran.
Was meinei; Wohlfahrt Dauer stiitzt,
Das hat Friedrich's Muth gethan.
Beide.
Mit meiner Tapferkeit geriistet,
Stiirz' er den Feind, der sieh gebriistet,
Und dringe zu des Friedens Bahn.
No. 9. Becitativ.
Monarch, der Keiche Lust, der Weiseste, der Sieger,
Der Jabre Wunder, meine Zunge stammelt,
Wenn sie dicb wiirdig loben will.
Heut wallt die Freude festlicb durch die Brust,
So wie an jenem Tag der Woimen,
Da, grosser Friedrich, dich des Hnnmels Gabe,
Der Lander Wunsch begliickt empfing.
Herr, da sich heut zu deinem Throne
Der treusten Sehnsueht feurig Opfer naht,
Bitter, Emamiel und Frledemarun Bach, U 25
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So hore du, der Musen Leben,
Den lauten Zuruf meiner Sohne!
No. 10. Chor.
Heut jauchzet in Jubel, harmonische Tone,
Es lebe der Konig, es bliihe sein Haus.
Friedrich lebe, den Landern zum Floi%
So werden die gottlichen Eechte gedeihen,
So konnen schou gliickliche Burger sich freuen,
So pranget die Welsheit und steiget empor.
Diuck von Lieblieit & Thiesen in Berlin, Alte Leipzigerstr. 19.20.
Druckfeller,
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